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Bild Theodor Herrmann

5. Die verzauberte Insel und wie ich erlöst wurde.

Wir hatten Zeugnisse bekommen und Ferien dazu. Und mein Zeugnis war gut ausgefallen, und der Vater war zufrieden, und die Mutter hatte mir ein paar Äpfel gegeben, und fröhlich sprang ich zur Hoftür hinaus in den Garten und klinkte die Pforte auf und stand auf dem Walle.

Gleich hinter unserm Hause zog sich wie ein großer Garten der Wall um die Stadt herum. Und wenn man ihn zu Ende gehen wollte, kam man wieder da an, wo man fortgegangen war. Er hatte gar kein Ende. –

Aber schön war er! Da gab es dichte Gebüsche mit Vogelnestern und tausend Verstecken, da gab es hohle Bäume mit Eulen- und Krähenhorsten. Da gab es im Sommer Kirschen und im herbste Holzäpfel und Mehlbirnen. Da war auch auf einem Berge die Mühle, in welcher es des Abends spukte, und dicht bei der Mühle ein unterirdischer Gang, worin in alter Zeit schreckliche Dinge passiert waren.

Auf dem Walle kamen wir zusammen bei Sonnenschein und Regen, im Sommer und Winter. Da spielten wir Räuber und Soldaten und Kriegen und Verstecken. Da suchten wir im Herbste, wenn der naßkalte Novembersturm über die Stadt raste, wenn das bunte Laub abgefallen war und an der Erde verfaulte und alle Zweige so regenschwer und regennaß abwärts hingen, alle Taschen voll abgewehter Eicheln und Kastanien zum Spielen. Dort kannten wir jeden Strauch und Baum und jeden Schleichweg durch die Büsche. – – –

Wie ich so stand und überlegte, was ich anfangen sollte, kam Willi Thieß daher. Das war mein bester Freund. »Wollen wir Ratten jagen?« fragte er mich mit großen Augen. »Oh ja!« rief ich, und wir liefen beide in Sprüngen zum Stadtgraben hinab. Der stand um die Stadt herum wie der Wall und hatte breites, tiefes, schwarzes Wasser und Entenhäuser in seiner Mitte, und Schwäne schwammen einsam auf ihm herum, und in seinen zahllosen Uferlöchern wohnten häßliche, dicke, graue Ratten.

Auf die Ratten machten wir oft Jagd, denn keiner von uns konnte sie leiden, wie manchesmal hatten wir es schon gesehen, daß solch dicke Ratte fast ganz unter dem Wasser bis in die Mitte des Stadtgrabens schwamm, wo eine Entenmutter mit ihren gelben Küchlein nichts Böses ahnend herumruderte, plötzlich begann dann eins der Kleinen zu schreien und vor den Augen der angstvollen, ratlosen Mutter zu verschwinden. Die Ratte hatte es von unten an einem Beine gefaßt und zog nun das hilflose Tier solange unter Wasser, bis es erstickt war. Dann wurde es ans Ufer gezogen und angefressen.

Ja die Ratten! Das sind widerliche Tiere! Wie manches Entlein mußte ihnen wohl im Sommer sein Leben lassen. Und so wütend waren wir auf die Frechen, daß wir sie unbarmherzig mit Steinen bewarfen, wo sie sich nur blicken ließen. – –

Bild Theodor Herrmann

Wir suchten uns glatte Kieselsteine, die auf den Wegen lagen, und schlichen dann bis zum Graben. Aber keine Ratte war zu sehen. Dicht am Wasser stand eine Bank zum Ausruhen. Darauf setzten wir uns und warteten. Uns gerade gegenüber lag mitten im Graben eine Insel. Das war die verzauberte Insel, wildes Buschwerk wuchs überall üppig hervor, so daß von ihrem Boden nichts zu sehen war. Große, breitkronige, tiefschattige Bäume standen darauf und in der Mitte ein altes, halbverfallenes Haus mit wunderlichem, moosbewachsenem Dach; das nannten alle Kinder weit und breit »das Schloß«.

