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Bild Theodor Herrmann

4. Was die Schneeflocken mir erzählten.

Es war Winter, und im dichten Wirbel taumelten die kleinen, weißen Vögelchen zur Erde hernieder. Immer dicker wurde die Schneedecke, immer lautloser die Welt, immer weicher wurden Baum und Strauch und Haus und Zaun eingehüllt und zugedeckt.

Durch den dicksten Schnee mußte ich hindurch, denn ich wollte Weihnachten daheim bei den Eltern unter dem alten, schiefen Strohdach in dem einsamen Bauernhause feiern. Als ich zuletzt da war, da brannte die Sonne vom Himmel herunter, daß die Luft glühte und zitterte über dem ausgedörrten, harten Lehmboden. Da hatte der weiße Storch, der in jedem Jahre zu seinem Neste, dicht hinter den beiden Pferdeköpfen oben an unserem Giebel, zurückkehrte, steif und unbeweglich auf einem Beine auf dem Dache gestanden und nicht einmal mit dem Auge geblinzelt – – – – –

Einen weiten Weg hatte ich noch vor mir, und ganz allein stapfte ich dahin. In der Ferne schrie eine heisere Krähe ihr »Raab! – Raab!« – Dann war wieder alles still. Oh wie weit, wie endlos groß und weit wird das Land im Schnee, und wie verlassen war ich in der verschneiten, einsamen Marsch!

Wenn mich jetzt meine Kräfte verließen, wenn ich jetzt müde würde und nicht weiter könnte! – Dann würde ich hinsinken und »nur für einen Augenblick« die Augen schließen, und der Schlaf würde kommen und mich in seine Arme nehmen, immer fester, immer enger, und der Frost würde kommen und mir ans Herz greifen und es leiser und immer leiser schlagen machen, und die Glieder würden steif und starr werden, und dann würde das Leben entfliehen, und die Schneeflocken würden mich begraben, und kein Mensch würde mich finden, und in dem einsamen Bauernhause da hinten würden zwei alte Leute sich die Augen aus dem Kopfe gucken und ein trauriges Fest miteinander verleben und in Angst und Sorge sein um mich.

Aber nein, ich war zu jung und kräftig und kannte den Weg und hatte ihn schon oft gemacht. Was brauchte ich also zu fürchten? Stürme nur, Wind! Wirbelt nur, ihr Flocken! Beiße nur, Frost! Mich sollt ihr nicht unterkriegen!

Hei, ist das ein Wetter. Das tanzt und flattert und taumelt und stürzt und weht um mich herum, daß einem ganz schwindlig davon werden könnte. Wie unzählige kleine Kobolde kreisen die Flocken durch die Luft und fallen überall hin auf meinen Hut, auf die Stiefel, auf den Mantel und eine sogar ins Gesicht. Ich klopfe mir den Schnee von den Ärmeln. Gleich sind sie wieder beschneit. Sieh, da schwebt eine ganz große Flocke gerade auf mich zu. Da ist sie, da liegt sie auf meinem Ärmel. »Ja, ja! nun ist deine Reise zu Ende – da bleibst du liegen und bist meine Gefangene und kannst deine lustige Reise durch die Luft nicht fortsetzen und mußt warten, bis ich dich abschüttle. – –

Das paßt dir wohl nicht? – Wirst gar nicht darum gefragt! Wo kommst du denn überhaupt her, du Vagabund und Luftschiffer? – Von dort oben? Freilich, ich sehe es ja! Von dort oben her, wo die Luft voll ist von grauem Wolkendunst. Und wenn ich dich lange genug betrachtet habe, lasse ich dich fallen und du sinkst zur Erde, wo alle deine Kameraden auch liegen. Und da bleibst du, tagelang, vielleicht auch wochenlang, vielleicht daß dich der Wind einmal wieder aufhebt und an eine andere Stelle weht – aber das ist schon unwahrscheinlich. Du wirst wohl liegen bleiben müssen, wo ich dich hinfallen lasse. Und dann kommt eines Tages der Tauwind und bläst dir warme Frühlingsluft ins Gesicht, bis du naß und immer nässer wirst und zuletzt vor Feuchtigkeit zergehst und als Tröpflein in die Erde sickerst. Dort kannst du dann dich nützlich machen und den Frost aus dem Erdboden vertreiben helfen oder ein schwaches Graswürzlein tränken und weiter rieseln, bis du irgendwo in einen Graben sinkst. Und ist dann der Sommer da, dann wirst du eines Nachts, wenn die weite Marsch schläft und nur die Frösche wachen und Konzert geben und nur die Eule mit den feurigen Augen lautlos über die Felder schwebt, als Dunst in die Luft steigen und über den Wiesen schweben, wie ein weißes Gespenst, das den Wanderer erschreckt, und wenn dann am Morgen die Sonne scheint, dann wird sie dich hoch hinauf bis zu den Wolken heben, und du wirst selbst solch eine kleine weiße Sommerwolke werden und durch die Lüfte schweben und tausend Dinge sehen und Lustiges und Trauriges, Schönes und häßliches ...«

