Heinrich Schaumberger
Glückliches Unglück
Heinrich Schaumberger

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Ein leiser Druck auf die Schulter, – der eben noch anscheinend fest schlafende Schülzle begann sich zu dehnen und zu strecken, und als die Rottensteiner Bursche nicht auf ihn achteten, verschwand er lautlos unter den Dammsbrücker Burschen und Mädchen, die eben durch die Stube zu schwärmen begannen. »Der Schmiedspitter ist sicher aufgehoben, – vorwärts, das Bärble wird draußen auf dich warten! Mach's rasch ab, Schülzle, eile, was du kannst, – lange halten wir die Rottensteiner auf keinen Fall zurück, und fällst du in ihre Hände, weißt du, was dir blüht! – Ja, wenn sie alle so fest säßen wie der Schmiedspitter, – ha ha! – Vorwärts jetzt!« Damit schob ihn der Mühljohann leise lachend aus der Tür.

In der offenen Haustür zeichnete sich gegen den leuchtenden Schnee draußen eine dunkle weibliche Gestalt ab, – es war 60 Evebärbchen. Wortlos ergriff sie seine Hand und zog ihn fort; er fühlte ihre Pulse schlagen, der drangvolle Atem verriet ihre Aufregung. Im raschesten Lauf zog sie ihn durch die stillen Gassen, erst in der Nähe des väterlichen Gehöftes ging sie langsamer, ließ seine Hand los, hüllte sich schauernd in ihre Tücher, und Schülzle war's, als höre er sie leise schluchzen.

Dem Burschen ward es wunderlich zu Mut. In unbeschreiblicher Pracht und Majestät funkelte der Sternenhimmel über ihm, – aber der Glanz war kalt und fast unheimlich, wie die verzerrten Spiegelbilder der fernen Sterne auf der blinkenden Eisfläche des Dorfbaches. Dunkel und öde, wie zusammengeduckt, lagen die Häuser unter ihren Schneehauben, nur die weißbeeisten Fenster schimmerten durch die Nacht, unheimlich, wie die lichtlosen Augen eines Blinden. Dazu knarrte und heulte der Schnee, und trotz der raschen Bewegung empfand der Bursche schmerzhaft die durchdringende Kälte.

Aber dicht neben ihm schritt leise schluchzend ein süßes, warmes Leben durch die einsame, erstarrende Nacht. Es drängte ihn, das Mädchen an seine Brust zu ziehen, an ihrem Herzen zu erwarmen. Aber konnte, durfte er? Freilich befand er sich auf ihren ausdrücklichen Wunsch an ihrer Seite, aber daß damit der Zwiespalt zwischen ihnen nicht gehoben, hatte sie ja selbst gesagt, – sie verlangte, daß er reden, sich erklären, entschuldigen sollte. Konnte er das? Sollte er sich schuldig bekennen, jetzt, wo sich die Macht seines Blasens aufs neue so wunderbar bewährt? – – –

Das Schluchzen des Mädchens ward stärker, je näher sie dem elterlichen Haus kamen. Paul schnitt das unterdrückte Weinen durch die Seele, – dennoch brachte er kein Wort über die Lippen, die Kehle war ihm wie zugeschnürt. – – – –

Von der Kälte empfand er nichts mehr, eine ganze Hölle brannte in seinem Herzen auf, als nun wirklich schon die Haustür erreicht ward. Es zuckte in seinem Herzen, es wühlte und brannte in seinem Hirn, das heftigere Weinen des Mädchens, das sich von ihm abgewendet hatte und ganz außer sich das Gesicht in ihr Tuch verhüllte, zerriß seine Seele, – dennoch fand er kein Wort der Entschuldigung oder der Liebe, er konnte nicht reden, konnte nicht nachgeben. – Paul knirschte heimlich mit den Zähnen, er konnte nicht, und sollte er darüber zu Grunde gehen! – – –

61 Wie lange sie so halb voneinander abgewendet gestanden, wußte keines, beiden däuchte es eine Ewigkeit. Paul hätte sich selbst mögen zu Boden schlagen, er kam sich vor, wie dem Teufel verkauft, – dennoch schwieg er. Plötzlich wendete sich Evebärble blitzschnell nach der Tür, im Nu klirrte der Schlüssel im Schloß, die untere Hälfte der geteilten Haustür sprang auf, schon war das Mädchen halb in der aufgähnenden Finsternis verschwunden, als Schülzle zugriff und sie mit Gewalt zurückhielt.

»Evebärble!«

»Laß mich! – Es ist aus zwischen uns!«

Dieses »Laß mich!« klang so herzzerreißend, daß es Schülzle heiß und kalt überlief. Er fuhr sich in das Halstuch und riß daran, als liege hier die Schuld seiner Verstocktheit, dann würgte und sprudelte er gewaltsam hervor: »Evebärble! – Alles reißt und zerrt an mir! Niemand bin ich recht, wie ich bin! Werd ich für ein Kind geachtet, daß man nur so grad hin von mir verlangt: das darfst du tun und das nicht, so mußt du sein und so nicht? – Evebärble, sag selber, was wär das für ein Bursch, der sich heut dahin und morgen dahin werfen läßt? – Meinst, es hat mich nicht getroffen, wie der Martin sagte: ein Mann bist du nicht? – Wär ich denn einer, wenn ich mir befehlen ließe, wie ein dummer Junge? Aufrichtig, Evebärble, mußt du mir nicht selber danken, daß ich fest steh und mich nicht zum Spielwerk hergebe?«

