Heinrich Schaumberger
Glückliches Unglück
Heinrich Schaumberger

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Der Schülzle schloß sich seinen Kameraden nicht an; trotz des tiefen Schnees stampfte er einsam durch bahnlose Heckenwege weit um das Dorf herum nach seinem Hof. Er war sehr zornig, der sonst so lustige, leichtblütige Bursche; heute war er sehr ärgerlich, so »wetterlaunisch«, daß ihn sogar die hungrig und frierend durch die kahlen, verschneiten Hecken huschenden Meisen und Emmerlinge erzürnten, und der einsame Rabe auf dem Feldbirnbaum am Eingang der Badergasse seinen Grimm reizte. Hätte er sein Gewehr zur Hand gehabt, wer weiß, was geschehen wäre. Warum mußte sich auch alle Welt in seine Sachen mischen? Was kümmerte die Musikanten sein Anhang mit dem Dammsbrücker Simesevebärble? Was verschlug es ihnen, ob er in Mühldorf oder Dammsbrück spielte? Wer hatte sie um ihren Rat, ihre Meinung gefragt? – Und sonderbar, auf alle war er gleich erbittert; den Warnern machte er zum Vorwurf, daß sie ungefragt geraten; den Teilnahmlosen zürnte er, daß sie geschwiegen; – er philosophierte: weil nun doch einmal über seine Angelegenheiten verhandelt wurde, konnten sie nicht auch gleich mit ihrer Meinung herausgehen? – Den Tadlern rechnete er jedes Wort zum Verbrechen, und den Bergkasper, den Einzigen, der sich seiner angenommen, den Bergkasper hätte er für seinen Beifall und seine Aufmunterung am liebsten geohrfeigt. Ja, er war »hellisch falsch«, der Schülzle, um uns eines bezeichnenden Bergheimer Ausdrucks zu bedienen, und um seinen Unmut zu vollenden, malte er sich schon jetzt mit trotziger Selbstquälerei die Szenen aus, die ihn daheim bei seiner Mutter erwarteten.

Weiß beschneit, die Stiefel voll Schnee trat er ins Haus und erschreckte durch sein verstörtes Wesen die Mutter nicht wenig. Ängstlich trippelte die bekümmerte Alte um den störrigen, wortkargen Sohn, den ihre übertriebene Teilnahme und 12 Hilfebereitschaft nur noch mehr erbitterte. Grimmig schleuderte er auf ihre Mahnungen die feuchten Stiefel und Strümpfe in eine Ecke und schrie, während er die Füße neu bekleidete: »Himmelherrgott, macht mir den Kopf nicht warm, Mutter! In einem Stück war ich Euch zu Willen, nun laßt mich auch in Frieden! Ich geh nach Dammsbrück, dabei bleibt's, und ist's dem Simeslorenz nicht recht, mag er's links nehmen. Ich bin kein Schulbub mehr, hab lange bewiesen, daß ich auf eigenen Füßen zu stehen vermag. Von der Musik lasse ich nicht, ein für allemal nicht. Punktum!«

»Paule, Paule, – was ist doch in dich gefahren? Man kennt dich kaum mehr, so wüst und wild tust du,« klagte die Mutter. »Ist's auch eine Art, gut gemeinte Ratschläge so aufzunehmen? Geschieht's nicht zu deinem Besten, wenn der Simeslorenz verlangt, du sollst das Spielen sein lassen?«

»Verlangt! – Kreuz Hagel und Strohsack! – Das ist's ja eben! Was gibt ihm das Recht, so was von mir zu verlangen? – Ich bin eine gute Haut; mit einem guten Wort wickelt man mich um einen Finger. Aber ich habe auch Ehre im Leib, und befehlen lasse ich mir nichts!«

»Gut bist du, niemand weiß das besser als ich, deine Mutter. Auch ist's richtig, daß man dich um einen Finger winden kann, – aber nur zu Zeiten, und wenn eben dein Kopf nicht dazwischen kommt. Hast du den erst einmal aufgesetzt, dann sind gute und böse Worte gleich sehr verloren. Hat dich nicht das Evebärble vor Gott und nach Gott gebeten, ihr zu Lieb solltest du die Musik aufgeben?«

