Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Erster Band
Eduard Trautner

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Ende des Königtums

Das Tribunal vom 17. August 1792

Die Konstituante; die Legislative; Jakobiner und Kommune; der 20. Juni, der 10. August; Gefangensetzung des Königs, das Tribunal, die Septembermorde; Assignatenfälscher.

Immer schneller folgten die Ereignisse aufeinander, wie Donnerschläge bei einem schon sehr nahen Gewitter. Die Stunde näherte sich, wo die Geschichte des Schafotts und die Frankreichs eins werden und der Fall des dreieckigen Guillotinebeils immer einen neuen Akt des Dramas, welches die Welt in Aufregung erhielt, abschließen sollte. Noch einige Tage, und der verhöhnte Genosse oder vielmehr Meister bei allen früheren traurigen Schauspielen dieser Art war ein blutiger Mordfürst, seine Waffe, die fürchterlich Maschine, das Hauptwerkzeug in den Händen der Gesetzgebenden und Regierenden geworden.

Bisher hatte der Henker, wenn man auf ihn einen verächtlichen Blick warf, seine Spötter höchstens fragen können: »Wenn ihr mich verachtet, verachtet ihr dann auch die Gesetze?« Die blutige Schwärmerei eines ganzen Volkes gab ihm bald das Recht, auszurufen: »Es scheint, daß ihr nur für mich die Revolution gemacht habt!«

Wir stehen im Monat August des Jahres 1792.

Die KonstituanteDie gesetzgebende Nationalversammlung im Beginn der Revolutionszeit. war verschwunden und hatte die Verfassung von 1791 als ihr Werk zurückgelassen, ein Werk, dem zuerst alle zugejauchzt hatten und das kurze Zeit darauf alle verlästerten und zu vernichten wünschten.

Die Partei der Aufwiegler nannte sich Patrioten; sie gehörte der Kommune und den Jakobinern an.

Die Jakobiner sprachen damals lauter von der Rednerbühne und wurden lieber gehört als selbst die Stimme der Legislative.Auf die erste gesetzgebende Nationalversammlung, die Konstituante, folgte eine zweite, gleich gebildet und mit gleichen Rechten, die Legislative genannt. Die bürgerliche Macht der Kommune glich den gesetzlichen Einfluß der Vertreter der Nation aus, und die Kommune war es, welche besagte zweite Nationalversammlung mit einer siegreichen Erhebung bedrohte und zur Abdankung nötigte.

Am 20. Juni war die Revolution bis selbst in den Palast gedrungen, aber noch war die Frechheit nicht so weit gegangen, sich mit Verbrechen zu belasten, und die revolutionären Eindringlinge hatten sich damit begnügt, dem Könige die grausamsten Beleidigungen zuzufügen.

Jetzt galt es alles oder nichts, und das Attentat vom 20. Juni hatte das furchtbare Schauspiel des 10. August zur Folge.

An diesem schrecklichen Tage sah man den Monarchen vor einem bewaffneten Revolutionsheer fliehen. Die ohnmächtige Nationalversammlung dachte an den 20. Juni und erkannte in der mächtigen Hand der Kommune ein höheres Gesetz als welches sie selbst gab. So sollte endlich dieses ein Jahr alte verfassungsmäßige Königtum wie ein mastenloses Schiff in dem wildbrandenden Meere des Volksaufruhrs scheitern und untergehen, ohne daß nur eine einzige Hand den Versuch machte, es dem Schiffbruch zu entreißen.

Die legislative Nationalversammlung hatte sich dahin entschieden, daß der König nach Luxembourg geführt werden sollte, die Kommune verlangte, daß der König als Gefangener in den TempleDas alte Tempelherrenhaus in Paris. käme, und die Nationalversammlung gehorchte.

Die Kommune und ihr Aufsichtskomitee, dem Marat präsidierte, verlangte unter großem Geschrei die Bestrafung der Verschwörer vom 10. August. Da erschien Robespierre im Namen der gesamten Bürgerschaft im Schlosse, wo die Nationalversammlung tagte, und brachte den Volkswillen herrisch zum Ausdruck. Nach vergeblichen Widerstandsbemühungen gab die Nationalversammlung endlich nach und betraute die Wahlversammlung mit Ernennung der Mitglieder für ein außergewöhnliches Tribunal, welches die am 10. August begangenen Verbrechen bestrafen sollte. In gleicher Weise hatte man bestimmt, daß das Urteil dieses Gerichtshofes ein für allemal gelten und kein Widerspruch oder Appellation an eine andere Instanz möglich sein solle.

Das Tribunal unterstützte die Absichten derer, welche seine Herstellung verlangt hatten, nur sehr unvollkommen.

Das Tribunal vom 17. August hatte noch keine sogenannte revolutionäre Gerechtigkeit aufzuweisen. Obwohl es in seinem Schoße Männer zählte, die als große und gewaltige Redner bekannt sind, z.B. Fouquier-Tinville, bedienten sich doch alle dieser Waffe mit einer gewissen Mäßigung, welche deutlich genug bewies, daß aus der Seele derer, die das Tribunal bildeten, noch nicht jede Regung des Edelmutes und alle Gesetzeskenntnis verbannt waren.

Erst von den, Septembertagen ab darf man eigentlich von Schrecken sprechen. Am 20. August hatte die Furcht und die Trunkenheit von Blut noch nicht die Herzen versteinert und alles Menschlichkeitsgefühl verlöscht. –

Von 1791 bis zum Monat August 1792 nahm die Zahl der Angriffe gegen Personen und Eigentum immer mehr und mehr zu.

Das Papiergeld der neuen Staatsordnung reizte, ungeachtet der schrecklichen Strafe, die auf den Scheinen selbst der Nachahmung angedroht war, die Gier der Fälscher.

Natürlich sah die politische Leidenschaft in denen, welche ihre Bankzettel nachdruckten, nicht die Verbrecher aus Habsucht, sondern geradezu Personen, welche der Sicherheit und dem Wohle des Staates gefährlich zu werden drohten, und als solche aus dem Wege geräumt werden mußten. Während der kurzen Zeit von ungefähr sieben Monaten, vom 1. Januar bis 20. August, wurden fünfzehn solche Personen, die man damals AssignatenfälscherAssignaten (französisch: Assignats) waren Anweisungen von Renten auf unbewegliche Staatsgüter, Staatsschuldscheine. nannte, auf dem Grèveplatz geköpft.

In dieser Zeit politischer Stürme und Ungewitter war die Verteidigung nicht weniger erbittert und heftig als der Angriff selbst. Die königlich gesinnten Schriftsteller kämpften mit Ungestüm und bisweilen Erbitterung gegen ihre Widersacher von der patriotischen Partei.

Zwei Journalisten, Suleau und Durosoy, hatten wegen der Heftigkeit und fast unbändigen Sprache sich die gefährliche Ehre verdient, den glühendsten Volkshaß gegen sich gerichtet zu sehen. Der erste von beiden hatte, als ein Mann der Wissenschaft und schnellen Tat, als ein Kämpfer mit dem Degen und mit der Feder am 10. August den Thron mit den Waffen in der Hand verteidigt. Durch Théroigne de Méricourt erkannt, welches Weib der kühne Witzbold mit seinem Hohne verfolgt hatte, und der er, die ganze Sache ins Lächerliche und Zweideutige ziehend, den Abgeordneten Populus (Volk) zum Liebhaber gegeben, wurde der Redakteur der »Apostelgeschichte« in dem Hofe der FeuillantinerFeuillantiner, Mönche vom Bernhardiner-Orden. in Stücke zerrissen, dank der tigerhaften Wut der blutdürstigen Amazone.

Weniger glücklich als sein Genosse, hatte Durosoy, der Redakteur der Gazette de Paris und des Royaliste, die ganze Angst und Qual der Hinrichtung zu erdulden, welche bis dahin nur für wirkliche gemeine Verbrecher aufbewahrt worden war.

Nachdem er am 26. August verurteilt worden, fand die Hinrichtung am folgenden Tage statt und Durosoy starb mit großer Seelenruhe und erwarb sich durch seine große Charakterfestigkeit selbst noch in den letzten Augenblicken wenigstens die Achtung des rohen Haufens. Ein alter Offizier namens Collinot d'Angremont, der der Seelenverkäuferei und der Mitwisserschaft und Teilnahme an dem angeklagt, was man die Verschwörung vom 10. August nannte, folgte ihm auf dem Schafott.

Am 29. August erlitt Laporte, der Intendant der Zivilliste, die Todesstrafe für eine Menge von Anklagen und Beschuldigungen, welche sämtlich unbegründet waren.

Am 31. August richtete man Sellier und Desperriers hin, die nach Beschluß des Kriminalgerichts wegen Ausgabe falscher Assignaten zur Strafe der Enthauptung verurteilt worden waren.

Als bei Gelegenheit der Hinrichtung Collots von dem aufgeregten Volkshaufen die Enthauptungsmaschine und das Schafott nach dem Karussellplatz geschafft worden waren, hatte man den Pranger allein vergessen; er blieb auf dem Grèveplatz stehen, und deswegen mußten etwaige Ausstellungen auch immer dort stattfinden.

Am 1. September hatte mein Großvater einen Mann namens Jean Julien, einen Fuhrmann zu Vaugirard, der zu zwölf Jahren Kettenstrafe und zum Pranger wegen Diebstahls verurteilt worden, in das Halseisen gelegt. Jean Julien behauptete fortwährend seine Unschuld und zeigte wahrend der ganzen Zeit, da er am Pranger stand, eine große Entrüstung.

Noch während man ihn auf den Grèveplatz führte, hatte er mehrmals denen, die ihn fühlten, wiederholt, daß er den Tod dieser entehrenden Strafe vorziehen würde.

Man hatte diese Worte für alberne Prahlerei gehalten und keine Achtung darauf gegeben. Als man über ihm an den Balken, an dem er befestigt war, die Schrift annagelte, sprach er Verwünschungen gegen die Richter und gegen die Regierung aus. Charles Henri Sanson forderte ihn auf, sich ruhig zu verhalten, widrigenfalls er ihn knebeln lassen würde. Aber in demselben Augenblick, obwohl bis dahin noch nichts in den Worten Jean Juliens gezeigt hatte, daß er ein königlich Gesinnter sei, begann der Mann aus allen Kräften zu schreien:

»Es lebe der König! Es lebe die Königin! Ein Hurra für den kühnen Feldherrn Lafayette! Zum Teufel die Nation!«

Die Szene, welche diesen Worten folgte, läßt sich, wie leicht begreiflich, nicht schildern.

Der unglückliche Jean Julien hatte noch nicht vollendet, als ein Hagel von Wurfgeschossen aller Art an das Brett des Prangers anschlug. Fast gleichzeitig war der Unglückliche auch schon von dem Schandpfahl hinweggerissen und sollte ungeachtet der Bemühungen und selbst des tätlichen Einschreitens von seiten des Henkers und seiner Knechte in wenigen Minuten tausendfach zerfetzt werden.

Von diesem schrecklichen Tode wurde er durch die Dazwischenkunft des Prokuratorsyndikus Manuel, der dabei sine Probe von ungeheurem Mute gab, errettet. Manuel stürzte sich mitten in den dichtesten Haufen hinein, rang mit den Wütendsten und brachte es endlich dahin, den unglücklichen Julien bis ins Rathaus zu schleppen und dort für den Augenblick zu sichern.

Als der Volkshaufe sah, daß ihm die Beute entrissen war, kannte seine Wut keine Grenzen mehr, und die allgemeine Aufregung drohte sich in offene Empörung umzuwandeln. Man konnte die wilden Massen nur dadurch besänftigen, daß man befahl, den Schuldigen unverweilt vor den außerordentlichen Gerichtshof zu stellen.

Die Mitglieder des Tribunals wurden in aller Eile zusammenberufen und der Vorgeführte zum Tode verurteilt. Jean Julien wurde tags darauf enthauptet.

Den dritten September feierte die Guillotine. –

Nachdem nun Tag für Tag die Guillotine eine mehr als reiche Kopfernte gehalten hatte, murrten einige noch darüber, daß man dem Tribunal gestattet hatte, seinen Dienern für diese vierundzwanzig Stunden Ferien zu bewilligen.

Aber lassen wir das.

In der peinlichen Aufgabe, die ich mir gestellt habe, erwächst mir glücklicherweise nicht die traurige Verpflichtung, die Geschichte der Septembertage zu zeichnen, wo ein Haufe ruchloser Mörder sich unser schreckliches Amt anmaßte und die Gefängnisse durch Menschenschlächtereien besudelte, die der rohesten Barbaren der Urzeit würdig gewesen waren. Wie viele von diesen Elenden, die sich mit Spießen und Säbeln bewaffnet hatten und mit einer rasenden Wut und Blutgier alles niederstießen, was ihnen entgegentrat, verstanden es wohl, jenes traurige Amt zu verwalten, das man als das Eigentum des Henkers begreift? Und dennoch, welchen Namen soll man ihnen geben, deren Hände doch sämtlich von selbstvergossenem Menschenblut besudelt waren? Meiner Ansicht nach ist die Bezeichnung Mörder noch viel zu mild und schwach!

Das Tribunal vom 17. August hatte das Châtelet zum Aufenthalte gewählt.

In dem Augenblick, wo die Menschenschlächterei begann, war gerade Sitzung, und soeben verurteilte man den Major Bachmann, einen Offizier der Schweizergarde.

Das Heulen und Röcheln der Opfer, das wilde, blutdürstige Geschrei der Halsabschneider drang bis in die Gerichtszimmer und unterbrach mehrmals das Verhör. –

Bis zu der Zeit, wo der König hingerichtet werden sollte, verminderte sich die Anzahl der Hinrichtungen nicht, aber sie erreichte bei weitem nicht die Ausdehnung, welche sie einige Monate später annahm.

Die Kommune

Lafayette; Gironde und Berg; der Konvent; die Nationalgarde.

Bisher habe ich nur einen allgemeinen Überblick der Septembertage gegeben, wo man Tausende von Henkern – wenn es nicht anders eine Herabwürdigung dieses Namens wäre, mit ihm solche Mörder zu bezeichnen – oder besser die Henker nach Tausenden und aber Tausenden zählte. Ich habe diesen Todeskampf des Königtums, dessen schreckliche und doch erwähnenswerte Augenblicke der 20. Juni und 19. August waren, nur mit großen Zügen entworfen; jetzt, wo es sich um die Einzelheiten der Vernichtung eines Königs handelt, muß ich schon ausführlicher und weniger wortkarg zu Werke gehen, weil es das traurige Los meines Großvaters war, diese erhabenen Opfer der Revolution zu töten.

Der Sturz des Königs und seine Gefangennahme auf dem Wege nach dem Temple hatten in allen rechtschaffenen Gemütern, selbst bei den den neuen Ideen Ergebensten, großen Eindruck gemacht. Allgemein wurde der abgesetzte Monarch beklagt, und vielleicht verzögerte sich auch wegen der großen und innigen Teilnahme an seiner Lage der Prozeß so bedeutend.

Lafayette, der so lange das Ideal seines Volkes gewesen, in dem die heiligsten und köstlichsten Nationalgefühle und Vorzüge des französischen Volkes des achtzehnten Jahrhunderts so glücklich vereinigt und so vollkommen schön dargestellt schienen, gab zuerst das hervorstechendste Beispiel von der Schwäche, welche alle wahrhaften Freunde der Freiheit ergriffen hatte, indem er schnell und hastig den Oberbefehl über seine Armee aufgab und in der Fremde seine Rettung suchte; ein Beweis, welch trauriger Aufenthalt ein französisches Staatsgefängnis der damaligen Zeit sein mußte.

Die ungeduldige und leidenschaftliche Revolution hatte andere Führer angenommen. Noch wurde zwischen den zwei Parteien, die sich untereinander zu vernichten bereit waren, um den Vorrang gekämpft. Diese beiden jetzt nur in Kraft stehenden Gruppen nannten sich die Gironde und der Berg. Beide nahmen sich wohl in acht, einander in die Hände zu fallen. Beide bemühten sich soviel als möglich, für sich den Sieg davonzutragen.

Nur in etwas stimmten die wie Tag und Nacht einander gegenüberstehenden Parteien überein, nämlich in der Ansicht, daß in den Besitz der Alleinherrschaft käme, wer am besten verstände, den gierigen Leidenschaften der Menge zu schmeicheln, welche nur daran dachte, blutige Erpressungen gegen das Königtum, gegen die bevorzugten Stände, in ihren Augen die einzig Schuldigen, auszuüben.

Die ziemlich energischen und doch zugleich phantastischen Reden, welche immer und immer in den Sälen der Klubs widerhallten, stützten und hielten fortwährend diese fieberhafte Aufregung der großen Massen, die nur durch sie zur Erstürmung der Tuilerien, zu den Gefangennahmen und entsetzlichen Schlächtereien vom 2. und 3. September 1792 aufgehetzt worden waren.

Unter solchen Verhältnissen war selbst der Konvent nur ein reines Schattenbild und vollkommen machtlos. Meistens genötigt, unter den Eingebungen jener entstehenden, Gewalt habenden Gruppe, die man Kommune nannte, zu handeln und sich ihrem Willen zu beugen, war die Mehrzahl seiner Erlasse lediglich ein Erzeugnis der Furcht.

Wenn man bedenkt, daß die Kommune nichts anderes war als die Vertretung eines möglichst organisierten Aufstandes, so wird jeder einsehen, daß jene Dekrete gerade das, was sie verhüten sollten, in vollstem Maße bewirkten, nämlich das Signal zu einer weit tolleren Gesetzlosigkeit gaben, als die war, welche zur Zeit schon das unglückliche Frankreich verheerte.

In der Tat, diese Kommune spielte unter einem bescheidenen bürgerlichen Namen eine überaus wichtige Rolle und übte eine fast unumschränkte Gewalt aus. Wie hätte sie es sonst wagen können, eine Nationalversammlung, die doch den unumschränkten Willen des Volkes vertrat, sich vollständig unterzuordnen und ihr in der vollsten und umfassendsten Bedeutung des Wortes Befehle zu geben?

Alle früheren gesellschaftlichen Bande waren vernichtet, selbst der liebe Gott aus den ihm erbauten Kirchen vertrieben und durch menschliche Gesetze ersetzt; die Königsherrschaft von Schmähungen aller Art überhäuft, endlich gefangengenommen und für immer in ihrem vertretenden Oberhaupt vernichtet worden.

Für diese neuen Zeiten gehörten neue Menschen, und ungeachtet des energischen Widerstandes der Girondisten, ungeachtet des furchtbaren Gewichts der mächtigen Individualität Dantons, des Septembermannes, sah man nur zu bald die blutige Diktatur Robespierres hereinbrechen und fühlte seine Hand mit eiserner Schwere auf den Tagesfragen lasten.

Das Leben des Königs war der erste Einsatz bei dem Kampfe der beiden Parteien, welche den Konvent zu beherrschen wünschten.

Die Gironde wollte nicht aus Grundsatz den Tod Ludwigs XVI., denn sie hatte die traurige Vorahnung, daß dieser politische Mord nicht der letzte sein und der Revolutionsherrschaft ein übles Ende bedeuten würde; aber eingeschüchtert durch das wahnsinnige Geschrei draußen, durch die frechen Lästerungen des »Berges« ließ sie sich von einem künstlich erregten Blutdurst des Volkes die Bewilligung zu jener Hinrichtung entreißen. Einige Monate nachher, nachdem sie schon der tollen großen Masse, der sie hatte schmeicheln wollen, die blutige Bürgschaft gestellt hatte, wurde sie selbst durch dieselben Haufen im Stich gelassen und endete auf demselben Schafott, wo der unglückliche König seine Berühmtheit und Kleinmütigkeit mit dem Leben bezahlen mußte.

Wer war nun eigentlich das Volk? War es die Menge, welche die Tribüne des Konvents umlagerte, um je nachdem sie im Sinne oder nicht im Sinne ihrer wilden Leidenschaften sprachen, den Rednern Beifall zu klatschen oder sie auszuzischen? Oder war es vielleicht der Haufe, welcher alle Tage da draußen über die Straße zog nach dem Schalle der Trommel und mit Waffengelärm, um überall seine unaufhörlichen Revolutionsgesänge und sein wildes Geschrei erschallen zu lassen? Waren es vielleicht die Männer, welche abends in den Klubs Vorträge hielten und glühende Worte sprachen, die wie Feuerfunken in dem Umkreis leicht erregter Gemüter hellodernde Scheiterhaufen anzündeten? Oder war das Volk endlich jene wilde, rohe Masse, die von Zeit zu Zeit die Hemdärmel aufstreifte und die Arme bis an die Schultern in Blut tauchte?

Wenn sie alle das Volk sind, so gestehe ich gerne zu, daß ich es nicht kenne, daß ich es nicht kennen mag. Aber ich glaube nicht, daß das Volk eine so auserlesene Sammlung von Henkersknechten sein kann.

Man sah zu jener unglücklichen Zeit auf den Spitzen der Lanzen und Spieße wie rühmliche Siegeszeichen mehr abgeschnittene Menschenköpfe durch die Straßen tragen, als mein Großvater und seine Vorfahren jemals abgeschlagen hatten. Man sah die entmenschten Horden mehr verstümmelte Leichname über das Pflaster dahinschleppen, als in einem Jahrhundert nach dem Urteil des Kriminalhofes von dem Schafott zur letzten Ruhestätte getragen worden waren.

Alles das mußte, wie ich es auch schon früher erwähnt habe, Charles Henri Sansons Enthusiasmus für die Revolution bedeutend vermindern. Infolgedessen hielt er sich so fern als möglich von den Ereignissen der Zeit, was um so besser ging, als damals sein Sohn, mein Vater, schon sieben- bis achtundzwanzig Jahre alt war. Dies ist so wahr, daß man am 10. August 1792 in meiner Familie die Erstürmung des Tuilerienschlosses gar nicht einmal erfahren hatte.

Bei den Offizier- und Unteroffizierwahlen der Nationalgarde wurden mein Großvater und mein Vater zu Sergeanten ernannt; mein Großonkel Charlemagne Sanson erhielt die Würde eines Korporals. Diese Ämter verpflichteten sie, einen tätigeren Anteil, als ihnen lieb war, an den politischen Ereignissen zu nehmen. Meine Verwandten füllten erst kurze Zeit jene Stellen aus, als man schon im Konvent über die Anhängigmachung des Prozesses gegen den königlichen Gefangenen zu debattieren begann.

Der Tod Ludwigs XVI.

Ich will nicht all der Debatten und Wortkämpfe gedenken, die sich der Berg und die Gironde im Konvent bei Gelegenheit der Prozeßverhandlungen über das erhabene königliche Opfer lieferten. Mit Stillschweigen will ich all die heldenmütigen Bestrebungen des Lanjuinais übergehen, diese wichtige Frage, die später Desèze so energisch in jenem glänzenden Satz konzentrierte:

»Ich suche unter euch Richter und sehe nichts als Ankläger!«

Am 11. Dezember 1792 war es, wo der unglückliche Monarch auf der Anklagebank des Konvents erschien. Es führte gerade Barère den Vorsitz, dessen kalte Beredsamkeit einen so entscheidenden Einfluß auf das Endurteil ausübte.

Am 17. Januar 1793 wurde endlich das königsmörderische Urteil gesprochen.

Zuerst war das allgemeine Erstaunen so groß, daß man nicht glauben mochte, daß die Stimmensammlung auf rechtmäßige Weise zugegangen sei, und so mußte man tags darauf, am 18., diese Handlung noch einmal vornehmen.

Das Ergebnis der Sitzung des vorigen Tages wurde durch diese zweite Stimmensammlung vollständig anerkannt und Vergniaud, der an diesem Tage im Konvent den Vorsitz führte, bestätigte, daß das über Ludwig Capet gefällte Urteil auf Tod laute.

Die Sitzung des 19. Januar wurde durch die Prüfung der Aufschubsfrage ausgefüllt. Da versuchten noch alle diejenigen, welche bisher so furchtsam für den König gesprochen hatten, ihr Möglichstes. Eine Majorität von 690 Stimmen über 380 erklärte, daß die Hinrichtung des königlichen Verurteilten ohne Nachteil für die Nation keine Frist erlangen könnte.

Dies war die erste Mitteilung, die uns mein Großvater brachte, nachdem er mit einer immer steigenden Angst diesem entsetzlichen Prozeß von Tag zu Tag gefolgt war.

