Heinrich Schaumberger
Glückliches Unglück
Heinrich Schaumberger

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19 Für ein abgelegenes, kleines Walddörfchen wie Dammsbrück ist ein öffentlicher Tanz ein Ereignis. Wochen-, ja monatelang wird vorher davon geredet; je näher der ersehnte Sonntag heranrückt, desto größer wird die Aufregung in Lichtstuben und Wirtshaus. Zunächst ist es bloß das Jungvolk, das in Bewegung kommt, allein die Aufregung steckt zuletzt auch die Alten an. Erinnerungen erwachen und versetzen die alten, verknöcherten Herzen in jugendlichen Schwung, zuletzt erwarten sie fast nicht minder ungeduldig als Kinder und Enkel den festlichen Abend, der, wenn er ihnen auch nicht Jugendlust und Genuß bringt, sie doch an vergangene schönere Zeiten erinnert und ihnen willkommene Gelegenheit zu kritischen Vergleichungen zwischen sonst und jetzt darbietet.

Besonders im Winter, – dieser großen Ferienzeit der oberfränkischen Bauern, – sind solche Tanzabende eine willkommene Unterbrechung des einförmig dahinfließenden Daseins. Schon am Donnerstag und Freitag schnurren die Spinnräder weiter, öfter als sonst entschlüpft der Faden den Händen der Spinnerinnen und gibt den Burschen willkommene Gelegenheit zum Raub des Rockens, der dann mit Küssen losgekauft werden muß. Am gefährlichsten werden diese Tage der Erwartung den privilegierten Kammerjägern des Hauses, den Katzen. Wo sie sich blicken lassen, werden Strafurteile an ihnen vollzogen, die ihr reizbares Katzengemüt um so mehr erbittern, da ihnen vollkommen die Fähigkeit abgeht, die empfangenen Prügel mit dem zerbrochenen Küchengeschirr und dem Sonntagstanz in ursächliche Verbindung zu bringen. Mißvergnügt ziehen sich die sonstigen Lieblinge der Hausfrauen, Töchter und Mägde auf die höchsten, unzugänglichsten Böden und Speicher zurück, und diese Flucht hat auch ihr Gutes, sie bewahrt wenigstens die verschüchterten Tiere vor den neuen Nöten der unfehlbar hereinbrechenden Sündflut. Denn am Sonnabend beginnt allgemeines Scheuerfest. Nicht bloß Bütten, Gelten und Züber werden abgerieben, auch Tische, Bänke und Stühle, selbst die Fußböden in Stube, Kammer und Küche werden gescheuert. Ein solcher Tanzabend ist oft ein verhängnisvoller Zeitpunkt für die ganze Familie; – wer kann wissen, was geschieht? Gewiß denken während des Scheuerns die Töchter nicht bloß an Putz und Tanz; mancherlei ernstere Hoffnungen und Befürchtungen bewegen die jungen Herzen; die Mutter knetet gar manchen 20 sonderlichen Gedanken, manchen Wunschseufzer in den Kuchenteig mit Zucker, Butter, vielleicht auch gar noch mit großen Rosinen ein, der Vater aber durchmustert ebenfalls nicht umsonst so nachdenklich pfeifend Stall und Scheune; morgen ist Tanz, – Bursche und Mädchen sammeln sich aus der ganzen Umgegend, – wer weiß, was geschieht?

Endlich kommt der langersehnte, schmerzlich erhoffte Tag. Mit Eifer werden die täglichen Geschäfte vollbracht, schon am Mittag sitzen die Mädchen im höchsten Putz mit dem Strickzeug am Fenster, blicken erwartungsvoll Straße auf und ab, horchen mit Spannung nach dem ersten Ton der Musik. Die männlichen Bewohner aber sammeln sich im Wirtshaus; die Bursche eifrig bestrebt, durch reichlichen Biergenuß die Feststimmung zu steigern, die Väter wohl in der geheimen Absicht, die ankommenden Fremden zu mustern, zu beobachten, zu prüfen, Pläne zu entwerfen, die ersten Maschen eines Netzes zu knüpfen, das irgend einen Goldfisch nach und nach umschlingen und festhalten soll. Alles aber erwartet mit Ungeduld die Musikanten, denn mit ihrem Eintreffen beginnt erst das Fest.

