Heinrich Schaumberger
Glückliches Unglück
Heinrich Schaumberger

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»Laßt mich, ich muß hinunter! Ihr haltet mich nicht, – ihr nicht und die ganze Welt nicht!«

»Daß dich der Geier! Ist denn heut auch der Teufel los? Solchen Tanz hab ich noch nicht erlebt, und ich hab doch schon manches erfahren,« meinte der Wasserfuchs ganz aufgeregt. »Was? Bist du rein toll? Willst du dich drunten halbtot schlagen lassen? Siehst du dem Martin und seinen Kameraden nicht an, was gegen dich vorliegt?«

»Was kümmert mich das? Und wenn Himmel und Erde darüber zugrunde ging, ich muß, – muß hinunter!«

»Wozu?« fragte der Zimmerdick bekümmert und hielt ihn gewaltsam zurück. »Was willst du? Neue Verwirrung, neues Unheil anrichten? – Paule, nimm Vernunft an! Bedenk, du kommst doch zu spät, für dich ist hier das Spiel verloren!«

»Und wenn es verloren ist, und wenn ich hundertmal zu spät komme, – ich muß hinunter,« schrie Paul außer sich und suchte sich loszureißen. »Laßt mich los, gebt Raum, – oder, bei Gott, ich springe über das Geländer!«

»So laßt ihn, – wer kann einen Tollen halten?« sagte der Zimmerdick beschwichtigend, als nun auch der Eckenpeter und Hanshenner auf Schülzle einstürmen wollten.

»Haben wir jemals etwas über ihn vermocht? Ist er nicht 47 immer noch seine eigenen Wege gegangen? Laßt ihn nur! Weiß nicht, sein Blasen hat mich selber ganz weich gemacht, mir ist, als verständ ich jetzt erst, was er damit wollte. Und nun das Evebärble drunten sitzt und weint, – seinetwegen weint, – sollen wir ihn mit Gewalt zurückhalten?«

Die Musikanten machten bedenkliche Gesichter, nickten sich aber doch leise zu; der Schülzle blickte schweigend sekundenlang auf den Dicken, dann gab er ihm die Hand mit den heftig herausgestoßenen Worten: »Dicker, Ihr meint's wahrlich gut mit mir, und die andern alle! Hab Euch schlecht gedankt! – Aber verlaßt mich nur heute nicht, Ihr sollt nie wieder Ursache haben, über mich zu klagen. – Verlaßt mich heute nicht, steht mir bei, wenn die Rottensteiner mich hindern wollen!«

»So, weiter nichts?« sagte der Alte, halb gerührt, halb ärgerlich. »Sollen wir deiner Torheit willen auch noch Prügel besehen?.– Nu, nu, 's ist schon gut! Geh nur hin jetzt, – ich meine, du solltest wissen, daß du dich auf uns verlassen kannst!« – – – –

In der Ecke saß das arme Mädchen noch immer fassungslos, unvermögend, das krampfhafte Schluchzen, das sie schmerzhaft durchzuckte, zu stillen. Vollkommen ratlos umstanden sie die Rottensteiner Bursche, die weder die Ursache, noch die Art ihres Zustandes begriffen, verblüfft bald sich untereinander, bald Martin, bald die verschiedenen Mittel, mit denen sie dem Mädchen zu Hilfe gekommen waren, – Wasser, Essig, stärkende, wohlriechende, stinkende (Salmiakgeist) und andere Tropfen, die alle ohne Ausnahme zurückgewiesen wurden, – betrachteten und nicht Worte fanden, ihre Betrübnis, ihr Mitleid so recht kräftig auszudrücken. Auffällig stach gegen diese Aufregung und Hast seiner Umgebung die wahrhaft steinerne Ruhe Martins ab. Ohne ein Wort zu sprechen, ohne nur eine Hand zu irgend einer Hilfeleistung zu rühren, stand er, die Arme auf der Brust gekreuzt, regungslos vor dem Mädchen, das er mit finstern Blicken betrachtete. Aber diese erzwungene Ruhe verdeckte schlecht den Sturm, der in ihm wütete. Vielleicht waren es auch gerade die zuckenden Zornfalten auf der sonst so freien und klaren Stirn, die unheimlich aus dem bleichen Gesicht unter den zusammengezogenen Brauen hervorblitzenden Augen, die das arme Kind 48 in immer neue, größere Schrecken stürzten. »Martin,« flüsterte sie, und die bebenden Laute, die nur widerstrebend ihren Lippen entquollen, kündeten die Angst ihrer Seele, »Martin, – sieh mich nicht so an, stehe nicht so stumm und starr! – Mein Gott, ich vergehe! – Rede, – rede! – Nicht so, – nicht so! – Laß das Lippennagen! – O mein Gott, – sprich nur ein einzigs, – einzigs Wort!«