Der 20. Januar sollte für ihn ein Familienfesttag werden; es war nämlich der Jahrestag seiner Verheiratung mit meiner guten Großmutter, welche in ihr sechzigstes Jahr eintrat und nun neunundzwanzig Jahre mit Charles Henri Sanson in glücklicher Ehe lebte. Mein Großvater wollte ihr das Ereignis verheimlichen, das einen Trauerflor über diesen ihnen so lieben Tag warf, aber die Verwirrung seiner Züge erlaubte ihm nicht, seine Angst zu verbergen. Mein fast ebenso unruhig bewegter Vater antwortete gleichfalls nur mit sichtlichem Zwang auf die gewöhnlichen Fragen seiner Mutter nach den neuesten Vorfällen. Das ganze Haus zeigte eine ernste und würdige Traurigkeit.

Um nicht den Verdacht meiner Großmutter zu erregen und nachdem sie allen Hausbewohnern ein entschiedenes Stillschweigen auferlegt hatten, machten sich mein Großvater und mein Vater auf den Weg und gingen durch die Stadt, um sich über die immer mehr und mehr verbreitenden Gerüchte in Kenntnis zu setzen. Hier erfuhren sie denn auch, daß der König einen Aufschub von drei Tagen verlangt habe, um sich zum Tode vorzubereiten.

Der Konvent wagte nicht, ihn zu bewilligen, und Charles Henri Sanson, der sich bis an die offenen Pforten des legislativen Palastes vorgedrängt hatte, wußte mit Bestimmtheit, daß die letzte und einzige dem Könige von Frankreich gewährte Gunst die war, von seiner Familie Abschied nehmen zu dürfen und bei der Hinrichtung von einem Priester seines Glaubens begleitet zu werden.

Es war also nicht mehr daran zu zweifeln, daß die Hinrichtung am folgenden Tage stattfinden würde.

Mein Großvater kehrte ganz außer sich und voll Angst vor diesem nächstfolgenden Tage nach Hause zurück. Mein Vater war ihm schon mit ebenso traurigen Botschaften zuvorgekommen.

Im Verlauf des Tages fanden sich mehrere Personen ein, die Charles Henri Sanson zu sehen und mit ihm zu sprechen wünschten. Unter den verschiedenen Papieren, die ihm eingehändigt wurden, befand sich auch der verhängnisvolle Befehl, in der Nacht das Schafott aufrichten zu lassen und daselbst den Verurteilten um acht Uhr morgens zu erwarten.

Die anderen Papiere waren Briefe, die Mehrzahl von ihnen ohne Unterschrift, in welchen man den Henker benachrichtigte, daß für die Befreiung des Königs während des Transportes vom Temple bis zum Revolutionsplatze alle Maßregeln getroffen worden wären und daß bei dem geringsten Widerstande, den Sanson etwa diesem Unternehmen entgegensetzen wollte, er von tausend Dolchstichen durchbohrt sein Leben aushauchen sollte. Andere Briefe wieder enthielten, ohne ähnliche Drohungen auszustoßen, die flehentlichsten Bitten, sich ja einer etwaigen Befreiung des Königs nicht zu widersetzen. Ja, in einigen dieser Briefe beschwor man Charles Henri Sanson, sich mit den Befreiern des königlichen Opfers zu verbinden und die Hinrichtung in die Länge zu ziehen, um so wohlentschlossenen Männern Gelegenheit zur Ausführung ihres Planes zu geben. Letztere würden, vorher unter dem Volkshaufen verborgen, plötzlich die Reihen des Militärs durchbrechen und den König noch auf dem Schafott befreien.

Dies letzte Mittel, das mein Großvater für unmöglich und ganz unausführbar hielt, preßte ihm wahren Angstschweiß aus.

Ich überlasse nun betreffs des genauen Berichts das Wort Charles Henri Sanson, der in seinem Tagebuche höchst interessante Nachrichten darüber hinterlassen hat.

 

»Das Opfer ist gebracht! ...

Ich bin diesen Morgen um acht Uhr aufgebrochen, nachdem ich vorher meine arme Frau, die mich nicht wiederzusehen fürchtete, und meinen Sohn umarmt hatte; ich habe mich mit meinen beiden Brüdern Charlemagne und Louis Martin in einen Fiaker gesetzt.

Die Volkshaufen waren in den Straßen so groß, daß nicht mehr viel an neun Uhr fehlte, als wir auf dem Revolutionsplatze anlangten.

Gros und Barré, meine Gehilfen, hatten die Guillotine schon auf dem Schafott aufgestellt und alles aufs beste geordnet.

Meine Brüder und ich waren gut bewaffnet. Wir hatten unter unseren Regenmänteln außer dem Degen kurze Dolchmesser, in unserem Gürtel vier Pistolen, eine Pulverbüchse und unsere Kugeltaschen. Wir hielten es gar wohl für möglich, daß man versuchen würde, den unglücklichen Fürsten zu befreien, und daß wir nur zu vieler Mittel bedürfen könnten, ihm einen Weg durch die Menge zu bahnen.

Als ich auf dem Revolutionsplatze ankam, suchte ich sofort mit den Augen meinen Sohn und bemerkte ihn auf wenige Schritte Entfernung von mir mit seinem Bataillon. Er betrachtete mich mit einem verständlichen Blick und schien mich ermutigen zu wollen, indem er mir mit der Hoffnung schmeichelte, daß ich diesmal nicht würde den Becher bis zur Hefe austrinken müssen.

Ich horchte aufmerksam nach jener Gegend hin, woher der König kommen mußte; nichts entging meiner sorgfältigen Beachtung. Aber vergebens glaubte ich dann und wann in der Ferne ein Geräusch zu vernehmen, welches das Anzeichen eines jener Befreiungsversuche sein konnte, die man mir gestern verkündet hatte.

Ich will es gestehen, ich freute mich bei dem Gedanken, daß vielleicht in diesem Augenblicke der König seiner bewaffneten Bedeckung entrissen sei und unter dem Schutze vertrauter Freunde fliehe. Und wenn mich dann die Unwahrscheinlichkeit eines solchen Ereignisses für den Moment beunruhigte, stellte ich mir wieder im Geiste vor, wie das unbeständige und leicht bewegliche Volk, dessen Gefühle sich so schnell ändern, den zum Tode geführten Monarchen vielleicht unter seinen allmächtigen Schutz nehmen und aus der ihm angedrohten Hinrichtung eine Huldigung machen könnte!

Während ich mich noch in solchen Träumen wiegte, während meine Seele sich Bilder aller Art vorführte, um nur nicht an die Wahrheit glauben zu müssen, da erwartete mich schon ein Erwachen, das nicht fürchterlicher hätte sein können!

Von Zeit zu Zeit hefteten sich meine Augen ängstlich auf den Ausgang der Rue de Madeleine.

Plötzlich sah ich ein Kavalleriekorps herangesprengt kommen und dahinter einen von zwei Pferden gezogenen Wagen, von einer doppelten Reihe Kavalleristen umgeben und von einer zweiten Abteilung derselben Waffengattung gefolgt. Da war kein Zweifel mehr, kein Traum mehr möglich, denn dort erschien der königliche Märtyrer.

Es wurde mir schwarz vor den Augen, ein förmliches Zittern überfiel meine Glieder; ich warf einen schnellen Blick auf meinen Sohn und sah auch dessen Gesicht leichenblaß werden.

Indessen kam der Wagen an. Der König saß hinten rechts, ihm zur Seite ein Priester, sein Beichtiger; auf dem Rücksitz befanden sich zwei Gendarmen.

Der Wagen hielt, die Tür öffnete sich; zuerst stiegen die beiden Gendarmen aus, nach ihnen der verehrungswürdige Priester in einer Kleidung, die ich schon lange nicht mehr gesehen hatte, und endlich der König, würdiger, ruhiger und majestätischer, als ich ihn nur je in Versailles und in den Tuilerien gesehen hatte.

Als ich ihn sich der Treppe nähern sah, warf ich einen verzweiflungsvollen Blick um mich, überall bemerkte ich nur Soldaten. Das hinter diesen Waffenreihen stehende Volk schien vor Staunen erstarrt zu sein und beobachtete ein düsteres Stillschweigen.

Übrigens würde das unaufhörliche Rasseln der Trommeln seine Stimme erstickt haben, wenn es auch einen Ruf des Mitleids hätte ertönen lassen wollen.

Wo blieben nun alle jene zahlreichen Retter, die sich tags vorher gemeldet hatten?

Charlemagne und ich waren erstarrt; Martin, jünger und entschlossener, trat vor, entblößte ehrfurchtsvoll sein Haupt und bemerkte dem Könige, daß man ihm laut Regel und Vorschrift seine Kleidung abnehmen müsse.

»Das ist unnütz, man kann mit mir zu Ende kommen, wie ich da bin.«

Mein Bruder bestand darauf und fügte hinzu, daß es ebenso unerläßlich sei wie das Binden seiner Hände.

Diese letzte Mitteilung schien den König noch mehr zu empören und machte ihn bis zur Stirn erröten.

»Ach was,« sagte er, »Ihr werdet es nicht wagen, die Hand an mich zu legen! Da nehmt, da ist mein Rock, aber rühret mich nicht an!«

Indem er dies sagte, zog er selbst seinen Rock aus.

Charlemagne kam Martin zur Hilfe. Obgleich es ihm schwer wurde, mit diesem erhabenen Opfer zu sprechen, welches ihn mit Blicken betrachtete, die tief in seinem Herzen zu lesen schienen, so sagte er, um nicht die wilden Banden, welche das Schafott umstanden, aufzureizen, zu dem Könige in kaltem Tone, während Tränen seinen Augen entquollen:

»Das Binden der Hände, das mein Bruder verlangt, ist unbedingt notwendig. Die Hinrichtung ist ohne dieses unmöglich.«

Endlich an meine Pflicht erinnert, flüsterte ich, da ich nicht mehr länger die ganze Verantwortung auf den Schultern meiner Brüder ruhen lassen konnte, in das Ohr des Priesters:

»Herr Abbé, ersuchen Sie den König darum, ich bitte Sie inständigst. Während man ihm die Hände binden wird, gewinnen wir Zeit; es ist unmöglich, daß das Volk nicht einem solchen Schauspiele seiner besseren Überzeugung gemäß ein freudiges Ende machen sollte!«

Der Abbé wendete sich mit einem traurigen Blicke, in dem sich gleichzeitig Verwunderung, Ungläubigkeit und Fassung aussprachen, zu mir um, neigte sich aber dann zu dem Könige und sagte mit leiser, tiefbewegter Stimme:

»Sire, willigen Sie auch in dieses letzte Opfer, durch welches Sie sich im voraus der Belohnung Gottes versichern werden.«

Sofort bot der König seine Arme zum Binden dar, während sein Beichtiger ihn das Bild Christi küssen ließ. Zwei meiner Gehilfen banden die Hände, die einst das Szepter geführt hatten.

Mir war, als ob dies das Zeichen einer Gesinnungsänderung der Volksmassen werden müßte, welche nun zugunsten des königlichen Opfers ausbräche. Aber es ließ sich nichts vernehmen als das höllische Gerassel der Trommeln.

Durch den würdigen Priester unterstützt, stieg der König langsam und majestätisch die Stufen zu dem Schafott hinauf.

»Wollen denn die Trommler gar nicht aufhören?« fragte er Charlemagne.

Dieser gab ihm durch ein Zeichen zu verstehen, daß er nichts darüber wisse.

Auf der Plattform des Schafotts angekommen, trat der König auf die Seite, wo er die größten Volkshaufen sah, und gab durch eine Kopfbewegung den Trommlern ein befehlendes Zeichen des Schweigens. Diese hörten einen Augenblick auf, und nur wenige rührten noch die Schlägel.

Trotz des immer noch vorhandenen Lärms sprach der König mit starker Stimme:

»Franzosen, ihr seht euren König bereit, für euch zu sterben. Könnte doch mein Blut euer Glück besiegeln! Ich sterbe ohne Schuld an alledem, dessen man mich angeklagt ...«

Er wollte noch weitersprechen, als Santerre, welcher sich an der Spitze seines Generalstabes befand, den Tambouren ein Zeichen gab, worauf deren Trommeln in verstärktem Maße wieder zu rasseln begannen, so daß kein Wort mehr würde verstanden worden sein.

In einem Augenblick war der König auf das verhängnisvolle Brett gebunden, und als das Fallbeil herniederblitzte, konnte er noch die tiefe Stimme des frommen Priesters vernehmen, der ihn bis aufs Schafott begleitet hatte und jetzt folgende Worte sprach:

»Sohn des heiligen Ludwig, steig auf zum Himmel!«

So hat dieser unglückliche Fürst geendet, den tausend entschlossene Menschen in diesem letzten Augenblicke, wo schon, außer unter der bewaffneten Mannschaft, sich ein wahres Mitgefühl zu regen begann, hätten retten können.

Das kleinste Zeichen hätte genügt, um eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen, denn als mein Gehilfe Gros das unter dem Guillotinenbeil gefallene Königshaupt den Umstehenden zeigte, stießen nur einige Rasende ein Triumphgeschrei aus, die Mehrzahl wendete sich ab, von tiefem Schauder und schmerzlicher Zerknirschung ergriffen.«

 

Der Bericht, den ich soeben gegeben habe, unterscheidet sich in vielem von anderen, z.B. von dem des Herrn de Lamartine in seiner Geschichte der Girondisten. Aber wie groß auch das Ansehen und die Glaubwürdigkeit eines so hervorragenden Schriftstellers ist, wird sie sich hier doch nicht mit der Genauigkeit eines Mannes messen können, der das Unglück gehabt hat, einen so tätigen Anteil an dem traurigen Drama nehmen zu müssen.

Das königliche Blut, das der Konvent eben vergossen hatte, machte ihn noch mehr trunken.

Der Kopf Ludwigs XVI. hatte einen weiten Abgrund geöffnet, in dessen Tiefe die Häupter derjenigen hinabrollten, die den König unter das Beil der Guillotine geschleppt hatten.

Die Sühnemesse

(Balzac.)

Der Tod Ludwigs XVI. brachte eine gewaltige Erschütterung, eine vollständige Ideenverwandlung bei Charles Henri Sanson hervor. Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, diesen seltsamen Charakter zum Verständnis zu bringen, der sich eben nur in der Umgebung, worin er sich gebildet, vorfinden konnte.

Charles Henri Sanson war der würdige Enkel von Martha Dubut. Von der frühesten Jugend mit den Ideen und Grundsätzen seiner Großmutter genährt, glaubte er an die Rechtmäßigkeit seines Standes, an seine soziale Mission; er betrachtete sich als eine mit einem furchtbaren Amte bekleidete Magistratsperson, mit einem Amte, welches schwer auszuüben, aber in jeder zivilisierten Gesellschaft dennoch zur Aufrechthaltung der Gesetze und der Ordnung notwendig sei. Aus dieser Überzeugung schöpfte er Mut und Stärke, die grausamen Pflichten zu erfüllen, welche jedenfalls seiner natürlichen Empfindung widerstrebten.

Da er vierzig Jahre lang nur genötigt war, das Schwert des Gesetzes auf die Köpfe schmachvoller Verbrecher fallen zu lassen, so hatte er sich in jenem Gedanken befestigt. Zuweilen hatte die Grausamkeit der Züchtigung, wie bei Damiens, diesen starken Glauben an seinen Beruf erschüttert; in anderen Augenblicken hatte der vornehme Rang der Opfer und die Teilnahme, die ihnen noch nach ihrer Verurteilung gezollt wurde, in der schrecklichen Stunde der Hinrichtung seine Hand zittern oder sein Herz erschauern lassen; denn er hatte sich gefragt, ob dies wohl ein Schuldiger oder ein Unschuldiger sei, den er treffen sollte. Aber das starre Amtsbewußtsein gewann die Oberhand und seine Bedenken und Zweifel verschwanden vor der Gewißheit, daß die Richter und nicht er, das blinde Werkzeug ihres Urteilspruchs, die Verantwortlichkeit über das vergossene Blut zu tragen hätten.

Bei einer solchen Theorie, der man eine strenge Logik nicht wird abstreiten können, mußte er also den Widerwillen, der sich gegen seine Amtsverrichtungen wendete, als ein Vorurteil der schlimmsten Art betrachten, welches mit aller Würde und Kraft zu bekämpfen sei. Dies erklärt seine Verteidigungsrede vor dem Parlamente im Jahre 1766 und seine Gesuche bei der Nationalversammlung von 1789.

Solcher Art war also bis zum Tode Ludwigs XVI. der unbeugsame Charakter meines Ahnherrn in allem, was er die Ehre seines Amtes nannte, gewesen: der Glaube an die Todesstrafe, die Achtung vor der Würde des Vollstreckers, Krieg bis aufs äußerste dem Vorurteil, welches diesen Beamten mit Schmach bedecken wollte. Das Blut, das der Konvent ihn zu vergießen verurteilte, fing an, ihm die Augen zu klären. Als er ein ganzes soziales Gebäude, welches er zu verehren gewohnt war, Stück für Stück zertrümmern sah, fragte er sich, was es auf der Erde Sicheres und Heiliges gäbe; ob es noch erlaubt sei, an das Schafott zu glauben, nachdem man den Thron hatte fallen sehen; ob in einer Gesellschaft, wo alles gefesselt wird, die Zerstörung der Königswürde nicht auch den Henker in Frage stelle und endlich, ob seine Mission noch die der Vorsehung und der göttlichen Ordnung sein könnte an dem Tage, wo sie darin bestand, den Gesalbten des Herrn zu enthaupten.

Es war eine angstvolle Qual für den Geist Charles Henri Sansons, von der er in der schrecklichen Nacht vom 20. zum 21. Januar 1793 gefoltert wurde.

Am 21. Januar 1793 erschien mein Großvater, der gewöhnlich so häuslich war, nur einige Augenblicke unter dem Dach seiner Familie. Nach der Hinrichtung empfing er die Umwarmungen seiner Frau und seines Sohnes zitternd, als wäre er dieser Liebkosungen nicht würdig; dann entzog er sich ihren Tröstungen und verschwand, um erst bei vorgerückter Nacht wieder nach Hause zu kommen.

Meine Großmutter, welche nie, ohne ihn zu sehen, zu Bette gegangen wäre, wurde bereits von einer tötlichen Unruhe befallen, als Chesneau, der stets mehr als Freund und Vertrauter denn als Diener angesehen wurde, ihr einige tröstliche Worte sagte.

»Fürchten Sie nichts, Madame,« sprach er, »ich glaube zu wissen wohin der Herr gegangen ist.«

»Und wohin denn, mein Gott, an einem solchen Tage?«

»Der Herr hat mir ein Geheimnis abgefragt, welches ich ihm nicht länger verhehlen mochte: die Adresse des ärmlichen Hauses, wo sich der alte Priester und die Nonnen versteckt halten, für die ich ihn um Hilfe gebeten hatte.«

Charles Henri Sanson kehrte zwischen ein und zwei Uhr morgens zurück, immer noch düster, aber ruhiger, und aus einer angemessenen Zurückhaltung befragte man ihn nicht weiter.

»Chesneau,« sagte er, »ich habe deine Schützlinge gesehen; der Winter ist rauh; man muß ihnen morgen früh Holz und einige Lebensmittel bringen und diese Gabe nach einigen Tagen erneuern.«

Nach diesen wenigen Worten zog sich mein Großvater mit der Überzeugung zurück, daß seine Wünsche erfüllt würden. Am nächsten Morgen erzählte er meiner Großmutter, daß er sich in der Tat nach La Villette begeben habe, in eine ärmliche Behausung, welche einem unbeeidigten Priester, der dem Gemetzel bei den Karmelitern entronnen war und zwei aus ihren Klöstern vertriebenen Nonnen als Zufluchtsort diente; daß er von der Barmherzigkeit des Priesters eine Messe bewilligt erhalten hatte, weniger der Seelenruhe des Königs wegen, dem sein Märtyrertod ohne Zweifel die Tore des Paradieses geöffnet, als um des Friedens seines eigenen, unter der Last seines Amtes erschütterten Gewissens willen.

Das Geheimnis dieser Sühnemesse wurde während der Lebenszeit meines Großvaters getreulich bewahrt; nach seinem Tode aber meinten meine Großmutter und mein Vater, daß dieser Zug seinem Gedächtnisse Ehre machte, und konnten nicht umhin, denselben einigen Freunden mitzuteilen. Die Sache kam auch zur Kenntnis eines berühmten Schriftstellers, Balzac, welcher dieselbe bestätigt zu hören und die Einzelheiten aus dem Munde meines Vaters selber kennen zu lernen wünschte. Der letztere genügte seinem Wunsche und ihre Unterhaltung lieferte den Stoff zu einer Erzählung, die in der Einleitung zu den in der Restauration veröffentlichten unechten Memoiren benutzt worden ist:

Gegen Ende des Monats Januar 1793 kam eine alte Dame in Paris den Abhang hinunter, welcher vor der Kirche Saint-Laurent in der Vorstadt Saint-Martin endigt. Es mochte ungefähr acht Uhr abends sein. Es hatte den ganzen Morgen so geschneit, daß die Schritte kaum auf dem Pflaster zu hören waren. Überdies war es kalt. Die Straßen waren verödet und die natürliche Furcht, welche diese Stille einflößte, wurde noch durch den Schrecken vergrößert, der zu jener Zeit auf Frankreich lastete. Die alte Dame war noch niemandem begegnet. Auch war ihr geschwächtes Auge nicht fähig, in der Ferne beim Schein der Laterne einige Vorübergehende zu bemerken, die auf der unendlich langen Straße, dieser Vorstadt wie dünn gesäte Schatten erschienen. Mutig ging sie allein durch diese Öde, als böte ihr Alter ihr einen Talisman gegen jedes Unglück.

Als sie die Straße der Toten passiert hatte, glaubte sie den schweren und festen Schritt eines Mannes hinter sich zu hören. Dann bildete sie sich ein, sie vernähme dieses Geräusch nicht zum erstenmal. Sie erschrak bei dem Gedanken, daß man ihr gefolgt sei und versuchte schneller zu gehen, um einen hell erleuchteten Laden zu erreichen, in der Hoffnung, beim Scheine dieses willkommenen Lichtes ihren Verdacht als unbegründet zu erkennen. Sobald sie in dem wagerechten Lichtschimmer war, welcher die Straße erhellte, wendete sie schnell den Kopf und erblickte einen Mann, dessen Gestalt sich in dem Nebel nicht deutlich zeichnete. Diese unbestimmte Erscheinung genügte. Einen Augenblick schwankte sie unter dem Eindruck des Schreckens; denn sie zweifelte jetzt nicht länger, daß sie von diesem Unbekannten seit dem Augenblick verfolgt würde, da sie ihr Haus verlassen hatte. Der Wunsch, diesem stummen Verfolger zu entschlüpfen, verlieh ihr Kraft und unwillkürlich verdoppelte sie ihre Schritte, ohne zu bedenken, daß sie einem Manne, der ihr an Behendigkeit überlegen war, nicht entrinnen konnte. Nachdem sie einige Minuten gelaufen war, gelangte sie zu dem Laden eines Pastetenbäckers, trat ein und setzte sich oder sank vielmehr auf einen Stuhl, der vor dem Ladentisch stand.

In dem Augenblick, als sie die Klinke der Tür berührte, blickte eine junge Frau von ihrer Stickerei auf. Als sie durch die Fensterscheiben den Mantel von antikem Schnitt und violette Seide erblickte, in den die alte Dame gehüllt war, öffnete sie schnell ein Schubfach, als wolle sie etwas herausnehmen und es ihr zustecken. Die Gebärden und die Miene der jungen Frau drückten sogar den Wunsch aus, sich schnell der Unbekannten wie einer Person, mit der man nicht gern zu tun hat, zu entledigen. Als sie das Schubfach leer fand, entschlüpfte ihr ein Wort der Ungeduld. Ohne die Dame anzublicken, verließ sie schnell den Ladentisch, ging nach dem hinteren Teil des Ladens und rief ihren Mann, der sogleich erschien.

»Wohin hast du es denn gelegt?« fragte sie mit geheimnisvoller Miene, indem sie mit dem Auge nach der alten Dame blinzelte.

Sie vollendete ihre Rede nicht; denn kaum hatte der Pastetenbäcker nur den großen schwarzen Seidenhut mit violetten Bandstreifen, den die Unbekannte trug, erblickt, so verschwand er sogleich, nachdem er seiner Frau einen Blick zugeworfen, welcher zu sagen schien:

»Glaubst du denn, daß ich dies in deinem Ladentisch lassen würde?«

Erstaunt über das Stillschweigen und die Unbeweglichkeit der alten Dame trat die Kaufmannsfrau zu ihr heran und konnte sich bei ihrem genaueren Anblick nicht einer Regung des Mitleids oder vielmehr der Neugierde erwehren.