Evebärble war über diese Auseinandersetzung so überrascht, daß sie vergaß, ihre Tränen abzutrocknen. Während sie staunend, unfähig zu antworten, zu ihm aufsah, spiegelte sich ein Stern in den Perlen, die ihr noch auf den Wangen standen. Paul aber, der sich nicht bloß einen Stein vom Herzen, sondern in eine neue Überzeugung hineingesprochen, drängte ungeduldig: »jetzt rede du! – Sag, ob ich nicht recht getan, auf meinem Willen zu bestehen? – Ich sag ja nicht – und hab's nie gesagt, – daß ich um keinen Preis von der Musik lassen will. Wer weiß, ob ich's nicht tu, wenn's freiwillig geschehen kann, – aber mit Zwang tu ich's nicht, nie und nimmer. – Und nun sag: hab ich nicht recht?«

Während sie heimlich die Hände rang und mit in Tränen schwimmenden Augen zu dem erregten Burschen aufsah, flüsterte das gequälte Mädchen: »ja, ja, – gewiß hast du recht! – Gewiß! – Von der Seite hab ich die Sache noch nicht betrachtet gehabt, 62 – ja, du wirst wohl recht haben! Warum sollst du auch nicht? – Du bist ja ein Mann! – Drum bleib nur auf deinem Willen, – ich werde dich nicht weiter drängen!«

Paul blickte verblüfft und bestürzt auf das Mädchen. Er hatte einen neuen Tränensturm, Klagen, Vorwürfe, Bitten erwartet; – auf diese Zustimmung, durch welche die Verzweiflung so vernehmlich klang, war er nicht vorbereitet. Eine heiße Schamröte stieg ihm in das Gesicht, wie der Blitz schoß ihm der Gedanke durch das Hirn: es muß wahrlich sehr schlecht um deine Sachen stehen, wenn das Mädchen so reden kann! Aber auch der alte Trotz war noch nicht tot, schon regte es sich in ihm: soll ich nachgeben, mich auf den Mund schlagen, im selben Augenblick, da ich mich meiner Mannhaftigkeit rühmte, zu Kreuze kriechen? – – Wohl war ihm jedoch gar nicht, als er nun kleinmütig begann: »siehst du, Evebärble, du mußt mir selber zustimmen! Ich hab's ja auch gewußt, daß du noch zur Einsicht kommen würdest.«

Als das Mädchen fassungslos ihren Kopf an seine Schulter lehnte und er nun fühlte, wie sie unter den Stößen des Schmerzes zuckte, quoll es in ihm wieder heiß auf. Heftig schob er seine Mütze hin und her und klagte: »ja, du hast freilich recht zu weinen, was hilft's uns, daß du einsiehst, ich kann nicht anders? Dein Vater, daß sich Gott erbarm, dein Vater kommt nimmermehr zur Erkenntnis, nimmermehr gibt er nach, – und nun auch noch die Geschichte mit dem Hofmartin! – Evebärble, was soll nun werden?«

Das Mädchen hatte lauschend den Kopf gehoben, jetzt schluchzte sie: »ich weiß nicht, – mein Kopf ist wie ausgebrannt! Ich weiß nur: ich bin das unglücklichste Mädchen auf Gottes Erboden! – Horch,« fuhr sie auf. »Sie kommen! – Ich bin dein, Paul, für immer und ewig, was auch kommen mag, ich bleib dir treu! Was aus uns wird, weiß ich nicht, gewiß ist nur, daß uns noch viel Leid bevorsteht! – Hörst du nichts? – Um Gott! – Paul! – Fort, fort, es wäre mein Tod, müßte ich denken, du könntest den Rottensteinern in die Hände fallen! – So eil dich doch, – was stehst du da und siehst mich an? – Wenn du mich gern hast, geh! – Gott weiß, was mir bei den Eltern bevorsteht, soll ich auch deinetwegen noch zittern und zagen?«

»Evebärble, – mein gut's Evebärble! – Es soll anders werden, ich – –«

»O mein Gott! – Hörst du nicht, wie sie das Haus umkreisen? – Mach fort, eh's zu spät ist!«

Paul wandte sich zur Flucht; – zu spät! Von allen Seiten prasselten Holzscheite in den Hof und splitterten an Wänden und Ecken. Allen Kameraden weit voraus stürmte Martin um die Ecke, mit lautem Zornruf warf er sich auf den verhaßten Nebenbuhler. Doch auch Schülzle hatte die Gefahr Ruhe und Besonnenheit wiedergegeben; geschickt wich er dem Anprall aus, während Martin noch von der Wut des Stoßes taumelte, packte er ihn und schleuderte ihn den anstürmenden Rottensteinern entgegen. Dann fühlte er seine Hand ergriffen, er tauchte in eine dicke Finsternis, eine Tür sprang ins Schloß, – im selben Moment krachte ein solch furchtbarer Stoß gegen das Bohlenwerk, daß ein dumpfer Schlag durch das stille Haus schütterte. Aber umsonst hatten sich die Gegner draußen mit voller Kraft gegen die Türe geworfen, – sie hielt. Evebärble schob rasch noch Riegel und Sperrhaken vor, – für den Augenblick war Paul in Sicherheit.