Auch heute lugten in Dammsbrück aus allen Fenstern ungeduldige Augen nach den Musikanten, und als sie denn endlich aus dem dicht hinter den letzten Häusern des Dorfes beginnenden Hochwald auftauchten, begrüßte sie die harrende Jugend mit lautschallendem Freudengeschrei und geleitete sie mit bewundernden Blicken auf die Instrumente nach dem Wirtshause. Besonders Hanshenner mit seinem Baß erregt Aufmerksamkeit und Bewunderung, und obgleich schon daran gewöhnt, schmunzelt der Alte doch gar behaglich bei den Ausbrüchen kindlichen Staunens. Er kann sich nicht enthalten, den alten Kasten auf seinem Rücken liebkosend heimlich zu betasten; am liebsten hätte er sich mitten im Schnee aufgestellt, um den Kindern tatsächlich zu beweisen, welche Kraft in der »alten Base« schlummert. Da das nicht angeht, rückt und schüttelt er das ächzende, knarrende Gehäuse besser zurecht, und während er ganz furchtbare Dampfwolken von sich bläst, schmunzelt er: »ja, ja, ihr Kinder, wundert euch nur! Das ist auch ein Baß, solchen findet man nicht wieder Land auf und Land ab; die alte Base ist gar nicht tot zu machen!«

Auf der Welt ist kein Glück vollkommen, mit dem Eintritt 21 ins Wirtshaus beginnt Hanshenners Not; was ihn auf dem Wege durchs Dorf beglückte, wird jetzt seine Qual. Die Musikanten eilen sämtlich mit ihren Instrumenten in die Wirtsstube, – nur der Baßgeige, die allzu viel Raum im engen Stübchen einnehmen würde, ist der Eintritt versagt, und wie auch Hanshenner wettert, es hilft nichts! Will er sein Kleinod nicht auf dem Hausflur allen bösen Zufällen bloßstellen, muß er es im Tanzboden, auf dem Orchester in Sicherheit zu bringen suchen. In Sicherheit! Der Tanzboden ist natürlich jedermann geöffnet, und die liebe Jugend tanzt und schwärmt in Scharen darin herum. Verjagen kann und darf sie Hanshenner nicht, das wäre ein ganz unerhörter Eingriff in die Dorfsouveränität, welcher die bedenklichsten Folgen nach sich ziehen könnte; so bleibt ihm nichts übrig, als den Baß in einer Ecke des Orchesters möglichst sicher aufzustellen und der Jugend mit harten Drohungen zu verbieten, das kostbare Instrument zu berühren, – Drohungen, deren Nutzlosigkeit dem Alten nur allzu wohl bewußt ist. Mit bekümmertem Gemüt verläßt er endlich den kalten Raum, nicht ohne einige Male ganz unerwartet zurückzukehren und die harmlose Jugend durch schauderhafte Grimassen und entsetzliches Gebrüll, – jetzt wirklich ohne allen Grund, – in Schrecken zu setzen.

Er kam gerade noch recht, vom Begrüßungssturm im Gastzimmer seinen Anteil zu empfangen. Jung und alt umdrängte die hochwillkommenen Gäste, geschäftige Hände nahmen ihnen Mäntel, Tücher, Mützen und Instrumente ab, von allen Seiten wurden ihnen volle Biergläser entgegengereicht. Diese Begrüßung war den lustigen Gesellen die liebste, sie wurden nicht müde, ein Glas nach dem anderen zu leeren; der Eckenpeter besonders entwickelte ein merkwürdiges Geschick, noch während er scheinbar Nase und Augen gänzlich in das Bierglas versenkte, mit der andern freien Hand ein neues, frisch gefülltes Seidel zu erhaschen, so daß ihm der Vorrat nie ausging. Natürlich beeiferte sich Hanshenner, das Versäumte nachzuholen; – dabei vergaß er wenigstens für den Augenblick seine Sorgen um den geliebten Baß.

