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Die Zahlen und die Nullen

Es war einst eine Frau, die hatte viele Töchter und Stieftöchter; neun Töchter, und ich weiß nicht genau, wie viele Stieftöchter. Die Töchter waren klug, aber die Stieftöchter waren dumm und plump und hatten weder Köpfe noch Füße, nur einen runden, hohlen Leib, und glichen sich alle wie ein Ei dem anderen.

Die Töchter waren die Zahlen und die Stieftöchter die Nullen. Die Zahlen, die sich für sehr gescheit und sehr hübsch hielten, verachteten die Nullen und behandelten sie schlecht; deshalb gilt es auch heutigentags noch für eine Beleidigung, wenn man jemanden eine Null nennt.

Die Nullen waren geduldig und ließen sich von ihren Stiefschwestern alles gefallen.

Einst wurde die Mutter krank, und da rief sie alle ihre Töchter herbei und sagte ihnen: »Ihr Zahlen und ihr Nullen, seid einig untereinander, vertragt euch und trennt euch nie. Gehet hinaus unter die Menschen, sie werden euch brauchen, und wenn ihr klug seid, so könnt ihr die ganze Welt beherrschen. Aber ihr Zahlen, verachtet die Nullen nicht mehr! Denn nur durch sie könnt ihr groß und mächtig werden.«

Die Sieben, die ein gar sehr böses Ding war, die schlimmste von den Schwestern, rümpfte bei diesen Worten der Mutter ihre Nase, die fast einem Elefantenrüssel glich, zupfte ihre Schwester, die Acht, am Aermel und flüsterte ihr zu: » Man merkt's gleich, daß die alte Frau schwach geworden ist und im Sterben liegt; ich möchte auch gern wissen, wie so eine dumme Null uns jemals zur Größe verhelfen soll!«

Dabei warf sie den armen Nullen, die zusammengedrängt und traurig dastanden, einen verächtlichen Blick zu. Und dann starb die Mutter.

Nun wohnten die Töchter beisammen, trugen Trauerkleider um ihre Mutter und führten gemeinsame Wirtschaft. Den Nullen ging es nun sehr schlecht, noch schlechter als früher. Es gab viel Streit und Zank zwischen den Schwestern: jede wollte recht haben und den anderen befehlen, und keine wollte sich befehlen lassen.

Eines Tages, da sie sich eben wieder lange gestritten hatten, trat die Eins, die älteste von den Schwestern, vor, rückte sich ihre spitzige Mütze, die sie für gewöhnlich trug, auf dem Kopfe zurecht, streckte sich auf ihrem einzigen Bein hoch in die Höhe und sagte: »Hört einmal, so kann es doch nicht fortgehen, daß wir immer zanken und streiten. Eine muß doch die Aufsicht über die anderen führen, und da ich einmal die Aelteste von euch bin, so werde ich das Regiment übernehmen, und ihr werdet mit mir zufrieden sein.«

Da lachte die böse Sieben höhnisch und rief: »Ei, wie bescheiden, ein schönes Regiment! Nein, zum Regieren passe ich am besten, ich bin die Klügste von euch, und aufs Alter kommt's gar nicht an.«

Nun war der Streit schon wieder fertig. Jede wollte das Regiment führen, und keine wollte gehorchen.

Nur die Drei, die von Gemüt die beste war, schwieg still.

Wie die Sieben einsah, daß sie nicht zum Regieren kommen konnte, sann sie eine andere Bosheit aus und sagte: »Nun weiß ich, wie wir Frieden bekommen, wir jagen die Nullen fort, denn die dummen Dinger sind uns überall im Wege, die müssen fort!«

Die Drei, die bisher still gewesen, rief bei diesen Worten mit ihrer sanften Stimme: »Ei, du böse Sieben du! Weißt du nicht mehr, was die Mutter uns gesagt hat? Und was soll denn aus den armen, stummen, dummen Nullen da draußen in der bösen Welt werden?«

»Ei, seht die liebe Einfalt!« spottete die Sieben, »kann sie nun auf einmal reden? Kommt, ihr Schwestern, hört nicht auf die Betschwester, packt alle mit an und laßt uns die Nullen zum Hause hinauswerfen.«

So stachelte die böse Sieben ihre Schwestern mit allerlei Reden auf und schrie so sehr, daß sie die sanfte Stimme der Drei übertönte. Endlich lief sie auf die armen Nullen los, ihr böses Beispiel steckte die anderen auch an, und so griffen alle zu und warfen die Nullen zum Hause hinaus.

