Heinrich Schaumberger
Glückliches Unglück
Heinrich Schaumberger

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28 Mit wachsender Beklemmung war Schülzle nach Dammsbrück hinabgestiegen; je näher er dem Wirtshaus kam, desto unheimlicher war ihm zumut, – und, lieber Gott, seine Befürchtungen waren ja auch nur allzu begründet. Instinktiv traf sein erster Blick beim Eintritt in die Wirtsstube auf den Simesbauer; er sah sein Erblassen, seinen Schreck und Zorn, sah, wie er außer sich das Zimmer verließ. Obgleich er das oder Ähnliches erwartet, senkte sich doch ein dunkler Schleier vor seine Augen; mechanisch legte er Mütze und Trompete ab; mechanisch erwiderte er Grüße und Handschlag; ohne zu wissen, daß es geschah, tat er den ihm Zutrinkenden Bescheid. Sobald es aber ohne Aufsehen geschehen konnte, machte er sich los, zog sich in den stillsten Winkel zurück und versank in finsteres Brüten.

Der Zimmerdick ließ ihn nicht aus den Augen; es drängte ihn, dem Tollkopf noch einmal ins Gewissen zu reden, zugleich sagte er sich jedoch, daß, wenn selbst dieser Auftritt den Burschen nicht zur Besinnung bringe, seine Worte doch verschwendet waren, – und so überließ er ihn sich selbst. Auch beim Essen schien er ihn nicht zu bemerken, mischte sich weder für noch gegen ihn in die Neckereien der jüngeren, in die Schelte der älteren Musikanten; – Paul sollte fühlen, daß er ernstlich zürne. Er erreichte seine Absicht; ein schwüler Blick, den der Bursche verstohlen auf ihn richtete, sagte ihm, daß er verstanden. Aber eben dieser Blick traf den guten Alten mitten ins Herz und fachte die Liebe zu hellohenden Flammen an. Tief rührte ihn der Kummer seines Lieblings; das Mitleid über den Jammer, der dem Sohn seines Freundes drohte, überwog seinen Zorn, er konnte sich nicht halten, als man sich zum Beginn der Arbeit rüstete, trat er noch einmal zu dem Jüngling und flüsterte ihm zu: »Paule, – bedenk, was du tust! – Noch ist's nicht zu spät, – kehr um!«

»Laßt mich in Ruhe,« war die unmutige, unartige Antwort.

»Ich werde dich nimmer stören,« entgegnete der Dicke tief gekränkt. »Meinetwegen tu, was du magst!«

Die Nacht war hereingebrochen, am Himmel funkelten in ruhiger Klarheit die Sterne, und im Tanzboden entzündete der Wirt einige wenige kümmerliche Talgkerzen, deren Licht gerade hinreichte, die Finsternis in eine graue Dämmerung zu wandeln. 29 Der Natur selbst schien die Öde des völlig leeren, viereckigen, weißgetünchten Raumes unerträglich gewesen zu sein, denn mit einem wunderbaren Schmuck hatte sie die kahlen Wände, die zum Teil ihres Kalkbewurfes beraubte Decke verziert, – unzählige Eiskristalle schimmerten und blitzten im Kerzenlicht wie Diamanten. Diese Herrlichkeit machte jedoch den Musikanten wenig Freude; pustend und schnaubend betraten sie den Tanzboden; heftig sich schüttelnd und stampfend, – der Atem umhüllte als dichter Nebel den Sprecher, – meinte der Hansaden: »Pruh! Donnerwetter! – Das ist ja 'ne wahre Eisgrube! Da kann man was aushalten!«

»Element noch einmal,« meinte der Wasserfuchs, und schlug die Arme heftig übereinander. »Was vorliegt, wird gemacht, aber von solcher Hundekälte steht nichts in der Partitur! Das halte der Geier aus, meine Füße sind schon wie Eis!«