Vergessen darf übrigens nicht werden, daß diese Teilnahme durchaus nicht allein, ja nicht einmal vorzugsweise den Spielleuten galt. Die Musikanten waren in der Tat den Dammsbrückern werte Bekannte, liebe Freunde, vor allem aber, – sie waren die 22 Bergheimer Choradstanten und als solche ebensowohl den Dammsbrückern angehörig, als allen übrigen Ortschaften der Bergheimer Pfarrei. Die Begrüßung beschränkte sich darum auch keineswegs auf freundliche Hilfe beim Eintritt, auf das Darreichen des Bieres, – an allen Tischen rückten Männer und Jünglinge zusammen und drängten und schoben mit freundschaftlicher Gewaltsamkeit die Musikanten nach den ihnen zugedachten Plätzen. Am beliebtesten waren offenbar der lustige Schneidersnikel, der Eckenpeter und der Hanshenner, – wenigstens stritten sich alle Tischgesellschaften um ihren Besitz, welchen Streit sich sowohl der Eckenpeter als auch der Hanshenner wohl zunutze zu machen verstanden und arge Verheerungen unter den Bierseideln anrichteten.

Der Simesbauer war auch anwesend; finster saß er in einer einsamen Ecke; mit einer gewissen Unruhe betrachtete er die eintretenden Musikanten. Nach und nach erhellten sich seine Züge, er winkte den Zimmerdick zu sich, der mit sehr verlegenem Gesicht neben ihm Platz nahm, was aber der Alte nicht bemerkte. Das gleichgültige Gespräch, das die Alten »einfädelten«, ward nicht lange fortgesetzt, denn am vorderen Tisch erzählte eben der Schneidersnikel den lauschenden Dammsbrückern Hanshenners Unfall mit dem Baß, und der Simesbauer stimmte herzlich in das allgemeine Gelächter mit ein. Plötzlich verstummte er, strich sich mehrmals mit der flachen Hand über die Augen, beugte sich weit über den Tisch und starrte nach der Tür. »Also doch, – doch,« zischte er durch die Zähne, drückte des Dicken Arm, daß dieser hätte aufschreien mögen, und knirschte, bleich vor Zorn und Erregung: »Gebt Raum, Vetter; laßt mich hinaus, ich ersticke sonst! – Vorn seh ich einen, mit dem kann ich nicht die gleiche Luft atmen!« Der bestürzte Zimmerdick wollte den Bauer zurückhalten, allein ehe er zu Worte kommen konnte, hatte der Simeslorenz seinen Arm abgeschüttelt und war durch eine Nebentür verschwunden.

Niemand bemerkte die plötzliche Entfernung des Bauern, die gewiß Aufsehen erregt haben würde, – denn eben, als der Schülzle eintrat, erhob sich am vorderen Tisch ein großes Getöse.

Der Hanshenner hatte mit großem Behagen der Erzählung seines Abenteuers gelauscht, bereitwillig aus dem dargebotenen Tabaksbeutel seines Nachbars die Pfeife gestopft und den ihm zugeschobenen Biergläsern tapfer zugesprochen. Es konnte nicht 23 fehlen, daß er allmählich in die heiterste Stimmung geriet. Plötzlich fuhr er zusammen, und das Lachen verschwand aus seinem jovialen, feuerrot glühenden Gesicht, – allein der eben losbrechende. Freudensturm über die gelungene Baßrutschpartie zwang auch ihn zum Lachen. Hanshenner beruhigte sich jedoch nicht sogleich, den Oberkörper weit vorgebeugt, lauschte er mit gespannter Aufmerksamkeit nach der Tür.

Der Wirt wälzte ein neues Faß zum Anzapfen herein, die Türe blieb einige Sekunden offen; da sich auch der Lachsturm legte, schallten deutlich dumpf rasselnde Töne herein, – plumps! – dröhnte ein dumpfer Schlag durch das Haus, dann ward es still, denn die Türe schloß sich auf die heftigen Reklamationen der Gäste, denen die Füße kalt wurden.

