Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Erster Band
Eduard Trautner

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Ein Attentat auf Ludwig XV.

François Damiens

Charles Sanson, der zweite, starb am 12. September 1726, kaum fünfundvierzig Jahre alt. Seine Witwe ließ ihm in der Kirche Saint-Laurent, unter Beistand der ganzen Geistlichkeit der Gemeinde, einen großen Trauergottesdienst abhalten. Eine Menge Armer folgte dem Sarge, denn da er gefühlvoller und umgänglicher als Sanson von Longval gewesen, datieren von ihm die Gewohnheiten des Mitleids und der Wohltätigkeit, durch die der größte Teil meiner Vorfahren sich bemüht hat, die grausamen Pflichten ihres Standes zu versöhnen.

Charles Sanson hinterließ drei Kinder: eine Tochter, Anna Renée Sanson, geboren 1710, die einen gewissen Zelle in Soissons heiratete, und zwei Söhne, Charles Jean Baptiste Sanson und Nicolaus Charles Gabriel Sanson, von denen der erste im April 1719, der jüngere im Mai 1721 geboren worden war.

Das jugendliche Alter dieser beiden Erben des Schwertes des Gesetzes wäre eine gute Gelegenheit für Martha Dubut gewesen, eine Nachfolge im Amt für ihre Söhne abzulehnen. Sie war jedoch anderer Meinung, tat im Gegenteil eifrige Schritte, damit Charles Jean Baptiste mit dem finstern Amte bekleidet werde, das sein Vater vakant gelassen.

Das strenge Gesicht dieser Frau, das ich noch unter meinen Familienporträts finde, beweist, daß sie von ungewöhnlicher Härte gewesen sein müsse. Sie hielt sich verpflichtet, ihren Söhnen das Erbteil des Vaters unberührt zu erhalten.

Von dem Kriminalleutnant und dem Generalprokurator unterstützt, hatten ihre Schritte Erfolg. Charles Jean Baptiste war kaum sieben Jahre alt, als diese Artemisia des Schafotts ihn zum Scharfrichter ernennen ließ. Während seiner Minderjährigkeit versahen zwei Stellvertreter in seinem Namen das Geschäft, zuerst Georg Hérisson, der später Scharfrichter von Melun wurde, dann ein gewisser Prudhomme.

Obwohl dieses arme Kind durch seine Stellvertreter auf den Grèveplatz geführt wurde, um den Hinrichtungen beizuwohnen und diese durch seine Gegenwart zu legalisieren, vermochte es doch noch nicht, wie sein Vater und sein Großvater, die Eindrücke, die es hier empfand, aufzuzeichnen. Es findet sich also eine Lücke in diesen Memoiren, die mich nötigt, mehrere Hinrichtungen zu übergehen.

 

Der politische Mord, das Verbrechen, das, indem es sich an der Person des Herrschers vergreift, die Existenz des Volkes, das er regiert, in Zweifel stellt, widerstrebt den Sitten und Gefühlen unserer Nation so sehr, daß das Publikum niemals einwilligt, darin die vereinzelte Handlung eines Fanatikers oder Narren zu sehen.

Hatte Ravaillac Mitschuldige? Man hat es behauptet, aber es ist nichts bewiesen worden. Ungeachtet der gerichtlichen Behauptung ist es wahrscheinlich, daß Ravaillac bei den furchtbaren Torturen, die man den Mörder Heinrichs IV. erleiden ließ, und besonders im Hinblick auf den Unwillen, den ihm die öffentliche Meinung so beredt klar machte, in seinen letzten Augenblicken die Hand, die ihn bewaffnet hatte, verraten haben, würde.

Damiens war den 9. Januar 1715 im Dorfe Thieuloy, fünf Meilen von Arras, geboren. Sein Vater, der früher Pächter gewesen, wurde gewöhnlicher Pflüger. Er war neun Jahre alt, als seine Mutter starb, und mit sechzehn Jahren trat er bei einem Pächter seines Geburtsortes in den Dienst.

Bald war er Landbauer, dann Schlosser, Kellner, Waffenknecht, Küchenjunge und Diener im Kollegium Ludwigs des Großen; er befand sich in der letzteren Stellung, als er im Februar 1739 eine Köchin namens Elisabeth Molerienne, die im Dienst der Gräfin von Crussol stand, heiratete.

Die Heirat veränderte keineswegs Damiens' vagabundierendes Leben, und die Vaterschaft hatte auch keinen Einfluß auf seine schlechten Neigungen. Nachdem er siebzehn Jahre lang nach seiner Verheiratung von Stelle zu Stelle gelaufen war, endigte er damit, seinen letzten Herrn zu bestehlen.

Um den Verfolgungen zu entgehen, floh Damiens nach der Pikardie.