Obgleich die Gesichtsfarbe dieser Frau von Natur bleich war wie die einer Person, welche sich geheimen Bußübungen unterworfen hat, so war doch leicht zu bemerken, daß eine kürzliche Aufregung diese außerordentliche Blässe noch gesteigert hatte. Ihr Kopfputz war der Art geordnet, daß man ihr wahrscheinlich vor Alter gebleichtes Haar nicht sehen konnte; die Sauberkeit ihres Kragens ließ schließen, daß sie sich des Puders nicht bediente. Der Mangel jedes Zierrats verlieh ihrem Gesicht eine Art religiöser Strenge. Ihre Züge waren ernst und stolz. Früher waren die Manieren und Gewohnheiten der Leute von Stande so ganz verschieden von denen der übrigen Klassen, daß man leicht eine adlige Person erkennen konnte. Die junge Frau wurde auch unwillkürlich überzeugt, daß die Unbekannte eine ehemalige Adlige sei und früher am Hofe gelebt habe.

»Madame« begann sie unwillkürlich und ehrfurchtsvoll, indem sie vergaß, daß dieser Titel geächtet war.

Die alte Dame antwortete aber nicht. Sie hielt ihre Blicke auf die Scheiben des Ladens geheftet, als ob sich ein fürchterlicher Gegenstand dort abgezeichnet hätte.

»Was fehlt dir denn, Bürgerin?« fragte der Hausherr, der jetzt erschien und die Dame aus ihrem Nachdenken weckte, indem er ihr ein mit blauem Papier bedecktes Pappkästchen hinhielt.

»Nichts, nichts, meine Freunde,« antwortete sie in sanftem Tone. Sie erhob ihr Auge auf den Pastetenbäcker, als wollte sie ihm einen Blick des Dankes spenden. Als sie aber eine rote Mütze auf seinem Haupte sah, stieß sie einen Schrei aus.

»Sie haben mich verraten!«

Die junge Frau und ihr Mann antworteten mit einer abwehrenden Gebärde, worüber die Unbekannte, sei es aus Scham über ihren falschen Argwohn, sei es aus Freude, errötete.

»Entschuldigen Sie mich!« fuhr sie mit kindlich sanfter Stimme fort. Dann zog sie einen Louisdor aus ihrer Tasche und bot ihn dem Pastetenbäcker.

»Das ist der Preis, den wir abgemacht hatten«, fügte sie hinzu. Es gibt eine Dürftigkeit, welche die Dürftigen erraten. Der Pastetenbäcker und seine Frau blickten einander an und deuteten auf die alte Frau, als wollten sie sich einen und denselben Gedanken mitteilen. Dieser Louisdor mußte ihr letzter sein. Ihre Hände zitterten, als sie ihn darbot; sie betrachtete ihn mit Schmerz, aber ohne Geiz; sie schien den ganzen Wert des Opfers zu erwägen. Fasten und Elend waren ebenso leserlich wie Furcht und Bußübungen in den Zügen ihres Gesichts ausgeprägt. Ihre Kleidung waren die Überreste ehemaliger Pracht. Es war abgenutzte Seide; ein altmodischer reinlicher Mantel, sorgfältig geflickter Spitzenbesatz, die Lumpen der Pracht. Die Bürgersleute, schwankend zwischen Mitleid und Eigennutz, suchten zuerst ihr Gewissen durch Worte zu erleichtern.

»Aber Bürgerin, du scheinst mir sehr schwach.«

»Will Madame irgend etwas zu sich nehmen?« fragte die Frau, indem sie ihrem Manne ins Wort fiel.

»Wir haben sehr gute Fleischbrühe«, sagte der Pastetenbäcker.

»Es ist kalt und Madame wird unterwegs sehr gefroren haben; Sie können sich aber hier ein wenig ruhen und wärmen.«

»Wir sind nicht so schlimm wie wir aussehen!« rief der Pastetenbäcker.

Durch den Ton des Wohlwollens, der in den Worten des mitleidigen Pastetenbäckers lag, gewonnen, gestand die Dame, daß ihr ein Mann gefolgt sei und sie sich fürchte, allein nach Hause zurückzukehren.

»Ist es weiter nichts?« fragte der Mann mit der roten Mütze. »Warten Sie, Bürgerin!«

Er reichte den Louisdor seiner Frau, und indem er jene Art Erkenntlichkeit fühlte, welche einen Kaufmann beseelt, wenn er für mittelmäßige Ware einen außerordentlichen Preis empfängt, warf er sich in seine Nationalgarde-Uniform, nahm seinen Hut, spannte den Hahn und schulterte das Gewehr.

Seine Frau hatte jedoch inzwischen Zeit zum Nachdenken gehabt und darüber war, wie bei vielen Menschen, ihr Wohlwollen geschwunden. Unruhig und befürchtend, ihr Mann könne sich in böse Händel einlassen, suchte sie ihn am Rockschoße zurückzuhalten; der Pastetenbäcker folgte jedoch seinem Gefühl des Mitleids und bot sich der alten Dame zur Begleitung an.

»Der Mann, welchen die Bürgerin fürchtet, scheint noch vor dem Laden umherzuschleichen«, sagte die Frau hastig.

»Ich fürchte es«, antwortete die Dame unbefangen.

»Wenn es ein Spion wäre! wenn es ein Verschwörer wäre! Gehe nicht mit und nimm ihr die Schachtel wieder fort!«

Diese Worte, welche die Frau dem Pastetenbäcker ins Ohr flüsterte, benahmen ihm mit einem Male seinen früheren Mut.

»Aber ich will ihm zwei Worte sagen, um ihn auf der Stelle loszuwerden!« rief der Pastetenbäcker, indem er die Tür öffnete und hinausstürzte.

Die alte Dame setzte sich wie ein geduldiges Kind wieder auf ihren Stuhl.

Bald erschien der ehrliche Kaufmann wieder; sein Gesicht, welches von Natur gerötet und noch überdies von dem Feuer des Backofens erhitzt gewesen war, erschien plötzlich bleich und fahl, seine Beine bebten vor Schreck und seine Augen sahen gläsern wie die eines Trunkenen aus.

»Willst du, daß man uns den Hals abschneide, Aristokratin?« rief er mit vor Wut erstickter Stimme. »Mach, daß du fortkommst, laß dich niemals wieder hier sehen und rechne nicht darauf, daß ich dir die Mittel zu einer Verschwörung in die Hände spielen werde!«

Bei diesen Worten suchte der Pastetenbäcker der alten Dame die Schachtel, die sie in eine ihrer Taschen gesteckt, wieder zu entreißen.

Kaum aber hatte der Pastetenbäcker die Kleidung mit dreister Hand berührt, als die Unbekannte es vorzog, sich schutzlos der Gefahr draußen zu übergeben, als die eingekaufte Ware wieder zu verlieren; mit jugendlicher Schnelligkeit nach der Tür stürzend öffnete sie dieselbe und entschwand den Augen der Frau und des erstaunten und zitternden Gatten.

Kaum sah sich die Unbekannte im Freien, als sie so schnell wie möglich lief; aber bald fühlte sie sich von ihren Kräften verlassen. In der Tat hörte sie den Schnee unter dem schweren Schritt des Mannes, der ihr unbarmherzig folgte, knistern. War sie genötigt, still zu stehen, so hielt auch er an. Sie wagte es weder, mit ihm zu sprechen noch ihn anzublicken, entweder infolge der Furcht oder aus Mangel an Überlegung. Sie setzte nun ihren Weg mit langsamem Schritte fort und er verzögerte gleichfalls seine Geschwindigkeit, so daß er nur in der nötigen Entfernung blieb, um sie zu überwachen. Er schien der Schatten der alten Frau zu sein: es schlug neun Uhr, als dieses schweigende Paar wieder an der Ecke Saint Laurent vorüberkam.

In der Natur der menschlichen Seele, selbst der schwächsten, liegt es, daß einer heftigen Aufregung immer das Gefühl der Ruhe folgt; daraus erklärt sich vielleicht, daß die Unbekannte, als sie von ihrem mutmaßlichen Verfolger kein Leid erfuhr, sich einbildete, es sei ein geheimer Freund, der sie zu schützen beabsichtige. Sie suchte alle Umstände, welche mit der Erscheinung des Fremden verbunden waren, dieser tröstenden Meinung anzupassen, und so gelangte sie dazu, eher eine gute als eine böse Absicht in ihm zu vermuten. Indem sie den Schrecken vergaß, den er dem Pastetenbäcker eingeflößt hatte, ging sie festeren Schrittes der oberen Gegend des Faubourg Saint Martin zu.

Nachdem sie eine halbe Stunde gegangen war, gelangte sie an ein Haus, welches an dem Vorsprunge lag, der durch die Hauptstraße des Faubourg und durch die nach der Barrière Pantin führenden Straße gebildet wird. Dieser Ort war einer der ödesten in ganz Paris. Der Wind, der über die Hügel Saint Chaumont und Belleville wehte, strich zwischen den Häusern oder vielmehr den Hütten in diesem fast unbewohnten Teile hindurch. Nichts konnte die Öde besser darstellen, als dieser Ort, der die natürliche Zufluchtsstätte des Elends und der Verzweiflung zu sein schien. Der Mann, der sich an die Fersen des armen Geschöpfes heftete, das kühn genug war, diese schweigenden Straßen bei Nachtzeit zu durchschreiten, schien von dem Schauspiel, welches sich seinen Blicken darbot, betroffen. Er blieb gedankenvoll und schwankend stehen. Er wurde von dem Schein eine Straßenlaterne, der den Nebel kaum durchdrang, schwach beleuchtet; aber die Furcht schärfte das Auge der alten Frau und als sie einen düsteren Zug an dem Unbekannten wahrnahm, fühlte sie alle Furcht wieder erwachen. Die Unentschlossenheit, in welcher der Mann stehen blieb, benutzend, eilte sie in dem Schatten der Tür des einsamen Hauses zu, drückte an die Klinke und schlüpfte mit wunderbarer Geschwindigkeit hinein.

Der Mann blieb unbeweglich stehen und betrachtete dieses Haus. Es glich einigermaßen den übrigen Wohnungen, welche den Vorstädten von Paris ein so klägliches Aussehen geben.

Diese schwankende Hütte war aus Bruchsteinen erbaut und mit einer Lage gelblichen Gipses überzogen, dabei aber so baufällig, als ob der geringste Windstoß es über den Haufen werfen könnte. Das braune und mit Moos bedeckte Ziegeldach senkte sich an mehreren Stellen derart, daß man hätte glauben sollen, es würde dem Druck des Schnees erliegen. Jedes Stockwerk hatte drei Fenster, deren Läden, von Feuchtigkeit und den Einwirkungen der Sonne verfault, kundgaben, daß die Kälte in die Zimmer eindrang. Dieses verlassene Haus glich einem alten, von der Zeit nicht völlig zerstörten Turme. Ein schwaches Licht schien durch die drei unregelmäßig angebrachten Dachfenster im obersten Stockwerk und der übrige Teil des Hauses befand sich in völliger Dunkelheit.

Die alte Frau stieg nicht ohne Mühe die steile und plumpe Treppe hinauf, an welcher ein Seil an Stelle des Geländers diente. Sie klopfte geheimnisvoll an die Tür der Wohnung im Dache und setzte sich hastig auf einen Stuhl, den ihr ein Greis darbot.

»Verbergen Sie sich! Verbergen Sie sich!« sagte sie zu ihm; »denn obgleich wir nur selten ausgehen, sind unsere Schritte bekannt und ausspioniert.«

»Was gibt es denn?« fragte eine andere alte Frau, die am Feuer saß.

»Der Mann, der schon seit einigen Tagen das Haus umschleicht, ist mir heute abend gefolgt.«

Bei diesen Worten blickten sich die drei Bewohner der Dachstube an und in ihren Zügen zeichnete sich der höchste Schrecken. Der Greis war am heftigsten erregt, vielleicht weil er am meisten in Gefahr war. Wenn man sich unter der Last eines großen Unglücks und unter dem Joche der Verfolgung befindet, so beginnt ein mutiger Mann damit, daß er sich gleichsam als Opfer seiner selbst betrachtet und seine Tage als ebenso viele über das Schicksal gewonnene Siege zählt.

Aus den Blicken, welche die beiden Frauen auf den Greis hefteten, konnte man leicht erraten, daß er den einzigen Gegenstand ihrer lebhaften Besorgnis ausmachte.

»Weshalb sollten wir an Gott verzweifeln, meine Schwestern?« sagte er mit dumpfer aber klangvoller Stimme. »Wir sangen sein Lob mitten unter dem Geschrei, welches die Mörder und die Sterbenden im Kloster der Karmeliter ausstießen. Wenn er wollte, daß ich aus dieser Schlächterei gerettet wurde, so geschah es ohne Zweifel, weil er mich einer Bestimmung vorbehielt, die ich ohne Murren hinnehmen muß. Der Herr beschützt seine Priester Und kann über sie nach seinem Willen verfügen. Ihr müßt euch mit euch selber und nicht mit mir beschäftigen.«

»Nein«, sagten die beiden alten Frauen.

»Sobald ich mich außerhalb der Abtei de Chelles sah, betrachtete ich mich als gestorben!« rief diejenige von den beiden Nonnen, welche in der Ecke am Kamin saß.

»Hier sind die Hostien,« sprach die Angekommene, indem sie dem Priester das Schächtelchen reichte; »aber,« rief sie plötzlich, »ich höre jemand die Treppe heraufkommen!«

Bei diesen Worten lauschten alle drei. Das Geräusch hörte auf.

»Erschrecket nicht,« sagte der Priester, »wenn jemand versucht, zu uns zu gelangen. Eine Person, auf deren Treue wir zählen können, hat sicherlich die geeigneten Maßregeln getroffen, um die Grenze zu überschreiten, und wird die Briefe abholen, die ich an den Herzog von Lorges und an den Marquis von Bethune geschrieben habe, damit dieselben euch diesem schrecklichen Lande und dem Tode oder dem Elend entreißen.«

»Und Ihr werdet uns nicht folgen?« riefen die beiden Nonnen im Tone der Verzweiflung.

»Meine Stelle ist da, wo es Opfer gibt!« antwortete der Priester mit der größten Ruhe.

Sie schwiegen und betrachteten ihren Wirt in stummer Verwunderung.

»Schwester Martha,« sagte er, indem er sich an die Nonne wendete, welche die Hostien geholt hatte, »dieser Bote wird antworten: Fiat voluntas! auf das Wort: Hosanna!«

»Es ist jemand auf der Treppe!« rief die andere Nonne, indem sie ein Versteck öffnete, das geschickt unter dem Dache angebracht war.

Dieses Mal ließ sich bei der tiefen Stille deutlich der Schritt eines Mannes auf den Treppenstufen vernehmen. Der Priester barg sich mit Mühe in einer Art von Schrank und die Nonne warf einige Lumpen über ihn.

»Ihr könnt schließen, Schwester Agathe!« sagte er mit erstickter Stimme.

Kaum war der Priester verborgen, als drei Schläge an die Tür die beiden frommen Schwestern erbeben machten; ohne ein Wort zu sprechen, befragten sie sich mit den Blicken. Sie schienen beide etwa sechzig Jahre alt zu sein; seit vierzig Jahren von der Welt getrennt, glichen sie den Pflanzen, welche, an die Treibhausluft gewöhnt, sterben, wenn man sie daraus entfernt. An das Leben des Klosters gewöhnt, konnten sie ein anderes nicht begreifen. Eines morgens waren ihre Gitter zerbrochen worden und sie erbebten, als sie sich frei fanden. Man kann sich leicht vorstellen, welchen betäubenden Eindruck die Ereignisse der Revolution auf ihre unschuldigen Gemüter ausgeübt hatte. Da sie nicht imstande waren, ihre klösterlichen Begriffe mit den Beschwerlichkeiten des Lebens in Einklang zu setzen und sogar ihre Lage nicht verstanden, so glichen sie Kindern, für die man bis dahin Sorge getragen hatte und die, plötzlich von ihrer mütterlichen Vorsehung verlassen, beteten anstatt zu schreien. Auch vor der Gefahr, die sie in diesem Augenblick vorhersahen, blieben sie stumm und leidend, denn sie kannten keine andere Verteidigung als die christliche Ergebung.

Der Mann, welcher Eintritt verlangte, deutete dieses Schweigen in seiner Weise: er öffnete die Tür und zeigte sich plötzlich. Die beiden Nonnen zitterten, als sie in ihm dieselbe Person erkannten, welche seit fünf oder sechs Tagen um das Haus schlich und sich über sie zu unterrichten schien. Unbeweglich betrachteten sie ihn mit sorgenvoller Neugierde, wie wilde Kinder schweigend die Fremden betrachten.

Dieser Mann war von mittlerem Wuchs und ein wenig beleibt, aber nichts in seiner Haltung, in seiner Miene und in seinen Gesichtszügen deutete auf einen bösen Menschen. Er ahmte die Unbeweglichkeit der Nonnen nach und ließ seinen Blick langsam in dem Zimmer umherschweifen.

Zwei Strohmatten, die auf Brettern lagen, schienen den beiden Nonnen als Bett zu dienen. Ein einzelner Tisch stand in der Mitte des Zimmers. Darauf befand sich ein kostbarer Leuchter, einige Teller, drei Messer und ein rundes Brot. Im Kamin brannte ein sehr bescheidenes Feuer und einige in einem Winkel aufgehäufte Holzstücke zeugten von der Armut der beiden Klausnerinnen. Die mit einem sehr alten Anstrich betünchten Mauern befanden sich in demselben schlechten Zustande wie das Dach; denn Flecke, braunen Leisten ähnlich, zeigten an, daß der Regen durchgedrungen war; eine wahrscheinlich bei der Plünderung der Abtei von Chelles gerettete Reliquie lag auf dem Kaminmantel. Drei Stühle, zwei Kisten und eine schlechte Kommode vollendeten die Geräte dieses Zimmers. Eine neben dem Kamin angebrachte Tür ließ mutmaßen, daß noch ein zweites Zimmer vorhanden sei.

Die Person, die sich unter so trüben Anzeichen mitten in diese Haushaltung eingeführt hatte, überblickte in zwei Sekunden das Inventarium dieser Zelle. Ein Zug des Mitgefühls drückte sich in seinem Antlitz aus und er warf einen Blick des Wohlwollens auf die beiden Frauen. Er schien wenigstens ebenso verwirrt wie sie, und die seltene Stille, in welcher alle verharrten, währte ungefähr eine Minute. Endlich erriet er die Schwäche und Unerfahrenheit der beiden armen Geschöpfe und versuchte eine sanfte Stimme anzunehmen, indem er sprach:

»Ich komme hier nicht als Feind, Bürgerinnen ...« hier hielt er inne und verbesserte dann: »meine Schwestern. Wenn euch ein Unglück zustieße, so glaubet mir, daß ich es nicht veranlaßt habe. Ich komme, um euch um eine Gunst zu bitten ...«

Sie schwiegen noch immer.

»Wenn ich euch lästig fiel, wenn ... ich euch störte, so saget es frei heraus! Ich werde mich zurückziehen; aber ihr könnt glauben, daß ich euch ganz ergeben bin ... daß, wenn ich euch einen guten Dienst leisten kann, ihr ohne Furcht auf mich zählen möget ...«

Es lag ein aufrichtiger Ausdruck in diesen Worten. Die Schwester Agathe, diejenige von den beiden Nonnen, welche dem Hause von Béthune angehörte und deren Manieren verrieten, daß sie ehemals den Glanz der Feste gekannt und die Hofluft geatmet hatte, deutete daher auf einen Stuhl, als wollte sie ihn zum Sitzen nötigen. Als der Unbekannte diese Gebärde wahrnahm, zeigte er einen Ausdruck von trübseliger Freude, wartete aber, ehe er Platz nahm, bis die beiden ehemaligen Klosterschwestern sich gesetzt hatten.

»Ihr habt«, fuhr er fort, »einen ehrwürdigen, unbeeidigten Priester bei euch aufgenommen, der wunderbarerweise dem Gemetzel bei den Karmelitern entronnen ist ...«

»Hosanna!« sagte die Schwester Agathe, indem sie dem Fremden ins Wort fiel und ihn erwartungsvoll anblickte,

»So heißt er nicht, glaube ich,« antwortete er.

»Aber, mein Herr,« sprach Schwester Martha hastig, »wir haben hier keinen Priester und ...«

»Dann wäre mehr Vorsicht und Sorgfalt nötig ...« entgegnete der Fremde in sanftem Tone, indem er den Arm nach dem Tisch ausstreckte und ein Brevier in die Hand nahm. »Ich glaube nicht, daß ihr Lateinisch versteht und ...«

Er fuhr in seiner Rede nicht fort, denn die außerordentliche Aufregung, welche sich in den Zügen der beiden armen Nonnen ausdrückte, ließ ihn befürchten, daß er zu weit gegangen sei. Sie bebten und ihre Augen waren mit Tränen gefüllt.

»Fasset Mut,« sprach der Unbekannte in freimütigem Tone, »der Name eures Gastes und auch die eurigen sind mir bekannt. Seit fünf Tagen weiß ich von eurer traurigen Lage und eurer Aufopferung für den ehrwürdigen Abbé von ...«

»Still!« rief Schwester Agathe besorgt, indem sie einen Finger auf ihre Lippen legte.

»Ihr sehet, meine Schwestern, daß, wenn ich die schreckliche Absicht hätte, euch zu verraten, ich dieselbe schon ausgeführt haben könnte.«

Als der Priester diese Worte vernahm, verließ er sein Gefängnis und erschien in der Mitte des Zimmers.

»Ich kann nicht glauben, mein Herr,« sagte er zu dem Unbekannten, »daß Sie einer von unsern Verfolgern sind, und ich will Ihnen vertrauen ... Was wollen Sie von mir?«

Das heilige Vertrauen des Priesters, der Edelmut, der in allen seinen Zügen lag, hätte sogar die Mörder entwaffnet. Die geheimnisvolle Person, welche diesen Auftritt der Angst und Hingebung hervorgerufen hatte, betrachtete einen Augenblick diese drei Wesen; dann nahm der Fremde einen zutraulichen Ton an und wendete sich an den Priester mit den Worten:

»Mein Vater, ich kam, um Euch zu bitten, ein Totenamt zu halten für die Seelenruhe ... eines ... einer Person, deren Körper niemals in heiliger Erde ruhen wird ...«

Der Priester erbebte unwillkürlich; die beiden Nonnen verstanden noch nicht, wovon der Unbekannte sprechen wollte, und blieben mit vorgestrecktem Halse, das Gesicht auf die beiden Redenden gerichtet, in einer Haltung neugieriger Erwartung.

Der Geistliche betrachtete forschend den Fremden. Die Angst war deutlich in seinen Mienen und seinem flehenden Blicke zu lesen.

»Nun wohl,« antwortete der Priester, »kommen Sie heute um Mitternacht wieder und ich werde bereit sein, das einzige heilige Amt zu vollziehen, welches der Sühne eines Verbrechens förderlich sein kann ...«

Der Unbekannte zitterte, aber das Gefühl einer sanften und ernsten Befriedigung schien über einen geheimen Schmerz den Sieg davonzutragen. Nachdem er den Priester und die beiden frommen Schwestern ehrfurchtsvoll gegrüßt hatte, verschwand er mit einem stummen Dankesblick, der von den drei großmütigen Seelen verstanden wurde.

Ungefähr zwei Stunden nach diesem Auftritt kehrte der Unbekannte zurück; nachdem er leise an die Tür der Dachstube geklopft hatte, führte ihn Fräulein von Charost herein. Sie leitete ihn in das zweite Gemach dieser bescheidenen Wohnung, wo alles für die heilige Zeremonie schon vorbereitet war.

Zwischen die beiden Ofenröhren hatten die Nonnen die alte wurmstichige Kommode gestellt, deren altertümliche Formen von einer grünseidenen Altardecke verhüllt waren. Ein großes Kruzifix von Ebenholz und Elfenbein ließ die gelbe Mauer, woran es befestigt war, in ihrer ganzen Nacktheit erscheinen und fesselte notwendigerweise die Blicke. Vier ärmliche Kerzchen, welche die beiden Schwestern mit gelbem Wachs auf den improvisierten Altar festgeklebt hatten, verbreiteten ein fahles, von der Mauer spärlich zurückgestrahltes Licht. Dieses schwache Licht erhellte kaum den übrigen Teil des Zimmers; da es aber nur heiligen Dingen seinen Glanz lieh, so glich es einem vom Himmel auf diesen schmucklosen Altar gefallenen Strahl. Das Fenster war feucht. Das Dach, welches, wie gewöhnlich in den Dachwohnungen, sich von beiden Seiten schräg herabsenkte, zeigte einige Spalten, durch die ein eisiger Wind hereinwehte. Nichts konnte weniger prächtig, aber auch nichts feierlicher sein, als diese traurige Zeremonie. Ein tiefes Stillschweigen, wobei man das leiseste Geräusch auf der Straße hätte hören können, verbreitete eine düstere Majestät über diese nächtliche Szene; und die ganze Verhandlung stand in so strengem Gegensatz mit der Armut der Umgebung, daß das Gemüt sich von religiösem Schauer befallen fühlte.