»Und warum mußte sie so eigenwillig auf ihrem Kopf bestehen, da sie sah, es wird mir schwer, mich von den Musikanten loszumachen? Konnte sie mir das Vergnügen nicht gönnen, bis ich's von selber aufgab?«

»Sie sieht eben ein, daß sich das Tanzaufspielen, das Kirmeslaufen und was noch darum und daran hängt, nicht für einen Bauer schickt, der einen Hof in Ordnung halten soll. Paule, Paule, – denk daran, was dein Vater sagen würde, wenn er noch lebte.«

»Ha Himmelelement, wer sagt, daß ich das nicht auch einsehe?« schrie der Bursche aufspringend. »Aber treiben lasse ich mich nicht, lasse mir nichts vorschreiben, ertrage keinen Zwang. Konnten das Evebärble und ihr Alter nicht auch meinen Einsichten vertrauen?«

13 »Du bist ein guter Bursch, Paule,« sagte die Mutter, die ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken konnte, »aber besondere Einsichten hast du meines Wissens noch nirgends an den Tag gegeben. Wie soll man sich auf dein eigenes Überlegen auch verlassen, wenn du grad in den wichtigsten Angelegenheiten in den Tag hineinstürmst, als hättest du gar keine Gedanken?«

Paul ward rot und trat hastig an das Fenster. Eine Weile beschäftigte er sich angelegentlich mit seiner Pfeife, dann brach er, ohne sich jedoch umzukehren, – abermals los: »und das mag nun alles sein, wie es will. Der Simesvetter hat einmal weder Ursach noch Recht, solch Verlangen an mich zu stellen, – drum will ich ihm auch beweisen, daß ich mir das nicht gefallen lasse.«

»Sieh, Paule,« sagte die Mutter sanft, »da bist du wieder in einem grausam garstigen Irrtum. Nur allzu viel Ursache hat der Simesvetter, ja es ist sogar seine Schuldigkeit, daß er das Verlangen an dich stellt. Weißt du noch, was der Doktor in deiner letzten Krankheit sagte? – Wenn der Bursche das Trompetenblasen, überhaupt das zum Tanze Spielen nicht bald und gänzlich aufgibt, hat er nur noch wenige Jahre zu leben! – O mein Gott im Himmel, die Worte haben sich mir ins Herz gegraben und brennen da wie lichte Flammen Tag und Nacht. – Wie kann dir nun der Simesvetter sein Kind anvertrauen, wenn du solche Warnungen in den Wind schlägst und nicht aufhörst, in deine Gesundheit zu stürmen? – Paule, mein Einziger,« fuhr die Mutter weich fort und zog weinend den Burschen neben sich auf die Bank, »höre endlich auf den Jammer deiner alten Mutter. Tu mir das Leid nicht an, daß ich auch dich noch dem Grab verfallen sehen muß. Das Leben ist mir schwer geworden, Paule, hab oft gemeint, ich müßt zusammenbrechen unter dem Berg von Sorgen und Kümmernissen, der auf mir, der jungen, verlassnen Witwe, lag. Deinetwegen habe ich alles ertragen und überwunden, – sorge, daß ich nicht mein ganzes Leben als ein verlornes beklagen muß!«

