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Bild Theodor Herrmann

10. Eine Geschichte vom Freimarkt.

»Marie, wir gehen fort!« sagte die Frau und zog ihre Handschuhe an, und der Herr setzte seinen Sonntagshut auf. Marie guckte zur Küchentür heraus und sagte: »Schön, Frau Wessels, ich passe aus. Machen Sie sich man viel Vergnügen und bringen Sie auch was Schönes mit.« – Da lachte die Frau und sagte: »Wir wollen mal sehen, ob wir etwas für Sie auf dem Freimarkte finden.«

Die Hausglocke klang, die Tür schlug zu, und Marie war allein.

Ach, was war das doch für eine schöne Zeit, die Freimarktszeit, von morgens früh bis des Abends spät drehten sich auf dem Markte die Karussels, da dufteten die Schmalzkuchen, da brodelten die heißen Würste im Kessel, da lärmte Musik an allen Orten, da schrien sich die Ausrufer und Verkäufer die Kehlen heiser, da drängten sich die Menschen zwischen den Buden: da war Leben und Jubel an allen Enden.

Und wer nur Zeit hatte und Geld in der Tasche –!

Am Sonntag hatte Marie ihren Ausgehtag. Dann wollte sie auch zum Freimarkt. Das sollte aber ein Vergnügen werden! Und sie dachte schon jetzt mit Freuden daran und stand und putzte das Nickelgeschirr in der Küche blitzblank und lauschte dazwischen auf eine ferne Orgel und summte die Lieder mit, die die Orgel spielte, und sah schnell noch einmal nach, ob auch der Windfang hinter der Haustür gut geschlossen war, und putzte und wischte und sang weiter, und endlich war die ganze Küche wieder in Ordnung. Alle Geräte standen auf ihrem Platze. Marie wusch sich die Hände ab, um dann den Kaffee fertig zu machen, aber auf einmal hörte sie auf zu waschen und zu singen und lauschte. – – –

Hatte da nicht oben eine Tür geknarrt? – War da nicht etwas hingefallen und hatte es nicht geklirrt? – – – Nun war wieder alles still. Oh, wie sonderbar kam es ihr auf einmal im Hause vor. Sie war doch allein!? – Aber nachsehen mußte sie doch. Schnell eilte sie die Treppe hinauf. Die Tür zum Eßzimmer stand offen, und als sie hineinblickte, sah sie, daß eine von den hübschen Tassen, die auf dem Büfett standen, in Scherben am Boden lag. Ei, wie war denn das gekommen? Das konnte doch nicht ohne Grund geschehen. Und was war denn mit dem Kronleuchter unter der Decke? Der schaukelte leise hin und her und hin und her.

So etwas Merkwürdiges war ihr im ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Sie sah unter den Tisch, unter das Sofa, sie öffnete alle Zimmer – aber es war nichts zu sehen noch zu hören. Endlich ging sie langsam und zögernd in die Küche zurück.

Es konnte sich doch kein Dieb eingeschlichen haben! – Nein, der Windfang war gut verschlossen, und durch die Hoftür, die freilich offen stand, konnte niemand hereinkommen, denn der Garten war rings von einer hohen Mauer umgeben. Aber trotzdem sie das alles bedachte, hatte sie doch keine Ruhe in der Küche, und alle Augenblicke glaubte sie etwas zu hören. Klang das nicht eben, als wenn ein Stuhl gerückt wurde? – Hörte man nicht ganz deutlich leise Trippeltritte? – Sie lauschte lange Zeit an der angelehnten Küchentür. Ihr Herz klopfte, ihre Knie zitterten ein wenig, aber es half alles nichts; sie ging noch einmal hinauf, um genau nachzusehen. Wieder trat sie ins Eßzimmer. Die Scherben lagen noch wie vorhin am Fußboden, der Kronleuchter hing ganz ruhig. – Aber bewegte sich da nicht oben etwas in den Falten der Gardine? – Oh Gott, was war das? Was saß denn da auf dem Gardinenkasten? – Das hatte zwei Augen wie ein Mensch und eine rote Mütze auf dem Kopfe mit einem Federbusch und einen Mund voll weißer Zähne, und der Mund lachte und lachte und zwei Hände – – – Oh, jetzt sah sie es! Es war ein Affe!

Das war ein Affe vom Freimarkt. Der mußte seinem Herrn entlaufen sein. Aber wem mochte er gehören?