Zu beiden Seiten des Altars knieten die beiden Klausnerinnen auf den achteckigen Ziegelsteinen des Fußbodens; ohne sich um die schädliche Feuchtigkeit zu kümmern, beteten sie, während der mit seinem Ornate bekleidete Priester einen goldenen, mit Edelsteinen geschmückten Kelch, wahrscheinlich ein aus der Plünderung der Abtei von Chelles gerettetes heiliges Gefäß, hinstellte. Neben diesem Ziborium, dem Denkmal königlicher Pracht, standen in zwei schlechten Gläsern das Wasser und der Wein, welche zu dem heiligen Amte bestimmt waren. In Ermangelung eines Betpultes hatte der Priester sein Brevier auf eine Ecke des Altars gelegt, eine gemeinschaftliche Schüssel war zum Waschen der unschuldigen, vom Blute reinen Hände bestimmt. Alles war großartig, aber klein; ärmlich aber würdig; profan und zu gleicher Zeit heilig.

Der Unbekannte kniete andachtsvoll zwischen den beiden Nonnen nieder. Als er aber plötzlich den Kelch und das Kruzifix mit Krepp verhüllt sah, denn da man den Zweck dieser Totenmesse nicht anders ausdrücken konnte, hatte man das Sinnbild Gottes selbst in Trauer gehüllt, da wurde er von so quälender Erinnerung ergriffen, daß Schweißtropfen von seiner breiten Stirn herabrieselten.

Die vier schweigend handelnden Personen dieses Auftritts sahen sich geheimnisvoll an; dann tauschten ihre Seelen unwillkürlich ihre Empfindungen aus, indem sie sich zu religiösem Gefühl vereinigten.

Es schien, als rief ihr Gedanke den Märtyrer zurück, dessen Überreste von ungelöschtem Kalke verzehrt waren; als stünde sein Schatten in voller Majestät vor ihren Augen. Sie feierten ein Obit, ohne den Körper des Verstorbenen. Unter diesen Ziegeln und diesen lückenhaften Latten verwendeten sich vier christliche Herzen bei Gott für einen König von Frankreich und beteten ohne Leichenzug, ohne Sarg. Es war die reinste Hingebung, eine Handlung aufopfernder Treue ohne alle Nebengedanken. Die ganze Monarchie war in dem Gebete eines Priesters und zweier armen Jungfrauen vertreten; vielleicht war auch die Revolution dargestellt durch diesen Mann, dessen Antlitz zu herbe Gewissensbisse verriet, als daß man nicht an die bitterste Reue hätte glauben sollen.

Anstatt der lateinischen Worte: Introibo ad altare Dei etc. betrachtete der Priester die drei anderen Personen, welche das christliche Frankreich vorstellten, und sprach zu ihnen:

»Wir treten in das Heiligtum Gottes! ...«

Bei diesen mit feierlicher Salbung gesprochenen Worten wurden die beiden Nonnen und der Fremde von heiligem Schauer ergriffen. Unter den Wölbungen von Sankt Peter zu Rom konnte sich Gott nicht in größerer Majestät zeigen, als jetzt in diesem Asyl des Elends vor den Augen dieser Christen; so wahr ist es, daß zwischen ihm und dem Menschen jede Vermittlung unnütz ist und daß seine Größe in ihm selber liegt.

Die Inbrunst, welche der Unbekannte fühlte, war aufrichtig. Die Gebete dieser vier Diener Gottes und des Königs wurden aus übereinstimmenden Herzen gesprochen. Die heiligen Worte ertönten wie himmlische Musik inmitten der Stille. Es kam ein Augenblick, wo die Tränen den Unbekannten überwältigten. Dies war beim Pater noster.

Der Priester fügte folgendes lateinische Gebet hinzu, welches ohne Zweifel von dem Fremden verstanden wurde:

»Et remitte scelus regicidis sicut Ludovicus eis remisit semet ipse«.

»Und verzeihe den Königsmördern, wie Ludwig XVI. ihnen selber verziehen hat.«

Die beiden Nonnen bemerkten, daß zwei große Tränen die männlichen Wangen des Unbekannten hinabrollten und auf den Boden fielen.

Die Totenmesse wurde gelesen. Das Domino salvum fac regem (Gott segne den König), mit leiser Stimme gesungen, rührte diese treuen Royalisten. Sie dachten daran, daß das königliche Kind, für welches sie in diesem Augenblick den Allerhöchsten baten, gefangen in den Händen seiner Feinde sei.

Nachdem der Trauergottesdienst beendigt war, gab der Priester den beiden Nonnen ein Zeichen, worauf sich dieselben zurückzogen. Als er sich mit dem Unbekannten allein sah, trat er mit sanfter und trauriger Miene zu ihm und sprach in väterlichem Tone:

»Mein Sohn, wenn Sie Ihre Hände in das Blut des Königs-Märtyrers getaucht haben, so vertrauen Sie sich mir an. Es gibt keinen Fehler, der sich in den Augen Gottes nicht durch eine so rührende und aufrichtige Reue, wie Sie gezeigt haben, auslöschen ließe.«

Bei den ersten Worten des Geistlichen machte der Fremde unwillkürlich eine Bewegung des Schreckens; dann wurde seine Miene wieder ruhig und er sah den erstaunten Priester fest an.

»Mein Vater,« sagte er zu ihm in gerührtem Tone, »niemand kann unschuldiger an dem vergossenen Blute sein, als ich.«

»Ich muß Ihnen glauben!« sprach der Priester.

Es entstand eine Pause, während welcher er den Büßenden von neuem prüfte. Dann hielt er ihn für eines jener furchtsamen Konventsmitglieder, die ein unverletzliches und geheiligtes Haupt opferten, um das ihrige zu retten, und hob in ernstem Tone wieder an:

»Bedenken Sie, mein Sohn! um von diesem großen Verbrechen losgesprochen zu sein, genügt es nicht, daß man dabei nicht mitgewirkt habe. Diejenigen, die den König verteidigen konnten und doch ihr Schwert in der Scheide ließen, werden schwere Rechenschaft vor dem Herrn des Himmels abzulegen haben. Oh,« fuhr der Priester fort, indem er ausdrucksvoll das Haupt schüttelte; »eine schwere Rechenschaft! Denn indem sie müßig blieben, wurden sie unwillkürlich die Mitschuldigen dieser entsetzlichen Missetat.«

»Ihr glaubet,« fragte der Unbekannte erstaunt, »daß eine mittelbare Teilnahme ebenfalls strafbar sei? ... Der Soldat, der befehligt wurde, das Spalier zu ziehen, ist also auch schuldig?«

Der Priester schien unentschlossen.

Erfreut über die Verwirrung, in welche er diesen Puritaner des Königtums brachte, indem er ihn zwischen das Dogma das passiven Gehorsams, welches nach der Meinung der Anhänger der Monarchie das Militärgesetz beherrschen soll, und das ebenso wichtige Dogma, welches die dem Könige schuldige Ehrfurcht heiligt, trieb, deutete der Fremde das Zögern des Priesters zugunsten seines gequälten Gewissens. Dann, um den ehrwürdigen Jansenisten nicht länger grübeln zu lassen, fügte er hinzu:

»Ich würde erröten, wollte ich Euch irgendein Honorar für das Totenamt bieten, welches Ihr für die Ruhe der Seele des Königs und zur Beruhigung meines Gewissens gehalten habt. Eine unschätzbare Handlung kann man nur mit einer Spende bezahlen, die ebenfalls über jeden Preis ist. Seien Sie so gütig, mein Herr, das Geschenk anzunehmen, welches ich Ihnen in einer heiligen Reliquie mache! Vielleicht wird ein Tag kommen, wo Sie den Wert derselben begreifen.«

Bei diesen Worten bot der Fremde dem Geistlichen ein außerordentlich leichtes Schächtelchen. Der Priester nahm es gewissermaßen unwillkürlich, denn der feierliche Ton, mit welchem der Mann diese Worte sprach, und die Ehrfurcht, mit welcher er jene Schachtel hielt, hatten ihn ins höchste Erstaunen versetzt.

Sie traten darauf wieder in das Gemach, wo die beiden Nonnen sie erwarteten.

»Sie wohnen,« sagte der Unbekannte zu diesen, »in einem Hause, dessen Besitzer, der Gipser Mucius Scävola, in dem ganzen Stadtteil wegen seines Patriotismus berühmt ist; aber im Geheimen ist er ein Anhänger der Bourbons. Er war ehemals Bereiter des Prinzen von Conti und verdankt ihm sein Vermögen. Wenn Sie dieses Haus nicht verlassen, so sind Sie hier sicherer, als an irgendeinem Orte Frankreichs. Bleiben Sie hier! Fromme Seelen werden für Ihre Bedürfnisse sorgen und Sie können dann ohne Gefahr bessere Tage abwarten. – In einem Jahre, am 21. Januar ... (bei den letzten Worten konnte er eine unwillkürliche Rührung nicht verbergen) wenn Sie diesen traurigen Ort als Asyl behalten, werde ich wiederkommen, um die Sühnemesse mit Ihnen zu begehen ...«

Er sprach nicht weiter, sondern grüßte die schweigenden Bewohner der Dachstube, warf noch einen letzten Blick auf die Zeugen ihrer dürftigen Lage und verschwand.

Für die beiden unschuldigen Nonnen hatte diese Begebenheit alle fesselnden Eigenschaften eines Romans. Sobald der ehrwürdige Abbé sie von dem geheimnisvollen Geschenk, welches ihm jener Mann feierlich überreicht hatte, in Kenntnis setzte, stellten sie die Schachtel auf den Tisch, und die drei Gesichter, vom Lichte spärlich beleuchtet, zeigten eine unbeschreibliche Neugierde. Fräulein von Charost fand darin ein langes Taschentuch aus feinem Battist. Dasselbe trug einige Schweißflecke. Nachdem alle drei es mit Sorgfalt bei Lichte betrachtet hatten, erkannten sie einige vereinzelte schwarze Punkte, als ob das Tuch mit Kot bespritzt wäre.

»Es ist Blut!« sagte der Priester mit tiefer Stimme.

Die beiden Schwestern ließen die Reliquie entsetzt fallen.

Für diese beiden unschuldigen Seelen blieb das Geheimnis, in welches sich der Fremde hüllte, unerklärlich; der Priester gestattete sich seit diesem Tage nicht mehr, es zu erklären.

Bald wurden die drei Gefangenen inne, daß eine mächtige Hand sie sogar in der schlimmsten Schreckenszeit beschützte. Anfänglich erhielten sie Brot und Lebensmittel; dann errieten die beiden Nonnen, daß sich eine Frau mit ihrem Beschützer verbunden hatte, denn man schickte ihnen Leinenzeug und Kleidungsstücke, wodurch es ihnen gestattet wurde, auszugehen, ohne durch die aristokratische Mode der Kleider, die sie gezwungenerweise aufbewahrt hatten, erkannt zu werden. Endlich verschaffte ihnen Mucius Scävola zwei Aufenthaltskarten. Oft gelangten auf Umwegen Warnungen, welche die Sicherheit des Priesters erforderlich machte, zu ihnen, und sie erkannten in allen diesen Ratschlägen soviel Zweckmäßigkeit, daß dieselben nur von einer Person ausgehen konnten, die fortwährend mit allen Staatsgeheimnissen vertraut war.

Trotz der Hungersnot, die auf Paris lastete, fanden sie vor der Tür ihrer Dachstube Rationen Weißbrot, die ihnen regelmäßig von unsichtbaren Händen dargebracht wurden. Doch glaubten sie in Mucius Scävola den geheimnisvollen Agenten dieser so sinnreichen wie rührenden Wohltätigkeit zu sehen.

Die würdigen Bewohner der Dachstube konnten nicht länger zweifeln, daß ihr Beschützer dieselbe Person sei, welche zu ihnen gekommen war, um in der Nacht des 21. Januar 1793 die Sühnemesse zu begehen. Derselbe wurde auch für diese drei Wesen, die nur auf ihn hofften und von ihm lebten, der Gegenstand eines eigenen Kultus. Seinetwegen hatten sie ihren Gebeten noch besondere Bitten hinzugefügt. Abends und morgens beteten diese frommen Seelen für sein Glück, für seine Wohlfahrt und für sein Heil. Sie baten Gott, von ihm alle Gefahr fernzuhalten, ihn von seinen Feinden zu befreien und ihm ein langes und friedfertiges Leben zu gewähren.

Mit dieser Dankbarkeit, die sich gleichsam jeden Tag erneuerte, verband sich notwendigerweise das Gefühl einer von Tag zu Tag zunehmenden Neugierde. Sie unterhielten sich über die Umstände, welche die Erscheinung des Fremden begleitet hatten. Sie sprachen tausend Vermutungen über ihn aus und durch diese Zerstreuung, deren Veranlassung er war, widerfuhr ihnen eine neue Wohltat. Sie nahmen sich vor, ihn, wenn er seinem Versprechen gemäß zurückkehren würde, um den traurigen Jahrestag des Todes Ludwigs XVI. zu feiern, ihrer Freundschaft nicht entrinnen zu lassen. Diese so sehnlich erwartete Nacht kam endlich.

Um Mitternacht erscholl der schwere Schritt des Unbekannten auf der alten hölzernen Treppe. Das Zimmer war zu seinem Empfange geschmückt. Der Altar war errichtet. Dieses Mal öffneten die Schwestern die Tür im voraus und beide beeilten sich, die Treppe zu beleuchten. Fräulein von Charost stieg sogar einige Stufen hinab, um ihren Wohltäter früher zu sehen.

»Kommen Sie,« sagte sie mit gerührter und dankbarer Stimme, »kommen Sie ... man erwartet Sie ...«

Der Mann erhob den Kopf, warf einen düsteren Blick auf die Nonne und gab keine Antwort. Es fiel wie eine eiserne Hülle auf sie und sie schwieg. Der Unbekannte trat ein; bei seinem Anblick erstarb der Dank und die Neugierde in aller Herzen. Vielleicht war er weniger kalt, weniger schweigsam, weniger schrecklich, als er diesen Seelen erschien, welche durch ihre inbrünstigen Gefühle zu den Ergüssen der Freundschaft getrieben wurden. Die drei armen Gefangenen sahen ein, daß dieser Mann für sie ein Fremder bleiben wollte: und sie ergaben sich darein. Der Priester glaubte zu bemerken, daß ein Lächeln auf den Lippen des Unbekannten plötzlich schwand, als er sah, daß man Vorbereitungen zu seinem Empfange getroffen hatte. Er hörte die Messe, betete und verschwand, nachdem er die Einladung des Fräuleins von Charost, eine bereitgehaltene Mahlzeit mit ihnen einzunehmen, mit einigen höflichen Worten abgelehnt hatte.

Bis der katholische Gottesdienst durch den ersten Konsul wieder eingesetzt wurde, feierte man das Sühneamt in geheimnisvoller Weise in der Dachwohnung.

Als die Nonnen und der Abbé sich ohne Furcht wieder zeigen durften, sahen sie den Unbekannten nicht wieder. Dieser Mann blieb ein Rätsel in ihrem Andenken.

Die beiden Schwestern fanden bald Hilfe in ihren Familien, von denen einige Mitglieder es durchsetzten, aus der Liste der Emigranten gestrichen zu werden. Sie verließen ihr Asyl, und Bonaparte, der die Dekrete der gesetzgebenden Versammlung ausführte, wies ihnen die Pensionen an, welche ihnen zukamen. Sie kehrten wieder in den Schoß ihrer Familien zurück und setzten ihre klösterlichen Gewohnheiten dort fort.

Der Priester, der kraft seiner Geburt auf eine Bischofsstelle Anspruch machen konnte, blieb in Paris und wurde Gewissensrat einiger aristokratischer Familien des Faubourg Saint Germain.

Der Unbekannte in dieser bewundernswerten Erzählung war Charles Henri Sanson. –

Das Revolutionstribunal

Reviers-Mauny, Beaulieu.

Der Boden des Revolutionsplatzes war noch feucht vom Blute des Königs, als die Klubs und die Gemeinden ungestüm den Tod der Freunde des Königtums forderten.

Noch an dem Tage, welcher dem Tode des Königs folgte, richtete man einen unglücklichen Eisenkrämer namens Durand hin, dessen Niedergeschlagenheit und Verzweiflung einen seltsamen Gegensatz zu der Fassung und Geistesgegenwart des Monarchen bildeten. Donnerstag, den 24., an dem Tage des Leichenbegängnisses von Lepelletier-Saint-Fargeau, fielen fünf Köpfe auf dem Schafott. Obgleich das Pantheon im theatralischen Pomp wetteiferte, so hatte jenes Schauspiel doch eine außerordentliche Menge Zuschauer nach dem Revolutionsplatze gezogen; bei dieser Hinrichtung zeigten sich zum ersten Male diejenigen Frauen, welche später unter dem Namen der Furien der Guillotine eine so scheußliche Berühmtheit erlangen sollten. Fünf bis sechs Frauen in der ersten Reihe (sie waren zu jener Zeit noch nicht zahlreicher) beschimpften die Delinquenten und vorzugsweise Bertsilly, der bis zum letzten Augenblick seine Unschuld beteuerte.

Von diesem Tage an ruht sich die Guillotine aus, als hätte sie nötig, Kräfte für die schreckliche Arbeit zu sammeln, die ihr der heftige Zorn des Volkes vorbehält.

Der Ruf: »Das Vaterland ist in Gefahr!« vom Jahre 1792 hatte die Septembertage geboren. Die Erhebung in Masse vom Jahre 1793 gab uns das Revolutionstribunal.

Am 9. März erstattet Chaumette, der Generalprokurator der Gemeinde, dem Konvente Bericht über die Aushebung der Bürger von Paris; er verlangt Hilfe für die Familien der Abziehenden und einen Gerichtshof ohne Appellation, um die schlechten Bürger zu bewachen und zu richten. »Ohne ein solches Tribunal« – sagten die Sektionen, deren Redner er war – »könnt ihr niemals die Hartnäckigkeit der Egoisten besiegen, die weder kämpfen, noch denjenigen, welche sich für sie schlagen, Hilfe leisten wollen.«

Jean-Bon Saint-André besteigt die Tribüne und unterstützt das Gesuch des Redners der Kommune. Derjenige, welcher den furchtbarsten Gebrauch von diesem Ausnahmegesetze machen, derjenige, dessen Andenken durch sie für immer scheußlich werden sollte: Carrier nämlich, verwandelt das Gesuch in einen Antrag und besteht darauf, daß dieser Antrag dem Gesetzgebungskomitee überwiesen werde, damit dasselbe schon am folgenden Morgen eine Organisationsplan zu dem Revolutionstribunal vorlege. Vergeblich will Lanjuinais diesen Plan, den er ein öffentliches Unglück nennt, amendieren; von Levasseur verfaßt, wird Carriers Antrag abgestimmt und angenommen.

Am nächsten Tage sind zwei Gesetzentwürfe auf der Tagesordnung: der über das Revolutionstribunal und ein anderer über die Organisation der Ministerien.

Folgendes war der Entwurf von Lindet:

»Das Revolutionstribunal soll aus neun vom Konvente ernannten Mitgliedern bestehen.

Sie sollen in betreff der Untersuchung an keine Form gebunden sein. Sie erlangen die Überführung der Schuld durch alle möglichen Mittel.

Das Tribunal wird sich in zwei Abteilungen teilen.

In dem für das Tribunal bestimmten Saale wird ein Mitglied beauftragt sein, die Meldungen der Angeber in Empfang zu nehmen.

Das Tribunal richtet diejenigen, welche ihm durch ein Dekret des Konvents zugeschickt werden.

Dasselbe kann unmittelbar verfolgen diejenigen, welche aus Mangel an Bürgersinn die Ausübung ihrer Pflichten unterlassen oder vernachlässigt haben; diejenigen, welche durch Handlung oder Schrift oder durch die Stellung, die sie unter der alten Regierung einnahmen, die Vorrechte zurückverlangen, welche die Despoten sich anmaßten.«

Am 28. März erließ der Konvent auf Chazals Vorschlag ein Dekret, welches befahl, daß das außerordentliche Kriminalgericht, obwohl unvollständig, sogleich in Tätigkeit treten sollte, und am 6. April vollzog man bereits das erste Urteil einer Institution, welche durch eine unglaubliche Lästerung sich Revolutions-Gerichtshof nannte, ohne zu überlegen, welcher Widerspruch in der Verbindung dieser beiden Wörter lag.

Seit dem Tode Ludwigs XVI. war die Guillotine auf dem Reunionsplatze errichtet. Die beiden großen roten Arme, welche sich an dem gräulichen Tone der Atmosphäre und der Monumente abzeichnete, hätten einen sehr unschuldigen Anblick dargeboten, ohne die Überzeugung, die sich nur zu bald rechtfertigte: daß sie ihre Beute erwarteten.

Am 30. April wurde die alte Guillotine weggebracht und eine neue aufgestellt, an welcher Charles Henri Sanson alle Veränderungen hatte vornehmen lassen, die zur Ausführung mehrerer aufeinander folgender Hinrichtungen nötig waren. Es ist interessant genug, den Zeitgeist aus den Betrachtungen, die man über dieses Todeswerkzeug anstellte, zu studieren. Folgendes sagt darüber eines der gemäßigtsten Journale von 1793:

»Man hat die letzte Hand an die Guillotine gelegt; es läßt sich nicht leicht ein Todesgerät denken, welches besser dasjenige vereinigt, was man der Menschlichkeit schuldig ist und was das Gesetz fordert, wenigstens solange die Todesstrafe nicht abgeschafft ist. Man sollte aber auch die Hinrichtungszeremonie verbessern und alles, was an das alte Regime erinnert, daraus verbannen. Der Karren, worauf man den Verurteilten zur Richtstätte fährt; die auf den Rücken gebundenen Hände, wodurch der Verurteilte zu einer knechtischen und gezwungenen Haltung genötigt wird; der schwarze Talar, mit welchem sich der Beichtiger vermummen darf, ungeachtet ein Dekret den geistlichen Ornat verbietet: diese ganze Zurüstung geziemt sich nicht für eine aufgeklärte menschliche und freie Nation. Es ist vielleicht auch unpolitisch, einem Reaktionär, einem Verschwörer in seinen letzten Augenblicken den Beistand eines Priesters zu gewähren. Die Gewalt, welche die Religion auf das Gemüt ausübt, kann den Delinquenten veranlassen, einem Beichtvater wichtige Dinge zu vertrauen, wovon jener in der Folge Mißbrauch macht.

Ein anderer Vorwurf, den man dieser Todesstrafe machen kann, besteht darin, daß man den Verurteilten zwar den Schmerz, aber dem Zuschauer nicht den Anblick des Blutes erspart; man sieht dasselbe von der Schneide der Guillotine herabfließen und das Pflaster an der Stelle, wo sich das Schafott befindet, benetzen; ein so widriges Schauspiel sollte den Augen des Volkes nicht geboten werden, und man könnte leicht diesem Übelstand abhelfen, der übrigens von größerer Bedeutung ist als man glaubt, da er das Volk mit dem Gedanken des Mordes bekannt macht, und wenngleich solcher Mord im Namen des Gesetzes ausgeübt wird, so wird durch seine Wiederholung doch jede Teilnahme zu einer bloßen kaltblütigen Neugierde abgestumpft.

Hört man nicht bereits die Menge sagen, daß diese Todesstrafe für die Verbrecher, die man bis jetzt hingerichtet hat, viel zu sanft sei, und in der Tat haben mehrere derselben das Ansehen gehabt, als trotzten sie dem Tode; das Volk wird so entsittlicht, daß es auf Rache sinnt, anstatt sich mit der Gerechtigkeit zu begnügen!«

Der letztere Satz ist wahrscheinlich der einzige, welcher die wahren Empfindungen des Verfassers dieses Artikels ausspricht; ich kann nicht glauben, daß der Bürger Loustalot, der ihn schrieb, wirklich den Wunsch gehegt habe, daß man den Sterbenden den letzten Trost raube; aber es war zu jener Zeit bereits weise, seine Gedanken wie seinen Kopf unter eine rote Mütze zu bringen und seine Worte in die Falten einer Karmagnole zu hüllen.