Lautlos wartend und horchend saßen wir auf der Bank und sahen hinüber zu der verzauberten Insel. Der Wind wehte durch die Äste der Bäume und flüsterte mir eine lange Geschichte zu von der verwunschenen Prinzessin, die im Schlosse auf der Insel gefangen gehalten wurde, und von dem bösen Zauberer, der sie bewachte. Das Licht der Sonne drang durch die windbewegten Zweige und warf helle, huschende Lichtflecken bald hier- bald dorthin. Ein Schwan kam geschwommen, aber als er in die Nähe der verzauberten Insel kam, drehte er kurz um und schwamm davon, warum tat er das? War der böse Zauberer durch die Luft von seiner Reise zurückgekommen? Fürchtete er, daß die schöne Prinzessin auf dem weißen Schwane entfliehen könnte? Aufmerksam sah ich in jede Blattlücke, ob auch irgendwo das Gesicht des Zauberers oder das liebliche der Prinzessin zu sehen wäre. Aber nichts Lebendes war zu bemerken. Und als nun der Wind plötzlich aufhörte zu wehen, da lag die ganze Insel mit ihrem Blättergewirr und dem steinernen Schloß wie tot und starr in lautloser Stille vor uns. Und wir sahen uns an und erschraken, und ich glaubte schon, der Zauberer würde uns erblicken und auch verwünschen, da flüsterte Willi Thieß mir zu: »Du, da ist jemand auf der Insel.« – »Wo? Wo?« fragte ich und merkte, wie mir ein Schauer über den Rücken lief. Willi Thieß zeigte nach einer Stelle unten am Wasser. Was war das? Was war das? Regte sich da nicht etwas? Bewegte sich nicht ein Zweig? War das ein Menschengesicht? – Langsam und leise schob sich durch die über das Wasser hängenden Zweige ein Boot, und gebückt in demselben stand ein Mann, der mit einer langen Stange das Boot vorwärts stieß, war das der Zauberer? – Nein, das konnte er doch nicht sein, der sah ja aus – wie – – –

Bild Theodor Herrmann

Nein, es war nur ein Wallarbeiter. Oder hatte sich der Zauberer in einen Arbeiter verwandelt, um uns zu täuschen? – Verwandeln kann sich ja ein Zauberer. »Jawohl,« sagte Willi Thieß leise zu mir, »der Zauberer kann sich sogar in ein Tier verwandeln, auch in eine Ratte. Und wer dann die richtige Ratte fängt, der erlöst die Prinzessin in dem Schloß, und die ganze Insel verwandelt sich, und er wird unermeßlich reich und heiratet die erlöste Prinzessin und wird ein König.«

»Oh, laß uns hinüber! laß uns hinüber!« flüsterte ich ihm erregt zu. »Wir wollen alle Ratten auf der Insel totwerfen, dann ist sicher auch die richtige dabei, und wir erlösen die Prinzessin und werden Könige, alle beide!«

Inzwischen hatte der Mann im Boot dieses zu uns herüber gelenkt. Er stieg dicht vor uns aus, ließ Boot und Stange liegen und ging mit langsamen Schritten auf dem Wege dahin, dem Torhause zu.

Wir aber standen und sahen ihm nach und sahen dann wieder das Boot an und zur Insel hinüber. Kaum war der Wallarbeiter im Torhause verschwunden, so jauchzte ich laut auf. Jetzt hatten wir ja die beste Gelegenheit, auf die verzauberte Insel zu kommen. Aber allein konnte ich es nicht wagen, hinüber zu rudern, wenn ich nun in Gefahr geriet? Willi Thieß mußte mit. Er war auch gleich bereit, wir stiegen ein, Willi ergriff die Ruderstange, stieß kräftig ab, und lautlos glitt das Boot über das regungslose Wasser der nahen Insel zu. Ich aber stand vorn im Schiff und spähte scharf in das Buschwerk.

Noch ein Stoß, und wir hatten den Graben überquert, und die Spitze des Bootes stieß ans Ufer der verzauberten Insel. Einen Augenblick standen wir beide mit Herzklopfen beieinander, irgend etwas raschelte im trocknen Laub ganz leise, so daß es kaum zu hören war – – –

»Bleib du im Boot und halte Wache!« rief ich meinem Freunde zu und stieg entschlossen ans Land. Kleine trockene Zweiglein knackten unter meinen Tritten, trotzdem ich so sorgfältig wie möglich einen Fuß bedächtig vor den andern setzte. Geradeaus durch das Buschwerk schlich ich, um auch gut den Rückweg finden zu können. Scharf spähte ich umher, aber nichts Auffälliges konnte ich bemerken. Da sah plötzlich die Mauer des Schlosses durch die Zweige. Jetzt hieß es aber vorsichtig sein. Jeden Augenblick konnte der Zauberer hervortreten und mich gefangen nehmen.