Nun schlossen sie die Tür zu; die Sieben guckte durchs Schlüsselloch, bis sie sah, daß die Nullen fortgegangen waren, dann war sie froh und guter Dinge, und die Zahlen dachten, nun ginge die gute Zeit an.

Aber die gute Zeit ging immer noch nicht an, es gab nichts wie Zank und Streit, und eigentlich war es immer nur die bitterböse Sieben, die ihre Schwestern ärgerte und den Streit anfing.

Die Drei kränkte sich am meisten bei diesem Leben. Sie liebte den Frieden und hatte ein gutes Herz. Sie dachte immer an die Nullen, ihre Stiefschwestern, die draußen in der Welt umherliefen.

Endlich kam sie auf den Gedanken, von ihren Schwestern heimlich fortzugehen, die Nullen aufzusuchen und zu sehen, was aus ihnen geworden war.

Einmal in der Nacht, da die Zahlen schliefen, stand die Drei auf, band ihr schwarzes Mäntelchen um und ging ganz sachte zum Hause hinaus.

Sie ging weiter und weiter und guckte überall umher, ob sie die Nullen nicht finden könne, aber sie fand sie nirgends. Die Leute, die nun kamen, guckten die Drei an, und weil es bloß die Drei war, nahmen sie sich kaum die Mühe, sie zu grüßen.

Die Drei fragte viele Leute, ob sie nicht den Nullen begegnet wären, aber sie zogen ein spöttisches Gesicht, und die gute Drei merkte wohl, daß ihre Stiefschwestern draußen in der Welt nicht viel Geltung hatten.

Endlich, als die Drei durch ein Wäldchen ging, hörte sie von fern etwas schluchzen. Sie ging hin, da sie ein gutes Herz hatte, um zu sehen, wer da weine.

Hinter einem Baume lag ganz verkümmert und vertrocknet eine von den verstoßenen Nullen. Die Drei bog sich liebreich zu ihr und fragte, wie es ihr ginge und wo die anderen Nullen geblieben seien.

Da stand die Null auf und erzählte, daß es ihr gar schlecht gegangen war, seitdem die böse Sieben sie aus dem Hause gejagt. Die Menschen hatten sie verachtet, überall weggewiesen und gesagt: »Nullen könnten sie nicht brauchen, die gäbe es so schon genug in der Welt.« Da waren die Nullen in ihrer Not eine dahin, eine dorthin gelaufen, und wo die anderen waren, das wußte sie nicht, vielleicht waren sie schon gestorben.

Da sagte die Drei: »Komm, liebe Null, fasse dich an mich an und gehe mit mir, wir wollen die anderen auch suchen.«

Da gingen die Schwestern zusammen fort, und da sie aus dem Holze kamen, begegnete ihnen ein Bauer, der machte ihnen einen Bückling und zog den Hut ab.

Die Drei wunderte sich, denn so höflich hatte sie noch niemand gegrüßt, seit sie von Hause fortgegangen war, und die Null wunderte sich noch mehr, denn die hatte noch gar niemand gegrüßt.

Es dauerte auch gar nicht lange, da sahen sie eine andere Null, die schlich traurig die Landstraße vor ihnen her. Sie holten sie bald ein, nahmen sie in ihre Mitte, und die drei zogen nun weiter.

Da kam ein Wagen gefahren, und ein Herr saß darinnen. Als dieser die Drei mit den Nullen sah, ließ er den Wagen halten, stieg aus und bat die Fußgänger, mit ihm in seinem Wagen zu fahren.

Nun stiegen sie ein und fuhren in einem schönen Wagen und schönen Pferden. Die Nullen dachten: »Ei, wenn uns jetzt die böse Sieben sähe, die sollte schon Respekt vor uns bekommen und uns nicht mehr zum Hause hinauswerfen.« Sie kamen nun über eine Brücke, und da sah die Drei plötzlich wieder zwei Nullen am Ufer stehen, die sahen traurig in den Fluß und machten Miene, hineinzuspringen. Da erschrak die gute Drei gewaltig, sie bat den Kutscher, anzuhalten, stieg aus und ging zu ihren Schwestern ans Ufer.

Es war die höchste Zeit, denn die beiden Nullen waren lebensmüde und wollten sich in den Wellen ertränken. Die Drei nahm sie mit in den Wagen, und der Herr rückte zu, damit die Drei mit den Nullen Platz hatte.