»Kriecht 'nein ins Orchester,« beschwichtigte der Wirt eifrig. »'s ist über dem Stall, da wird Euch kein Fuß kalt! – Und da ist ein Gießer Bier für den Anfang, der kostet nichts! – Trinkt! 's Bier ist für alles gut, auch für die Kälte!«

Besonders der Biergießer wirkte beruhigend auf die Gemüter; wenn auch noch brummend, doch ohne Groll krochen die Musikanten, einer nach dem andern, in das Loch, welches mit dem stolzen Namen eines Orchesters beehrt wurde. Um in dem engen Gelaß den Raum für die Tänzer nicht noch mehr zu beschränken, hatte man eine Wand durchgebrochen und durch Bretterverschläge eine Art Hühnerstall nach außen abgegrenzt, der, nach dem Tanzlokal zu offen und mit einer Brüstung versehen, den Musikanten zum Aufenthalt dienen mußte. Sie befanden sich also eigentlich außerhalb des Tanzbodens in einer Bretterhöhle, die aber bloß vom Tanzplatz zugänglich und so niedrig war, daß die Männer nur sitzend darin Platz fanden. Um die Aufstellung des Basses zu ermöglichen, ward ein viereckiges Loch in die Decke der Bretterhöhle gesägt, durch welches Hanshenner die Schnecke und das Wirbelhaus seines Basses steckte. Dieses Hineinragen des Basses in eine höhere Region hatte aber auch seine Unzuträglichkeiten, denn wenn der Baß gestimmt werden sollte, mußte das Ungetüm erst auf den Boden gelegt werden, um zu den Wirbeln gelangen zu können, die sich für gewöhnlich droben in der Mägdekammer 30 des Wirtshauses befanden. Zum Glück hatte der Baß unseres Freundes außer andern auch die wunderbare Eigenschaft, daß er einer neuen Stimmung fast nie bedurfte. Obgleich nun das »Orchester« wirklich einige Fuß über den Boden des Tanzplatzes erhöht war, gebrauchte der Wirt einen ganz korrekten Ausdruck, wenn er die Musikanten aufforderte, hineinzukriechen.

Das Hineinkriechen und Platznehmen erforderte Mühe und Zeit, bei Hanshenner und dem Zimmerdick ging das nicht ohne schwere Seufzer ab. Endlich aber saßen alle Musikanten wie Hühner auf der Stange, die Instrumente wurden gestimmt, noch einmal machte der Gießer die Runde, dann wendete sich der Bergkasper an die Violinspieler mit den Worten: »Achtung jetzt! Aufgekjatzt, daß die Haaje davonfliegen!« Der Mühljohann nickte, klopfte mit seinem Bogen auf die Brüstung, dann ging es los, »daß 'ne alte Wand wackelt,« wie der Wasserfuchs zufrieden bemerkte.

Beim Beginn der Musik war der Saal noch völlig leer; kaum erklang jedoch der erste Akkord, so prasselte ein Schwarm geputzter Mädchen wie ein Flug Tauben herein, ihnen folgten auf dem Fuße jauchzend, stampfend, hüpfend und schnalzend die Bursche. Statt der Aufforderung streckten sie nur, – immer im Takt forthüpfend, – den Arm aus, aus dem dichtesten Schwarm der Mädchen schoß die Auserwählte wie ein Pfeil hervor in die Arme des Tänzers, und fort ging es in sausender Flucht.