Für den Augenblick!

Warm und kalt überlief es den Burschen, während er im stichdunkeln, eisigkalten Treppenraum neben dem atmenden, leise weinenden Mädchen stand, draußen seine Gegner schnaubend das Haus umtobten, bald an den Haus- und Stalltüren rüttelten, bald laut drohend Einlaß begehrten. In welche unselige, heillose Patsche war er geraten! – Wie er so dastand, kam er sich vor wie ein Weizenkorn zwischen zwei Mühlsteinen. Hinaus durfte er nicht, vielleicht sein Leben, zum mindesten seine Gesundheit stand auf dem Spiel! Blieb er aber, und der Bauer fand ihn im Haus, – und daß der Bauer ihn bald finden würde, daran war bei dem heillosen Lärm, den die aufgebrachten Bursche draußen vollführten, gar nicht zu zweifeln, der Bauer mußte ja aufmerksam werden, konnte ja den Unfug in seinem Hof nicht geschehen lassen, – was ihm dann bevorstand, ahnte ihm dunkel! – –

Abermals donnerten dumpfe Schläge gegen die Türe, zugleich schrie Martin: »aufgemacht! – Aufgemacht, Bauer, oder beim Teufel, wir sprengen die Türe! – Aufgemacht, – der Schülzle ist im Haus, – gebt ihn raus, oder wir stürmen die Tür!«

»Mein Gott, mein Gott! – Wie soll das enden?« stöhnte das zitternde Mädchen. »Horch? – Hörst du nichts? – Wahrhaftig, 64 – o mein Gott, – der Vater ist schon wach! – Komm herauf! In den Stall kannst du nicht, die Türe knarrt, und hier vor der Treppe kannst du auch nicht bleiben. – Komm, such dir droben ein Versteck, im Hausflur oder in der Küche, – aber komm! – O du gnadenreicher Heiland, wende das Unglück! – Komm, – rasch! Der Vater wird im Augenblick mit Licht da sein, trifft er uns zusammen, – du kennst seinen Jähzorn!«

Paul fühlte sich abermals an der Hand ergriffen, diesmal die Treppe emporgezogen; zum Glück dämpften die krachenden Schläge an die Haustüre seinen stolpernden Schritt. In der Wohnstube fluchte der Bauer über die Schwefelhölzer, die nicht Feuer fangen wollten, – das Mädchen zuckte zusammen. »Rechts grad aus ist die Küchentür! Gott schütze dich, ich kann dir nicht weiter helfen, trifft mich der Vater außer meiner Kammer, ist alles verloren!«

Ein Lichtblitz durch das Schlüsselloch der Stubentür verscheuchte das Mädchen, Paul war allein. Vorsichtig tappte er nach der bezeichneten Richtung, eine Türe fand er nicht; er behielt auch nicht Zeit, längs der Wand danach zu tasten, denn eben ging die Stubentür. Schülzle konnte gerade noch in den Schatten und endlich hinter die Türe selbst springen, die der Bauer im Eifer zu schließen vergaß. Wieder war Paul für den Augenblick gesichert, wenn er gleich meinte, das Schlagen seines Herzens müsse ihn verraten.

Ein neuer Angriff gegen die Haustür brachte den Bauer außer sich; sein Licht stellte er mit der dem Bauer eigenen Besonnenheit auf den Boden, dann riß er das Hausflurfenster auf, und eine sehr erregte Unterhandlung zwischen ihm und den Burschen draußen entspann sich. Der Bauer war mit Recht wütend über die maßlose Frechheit der nächtlichen Ruhestörer; er stutzte zwar, da er Martins Stimme erkannte, allein sein Zorn ward nicht geringer. Als er erfahren, daß der gehaßte Bursche das Evebärble heimbegleitet habe, ja sich sogar im Haus befinde, stieß er einen lästerlichen Fluch aus, der Paul das Herz erzittern machte. Trotzdem aber nun der Alte über Schülzle wütete und tobte, vergaß er auch die Anmaßung der Rottensteiner nicht. Es kam zu einem heftigen Zank zwischen dem Bauer und Martin, der damit endete, daß Martin versicherte, wenn der Bauer nicht sogleich den Schülzle ausliefere, werde er doch noch die Türe sprengen; worauf der Bauer entgegnete, den Musikantenlump dulde er nicht eine Minute im 65 Haus, wegen dem Martin aber tue er, was ihm beliebe, und wenn noch ein einziger Schlag gegen die Tür geschehe, werde er zu antworten wissen.

Die Bursche traten nun wirklich zurück, und der Bauer schloß das Fenster. Wie ward aber Paul, als er sah, wie der Alte die Hände rang, sich verzweifelnd durch die dünnen weißen Haare fuhr und stöhnte: »mein Gott im Himmel, wenn mir das Mädle, mein Evebärble, die Schande angetan hätte!«

Er ging nach der Tür, – Schülzle biß die Zähne zusammen! – Wenn er sie bewegte, stand er im vollen Licht dem Alten gegenüber!