Nun dachte die Drei an die Worte ihrer Mutter, daß die Zahlen durch die Nullen zu Macht und Ansehen in der Welt kommen würden, und sie freute sich nun erst recht, daß sie ausgezogen war, ihre Stiefschwestern zu suchen.

Sie kamen an einem schönen Hause vorbei, der Herr des Hauses stand an der Tür, und als er die Drei mit den Nullen im Wagen sitzen sah, zog er seine Mütze ganz höflich ab und bat die Schwestern, auszusteigen und bei ihm einzukehren.

Da stiegen sie alle fünf aus, gingen hinein und ließen sich's wohl sein. Und die Nullen dachten: »Wie gut, daß wir mit der Drei durch die Welt gehen, denn früher nahm uns kein Mensch auf; – ihr allein können diese Ehren gelten!« Und die Drei dachte: »Wie gut, daß ich die Nullen gefunden habe, im Anfang haben mich die Leute kaum gegrüßt, da ich allein ging, und jetzt fahre ich in schönem Wagen und schlafe in seidenen Betten. Die Nullen müssen doch nicht so verachtet in der Welt sein!«

So lebten sie nun weiter, blieben fest beisammen und fanden überall gute Aufnahme. Sie trafen auf ihrem Wege noch mehr Nullen, alle in Not und Elend. Sie nahmen sie mit sich, und je mehr Nullen hinter der Drei kamen, je tiefer bückten sich die Leute, und je mehr Ehren wurden ihnen erzeigt.

Nun wohnten sie zuletzt in einem schönen Schlosse, und es ging ihnen gar zu gut. Die Nullen wurden ganz eitel und aufgeblasen und dachten, sie wären was Rechtes.

Nun traf sich's aber, daß die Zahlen, die noch zu Hause geblieben waren, von dem Glücke gehört, welches die Drei und die dummen Nullen in der Welt draußen gehabt hatten. Und sie sprachen untereinander: »Ei, seht doch! In einem Schlosse wohnen und gut essen und trinken, das könnten wir auch. Wir wollen hingehen und die Drei bitten, daß sie uns bei sich aufnimmt.«

Aber freilich hatten sie auch Bedenken vor der Rache der Nullen, denn sie hatten ja alle, außer der guten Drei, einst Hand mit angelegt, als die böse Sieben sie zum Hause hinausgeworfen hatte. Nun würden sie wohl Böses mit Bösem vergelten und in ihrem Glücke nichts von ihnen wissen wollen.

So sprachen sie hin und her, und endlich sagte die Sieben: »Hört, ihr Schwestern, bleibt ihr einstweilen hier, ich bin die Klügste von euch, ich werde erst allein hingehen und so klug reden, daß die dummen Nullen und die gutmütige Drei allen Aerger vergessen sollen. Geht alles gut, so sende ich euch einen Boten und lasse euch holen!«

Damit waren die Zahlen einverstanden, und die Sieben machte sich auf und wanderte fort, bis sie an das schöne Schloß kam, wo die Drei mit den vielen Nullen wohnte.

Sie pochte gar bescheiden an, und als die Nullen hörten, daß die böse Sieben draußen stehe, da wollten sie diese erst gar nicht einlassen: aber die gute Drei bat für die böse Sieben, und da durfte sie hereinkommen. Sie tat nun ganz demütig und fein, aber die Nullen waren doch nicht so dumm. Sie wollten von der bösen Sieben nichts wissen und meinten, morgen früh sollte sie nur wieder gehen, woher sie gekommen, eine böse Sieben brauchten sie nicht im Hause. Da ärgerte sich die Sieben über alle Maßen und dachte: »Einen Schabernack mußt du den dummen, aufgeblasenen Dingern doch spielen und der einfältigen Drei auch.«

Sie stellte sich nun ganz freundlich, und abends, als die Drei hinausgegangen war, da sagte die böse Sieben zu den Nullen: »Hört, ihr lieben Schwestern, ich begreife eigentlich nicht, warum ihr euch von der Drei so hofmeistern laßt. Sie verdankt doch nur euch ihre Größe, und zum Dank behandelt sie euch schlecht. Ich, an eurer Stelle, jagte sie fort und wohnte allein in meinem schönen Schloß!«

Damit ging die böse Sieben zu Bett, und die Nullen sprachen untereinander: »Die böse Sieben hat recht. Wir Nullen wollen allein bleiben und brauchen keinen Hofmeister.«

Dabei bliesen sich die dummen Dinger auf und spreizten ihre hohlen Leiber und vergaßen in ihrem Dünkel und ihrem Undank, daß sie der guten Drei, die sie im Elend gefunden und daraus gerettet hatte, erst ihre Größe verdankten. Und so beschlossen die Nullen, die gute Drei fortzujagen.