Die alten Musikanten spielten gleichgültig ihre Tänze ab; lieber Gott, das Tanztreiben waren sie ja gewohnt, zum Überdruß gewohnt, das Spielen war für sie eben eine mühselige Nachtarbeit, die sie gewiß ins Pfefferland gewünscht haben würden, hätte nicht der Biergießer sie getröstet, die Aussicht auf einen guten Verdienst sie aufgemuntert. Lebhafteren Anteil an dem bunten Treiben da unten nahmen die jungen Bursche; der Mühljohann seufzte unwillkürlich, wenn die Paare so lustig sich drehten, und der Bergkasper vergaß einige Male über dem Blickewechsel mit den Mädchen drunten zu rechter Zeit mit seiner Klarinette einzusetzen, – was ihm jedesmal einen derben Rippenstoß vom Eckenpeter eintrug. Stumm, düster, anscheinend völlig teilnahmlos saß der Schülzle zwischen dem Eckenpeter und Wasserfuchs, – – doch war seine Teilnahmlosigkeit nur Schein. Rastlos 31 durchflogen seine Blicke den halbdunkeln Tanzraum, den bald eine dichtgedrängte Menge erfüllte, sie bohrten sich in die dunkelsten Ecken, in die verstecktesten Winkel, – umsonst, er fand nicht, was er suchte, nirgends war das Simesevebärble zu entdecken. Was bedeutete das? Wollte ihn das Mädchen durch ihr Wegbleiben strafen, ihm damit sagen: es ist aus zwischen uns? – Oder hielt sie ein Verbot des Vaters zurück? – Auch das war schon schlimm, Grund genug zu den ernstesten Sorgen, – denn es war fast unerhört, daß ein Vater seiner erwachsenen Tochter den Besuch des Tanzes im eigenen Dorf verboten hätte; wenn es geschah, bedeutete es nichts Gutes, dann war es sicheres Zeichen eines unbeugsamen Willens. Dennoch wäre ein solches Verbot des Vaters ein Trost für Schülzle gewesen, dessen Herz erzitterte bei dem Gedanken, Evebärble könne ihn freiwillig meiden. Mühsam behauptete er wenigstens äußerlich seine Fassung; allein seine Erregung war zu groß, zu stürmisch wallte das Blut durch seine Adern, als daß er seines Instrumentes Herr geblieben wäre. Der Eckenpeter hatte ihn schon mehrmals verächtlich von der Seite angesehen, ohne jedoch eine Bemerkung zu machen, nach einem neuen Tanz jedoch goß der Wasserfuchs das Wasser mit Heftigkeit aus seinem Horn, vergaß die Eigentümlichkeiten des Orchesters und stieß beim Aufspringen so heftig an die Decke, daß die dünnen Bretter krachten und er mit einem Schmerzensruf auf seinen Sitz zurücksank. Dieser Unfall vermehrte seinen Zorn; heftig den Kopf reibend, den zum Glück die Pelzmütze geschützt hatte, schrie er den Schülzle an: »Gottseindunner, Kerl, was ist das für 'ne Blaserei? Ist das nicht ein Gezwitscher, als säße ein Sperk (Sperling) in deiner Trompete? – Ein Nachtwächter schämte sich, so zu blasen! – Paß auf und mach, was vorliegt, oder ich tret noch anders auf!«

Der Schülzle ward rot und schämte sich, zu entgegnen wagte er nichts. Zwar, das »was vorliegt« war nur eine Redensart des Wasserfuchs, keinem war es eingefallen, ein Notenblatt aufzulegen; der Vorwurf traf nur um so härter. Ward nach Noten gespielt, verstand sich ein zaghaftes, fehlerhaftes Spiel von selber, und da es allgemein war, gab es keine Vorwürfe; ging es aber »auswendig«, dann ward strammes Spiel gefordert. Der Schülzle also schämte sich; allein die guten Vorsätze kamen nicht zur 32 Ausführung, noch schneller, als sie gefaßt, waren sie auch schon wieder vergessen.