Doch der Alte beachtete die Tür nicht, er rief nur in die Stube: »Alte, der Musikant soll im Haus sein! Steh auf! Mach Licht und sieh bei den Weibsleuten nach, – ich geh die Knechte wecken, der Kerl soll mir das nicht ungestraft getan haben!«

»Ich bin schon lang auf,« entgegnete eine verstörte, frostbebende Frauenstimme, »aber ich kann die Schwefelhölzle um alles in der Welt nicht finden!«

»Ja, das glaub ich! – Die hab ich in der Hast ins Handbecken geworfen,« entgegnete der Bauer. »Mach Licht in der Küche und eile, daß du in die Mädchenkammer kommst! Ist der Bursche dort –«

»Alter, – schäme dich,« rief die Bäuerin ärgerlich.

»Es ist ein Glück für das Mädle, ist die Luft rein! – Eil dich!«

Der Bauer verschwand mit seinem Licht in dem schmalen Gang, der durch die ganze Tiefe des Hauses führte; in der eintretenden Finsternis huschte eine Gestalt an Paul vorbei, nebenan raschelte es, dann drang durch eine halb offne Tür ein blauer Lichtschimmer in den Hausflur. Also dort war die Küche! – Trat jetzt die Bäuerin heraus, ward gerade der Winkel zwischen Wand und Tür, in dem er Schutz gefunden, zuerst erleuchtet, – Entdeckung war unvermeidlich. – Überhaupt war er verloren, sowie nur der Bauer aus dem Gang zurückkam! Hier konnte er nicht bleiben, – aber wohin? – Nahende Schritte der Bäuerin scheuchten ihn auf. Fort mußte er, – im Augenblick war nur ein Loch offen, – mit einem Sprung war er in der Stube hinter dem Ofen.

Wieder war er für den Augenblick gerettet, – aber er geriet auch immer tiefer in die Falle. Wohin, wenn der Bauer mit den Knechten zurückkam?

66 Die Bäuerin schloß die Stubentür und entfernte sich ebenfalls nach der Hinterseite des Hauses. Paul trat an die beeisten Fenster, taute sie mit seinem Hauch auf und blickte hinaus. Der Sprung hinab in den Garten war gewagt, aber nicht unausführbar. Eben erhellte der aufgehende Mond matt die Umgebung, bei dem schwachen Schein bemerkte er, wie die Rottensteiner das Haus nach allen Seiten umstellt hatten. An ein Entkommen war vorläufig nicht zu denken.

Schritte kamen näher; er hörte, wie die Bäuerin besänftigend auf das weinende Evebärble einsprach, die auch die Mägde trösteten. Also sämtliche weibliche Hausbewohner kamen in die Stube, – wo sollte er bleiben? Allmählich ward es nun auch im Haus lebendig; er hörte den Bauer schelten, die Knechte lachen und fluchen, – wohin, wohin? In der Stube zeigte sich nirgends ein Winkel, nirgends ein Versteck. Näher und näher kamen die Frauen, – verzweifelnd, mit einem Fluch zwischen den Zähnen, rannte er hinaus in die Kammer der Herrnleute. Es war das ein enger Raum, ein sogenanntes Kaffenetle; zwei dünne, etwa sechs Fuß hohe Bretterwände, die nach oben ein geschnitztes Gitterwerk mit der Decke verband, umschlossen eben zwei breite Betten und ließen einen schmalen Gang dazwischen frei. Die Wände selbst waren mit Kleidern verhängt, dahinein verkroch sich Paul, drückte sich fest in die Ecke und ergab sich seufzend in sein Schicksal.

Eine trostlose Lage! – Wie sollte er aus diesem Gefängnis unbemerkt ins Freie gelangen? Das einzige Fenster war vergittert, und sonst führte der Weg nur durch die Stube und über den Hausplatz! – Es war schrecklich! – Mehr als einmal fuhr sich Schülzle in die Haare. Zur größeren Vorsicht begann er seine Stiefel auszuziehen, band sie mit der Trompete zusammen und hing sie um die Schultern, um für den Notfall Arme und Hände frei zu haben.

Das Peinliche seiner Lage ward vermehrt durch die unmittelbare Nähe des geliebten Mädchens; er sah ihren Schatten an Wand und Decke sich abzeichnen, er hörte ihr trostloses Weinen, das die Mutter und Mägde vergeblich durch ihre Tröstungen zu beschwichtigen suchten, – er wußte ja nur allzu gut, warum sich Evebärble nicht wollte trösten lassen. Wie erbärmlich, wie verächtlich kam er sich vor in seiner Ecke! – Unterdessen ging der Rumor im Hause 67 fort; aus dem Eifer, mit dem man alle Ecken durchsuchte und durchkroch, konnte er abnehmen, wie viel dem Bauer an seiner Entdeckung liegen mußte, zugleich, welch heißer Empfang ihm blühte, ward er wirklich aufgefunden! – Nach einer endlosen Viertelstunde kam endlich der Bauer frostbebend in die Stube zurück und erklärte, – Schülzle atmete auf, –: »den Rottensteinern will ich den Lärm gedenken! Tausendsapperlott! Die Narren! Daß der Schülzle nicht im Haus ist, glaube ich, gewiß ist er ihnen entwischt, während sie so unsinnig an der Tür lärmten! In ein Mausloch kann er nicht kriechen und unsichtbar ist er auch nicht, – wir hätten ihn finden müssen, wäre er noch im Haus. Alle Ecken sind durchsucht, – alle Räumlichkeiten bis auf das Kaffenetle, und da drin, – hm, der Teufel traue! Wer weiß? Am Ende ist alles möglich in der Welt!«