Er floh bald nach Saint-Venant, bald nach Ypres, Junotland und Poperinghe.

In Poperinghe gab er schon Anzeichen der Besessenheit, die ihn zum Königsmorde führen sollte.

Um diese Zeit war die Unzufriedenheit allgemein; ein unbestimmter Begriff von Freiheit begann in den Massen aufzukeimen, und religiöse Streitfragen trugen der öffentlichen Aufregung Stoff zu.

Zu Poperinghe hatte er in dem Wirtshause des Jacobus Masselin die Bekanntschaft eines armen Leinewebers namens Nicolas Playoust gemacht und mit ihm ein Zimmer bewohnt, das der Handwerker von einer Krämerin gemietet hatte. Er erzählte mehrere Vorfälle, die bis zur Evidenz eine Geistesverwirrung Damiens' erwiesen.

So hatte auch Damiens seinen Wirt angeklagt, daß er ein Zauberer sei, weil er unter seinem Bette eine von sieben Löchern durchbohrte Wachskerze gefunden hatte, daß diese Kerze in seinen Händen zerbrochen sei und daß man ihm, wie er behauptete, vorausgesagt habe, daß er ewig unglücklich sein würde, wenn er aus Versehen eine Kerze zerbräche.

Er hatte ihm mehrere Male wiederholt: »Ich werde nach Frankreich zurückkehren und daselbst sterben; wenn ich aber sterbe, so wird auch der Größte der Erde sterben.« Und während er so sprach, sagte der Zeuge aus, gebärdete er sich wie jemand, der mit dem Stocke ficht.

Als Playoust ihn zu seiner Frömmigkeit beglückwünscht und zu ihm gesagt hatte, wenn man so viel wie er zu Gott bete, so könne man auch ruhig sein, hatte er geantwortet:

»Ich habe gut beten, er erhört mich doch nicht.«

Als sie eines Nachts Seite an Seite lagen, war Damiens plötzlich aufgesprungen und wie von Wahnsinn ergriffen nach dem Keller geflohen, wobei er ein furchtbares Geschrei ausstieß und seinen Kameraden anklagte, ein Zauberer zu sein. Dieser hatte Gewalt anwenden müssen, um ihn wieder zu Bett zu bringen.

Damiens verließ Poperinghe und seinen Freund Playoust am 10. Dezember.

Er scheint nach Paris mit dem festen Entschlusse gekommen zu sein, den König zu töten. Bei seiner Ankunft ließ er seinen Bruder holen, der ihn in einem Wirtshause der Straße Beaubourg fand; und als dieser zu ihm von dem begangenen Diebstahl sprach, unterbrach ihn Damiens rauh, indem er ihm sagte, er sei nach Paris gekommen, weil die Herren vom Parlament ihre Entlassung eingereicht hätten. Als Louis Damiens erstaunt über das Unzusammenhängende dieser Antwort war, erklärte ihm Robert François, daß er bedaure, nicht in Versailles selbst zu sein, und bat ihn, ihn zu umarmen, wobei er ihm sagte, es sei vielleicht das letztemal, daß er ihn sähe.

Den Dienstag (14. Januar) trieb er sich in der Umgegend des Schlosses umher. Der König war in Trianon. Damiens klagte zu seiner Wirtin darüber, daß diese Abwesenheit des Königs die Geschäfte, die er hier habe, verzögere.

Am Mittwoch frühstückte er mit gutem Appetit; er ging erst gegen zwei Uhr nachmittags aus dem Wirtshause und begab sich direkt nach dem Schloß. Im Hofe bemerkte er die Pferde der Musketiere und ließ sich mit einem Knechte zu Fuß in ein Gespräch ein, wodurch er erfuhr, daß der König zu Versailles bei seinen Tanten sei und erst abends nach Trianon zurückkehren werde.

Er strich wieder in den Schloßhöfen bis zum Dunkelwerden umher. Um halb sechs Uhr belehrte ihn die Bewegung unter den Pferden und Wagen, daß der König abreisen wolle. Damiens folgte dem königlichen Wagen, den Knechte mit angezündeten Fackeln begleiteten, bis in den Marmorhof, wo er anhielt, und verbarg sich in einer Nische des Treppengewölbes.

Das Attentat

Peinliches Verhör im Schloß; die Haft; Machault, d'Argenson.

Ludwig XV. kam, begleitet von dem Herrn Dauphin und einem Teil seines Hofstaates, aus den Zimmern seiner Tanten; er schlug von der Treppe den Weg nach dem Wagen ein, der ihn, wie gesagt, erwartete. Es war finster und kalt, und jeder hatte sich in das neuerdings aus England eingeführte Kleidungsstück gehüllt, das unsere Nachbarn Reading-coat nannten. Der König hatte zwei solcher Überzieher übereinander, der zweite war von Pelz.