»Wozu ich?« entgegnete der Jüngling, fast ohne die Lippen zu öffnen. »Soll ich kund tun, was dir fehlt, was in dir vorgeht?«

»Und wenn du es weißt, – – o, sieh mich nicht so an,« weinte sie und haschte vergebens nach einer Hand von ihm. »Und wenn du es weißt, gibt dir das ein Recht, mich ungehört zu verdammen? – Kann ich vor all den Ohren da frei heraussagen, was mich bewegt?«

»Ihr hört's, – sie will allein mit mir sein,« wendete sich Martin finster an seine Gesellen. »Zurück; sorgt, daß kein Lauscher nahe kommt.« Als sich die Bursche eilig entfernt, fragte er, noch immer, ohne seine Stellung zu ändern. »schnell jetzt, was hast du mir zu sagen?«

Evebärble rang die Hände und blickte noch einmal flehend zu Martin auf. Als dieser jedoch nicht darauf zu achten schien, eine Bewegung der Ungeduld machte, trocknete das Mädchen die Augen, stand nun ebenfalls auf, strich die Schürze glatt und begann leise: »Habe wenig zu sagen; es ist nur, daß du mich nicht für falsch und flatterig ansiehst. Vorhin war ich so bös auf den Schülzle, so bös, – ich meinte, mit der Lieb zu ihm wär's aus, nimmermehr könnte ich ihm wieder gut werden. Da kamst du! – Ich war ehrlich gegen dich in allen Stücken, – du weißt auch, ich wollte nicht auf den Tanzboden; ich meinte, – und das meine ich noch, – es paßte sich nicht; dann aber hatte ich eine geheime Sorge, es könnte etwas geschehen, was besser ungeschehen bliebe. Du und die Eltern nötigten mich mit Gewalt, ich konnte nicht widerstehen. Ernstlich hatte ich mir vorgenommen, Paul nicht anzusehen, ich hab's gehalten, – bis, – nun bis er zu blasen begann. Sieh, das war es, was ich gefürchtet hatte. Schon einmal hat er mir mit seinem Blasen das Herz eingenommen; wie er heute wieder die alte Weise begann, da war auf einmal aller Zorn und Unmut verschwunden; ich wußte jetzt: nie und 49 nimmer kann ich den Schülzle vergessen, dem allein gehöre ich an, jetzt und für alle Ewigkeit!«

Sie schwieg, heftig atmend spielte sie mit ihren Schürzenbändern. Martin rührte sich nicht, nur seine Lippen und Augenbrauen zuckten stärker. »Und was soll nun werden?« fragte er kalt.

Evebärble hob den Kopf, ihre Augen blitzten, sie wich den finstern Blicken des Burschen nicht mehr aus. »Das weiß ich nicht,« sagte sie lebhaft. »Vorläufig kümmere ich mich nicht darum. Ich gehöre ihm an, ihm allein, das steht fest, – daran wenigstens kann die Welt nichts ändern. Freilich, – – wenn, – wenn du wolltest, ein Wort für uns – – –«

Ein bitteres Lachen des Burschen unterbrach sie. »So weit sind wir noch nicht. – Ich versteh nicht, wie du für einen Kerl wie den Schülzle noch einen Atem verschwenden kannst! – Doch, gleichviel, das geht mich nichts an. – Auch ich habe Rechte an dich, größere, als der Schülzle jemals hatte. Ich hoffe, du wirst mich nicht beschimpfen wollen, wirst mich nicht zum Spott und Gelächter machen. Womit hätte ich das auch um dich verdient? – Du bist aufrichtig, ich danke dir's und achte dich darum nur noch mehr. Will's auch glauben, daß das wunderliche Blasen und der Anblick des Burschen dir das Herz bewegte, – seh's ein, wir wären besser ganz vom Tanzplatz geblieben! – Aber, was dir jetzt das Herz bewegt, das ist eine Wallung des Blutes, die vorübergeht, sonst nichts. Du kannst ja dem Burschen gar nicht verzeihen, wie er dir mitgespielt. – Komm, das ist abgetan. Wir wollen heim, wenn du meinst, dort wirst du eher ruhig. – – Morgen hast du die ganze Geschichte vergessen.«