Schülzle ging der Atem aus vor Schrecken. – Wohin, – wohin? Noch hörte er die Bäuerin ärgerlich sagen: »ach, geh doch, Alter, bist du auch bei Trost? – Wie soll ein Mensch in die Stube, – gar ins Kaffenetle 'kommen sein?« – Allein Schülzle wartete das Ergebnis dieser Unterredung nicht ab, mit einem Eifer, der eines besseren Zieles würdig gewesen wäre, kroch er unter das ihm zunächststehende Bett. Es war das gar keine so leichte Aufgabe; zunächst hinderten ihn Stiefel und Trompete, sodann standen unter dem Bett eine ganze Masse Schachteln, Kästen und Eierkörbe, die er alle vorsichtig, natürlich nach vorne, daß sie im schlimmsten Fall eine Schutzmauer für ihn bilden konnten, zur Seite schieben mußte. Einen runden Eierkorb hätte er fast umgestürzt; noch rollten und kollerten die Eier in ihrem Behälter, als auch richtig schon der Bauer ins Kaffenetle trat: »mag alles sein, – nachsehen kann man ja!« Der Bauer untersuchte die Kleider, – richtig, er leuchtete auch unter die Betten, – ohne die Schachteln und Körbe wäre der Bursche verloren gewesen. – So kehrte der Bauer brummend in die Stube zurück und Schülzle hörte ihn sagen: »nichts ist's! Nun will ich aber auch ein Wort mit den Rottensteinern reden!« – Darauf folgte ein heftiger Zank im Hausflur und im Hof, von dem aber Schülzle nichts verstehen konnte. Endlich warf der Bauer das Fenster zu, schickte die Knechte zu Bett und kehrte schnaufend in die Stube zurück. »So,« schrie er, »den Musikanten wären wir los und den Hofmartin dazu! – Ist recht, – ist ganz 68 recht so! – Um den Martin ist mir's eigentlich leid, aber du hast ihn ja doch nicht eigentlich gern gehabt, Evebärble, drum mag's sein, – es wird nicht an Freiern fehlen. – Und jetzt laß das Weinen, Kind! Du weißt, das tut mir weh! Leg dich zu Bett und schlaf aus! – Aber eins mußt du mir versprechen, Evebärble; den Musikanten guckst du nimmer an, mit dem ist's aus, – ganz aus, gelt, das versprichst du mir?«

»Ha, Alter, sei mir nur gleich ganz still und laß das Mädle in Ruhe,« fiel ihm die Bäuerin ins Wort. »Hast's schon vergessen, daß du eigentlich an dem ganzen Aufstand schuld bist? Wärst du vorhin abends nicht so auf das Evebärble losgestürmt, hättest du sie bei ihrem Willen gelassen, so hätte sie den Tanzboden gar nicht betreten, und alles wäre verblieben. – Geh du, mein lieb Kind, kümmere dich nicht, schlafe sanft, – ich leide nicht, daß du gekränkt wirst. Geh jetzt, der Herrgott wird alles zum besten lenken!«

Um kein Wort dieser Unterredung, die ihm das Herz pochen machte, zu verlieren, hatte sich Paul regungslos verhalten, – nun war es zu spät, seinen unangenehmen Platz unter dem Bett zu verlassen. Das Mädchen huschte rasch aus der Stube, auch die Alten beeilten sich, in ihre Betten zu kommen.

Scham, Zorn, Angst und Reue brachten Schülzle in eine grimmige Wut über sich selbst. Also dahin hatte er es mit seinem Trotz gebracht, daß er jetzt mit Zittern und Zagen, von Frost geschüttelt, unter dem Bett des Mannes liegen mußte, dessen Sohn er sein konnte! Dahin, daß er sich verstecken mußte wie ein Dieb, in schimpflichster Lage sich weder rühren noch regen durfte, um nicht Entdeckung herbeizuführen! Paul knirschte mit den Zähnen. Und wenn seine heutigen Abenteuer bekannt wurden! – Heiliger Gott, – wo wollte er bleiben vor Spott und Hohn? – Die Glut, die ihm dieser Gedanke aufjagte, hielt nicht lange vor, die Kälte, die ihn bis aufs Mark erstarrte, verscheuchte die Sorgen vor einer ungewissen Zukunft, die nur allzu »sichere« Gegenwart nahm sein ganzes Denken in Anspruch: wie sollte er unbemerkt aus seinem Gefängnis entkommen?

Der Bauer warf sich, zum großen Unbehagen seines Gastes, den das Ächzen der Bettstatt jedesmal arg erschreckte, ruhelos von einer Seite auf die andere. Als nun die Bäuerin auf der anderen Seite sehr vernehmlich zu seufzen begann, sagte der Bauer: »he, 69 Alte, – ich kann nicht schlafen, die Geschichte geht mir arg im Kopf herum!«

»Mir auch,« war die bekümmerte Antwort.