In dem Augenblicke, als er den Fuß auf den Samttritt setzte, stürzte ein Mann mit dem Hute auf dem Kopfe mitten durch die Garden hindurch, drängte sich zwischen dem Herrn Dauphin und dem Herzog von Ayen hindurch und warf sich auf den König, der sogleich schrie:

»Oh, man hat mir einen furchtbaren Faustschlag versetzt!«

In der Verwirrung, die durch die doppelte Bewegung der Neugierigen, die den König sehen wollten, und der Garden, die sie zurückstießen, entstand, konnte sich niemand von dem, was geschehen war, Rechenschaft geben. Nur ein kleiner Fußknecht namens Selim hatte zu sehen geglaubt, wie ein Unbekannter die Hand auf die Schulter des Königs gelegt hatte; er warf sich auf ihn und, von zwei seiner Kameraden namens Fiefré und Waverelle unterstützt, hielt er ihn fest.

Unterdessen hatte der König die Hand unter seine Weste gesteckt und zog sie ganz blutig zurück.

»Ich bin verwundet«, sagte er.

In demselben Augenblicke drehte er sich um, und als er den Mann erblickte, den die Knechte festhielten und der noch den Hut auf dem Kopfe hatte, setzte er hinzu:

»Der ist es, der mich getroffen hat. Man arretiere ihn, aber auf keinen Fall tut ihm ein Leid.«

Und er ging in sein Zimmer zurück, gestützt auf die Herren von Brienne und Richelieu.

Die Leibwachen des Königs und die Hundert-Schweizer bemächtigten sich sogleich des Mörders und führten ihn in ihren Wachtsaal.

Er war ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, von hoher Figur, mit schmalem Gesichte, einer Adlernase, sehr tiefliegenden Augen und krausen Negerhaaren; seine Hautfarbe war so dunkel, daß er, trotz der inneren Bewegung, die er empfinden mußte, nicht einmal blaß geworden zu sein schien. Bekleidet war er mit einem braunen Regenrock, einem Rock von grauwollenem Zeuge, einer Weste von grünlichem Samt und einer Hose von rotem Plüsch.

Auf die ersten Fragen, die man an ihn richtete, erklärte er, daß er François Damiens heiße; er sagte, er sei es gewesen, der den Stoß geführt habe, und er habe dies für Gott und das Volk getan.

Ein Garde-du-Corps namens Bonot fragte ihn, ob er das Geld, das man bei ihm gefunden, nicht als Belohnung für das Verbrechen, das er begangen, von jemand erhalten habe.

»Darauf habe ich Ihnen keine Antwort zu geben«, erwiderte er demselben heftig.

Dann sagte er, als sei er plötzlich von Reue ergriffen worden: »Man sehe sich mit dem Herrn Dauphin vor! Daß der Herr Dauphin heute nicht ausgehe!«

Nun begannen die Garden ein außergerichtliches Verhör, und in der Hitze ihres Eifers ihre doppelte Eigenschaft als Edelleute und Offiziere vergessend, erröteten sie nicht, sich zur Ausübung des Geschäftes von Henkersknechten herabzulassen; sie banden Damiens auf eine Bank und begannen ihn zu quälen und zu verhören.

Unterdessen war der König in seine Zimmer geführt, entkleidet und zu Bett gebracht worden.

Damiens' Messer, das eine dreifache Bekleidung zu durchdringen gehabt, hatte Ludwig XV. an der inneren und hinteren rechten Seite des Halses getroffen; kein edleres Organ war verletzt.

Aber der König, der eine so große Kaltblütigkeit in den ersten Augenblicken nach dem Attentate gezeigt hatte, wurde sehr aufgeregt, als er einen ungeschickten Höfling gegen La Martinière äußern hörte, daß, wenn auch die Wunde leicht sei, die Klinge doch vergiftet gewesen sein könne; er schickte zweimal hinab, um den Schuldigen zu verhören, ob er seine Waffe nicht in ein Gift getaucht habe, und diese Besorgnisse des Monarchen wurden so groß, daß er seinen Beichtvater rufen und sich fünf- oder sechsmal die Absolution geben ließ; er rief den Dauphin und beauftragte ihn, den Vorsitz im Rate zu übernehmen, kurz, er ergriff alle Maßregeln, die ein Mann, der von seinem nahen Tode überzeugt ist, nur ergreifen kann.

Herr von Machault, der Siegelbewahrer, kam inzwischen in den Saal, in dem sich Damiens befand. Seine Bestürzung über die geschehene Tat und deren mögliche Folgen war sehr groß. Seine Ungnade mußte dem Tode des Königs unmittelbar folgen; die strengen Prinzipien des Dauphins erlaubten ihm nicht, einen Minister zu behalten, der eine Kreatur Madame von Pompadours war.