Am Eingang entstand ein Gedränge, dem eine allgemeine Bewegung im Saal folgte, – ein Haufe Bursche drängte durch die Menge und machte, von allen Seiten begrüßt, endlich in der Nähe des Orchesters Halt. Der Schülzle ward totenbleich und wieder glühendrot, als er den Hofmartin von Rottenstein, einen der reichsten und angesehensten Burschen der Gegend, fragen hörte: »heda, wo steckt das Simesevebärble? – Hat sie niemand gesehen?« –

Paul wollte aufspringen, die Blicke der Musikanten und der umstehenden Dammsbrücker hielten ihn nieder, – so durfte er sich nicht verraten. – Wohl war es ihm nicht unbekannt geblieben, daß seit einiger Zeit der Hofmartin dem Evebärble zu Gefallen ging. Er hatte darauf nicht sonderlich geachtet, einmal, weil er der Liebe des Mädchens sicher war, dann aber, weil er nicht an ernstliche Absichten des Hofmartin glaubte, der, nach seinem Vermögen zu urteilen, wohl nach einem reicheren Mädchen, als das Evebärble war, ausschauen durfte. Desto niederschmetternder mußten diese Worte auf ihn wirken! An einer ernstlichen Neigung des stattlichen, achtbaren Burschen war nach solcher Kundgebung nicht mehr zu zweifeln! – Armer Paul, was bedeutest du gegen einen solchen Bewerber? Und nun gar noch der Zorn des Simesbauern! – – –

Die Musikanten sahen die Not ihres Kameraden; obgleich sie ihm alle zürnten, regte sich doch das Mitleid in ihnen, ihre Gutmütigkeit behielt die Oberhand; – damit Paul Zeit habe, sich zu sammeln, stimmten sie rasch einen neuen Tanz an. Schülzle hielt wohl die Trompete an den Mund, einen Ton brachte er jedoch nicht hervor; mit Herzklopfen beobachtete er den Hofmartin, der, statt zu tanzen, mit seinen Kameraden in eine Ecke zurückgetreten war und sich eifrig mit ihnen beredete. Jetzt war es unserm Freund fast ein Trost, daß das Evebärble nicht erschienen war, entging sie doch so den Bewerbungen seines gefährlichen Gegners. Hätte nur Martin noch getanzt, – Schülzle würde sich vollständig beruhigt haben, allein sobald sollte es bei ihm dazu nicht kommen.

Die Unterredung Martins mit seinen Kameraden dauerte lange, schon ging der zweite Tanz zu Ende, und noch immer 33 standen sie in ihrer Ecke. Jetzt, – der Mühljohann gab eben das Zeichen zum Beginn der Musik, – schien man dort einen Entschluß gefaßt zu haben, die Bursche nickten sich eifrig zu, und von zweien begleitet verließ der Hofmartin rasch den Tanzplatz. Der Wasserfuchs ließ ein dumpfes Knurren hören, der Eckenpeter, der sonst so teilnahmlose Mensch, setzte die Trompete ab, blickte aus den Augenwinkeln auf Schülzle und sagte: »hör du, um deine Sachen steht's schlecht! Ich glaub meiner Seel, der Martin geht ins Simeshaus und holt das Evebärble! – Schülzle, Schülzle, – dasmal ist's g'fehlt bei dir!«

Schülzle saß regungslos, – was sollte er sagen? Es ist in der Bergheimer Gegend nicht Sitte, daß die Bursche die Mädchen aus dem elterlichen Haus zum Tanz abholen. Man bestellt sich an irgend einen Ort, sei es auf einen Tanzplatz, einen Jahrmarkt, ein Vogelschießen oder eine Kirmse, – und trifft dort zusammen, ohne die Eltern erst viel zu fragen oder sie überhaupt etwas von der Bestellung merken zu lassen; daß ihnen nichts verborgen bleibt, dessen ist man ja ohnedies gewiß, Schwätzer und Zuträger fehlen nirgends. Kommt nun aber ein Bursch dennoch einmal in ein Haus, um sich die erwachsene Tochter zur Tänzerin zu erbitten, so ist dies ein wichtiges Ereignis, – solche Bitte gilt für eine entschiedene Werbung, und geben die Eltern der Tochter die Erlaubnis, mit dem Burschen den Tanzplatz zu besuchen, willigt auch das Mädchen ein, mitzugehen, so werden beide von Freunden und Bekannten als Brautpaar betrachtet.