»Nein, Martin! – Es kommt mir hart an, daß ich dir weh tun muß, aber es geht nicht anders. Unsere Wege gehen auseinander; je eher wir uns scheiden, desto besser!«

»So könntest du im Ernst daran denken, mich zu beschimpfen, vor aller Welt ehrlos zu machen?« schrie der Bursche, durch dessen Glieder ein Zittern ging. »Mädle, Mädle, nimm dich in acht, bedenk, was du tust!«

»Hast du auch bedacht, was du tatst, als du mich zum Tanz fordertest?« fragte das Mädchen, die im gleichen Maße ruhiger wurde, als der Bursche seine Beherrschung verlor. »Schweres 50 Unrecht liegt auf mir, ich leugne das nicht, – ich büße auch dafür. Aber alle Schuld trage ich nicht allein. War es auch recht von dir, meinen Zorn auf den Schülzle zu deinem Vorteil auszunützen? War es recht, daß du mit den Eltern auf mich losstürmtest, als ich im Jammer und ärgsten Wirrsal keines Gedankens fähig war?«

Schon bei den ersten Worten war der Bursche erschrocken zurückgefahren, jetzt haschte er nach ihrer Hand und sagte ängstlich: »Evebärble, – nimm das zurück, ich bitt dich!« –

»Das Gespött der Leute ist geringe Strafe, die wir eben geduldig hinnehmen müssen, wir sollten Gott danken, daß nicht größeres Unheil aus unserer Torheit erwuchs,« sagte das Mädchen, indem sie vor Martin zurückwich. »Laß mich, Martin! Wahrhaftig, von Herzen ist mir's leid, daß du in das Gerede der Leute kommst, aber mir geht's nicht besser, – und sonst, – o mein Gott, – was steht mir noch sonst bevor!«

Martin nagte an den Lippen. Plötzlich fuhr er zusammen, er sah Schülzle das Orchester verlassen. »Evebärble,« sagte er, und seine bleichen Lippen bebten, während er nun doch die Hände des Mädchens festhielt, »ich kann nicht glauben, daß das dein völliger Ernst ist, ich kann nicht, wenigstens jetzt nicht. Du bist jetzt in Wallung, du wirst wieder anders denken, bist du erst ruhiger, – laß mir wenigstens heute den Glauben. Mein Gott, soll all mein Hoffen vergeblich gewesen sein? Sollte ich wirklich ein Unrecht – – – – Sieh, wahrhaftig, er hält gerade auf dich zu, das ist doch stark! – Himmel und Hölle! Evebärble, – wirst du mir's antun? Wirst du dich vor allen Leuten – –«

»Still, still,« flüsterte das Mädchen, die zu zittern begann. »Ich gehöre sein in alle Ewigkeit, das weißt du, nicht er, – noch sind wir nicht ausgesöhnt, und der Tanzboden ist kein Platz dazu. Heute hast du über mich zu verfügen, du allein, – aber sei gut, Martin, verhüte Lärm!«

Martin entgegnete nichts, finster starrte er vor sich nieder und nagte an den Lippen. Von den scheltenden, lärmenden Kameraden Martins, die ihn nicht aufhalten konnten, begleitet, drängte sich Schülzle herbei. Mit Gewalt riß er eine Hand des Mädchens an sich und flüsterte: »Evebärble!« Aber das Mädchen hatte sich abgekehrt, weder ein Blick noch ein Wort ward ihm 51 zuteil. Martin stand neben ihr, in seinem Gesicht arbeitete es, seine Finger zuckten. Plötzlich, – wie um sich selbst zu einer Entscheidung zu drängen, legte er seine Hand auf Pauls Schulter und sagte. »Mach keinen Aufstand, Bursch! Eigentlich stände mir wohl zu, dich vor die Türe zu werfen, denn das Evebärble ist heute meine Tänzerin. Aber,« – Martin konnte das Beben seiner Stimme nicht verbergen, – »aber ich bin nun einmal kein Freund von Skandal, – und kurz und gut, wir wollen uns vergleichen. Wir wollen wechseln: drei Reihen ich, drei Reihen tanzest du mit dem Evebärble. – Bist's zufrieden? – Kannst auch den Anfang machen meinetwegen! Aber das merke dir, Bursch, denke nicht daran, das Evebärble heimzugeleiten, verstanden? – Das ist mein Recht, das laß ich mir nicht nehmen; Gott sei dir gnädig, kommst du mir da in die Quere!«