In der Angst seines Ehrgeizes schloß sich der Siegelbewahrer, ohne die Übereilung der Jugend oder die Rauheit des Soldatenlebens zu seiner Entschuldigung zu haben und alle Würde und Scham vergessend, den Offizieren in der unedlen Rolle, die sie spielten, an und übertraf sie noch an Grausamkeit.

Er ging an den Kamin, nahm zwei Feuerzangen und machte sie glühend, und als sie rot waren, begann er selbst damit die Beine des Unglücklichen zu kneifen, wobei er es sich angelegen sein ließ, bald diese, bald jene Stelle zu suchen, weil er glaubte, den Schmerz seines Opfers dadurch empfindlicher zu machen.

Trotz der großen Qualen entschloß sich der Gefangene doch zu keinem Geständnisse und begnügte sich, seine Quäler darauf aufmerksam zu machen, daß sie gegen den Willen Seiner Majestät handelten, die befohlen hätten, daß ihrem Mörder kein Leid angetan werden solle; dann wandte er sich an den Siegelbewahrer und sagte:

»Wenn Sie, die Sie hier das Geschäft eines Folterknechtes übernommen haben, nicht die Ihrigen verraten hätten, so würden wir alle beide nicht hier sein.«

Der Geruch, der von den Brandwunden ausging, war so durchdringend, daß er von dem Saale der Garden, der im Erdgeschosse lag, bis in die erste Etage stieg.

Jetzt kam der Herzog von Ayen in das Zimmer, und als er die Beschäftigung des Siegelbewahrers bemerkte, fuhr er die Herren von Hédouville und Benor, die zu seiner Kompagnie gehörten und Herrn von Machault geholfen hatten, heftig an und sagte ihnen, daß, wenn man einen Degen an der Seite trage, man nicht Folterknecht spielen dürfe, sondern daß man dies den Leuten von der Justiz zu überlassen habe.

Diese Rede, die durch den Ton noch schärfer wurde, nahm Herrn von Machault nicht den Geschmack an seinem neuen Handwerk; er befahl den Schweizergarden, zwei Bündel Holz in den Kamin zu werfen, und ließ Damiens dem Feuer so nahe bringen, bis die starke Hitze aus seinen beiden Beinen nur eine Wunde gemacht hatte, und als er immer noch nicht gestand, drohte derselbe Siegelbewahrer ihn in die Flammen werfen zu lassen. Der Prevotleutnant des Schlosses, Herr Leckere de Boillet, der in diesem Augenblicke eintraf, machte dieser scheußlichen Szene ein Ende; er reklamierte den Schuldigen, indem er sich auf seine Kompetenz, das Verbrechen zu untersuchen, berief, und ließ ihn in den Kerker bringen.

Am folgenden Tage begann der Prevotleutnant das Verhör. Er forderte Damiens auf, seine Mitschuldigen zu nennen, und dieser erwiderte, daß er für den Augenblick nichts mehr zu sagen habe und daß, wenn er die nenne, welche ihn zu seinem Verbrechen verleitet hätten, »alles vorüber sein werde«.

Am 15. Januar wurde der durch die Prevotschaft des Schlosses eingeleitete Prozeß justifiziert und die große Kammer des Parlaments von Paris erhielt den Auftrag, ihn fortzuführen.

Den 17. fand die Versetzung des Gefangenen nach Paris statt; er reiste von Versailles um zwei Uhr morgens ab. Da der Zustand seiner Beine nicht erlaubte, daß er die geringste Bewegung mache, so wurde er auf eine Matratze gelegt und in eine mit vier Pferden bespannte Kutsche getragen. Die Eskorte war imposant. Man glaubte immer noch an das Bestehen einer Verschwörung und fürchtete, daß die unbekannten Genossen Damiens' einen Versuch machen könnten, ihn zu rauben oder verschwinden zu lassen.

Damiens' Kerker war rund und hatte nicht mehr als zwölf Fuß im Durchmesser.

Die Luft zirkulierte so schwer in dieser schrecklichen Höhle, daß man auf den Rat der Ärzte die Lichte, die man hier Tag und Nacht brannte und deren Dampf die Gesundheit des Gefangenen zu gefährden drohte, durch Wachskerzen ersetzen mußte.

Damiens war in eine Art von Zwangsjacke geschlossen, die ihm keine einzige freie Bewegung ließ.

Er lag auf einem mit einer Matratze belegten Gestelle; das Kopfende war gegen die Tür gewandt und das Kopfbrett hob und senkte sich mittels einer eisernen Kurbel, wenn der Unglückliche, ganz gebrochen durch diese schreckliche Tortur, die siebenundfünfzig Tage dauerte, seine Wächter bat, ihm eine andere Lage zu geben.