Am 9. begab sich mein Großvater auf Fouquier-Tinvilles Befehl in die Conciergerie. Das Tribunal hielt Gericht über François Jacques de Reviers, ehemaligen Grafen von Mauny, Exmajor der Schweizergarden des Grafen von Artois, der Emigration beschuldigt, und Louis Alexandre de Beaulieu, der ihn bei sich aufgenommen hatte.

In dem Augenblick, als mein Ahne durch die Gittertür schritt, stieß ihn ein junger Mensch an, der mit besonderer Hast an ihm vorüberlief. Da rief ihn jemand bei Namen und er bemerkte zu gleich er Zeit, daß der junge Mann, als er diesen Namen hörte, plötzlich stehen blieb und sich umwendete. In diesem Augenblick überzeugte sich auch Charles Henri Sanson, daß jener eilfertige Jüngling, wie er gleich beim ersten Anblick vermutet hatte, eine Frau in Mannskleidern sei. Eine solche Verkleidung war jedoch in jener Zeit so häufig, daß er darüber nicht weiter erstaunte; er ergriff daher den Arm der Person, die ihn angerufen hatte, und beide wanderten plaudernd auf dem Hofe des Palais auf und nieder.

Als diese Person ihn verlassen hatte und er die Hand auf die Klinke der schweren Gefängnistür legte, fühlte er sich leicht an der Jacke gezogen und bemerkte an seiner Seite den jungen Mann, dessen weibliche Miene ihn einen Augenblick interessiert hatte. Es war in der Tat eine Frau, die vielleicht dreißig Jahre alt sein konnte; ihre Züge waren so regelmäßig, ihre ganze Erscheinung so vollkommen, obgleich ihr Gesicht außerordentlich blaß war, daß man unwillkürlich von ihrer Schönheit betroffen wurde. In ihren aufgeregten Gesichtszügen spiegelte sich zu gleicher Zeit Verzweiflung und Zorn; ihre blassen Lippen zitterten krampfhaft und ihre Augen funkelten in fieberhaftem Glanze; sie zog Charles Henri Sanson in die Mitte des Hofes und fragte ihn ohne weitere Einleitung mit zitternder, halb erstickter Stimme:

»Willst du fünfzig Louisdors gewinnen, indem du einen Verurteilten rettest?«

Mein Großvater erbebte und warf unwillkürlich einen Blick um sich. Als er zu seiner Befriedigung bemerkte, daß sie allein waren, sagte er:

»Ich würde ihn umsonst retten, wenn Sie mir sagen wollen, wie ich es anfangen soll.«

»Kannst du nicht auf einen Tag, auf einige Stunden verschwinden?«

»Das ist ein schlechtes Mittel; sind nicht meine Gehilfen da? Wir sind nicht mehr in der Zeit, wo man mit dem Schwert oder dem Beile hinrichtete. Der Scharfrichter ist heut nur noch ein Räderwerk an einer Maschine; wenn er fehlt, vertritt der erste beste seine Stelle. Was Sie wünschen, ist unmöglich, und ich kann Ihnen nur den Rat geben, auf Ihren Plan zu verzichten.«

»Ich verzichte nicht darauf!« rief die Unbekannte im Tone höchsten Unwillens.

»Eine Größere als Sie hat Verzicht leisten müssen.«

Die junge Frau verstand die Anspielung und ließ den Kopf sinken. Als sie wieder aufblickte, war in ihren Mienen eine vollständige Umwandlung zu lesen; ihre trockenen und brennenden Augen waren feucht, Tränen rieselten an ihren Wangen herab und unter Seufzern, die ihre Brust zu ersticken drohten, murmelte sie:

»Der Elende! der Elende!«

Charles Henri Sanson fragte sie, wen sie damit meine.

»Ich meine einen Schändlichen, dem ich ein teures Haupt mit Gold abgekauft habe, der gestern noch schwur, ihn zu retten und der soeben von den Richtern seinen Tod verlangte; ich meine Fouquier-Tinville.«

Diesen Namen sprach sie mit lauter Stimme; mein Großvater winkte ihr zu, leise zu reden und führte sie unter eine der Wölbungen, indem er sagte:

»Wie konnten Sie seinen Versprechungen Glauben schenken? Wie konnten Sie glauben, daß er diesen Kaufvertrag halten würde? Ich sagte Ihnen eben, ich sei nur ein elendes Räderwerk der Guillotine, ein Räderwerk, welches tötet; Fouquier spielt eine nicht weniger erbärmliche Rolle an einer anderen Maschine; wir gehorchen beide einem Willen, der aller menschlichen Macht überlegen ist. Einen Augenblick Stillstand und wir würden zerbrochen sein, ohne auch nur den Trost zu haben, daß wir ein Opfer gerettet hätten. Sollte es nicht die Hand Gottes sein, die uns treibt, Madame« – fuhr mein Großvater, wie mit sich selber redend, fort – »Gottes, der schon sooft an den Kindern die Sünden und Fehler ihrer Väter heimgesucht hat?«

Die junge Frau ließ ihren Tränen freien Lauf.

»Mein Gott! Was bleibt mir zu tun übrig?« stammelte sie.

»Nichts, als sterben lernen, indem wir unsere Geliebten sterben sehen, Madame!«

»Könnte ich nicht wenigstens seinem Leichnam die letzte Pflicht erweisen, mein Herr? Könnte ich nicht noch einmal über seiner Leiche weinen? Oh, seien Sie nicht unerbittlich; er heißt ...«

»Ich will seinen Namen nicht wissen, Madame; der Leichnam eines Verbrechers gehört der Republik und die Republik ist eine eifersüchtige Haushälterin, die nicht duldet, daß man ihr Eigentum antastet. – Aber dort kommt einer meiner Gehilfen, der mit mir sprechen will; ich lasse Sie mit ihm allein, vielleicht willigt er ein, Ihnen in der Aufgabe, die Ihnen die Liebe auferlegt, behilflich zu sein; was mich betrifft, so kann ich Ihnen nur versprechen, daß ich die Augen dabei zudrücken will.«

Mein Großvater verließ darauf die junge Frau und begab sich in die Conciergerie, wo man ihm Reviers-Mauny und Beaulieu überlieferte, welche beide zum Tode verurteilt worden waren. Das Herannahmen der letzten Stunde hatte ihre Gesichtszüge nicht verändert; auf dem Karren nebeneinander sitzend, unterhielten sie sich vertraulich, ohne ihren Mut durch das Geschrei der Menge auch nur einen Augenblick erschüttern zu lassen. Als das Gefährt auf dem Revolutionsplatze still hielt, bemerkte Charles Henri Sanson in dem Augenblick, wo er die Verurteilten absteigen ließ, daß Reviers-Mauny noch auf dem Wagen stehen blieb und erbleichte. Er folgte mit den Augen den Blicken des Verurteilten und erkannte in der Menge die junge Frau, mit welcher er einige Stunden vorher in dem Hofe des Palais gesprochen hatte. Er erschrak über die möglichen Folgen, welche eine solche Unvorsichtigkeit für die unglückliche Frau haben konnte, und rief seinen Gehilfen; dies war ein Mann, dem das Schicksal in einer jener seltsamen Launen, die ihm eigen sind, den Namen eines der mächtigsten Minister der Monarchie gegeben hatte: er hieß Louvois.

»Louvois,« sagte mein Großvater zu ihm, »Du hast fünfzig Louisdors von einer als Mann verkleideten Frau erhalten, damit du den Leichnam eines dieser beiden Verurteilten beiseite schaffen möchtest; wir müssen zeigen, daß wir ehrlicher sind als der Bürger Ankläger, der, wie es scheint, heute Morgen sein Geld gestohlen hat; du mußt deine fünfzig Louisdors ehrlich verdienen. Sie steht dort auf der rechten Seite der Guillotine in der fünften oder sechsten Reihe, habe acht auf sie!«

Louvois zwinkerte mit den Augen und Charles Henri Sanson traf die Vorkehrungen zur Hinrichtung.

Beaulieu starb zuerst. In dem Augenblick, als das schon blutige Messer zum zweiten Male niederfiel, ließ sich ein Schrei hören, der einen tiefen Schmerz und zu gleicher Zeit eine Verwünschung ausdrückte und aus der dem Schafott am nächsten stehenden Gruppe hervordrang.

Wie Charles Henri Sanson vorausgesehen hatte, war es der armen Frau nicht möglich gewesen, ihren Schmerz zu beherrschen; sie war es, welche jenen Schrei ausgestoßen hatte. Sogleich erhob sich auch ein Unheil verkündender Lärm um sie her, ihre nächsten Nachbarn ergriffen sie und von allen Seiten hörte man drohende Bemerkungen über die Verkleidung der Unglücklichen und über die aristokratischen Gefühle, die sie soeben bekundet hatte.

Man sprach bereits davon, sie vor das Revolutionstribunal zu führen, als Louvois sich einen Durchgang bahnte, sie der Menge entriß, mit der einen Hand ergriff und ihr mit der andern ein paar Ohrfeigen gab, indem er sagte:

»Ha, verräterisches Weib! Ich wußte wohl, daß du mich betrogst, aber ich hielt dich nicht für so schändlich und ahnte nicht, daß du dich mit einem Aristokraten abgäbest. Glücklicherweise hat das Volk seine eigenen Angelegenheiten und gleichzeitig auch die meinigen in Ordnung gebracht; fortan wird dein Geliebter ebensowenig mein Bett wie den Boden der Freiheit besudeln. Hast du dich an seinen Grimassen erfreut? Aber ich glaube gar, du heulst noch! Wollt ihr es glauben, Bürger, daß dieses schurkische Weib noch frech genug ist, über ihren Geliebten vor den Augen ihres Ehemannes zu weinen?«

Das unbefangene Geständnis, welches Louvois über sein vorgebliches eheliches Unglück machte, rief einige Witzworte in der Menge hervor. Man lachte, sprach nicht mehr von dem schrecklichen Tribunal und überließ es dem Gatten, seine schuldige Ehehälfte zu bestrafen.

Am Abend wurden die Leichname der beiden Hingerichteten nach der Madeleine gebracht; aber Louvois, der seine gute Tat nicht unvollendet lassen wollte, verschaffte der jungen Frau einen Paß, womit sie über die Grenze gelangte. Es war eine vornehme Dame, deren Namen ich aus Rücksicht, welche der Leser billigen wird, nicht nenne, obgleich derselbe schon in einigen Memoiren genannt worden ist, und zwar bei Gelegenheit, wo es sich darum handelte, die Käuflichkeit Fouquier-Tinvilles zu beweisen. Sie belohnte ihren Befreier auf großmütige Weise und setzte ihn in den Stand, sein Handwerk aufzugeben.

Marats Tod; Charlotte Corday

Im Jahre 1792 nahm man in der öffentlichen Meinung die Deklamationen Marats eher mit Widerwillen als mit Zorn, eher mit Verachtung als mit Haß auf. Viele Leute hüteten sich, die Ergießungen dieses wilden Verzückten, welche ebenso spaßhaft wie kläglich waren, ernsthaft zu nehmen. Das Burleske mit dem Lächerlichen verwechselnd, obgleich jenes schrecklich werden kann, überließen sie es dem gesunden Menschenverstand, darüber zu urteilen. Indem die Gironde ihn Mann gegen Mann angriff, verwandelte sie diesen Zwerg in einen Riesen; sie unterlag in dem Kampf und Marat wurde um hundert Armlängen höher, indem die Leichen der großen besiegten Redner ihm als Fußgestell dienten. Da man zu gleicher Zeit sah, daß das System der Ächtungen, welches er gepredigt hatte, das Wohlfahrtsgesetz der Republik wurde, so machten oberflächliche Geister den Schluß, er wäre der unerschütterliche Gebieter über das Schicksal der Nation, und setzten die eigentlichen Schreckensherrscher in die zweite Reihe. Von übertriebener Verachtung ging man ohne Zwischenstufe zu übermäßigem Schrecken über. Die begüterten Leute, die aufrichtigen Patrioten sahen Marat wie eine Art Alten vom Berge an, von dem jedes Wort als Mordbefehl galt und der die ganze Demagogie zum Schildträger hatte. Die Überreste der Gironde die sich um Wimpffen versammelt hatten, da dieser die Fahne der gemäßigten Republik erheben wollte, verbreiteten diese Ansicht weiter. Indem sie Marat als das Haupt der Partei, bezeichneten, die sie proskribiert hatte, widmeten sie diese Partei dem öffentlichen Abscheu und empfahlen sich zugleich selber der Begeisterung aller edlen Herzen.

Zu Caen lebte damals ein junges Mädchen, deren männliche, begeisterte Seele täglich durch die fleißige Lektüre der großen Geschichtsschreiber des Altertums mit dem Heldenmute vertrauter wurde. Sie hieß Maria Anna Charlotte Corday d'Armont; sie war in Ligneries, einem kleinen Dorfe in der Umgegend von Argentan, geboren. Ihre Familie war von Adel und zählte unter ihren Vorfahren eine der ruhmwürdigsten Größen der französischen Nation; ihr Vater Jacques François von Corday d'Armont stammte im dritten Grade von Maria Corneille, der Schwester des Verfassers des Cid. Herr von Corday war arm; sein Einkommen betrug nicht über 1500 Livre. Frau von Corday starb, als Charlotte noch ein Kind war. Dieser frühzeitige Schmerz und die darauf folgende Verlassenheit übergaben sie schon frühzeitig dem ernsten Unterricht der Einsamkeit und der Sammlung.

Von Grundsätzen für die Revolution begeistert, begrüßte sie die Morgenröte derselben mit Entzücken; sie machte den Zweck derselben mit allem Eifer aufrichtiger Überzeugung zu dem ihrigen.

Wie oben erwähnt, wurde die revolutionäre Bedeutung Dantons und Robespierres für die Provinzen durch die düstere Persönlichkeit Marats verdunkelt, dessen Namen man mit allen Mordtaten und Plünderungen in Verbindung brachte.

Die Entrüstung der jungen Patriotin war zu stark, als daß sie sich mit der Lösung eines politischen Rätsels der Zukunft abgequält hätte. Marat erstickte nicht nur die Republik, sondern er entehrte sie auch; es war also Marat, den der Himmel ihrem Dolche zuwies.

Der Tod des Volksfreundes wurde mit ruhigem und sanftem Stoizismus entschieden, dessen Größe sich in keinem Tyrannenmörder, den die Geschichte gefeiert hat, wiederfindet. Sie widerstand der Versuchung, ihre Freunde, die Girondisten, ihrem glorreichen Plane Beifall zollen zu sehen; sie vergrub diesen Plan in ihren Busen, wie in ein Grab. Sie verließ Caen, um den Segen ihres Vaters zu holen, um von allem, woran sie in dieser Welt gefesselt war, Abschied zu nehmen, und am 9. Juli stieg sie in die Kutsche, welche sie von Argentan nach Paris bringen sollte.

Nachdem sie am Donnerstag den 11. gegen Mittag in dieser Stadt angekommen war, stieg sie in der alten Augustinerstraße Nr. 17, im Hotel de la Providence ab, welches ein gewisser Groslier hielt. Diese Reise von achtundvierzig Stunden hatte sie ermüdet. Sie verließ ihr Zimmer nicht, ging um fünf Uhr zu Bett und schlief ein; erst am folgenden Tage um acht Uhr morgens erwachte sie wieder.

Barbaroux hatte ihr einen Empfehlungsbrief an seinen Kollegen Duperret mitgegeben.

Am Sonnabend, ehe sie zu der mit Duperret verabredeten Zusammenkunft ging, schrieb sie an Marat ein Billett, worin sie ihn um eine Unterredung bat, und gab dasselbe auf die Post; dann verfügte sie sich in Begleitung des Repräsentanten zu dem Minister. Da Duperret aber wegen seiner Verbindung mit den Geächteten schlecht angeschrieben war, so konnte er die gewünschte Audienz nicht erlangen; er führte Charlotte wieder bis zu dem Garten des Palais Royal, wo er sie verließ. Nun ging sie zu einem Messerschmied und kaufte dort ein langes und scharfes Messer mit Ebenholzgriff; dann kehrte sie nach ihrem Hotel zurück, wo sie Marats Antwort zu finden hoffte.

Marat war krank. Das beständige Fieber, welches in seinem Blute brannte, artete in einen scheußlichen Aussatz aus, gegen welchen die Mittel der ärztlichen Kunst nichts vermochten; seit einigen Tagen ging er nicht mehr in den Konvent. Charlotte Corday konnte ihn nicht auf dem Gipfel der Berges treffen, wie sie beabsichtigt hatte; es blieb ihr nichts übrig, als ihn in seiner Höhle aufzusuchen. Am Sonnabend den 13. gegen 11 Uhr stellte sie sich zum ersten Male bei Marat ein und wurde nicht angenommen; sie kehrte in ihr Hotel zurück und schrieb für den Fall, daß man ihr wieder eine Unterredung verweigern würde, ein zweites Billett folgenden Inhalts:

»Paris, am 13. Juli im Jahre II der Republik.

Dem Bürger Marat.

Ich habe heute Morgen an Euch geschrieben, Marat. Habt Ihr meinen Brief erhalten? Ich kann es nicht glauben, da man mir Eure Tür verweigerte. Darf ich auf einen Augenblick Gehör hoffen? Ich wiederhole es Euch, daß ich von Caen komme. Ich habe Euch die wichtigsten Geheimnisse für das Wohl der Republik zu enthüllen. Außerdem werde ich um der Freiheit willen verfolgt, ich bin unglücklich: dies wird genügen, um Anspruch auf Eure Achtung zu haben.

Charlotte Corday.«

Nachdem sie dieses Billett geschrieben hatte, steckte sie es in die Tasche, verbarg das gekaufte Messer in ihrem Busen, nahm einen Fiaker und ließ sich bis vor die Tür Marats fahren, welcher Nr. 20 in der Rue des Cordeliers wohnte. Sie trug ein weißes, geköpertes und getüpfeltes Hauskleid, auf dem Kopfe einen Hut mit einer dreifachen Randschnur und einer schwarzen Kokarde. Marat war auf das beste bewacht; eine Frau, Catharine Evrard und die Schwester derselben, Simone, wachten über ihn mit der doppelten Sorgfalt der Liebe und des Fanatismus. Die erstere verweigerte hartnäckig der jungen Normannin, welche lange Zeit mit ihr unterhandelte, den Eintritt. Als Marat eine frische, weibliche Stimme hörte und daraus erkannte, daß es die Person sei, welche ihm diesen Morgen geschrieben hatte, befahl er Catharine Evrard in nachdrücklichem Tone, sie einzulassen.

Er war in seinem Bade und hatte den Kopf mit einem Taschentuch umwickelt; ein schmutziges Tuch bedeckte die Badewanne; vor ihm lag ein Brett, welches ihm als Schreibpult diente.

Er wollte wissen, wie es in Caen herging, und fragte Charlotte über die Namen der Deputierten, welche sich in diese Stadt geflüchtet, und über die der Verwalter der Departements Calvados und de L'Eure.

Während der Unterhaltung schrieb er, und als er geendigt hatte, rief er aus:

»Binnen hier und wenigen Tagen werden sie auf die Guillotine gehen!«

Diese Drohung erinnerte Charlotte Corday an ihre Mission, welche sie eine Zeitlang über dem Abscheu vor dem Morde vergessen hatte; sie näherte sich der Badewanne, zog ihr Messer und senkte es Marat in die Brust.

Der Stoß wurde von so fester Hand geführt, daß die Waffe bis zum Hefte eindrang und die Stämme der Halspulsadern durchschnitt. Marat schrie um Hilfe und verschied.

Auf seinen Schrei stürzten ein Kommissär namens Laurent Basse, welcher in einem Nebengemach Journale faltete, Catharina Evrard und ihre Schwester in das Zimmer. Charlotte Corday stand unbeweglich vor dem Fenster, ohne einen Fluchtversuch zu machen. Der Kommissär schlägt sie mit einem Stuhle zu Boden. Sie erhebt sich wieder, aber Basse packt sie um den Leib und wirft sie aufs neue zur Erde, wo er sie unter sich festhält, während die Evrard und andere Nachbarinnen unter dem Beistand eines Chirurgen namens Clair Michon de la Fondée, welcher der Hauptmieter des Hauses war, Marat auf sein Bett tragen.

Bei dem Lärmen und dem Geschrei der Weiber liefen die Nachbarn herbei; bald darauf erschienen auch einige Nationalgardisten von der Wache des Theatre français, welche Charlotte Corday festnahmen.

Am 14. beauftragte ein Konventsdekret das Revolutionstribunal, die Untersuchung gegen die Mörderin Marats und ihre Mitschuldigen einzuleiten.

Nachdem sie am 16. morgens in die Conciergerie gebracht worden war, vollendete sie am Abend den Brief, den sie in der Abtei angefangen und an Barbaroux adressiert hatte:

»An den Bürger Barbaroux, Deputierten des Nationalkonvents, jetzt Réfugié zu Caen, in der Karmeliterstraße, Hotel der Intendanz.

Im Abteigefängnis, in dem Gemach, welches ehemals Brissot bewohnte, am zweiten Tage der Vorbereitung zum Frieden.

Sie haben gewünscht, Bürger, daß ich Ihnen die Einzelheiten meiner Reise mitteile, und ich werde Ihnen nicht die geringste Anekdote schenken.

Ich war mit Reisenden abgefahren, welche ich bald für offene Montagnards erkannte. Ihre Gesinnung, ebenso dumm wie ihre Personen, war unangenehm und langweilte mich außerordentlich. Ich ließ sie schwatzen, soviel sie wollten, und schlief ein. Einer dieser Herren, der wahrscheinlich die schlafenden Frauen sehr gern hat, wollte mich, als ich erwachte, überreden, ich wäre die Tochter eines Mannes, den ich niemals gesehen habe, und ich hätte einen Namen, von dem ich niemals hörte. Endlich trug er mir noch sein Herz und seine Hand an und wollte auf der Stelle zu meinem Vater reisen, um ihn um seine Einwilligung zu bitten. Diese Herren boten alles auf, um meinen Namen und meine Adresse in Paris zu erfahren; ich weigerte mich aber, sie ihnen zu nennen und blieb jenem Grundsatz meines lieben und tugendhaften Raynal getreu: Man schuldet die Wahrheit nicht seinen Tyrannen.

In Paris angekommen, nahm ich mein Quartier in der alten Augustinerstraße, Hotel de la Providence. Dann suchte ich Duperret, Ihren Freund, auf. Ich weiß nicht, wie das Sicherheitskomitee von der Unterredung, die ich mit ihm hatte, Kenntnis erhielt. Sie kennen den festen Charakter jenes Mannes und er hat ihnen die Wahrheit geantwortet; ich habe seine Aussage durch die meinige bestätigt; es liegt nichts gegen ihn vor, wenn nicht seine Festigkeit ein Verbrechen ist. Ich ersuchte ihn, Sie zu besuchen, er ist aber so eigensinnig.

Sollten Sie wohl glauben, daß Fauchet als mein Mitschuldiger verhaftet ist, er, der nichts von meinem Dasein wußte?

Ich bin durch Chabot und Legendre verhört worden. Chabot sah aus wie ein Narr. Legendre wollte mich durchaus am Morgen in seinem Hause gesehen haben, obgleich ich niemals an diesen Mann gedacht habe. Ich vermutete in ihm nicht so große Talente, um ihn für einen Tyrannen seines Vaterlandes zu halten, und hegte nicht die Absicht, die ganze Welt zu züchtigen.

Übrigens ist man gar nicht damit zufrieden, niemand weiter als eine Frau zu haben, die man den ???Manen des großen Mannes opfern kann. Verzeihung, o Menschen! Dieser Name entehrt euer Geschlecht: es war ein wildes Tier, der ganz Frankreich mit dem Feuer der Bürgerkrieges verheert hätte. Nun können wir rufen: Es lebe der Friede! Dank dem Himmel, er war kein geborener Franzose!

Ich glaube, man hat die letzten Worte Marats gedruckt, zweifle aber, daß er solche ausgesprochen hat. Folgendes sind die letzten Worte, die er zu mir sprach, nachdem er alle Eure Namen und auch die der in Evreux wohnenden Verwalter von Calvados erfahren hatte; er sagte mir zum Trost: in wenigen Tagen würde er Euch in Paris guillotinieren lassen. Diese letzten Worte entschieden über sein Geschick. Wenn das Departement sein Bild dem des Saint-Fargeau gegenüberstellt, so kann es jene Worte mit goldenen Buchstaben darunter schreiben lassen.