Heftiges Weinen brach ihre Stimme. Paul war bewegt, verlegen haschte er nach ihrer Hand, suchte ihr die Schürze von den Augen zu ziehen und sprach beruhigende Worte. Allein die Mutter wollte sich heute nicht trösten lassen. »Was hilft mir all dein Reden,« schluchzte sie, »solange du nicht aufhörst, deine Gesundheit zu schädigen? – Ach, Paule, wenn manchmal meine Kräfte 14 nicht mehr ausreichen wollten, wenn ich oft meinte, nun müsse ich zusammenbrechen, – dann machte mich ein Blick auf dich wieder stark und frisch und richtete mich mächtig auf. Ich war jung, wie dein Vater starb, sehr jung für eine Witwe; darfst mir glauben, es hat mir nicht an Lockungen und Anträgen gefehlt, und die Welt war so schön, und ich war so jung! Deinetwegen wies ich alles ab, blieb einsam und verlassen, schleppte mein schweres Joch weiter. Ich rühme mich dessen nicht, Gott weiß es, ich tat es nicht in der Hoffnung auf Vergeltung. Allein nun du ein Mann bist, auf eigenen Füßen zu stehen weißt, ist mir's zu verdenken, wenn ich mich endlich wenigstens nach Ruhe und Erleichterung sehne? Lange genug habe ich Haus und Hof allein vorgestanden, jetzt möchte ich sehen, wie andere, jüngere, mein Werk fortsetzen. Mit einem Wort, das Wirtschaften ist mir ernstlich verleidet, meine Kräfte reichen auch nicht aus, – und denke doch, Paule, was soll mit deinen Sachen werden, wenn mir über kurz oder lang was Menschliches begegnet? – Laß mich nur ausreden, Kind! – Du meinst, damit habe es noch lange keine Gefahr? – Ach, der Mensch ist sterblich, und ich fühle, wie meine Kräfte rasch abnehmen. – Paule, habe ein Einsehen! Sorge, daß ich mich die wenigen Jahre, die mir bestimmt sind, des Lebens noch erfreuen kann; ach, in deinem Glück möchte ich so gerne noch einmal jung werden! – Und es ist dir so nahe gelegt und so leicht gemacht! Das beste, schönste Mädchen weit und breit ist dir von Herzen gut, auch den Eltern bist du wert, – es kostet dich nur ein Wort, so ist dein und unser aller Glück sicher und fest –«

Der Bursche fuhr sich ins Halstuch und sprang auf: »Mutter, macht mich nicht toll,« rief er.

Doch diese ließ sich nicht unterbrechen. Sie ging dem Sohne nach, hielt seine widerstrebende Hand fest und fuhr bittend fort: »Paule, – sei verständig und gut! – Lege die Trompete weg! Spann den Gaul an den Schlitten, wir wollen zusammen nach Dammsbrück. Folge mir heute, du wirst es nicht bereuen! Ich bin der festen Zuversicht, sieht der Simesbauer deinen guten Willen, ist er auch nicht unerbittlich von wegen den Musikanten!«

»Hört auf, Mutter,« rief Paule und riß sich los. »Weiß der liebe Gott, – es wird mir schwer genug, aber ich kann nicht, – und wenn die Welt dabei auf dem Spiel stünd, ich kann nicht! – 15 Laßt mich, Mutter! Nur diesmal noch laßt mich, dann will ich Euch zu Willen sein in allen Stücken, und auf den Händen will ich Euch tragen, – nur heute laßt mich!«

Er riß sich los und stürmte aus der Stube. Weinend blickte ihm die Mutter nach. »So ist es aus! – Wenn nicht ein Wunder geschieht, ist auch meine liebste Hoffnung zu Wasser geworden, wie so viele vor ihr! Armes Mädchen! – Ja, und auch du bist zu bedauern, du wilder Trotzkopf, – du vielleicht am meisten! – Wenn zum Unglück auch noch die Reue kommt, – armer Junge! – Wie gerne, o wie gerne hätte ich dir geholfen! – Du hast es nicht zugelassen, ich kann nichts mehr tun, als für dich beten!«

Sie blickte ihm nach, bis er um die Ecke des hochgelegenen Bergbauernhauses verschwand, dann ging sie seufzend an ihre Arbeit.

Die Musikanten hatten schon auf den Schülzle gewartet. Als er nun verdrießlich heranschlenderte, kurz und mürrisch grüßte, meinte der Wasserfuchs: »potz Velten! Dein Feuerstein möcht ich heute auch nicht sein, Schülzle! Hat daheim auch wieder was vorgelegen, daß du das Maul so arg hängen läßt?«

»Laß ihn doch,« entgegnete der Zimmerdick gereizt und bekümmert zugleich. »Du siehst, er hat schief geladen, und ob er gleich merkt, daß es einen Umsturz geben muß, läßt er es darauf ankommen, statt beizeiten umzuladen. – Solche Leute muß man gewähren lassen und ihnen aus dem Weg gehen!«

Paule schoß das Blut nach dem Kopf, eine gereizte Antwort schwebte ihm auf der Zunge, doch hatte er nicht Zeit, seine Galle loszuwerden; ohne ihn weiter zu beachten, wendeten sich die Musikanten zum Gehen. Langsam, in ziemlicher Entfernung folgte er nach.