»Ganz recht! Das alles ist uns wohl bekannt!« hörte ich da eine feine Stimme sagen. Erstaunt sah ich um mich herum. Aber ich war mutterseelenallein im Schneegestöber. »Wer hat da geantwortet?« fragte ich. »Wir! Wir!« riefen wohl hundert feine Stimmchen. – Da merkte ich, daß es die Schneeflocke auf meinem Ärmel war, von der die Antwort kam. Und wie ich halb verwundert, halb erschrocken die Flocke genauer besah, entdeckte ich viele kleine Gesichter, die mich anlachten und sich darüber freuten, daß ich sie mit meinen Menschenaugen erblickte. Also die Schneeflocken lebten? Sie bestanden aus vielen winzigen Kerlchen, die alle Welt für kalte, tote Eisnadeln hielt, für nichts als Eisnadeln, und die doch sprechen konnten und lachen, und die sich angefaßt hatten und alle hohe, spitze Hüte aus Eis auf dem Kopfe trugen?

Ja freilich, denen konnte ich wohl nichts Neues erzählen. Die mußten das ja alles viel besser wissen als ich selber.

»Hör mal, du, Mann!« rief mich ein feines Stimmchen. »Willst du uns einen Gefallen tun?«

»Gewiß, sehr gerne, wenn ich es kann,« antwortete ich.

»Dann sei so gut und bring uns an einen warmen Ofen, damit wir wieder zu Wasser werden und verdunsten. wir haben nämlich keine Lust, wochenlang hier zu liegen und nichts zu erleben, als daß die Krähen über die Felder fliegen, wir möchten wieder zu den Wolken und durch die Lüfte reisen. – Bist du uns gefällig, wollen wir dir auch von unseren Reisen erzählen.«

»Oh ja, ich will euch gerne mitnehmen,« antwortete ich. »Aber es ist noch weit, bis ich daheim bin und an den warmen Ofen treten kann.«

»Nun, wir wollen dir die Zeit schon verkürzen, hör nur zu!« – – – – –

»Im vorigen Winter fielen wir mit zahllosen Geschwistern mitten auf die Hauptstraße einer Bergstadt. Die Häuser standen alle in verschiedener Höhe, und die Menschen konnten in manchen Straßen in die Schornsteine anderer Häuser hineinsehen. Es hatte schon tüchtig geschneit, und alles war dabei, den Schnee auf die Seite zu bringen. Aber ich merkte bald, daß etwas ganz Besonderes in der Stadt passieren sollte, denn die Häuser wurden bekränzt und mit Fahnen und Tannenreisern geschmückt. vor vielen waren aus Schnee Mauern, Figuren und Denkmäler gebaut. Jung und alt war an der Arbeit. Dann und wann eilten ein paar Knaben um die Wette auf Schneeschuhen die Straße hinab, wie die Vögel flogen sie dahin, mit lautem Rufen sich die Bahn frei haltend.