Unter solchen Umständen ist die Aufregung unsers Freundes begreiflich. Daß der Hofmartin, wenn er wirklich um das Simesevebärble bitten gegangen war, von den Eltern nicht abgewiesen werden würde, daran durfte er nach den heutigen Vorgängen nicht zweifeln, es war nur noch die Frage, wie das Evebärble diese offne Werbung aufnehmen, ob sie dem Burschen folgen würde. Und warum sollte sie nicht? Bei allem törichten Trotz und Eigensinn, den Schülzle selbst jetzt noch keineswegs überwunden hatte, war sein Denken völlig klar, dazu war er auch viel zu praktisch, als daß er sich nicht selbst gesagt hätte: und warum sollte sie nicht? Von mir hat sie nun einmal nichts zu hoffen; daß ich hier in Dammsbrück sitze und zum Tanz aufspiele, muß uns ja scheiden. – Warum sollte sie nun solch ehrenvollen Antrag, der ihr gewiß nicht zum 34 zweitenmal kommt, abweisen? Warum bei einem Burschen nicht Trost suchen, an dessen Ruf selbst Neid und Bosheit nicht zu rühren wagten? Warum sollte sie sein freundliches Entgegenkommen, – grade heute, – nicht für einen Wink des Himmels nehmen, in ihm einen Ersatz des verlornen Liebsten sehen? – Mußte sie nicht, da der Tausch so sehr zu ihrem Vorteil ausfiel? – Schülzle fieberte, es zuckte ihm durch die Finger, die Trompete, die am Ende an all seinem Unglück schuld war, zusammenzupressen und weit von sich zu schleudern. Wenn Evebärble kam, wenn sie an der Seite jenes Burschen kam, – was sollte er beginnen? Er suchte sich vorzubereiten, zu fassen, vergeblich; was auch sein Verstand sagen mochte, die Hoffnung wollte sich nicht ersticken lassen, fort und fort sprach es in ihm: es kann nicht sein, sie kann doch nicht kommen!

Die Musikanten beobachteten Paul sorgenvoll, längst war ja Unmut und Zorn verflogen, nur herzliches Mitleid, inniges Bedauern geblieben. Der Schneidersnikel hielt still sein Horn im Arm, den ganzen Abend war noch kein Scherz über seine Lippen gekommen, der Wasserfuchs knurrte und brummte wie ein Bär, der Zimmerdick starrte nachdenklich ins Leere, Hanshenner machte sich mit seinem Baß zu schaffen, und der Eckenpeter betrachtete Schülzle nachdenklich aus den Augenwinkeln. Aller Herzen waren voll Sorgen und Betrübnis; wie so gerne hätten sie dem Burschen geholfen, alles zum Guten gewendet, – allein sie wußten: zureden war hier ebenso nutzlos als trösten; vielleicht war im Simeshaus die letzte Entscheidung schon geschehen, – es blieb eben nichts übrig, als schweigen und abwarten.

Eine Bewegung drunten im Saal, die Paul nicht bemerkte, brachte auch die Musikanten in Aufregung. Der Wasserfuchs beugte sich zu dem in sich zusammengesunkenen Burschen nieder und flüsterte ihm zu: »nimm dich zusammen, Junge, und sei gescheit! Was vorliegt, liegt einmal vor, da ist nichts abzuzwacken; und was vorliegt, muß gemacht werden! – Und es wird gemacht, wenn du nur willst, – in der Welt ist alles zu machen. Und du darfst dich ja auch gar nicht beklagen, hast dir's ja selber vorgelegt, drum sei jetzt gescheit!«