Wege und Straßen waren heute, am Sonntagnachmittag, wie ausgestorben, die Musikanten, die langsam die Einzelberger Höhe hinankletterten, die einzigen Wanderer weit und breit. Ein klarer, durchsichtiger Duft füllte die Atmosphäre; feine, staubartige Eis- und Schneekristalle wirbelten umher, ohne daß sie ein merkbarer Luftzug in Bewegung setzte, dazwischen sanken auch größere Schneeflocken langsam schwebend nieder, allein so vereinzelt, daß man das nicht eigentlich ein Schneien nennen konnte. Noch deckten tiefgehende Wolken den Himmel, allein merkbar lichteten sich die 16 Schichten, zogen sich in die Höhe; im Westen glühte ein unbeschreiblich zartes, duftiges Rot auf, – ein sicheres Vorzeichen baldiger, strenger Kälte.

Tiefe Stille ringsum! Zwei Raben schwebten lautlos, langsam und schwermütig über die Schlucht und das Schwarzholz; selbst den Schall der eigenen Schritte dämpfte die frisch gefallene, dünne Schneeschicht vollständig. Nur dann und wann klang ein einzelnes unverständliches Wort, ein kurz abgebrochenes Husten oder Lachen von den Vorausgehenden zurück, und diese Laute, fremd und unnatürlich in dieser Umgebung, verstärkten die bedrückende Empfindung des unheimlichen, toten Schweigens. Die blauen Wölkchen, welche in dichten Massen den Tabakspfeifen der Wanderer entquollen, zerflatterten nicht. Von der Kälte rasch durchdrungen und mit der umgebenden Atmosphäre auf gleiche Temperatur gebracht, stiegen sie langsam zu mäßiger Höhe auf und zogen sich in der unbewegten Luft zu kaum bemerkbaren, bläulichen, stillstehenden Streifen auseinander. So oft Schülzle beim Höhersteigen in solchen Nebelstreifen eintrat, brachte der angenehme Geruch des Tabaks, der in ihm, dem eifrigen Raucher, heitere Bilder und Erinnerungen weckte, ein schmerzlich beklemmendes Gefühl der Vereinsamung, des Verlassenseins hervor, das seine ruhelos umschweifenden Gedanken nicht minderte.

Ja, er fühlte sich sehr vereinsamt und verlassen; es war kein Zufall, daß er weitab hinter seinen Gesellen dreinschlich; ihm war, als gehöre, als passe er nicht mehr zu ihnen. Ihren wohlgemeinten Rat hatte er verworfen, ihre Mahnungen und Bitten verachtet. Wohl war das im Grunde keine Ursache zur gegenseitigen Entfremdung, er war ja ein freier, unabhängiger Mann, niemand Verantwortung über sein Tun und Lassen schuldig, als sich selbst. Allein das war eben der böse, böse Punkt: er bestand vor sich selbst nicht, war geteilt in sich, sein besseres Gefühl gab entschieden den Freunden recht. Und diesen Zwiespalt kannten die Freunde! – Noch immer dröhnten ihm die Worte des Zimmerdick in den Ohren: Obgleich er merkt, daß es einen Umsturz geben muß, läßt er es darauf ankommen; – solchen Leuten muß man aus dem Weg gehen! Das war ein hartes, hartes Urteil, doppelt hart im Munde des sonst so nachsichtigen, väterlichen Freundes; und Paul konnte mit allen Mühen nicht darüber hinwegkommen!

17 Und nicht bloß von den Kameraden fühlte er sich getrennt, der Zwiespalt, der ihn quälte, wirkte auch nach anderen Seiten entsprechend. Zwar hatte er den Vater, auf dessen Urteil er heute zweimal verwiesen worden war, nie gekannt; allein seine Tugenden waren ihm so oft als Muster vorgestellt, seine Rechtschaffenheit, Güte, Klugheit und Charakterfestigkeit von allen Seiten so einstimmig gerühmt worden, daß er in ihm endlich das Musterbild eines vollkommenen Mannes verehrte und einen Stolz darein setzte, ihm ähnlich zu werden. Bis heute nun hatte er nicht gerade Ursache, vor seinem Vorbild beschämt die Augen niederzuschlagen, – allein ein dumpf schmerzliches Gefühl sagte ihm, daß er im Begriff stehe, sich des Andenkens seines Vaters unwert zu machen! Auch den Kummer der Mutter vergaß er nicht, je weiter er sich von ihr entfernte, desto mehr schnitt ihm ihr Jammer in die Seele. Die Bilder, die sie erweckt, wollten ebenfalls nicht wieder verblassen. Oft war ihm, als sei er gar nicht er selbst; es kam ihm unbegreiflich vor, daß er so einsam durch den rieselnden Schnee wanderte, da er eigentlich im warmen Schlitten neben der Mutter sitzen, mit dem schnaubenden Pferd vor sich durch die stille Welt dem Glück, – dem Glück entgegenjagen sollte. Unwillkürlich blickte er den Weg zurück, ob ihm die Mutter nicht nacheile, – aber es blieb still da drunten, und bald entschwand das Dorf seinen Blicken.