Am anderen Morgen, vor Tagesgrauen, machte sich die böse Sieben auf den Weg, denn sie dachte: »Besser, du gehst, als sie jagen dich fort! Mit den Nullen ist nicht zu spaßen, und nichts ist abgeschmackter, als ein Dummer, wenn er im Glücke sitzt.«

Damit trollte sie fort. An der Straßenecke aber blieb sie stehen und lauschte um die Ecke, denn sie wollte erst sehen, wie viel ihr böser Rat gefruchtet und wie es der guten Drei ergehen würde.

Sie stand auch gar nicht lange, da öffnete sich die Tür, und da kam die arme Drei kopfüber herausgestolpert, denn die ganzen Nullen hatten angepackt und warfen die Drei nun hinaus, wie sie einst selbst von den Zahlen waren hinausgeworfen worden. Die gute Drei ging ganz ruhig fort, sie kränkte sich wohl über den Undank der Nullen, aber sie grollte ihnen nicht.

Nun machten sich die Nullen recht breit in ihrem Schlosse und sagten untereinander: »Nun wollen wir einmal spazieren gehen, damit die Leute sehen, daß wir unsere eignen Herren sind und keinen Hofmeister an der Spitze brauchen.«

Da gingen die Nullen breit und aufgeblasen auf die Straße und wußten vor Dünkel und Hochmut nicht, wie sie sich drehen und wenden sollten.

Aber wie groß war ihr Erstaunen, als sie bemerkten, daß die Leute, statt sie ehrfurchtsvoll zu grüßen und ihnen auszuweichen, wie es sonst geschah, wenn sie, mit der Drei an der Spitze, spazieren gingen, ihnen jetzt ins Gesicht lachten, sie aus die Seite stießen und die Jungen ihnen höhnisch nachriefen: »Die dummen Nullen!«

Ganz beschämt sahen sie einander an und sagten: »Kommt, wir wollen schnell nach Hause, es ist heute schlecht Wetter draußen.«

Da gingen sie, und als sie an das schöne Schloß kamen, da standen fremde Leute an der Tür, und aus den Fenstern sahen fremde Leute. Und als sie hinein wollten, jagten sie die Leute fort und riefen: »Was wollt ihr in dem schönen Schloß, ihr dummen Nullen? Ihr habt keinen Wert mehr, seit ihr die Drei fortgejagt habt.«

Dabei stießen die Leute sie fort, lachten und höhnten hinter ihnen drein, und die Nullen liefen fort, so schnell sie konnten, um die Drei wiederzuholen.

Und sie suchten die Drei überall, und wo sie hinkamen, da erzählten sie heulend und schreiend von dem bösen Rat, den ihnen die böse Sieben gegeben hatte. Und die Leute erzählten es einander wieder. So kam die Geschichte herum, und so wurden die Leute der Sieben gram. Deshalb heißt sie auch heutigentags noch überall die böse Sieben.

Die Nullen liefen aber und liefen, bis sie wieder an das kleine Häuschen kamen, wo die Zahlen wohnten. Da pochten sie ans Fenster und fragten: »Ist die Drei nicht drinnen?«

Die Drei war aber drinnen, und auch die böse Sieben war schon gekommen und stand hohnlachend dabei, als sie die Nullen sah. Als nun die Nullen so weinten und baten, wurde die gute Drei gerührt, sie machte die Tür auf, und die Nullen kamen herein.

Da fielen sich alle Schwestern und Stiefschwestern, die Zahlen und die Nullen, einander in die Arme, und auch die böse Sieben umarmte mit, und es wurde große Versöhnung gefeiert.

Dann beschlossen die Zahlen und die Nullen, alle zusammen hinaus in die Welt zu ziehen; und so geschah es auch. Sie zogen hinaus in die Welt, und da die Zahlen bei den Nullen und die Nullen bei den Zahlen standen, so ging das Wort der Mutter in Erfüllung: sie kamen zu Macht und Ansehen und beherrschten zuletzt die ganze Welt.


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