Ich will Ihnen die Einzelheiten der großen Begebenheit nicht erzählen; die Journale werden davon melden. Ich gestehe, daß ich vollends zu der Tat entschieden wurde durch den Mut, mit welchem sich unsere Freiwilligen am Sonntag den 7. Juli einschreiben ließen; Sie erinnern sich, wie entzückt ich darüber war. Ich versprach mir, Pétion dafür zu strafen, daß er meine Gefühle in Verdacht hatte. Er fragte mich nämlich: ›Würden Sie böse darüber sein, wenn sie nicht hingingen?‹

Endlich überlegte ich, daß, wenn viele brave Leute nach Paris kämen, um den Kopf eines einzelnen Mannes zu suchen, sie denselben vielleicht fehlen oder daß mit seinem Untergange das Verderben vieler guten Bürger verbunden sein könnte. Er verdiente nicht so viel Ehre; die Hand eines Weibes war genügend.

Ich gestehe, daß ich eine treulose List anwendete, damit er mich empfinge. Als ich von Caen abreiste, rechnete ich darauf, ihn inmitten der Bergpartei des Nationalkonvents zu opfern; er ging aber nicht mehr dorthin.

In Paris begreift man nicht, wie eine unbedeutende Frau, deren Leben zu nichts taugt, sich mit kaltem Blute opfern kann, um ihr Vaterland zu retten. Ich hatte erwartet, auf der Stelle zu sterben. Mutige Männer, die über jedes Lob erhaben sind, schützten mich vor der sehr verzeihlichen Wut derjenigen, welche ich unglücklich gemacht hatte. Obgleich ich kaltblütig war, tat mir doch das Geschrei einiger Frauen leid; wer aber sein Vaterland rettet, darf nicht in Anschlag bringen, wieviel es ihn kostet.

Möchte der Friede so schnell, wie ich es wünsche, eintreten! Ein großer Verbrecher ist gestürzt; ohne dies hätten wir jenen Frieden niemals erhalten. Ich genieße des Friedens seit zwei Tagen. Das Glück meines Vaterlandes macht das meinige aus.

Ich hoffe nicht, daß man meinen Vater quälen wird, der schon über meinen Verlust Kummer genug empfindet. Ich hatte ihm neulich geschrieben, daß ich aus Furcht vor einem Bürgerkrieg nach England gehen würde. Ich hegte den Plan, Marat als eine Unbekannte zu töten, und ich wollte die Pariser vergeblich nach meinem Namen forschen zu lassen. Ich bitte Sie, Bürger, und Ihre Kollegen, meine Verwandten zu schützen, wenn man sie beunruhigt.

Ich habe nur ein Wesen gehaßt und meinen Charakter offen gezeigt. Diejenigen, die mich betrauern, werden sich freuen, mich in den elyseischen Gefilden mit Brutus und anderen Helden des Altertums vereinigt zu sehen; denn die neueren reizen mich nicht, weil sie zu niedrig sind! Es gibt wenig wahre Patrioten, die für ihr Vaterland zu sterben wissen; sie sind fast alle Egoisten.

Um mir die Zeit zu vertreiben, hat man mir zwei Gendarmen beigesellt; für den Tag habe ich dies sehr angenehm gefunden, aber nicht für die Nacht. Ich beklagte mich über diese Unschicklichkeit; das Komitee hat es nicht für angemessen gefunden, darauf zu achten. Ich glaube, es ist Chabots Erfindung, denn nur ein Kapuziner kann einen solchen Einfall haben.

Nun hat man mich nach der Conciergerie gebracht und die Herren von der großen Jury versprachen mir, Ihnen meine Briefe zuzuschicken. Ich fahre also fort:

Ich habe ein langes Verhör bestanden und bitte Sie, es sich zu verschaffen, wenn es veröffentlicht ist.

Ich hatte bei meiner Verhaftung eine Ansprache an die Freunde des Friedens bei mir; ich kann Ihnen dieselbe nicht schicken, werde aber auf ihre Veröffentlichung antragen, freilich wohl vergebens.

Gestern abend hegte ich den Gedanken, mein Bildnis dem Departement du Calvados zu schenken, aber das Sicherheits-Komitee, an welches ich mich mit der Bitte wendete, hat mir keine Antwort zukommen lassen; jetzt ist es zu spät.

Ich bitte Sie, meinen Brief dem Bürger Bougon, Generalprokurator und Departementssyndikus, mitzuteilen. Ich richte denselben aus mehreren Gründen nicht an ihn; zuerst bin ich nicht sicher, ob er sich gegenwärtig in Evreux befindet; außerdem fürchte ich, daß er, von empfindsamer Natur, über meinen Tod sehr betrübt sein könnte. Doch halte ich ihn für einen so guten Bürger, daß er sich mit der Hoffnung auf den Frieden trösten werde; ich weiß, wie er denselben liebt und hoffe, daß ich, indem ich zur Erreichung desselben beitrug, seine Wünsche erfüllte.

Sollten einige Freunde eine Mitteilung dieses Briefes verlangen, so bitte ich Sie, denselben niemandem vorzuenthalten.

Der gebräuchlichen Form gemäß bedurfte ich eines Verteidigers. Ich habe den meinigen von der Bergpartei genommen, nämlich Gustav Doulcet-Pontécoulant; ich dachte mir, daß er diese Ehre ablehnen werde, obgleich es ihn nur wenig Mühe kosten würde. Ich habe auch daran gedacht, Robespierre oder Chabot zu verlangen.

Es ist bewundernswert, daß das Volk mich von der Abtei nach der Conciergerie bringen ließ; das ist ein neuer Beweis für seine Mäßigung. Erzählen Sie das unseren guten Einwohnern von Caen! Diese erlauben sich zuweilen kleine Aufstände, die sich nicht so leicht bewältigen lassen.

Morgen um acht Uhr wird man mich richten. Wahrscheinlich werde ich um Mittag gelebt haben, wie sich die Römer ausdrückten.

Fortan wird man an den Mut der Einwohner von Calvados glauben, da selbst die Frauen von Calvados der Entschlossenheit fähig sind. Übrigens weiß ich nicht, wie die letzten Augenblicke meines Lebens verlaufen werden; und nur das Ende krönt das Werk. Ich brauche keine Gleichgültigkeit über mein Schicksal zu erheucheln, denn bis jetzt empfinde ich nicht die geringste Furcht vor dem Tode. Ich achtete das Leben immer nur nach dem Nutzen, den es dem Gemeinwohl gewährte. Ich hoffe, daß morgen Duperret und Fauchet in Freiheit gesetzt werden. Man behauptet, der letztere habe mich auf eine Tribüne im Konvent geführt. Warum gibt er sich damit ab, Frauen dorthin zu führen? Als Deputierter soll er nicht auf den Tribünen erscheinen und als Bischof dürfte er sich nicht mit Frauen abgeben. Das ist also eine Strafe. Aber Duperret hat sich nichts vorzuwerfen.

Marat wird nicht in das Pantheon kommen; dennoch verdiente er es wohl. Ich beauftrage Sie, die nötigen Stücke zu seiner Leichenrede zu sammeln.

Hoffentlich werden Sie nicht die Angelegenheit der Madame Forbin vergessen. Dies ist ihre Adresse, wenn Sie an dieselbe schreiben müssen:›Alexandrine Forbin in Mandrens, über Zürich, in der Schweiz‹. Ich bitte Sie, ihr zu sagen, daß ich sie von ganzem Herzen liebe.

Ich will noch ein Wort an meinen Vater schreiben. Meinen übrigen Freunden sage ich nichts; ich verlange nur, schnell vergessen zu werden; ihr Kummer würde mein Andenken entehren. Sagen Sie dem General Wimpffen, daß ich der Meinung sei, ich hätte ihm mehr als eine Schlacht gewinnen helfen, indem ich den Frieden ermöglichte.

Leben Sie wohl, Bürger! Ich empfehle mich dem Andenken der Freunde des Friedens. Die Gefangenen in der Conciergerie, weit davon entfernt, mich, wie die Leute auf der Straße, zu beleidigen, scheinen mich im Gegenteil zu beklagen. Das Unglück macht immer mitleidig: dies ist meine letzte Betrachtung.

Corday.«

Ich habe keine Zeile von diesem Schriftstück unterdrücken wollen; augenscheinlich ist dies nicht ein vertraulicher Brief, den ein Freund an einen Freund richtet, die letzte Ergießung eines Herzens, welches zu schlagen aufhören wird, sondern es ist das letzte Vermächtnis von Charlotte Corday.

Sie erschien am 17. vor den Revolutionstribunal. Doulcet de Pontécoulant hatte den Brief nicht empfangen, in welchem Charlotte Corday ihn mit ihrer Verteidigung beauftragte. Er erschien nicht vor dem Gerichtshofe und der Präsident ernannte beim Anfang des Audienztermins von Amtswegen Chauveau-Lagarde zum Verteidiger der Angeklagten.

Die Journale der Bergpartei verraten mitten unter ihren Verwünschungen doch den Eindruck, welchen die sanfte und stolze Festigkeit der Charlotte Corday auf die Richter und die Zuhörer hervorbrachte. »Man hat bemerkt,« sagt Chauveau-Lagarde, »daß alle, Richter wie Zuschauer, die Angeklagte selber für ihre Richterin zu halten schienen, welche die anderen vor ihr höchstes Tribunal berufen habe.«

Folgendes sind nach Chauveau-Lagarde einige Antworten, welche sie dem Präsidenten Montans gab; man glaubt den großen Corneille durch den Mund seiner Nichte sprechen zu hören.

Der Präsident: »Wer hat Ihnen denn solchen Haß gegen Marat eingeflößt?«

Angeklagte: »Ich bedurfte nicht des Hasses anderer; ich hatte schon an dem meinigen genug.«

Präsident: »Aber der Gedanke, ihn zu töten, mußte Ihnen doch durch irgend jemand eingegeben sein?«

Angeklagte: »Man führt schlecht aus, was man sich nicht selber vorgenommen hat.«

Präsident: »Was haßten Sie denn in seiner Person?«

Angeklagte: »Seine Verbrechen.«

Präsident: »Was verstehen Sie unter seinen Verbrechen?

Angeklagte: »Die Verheerung Frankreichs, die ich als sein Werk ansehe.«

Präsident: »Was Sie die Verheerung Frankreichs nennen, ist nicht sein Werk allein.«

Angeklagte: »Das ist möglich, aber er mußte alles anwenden, um die allgemeine Zerstörung zu erzielen.«

Präsident: »Was hofften Sie, als Sie ihn töteten?«

Angeklagte: »Ich wollte meinem Vaterlande den Frieden wiedergeben.«

Präsident: »Glauben Sie denn, alle Marats ermordet zu haben?«

Angeklagte: »Da jener tot ist, werden die übrigen vielleicht Furcht bekommen.«

Ein Gerichtsdiener zeigte ihr den Dolch vor, dessen sie sich bedient hatte und fragte sie, ob sie denselben wiedererkenne. Nur in diesem Augenblick verriet ihr Gesicht eine innere Bewegung; sie wendete das Antlitz an, stieß den Dolch mit der Hand zurück und sagte mit erstickter Stimme:

»Ja, ich erkenne ihn, ich erkenne ihn.«

Sie hatte Marat im Bade angetroffen und ihm folglich das Messer senkrecht in die Kehle gestoßen.

Fouquier-Tinville bemerkte, sie hätte wahrscheinlich den Stoß in dieser Weise geführt, um ihr Opfer nicht zu fehlen, denn in wagerechter Richtung hätte sie auf eine Rippe treffen können; er fügte dieser Bemerkung die Worte hinzu:

»Sie müssen in diesem Verbrechen sehr geübt sein?«

»O das Ungeheuer!« rief die Angeklagte. »Er hält mich für eine Mörderin!«

Diese Antwort, sagt Chauveau-Lagarde, welche gleich einem Blitzstrahl wirkte, endigte die Sitzung.

Beim Beginn des Audienztermins hatte sie bemerkt, daß ein junger Mann sie aufmerksam betrachtete und ihre Züge zeichnete; sie wendete sich ihm zu, damit er ihr Bildnis leichter entwerfen könnte. Dieser junge Mann war ein Maler namens Hauer, damals zweiter Kommandant im Bataillon der Cordeliers.

Chauveau-Lagarde befleißigte sich in seiner Verteidigungsrede der lakonischen Kürze seiner Klientin; er verteidigte sie, wie sie es wünschte, mit wenigen Worten und indem er die Annahme einer vorbedachten Handlung eher bestätigte als entkräftete. Charlotte Corday, die nichts so sehr fürchtete, als ein demütigendes Gnadengesuch, zeigte sich ihm dankbar dafür. Als die Jury den Spruch getan hatte, der sie zum Tode verurteilte und der Präsident sie fragte, ob sie über die Vollziehung der Strafe noch etwas zu bemerken habe, ersuchte sie die Gendarmen, sie zu ihrem Verteidiger zu führen.

»Mein Herr,« sagte sie zu ihm, »ich danke Ihnen für den Mut, mit welchem Sie mich in einer Weise verteidigten, die Ihrer und meiner würdig ist. Jene Herren (bei diesen Worten wendete sie sich an die Richter) konfiszieren mein Eigentum; ich bin Ihnen aber einen Beweis meiner Erkenntlichkeit schuldig und ersuche Sie daher, das zu bezahlen, was ich in dem Gefängnis schuldig bin, wobei ich auf Ihre Großmut rechne.«

Jene Schuld belief sich auf die Summe von sechsunddreißig Livres, welche sie größtenteils für einen Hut ausgegeben hatte, um anständig vor ihren Richtern erscheinen zu können.

Es war zwei Uhr nachmittags.

Man brachte sie in ihren Kerker zurück, den sie erst verließ, als man sie zum Tode geführt wurde.

Der Schließer Richard und seine Frau erwarteten sie unten an der Wendeltreppe. Der letzteren hatte sie versprochen, mit ihr zu frühstücken, und entschuldigte sich jetzt, indem sie auf ihren bevorstehenden Tod anspielte. In diesem Augenblicke näherte sich ihr ein Priester und bot ihr seinen religiösen Beistand an; sie wies denselben aber sanft zurück.

»Sagen Sie,« sprach sie, »den Personen, welche Sie geschickt haben, meinen verbindlichsten Dank für diese Aufmerksamkeit, aber ich bedarf Ihres geistlichen Amtes nicht.«

Kaum befand sie sich zehn Minuten in ihrem Kerker, als Richard aufs neue erschien. Er brachte den Maler, der ihr Bildnis während der Sitzung flüchtig entworfen hatte und jetzt um die Erlaubnis bat, es zu vollenden. Sie war gern dazu bereit. Hauer machte sich an das Werk. Während der anderthalb Stunden, welche die Sitzung dauerte, plauderte sie mit dem Künstler. Die Unterhaltung war nicht leichtfertig, aber ruhig und heiter; sie sprach über ihren Prozeß und über die Folgen, welche Marats Tod haben würde, schien aber über das Schicksal, welches sie in der nächsten Zukunft erwartete, nicht im mindesten besorgt.

Hauer hatte seine Skizze vollendet und sie ersuchte ihn, ihren Eltern ein Kopie zugehen zu lassen. Plötzlich fiel ihr ein, daß sie etwas vergessen habe; sie ergriff eine Feder und begann einen Brief zu schreiben.

Noch hatte sie nicht zwei Zeilen geschrieben, als man an die Tür klopfte; der wachthabende Gendarm öffnete. Als Charlotte Corday sich umwendete, bemerkte sie im Halbschatten drei Männer: der eine hielt ein Pack Papier in der Hand, ein anderer trug eine Schere und das rote Hemd der Vatermörder.

Es waren die Gerichtsdiener und der Vollstrecker der Todesstrafe.

Ich habe bereits vorher gesagt, daß Charles Henri Sanson während einer gewissen Periode der Revolution ein Tagebuch nicht nur über die Hinrichtungen, denen er beigewohnt, sondern auch über seine persönlichen Empfindungen geführt habe. Dieses Tagebuch wurde erst gegen das Ende des Brumaire 1793 regelmäßig geführt; über den Tod der Charlotte Corday hat er uns aber einen Bericht hinterlassen, der umständlicher und ausführlicher ist, als alle diejenigen, welche bei den Mitteilungen über die Prozesse der ersten Revolutionsphase benutzt worden sind. Ich werde diesen Bericht, ebenso wie später das Tagebuch, mitteilen, ohne die unzusammenhängende Form desselben zu ändern, da diese einfache Fassung gerade den Verfasser charakterisiert und der Notiz einen um so höheren Wert verleiht:

Diesen Mittwoch, am 17. Juli im Jahre 1 der einen und unteilbaren Republik, wurde die Bürgerin Corday von Caen als Verschwörerin und Mörderin des Patrioten und Konvents-Deputierten Marat hingerichtet.

Diesen Mittwoch, am 17. desselben Monats, um zehn Uhr Morgens, ging ich, den Befehl des Bürger Fouquier einzuholen. Der Bürger Fouquier war in der Sitzung und ließ mir antworten, ich sollte warten und mich nicht entfernen. Ich ging wieder hinunter und nahm einen Imbiß bei dem Bürger Fournier. Gegen ein Uhr nachmittags sagte mir ein Bürger, der aus der Sitzung kam, das Mädchen sei verurteilt. Ich ging hinauf und befand mich in dem Zeugenzimmer, als der Bürger Fouquier mit dem Bürger Montané vorüberging. Er sah mich nicht, denn er stritt heftig mit dem erwähnten Montané, den er beschuldigte, er sei der Angeklagten günstig gestimmt gewesen. Sie blieben länger als eine Stunde in dem Kabinett eingeschlossen. Beim Hinausgehen erblickte mich der Bürger Fouquier und fragte mich zornig:

»Bist du noch da?«

Ich bemerkte ihm, daß ich keine Befehle erhalten habe. In demselben Augenblick trat der Bürger Fabricius mit einer Abschrift des Urteils ein; nachdem diese unterzeichnet war, gingen wir in die Conciergerie hinunter. Während ich mit Bürger Richard sprach, bemerkte ich, daß seine Frau ganz bleich war und zitterte. Ich fragte, ob sie krank wäre; sie antwortete mir:

»Wartet nur, in kurzem wird Euch der Mut mehr sinken als mir.«

Der Bürger Richard führte uns in das Gemach der Verurteilten. Die Bürger Tirrase und Monet, Gerichtsdiener des Tribunals, traten zuerst ein, während ich an der Tür blieb. In dem Zimmer der Verurteilten befanden sich zwei Personen: ein Gendarm und ein Bürger, der ihr Bildnis zeichnete. Sie saß auf einem Stuhl und schrieb auf einem Buchdeckel. Sie bemerkte die Gerichtsdiener nicht, aber mich und. winkte mir zu warten. Als sie geendigt hatte, begannen die Bürger Tirrase und Monet das Urteil zu lesen, während welcher Zeit die Bürgerin Corday das Papier, welches sie beschrieben hatte, zu einem Briefe faltete und es dem Bürger Monet mit der Bitte zustellte, es dem Bürger-Deputierten Pontscoulant zugehen zu lassen. Dann rückte sie ihren Stuhl in die Mitte des Zimmers, setzte sich nieder, nahm ihre Haube ab und löste ihr hellbraunes Haar, welches sehr lang und schön war und gab mir ein Zeichen, es abzuschneiden. Seit Herrn de la Barre war mir ein solcher Todesmut nicht vorgekommen. Wir waren unserer sechs oder sieben Bürger, deren Handwerk nicht viel Rührung zuläßt; sie schien aber weniger bewegt, als wir alle, und ihre Lippen hatten nicht einmal ihre Farbe verloren.

Als ihr Haar gefallen war, gab sie einen Teil davon dem Maler, der sie gezeichnet hatte, und das übrige dem Bürger Richard für seine Gattin.

Ich reichte ihr das rote Hemde, welches sie sich selbst überwarf und ordnete. Als ich mich anschickte, sie zu binden, fragte sie mich, ob sie ihre Handschuhe anbehalten könnte, denn bei ihrer Verhaftung hätte man sie so stark geschnürt, daß sie noch die Narben am Handgelenk davontrüge. Ich sagte ihr, sie möchte es nach ihrem Belieben halten; diese Vorsicht wäre aber unnütz, denn ich würde sie fesseln ohne ihr wehe zu tun. Lächelnd sprach sie:

»In der Tat, jene Männer sind nicht so geübt wie Ihr«, und sie reichte mir ihre bloßen Hände hin.

Wir stiegen in den Karren. Es waren zwei Sitze, und ich forderte sie auf, sich niederzusetzen, sie weigerte sich aber; ich sagte darauf, sie täte recht, denn auf diese Weise würde sie weniger von den Wagenstößen leiden, und sie lächelte, ohne mir zu antworten. Sie blieb stehen und stützte sich auf die Wagenleitern. Fermin, der hinten saß, wollte den Sessel nehmen, ich hinderte ihn aber daran und stellte denselben vor die Bürgerin, damit sie ein Knie darauf stützen könne. Es regnete und donnerte in dem Augenblick, als wir auf dem Kai ankamen; aber das Volk, welches in großer Zahl auf unserem Wege versammelt war, zerstreute sich nicht wie gewöhnlich. Als wir die Arkade verließen, schrie man laut; je weiter wir aber kamen, desto schwächer und seltener wurde dies Geschrei. Fast nur diejenigen, die uns zunächst umgaben, beleidigten die Verurteilte und machten ihr Marats Tod zum Vorwurf.

An einem Fenster in der Straße St. Honoré erblickte ich die Bürger Robespierre, Camille Desmoulins und Danton, Deputierte des Konvents. Der Bürger Robespierre schien sehr aufgeregt und sprach eifrig mit seinen Kollegen; aber diese und namentlich der Bürger Danton, schienen nicht auf ihn zu hören, sondern blickten aufmerksam auf die Verurteilte. Ich selber wendete mich jeden Augenblick um, um sie anzusehen, und je öfter ich sie ansah, desto größere Lust empfand ich, sie zu betrachten. Und doch war es nicht wegen ihrer Schönheit, so groß diese auch war; aber es schien mir unmöglich, daß sie bis zum Ende so sanft und mutig bleiben könnte, wie ich sie sah. Ich wollte erfahren, ob sie auch ihre Schwächen hätte wie die übrigen; aber ich weiß nicht, weshalb ich jedesmal, wenn ich meine Augen auf sie richtete, sie schwach zu finden fürchtete. Dennoch geschah, was ich für unmöglich hielt. Während der zwei Stunden, die sie an meiner Seite blieb, haben ihre Augenwimpern nicht gezuckt. Ich sah keine Bewegung des Zorns oder des Unwillens in ihrem Gesicht. Sie sprach nicht; sie betrachtete nicht diejenigen, welche den Karren umgaben und sie mit unflätigen Reden beschimpften, sondern die Bürger, die sich in den Fenstern zeigten. Es waren so viele Leute auf der Straße, daß wir nur langsam weiter kamen. Als ich sie seufzen hörte, wagte ich die Worte:

»Nicht wahr. Sie finden den Weg sehr lang?«

Sie antwortete: »Pah! wir können immer sicher sein, anzukommen.«

Dabei war ihre Stimme so ruhig und wohlklingend wie im Gefängnis.

In dem Augenblick, als wir den Revolutionsplatz erreichten, stand ich auf und stellte mich vor sie, damit sie die Guillotine nicht sehen sollte. Sie neigte sich aber vorwärts mit den Worten:

»Ich habe wohl das Recht, neugierig zu sein, denn ich habe sie noch niemals gesehen!«

Ich glaube jedoch, daß ihre Neugierde sie erbleichen machte; dies dauerte aber nur einen Augenblick und sogleich erhielt sie ihre lebhafte Gesichtsfarbe wieder. In dem Augenblick, als wir von dem Karren stiegen, bemerkte ich, daß sich unbekannte Personen unter meine Leute gemischt hatten. Während ich die Gendarmen aufforderte, mir bei der Säuberung des Platzes behilflich zu sein, war die Verurteilte schnell die Treppe hinaufgestiegen.

Als sie auf der Plattform ankam und Fermin ihr in roher Weise ihr Halstuch abriß, warf sie sich selber hastig auf das Fallbrett, wo sie festgeschnallt wurde. Obgleich ich nicht auf meinem Posten war, hielt ich es doch für grausam, die Todesqual dieses mutigen Weibes auch nur eine Sekunde zu verlängern und gab Fermin, der an dem Pfahle rechts stand, ein Zeichen, das Fallbeil herunterzulassen.