Die Zurüstung, die ihn auf seinem Lager festhielt, lohnt wohl der Mühe, daß man sie beschreibe. Sie bestand in einer Art Netz von starken Riemen aus ungarischem Leder, die durch in den Planken befestigte Ringe liefen; auf jeder Seite des Bettes befanden sich fünf dieser Ringe und einer zu Füßen des Gefangenen. Die Riemen, die durch die Ringe zur Seite des Kopfes liefen, hielten die Schultern, die zweiten fesselten die Hände wie Handschellen und erlaubten dem Gefangenen nur, die Hand zum Munde zu führen; Schenkel und Beine waren auf dieselbe Weise befestigt, und endlich verband ein Riemen, der von dem Ringe am Fußende des Bettes auslief, alle übrigen miteinander, lötete sie gewissermaßen zusammen.

Und das war noch nicht alles.

Zwölf auserwählte Sergeanten vom Regiment der französischen Garden hatten den Auftrag, Tag und Nacht bei dem Gefangenen zu wachen. Ihr Posten war in einem Zimmer, das genau über seiner Zelle lag. Alle zwei Stunden mußten vier von ihnen an Damiens' Bett Platz nehmen, die anderen blieben in ihrer Wachtstube auf das geringste Geräusch aufmerksam, und niemand durfte vor Beendigung des Prozesses aus der Conciergerie gehen.

Vier unter ihren Befehlen stehende Soldaten versahen das Amt, den Gefangenen zu versorgen; sie durften ebensowenig wie die Unteroffiziere den Turm verlassen.

Der Arzt und der Chirurgus des Parlaments besuchten den Königsmörder täglich dreimal und statteten dem ersten Präsidenten täglich Bericht ab, in welchem Zustande sie den Gefangenen gefunden hätten. Der Chirurgus schlief in der Conciergerie.

Ein Beamter aus der königlichen Küche mußte die Lebensmittel für Damiens zubereiten, es war ihm verboten, demselben irgend etwas vorzusetzen, von dem er vorher nicht einige Tiere hatte kosten lassen.

Wirklich hätte man im Angesichte eines solchen Überflusses von Vorsichtsmaßregeln gegen einen Unglücklichen, für den eine Zelle im Irrenhause genügende Gerechtigkeit gewesen wäre, sich fragen müssen, welcher Verrücktheit die, welche sie angeordnet hatten, gehorchten, wenn es nicht am Tage gelegen hätte, daß infolge des leidenschaftlichen Kampfes zwischen Parlament und Geistlichkeit der Prozeß Damiens' eine politische Waffe wurde, mit der jede der Parteien ihren Gegner zu vernichten hoffte.

Der Prozeß

Die Sinnlichkeit König Ludwigs XV. und der daraus folgende Egoismus konnten ihn gegen das Leiden seines Volkes gleichgültig machen, indessen war er keineswegs grausam. Die Behandlung, der der unglückliche Damiens unterworfen wurde, verursachte ihm Grauen; er sprach oft mit Abscheu davon, aber er hatte in den Schmeicheleien, die schon seine Kindheit umgaben, eine unumstößlich hohe Meinung von der Majestät seiner Person gewonnen; so war er vollständig überzeugt, daß ein Angriff auf ihn sich an Gott vergreifen heiße, daß das Attentat auf seine Person das abscheulichste aller Verbrechen sei, das durchaus nichts entschuldigen könne und demgegenüber selbst er das Recht der Gnade verlor. Dennoch zeigte er sich sehr besorgt um die Gesundheit seines Mörders. Es schien, als halte er sich verantwortlich für sein Leben, bevor die Richter nicht ihr Urteil gesprochen hätten. Als er erfuhr, daß Damiens unter dem Einflusse des schrecklichen Zwanges, der ihm gar keine Bewegung erlaubte, augenscheinlich umkommen müsse, schickte er seinen Leibarzt, den Doktor Sénac, zu ihm; er schien sehr betrübt und erhielt die Sorglosigkeit, die ein hervorstechender Charakterzug bei ihm war, erst wieder, als Sénac befohlen hatte, daß dem Königsmörder ein wenig Bewegung in seinem Kerker verstattet werden solle, und als er gewiß war, daß Damiens sich infolge dieser Vergünstigung in besserem Zustande befinde.

Der Prozeß ging nur langsam vorwärts; das Parlament, das sich indirekt durch die Teilnahme, die Damiens für einige seiner Mitglieder kundgegeben hatte, verpflichtet fühlte, hielt es für eine Ehrensache, dies durch die umständlichste Untersuchung zu betätigen.

Achtzehn Personen wurden arretiert und in den Prozeß wegen der Mitschuld an dem Verbrechen verwickelt. Aber die Untersuchungsrichter konnten machen, was sie wollten – trotz aller Prüfung verschwand das vermutete Komplott immer wieder und die vermeintlichen Mitschuldigen wurden für unschuldig befunden.