Und was bedurfte er des Schlittens? Auch allein und zu Fuß kommend ward er in dem freundlichen Bauernhaus mit Jubel empfangen; auch wenn er später eintraf, er kam immer noch früh genug. – Nur ein Wort von ihm, ein einziges Wort, – und in zwei Häusern kehrte das Glück, das vollste, reinste Glück ein! Freilich war er als Musikant ausgezogen, und es entstand eine Lücke im Kreise seiner Kameraden, wollte er sie verlassen; er war ihnen nicht unentbehrlich, seine Stelle leicht zu ersetzen, und wenn er sie jetzt um Rat gefragt hätte, – er wußte ihre einstimmige Antwort allzu gut voraus.

Ganz nahe im Bereich seiner Hand lag das schönste Glück des Lebens, nur einen Entschluß, nur ein Wort kostete es ihn, und es war sein! Und sein Glück war zugleich das eines holden Mädchens, es war der Wunsch braver Bauernleute, die Hoffnung einer treuen Mutter, es war die Sehnsucht seines eigenen Herzens. – Und was hinderte ihn, dieses Glück, das das Schicksal selbst besonders seinen 18 Wünschen und Neigungen angepaßt zu haben schien, das ihm ganz von selbst in den Schoß fiel, das ihm die Umstände fast aufnötigten, zu dem ihn alle Verhältnisse hindrängten, – was hinderte ihn, dieses Glück zu ergreifen, festzuhalten? Warum konnte er den entscheidenden Entschluß nicht fassen? –

»Warum? – ja warum?« stöhnte er und schlug sich vor die Stirn.

Er wußte es nicht, es war ihm eben nur klar, daß er nicht könne! – Es lag ein Etwas in ihm, ein dunkles, kaltes, gestaltloses Etwas, das ihn quälte und peinigte, das er haßte, gegen das er sich auflehnte, – ein Etwas, das aber doch stärker war, als er selbst, das ihn beherrschte, ihn zwang, gegen sein besseres Gefühl, gegen die Erkenntnis des Rechten zu beharren in seinem Trotz und Starrsinn! So mächtig war dies kalte, hämische Etwas in ihm, so fest in seiner Seele eingewurzelt, daß er, als ihm der Gedanke an die unausbleiblichen Folgen seines Tuns fast das Wasser in die Augen trieb, sein Herz zusammenkrampfte im wilden Schmerz, – daß er dennoch knirschend die Fäuste ballte im unbändigen Trotz. Es schien ihm leichter, das Leben zu lassen, als eben diesen Trotz durch einen Entschluß zu überwinden.

Müde von diesem Kämpfen und Denken ließ er endlich den Kopf hängen, von einer verzweifelnden Resignation umschattet, gab er sich ganz der trostlosen Wollust seines Trotzes und Schmerzes hin; da er den Weg zur Umkehr nicht fand, erschien es ihm fast als eine Art grausamer Genugtuung, sich und allen, die ihm nahe standen, die es wohl mit ihm meinten, so herb und bitter als nur möglich das Herz zu verwunden!

Fröhlich plaudernd zogen seine Kameraden ihres Weges dahin, freundlich lichtete sich der Himmel, und ein heiteres Abendrot begann beruhigend auf die dunkle Erde niederzuleuchten, – aber Paul fand keinen Frieden. Einsam stieg er durch den hallenden Kiefernwald nach Dammsbrück, Schmerz und Reue im Herzen, Groll und Trotz in der Seele. Mit sich selbst zerfallen, sich, Gott und der Welt feind, ging er der Erfüllung seines Geschickes entgegen.

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