Und richtig! Am andern Tage donnerten Kanonenschüsse, ein Musikkorps zog auf, und ein langer Festzug marschierte an uns vorbei. ›Es mögen wohl zweihundert Fremde hier sein,‹ hörte ich einen alten Mann zu seinem Nachbar sagen. Dann wards stiller um uns herum, hin und wieder fuhr ein Schlitten vorbei, ratterte ein Wagen dahin oder bellte ein Hund. Dann hörten wir plötzlich Hurra rufen. Die Musik spielte, und die Leute aus dem Festzug kehrten zurück. ›Die Rede war sehr schön!‹ – ›Ja, es stimmt, der Winter ist ebenso schön wie der Sommer.‹ – ›Jetzt fangen die Wettkämpfe an.‹ – ›Zuerst kommt der Schneeschuhlauf der Schulkinder.‹ – ›Dort oben am Kriegerdenkmal müssen sich alle aufstellen.‹ – ›Hans, eil dich! Es sind schon alle fertig!‹ – Aus all diesen, im Vorbeigehen gesprochenen Worten hörten wir, was vorgehen sollte.

Ein Mann mit einer großen Kuhglocke in der Hand drängte die herumstehenden an die Seiten der Straße, bis diese völlig frei geworden war. Wir hörten in der Ferne wieder die Musik spielen, dann donnerte ein Schuß, der von allen Bergen wiederhallte, und ›Sie kommen! Sie kommen!‹ riefen die Leute. Im nächsten Augenblicke sausten zwei Knaben an uns vorbei, daß wir aufsprühten von der Erde, und dann folgten eilig, hastend und rufend zehn, zwanzig oder auch dreißig Knaben und Mädchen. Alle im Wettlauf, alle auf Schneeschuhen, alle lange Bergstöcke in den Händen. Mehrere stießen mit ihren Rutschhölzern zusammen und mußten den Kampf aufgeben. Einige waren ungeschickt und stürzten, einer verlor sogar einen Schneeschuh und wurde letzter und wurde ausgelacht.

Wie der Blitz war alles vorbei. Und dann nach kurzer Zeit ein fernes, undeutliches Rufen und Schreien. Der Sieger kam zurück mit heißen Backen und leuchtenden Augen. Auf dem Kopfe einen Eichenkranz und in der Hand einen silbernen Trinkbecher. Alle jubelten ihm zu und winkten mit den Tüchern. Er war glücklich und eilte davon.

Und dann kamen vier Männer mit ernsten Gesichtern, die trugen schweigend einen Knaben ins Haus. Blutstropfen fielen in den Schnee. Man rief nach dem Doktor. Ein dicker, alter Herr, der eine goldene Brille trug, eilte ins Haus. Es entstand eine große Verwirrung. Alles schrie und fragte durcheinander, und es waren nur vereinzelte Worte, die wir hören konnten: – ›Gehirnerschütterung – dicht am Markt, – am Eckstein – er hätte sonst gesiegt – schade, schade! – Die arme Mutter – sie ist Witwe – der andere soll ihn gestoßen haben.‹ – Also er war gestürzt. Durch eigene Schuld? – Durch fremde? – Ja, das wußte niemand als nur er selber.

Endlich kam der Doktor wieder heraus. Von allen Seiten wurde er befragt. ›Nein, nein!‹ hörten wir ihn sagen, ›das wird alles wieder gut! – Nur keine Sorge!‹

Und dann zog alt und jung zur Stadt hinaus zu den Hauptwettkämpfen.«

* * *

»Als ich im vorigen Winter vom Himmel fiel,« begann eine andere Flocke zu erzählen, »war es noch dämmeriger Morgen, und es hatte die ganze Nacht über geschneit. Als dann die Straßenlaternen ausgelöscht wurden, und die Kinder zur Schule gingen, trat aus der Haustür, vor welcher ich niedergefallen war, ein kleiner Junge, der blieb mit offenem Munde in der Türöffnung stehen und schrie laut auf, als er uns sah: ›Oh, was für ne Masse Schnee!‹ – Seine Augen leuchteten, seine Nacken wurden noch frischer, und mutig trampelte er in die weiße Decke, die wir über die Erde gedeckt hatten, mit seinen Stiefeln Löcher. ›Oh, was für ne Masse Schnee!‹ rief er vergnügt und nahm beide Hände voll und machte einen Schneeball, und als er vor das Nachbarhaus kam, duckte er sich nieder und wartete. Dann öffnete sich auch dort die Haustür, und gleich flog der weiße Ball hinein. Aber er hatte nicht seine kleine Schulfreundin, wie er wollte, getroffen, sondern Tell, den Hund. Der fuhr nun zur Tür hinaus und bellte, so laut er konnte, und der kleine Junge hinter dem Staket sprang auf und lief rasch davon. Kaum hatte aber Tell ihn gesehen, sprang er hinterher und bellte aus lauter Freude in einem fort. Ja, das war nur Spaß, aber der kleine Junge glaubte, es sei Ernst, und lief schreiend in den dicksten Schnee hinein. Er stolperte, schoß kopfüber und war im Augenblick zu einem Schneemanns geworden. – Oh, wie sah der Junge aus! Oh, wie lachte das Mädchen! Oh, wie bellte der Hund!«