Am Sonnabend, dem 26. März, versammelte sich die große Kammer. Die Prinzen von Geblüt, die Herzöge und Pairs, die Präsidenten, Räte und Requêtenminister waren auf ihren Sitzen.

Als Damiens auf die Anklagebank gesetzt worden, war er weit davon entfernt, sich bestürzt zu zeigen; er schien eine besondere Geistesgegenwart aus der Wichtigkeit, die seine Person gewonnen hatte, zu schöpfen.

Aus der Untersuchung, die ihm mitgeteilt worden war, hatte der Generalprokurator seine Schlüsse gezogen und sie versiegelt auf dem Bureau des Gerichtshofes niedergelegt.

Nachdem einige neue Fragen an den Angeklagten gerichtet worden waren, ermahnte ihn Herr Pasquier, seine Mitschuldigen zu nennen.

»Das Geständnis Eurer Mitschuldigen«, sagte er zu ihm, »ist die einzige Sühne, die Ihr Gott und den Menschen geben könnt; Ihr seid sie der Ruhe des Staates und der guten Untertanen Seiner Majestät schuldig. Ihr seid sie der Rettung Eurer Seele schuldig, wenn Ihr eine solche zu haben glaubt.«

Damiens antwortete ihm:

»Sie haben gut sprechen, Herr Pasquier, aber so wahr wie ich jenes Kruzifix vor mir habe, habe ich Ihnen nichts zu gestehen.«

Man öffnete und verlas nun den Bericht des Generalprokurators; er beantragte, daß Damiens zur Strafe der Königsmörder und vorhergehender Tortur verurteilt würde.

Um sieben Uhr abends erließ der Gerichtshof sein Urteil, wie folgt:

»Der Gerichtshof erklärt Robert François Damiens schuldig und überführt des Verbrechens der Majestätsbeleidigung für den schändlichen und verabscheuungswürdigen, an der Person des Königs begangenen Vatermord und verurteilt dafür genannten Damiens, Buße zu tun vor der Hauptpforte der Kirche von Paris, wohin er geführt werden soll in einem Karren, nackt bis auf das Hemde, eine brennende Wachskerze von zwei Pfund Schwere in der Hand; und dort soll er auf den Knien sagen und erklären, daß er schändlicher- und verräterischerweise den besagten schändlichen und verabscheuungswürdigen Vatermord begangen und den König durch einen Messerstich in die rechte Seite verwundet hat, was er bereut und wofür er Gott, den König und die Gerechtigkeit um Verzeihung bittet; wenn dies geschehen, soll er in besagtem Karren auf den Grèveplatz geführt und auf einem Schafott, das dort aufgerichtet sein wird, an Brust, Armen, Schenkeln und Waden mit glühenden Zangen gerissen werden; seine rechte Hand, das Messer, mit dem er den besagten Mord begangen hat, haltend, soll an Schwefelfeuer verbrannt werden; und in die Stellen, an denen er mit Zangen gerissen, soll geschmolzenes Blei, siedendes Öl und brennendes Pechharz, Wachs und geschmolzener Schwefel zusammen gegossen und darauf sein Körper von vier Pferden auseinandergerissen, Glieder und Rumpf dem Feuer übergeben, zu Asche verbrannt und letztere in alle Winde geworfen werden. Wir erklären seine Güter, bewegliche und unbewegliche, wo sie auch seien, zu Nutzen des Königs konfisziert. Befehlen, daß vor besagter Hinrichtung besagter Damiens auf die gewöhnliche und außergewöhnliche Folter gebracht werde, damit er seine Mitschuldigen bekenne. Befehlen, daß das Haus, in dem er geboren, niedergerissen werde, ohne daß jemals in Zukunft auf demselben Grunde ein anderes Gebäude errichtet werden dürfe. Erklären wohl und gültig als in contumaciam verurteilt einen gewissen Unbekannten, fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt, fünf Fuß und etwas darüber hoch, die Haare in einem Beutel tragend, bekleidet mit einem braunen, ziemlich abgenutzten Rocke und einem flachen Hute auf dem Kopfe.

So geschehen im Parlament vor versammelter großer Kammer, am 26. März 1757.