Schon lag aber auch Hanshenners Tisch umgestürzt mitten in der Stube, Biergläser splitterten und klirrten in allen Ecken, der edle Gerstensaft floß auf die Erde, fluchend krochen die mit umgerissenen Tischgenossen aus dem Gewirr von Stuhl, Tisch und menschlichen Beinen hervor, und der Wirt lief schimpfend nach den umherkollernden Bierseideln, zu retten, was zu retten war. Ohne die Verheerung eines Blickes zu würdigen, stürmte Hanshenner, blaurot im Gesicht, über die zappelnden und rudernden Trümmer einer friedlichen Kneipgesellschaft nach der Tür. Wie ein zürnender, rächender Donnergott stürmte er dahin, Dampfwolken entquollen seinem Mund gleichsam als Vorboten der nachfolgenden Blitze und Donnerkeile, und die weit zurückflatternden Schlippen seines langen Kirchenrocks sahen wehenden Fledermausfittichen nicht unähnlich.

»Ich dacht's! Ich hab's ja gleich gedacht, so wird's! – Mein Baß, mein Baß,« brüllte Hanshenner. »Ihr sappermentischen Himmelschwerenöter, ihr nichtsnutzigen Krappelratten, – wartet, ich will euch ein siediges Donnerwetter auf den Buckel hageln! – Mein Baß, mein Baß!«

Ein Zetergeschrei erhob sich, wie ein Sturmwind brauste es durch den Hausflur, heulend und schreiend sprang, lief, hüpfte und stürzte die Jugend ins Freie, dazwischen schimpfte Hanshenner und schrie wehklagend: »mein Baß, mein guter, alter Baß!«

Erstaunt und bestürzt sahen sich die Gäste an, der Wirt ließ die Gläser liegen, und die zu Fall Gekommenen vergaßen ganz das 24 Aufstehen. Der Zimmrerdick aber rief: »potz Tausend noch einmal! Gewiß hat das Kleinzeug den Baß vom Orchester geworfen! – Das geht in Wahrheit über das Bohnenlied!«

In sorgenvoller Erwartung stürmte nun auch der Zimmerdick nach dem Tanzboden, ihm nach drängten die Musikanten und die Gäste, selbst der Wirt blieb nicht zurück. Bald wandelte sich jedoch der Schreck in heiteres Staunen. Mitten im Tanzboden stand Hanshenner, den Baß in der Hand, den er mit leuchtenden Augen betrachtete. Eben griff er nach dem Bogen, zog ein paar kräftige Striche über die Saiten, und die schnarrenden, rasselnden Töne mußten wohl seine letzte Besorgnis zerstreuen, denn mit glückseligem, triumphierendem Lächeln rief er seinen Zuschauern zu: »ich sag's ja, die alte Base ist nicht tot zu machen! Ja, solch einen Baß gibt's nicht wieder Land auf und Land ab!«

Den Dammsbrückern nahm diese Rede eine nicht minder große Last von den Seelen als den Musikanten. Des Umsturzes in der Gaststube, des verschütteten Biers und der zerbrochenen Gläser ward nicht weiter gedacht, man war froh, daß die Geschichte noch so gnädig abgegangen. Dagegen ward von allen Seiten der Baß mit Lobsprüchen überhäuft, und zu Hanshenners unsäglicher Befriedigung trug jetzt der Wirt selber das alte Gehäuse in die Stube, um es vor ähnlichen Schicksalen sicherzustellen.

Bald saß die Gesellschaft wieder in alter Behaglichkeit beisammen, allein nicht bloß Hanshenners Blicke ruhten auf dem Baß. Ein schmächtiges, kleines Männchen mit faltigem, blutlosem Gesicht betrachtete ihn scharf forschend. Endlich stand das Männlein, es war der Schreiner von Mürschnitz, gar auf, ging zu dem Baß, drehte ihn nach allen Seiten und musterte ihn mit Kennerblicken. Nachdem er auch noch an den Saiten gerissen, die Tonstärke zu prüfen, lehnte er ihn mit Kopfschütteln wieder in die Ecke zurück und sagte bedächtig: »alt ist der Baß und geflickt genug, das ist nicht zu streiten, sonst ist auch nicht viel daran zu rühmen. Da ist unser Baß ein andrer Kerl, potz Tausend!«