»Ist ein verflixter Kram mit dem Musikant, eine Heidengeschichte! – Herrgottseindonner auch, mit Fäusten könnte man dreinschlagen.«

»Dein Fluchen ändert nichts! – Tu doch nicht so wüst! Das Mädle hat ihn nun einmal lieber wie den Martin, – was ist's Großes, daß er sie heimbegleitet hat? Im Haus war er doch nicht lange!«

»Ach, das meine ich nicht,« knurrte der Bauer. »Das Mädle wird den Schülzle nicht lassen wollen, – und, daß ich's nur gestehe, so grimmig ich auf den Buben bin, jetzt ist er mir noch lieber, wie jeder andere Bursch. – Da liegt der Hase im Pfeffer!«

»O Herrje, – wenn's so steht, dann ist's – –«

»Ich dacht's ja, so wird's kommen,« unterbrach sie der Bauer zornig. »Ist denn mit euch Weiberleuten gar kein vernünftig Wort zu reden? – Aus ist's mit dem Schülzle, aus und vorbei, jetzt und für immer. Mache mich nicht wild und rede kein Wort mehr davon!«

»Du bist und bleibst ein alter Brummbär! – Was bringst einen auf solche Gedanken, wenn's denn durchaus aus sein soll?«

»O lieber Gott, weil mir's im Kopf herumgeht, wie's jetzt so ganz anders stehen könnte ohne die Dummheit von dem Buben! – Als wenn's nicht auch mein Stolz war, daß er so berühmt auf der Trompete ist? Aber zum Kuckuck, die Gesundheit geht doch allem vor! Und hätt ich jemals daran gedacht, ihm so ganz und gar alle Musik zu verbieten, wär er zu rechter Zeit 'kommen und hätt mir ein vernünftig Wort gegönnt? – –«

»So halt ihm die Dummheit zu gut, er ist eben jung,« bat die Bäuerin. »Sieh, Alter, daß er dem Mädle aufrichtig gut ist, hat er heut bewiesen; vielleicht haben ihm auch die Vorgänge die Augen geöffnet – – –«

»Sei mir nur still, ganz still,« schrie der Bauer. »Davon will ich nichts hören! Solche Halsstarrigkeit, wie sie der Bursch gezeigt, das geht über alles Maß! Gott bewahr mich, daß ich solchem Menschen mein Kind anvertraue! Er mag sonst ein ganz guter Kerl sein, – wer bürgt mir dafür, daß nicht öfter solch 70 rappelköpfiger Starrsinn über ihn kommt? Soll ich mir dann vorwerfen lassen: du hättest das voraussehen können? – Du hast dein Kind unglücklich gemacht? – He, so red doch auch was! Habe ich unrecht?«

»Ich kann dich nicht widerlegen, und doch ist was in mir, das dir widerspricht. – Tu, was du willst, ich mische mich nicht ein!«

»Und was bedeutet dein Weinen?«

»Geh, laß mich in Ruhe! Ich bin die Mutter; soll ich nicht weinen über das Leid, das meinem guten Kind bevorsteht?«

Der Bauer antwortete nicht; das Seufzen der Bäuerin, das Ächzen der Bettstelle des Bauern abgerechnet, ward es still in der Kammer. Auch Schülzle rührte sich nicht. Obgleich ihn der Frost schüttelte und er auf seine Pelzmütze biß, um sich nicht nicht durch Zähneklappern zu verraten, brannte ein Feuer in ihm, daß er vor Hitze und Angst hätte auf und davon laufen mögen. Er war sehr unglücklich unter dem Bett!

Mit fieberhafter Spannung harrte er darauf, daß die Bauernleute einschlafen möchten. Wohl verstummten auch nach und nach die Seufzer, die Bettstelle hörte auf zu ächzen; allein ein gesundes Schnarchen wollte sich nicht vernehmen lassen; sowie er die leiseste Bewegung machte, hob der Bauer den Kopf und fragte: »Alte, hörst du nichts?«

»Laß mich, es werden Mäuse klappern,« war jedesmal die beschwichtigende Antwort, aber Paul mußte doch seine Versuche aufgeben, wollte er den Bauer nicht mißtrauisch machen.

Höllenquallen stand er aus unter dem Bett. Nicht nur die durchdringende Kälte machte ihn allmählich ganz starr und steif, jedes Glied schmerzte bei der unbequemen, harten Lage. Oft wandelte ihn die Lust an, nun doch hervorzukriechen, nötigenfalls einen Kampf zu wagen und mit Gewalt durchzubrechen. Was hatte er im Grunde zu befürchten? Den schwachen Alten zu überwältigen, war ihm ein leichtes, und ehe er die Knechte zu Hilfe rufen konnte, war er längst aus dem Haus! – Er wollte, ja er wollte! Wenn er aber nun begann, dann überlief ihn ein Schauer! Sollte er sich im Haus, ja im Schlafzimmer an dem Mann vergreifen, der ihm nie etwas zu leid getan? – Schülzle fluchte und knirschte, biß in die Pelzmütze und blieb liegen.

Zum Glück war es schon sehr spät in der Nacht gewesen, als er 71 mit Evebärble das Wirtshaus verließ, – dennoch meinte er, die Zeit müsse stille stehen, so langsam kam der Morgen herbei. Seine Hoffnung ging darauf, daß Bauer und Bäuerin die Kammer verlassen würden, Knechte und Mägde zu wecken. Diesen Augenblick wollte er benützen, aus seiner unwürdigen Lage herauszukommen, vielleicht im Hausplatz oder in der Küche ein vorläufiges Versteck suchen, um dann, wenn das Gesinde in den Ställen sich befand, aus dem Haus zu schlüpfen.