Als Paul bei diesen sonderbaren Worten, auf die sich der Wasserfuchs, beiläufig bemerkt, nicht wenig einbildete, verstört auffahren wollte, hielt ihn der Eckenpeter nieder, betrachtete ihn 35 nachdenklich aus dem hintersten Winkel der Augen und sagte leise: »nur nicht grrrrrrand getan, Bursch! Wie's ist, so ist's, daran ist nichts zu ändern! Mach kein Aufsehen, – hast's voraus wissen können, daß es so oder ähnlich kommen muß! Darum sei kein Narr, und tu nicht grand!«

Diese Mahnung war freilich für Paul verloren, – im Saal sah er Evebärble, – schöner, frischer denn je, – bei dem Hofmartin stehen! Also doch, – doch! – In seinem Hirn begann es zu brausen, der Saal drehte sich, die Lichter zogen feurige Kreise um Evebärble und Martin, – ein unendliches, schneidendes Wehe quoll in ihm auf, die furchtbare Gewißheit seines Verlustes legte sich wie ein kältender Schatten über seine Seele. Überwältigt von seiner Not wollte er den Kopf in die Hände sinken lassen, als sich eine Hand auf seine Schulter legte, ein Paar treue Augen dicht vor ihm auftauchten und eine gedämpfte Stimme ernst und eindringlich flüsterte: »Paule, Paule, – was soll das? Mußtest du ein solches Ende nicht erwarten? – Nimm dich zusammen! Willst du dich zum Weibergespött machen? Paule, – durch deinen Trotz hast du mich schwer geärgert, willst du, daß ich dich auch noch als einen Jammerlappen verachte? Kopf in die Höh! – Zeig wenigstens, daß du ein Mann bist!«

Eben gab der Mühljohann das Zeichen zum Beginn der Musik. Die Kameraden des Hofmartin, über den unerwarteten Erfolg ihres Freundes nicht minder erfreut als dieser selbst, umdrängten jauchzend und lärmend das schöne, stattliche Paar, das sie natürlich ohne weiteres als Brautpaar begrüßten. Wie durch Zauberei waren plötzlich ihre Biergläser gefüllt, und schon ungeduldig über die kleinste Verzögerung, winkten sie den Musikanten heftiger zu, durch fröhlichen Tusch dem Willkomm und Ehrentrunk die rechte Weihe zu geben. »Nur nicht grrrrand getan,« flüsterte der Eckenpeter noch einmal hastig Paul zu. »Laß dir nichts merken, sonst hast du's aus bei uns! Halte die Trompete an den Schnabel und tu, als ob du bläst; ich will sorgen, daß die drunten meinen, ein Dutzend Trompeten schmettern los!«

Und er hielt Wort! Die Weiber kreischten, die Männer lachten und fluchten, die Mädchen hielten sich die Ohren zu und flohen aus der Nähe des Orchesters. Den Rottensteinern machte das unsinnige Blasen Vergnügen, je größer der Lärm, desto größer die 36 Ehre! Statt des gesetzlichen Sechsers warf der Hofmartin den Musikanten einen blanken Gulden zu und rief: »und nun flott aufgespielt! Man soll es auch an der Musik merken, daß der Hofmartin mit seiner Braut tanzt!«

Was Schülzle bei diesen Vorgängen litt, was in ihm vorging, – er wußte es selbst nicht, er hatte nur die Empfindung eines unermeßlichen, unerträglichen Schmerzes, dazwischen zuckten Reue, Zorn und Wut wie Blitze durch seine umnachtete Seele. Wie dahin gebannt starrten seine Augen auf die schlanke Gestalt Evebärbchens, die beharrlich dem Orchester den Rücken zukehrte; als sie nun jetzt, ohne das geringste Widerstreben zu zeigen, dem Hofmartin, der sie Braut genannt, in den Reihen folgte, als sie glühend wieder und wieder am Orchester vorüberglitt, ohne ihm einen Blick zu gönnen, da entrang sich seiner gequälten Brust ein tiefer, tiefer Seufzer.

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