* * *

»Ich,« begann die dritte, »war gerade auf ein Stück Apfelsinenschale, welches mitten auf dem Trottoir lag, gefallen, und es war nach einigen Augenblicken ganz von uns bedeckt. Eine alte Großmutter humpelte an einem Stocke daher. Sie trug einen Korb im Arme und sah vor sich nieder. Aber das Stück Apfelsinenschale sah sie nicht. Sie trat darauf, rutschte aus und fiel in den Schnee. – Die arme Großmutter! Sie war zu alt und zu hilflos, um allein aufstehen zu können. Zwei Männer kamen sogleich über die Straße gesprungen, hoben die alte Frau auf und brachten sie in das Haus hinein. Eine Viertelstunde mochte vergangen sein, da kam der Krankenwagen gefahren, die alte Großmütter wurde hineingetragen und zum Krankenhause gefahren. ›Der Fuß ist gebrochen,‹ sagte einer der zwei Männer im Weggehen.«

* * *

»Auch ich,« erzählte eine andere, »war auf ein Trottoir gefallen, ein kleiner Knabe kam daher gesprungen und sagte immer für sich mit lachenden Augen: »Für 10 Pfennig Sirup und ½ Pfund Schmalz! Für 10 Pfennig Sirup und ½ Pfund Schmalz! Ja, er wollte nicht vergessen, was er holen sollte. So lief er einige Häuser weit bis zum Laden eines Krämers. Aber er kam bald weinend wieder heraus. ›Mein Geld! – Mein Geld!‹ – Seine Augen suchten überall im Schnee. Er fand es nicht wieder. Ach, wenn ich es ihm doch hätte sagen können, wo es hingefallen war, denn ich hatte es wohl im weichen Schnee in meiner Nähe liegen sehen.

Er suchte und suchte vergebens. Endlich ging er nach Hause. Dann kam er mit seiner großen Schwester, die ihn an der Hand führte, wieder. – ›Willi, du hättest es fester halten sollen!‹ hörte ich sie sagen. Sie gingen noch einmal bis zur Ladentür des Krämers. Dann kehrten sie um. – ›Nun werden wir wohl unser Brot trocken essen müssen! Es war Mutters letzte Mark,‹ sagte die Schwester traurig.«

* * *

»Trug die Schwester nicht ein rotes Tuch um die Schultern, und hatte der kleine Knabe nicht eine Mütze aus Fuchspelz auf dem Kopfe?« fragte eine andere Schneeflocke. – »Jawohl!« – »Dann habe ich auch in deiner Nähe gelegen und alles mit angesehen, was du uns soeben erzählt hast, weißt du denn auch,« fuhr sie fort, »wo das Geldstück hingekommen ist?« – »Nein?« – »Es lag unter uns, bis Tauwetter kam. Da wurden wir zu Wasser, und das Markstück lag offen vor jedermann. Ein Dienstmädchen kam mit einem Besen aus dem Hause und fegte den letzten halbgetauten Schnee fort und stieß das Geldstück in die Gosse.

Dann kamen die Straßenfeger. Einer von ihnen sah die Mark liegen, ein anderer auch, beide griffen in demselben Augenblicke zu, sie stießen mit den Köpfen zusammen, jeder wollte es haben, sie zankten sich, bis einer von ihnen, ein alter Mann mit weißem Haar, es ergriff. Aber der jüngere war nicht damit zufrieden. Sie stritten hin und her. Der Alte schlug vor, es zu teilen. Der andere wollte es ganz haben und gab sich nicht eher zufrieden, bis der Alte mit ihm zur nächsten Schenke ging und es dem Wirte für Branntwein oder Bier gegeben hatte.