Ein Wink mit den Augen bedeutete seinen verblüfften Kameraden, das Paar nicht aus den Augen zu lassen. »Schülzle, ein Trompeter magst du sein, ein Mann bist du nicht,« sagte er wegwerfend, dann schritt er hoch aufgerichtet durch die staunenden Dammsbrücker nach der entgegengesetzten Seite des Tanzbodens. Nur sein Vertrauter, der Rottensteiner Schmiedspitter, folgte ihm. »Was machst du? – Was soll das heißen?« fragte er staunend und zornig.

Martin blickte eine Weile zu Boden, dann hob er den Kopf und sah Pitter voll in die Augen. »Sie macht mir zum Vorwurf, ich hätte ihren Zorn für mich benützt. Das wurmt mich, es liegt Wahrheit drin!«

»Weiter nichts? – Und willst du sie aufgeben?«

»Nein! – Laß mich, ich muß erst mit mir selber einig werden!«

»Gut! – Haha! – Und während dem schwätzt ihr der Schülzle den Kopf vollends toll!«

»Vielleicht! – Es war große Torheit, sie heute auf den Tanzboden zu zwingen, das seh ich jetzt. Nun ist das Unglück geschehen, das Blasen hat ihren Zorn in Mitleid umgeschmolzen, – soll ich nun hart sein, sie jetzt mit Gewalt von ihm fernhalten und so die wieder aufwachende Liebe selber zu lichter Flamme anblasen? – Nein! – Ich brauche den Vergleich mit dem Musikant nicht zu scheuen, – mag sie mit ihm tanzen! Sie soll sehen, 52 daß ich ein ganz anderer Mann bin, als der Tropf, der nicht weiß, was er will. Ist sie zur Vernunft zu bringen, ist's allein dadurch, – zum Ernst ist immer noch Zeit, wenn mir überhaupt zusteht, Ernst zu gebrauchen! – – Halte ein Aug auf die beiden, aber quäle sie nicht, – nur wenn sie vielleicht durchwischen wollen, machst du Lärm. Laß mich allein!«

Schülzle blickte dem Hofmartin lange nach, ein tiefes Rot färbte momentan seine bleichen Wangen. Endlich näherte er sich dem Mädchen, das sich mit Gewalt zur Ruhe zwang, denn das Dammsbrücker Jungvolk ward aufmerksam. Ehe er sie anreden konnte, zog sie ihn in den Reihen, erst als sie sich zwischen den übrigen Paaren drehten, flüsterte sie ihm zu: »Sei still, rede kein Wort, – verstanden? Kein Wort! Was wir uns zu sagen haben, paßt nicht hierher. Nimm dich zusammen, mach kein Aufsehen. Richte es ein, daß du mich heimgeleitest; es mag unrecht gegen den ehrlichen, braven Martin sein, aber ich kann nicht anders, ich muß heute noch mit dir reden. Still jetzt, – kein Wort mehr!«

Die Verwunderung, das Staunen der Musikanten wie der Dammsbrücker nahm heute kein Ende. So etwas war ganz und gar unerhört, unbegreiflich: zwei Nebenbuhler, die, statt sich braun und blau zu schlagen, sich gutwillig und gewissenhaft in den Besitz des Mädchens teilten; ein Mädchen, die, scheinbar völlig gleichgültig und teilnahmlos, dem einen wie dem andern ihrer Bewerber in den Reihen folgte, kalt und abstoßend gegen jeden. Was ging da vor? Wer war Meister des Spiels? Worauf war es abgesehen? – Diese Fragen machten jung und alt viel zu schaffen; manche fanden zuletzt die Sache komisch und versuchten, sie ins Lächerliche zu ziehen. Die drohenden Fäuste der Bergheimer Musikanten wie die der Rottensteiner Bursche belehrten sie jedoch bald, daß Witz hier ganz am unrechten Platz sei. So suchte man sich denn in Geduld zu fassen, ein Ende konnte ja nicht ausbleiben, – doch ward besonders den weiblichen Zuschauerinnen die Zeit nicht wenig lang.