Auch diese Hoffnung ward ihm vereitelt, und zwar durch – Evebärble! Die Sorge um Pauls Schicksal ließ das arme Kind nicht ruhen; sein rätselhaftes Verschwinden erfüllte ihre Phantasie mit grauenvollen Schreckbildern. Konnte er nicht im Sturz verunglückt sein? Hatte er sich in der Angst nach einem sichern Versteck irgendwo festgezwängt und konnte nun nicht vor-, nicht rückwärts? – Daß er noch im Haus sein mußte, war ihr außer Zweifel; hatte sie doch nur zu gut bemerkt, wie die Rottensteiner das Haus umstellt hielten, – ohne Lärm hätte zum mindesten ein Fluchtversuch nicht abgehen können. Aber wo, – wo hielt er sich versteckt? Wie hatte er es möglich gemacht, so wie in den Erdboden hinein zu verschwinden? – Ihre Tränen flossen, jede dahinschwindende Viertelstunde legte ihr eine neue Last auf die Seele. Zuletzt ward ihr die tiefe, geheimnisvolle Stille im Haus ganz unerträglich, – sollte sie der Ruhe pflegen, während er vielleicht in Gefahr schwebte, Not und Qual erduldete? – Leise stand das Mädchen auf, vorsichtig huschte sie durch das ganze Haus, händeringend flüsterte sie seinen Namen, – keine Antwort: überall dieselbe tiefe, schreckhafte Stille. Draußen bewachten noch immer die Rottensteiner das Haus, also konnte er nicht ins Freie gekommen sein, – wo war er geblieben? Was war aus ihm geworden? Überwältigt von Angst und Verzweiflung sank sie auf die Kniee.

Allein damit war für den Augenblick nichts geholfen. War Paul noch im Haus, bedurfte er Hilfe und Beistand, – vor allem mußte sie die Hände frei haben, um gegebenen Falls rasch und entschieden zu seinen Gunsten handeln zu können. Mit Gewalt sich zusammenraffend, eilte sie in die Stube, bat die Eltern, ruhig im Bett zu bleiben, nur die gestörte Nachtruhe nachzuholen, sie selbst wolle das Gesinde wecken und den Haushalt besorgen.

72 Hätte sie ahnen können, in welch verzweiflungsvoller Wut ihr Schatz so dicht nebenan in seine Pelzmütze biß und die Fäuste ballte!

Den Eltern tat diese Aufmerksamkeit nach den Stürmen der Nacht wohl; sie lobten das Mädchen und gingen gern auf ihren Vorschlag ein. Im Haus ward es nun lebendig; schrille Pfiffe draußen im Hof sagten Paul, daß seine Gegnerzusammengehalten, nun aber doch ihren Plan aufgaben und sich zurückzogen. – Heiliger Gott! – Und er lag noch immer unter dem Bett! Jede Minute verringerte die Aussicht, unbemerkt zu entkommen. – Wie sollte das enden? – – – – –


Die ganze Familie saß endlich um den Frühstückstisch, auf dem eine mächtige Schüssel Sauerkraut dampfte, eben trat noch Evebärble herzu und schüttete einen großen Topf voll gekochter Kartoffeln ohne weiteres auf das Tischtuch um die Krautschüssel. Während die Knechte und Mägde mit Eifer nach den Erdäpfeln griffen und sie blasend, oft auch die verbrannten Finger schwingend, von ihren Schalen befreiten, schüttelte der Bauer den Kopf und sagte: »Mädle, Mädle, was ist doch mit dir? – Siehst aus wie ein Geist, und noch immer steht dir das Wasser in den Augen! – Sei doch verständig! Die Geschichte ist ja vorbei, und kein Mensch macht dir deswegen einen Vorwurf!«

»Ja, sei vernünftig, Kind Gottes,« bat auch die Mutter und streichelte die heiße Hand des Mädchens. »Komm, laß das Weinen und iß! Setz dich, mir quillt jeder Bissen, wenn ich dich so harmvoll sehe!«

»Ich kann nicht essen, nicht einen Mundbissen! Laßt mich nur, mir fehlt nichts, – ich werde schon auch wieder zur Ruhe kommen,« entgegnete Evebärble leise. Die Mutter schüttelte den Kopf, der Vater brummte, – doch ließen sie das Mädchen gewähren, die langsam nach dem Kaffenetle ging und dort nach der Hausordnung begann, die Betten der Eltern aufzurüsten.

Plötzlich bewegten sich die Kleider an der Bretterwand, ein bleiches Gesicht tauchte auf, ein paar frostbebende Lippen flüsterten: »Evebärble, – hilf!« – – Mit einem Schrei fuhr das Mädchen zurück.