Bild Theodor Herrmann

So leise wie möglich umschlich ich das Schloß. Kein einziges Fenster war in seinen Wänden. Die Tür, eine dicke, plumpe, grüngestrichene Tür war der Eingang. Ob sie zu öffnen war? Überlegend stand ich davor. Sollte ich auch lieber zurückkehren? Wenn nun ein Drache oder Löwe hinter der Tür lauerte und sich auf mich stürzte, sowie ich den Drücker berührte? –

Aber nein! Ich wollte doch nicht feige sein. Und wenn ich auch verzaubert würde, Willi Thieß, der würde mich sicher erlösen. Ich klopfte an die Tür. Nichts rührte sich drinnen. Ich klopfte stärker und legte meine Hand auf den Griff. Ärgerlich knurrend öffnete sich die schwere Tür. Die Haare stiegen mir zu Berge, die Knie zitterten, die Augen versuchten durch den engen Spalt zu sehen. Tiefstes Dunkel füllte das fensterlose Schloß. Und als sich noch immer nichts regte und bewegte – alles mußte wohl verzaubert sein – da faßte ich mir ein Herz und riß mit einem starken Ruck die Tür sperrangelweit auf.

Zuerst sah ich nichts als völlige Dunkelheit. Meine Augen mußten sich erst daran gewöhnen, und dann konnte ich nach und nach einige Gegenstände unterscheiden. Dicht hinter der Tür lehnte an der Wand eine alte Baumleiter. »Du bist gewiß auch ein verzauberter Mensch!« dachte ich bei mir und besah sie prüfend, ob auch ein Gesicht an ihr zu bemerken war. Aber was war denn das, was da bei der Leiter an der Erde lag? War das nicht ein kostbarer Königsmantel? – Ich trat einen Schritt näher. Nein, es waren auf einen Haufen geworfene trockene Zweige. Aber dort in der andern Ecke? Waren das nicht zusammengeringelte Schlangen? Noch einen Schritt wagte ich mich vorwärts und stand nun mitten in dem verwunschenen Schlosse, was wie Schlangen aussah, waren Stricke und Taue. An den Wänden hingen lange Spinnengewebe herab. Alles war voll Staub und Schmutz. Alte Bretter lagen umher und vertrocknetes Laubwerk. Und in der fernsten Ecke stand ein schwarzes Gestell. Was mochte denn das sein? Ich besah und befühlte es. Wo hatte ich doch das Gestell schon gesehen? Plötzlich fiel es mir ein. Ein Mann war vor ein paar Wochen im Stadtgraben ertrunken, und als man ihn aus dem Wasser gezogen hatte, da war er auf dieses Gestell gelegt und davongetragen worden. Dies Gestell war die Totenbahre. Da faßte mich das Entsetzen. Ich taumelte rückwärts zur Tür hinaus. – – – In demselben Augenblicke hörte ich einen lauten Warnungsruf. Galt der gellende Schrei mir? Vielleicht kam der Zauberer durch die Luft geflogen. Mit äußerster Vorsicht schlich ich zurück zur Landungsstelle. Aber – das Boot war nicht da. Es lag am anderen Ufer, und Willi Thieß stand in seiner Nähe und winkte in einem fort mit der Hand. Und im nächsten Augenblick trat der Wallarbeiter ins Schiff und ruderte es zum Torhause.

Oh Gott! Nun war ich verloren. Nun war alles aus. Gefangen! Und Willi Thieß? Warum hatte er das getan?

Kaum war der Wallarbeiter verschwunden, als ich aus dem Gebüsche trat und Willi anrief. Er war auch ganz ratlos. Um besser Umschau halten zu können, hatte er das Boot wieder zum andern Ufer gesteuert und dort Wache gehalten. Aber da er mehr nach der Insel als auf den Weg geblickt, hatte er den herankommenden Wallarbeiter erst im letzten Augenblick bemerkt und nichts anderes mehr tun können, als aus dem Boote zu springen und mich zu warnen.