Unterdessen hatte sich die Temperatur im Tanzraum vollständig verändert. Längst waren die Eiskristalle an Decke, Wänden und Fenstern verschwunden, eine drückend schwüle, mit Wasserdämpfen gefüllte Luft erschwerte das Atmen und verdüsterte die 53 ohnedies trübseligen Flämmchen der Talglichter noch mehr. Die wenigen geöffneten Fensterflügel umhüllten dichte Wolken, aus welchen dann und wann, wenn die geöffnete Tür Zug erregte, ein dichtes Schneegestöber auf die Köpfe der an den Fenstern Stehenden niederwehte. Nicht bloß die Bursche hatten längst Mützen und Jacken abgelegt, auch die Musikanten machten es sich so bequem als nur möglich, – in dem engen Orchester herrschte eine fast unerträgliche Glut. »Schwenselens, ist das 'ne Hitz,« murrte der Wasserfuchs, indem er sich die Stirn trocknete. »Man zerfließt rein, – das Wachs an meinem Hornbogen ist schon lang auf und davon!«

»Das ist was Recht's,« knurrte der Bergkasper. »An meinen Klappen wird das Siegellack weich und läßt das Leder fohjen!«

»Ja, es ist nimmer zum aushalten,« meinte auch der Zimmerdick verdrießlich. »Ich denke, wir machen bald Feierabend, – es wird ohnedies fast nichts mehr aufgelegt (bezahlt). – Nun, und wie steht's eigentlich mit dir und deinem Handel, Paule? – Wo will's hinaus? – Was soll's werden?«

Schülzle, der auf dem Orchester die drei Tänze verbrachte, die dem Hofmartin zukamen, fuhr aus seinem Brüten und Träumen, strich sich die Haare aus der Stirn und seufzte: »Weiß ich's? – Und doch, was red ich? Das Evebärble verlangt, daß ich sie heimgeleite – – –.«

»Wirklich? – Mensch, du hast mehr Glück als Verstand,« rief der Zimmerdick. »Ja, – aber das ist ein gefährlich Spiel, – nimm dich in acht! Der Hofmartin ist ein Bursch, der seinesgleichen sucht an Bravheit und Tüchtigkeit, – drum eben ist es doppelt gefährlich, ihn zu reizen. Wie er heute gegen dich sich zeigte, so was ist noch gar nicht dagewesen, – du selber wärst gewiß ganz anders aufgetreten. Nun aber rat ich: laß dir mit dem Tanzen genügen und gib das Heimführen auf; ich hab's aus Martins eignem Mund gehört, wie er dem Schmiedspitter einschärfte, darauf zu achten, daß ihr nicht etwa durchwischtet!«

»Weiß ich alles,« seufzte der Schülzle, dem es sichtlich sehr unbehaglich zu Mute war. »Was aber hilft mir's? Das Evebärble besteht darauf, daß ich mit ihr heimgehe; – was müßte sie denken, wollt ich mich davondrücken?«

54 »So versuch's,« lachte der Schneidersnikel. »Was jammerst du uns die Ohren voll?«

»Weil ihr mir helfen müßt,« platzte der Schülzle heraus. »Ja, ja, macht keine Einwendungen, ihr müßt mir helfen! Wie soll ich allein gegen die Rottensteiner aufkommen?«

»'s wird immer besser,« murrte der Zimmerdick. »Und was sollen wir tun? Wie hast du dir's ausgedacht?«

»Was ist da viel zu überlegen? – Ihr müßt sehen, daß ihr nach dem Feierabend die ganze Gesellschaft in die Stube lockt und dort festhaltet, bis wir, – ich und das Evebärble, – Gelegenheit gefunden haben, zu entwischen!«

»Ist leicht gesagt,« knurrte der Wasserfuchs. »Aber wie soll man das fertig bringen, wenn keine Ursache vorliegt?«

»O du Hanspeter,« lachte der Schneider. »Wär's denn der erste Streich, den wir einfädelten? – Ich meine, da hätten wir schon ganz andere Geschichten fertig gebracht! – Verlaß dich darauf, Schülzle, dir wird geholfen!«

»Aber der Martin will vor die Türe einen Posten stellen,« meinte Schülzle kleinlaut.