»Komm! Komm!« rief Marie und winkte ihm und nahm ein Stück Zucker aus der Dose und hielt es ihm hin. Der Affe kam gleich herunter geklettert, sprang auf den Tisch, vom Tisch auf den Stuhl und von da aus Marie auf die Schulter. Die schrie laut auf. Der Affe aber nahm schnell das Stück Zucker aus der Hand und zog ihr zugleich eine Haarnadel aus dem Haar. Im nächsten Augenblick saß er schon, ehe Marie ihn greifen konnte, auf dem Büfett und fraß das Zuckerstück und grinste und kümmerte sich um nichts.

»Ih du Schlingel!« dachte Marie, »Wart, ich will dir helfen!« Mit diesen Worten eilte sie in die Küche und holte einen Besenstiel herauf, um den Affen zum Hause hinaus zu jagen. Kaum sah der Affe den Stock, so sprang er vom Büfett aus den Ofen, und als ihm Marie auch dort zu nahe kam, kletterte er hinter dem Ofen herunter, huschte unters Sofa und dann zur Tür hinaus und die Bodentreppe hinauf. Atemlos jagte Marie hinter ihm her, aber als sie oben ankam, saß der Affe schon auf einem Dachbalken und kratzte sich den Rücken und tanzte hin und her, und als Marie den Stock hob, nahm er ein paarmal seine Mütze ab und machte Diener. Das sah so drollig aus, daß Marie laut lachte, und der Affe sprang von einem Balken zum andern und turnte und machte seine besten Kunststücke, und Marie jagte lachend und pustend hinter ihm her. So spielten die beiden Kriegen miteinander, aber der Affe war der flinkste. In einer Bodenecke, wo alte Spielsachen lagen, fand er eine Puppe. Die nahm er auf den Arm, huschte wieder auf einen Balken, besah sie von allen Seiten, drückte sie, streichelte sie, gab ihr einen Kuß, zog ihr die Kleider aus, warf sie in die Luft und fing sie wieder und machte so viel Spaß, daß Marie gar nicht aus dem Lachen herauskam und rote Backen bekam. Je mehr sie aber den Affen jagte, um ihn zu fangen, desto flinker wurde er.

Da klang unten die Glocke. Sie warf den Stock hin, schloß die Bodentür und eilte hinunter. Ein fremder Mann stand vor dem Windfang, und draußen auf der Straße standen Knaben und Mädchen Kopf an Kopf und blickten durch die Haustürscheiben. was war denn da zu sehen? Sollte der Mann betrunken sein? – Er sah aus wie ein Orgeldreher. Als Marie ihm fünf Pfennige geben wollte, sagte er:

»Entschuldicken Sie! Ein kleines Affe is abgesprunge von die Orgel in die Garten. Darf ich in die Garten von dies Haus und suchen mein kleines Jocko?«

Was war das? Marie horchte auf. Dann war sicher der Affe oben auf dem Boden der gesuchte. Sie führte den Orgeldreher hinauf. Der rief: »Jocko! Jocko!« und der Affe kam sofort vom Balken herunter und sprang seinem Herrn auf die Schulter. Der nahm ihn unter den Mantel und bedankte sich vielmals, und die Kinder auf der Straße riefen »Hurra!« als sie Jocko wieder sahen, und der Affe wurde auf die Orgel gesetzt und mußte seine Kunststücke machen. Bald wurde ihm ein Apfel, bald ein Stück Brot zugeworfen, und Jocko schmauste sorglos, was ihm schmeckte, und wählte sich von dem vielen das Leckerste und Beste aus. Sowie aber ein Kind dem Orgeldreher Geld gab, mußte Jocko zum Dank dafür sein Käppchen abnehmen, und das sah so drollig aus, daß alle lachten und sich freuten und am liebsten in einem fort Geld auf die Orgel gelegt hätten, um den Spaß recht oft zu haben.

So war auch vorhin der Orgeldreher in der Straße gewesen, an welcher Wessels Garten lag. Da war eine große Dogge gekommen und hatte Jocko angebellt. Der war schnell auf den Kopf des Orgeldrehers gesprungen und dann auf einen Ast, der über die Gartenmauer ragte, von hier aus hatte er der wütenden Dogge seine Zähne gezeigt. Alle Kinder hatten darüber gelacht und der Orgeldreher auch, aber der hatte sich nicht viel um Hund und Affen gekümmert.

Jocko war dann in den Garten gelaufen und, da die Hoftür offen war, ins Haus gelangt.

Und jetzt saß er wieder ganz friedlich auf seiner Orgel und wußte wohl nichts mehr von der Angst, die er Marie gemacht, von den Scherben im Eßzimmer und von der Jagd auf dem Boden.

Und Marie ging hin und fegte die Scherben zusammen und dachte: »Was wird Frau Wessels sagen?« – – – – – –

Bild Theodor Herrmann


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