Richard.«

Dieses Urteil, das so genau die Einzelheiten der Hinrichtung bestimmte, deren Erwähnung allein schon hinreicht, den Leser mit unwiderstehlichem Schreck zu erfüllen, hatte nicht entschieden, welcher Art die bei Damiens anzuwendende Tortur sein sollte. Schwere Erwägungen wurden nun bei dem Generalprokurator über die Wahl dieser Vorqualen gehalten, und als das Schreckliche in das Publikum gelangte, kamen einfache Privatleute der Einbildungskraft der Obrigkeit zu Hilfe und unterbreiteten ihr verschiedene Torturvorschläge, die mehr ihrem erfinderischen Geiste als ihrem Gefühle Ehre machten. Einer wünschte, daß man kleine Kügelchen von trockenem und geschwefeltem Hanf unter die Nägel des Delinquenten bringe und dann anzünde, ein anderer verlangte, daß man ihm an einzelnen Teilen die Haut abziehe und eine fressende Flüssigkeit auf die nackt gelegten Muskeln gieße, bis er sich zu sprechen entschließe, ein dritter wollte, daß man ihm die Zähne ausziehe. Wenn man die Schriften liest, die über diesen Gegenstand zu Paris und mitten im achtzehnten Jahrhundert geschrieben wurden, so staunt man, darunter nicht die Namen einiger Rothäute zu finden.

Die Gerichtsärzte examinierten diese verschiedenen Vorschläge; sie entschieden, daß die spanischen Stiefel immer noch die energischste und das Leben des Gefangenen am wenigsten bedrohende Tortur seien.

Die Hinrichtung

Der spanische Stiefel; Zange, Schwefel und Rad.

Charles Jean Baptiste Sanson war in seinen letzten Jahren durch eine Lähmung an das Bett gefesselt. Charles Henri Sanson, sein ältester Sohn und bestimmter Nachfolger, war erst siebzehn Jahre alt. Seit zwei Jahren versah er das Amt seines Vaters, aber er hatte nicht offiziell den Titel eines Scharfrichters, und man konnte nicht daran denken, ihm eine Art von Hinrichtung aufzutragen, wie man sie nur noch aus der Tradition kannte. Der Generalprokurator befahl daher, daß der Torturmeister des Parlaments und Scharfrichter ad interim, Charles Henri Sanson, und seine Gehilfen sich zur Disposition Gabriel Sansons zu stellen hätten.

Das Schafott wurde in der Nacht des 27. März aufgerichtet.

Am Montag, dem 28., um sieben Uhr morgens begaben sich Gabriel Sanson, sein Neffe Charles Henri Sanson und seine Gehilfen nach dem Grèveplatze, um sich zu überzeugen, daß alle Vorbereitungen den Befehlen des Gerichtshofes zufolge getroffen seien. Das Schafott stand auf dem Platze inmitten eines Raumes von hundert Quadratfuß, der mit starken Palisaden umgeben worden war. Diese Umzäunung hatte nur zwei Eingänge, einen, durch welchen der Delinquent, der Scharfrichter und die bewaffnete Macht eintreten sollte, den anderen, der durch eine Art von Palisaden gebildeten Laufgraben mit dem großen Tor des Stadthauses zusammenhing.

Von da begaben sie sich nach der Conciergerie, wo sie den Torturmeister, der sie erwartete, fanden.

Damiens wurde aus seinem Kerker geholt und in einen Saal im Erdgeschoß des Gefängnisses geführt; Häscher trugen ihn in einer Art Sack von gegerbtem Leder, der ihn bis zum Hals einhüllte und nur den Kopf sehen ließ.

Man nahm ihm diese Hülle ab, und nachdem der Greffier ihm befohlen hatte, niederzuknien, las er ihm das Urteil vor.

Damiens hörte mit seltener Aufmerksamkeit alles, was auf seine Hinrichtung Bezug hatte, mit an, und als der Greffier an die Stelle kam, die seinen vermeintlichen, in contumaciam verurteilten Mitschuldigen betraf, betrachtete er die Umstehenden mit augenscheinlicher Neugierde.

Sein Gesicht war gelb wie Wachs, und das Tageslicht schien seine Augen zu schmerzen, denn diese öffneten und schlossen sich in krampfhafter Bewegung, aber die Pupillen hatten nicht ihren Glanz verloren.

Als der Greffier seine Vorlesung beendet hatte, gab Damiens den Häschern ein Zeichen, daß sie ihm helfen möchten, sich zu erheben, denn er schien noch an seinen Beinwunden zu leiden; er murmelte mehreremal:

»Mein Gott! mein Gott! mein Gott!«

Gabriel Sanson näherte sich ihm und legte die Hand auf seine Schulter. Damiens zitterte bei dieser Berührung und betrachtete ihn verwirrten Blickes; aber in diesem Augenblicke führte der Polizeileutnant den Pfarrer von Saint-Paul ein, und die Physiognomie des Königsmörders nahm, sobald er den Geistlichen erblickte, eine ruhige und lächelnde Miene an.

Der Pfarrer ging auf ihn zu, und Damiens versuchte seine Hände, welche die Häscher eben zu binden im Begriff waren, frei zu machen, um die seines Beichtvaters zu ergreifen.

Nachdem dieser die Umstehenden gebeten hatte, zurückzutreten, blieben beide allein mitten im Saal stehen. Der Priester sprach mit leiser Stimme zu ihm.