Die Musikanten und die Dammsbrücker wurden aufmerksam und betrachteten den Fremden, der gleichmütig auf seinen Platz zurückkehrte, mit zweideutigen Blicken. Hanshenner vollends war das Blut nach dem Kopf geschossen; verächtlich sagte er: »he, – Ihr seid ja wohl der Mürschnitzer Schreiner, was? – Auf Euern 25 Leimtiegel mögt Ihr Euch verstehen, aber die Musik geht über Euern Verstand!«

»Nu! – Aufs Instrument gelernter Musikant bin ich freilich nicht; aber ich geh aufs Chor unter die Sänger, und unser Schulmeister hält was auf mich, denn ich sing die schwerste Musik vom Blatt weg!«

»Das ist auch was,« fiel der Wasserfuchs verächtlich drein. »Singen kann jeder, das ist angeboren, wie das Reden und Essen und Trinken. Singen ist gar keine Musik! Wenn auch manchmal ein Blatt mit Noten vorgelegt wird zum Singen, das ist Schnurrpfeiferei, damit's das Ansehen hat, als wär's was! Das ist die Musik, daß man auf seinem Instrument 'rausbringt, was vorliegt! – Und Ihr wollt über unsern Baß reden? – Das macht mich lachen, ha ha!«

»Ich versteh mich aufs Instrumentenmachen,« sagte der Schreiner, der die Rede des Wasserfuchs nicht anzufechten wagte. »Von weit her werd ich überlaufen, Geigen und Bässe zu reparieren. Drum versteh ich mich auf die Instrumente, und drum sag ich: Euer Baß ist nicht ganz zu verwerfen, aber er hat keine Stärke!«

»Was, mein Baß hätte keine Stärke?« sagte Hanshenner, in dem der Schalk erwachte, mit geheimnisvollem Lachen. »Daß dich der Geier! Haben ihn doch erst die Rackerjungen vom Orchester in den Saal geworfen, und nicht ein Rißle hat er davongetragen. Ich mein, solchen Sturz verträgt nur ein ausbündig starker Baß!«

Der Schreiner lachte mit. »Ja, so habe ich's nicht gemeint! Ich wollt sagen: Euer Baß hat keine Kraft!«

»Keine Kraft?« lachte Hanshenner glückselig. »Und hat mich, – mich! – 'nen Berg hinabgetragen? – Das ist keine Kraft?«

»Ihr seid ein loser Vogel und wollt mich nicht verstehen,« sagte der Fremde verdrießlich über das allgemeine Gelächter. »Darum handelt sich's gar nicht. Ich meine, Euer Baß hat keine Stärke, er dringt nicht durch. Schwenselens, wenn bei der Kirchenmusik unser Baßgeiger richtig aufstreicht, brummen die Fensterscheiben!«

»Weiter nichts?« entgegnete Hanshenner verächtlich, und der helle Übermut leuchtete aus seinen kleinen Augen. »Wenn ich auf dem Bergheimer Orchester meinen Baß richtig anstreichen wollte, 26 fiel der Kalk von den Wänden, und in Sülzdorf würden die Hunde rebellisch, weil sie meinen, es donnert!«

»Ihr seid ein alter Narr,« schrie der Schreiner giftig. »Und so sag ich's, Euer Baß taugt gar nichts, keinen Schuß Pulver ist er wert. – Der alte Rumpelkasten hat gar keinen Ton!«

»Keinen Ton? – Keinen Ton?« fuhr nun Hanshenner auf, der fühlte, daß dies die ärgste Beleidigung für seinen Baß sei. »Potz Blitz und Hagel, – Ihr einfältiger Schreiner, der Ihr seid! Ihr wißt ja gar nicht, was ein Ton ist!«

»Besser wie Ihr, wenn ich gleich kein aufs Instrument gelernter Musikant bin,« höhnte der Schreiner, seines Übergewichtes sicher. »Und ich will's Euch sagen, was ein Ton ist. Ein Ton ist's, wenn's einem so recht in den Ohren prickelt und kitzelt!«

»So?« schrie Hanshenner. »Wenn ich meinen Baß anstreich, wie sich's gehört, da kitzelt's in den Ohren und fährt einem zu den Fußspitzen hinaus! – Und das wär kein Ton, – he?«

Der Schreiner war vollständig geschlagen, und Hanshenner erntete lauten Beifall. Als sich der Lärm legte, schlug der Fremde mit der Faust auf den Tisch und rief: »und Euer Baß ist doch nichts, – gar nichts ist er gegen unsern Baß, denn unser Baß ist ein Generalbaß!«

»Wer sagt das?« schrie Hanshenner blaurot im Gesicht.