»Daß du mir keinem etwas davon sagst, daß ich hier gefangen bin!« rief ich ihm zu und trat ins Gebüsch zurück, um von niemandem gesehen zu werden.

Ratlos durchstreifte ich noch einmal die Insel, um irgendwo eine Gelegenheit zum Fortkommen zu finden. Aber es war vergebens, Fast ohne es zu wollen, kam ich wieder zum Schloß zurück. Ein neuer Schauder faßte mich, als ich an die Totenbahre dachte; aber zugleich fiel mir auch der Haufen zusammengelegter Taue ein. Gott sei Dank, daß ich die gesehen hatte! Jetzt hatte ich doch ein Rettungsmittel. Ich überwand mein Grauen und raffte schnell zusammen, was ich an Stricken fassen konnte, nahm das dicke Bündel Taue auf die Arme und ging zum Ufer zurück, wo Willi Thieß noch immer getreulich wartend stand. Er begriff sofort meinen Plan. Ich wollte ihm ein Ende des Taues zuwerfen. Das sollte er an einem Baume festbinden, ich wollte mit dem anderen Ende dasselbe tun und dann, an dem Taue hängend, mich über das Wasser hangeln. Wenn nur der Strick lang genug war. Ich warf das eine Ende in weitem Bogen über das Wasser. Es fiel mitten in den Graben. Ich versuchte es wieder und wieder, es nutzte nichts, meine Kraft reichte nicht aus. Endlich gab ich es auf. –

Es blieb mir wohl nichts anderes übrig, als hinüber zu schwimmen. Aber ob ich mit dem Zeuge so weit schwimmen konnte? Was würde die Mutter für einen Schreck bekommen, wenn sie meinen durchnäßten Anzug bemerkte. – Ja, aber es war wirklich das einzige, was mir übrig blieb.

Ich machte Willi Thieß Schwimmbewegungen mit den Armen vor, um ihm meinen Plan mitzuteilen, aber er schüttelte energisch mit dem Kopfe und rief mir zu: »Du mußt dir ein Floß bauen! Stricke hast du, jetzt mußt du Bäume fällen!« – Ja, ich hatte ja aber keine Axt? – Ob im Schloß – – ? Ich eilte durch die Büsche, die grüne Tür stand noch offen. Aber nein, in dem dunklen Raume, wo riesige Spinnennetze überall in den Ecken hingen, wo es so muffig roch, wo die Totenbahre stand, wo sicher die widerlichen Ratten hausten, nach einer Axt suchen, das konnte ich nicht. Lieber hinüberschwimmen.

Wie ich wieder zum Ufer zurückkam, empfing mich ein lautes Freudengeschrei. Wohl zehn Spielgefährten, die ich alle kannte, standen bei Willi Thieß, der ihnen von unserm Abenteuer erzählt hatte. Sie winkten mit den Armen und trösteten mich und versprachen, mir zu helfen. Im Kreise setzten sie sich alle am Wege nieder und hielten Kriegsrat. Wenn ich doch hören könnte, was da gesprochen wurde!

Wohl eine Viertelstunde mochte ich gewartet haben, da standen alle zu gleicher Zeit auf, winkten mit der Hand, riefen mir ein paar Worte zu, die ich nicht verstand, und liefen eilig auf dem Wege davon. Auch Willi Thieß.

So! Nun war ich ganz allein. Jetzt erst fühlte ich die Einsamkeit der verzauberten Insel. So unheimlich still wars ringsumher. Schlich da nicht etwas heimlich durch die Büsche? Flüsterten da nicht Stimmen? Regungslos saß ich unter dichten Zweigen verborgen und wagte kaum zu atmen. Die Minuten schlichen dahin. Oh, wie lang wurde mir die Zeit! – – –

Auf dem Wege gegenüber fuhr ein Mädchen ihre Puppe spazieren. Dann kam nach einer Viertelstunde ein alter Mann, der sich vorsichtig auf einen starken Spazierstock im Gehen stützte. – In der Ferne rollten Wagen. Kinder lachten und lärmten. Eine Frau rief: Hein–rich! Hein–rich! – War das die Mutter? – Ein lautes Peitschenknallen. Rädergepolter. Enten schnattern da hinten auf dem Graben. Ein Fisch schnellt aus dem Wasser und ist im nächsten Augenblick wieder in der Tiefe verschwunden. Vom Turme schlägt es sechs Uhr. Hein–rich! Hein–rich!! – Das ist die Mutter. Sie ruft mich zum Kaffee. – – –

Ein lauter Pfiff gerade von gegenüber. Da ist Willi Thieß wieder. Ich richte mich auf. »Du mußt warten, bis es dunkel wird, dann wollen wir dich retten!« rief er mir zu. »Wie wollt ihr das denn machen?« frage ich, aber er ist schon wieder auf und davon.