Ich stand noch am Fuße des Schafotts, als einer der Leute, die sich gern in fremde Angelegenheiten mischen, ein gewisser Zimmermann Legros, der während des Tages bei der Ausbesserung der Guillotine geholfen hatte, das Haupt der Bürgerin Corday aufnahm und es dem Volke zeigte. Ich bin an derartige Schauspiele gewöhnt und dennoch fürchtete ich mich dieses Mal. Es schien mir, als richteten sich diese halb geöffneten Augen auf mich und als bemerkte ich noch diese rührende und unwiderstehliche Sanftmut, die mich in Erstaunen gesetzt hatte. Auch wendete ich den Kopf ab. Erst aus dem Murren um mich her erfuhr ich, daß der Schändliche den Kopf geohrfeigt hatte. Andere versicherten mir, ihr Antlitz sei bei dieser Gelegenheit errötet.

Als ich nach Hause zurückkehrte, ging die Prophezeiung der Bürgerin Richard in Erfüllung. In dem Augenblick, als ich mich zu Tisch setzte, fragte mich meine Frau:

»Was fehlt dir denn und warum bist du so bleich!«

Der Prozeß der Königin

Die Nelke; Fouquier-Tinville, Hébert, de Rougeville, Chauveau-Lagarde, Trouson-Ducoudray; Prozeß und Hinrichtung.

Nach dem Tode Ludwigs XVI. schien man die königlichen Gefangenen im Temple-Gefängnis vergessen zu haben. Der Haß, welchen das Pariser Volk gegen Ludwig XVI. hegte, war durchaus politisch und richtete sich mehr gegen den König, als gegen den Menschen; der Haß des Volkes gegen Marie-Antoinette war im Gegenteil zugleich politisch und persönlich. Die Königin hatte unversöhnliche Feinde nicht nur unter den Neuerern, welche die Monarchie zu stürzen oder umzuändern strebten, sondern auch unter ihren eigenen Hofleuten, sogar unter den Mitgliedern ihrer Familie.

Am 1. August erließ der Konvent ein Dekret, welches bestimmte, daß Marie-Antoinette vor das Revolutionstribunal gestellt werden sollte.

Am 2. August um zwei Uhr morgens wurde der Königin dieses Dekret bekanntgemacht; sie hörte es, ohne die geringste Erschütterung zu verraten, packte ihre Kleidungsstücke zusammen, küßte ihre Tochter (seit dem 3. Juli hatte man ihr den Dauphin genommen), empfahl ihre Kinder der Madame Elisabeth und folgte mit festen Schritten den Munizipalsoldaten. Als sie unter einem Türbogen hindurchschritt, vergaß sie, sich zu bücken und stieß sich so heftig den Kopf, daß das Blut aus der erhaltenen Wunde floß. Der Munizipalgardist Michonis fragte sie, ob sie sich weh getan hätte. Sie antwortete: »Nein, mir tut jetzt nichts mehr weh...«

Die Untersuchung zog sich in die Länge. Je näher man auf die der Königin zur Last gelegten Tatsachen einging, desto weniger Beweise fand man für die Verbrechen, von denen man so fest überzeugt gewesen war. Fouquier-Tinville verlor den Schlaf darüber, und die Anklage, die er zu formulieren hatte, gestaltete sich in seinen Augen zu einem unlösbaren Rätsel.

Inzwischen hatten einige mutige Männer den Entschluß gefaßt, die Königin zu retten; unglücklicherweise mußten sie sich aus Furcht vereinzelt halten. In jener Schreckenszeit konnte es geschehen, daß zwei gleich ergebene Männer sich kreuzten und begegneten, ohne eine gegenseitige Mitteilung zu wagen. Einer der Diener des gestürzten Königtums, der Chevalier von Rougeville, gelangte durch Michonis' Vermittlung in Marie-Antoinettes Kerker und reichte ihr eine Nelke, welche er in seinem Knopfloch trug. Diese Nelke enthielt einen Zettel, worin er der Königin seine Dienste anbot. Die Gefangene fürchtete, der junge Mann würde Mittel finden, sich abermals bei ihr einzuführen. Sie wollte aber keines Menschen Leben in Gefahr setzen, um ihr eigenes, auf welches sie so wenig Wert legte, zu retten, und stach daher eine verneinende Antwort mit der Nadel in das Papier. Plötzlich trat einer der wachhabenden Gendarmen ein und bemächtigte sich des Billetts.

Dieser Vorfall wurde in die Anklage mit aufgenommen, welche durch die Schriftstücke, die das Sicherheitskomitee aus den in den Tuilerien aufgefundenen Papieren entnommen, noch vervollständigt wurde.

Am 22. Vendemiaire stellte Fouquier-Tinville den gerichtlichen Antrag. Liest man dieses seltsame Schriftstück, in welchem gegen den gesunden Verstand und die Wahrscheinlichkeit in gleichem Maße wie gegen die Regeln des Stils gesündigt ist, so kann man sich eine Vorstellung von der Verlegenheit machen, worin sich der Ankläger befand; ich will die wichtigsten Sätze desselben wiedergeben:

»Ich, Antoine-Quentin Fouquier, öffentlicher Ankläger beim außerordentlichen Kriminalgericht usw., melde folgendes:

Marie-Antoinette, Witwe Louis Capets, ist infolge eines Konventsdekrets vom vergangenen 1. August vor das Revolutionstribunal gestellt, angeklagt der Verschwörung gegen Frankreich; ein anderes Dekret vom 3. Oktober bestimmt, das Tribunal solle sich unverzüglich und ohne Unterbrechung mit der Untersuchung beschäftigen; – der öffentliche Ankläger erhielt die Schriftstücke, welche die Witwe Capet betreffen, am 19. und 20. des ersten Monats des zweiten Jahres, in gewöhnlicher Sprache am 11. und 13. Oktober; ein Richter des Tribunals ist unverzüglich zum Verhör der Witwe Capet geschritten; – die Untersuchung aller Schriftstücke durch den öffentlichen Ankläger hat ergeben, daß gleich den Messalinen Brunehilde, Fredegunde und Medicis, welche man früher Königinnen von Frankreich nannte und deren gehässige Namen niemals aus der Geschichte ausgelöscht werden können, die Witwe Louis Capets, Marie-Antoinette, während ihres Aufenthalts in Frankreich die Geißel und der Blutsauger der Franzosen gewesen und bis zu der glücklichen Revolution, welche dem französischen Volke seine Souveränität wiedergab, mit dem Manne, den man König von Böhmen und Ungarn tituliert, in Einverständnis gestanden, einem Einverständnis, welches dem Interesse Frankreichs widersprach. In Verbindung mit den Brüdern Louis Capets und dem schändlichen und verabscheuungswerten Calonne, damals Finanzminister, hat sie die Finanzen Frankreichs (den Schweiß des Volkes) in abscheulicher Weise vergeudet, um ihre Ausschweifungen zu bestreiten und die Agenten ihrer verbrecherischen Ränke zu besolden. Es steht fest, daß sie zu verschiedenen Zeiten dem Kaiser Millionen zukommen ließ, um den Krieg gegen die Republik zu nähren, und daß sie durch diese außerordentlichen Verschwendungen den Nationalschatz erschöpft hat. Seit der Revolution hat die Witwe Capet nicht einen Augenblick aufgehört, Einverständnisse und verbrecherischen Briefwechsel zum Nachteile Frankreichs zu unterhalten, sowohl mit den fremden Mächten wie im Innern der Republik durch ihr ergebene Agenten, welche sie durch den ehemaligen Schatzmeister der Zivilliste besoldete. Zu verschiedenen Zeiten hat sie alle Kunstgriffe angewendet, die sie für ihre schändlichen Pläne, eine Konterrevolution ins Werk zu setzen, geeignet hielt. Unter dem Vorwande einer nötigen Vereinigung der ehemaligen Garde du Corps und der Offiziere und Soldaten des Regiments von Flandern ließ sie am 1. Oktober 1789 für die beiden Korps eine Mahlzeit herrichten, welche nach ihrem Wunsche in eine wahrhafte Orgie ausartete; unmerklich wußte sie die Gäste dahin zu bringen, die weiße Kokarde aufzustecken und die Nationalkokarde mit Füßen zu treten.

Ferner hat sie im Einverständnis mit Louis Capet in dem ganzen Bereiche der Republik konterrevolutionäre Werke drucken und in großer Zahl verbreiten lassen. Durch ihre Gehilfen ließ sie in den ersten Tagen des Monats Oktober 1789 in Paris und der Umgegend eine künstliche Hungersnot erzeugen, welche einen neuen Aufstand hervorrief, infolgedessen eine unzählige Menge von Bürgern und Bürgerinnen sich am 5. desselben Monats nach Versailles begaben. Diese Tatsache ist unwiderleglich bewiesen durch den Überfluß, welcher am Tage nach der Ankunft der Witwe Capet in Paris herrschte.

Die Witwe Capet hat nach ihrer Rückkehr von Varennes ihre verdächtigen Zusammenkünfte wieder aufgenommen, in denen sie selbst den Vorsitz führte. Im Einverständnis mit ihrem Günstling Lafayette wurden die Tuilerien geschlossen und die Bürger dadurch verhindert, die Höfe des ehemaligen Schlosses der Tuilerien frei zu passieren.

In denselben verdächtigen Zusammenkünften wurde das schreckliche Gemetzel beschlossen, das am 17. Juli 1791 stattfand, bei welcher Gelegenheit die eifrigsten Patrioten auf dem Marsfelde niedergemacht wurden.

Die Witwe Capet ließ nichtswürdige Minister und, für die Stellen in der Armee und bei den Behörden, solche Männer ernennen, welche der ganzen Nation als Verschwörer gegen die Freiheit bekannt waren.

Im Einverständnis mit der freiheitmörderischen Partei, welche die gesetzgebende Versammlung und auch eine Zeitlang den Konvent beherrschte, hat die Witwe Capet dem Könige von Böhmen und Ungarn, ihrem Bruder, den Krieg erklären lassen; durch diese Kunstgriffe und schändlichen Ränke wurde der erste Rückzug der Franzosen vom belgischen Gebiete veranlaßt.

Mit ihren nichtswürdigen Gehilfen hat die Witwe Capet die schreckliche Verschwörung zustande gebracht, welche am 1. August ausbrach und nur durch die vereinten Anstrengungen der mutigen Patrioten vereitelt wurde.

In der Besorgnis, daß diese Verschwörung nicht den erwünschten Erfolg haben könnte, ist die Witwe Capet am 7. August gegen halb zehn Uhr abends in dem Saale erschienen, wo die ihr ergebenen Schweizer und andere Personen damit beschäftigt waren, Patronen anzufertigen; während sie die Männer zur Beschleunigung der Arbeit anfeuerte, nahm sie selber daran teil und half Kugeln gießen.

Endlich hat die über alle Begriffe entsittlichte Witwe Capet, eine neue Agrippina, welche mit allen Verbrechen vertraut ist, ihre Eigenschaft als Mutter und die Grenzen, welche die Naturgesetze vorschreiben, außer acht gelassen und sich nicht gescheut, sich mit ihrem Sohne Louis Charles Capet, nach dem eigenen Geständnis dieses letzteren. Unsittlichkeiten hinzugeben, bei deren Namen man allein schon vor Abscheu schaudert.

Nach den vorstehenden Auseinandersetzungen erhebt der öffentliche Ankläger hiermit die Anklage gegen Marie-Antoinette, welche sich in dem Verhör von Lothringen-Österreich nannte, die Witwe Louis Capets, wegen folgender absichtlichen Verbrechen:

1. Im Einverständnisse mit den Brüdern Louis Capets und dem nichtswürdigen Exminister Calonne in schändlicher Weise die Finanzen Frankreichs vergeudet, unzählige Summen dem Kaiser überliefert und auf diese Weise den Nationalschatz erschöpft zu haben;

2. sowohl selbst als durch ihre konterrevolutionären Gehilfen einen lebhaften Briefwechsel mit den Feinden der Republik unterhalten und dieselben Feinde mit den im Rate beschlossenen Kriegs- und Angriffsplänen bekanntgemacht zu haben;

3. durch ihre Ränke und die Kunstgriffe ihrer Agenten Verschwörungen und Komplotte gegen die innere und äußere Sicherheit Frankreichs angezettelt, zu diesem Zwecke den Bürgerkrieg in verschiedenen Gegenden der Republik entzündet, die Staatsbürger gegeneinander bewaffnet und durch dieses Mittel das Blut einer unzähligen Menge Bürger vergossen zu haben. Gegen den Artikel 4, Sektion I, Titel I zweiten Teils des Strafgesetzes und gegen Art. 11, Sekt. 11, Titel II desselben Gesetzbuches.

Infolgedessen usw.

gez. Fouquier.«

Weiter unten unterzeichneten sich, auf das gerichtliche Gesuch des öffentlichen Anklägers eingehend:

Armand Martin Joseph Herman, Etienne Foucaut, Gabriel Toussaint Sellier, Pierre André Coffinhal, Gabriel Deliège, Pierre Louis Ragmer, Antoine Marie Maire, François Joseph Denisot, Etienne Mayon; sämtlich Richter beim vorgenannten Tribunal.

 

Ein Edelmann hatte die Rettung der Königin versucht; zwei Advokaten, Chauveau-Lagarde und Tronson-Ducoudray, nahmen die Ehre in Anspruch, sie zu verteidigen; eine Ehre, die nicht ohne Gefahr war, ihre Namen aber für die Zukunft mit dem der Unglücklichen in Verbindung setzte.

Am 13. Oktober (22. Vendemiaire) benachrichtigte man die Königin, daß sie am folgenden Tage vor ihren Richtern erscheinen sollte.

Am folgenden Tage um zehn Uhr holte man sie ab. Sie schritt durch ein doppeltes Spalier von Gendarmen, welche man von der Tür ihres Gefängnisses bis zum Gerichtssaal aufgestellt hatte. In den letzteren wurde sie durch einen Offizier der Gendarmerie eingeführt.

Sie ging langsamen Schrittes, mit jener majestätischen Feierlichkeit, welche sie bei Hoffesten gezeigt hatte; sie trug den Kopf hoch, ihr Antlitz zeigte eine imposante Würde; ihre Gesichtszüge bekundeten weder Verwirrung noch die Absicht, ihren Richtern Trotz zu bieten; sie war kalt, ruhig und fast gleichgültig; ihr weißes Haar und die Runzeln auf der Stirn und um den Mund, der breite rötliche Rand um ihre Augen und der zuweilen ausdruckslose Blick zeugten von den ausgestandenen Seelenleiden; aber dieses unbewegliche Gesicht schien die Starrheit des Marmors angenommen zu haben, als ob die besiegte Seele sich schon dem Märtyrertum entzogen hätte.

Sie setzte sich auf einen Lehnstuhl, dem Gerichtshofe gegenüber; Tronson-Ducoudray und Chauveau-Lagarde nahmen an ihrer Seite Platz.

Der Gerichtshof bestand aus den Bürgern Herman, dem Präsidenten; den Richtern Coffinhal, Maire, Doujé-Verteuil; dem öffentlichen Ankläger Fouquier-Tinville und dem Gerichtsschreiber Fabricius Paris.

Antonelle, Renaudin, Souberbielle, Fiévé, Besnard, Thoumin, Chrétin, Gannecy, Trinchard, Nicolas, Lumière, Desboisseaux, Baron, Sambart und Devèse waren die Geschworenen.

Herman richtet die herkömmlichen Fragen an die Angeklagte:

»Wie heißen Sie?«

»Marie-Antoinette von Lothringen-Österreich.«

»Ihr Stand?«

»Die Witwe Ludwigs, ehemaligen Königs der Franzosen.«

»Ihr Alter?«

»Siebenunddreißig Jahre.«

Nachdem die Anklage verlesen war, schritt man zum Zeugenverhör.

Nach jeder Aussage richtete der Präsident eine Reihe von Fragen an die Königin, welche dieselben mit großer Festigkeit und Geistesgegenwart beantwortete.

Hébert war der dritte aufgerufene Zeuge; seine Aussage bleibt ein Denkmal scheußlicher Abgeschmacktheit und gemeiner Unverschämtheit.

Folgendes ist die Aussage, wie sie der Moniteur mitteilt:

»Jacques-Réné Hébert, Substitut des Gemeindeanwalts, sagt aus, daß er in seiner Eigenschaft als Gemeindemitglied vom 10. August mit wichtigen Geschäften beauftragt worden, welche ihn von der Verschwörung Antoinettes überzeugt hätten; namentlich fand er eines Tages im Tempel ein Gebetbuch, welches ihr gehörte, und in demselben eines jener konterrevolutionären Zeichen, bestehend in einem von einem Pfeile durchbohrten brennenden Herzen, mit der Inschrift: ›Jesu, miserere nobis‹.

Ein anderes Mal fand er in Elisabeths Zimmer einen Hut, den er als den Louis Capet zugehörigen erkannte; diese Entdeckung ließ ihn nicht zweifeln, daß einige seiner Kollegen sich zum Dienste der Tyrannei herabließen. Er erinnerte sich, daß Toulan eines Tages mit seinem Hut in den Turm gegangen und barhaupt mit den Worten: er hätte seine Kopfbedeckung verloren, herausgekommen sei.

Er fügt hinzu, daß Simon ihn eines Tages wissen ließ, daß er ihm etwas Wichtiges mitzuteilen habe; er begab sich in Begleitung des Maire und des Gemeindeanwalts in den Tempel. Hier erhielten sie von dem jungen Capet eine Erklärung, woraus hervorgeht, daß zur Zeit der Flucht Louis Capets nach Varennes La Fayette und Bailly zur Erleichterung jener Flucht beigetragen haben; daß sie zu diesem Behufe die Nacht im Schlosse zugebracht; daß während ihres Aufenthalts im Tempel die Gefangenen beständig von den Vorfällen draußen unterrichtet worden und daß man ihnen Briefe in die Kleider und Schuhe gesteckt habe.

Der kleine Capet nannte dreizehn Personen, welche zum Teil zur Unterhaltung dieses Einverständnisses mitgewirkt hätten; einer derselben habe ihn mit seiner Schwester in einen kleinen Turm geschlossen und, wie er gehört, zu seiner Mutter gesagt: »Ich werde Ihnen Mittel verschaffen, alle Nachrichten zu erfahren, indem ich Ihnen täglich einen Kolporteur schicke, der in der Nähe des Turms die Abendzeitung ausruft.«

Endlich ertappte Simon den jungen Capet, dessen körperlicher Gesundheitszustand sich mit jedem Tage verschlechterte, bei geheimen, der Gesundheit nachteiligen Sünden; als er ihn fragte, wer ihm dieses schändliche Laster gelehrt habe, antwortete er, daß er es der Unterweisung seiner Tante verdanke.

Aus der Erklärung, welche der junge Capet in Gegenwart des Maire von Paris und des Gemeindeprokurators ablegte, bemerkt der Zeuge, geht hervor, daß jene beiden Frauen mit dem Sohne Capets die zügellosesten Ausschweifungen trieben. Es ist wohl Grund zu der Vermutung, daß dabei die politische Absicht vorlag, die Gesundheit dieses Kindes zu untergraben, welches man noch für einen Thron bestimmt hielt und auf das man sich durch dieses Verfahren einen moralischen Einfluß sichern wollte. Seitdem der junge Capet nicht mehr bei seiner Mutter ist, kräftigt sich auch seine Gesundheit wieder.«

Diese schändlichen Aussagen wurden unter tiefem Stillschweigen ausgesprochen. Als Hébert geendigt hatte, lief ein Schauer des Schreckens durch die Zuhörer. So unerbittlich auch der Haß der Anwesenden war, so schwand derselbe doch jetzt; aller Herzen empfanden Mitleid und empörten sich im Gegenteil gegen den Elenden, der diese nichtswürdige Aussage gemacht hatte. Marie-Antoinette schien unempfindlich gegen diesen Schimpf; sie hörte ihn, ohne den Urheber dieser Abscheulichkeit auch nur eines Blickes zu würdigen.

Der Präsident nahm jetzt das Verhör wieder auf.

Präsident (zur Angeklagten): »Was haben Sie auf die Aussagen des Zeugen zu antworten?«

Angeklagte: »Ich habe keine Kenntnis von den Tatsachen, von denen Hébert spricht; ich weiß nur, daß mein Sohn das erwähnte Herz von seiner Schwester erhielt; der Hut, von welchem er gleichfalls spricht, ist ein Geschenk, welches meiner Schwester bei Lebzeiten des Bruders gemacht wurde.«

Präsident: »Brachten die Administratoren Michonis, Jobert, Marino und Michel nicht andere Personen mit sich, als sie zu Ihnen kamen?«

Angeklagte: »Ja, sie kamen niemals allein.«

Präsident: »Wieviel Personen hatten sie jedesmal bei sich?«

Angeklagte: »Oft drei oder vier.«

Präsident: »Waren diese Personen ebenfalls Administratoren?«

Angeklagte: »Ich weiß es nicht.«

Präsident: »Waren Michonis und die andern Administratoren mit ihren Schärpen bekleidet, als sie sich zu Ihnen begaben?«

Angeklagte: »Ich erinnere mich dessen nicht.«

Der Bürger Hébert bemerkt, daß seinem Gedächtnis ein wichtiger Umstand entfallen sei, der jedenfalls den Bürger-Geschworenen unterbreitet werden müsse; derselbe würde von der politischen Gesinnung der Angeklagten und ihrer Schwägerin Zeugnis ablegen. Diese beiden Frauen behandelten den kleinen Capet mit derselben Unterwürfigkeit, als ob er König gewesen wäre; bei Tische hatte er den Vorsitz über seiner Mutter und seiner Tante, er saß am obersten Ende und wurde immer zuerst bedient.

Präsident (zur Angeklagten): »Fühlten Sie nicht eine freudige Erregung, als Sie sahen, daß Michonis eine Privatperson, welche eine Nelke trug, in Ihr Zimmer in der Conciergerie führte?« Angeklagte: »Da ich seit dreizehn Monaten eingesperrt war, ohne eine bekannte Person zu sehen, so zitterte ich vor Besorgnis, daß jener Herr meinetwegen in Ungelegenheiten kommen könnte.«

Präsident: »War diese Privatperson einer von Ihren Agenten?«

Angeklagte: »Nein.«

Präsident: »War er nicht am 20. Juni in dem ehemaligen Schlosse der Tuilerien?«

Angeklagte: »Ja.«

Präsident: »Und wahrscheinlich auch in der Nacht vom 9. zum 10. August?«

Angeklagte: »Ich erinnere mich nicht, ihn dort gesehen zu haben.«

Präsident: »Hatten Sie nicht eine Unterredung mit Michonis? Haben Sie ihm nicht gesagt, Sie fürchteten, daß er nicht in die neue Munizipalität gewählt werden würde?«

Angeklagte: »Ja.«

Präsident: »Welches war Ihrerseits der Grund zu einer solchen Befürchtung?«

Angeklagte: »Weil er sanft und menschlich gegen die Gefangenen war.«

Präsident: »Sagten Sie nicht an demselben Tage zu ihm: Vielleicht ist es das letzte Mal, daß ich Sie sehe?«

Angeklagte: »Ja.«

Präsident: »Weshalb sagten Sie das?«

Angeklagte: »Weil er den Gefangenen große Teilnahme schenkte.«

Ein Geschworener: »Bürger Präsident, ich ersuche Sie, der Angeklagten bemerkbar zu machen, daß sie noch nicht auf die von dem Bürger Hébert erwähnten Tatsachen in bezug auf die Vorfälle zwischen ihr und ihrem Sohn geantwortet hat.«

Der Präsident stellt die Frage darüber.

Angeklagte: »Wenn ich nicht geantwortet habe, so geschah es, weil sich die Natur gegen eine solche Beschuldigung, wenn man sie einer Mutter macht, sträubt. (Hier erschien die Angeklagte im höchsten Grade aufgeregt.) Ich berufe mich auf alle Mütter, die anwesend sind.«

Der Moniteur und die Tageszeitungen berichten von der Aufregung der Königin, hüten sich aber wohl, hinzuzufügen, daß dieselbe vom Publikum geteilt wurde.

Als sie gezwungen wurde, auf eine Beschuldigung zu antworten, welche sie durch ihre Verachtung zurückzuweisen gehofft hatte, war das starre Gesicht der Königin plötzlich belebt geworden; ihre ausgetrockneten Augen, diese Augen, welche keine Tränen mehr hatten, schleuderten Blitze und von ihren zitternden Lippen erscholl die einzige, aber rührende Berufung, welche in aller Herzen nachhallte, so daß die Frauen selbst, die nur gekommen waren, um sich an der Erniedrigung ihrer ehemaligen Herrscherin zu werden, in ihrem Muttergefühl verletzt, dem einzigen Gefühl, welches ihre Verworfenheit überlebt hatte, plötzlich in lautes Schluchzen ausbrachen.

Der Präsident Herman beeilte sich, einen andern Zeugen aufzurufen.

Der Gerichtshof vernahm darauf mehrere Zeugen, die über den Vorfall mit der Nelke, welche der Königin in der Conciergerie zugestellt wurde, aussagten.