»Wirklich? – Nun, dumm ist der Martin nicht,« entgegnete der Schneider. »Auch der wird in Sicherheit gebracht, verlaß dich ganz auf mich! – Geh jetzt, tanze deine drei Reihen ab, hernach ist Feierabend; drüben in der Stube halte die Augen offen, du mußt jeden Augenblick auf dem Sprung stehen, durchzugehen!«

»Aber ich seh nicht ein, was das Heimführen nützen soll! – Das einzige, was dabei herauskommen kann, ist eine Hauptschlägerei,« eiferte der Zimmerdick. »Was hilft es, wenn du dich auch mit dem Mädle einigst? – Der Simesbauer nimmt dich nun und nimmermehr an!«

»Das wird sich finden,« beschwichtigte Hanshenner. »Geh du nur, Schülzle, und halte dich bereit, du sollst dein Evebärble heimführen, und sollten wir's deswegen mit dem Teufel aufnehmen. – Geh jetzt, daß die Rottensteiner nicht aufmerksam werden.«

Und Schülzle ging; er tanzte seine gesetzlichen drei Reihen ab und flüsterte dem Mädchen zu: »Halte dich bereit, setze dich drüben in der Wirtsstube neben die Kammertüre, behalte mich 55 immer im Auge, daß du auf den ersten Wink verschwinden kannst!«

Martin lächelte verächtlich, als die Musikanten Feierabend machten, da er eben noch einmal zum Tanz antreten wollte. Am liebsten hätte er sofort Saal und Wirtshaus mit seinem Mädchen verlassen, doch ging das nicht an, das erhitzte, glühende Evebärble mußte sich der grimmigen Kälte wegen notwendig erst abkühlen. Verdrossen willigte er ein, mit dem übrigen Jungvolk den Musikanten in die Wirtsstube zu folgen. Einmal war ihm das überlustige Treiben, das gewöhnlich den Tänzen zu folgen pflegte, zuwider, dann aber fürchtete er die Anschläge seines Gegners, die, wenn er ihm auch nicht besondere Schlauheit zutraute, ihm in dem Gedränge, bei dem Rückhalt, den Schülzle offenbar bei den Musikanten und Dammsbrückern, ja bei dem Mädchen selbst fand, immerhin gefährlich werden konnten. Er beschloß darum, dem Evebärble nicht von der Seite zu weichen, seinen Kameraden befahl er Achtsamkeit an, um aber ganz sicher zu gehen, stellte er den Schmiedspitter, den ein reichliches Trinkgeld willig machte, als Wachtposten vor die Haustür.

Besonders letztere Vorsichtsmaßregel gab ihm seinen Gleichmut, seine Ruhe vollständig zurück. Im Vertrauen auf die Wachsamkeit seines Freundes verschmähte er sogar, sich dem Mädchen, das ihm offenbar ausweichen wollte, aufzudrängen. Er war schon zufrieden, daß sie auch den Schülzle abwies und fern von der Stubentür im Schatten des Ofens sich in eine Ecke drückte. Seine Freunde machten sich Pitters Wachsamkeit ebenfalls zunutze, schäkerten mit den Mädchen, die sie mit »Muskatenwei« und »süßem Schnaps« regalierten, und als sie erst Martin vollkommen ruhig in eifrigster Unterhaltung mit den Musikanten sahen, kümmerten sie sich auch nicht weiter um das Evebärble.

Martin war ein lebhafter, aufgeweckter Bursche, von der Natur mit einer reichen Gabe von Witz und Laune ausgestattet, – dem lustigen Schneidersnikel ward es darum nicht schwer, den munteren Burschen in eine äußerst lebendige Unterhaltung zu verflechten. Im Anfang blickte Martin freilich unaufhörlich mißtrauisch um sich, allein Evebärble saß regungslos in ihrer Ecke, und der Schülzle hatte an dem Tisch, den seine Freunde mit ihren Mädchen einnahmen, den Kopf auf die Arme gelegt und 56 schien zu schlafen. Darüber konnte sich Martin eines leisen Lächelns nicht erwehren, seine Befürchtungen schwanden fast gänzlich, – vor der Tür wachte Pitter, und Schülzle hatte sich aus eigenem Antrieb so postiert, daß auch nicht die geringste seiner Bewegungen den Rottensteinern entgehen konnte. Martin lächelte; nun erst gab er sich so recht mit Behagen der anregenden Unterhaltung mit dem Schneidersnikel hin, dessen Geschichten und Schnurren gar kein Ende nehmen wollten. Evebärble saß noch immer regungslos, sie mochte wohl eingeschlafen sein. Martin fühlte sich vollkommen sicher, ließ die Musikanten wacker einschenken, kam allmählich auch ins Erzählen und blickte kaum auf, als das Jungvolk plötzlich in Bewegung geriet, lachend und lärmend einige Male durch das Zimmer schwärmte. Auch als die Ruhe wieder hergestellt ward, saß Evebärble noch in der nämlichen Stellung im Schatten des Ofens, aber, – Martin fuhr ein Stich durchs Herz, – Schülzle war von seinem Platz verschwunden. Er wollte aufspringen, doch bezwang er sich; seine Kameraden saßen vergnügt bei ihren Mädchen, gewiß hatten sie ihn im Auge, – also wozu Aufsehen erregen? Ruhig ward er doch nicht; plötzlich fiel ihm auf, daß das Evebärble doch gar so tief im Schatten saß, wer es nicht wußte, daß sie es war, hätte sie gewiß nicht erkannt. Eine merkwürdige Unruhe begann Martin zu peinigen, – und gerade jetzt verwickelte sich der Schneider in eine Geschichte, die gar kein Ende nehmen wollte. Zuletzt konnte sich Martin nicht länger bezwingen, er sprang auf, wie zufällig schritt er ganz in der Nähe des Ofens vorbei, – ein jäher Schreck raubte ihm für den Moment fast die Besinnung und Bewegung, – das Mädchen, das sich da in die Ecke drückte, das war ja nicht das Evebärbchen!