Das Gesicht verschwand, gleich darauf steckte die Bäuerin den 73 Kopf in die Türe und rief: »um Gottes Jesu Christi willen, – was gibt's, – was hast?«

Vor Evebärbles Augen begann es sich zu drehen; Entzücken, daß Paul noch lebte, Schrecken über seine gefährliche Lage raubten ihr fast die Besinnung. Dennoch empfand sie, daß sie jetzt die Verwirrung bezwingen müsse um jeden Preis; mit der Schürze das Gesicht bedeckend, stammelte sie: »ach, – ich weiß nicht, – ich glaube, – 'ne Maus – –«

»Du Unglückskind, wie du einen erschreckst, – ich zittere an allen Gliedern,« schalt die Mutter beruhigt. »Weiter nichts? – Ja, die Mäuse haben die ganze Nacht arg gewirtschaftet. – Weißt was, – räume gleich das alte Bettstroh aus und fülle frisches ein, damit Ruhe wird.«

Evebärble vermochte nicht zu antworten, sie nickte bloß mit dem Kopfe. Als die Mutter verschwunden war, flüsterte sie: »halte dich ruhig, ich helfe dir,« und eilte hinaus. Nicht lange, so kehrte sie mit einem ungeheuren Futterkorb zurück, räumte die Betten zur Seite und begann das Stroh einzufüllen.

Evebärble war nur ein ungebildetes Mädchen, sie hatte nie etwas von den Weibern von Weinsberg gehört, – in aller Einfalt des Herzens verfiel sie auf das gleiche Auskunftsmittel. Es war ein schweres Werk, das sie unternahm. Während sie unter der Last des Burschen keuchte, wollte ihr das Herz brechen, – denn klar war sie sich bewußt, daß sie jetzt das Glück ihres Lebens auf dem eigenen Rücken davontrug.

Hanehret (Johann Ehrhardt), der Großknecht, meinte eben bedenklich: »ist doch seltsam, wie der Korb knarrt, wie das Evebärble schwer trägt, und hat doch bloß Stroh eingefüllt!«

Evebärble erschrak, wollte sich beeilen, – da, – ein Krach! Plötzlich wurde ihre Last schrecklich leicht, ein dumpfer Fall hinter ihr! – Sie wagte sich nicht umzublicken, mit dem Jammerruf: »daß sich Gott im hohen Himmel erbarm,« stürzte sie verzweifelnd aus dem Zimmer.

Der Haufen Stroh in der Mitte der Stube belebte sich, eine dunkle Gestalt raffte sich auf, – Paul trat langsam aus der Staubwolke, setzte sich mit verzweifelnder Ergebung in das Unvermeidliche auf die Ofenbank an den warmen Ofen, kraute sich unter der 74 Pelzmütze und sagte sehr kleinmütig: »guten Morgen mit'nander! Da bin ich, – macht mit mir, was ihr wollt!«


Als sich das Staunen etwas gemildert, der ärgste Lachsturm gelegt, – so sehr er sich darüber ärgerte, – selbst der Bauer konnte nicht ruhig bleiben, mußte herzhaft mitlachen, zur großen Erleichterung der Bäuerin, – stand der Bauer auf und ging um den frierenden Burschen auf der Ofenbank herum, wie ein Fuchs um den Hühnerstall. Zorn und Lachreiz kämpften noch in ihm, – doch immer bedenklicher schwoll seine Stirnader: »i du Teufelsbursche! Den ganzen Morgen steckst du im Kaffenetle?« begann er endlich.

»Ich spür's an allen Gliedern,« klagte Paul.

»Und wie bist du 'reinkommen?«

»Ganz ehrbar durch die Tür! – Soll ich's Euch vormachen?«

Das Lachen der Dienstboten steckte den Bauer an. Sich bezwingend, fragte er wieder: »und wo hast du gesteckt? – Ich habe doch auch da draußen nach dir gesucht?«

»Das vergeß ich mein Lebtag nicht! –Waret mir nahe genug! – Ja, in einem Rosengarten hab ich nicht gesessen!«

»Das seh ich,« brummte der Bauer. »Hm, – hm! – Hast du auch unser Gespräch mit angehört?«

»Hätte mir gerne die Ohren zugehalten, wenn's was genützt!«

»Wieso?«

»Meint Ihr, 's ist 'ne Lust, Dinge hören zu müssen, über die man den Kopf an die Wand rennen möchte?«

»Hm, hm,« brummte der Bauer und ging, ohne die atemlos lauschende Tischgesellschaft zu beachten, heftig auf und ab. »Hast alles gehört?« fragte er noch einmal.

»Daß sich Gott erbarm!«

Die Blicke des Bauern und Burschen begegneten sich, hafteten aneinander, schienen sich gegenseitig festzuwurzeln. Rauh fragte der Bauer: »und deine Antwort?«

»Da habt Ihr sie,« schrie der Bursche wild und sprang nach der aus dem Stroh hervorblitzenden Trompete, offenbar in der Absicht, sie zu zertreten.

Ein Leuchten ging im Gesicht des Bauern auf. Rasch hob er 75 das Instrument vom Boden auf und schrie: »oha, du Tollkopf! – Da habe ich auch ein Wort dreinzureden!«

Während ihn der Bursche bestürzt anstarrte, bald glühend rot, dann wieder totenbleich ward, begann die Bäuerin, der eine Ahnung dämmerte, weinend laut zu beten. Der Bauer betrachtete eine Weile die blank geputzte Trompete, dann öffnete er die Türe und rief: »Evebärble, Mädle, wo steckst? – Komm gleich mal 'rein!« Und als das arme Kind zitternd aus der Küchentür auftauchte, fuhr er fort: »denke doch, der Nichtsnutz da wollte die schöne Trompete zertreten. Natürlich habe ich sie ihm weggenommen! – Aber so darf ich doch das Instrument nicht behalten; was meinst, Evebärble, was ich ihm dafür geben soll?«

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