Der Graf von Estaing, Vizeadmiral, sagte, er habe die Angeklagte, solange sie in Frankreich sei, gekannt, und sich selber über sie zu beklagen; er erkläre aber dennoch, daß er nichts wüßte, was eine Anklage gegen sie rechtfertige. Über die Vorfälle vom 5. und 6. Oktober befragt, antwortete er: »Ich hörte die Räte des Hofes zu der Angeklagten sagen, daß das Volk von Paris heranzöge, um sie zu massakrieren, und sie antwortete ihnen in erhabener Gesinnung: »Wenn die Pariser herkommen, um mich niederzumachen, so werde ich zu den Füßen meines Gemahls sterben, aber nicht fliehen.«

Antoine Simon, früher Schuhmacher, gegenwärtig als Erzieher von Charles Louis Capet, dem Sohne der Angeklagten, angestellt, legte nur eine geringfügige Aussage ab. Der Präsident hütete sich wohl, ihn über die Tatsachen zu befragen, von denen er, nach Héberts Erklärung, der Hauptzeuge sein sollte. Marie-Antoinette hatte wenigstens den Trost, zu sehen, daß ihre Richter selber die Schändlichkeit der Anklage, welche der pére Duchesne verbreitet hatte, einsahen.

Ein gewisser Jean Baptiste Labenette behauptete, die Angeklagte hätte drei Personen bestochen, ihn zu ermorden; aber trotz der ernsten Verhandlung erregte diese Behauptung Lächeln unter den Zuhörern.

Beim Beginn der Sitzung vom 25. stellte Fouquier-Tinville seine Anklage. Chauveau-Lagarde und Tronson-Ducoudray hatten die Verteidigung der Königin übernommen; der erstere hielt eine sehr glänzende Rede, worin er wirksame Beredsamkeit an den Tag legte; der zweite widerlegte in seiner Verteidigungsrede alle Anklagepunkte nacheinander. Beiden hörte man mit ehrerbietigem Stillschweigen zu.

Als Tronson-Ducoudray seine Rede beendigt hatte, führten die Gendarmen Marie-Antoinette ein und Herman begann einen summarischen Bericht über die Verhandlungen vorzutragen, gab aber nur eine Umschreibung von Fouquier-Tinvilles Antrag.

Den Geschworenen wurden vier Fragen vorgelegt: 1. Ist es erwiesen, daß Handlungen und Unterhandlungen mit den fremden Mächten stattgefunden und daß diese Unterhandlungen zum Zweck gehabt, jenen Geldunterstützungen zu liefern, ihnen Zutritt auf das französische Gebiet zu verschaffen und die Erfolge ihrer Waffen zu erleichtern?

2. Ist Marie-Antoinette von Österreich, die Witwe Louis Capets, überwiesen, bei diesen Handlungen mitgewirkt und jene Einverständnisse unterhalten zu haben?

3. Ist es erwiesen, daß ein Komplott und eine Verschwörung bestanden, welche zum Zweck gehabt, den Bürgerkrieg im Innern der Republik zu entzünden?

4. Ist Marie-Antoinette von Österreich, die Witwe Louis Capets überwiesen, an diesem Komplott und dieser Verschwörung teilgenommen zu haben?

Nach einstündiger Beratung kehrten die Geschworenen zurück und bejahten alle ihnen vorgelegte Fragen.

Die Angeklagte wird wieder in den Verhörsaal geführt; Herman liest ihr die Erklärung der Jury vor; Fouquier stellt den Antrag, die Angeklagte zum Tode zu verurteilen und nachdem der Präsident die Stimmen seiner Kollegen gesammelt, spricht er folgendes Urteil:

»Nachdem der Gerichtshof nach einstimmiger Erklärung der Geschworenen dem Strafantrage des öffentlichen Anklägers zustimmt, verurteilt derselbe, den bereits angeführten Gesetzen gemäß, die besagte Marie-Antoinette, genannt von Lothringen-Österreich, Witwe Louis Capets, zur Todesstrafe; und erklärt, laut dem Gesetz vom 19. März vorigen Jahres, ihre Güter, wenn sie solche auf französischem Boden besitzt, für gerichtlich eingezogen.«

In ihr Gefängnis zurückgekehrt, hüllte sie ihre Füße in eine Decke, warf sich angekleidet auf ihr Bett und entschlief. Die lange Dauer der Verhandlung hatte ihre Kräfte erschöpft. Die Sitzung hatte um neun Uhr morgens begonnen und endigte erst spät abends, so daß die Leidende aufs höchste gefoltert worden war. Sie hatte Hunger und Durst ausgestanden, und so seltsam waren die Leidenschaften jener Zeit, daß ein Gendarmerieoffizier namens Busne sich rechtfertigen mußte, weil er ihr ein Glas Wasser gereicht hatte.

Als die beiden wachthabenden Gendarmen sie nicht hörten, wurden sie besorgt; einer von ihnen trat in das Zimmer und sah sie ruhig und friedlich schlummern.

Dieser Schlummer dauerte kaum drei Viertelstunden. Dann erwachte sie und bat einen ihrer Wächter, den Schließer Bault zu rufen. Als dieser kam, fragte sie, ob sie Schreibmaterialien bekommen könne. Bault antwortete, daß Fouquier diesem Wunsche zuvorgekommen sei und befohlen habe, Papier und Tinte zu ihrer Verfügung zu stellen; er schickte auch sofort einen Gendarmen danach.

Am 22. Februar 1816 wurde dieser Brief der Königin von Herrn von Richelieu den beiden Kammern vorgelesen. Folgendes ist der Inhalt dieses bewundernswerten Testaments, welches in jeder Beziehung dem Ludwigs XVI. würdig zur Seite steht:

»An Dich, meine Schwester, schreibe ich zum letzten Male. Ich bin verurteilt worden, nicht, eines schmachvollen Todes zu sterben – denn der gebührt nur den Verbrechern – sondern Deinen Bruder wiederzusehen.

Ich hoffe dieselbe Festigkeit wie er zu zeigen.

Es tut mir schmerzlich leid, meine armen Kinder verlassen zu müssen; Du weißt, daß ich nur für sie und für Dich lebte.

Du hast in Deiner Freundschaft alles geopfert, um bei uns zu leben; in welcher Lage lasse ich Dich! Aus der Verteidigungsrede beim Prozesse habe ich erst erfahren, daß meine Tochter von Dir getrennt ist.

Ach, das arme Kind! Ich wage nicht, ihm zu schreiben, denn es würde meinen Brief nicht erhalten; ich weiß nicht einmal, ob derselbe Dir zugehen wird.

Nimm meinen Segen für sie!

Ich hoffe, daß sie sich eines Tages, wenn sie erwachsen sein werden, wieder mit Dir vereinigen, und Deiner zärtlichen Sorgfalt in Frieden genießen können; mögen sie stets der Lehre gedenken, die ich ihnen immer einzuflößen suchte: daß ihre Freundschaft und ihr gegenseitiges Vertrauen ihr einziges Glück ausmachen; möge meine Tochter eingedenk sein, daß sie, durch ihr reiferes Alter befähigt, ihrem Bruder mit allen Ratschlägen beistehen soll, welche ihre Erfahrung und ihre Freundschaft ihr einflößen; mögen beide bedenken, in welche Lage sie auch kommen, daß sie nur durch Eintracht wahrhaft glücklich sein können. Möchten sie doch an uns ein Beispiel nehmen!

Wieviel Trost hat uns unsere Freundschaft im Unglück gewählt; und des Glücks genießt man doppelt, wenn man es mit einem Freunde teilen kann; wo kann man zärtlichere und teuerere Freunde finden, als im Schoße der eigenen Familie? Mein Sohn soll niemals die letzten Worte seines unglücklichen Vaters, die ich ihm ausdrücklich wiederhole, vergessen: Er trachte niemals danach, unsern Tod zu rächen.

Ich habe nun noch von einer Sache zu sprechen, die meinem Herzen peinlich ist; ich weiß, wieviel Mühe Dir dieses Kind machen muß. Verzeihe ihm, teure Schwester, bedenke sein zartes Alter und wie leicht es ist, einem Kinde einzureden, was man will und was es selber nicht versteht! Hoffentlich wird dereinst ein Tag kommen, wo er Deine Güte und Zärtlichkeit für ihn und seine Schwester besser zu würdigen wissen wird.

Es bleibt mir noch übrig. Dir meine letzten Gedanken anzuvertrauen.

Ich wollte Dir beim Beginn des Prozesses schreiben; aber abgesehen davon, daß man mich nicht schreiben ließ, war der Verlauf so schnell, daß ich auch keine Zeit dazu gehabt haben würde.

Ich sterbe in der römisch-katholischen apostolischen Religion, in welcher ich mit meinen Brüdern erzogen wurde und zu welcher ich mich stets bekannte; ich habe keinen anderen geistlichen Trost zu erwarten, denn ich weiß nicht, ob überhaupt noch Priester dieser Religion vorhanden sind und ob sie sich nicht großen Gefahren aussetzen würden, wenn sie den Ort, wo ich mich befinde, zu betreten wagten; ich bitte aufrichtig Gott um Verzeihung für alle Fehler, die ich bei meinen Lebzeiten begangen habe.

Ich hoffe, daß er in seiner Güte meine Seele in seinen barmherzigen Schutz aufnehmen werde; ich verzeihe allen meinen Feinden das Übel, das sie mir zugefügt haben. Ich bitte alle diejenigen, die ich kenne, und Dich, meine Schwester im besonderen, um Verzeihung für alle Mühe, die ich Euch ohne meinen Willen verursacht habe. Ich sage meinen Tanten und allen meinen Geschwistern Lebewohl.

Ich hatte Freunde, und der Gedanke, von ihnen und ihrer Liebe für immer getrennt zu werden, verursacht mir großes Leid in meinem Tode; mögen sie hierdurch wenigstens erfahren, daß ich bis zu meinem letzten Augenblicke an sie dachte!

Lebe wohl, meine gute und zärtliche Schwester; o möchte dieser Brief zu Dir gelangen! Denke immer an mich! Ich umarme Dich von ganzem Herzen ebenso wie jene armen, geliebten Kinder.

Mein Gott, wie herzzerreißend ist es, sie auf immer verlassen zu müssen! Lebewohl! Lebewohl!

Ich darf mich jetzt nur mit meinen geistigen Pflichten beschäftigen; da ich nicht über meine Handlungen frei verfügen kann, so wird man mir vielleicht einen Priester zuführen; aber ich erkläre hiermit, daß ich demselben nicht ein Wort sagen und ihn wie ein durchaus fremdes Wesen behandeln werde.«

Als der Brief beendigt war, küßte die Königin alle Seiten desselben, faltete ihn zusammen und gab ihn an Bault, mit der Bitte, ihn Madame Elisabeth zuzustellen.

Der Gefängniswärter antwortete ihr, daß die Erfüllung ihrer Bitte nicht von ihm abhinge und er genötigt sei, das Schreiben Fouquier-Tinville zu übergeben, der dasselbe an seine Bestimmung gelangen lassen würde.

Die Königin blieb stumm; sie stützte ihr Gesicht in ihre Hände und verharrte einige Zeit in dieser Stellung.

So saß sie noch, als Bault ihr meldete, daß jemand mit ihr zu sprechen wünsche; sie erhob langsam das Haupt und als sie einen schwarz gekleideten Mann erblickte, stand sie vom Bette auf.

Bault erriet, daß die Königin vermutete, der Besucher melde ihr den nahen Tod und beeilte sich daher, sie aus diesem Irrtum zu reißen.

»Es ist der Bürger Girard, Pfarrer von Saint-Landry«, sagte er.

Marie-Antoinette schüttelte den Kopf und murmelte:

»Ein Pfarrer! Es gibt kaum noch einen solchen.«

Der Schließer wollte sich entfernen, um sie mit dem Abbé Girard allein zu lassen; aber die Königin befahl ihm zu bleiben.

Gleich darauf beklagte sie sich über Kälte in den Füßen. Der Abbé Girard riet ihr, dieselben in ihr Kopfkissen zu wickeln; sie tat es und dankte ihm für seinen Rat.

Durch die wohlwollende Miene Marie-Antoinettes ermutigt, bat der Abbé Girard sie, den geistlichen Trost, den er ihr bringe, nicht zurückzuweisen, und fügte hinzu, daß, wenn sie irgend Widerwillen gegen seine Person hege, ein anderer Priester, der Abbé Lambert, Generalvikar des Bischofs Gobel, auf dem Flure zu ihrer Verfügung stehe.

Einige Minuten lang betrachtete sie den Abbé Girard, der ein Greis von würdigem Aussehen war; dann dankte sie ihm für seinen Eifer, erklärte aber, daß ihre Grundsätze es ihr nicht gestatteten, die Gnade des Herrn durch eine andere Vermittlung als einen Priester ihrer eigenen Religion zu empfangen. Als der Priester noch auf seiner Bitte bestand und sehr gerührt schien, ersuchte sie ihn mit großer Sanftmut, nicht weiter in sie zu dringen, denn ihr Entschluß sei ebenso unerschütterlich wie ihr Glaube.

Der Abbé Girard zog sich mit Tränen in den Augen zurück, in Begleitung des Abbé Lambert, der kein Wort an die Königin gerichtet hatte.

Charles Henri Sanson hat uns keinen so vollständigen Bericht über den Tod der Königin, wie über den Tod des Königs hinterlassen; die Einzelheiten, welche ich erzählen werde, sind, ebenso wie die vorhergehenden, mehreren Notizen entnommen, die er zum Zweck einer späteren umständlicheren Erzählung niederschrieb oder sind die Früchte der Erinnerungen, welche meine Großeltern von diesen Ereignissen bewahrt hatten.

Charles Henri Sanson ließ den Karren vorfahren und trat mit dem Bürger Gerichtsdiener, den Offizieren, den Gendarmen und meinem Großvater in die Conciergerie.

Die Königin saß im Saale der Toten auf einer Bank, den Kopf gegen die Mauer gelehnt; die beiden Gendarmen, welche sie bewachten, standen einige Schritte von ihr mit dem Schließer Bault; die Tochter des letzteren stand weinend vor Marie« Antoinette.

Als die Königin die Eskorte sah, stand sie auf und wollte den Scharfrichtern entgegengehen, allein eine Bewegung von Baults Tochter verhinderte sie daran; sie blieb stehen und umarmte das Mädchen mit großer Zärtlichkeit.

Sie war weiß gekleidet, ein ebenfalls weißes Umschlagetuch bedeckte ihre Schultern und auf dem Kopfe trug sie eine weiße, mit einem schwarzen Bande befestigte Haube. Sie sah außerordentlich blaß aus; dies war aber nicht die bleiche Farbe, welche eine vergeblich versteckte Furcht verrät, denn ihre Lippen waren rot geblieben und ihre Augen, umgeben von einem breiten Rande, der von ihren schlaflosen Nächten zeugte, glänzten lebhaft.

Mein Großvater und mein Vater hatten das Haupt entblößt; viele der Anwesenden grüßten ebenfalls, nur der Gerichtsdiener Nappier und einige Militärpersonen enthielten sich dieses Zeichens der Hochachtung der großen Unglücklichen gegenüber.

Ehe jemand Zeit hatte, das Wort zu ergreifen, trat Marie-Antoinette vor und sprach in einem Tone, der nicht die geringste Aufregung verriet:

»Ich bin fertig, meine Herren, wir können aufbrechen.«

Charles Henri machte ihr bemerkbar, daß es nötig sei, einige Vorkehrungen zu treffen, und Marie-Antoinette wendete sich um, indem sie ihm ihren Nacken zeigte, von dem das Haar schon abgeschnitten war.

»Ist es so recht?« fragte sie.

Zu gleicher Zeit streckte sie ihm die Hände hin, um dieselben binden zu lassen.

Während mein Vater dies besorgte, trat ein Priester, der Abbé Lothringer, in den Saal der Toten und bat um die Erlaubnis, sie begleiten zu dürfen. Der Abbé Lothringer, ein vereidigter Priester, wie die Abbés Girard und Lambert, hatte sich bereits nach dem Abgange jener beiden vorgestellt, war aber ebenfalls abgewiesen worden, denn die Königin beharrte in ihrem Entschlusse, den Trost einer mit einem Schisma behafteten Religion von sich zu weisen. Die Zudringlichkeit des Priesters schien der Königin sichtlich unangenehm und sie antwortete:

»Wie es Ihnen gefällig ist, mein Herr.«

Der Zug setzte sich unmittelbar darauf in Bewegung.

Die Gendarmen schritten vor der Königin, an deren Seite der Abbé Lothringer sich mit lebhaftem Eifer zu halten suchte; hinter ihr gingen der Gerichtsdiener, der Scharfrichter und andere Gendarmen.

Als Marie-Antoinette in den Hof trat, bemerkte sie den Karren; sie blieb einen Augenblick stehen und ein Ausdruck des Schreckens zeigte sich in ihren Mienen.

Der Priester erriet, welche Gefühle sie bestürmten; in seiner halb deutschen, halb französischen Mundart ermahnte er sie, der Entsagung Christi nachzuahmen, welcher auch sein Kreuz getragen, und indem er von der Buße sprach, bediente er sich des Wortes: Verbrechen.

»Sagen Sie: Fehler, mein Herr«, entgegnete die Königin und schritt dann, ohne weiter auf ihn zu hören, schnell nach dem Karren.

Um ihr das Einsteigen zu erleichtern, hatte man einen Schemel hingestellt; dieser Schemel schwankte einen Augenblick, als sie den Fuß darauf setzte; nachher dankte sie denen, welche sie unterstützt hatten.

Die Türen öffneten sich; die Königin erschien in der Mitte der düsteren Geleitschaft. Sogleich begann das auf den Kais und den Brücken angehäufte Volk wie ein unruhiges Meer zu schwanken und ein tausendfaches Geschrei von Verwünschungen und Todesdrohungen auszustoßen.

Die Menge hatte sich so dicht zusammengedrängt, daß der Karren nicht vorwärts zu bewegen war; das erschrockene Pferd bäumte sich in den Schwangbäumen; es entstand ein Augenblick so schrecklicher Verwirrung, daß mein Vater und mein Großvater, welche vorn auf den Karren saßen, aufstanden und sich vor Marie-Antoinette stellten. Auf einigen Punkten drangen die Wütenden durch die Reihe der Eskorte und die meisten Gendarmen unterstützten ihre Beleidigungen mit eigenen Schimpfwörtern, anstatt die aufgeregte Menge zurückzudrängen und ihren übertriebenen Haß zu besänftigen.

Nourry, Grammonts Sohn, wie sein Vater Offizier in der Revolutionsarmee, war feige genug, die geballte Faust drohend gegen das Gesicht der Königin zu erheben. Der Abbé Lothringer stieß ihn jedoch zurück und warf ihm mit heftigen Worten das Unwürdige seiner Handlung vor.

Dieser Auftritt dauerte zwei oder drei Minuten.

Niemals – dies wiederholte mir mein Vater oft – hat sich Marie-Antoinette ihres hohen Ranges würdiger gezeigt. Sie war eine wahrhafte Königin, diese Frau, welche ohne sich zu entfärben oder die Augen niederzuschlagen, die wilden Blicke des souveränen Volkes aushielt; ohne zu zittern das Brüllen des Löwen hörte, dem man sie zur Beute vorwarf; die wie der römische Cäsar, sich aufrechthielt, ohne das Knie zu beugen; für welche der scheußliche Karren noch ein Thron war und der es sogar in der Erniedrigung, zu der man sie gebracht, gelang, durch die Kraft ihrer Seele des Mitleids unfähige Herzen zur Ehrfurcht zu nötigen.

Grammont, der Vater, war mit einigen Reitern vorauf geritten und es gelang ihm endlich, einen Durchgang für den Zug zu gewinnen. Als sich darauf der Karren wieder in Bewegung setzte, verminderte sich der Lärm und man hörte nur von Zeit zu Zeit noch den Ruf unter der Menge: »Tod der Österreicherin! Tod der Madame Veto!« Sobald aber der Wagen die Rufenden erreichte, schwiegen sie.

Marie-Antoinette stand aufrecht in der Mitte des Karrens; der Abbé Lothringer, der sich auf die rechte Wagenleiter stützte, sprach zu ihr mit mehr Lebhaftigkeit als Salbung; sie antwortete ihm indes nicht und schien nicht einmal auf ihn zu hören.

In dem Maße, wie die Haltung der Volksmenge, an der sie vorüberkam, ruhiger wurde, verloren auch ihre Augen den leuchtenden Glanz und schweiften gleichgültig über die Menge und ihre Bewegungen.

Als sie an dem Palais Egalité vorüber war, schien sie unruhig zu werden und blickte auf die Nummern der Häuser mit einem Ausdruck, der mehr als Neugierde verriet.

Die Königin hatte vorausgesehen, daß man keinem Priester der römischen Kirche gestatten würde, ihr den letzten Trost der Religion zu spenden; sie hatte sich darüber beunruhigt, und ein nicht vereidigter Geistlicher, der Abbé Magnien, der zu Richards Zeit in die Conciergerie gelangt war, hatte ihr versprochen, sich an ihrem Todestage in einem Hause der Straße Saint Honoré einzufinden und über ihrem Haupte die Absolution in extremis auszusprechen, zu welcher die Kirche auch ihre niedrigsten Diener bevollmächtigt. Die Nummer dieses Hauses war Marie-Antoinette angezeigt und diese suchte sie; sie fand dieselbe und als sie auf ein Zeichen, das nur ihr verständlich war, den Priester erkannt hatte, neigte sie die Stirn und betete mit großer Sammlung; dann entrang sich ihrer Brust ein Seufzer der Linderung und man sah ein Lächeln auf ihren Lippen. Als sie auf dem Revolutionsplatze ankam, blieb der Karren gerade der großen Allee der Tuilerien gegenüber halten; einige Augenblicke schien die Königin in schmerzliche Betrachtungen versunken; sie wurde um vieles bleicher, ihre Augenlider wurden feucht und man hörte, wie sie mit dumpfer Stimme die Worte murmelte:

»Meine Tochter! Meine Kinder!«

Bei dem Lärm, welcher die Zurichtung des Schafotts veranlaßte, schien sie wieder zu sich zu kommen und schickte sich an, vom Karren herabzusteigen, wobei sie von meinem Vater und meinem Großvater unterstützt wurde. In dem Augenblick, als sie den Fuß zur Erde setzte, sagte Charles Henri Sanson, der sich über sie lehnte, mit leiser Stimme:

»Mut, Madame!«

Die Königin wendete sich schnell um und schien erstaunt, Mitleid in dem Manne zu finden, der sie zum Tode führen sollte.

»Ich danke, mein Herr, ich danke«, sprach sie mit fester Stimme.

Nur wenige Schritte trennten den Karren vom Schafott; als mein Vater sie noch weiter unterstützen wollte, wies sie ihn mit den Worten zurück:

»Nein, ich werde, Gott sei Dank, Kraft genug haben, bis dahin zu gehen.«

Sie ging mit gleichem, weder hastigem noch langsamem Schritt und stieg die Stufen mit der Majestät hinauf, als ob es die Stufen der großen Treppe zu Versailles gewesen wären.

Als sie auf der Plattform ankam, entstand ein Augenblick der Verwirrung. Der Abbé Lothringer war ihr bis dorthin gefolgt und setzte seine vergeblichen Ermahnungen fort; mein Vater stieß ihn sanft zurück, um dieser schmerzlichen Qual ein Ende zu machen.

Nun bemächtigten sich die Gehilfen des erhabenen Opfers. Während sie die Königin auf das Fallbrett banden, hob sie die Augen gen Himmel empor und rief mit lauter Stimme:

»Lebt wohl, meine Kinder! Ich werde euren Vater wiedersehen!«

Kaum hatte sie diese Worte vollendet, als das Fallbrett an seine Stelle gelegt wurde und das Messer auf ihr Haupt herabfiel.

Bei dem Geräusch des Fallbeils erhob sich der Ruf: »Es lebe die Republik!« allein dieser Ausruf beschränkte sich nur auf die nächste Umgebung des Schafotts.

Grammont, der seinen Säbel wie ein Besessener schwang, befahl Charles Henri zu wiederholten Malen, dem Volke den Kopf zu zeigen. Einer seiner Gehilfen trug hierauf die scheußliche Trophäe, deren Augenlider noch krampfhaft zitterten, um das Schafott herum.

Der Körper der Königin wurde in einen schlechten Sarg von rohem Holze eingeschlossen und in eine Kalkgrube des Magdalenenkirchhofes versenkt; ihre Kleider wurden unter die Armen der Hospitäler verteilt.


 << zurück