Obgleich eine ruhige, klare, merkwürdig gefestete Natur, drohte dennoch für einen Augenblick Zorn und Enttäuschung in Martin die Besonnenheit zu überwinden. Aber auch nur einen Augenblick. Wie um sich selbst festzuhalten, preßte er die Fäuste zusammen, biß er die Zähne knirschend aufeinander; daß ihm das Paar entwischt, darüber war er keine Minute im Zweifel, – nur darüber, wie ihnen das möglich geworden, zerbrach er sich umsonst den Kopf. Gewaltsam hielt er den aufkochenden Grimm nieder; was nützte es, ihn den Leuten zu zeigen? Betrogen war er einmal, jetzt galt es, 57 den Unfall mit heiterer Miene tragen – und den Burschen, der ihm so frech ins Gehege kam, seine Gefälligkeit so schlecht dankte, zu strafen. Ob Evebärble für ihn verloren sei, mußte sich noch heute entscheiden.

Der Schrecken seiner Gefährten, als er nach Schülzle und Evebärble frug, verriet zu deutlich ihre Unachtsamkeit, als daß er sich noch über das Gelingen der Flucht hätte wundern dürfen. Aber warum war auch der Schmiedspitter seinem Versprechen untreu geworden? – Martin machte sich freilich Vorwürfe, daß er ihn so lange ohne Ablösung gelassen; aber wenn ihm der Wachtdienst lästig wurde, warum hatte er das nicht gesagt, statt heimlich seinen Posten zu verlassen? Oder sollte ihm auch hier sein Gegner einen Streich gespielt haben? – Kaum denkbar, denn Pitter war schlau, und ein Bursch wie ein Riese. – Mochte dem nun sein, wie ihm wollte, Gewißheit mußte er haben. Einen seiner Vertrauten schickte er vor die Türe, nach Pitter zu suchen; so scheinbar absichtslos dies ins Werk gesetzt wurde, erregte es doch allgemeine Aufmerksamkeit. – Martin war sich sofort vollkommen bewußt, daß sämtliche Dammsbrücker wie auch die Musikanten gegen ihn arbeiteten, und nur durch deren Beihilfe die Flucht möglich geworden war. – Um so vorsichtiger mußte er sich halten, um sich nicht noch mehr zum Spott und Gelächter zu machen.

Der Bote kehrte zurück und meldete, Pitter sei verschwunden, nirgends eine Spur von ihm zu finden. Auf einen Wink rüsteten sich die Rottensteiner zum Aufbruch; Martin bezahlte seine Zeche, nahm anscheinend gut gelaunt Abschied von den Musikanten, die ihn vergebens zu halten versuchten. An der Türe machten die Dammsbrücker Bursche und Mädchen ein Gedränge, mit Scherz und Lachen verweigerten sie den Rottensteinern den Ausgang. Martin, der die Absicht sofort durchschaute, hielt auch jetzt an sich, einige Sekunden schaute er dem anscheinend harmlosen Spiel lächelnd zu, als es aber kein Ende nehmen wollte, befahl er: »durch!« Schreiend und lachend prasselten Bursche und Mädchen, die nicht daran dachten, Ernst zu brauchen, auseinander, und die Rottensteiner stürmten an dem zwischen Ofen und Wand sitzenden und sanft schlafenden Hanshenner, der auch jetzt noch seinen Baß liebevoll in den Armen hielt, vorbei nach der Tür. Plötzlich gab es 58 ein großes Gepolter, – der Baß lag quer vor der Stubentür, die Rottensteiner, einmal im Lauf, stürzten fluchend und wetternd darüber hinweg, und der Hanshenner stand daneben, rang die Hände und schrie kläglich: »mein Baß, mein Baß, – mein guter alter Baß, – dasmal ist er hin, – rein hin!«