Wieder bin ich allein. Wie langsam geht die Zeit hin, wie lang–sam! Ach, wenn es doch erst dunkel wäre, aber es dämmert kaum. Der Himmel bedeckt sich mit Wolken. Es fängt an zu tropfen. Ein paar Kindermädchen haben Wachstuchdecken über ihre Wagen gelegt und fahren rasch nach Hause. In der Ferne spielen Mädchen Kreis: »Es war einmal ein Mann, es war einmal ein Mann, es war einmal ein Mi–Ma–Mann, Mi–Ma–a–Mausemann – – –« plötzlich bricht das Singen ab. Es regnet stärker.

Immer noch allein. Alle Zweige sind naß und lassen bei der geringsten Bewegung Schauer von dicken, kalten Tropfen fallen. Da flammt in der Ferne die erste Straßenlaterne auf. Es wird dunkel. – – –

»Hein–rich! Hein–rich!« ruft eine Frau weit weg. Ach Gott, wenn meine Mutter wüßte! – – –

Mein Zeug wird naß, trotzdem ich so geschützt stehe, haben mich alle verlassen und vergessen? –

Vom Turme schlägt es sieben Uhr. Nichts regt sich mehr auf dem Walle. Nur weit weg hört man noch die Geräusche der Stadt. – – –

Aber was war das? Ganz in meiner Nähe ein leiser Pfiff! – Wer hat da vom Schlosse her gepfiffen? Eine furchtbare Angst erfaßt mich. Wenn nun doch der Zauberer nach Hause gekommen wäre! Da sah ich etwas Schwarzes sich durch die Büsche schleichen, gerade auf mich zu kommt es. – Laut schreie ich auf. Gellend und kreischend in höchster Angst tönt mein Schrei durch die Stille der Insel. »So, da bist du!« sagte die schwarze Gestalt zu mir und steht nun neben mir, und im nächsten Augenblicke bin ich voll ungemessener Freude und falle der schwarzen Gestalt um den Hals vor lauter Jubel, denn es ist Willi Thieß. Und er nimmt meine Hand und zieht mich durch die Büsche nach der andern Seite der Insel, und da liegt ein Schiff, ein richtiges, großes, langes, schwarzes Boot, wie es die Wallaufseher gebrauchen. Und ich steige mit ihm hinein, und wir fahren auf dem Wasser dahin ganz lautlos und leise, und das Herz klopft mir vor Freude, und kein Wort vermag ich zu sprechen, und Willi lenkt das Schiff gerade auf das Torhaus zu, und hinter demselben stoßen wir ans Land und springen eilig hinaus. Er zieht das Schiff auf den Sand und kettet es leise fest, und auf den Zehenspitzen schleichen wir über den Hof und klettern über ein Staket und stehen auf der Straße und laufen, so rasch es geht, davon.

Natürlich rufen wir die andern. Ach, machten die verdutzte Gesichter, als sie uns plötzlich erblickten! Ganz genau mußte Willi Thieß uns erzählen, wie er es angefangen hatte. »Willi! Ich schenke dir auch mein Briefmarkenalbum!« rief ich ihm voll Dankbarkeit zu, als er geendigt hatte.

»Sag mal, mein Junge, kommst du eigentlich gar nicht wieder ans Haus?« fragt da auf einmal eine tiefe Stimme neben mir. Der Vater wars. – Ich bekam einen roten Kopf und stotterte! »Ach, Vater, sei nicht böse, ich konnte nicht früher kommen.« »So?« sagte er, »ihr habt wohl wieder Indianer gespielt? Ja, dabei vergeßt ihr immer die Zeit.« Ich drückte seine Hand und schmiegte mich an ihn und ging mit ihm nach Hause.

Die ganze Nacht träumte mir von der verzauberten Insel. – – – –

Ob sie wirklich verzaubert war? –

Bild Theodor Herrmann


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