Nach geraumer Zeit kamen sie beide mit rotem Kopfe und laut lachend und lärmend wieder heraus.« – –

* * *

»Da habe ich etwas Schöneres gesehen,« fuhr eine andere fort. »Ich war an ein Fenster geweht, dessen eine Scheibe mit Papier verklebt war, weil sie jemand zerbrochen hatte. Drei Kinder waren in der Stube. Sie spielten Weihnachten. Ein kleines Zweiglein war der Baum, es war in einen mit Erde gefüllten Blumentopf gesteckt. Ein Mädchen schnitt Sterne aus Zeitungspapier und hing sie daran. Ein Licht war auf eine Schwefelholzschachtel festgetröpfelt, eine Nuß und ein Käks wurden auch in den Baum gehängt. Ihre Spielsachen stellten sie um den Blumentopf herum. Der kleinste Junge mußte sich auf zwei Stühle legen und tun, als ob er schliefe. Dann wurde das Licht angesteckt, dann wurde er geweckt, und dann lachten alle und sangen:

Stille Nacht, heilige Nacht.«

* * *

»Ach, ein Weihnachtsfest habe ich auch schon einmal erlebt, aber ein richtiges und ein viel prächtigeres,« zählte die nächste. »Ich war in den Vorgarten eines reichen Hauses gefallen, und als die Dunkelheit kam und alle Laternen brannten, wurden drinnen im Hause die Fenster hell. Da hielt vorm Hause eine Droschke. Zwei Mädchen, gleich groß, sprangen heraus. Ach, wie glücklich und niedlich sahen sie aus! Beide in schneeweiße Pelzmäntel gehüllt, beide mit gleichen weißen Mützen, mit gleichlangen Ringellocken im Nacken und beide mit den gleichen, großen, lachenden Augen. Eilig gingen sie zur Großmutter ins Haus. Noch mehrere andere Droschken hielten. Eine ganze Anzahl Kinder und Erwachsene kamen zu Besuch. Dann war alles stille, bis wir Musik hörten. Ein junges Mädchen sang ein Weihnachtslied. Da kam der Wind und wollte mitsingen und wehte uns mit Macht gegen die Fenster. Ich hielt mich an einer Sprosse fest und sah durch die Scheiben. Ein Tannenbaum, der bis zur Decke reichte, mit Gold und Flitter bedeckt, mit Marzipan und Zuckersachen behangen, mit Schneeflocken auf den Zweigen, mit hundert Lichtern und Gold- und Silberkugeln. Ein langer Ausziehtisch war mit Geschenken vollgepackt. Die beiden Zwillinge, die ich vorhin hatte hineingehen sehen, standen beieinander und zeigten sich ihre Puppen. Ein kleiner, niedlicher Knabe war wie ein Soldat angezogen und saß auf einem Schaukelpferde.

Überall fröhliche Gesichter, aber das glücklichste Gesicht hatte doch die alte Großmutter, die im Lehnstuhl dicht beim Baume saß.«

Still hatte ich zugehört, was die Schneeflocken mir erzählten. Der weite Weg über die einsame Marsch war mir kurz geworden. Jetzt war ich am Ziele. Vor mir lag ein niederdeutsches Bauernhaus. Pluto bellte mir entgegen, Hühner gackerten, Kühe brüllten, Pferde stampften im Stalle, und über die Diele zog blauer Torfqualm, der vom Herde aufstieg.

Der Schnee am Mantel begann zu schmelzen. Ich klopfte ihn ab. Ein großes Stück tauenden Schnees fiel ins Feuer, es zischte laut aus, und ein dünnes, weißes Wölkchen von Wasserdampf mischte sich mit dem bläulichen Torfqualm. Na, nun ist euer Wunsch ja erfüllt, dachte ich, nun könnt ihr wieder durch die Luft segeln, wie ihr es so gern tut, und über die Lande fliegen!

Ob ich euch noch einmal begegnen werde? – Ob ihr mir noch einmal als Schneeflocken Geschichten erzählen werdet? –

Bild Theodor Herrmann


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