»Unser Schulmeister,« schrie der Schreiner und schlug abermals auf den Tisch.

»Das wird ein schöner Schulmeister sein,« tobte Hanshenner.

»Ein anderer wie Eurer,« fertigte ihn der Schreiner ab. »Das ist ein Mann, potz Wetter! Die Musik ist ihm schon lang gar nichts mehr, darüber ist er lang hinaus! Er kennt den Generalbaß!«Für nicht musikalische Leser eine Bemerkung. Generalbaß nennt man den Grundbaß eines Tonstücks, bei welchem durch Ziffern die darauf gebauten Akkorde angegeben sind. Generalbaß bedeutete früher und hat heute noch auf dem Lande die wichtigere Bedeutung, daß darunter Musik- und Kompositionslehre im allgemeinen verstanden wird. Darum der Respekt der Bergheimer Musikanten.

Das Staunen kam nun über die Musikanten und Dammsbrücker, selbst Hanshenner schwieg verblüfft. Wie alle ländlichen Musikdilettanten hatte er einen heiligen Respekt vor dem Generalbaß, den er wohl da und dort hatte nennen und als etwas Großes 27 preisen hören, ohne auch nur im entferntesten zu ahnen, was das eigentlich sei. Triumphierend fuhr der Schreiner nach einer Pause fort: »Ja, unser Herr Schulmeister, das ist ein Mann, solch einer steht gar nicht wieder auf. Was aber unsern Baß betrifft, so vergeht keine Kirchenmusik, bei der er nicht sagt: »Der Generalbaß ist die Seele der Musik!« – He, was sagt Ihr nun? Was will Euer Baß dagegen bedeuten?«

Mit Hanshenners Geduld und Besonnenheit war es längst vorbei. Kaum war sein Gegner zu Ende gekommen, so schlug nun er auf den Tisch und schrie: »Potz Blitz und Hagel! Ich pfeif auf Euern Schulmeister und Euern Baß. Meinetwegen mag Euer Baß ein Generalsbaß sein, oder ein Korporalsbaß, oder ein Feldwebelsbaß, – mein Baß ist ein Hauptbaß, damit punktum! Solchen Baß findet man nimmer Land auf und Land ab, – der ist ja gar nicht tot zu machen!«

Dagegen konnte nun der Schreiner wenig sagen, er blieb freilich dabei, der Mürschnitzer Baß sei ein ganz anderer Baß als der Bergheimer, – aber wer glaubte ihm? Wer achtete auf seine Beweise? Grimmzornig trank er endlich sein Bier aus und behauptete, die Bergheimer Musik sei überhaupt keinen Schuß Pulver wert, alle Welt wisse das; die Musikanten verdienten gar nicht, daß man sie als Musikanten estimiere. Damit hatte er es jedoch vollends verdorben, bei den Musikanten sowohl als bei den Dammsbrückern. Ein lauter Lärm erhob sich; als der Schreiner noch immer nicht schwieg, machte der Wirt kurzen Prozeß und führte ihn mit den Worten aus der Tür: »Wenn Euch der Rücken allzu sehr nach Schlägen juckt, sucht sie Euch anderswo, Prügel sind ja überall zu haben. In meinem Haus aber leide ich den Unfug nicht!«

Damit war die Ruhe hergestellt, wenn es auch in den Gemütern noch fortwogte. Zudem ward nun auch das Wirtshaus leer; die Mannsleute eilten heim, die nötigen Arbeiten in Stall und Scheune zu besorgen, um, da es nun einmal am Tag doch nicht zum Tanzen kam, abends desto zeitiger auf dem Platz zu sein. Auch die Musikanten bereiteten sich auf ihre Nachtarbeit; schweigend verzehrten sie ihr frugales Mahl, bestehend aus Schwarzbrot und Heringen.

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