Natürlich eilten auf diesen jammervollen Hilferuf die Musikanten einmütig herbei, das gefährdete Instrument zu retten; – schon nach wenigen Sekunden waren die Rottensteiner vollständig von der Tür abgedrängt. Nun folgte ein großer Krawall, der Wirt jammerte laut um seinen Ofen, der bei einem Kampfe in ärgste Gefahr geriet. Zu Tätlichkeiten kam es nicht. Einmal fehlte den Rottensteinern der Schmiedspitter, der den Eckenpeter im Schach gehalten hätte, dann gebot auch Martin mit so mächtig hallender Stimme Ruhe, daß nach kurzem Getümmel die Gegner schnaubend auseinander wichen. Natürlich hielten die Musikanten die Türe besetzt.

»Wollt ihr Bergheimer den Ausgang freigeben?« fragte Martin.

»Nicht eher, bis ihr unsern Baß bezahlt, den ihr ruiniert habt,« schrieen die Musikanten grimmig.

»Ich will nicht fragen, ob der Hanshenner den alten Kasten uns nicht absichtlich zwischen die Beine warf,« sagte Martin finster. »Laßt ihn reparieren, ich will's bezahlen, was es auch kostet!«

Diese unerwartete Großmut brachte die Musikanten sichtbar in Verlegenheit; endlich schrie der Hanshenner: »was da, Reparatur, das besorg ich selber! Bezahl eine Zeche Bier, so soll's gut sein!«

»Schenk ein, Wirt,« schrie Martin, dessen Stirn und Schläfe sich röteten. »Schenk ein, was sie trinken, – ich bezahl's! – Wollt ihr jetzt die Tür freigeben?«

Da nun durchaus keine Ursache mehr vorlag, den Rottensteinern den Ausgang zu wehren, zogen sich die Musikanten halb zufrieden, halb verdrießlich zurück, und die Aufgeregten stürmten ins Freie.

»Geholfen hat's halt nicht viel,« meinte Hanshenner und kraute sich unter der Pelzmütze. »Na, – der Schülzle weiß, was ihm bevorsteht, er soll seine Haut eben beizeiten salvieren!«

»Sollten wir ihm nicht beispringen?« fragte der Eckenpeter.

59 »Daß das ganze Dorf rebellisch wird?« fragte Hanshenner dagegen. »Nichts da! Draußen soll er sich selber durchhelfen, ist übrig genug, wenn wir im Wirtshaus zu seinem Rückhalt beisammen bleiben!«

»Hast recht,« sagte auch der Zimmerdick. »Der Wildfang hat uns schon Sorge genug gemacht! – Hör, Hanshenner, konntest du es über das Herz bringen, deinen Baß in solche Gefahr zu bringen?«

»He, mit einem gewöhnlichen Baß hätt ich's auch nicht riskiert,« lachte Hanshenner und betrachtete bewundernd das Instrument. »Da, seht selber, nicht ein Sprüngle oder Rißle hat er davongetragen. – Ja, ich hab ihn aber auch verwahrt, – Heiden nochmal! – Zwei armsdicke Eichenprügel habe ich inwendig der Länge nach eingezapft, der andern Sperrhölzer und Widerlager gar nicht zu denken, – allein für sechs Kreuzer an Nägeln habe ich daran verklopft! – Guckt ihr? – Ja, das ist ein Baß! – Zwei dürfen sich darauf setzen, und er bricht nicht durch!«

»Donnerwetter! – Darum also klappert, rasselt und schnarrt der Kasten gar so schändlich,« rief der Zimmerdick, und der Wasserfuchs sagte bedächtig: »ja, wenn das vorliegt, dann hast du freilich recht! – Solchen Baß wird man nicht wieder finden Land auf und Land ab!«

»Ja, 's ist ein Hauptbaß,« schloß der Hanshenner. »Nicht tot zu machen ist die alte Base!«

*


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