Damiens schien mit viel Andacht zu beten, denn er schlug oft die Augen zum Himmel auf.

Der Geistliche konnte der Tortur nicht beiwohnen; er sagte also Damiens, daß er ihn, für ihn betend, in der Kapelle der Conciergerie erwarten werde.

Der Koch, der Damiens bedient hatte, näherte sich ihm und bot ihm Lebensmittel an; Damiens zögerte einen Augenblick, betrachtete mit Aufmerksamkeit, was auf dem Präsentierbrette stand, und sagte dann, den Kopf schüttelnd:

»Wozu das? Gebt es den armen Leuten, dann ist es wenigstens zu etwas gut.«

Als man ihm bemerklich machte, daß er an diesem schrecklichen Tage aller seiner Kräfte bedürfen werde, erwiderte er in einem Tone, der sich schlecht mit seinem Worten vertrug:

»Meine Stärke ist in Gott! Meine Stärke ist in Gott!«

Man überredete ihn indessen, ein wenig Wein zu trinken. Der Koch füllte einen Becher, kostete und reichte ihn Damiens, der ihn an seine Lippen brachte, aber nicht mehr als einen Schluck davon zu trinken vermochte.

Die Memoiren behaupten, er habe gerufen, dieser Wein sei bitter. Ihren verleumderischen Absichten getreu, geben sie zu verstehen, der Gerichtshof habe diesem Weine einen Zusatz gegeben, der große Unruhe hervorrufen sollte, um sich an Damiens für seine Festigkeit zu rächen.

Nichts ist falscher.

Bei Damiens trat der Zufall ein, den ich selbst im ersten Teile meiner unseligen Laufbahn bei den entschlossensten Verurteilten bemerkt habe: eine Angst, der sich wenige entziehen können, wie ein Zusammenziehen der Halsmuskeln; das Schlucken wird fast ganz unmöglich, und der Delinquent macht vergebliche Anstrengungen, selbst den Speichel hinabzuschlucken.

Man legte Damiens wieder in seine Hängematte und trug ihn in die Torturkammer, wo sich schon die Kommissarien, die Herren Präsidenten Maupeou und Molé sowie die Räte Severt, Pasquier, Rolland und Lambelin befanden.

Er leistete den gewöhnlichen Schwur, die Wahrheit sagen zu wollen, und mußte ein letztes Verhör bestehen. Dieses dauerte anderthalb Stunden. Er antwortete mit ziemlicher Ruhe auf die Fragen, die Herr Pasquier an ihn richtete, aber in der Zeit, die hin und wieder zwischen zwei Fragen verging, legte er Zeichen einer außerordentlichen Bewegung an den Tag. Er bewegte sich unruhig auf seiner Bank, seine Augen rollten unstät in ihren Höhlen, und er versuchte fortwährend sich nach der Seite hinzuwenden, wohin sich die Scharfrichter und ihre Gehilfen zurückgezogen hatten.

Endlich erhoben sich die Kommissarien und kündigten ihm an, daß er der peinlichen Frage unterworfen werden würde, da er nichts gestanden habe.

Die Henker umringten ihn, und der Torturmeister des Parlaments legte ihm die spanischen Stiefel an, deren Schnüre er mit mehr Kraft, als man gewöhnlich dazu gebrauchte, anzog.

Der Schmerz mußte entsetzlich sein, denn Damiens stieß ein furchtbares Geschrei aus; sein Gesicht wurde bleich, sein Kopf sank hinten über und er schien ohnmächtig werden zu wollen.

Die Ärzte traten heran, fühlten ihm den Puls und erklärten, daß diese Anwandlung von Schwäche nicht ernster Natur sei. Einer von ihnen, Herr Boyer, riet, mit dem Eintreiben der Keile zu warten, um der Erstarrung der Glieder, welche die Einschnürung hervorgerufen hatte, Zeit zu lassen, vorüberzugehen.

Damiens öffnete die Augen wieder und verlangte zu trinken; man brachte ihm ein Glas Wasser, aber er verlangte Wein, da, wie er mit keuchender und zitternder Stimme sagte, seine Kraft zu schwinden drohe.

Charles Henri Sanson half ihm, das Glas an die Lippen zu bringen; als er getrunken hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus, schloß die Augen wieder und murmelte einige Gebete. Der Greffier, die beiden Huissiers, die Henker und ihre Knechte umgaben ihn; zwei der Richter hatten ihre Sessel verlassen und gingen im Zimmer umher. Der Präsident Molé war sehr blaß, und man sah die Feder zittern, die er in der Hand hielt.

Nach Verlauf einer halben Stunde wurde die Tortur fortgesetzt.

Der Torturmeister Fremy schlug den ersten Keil ein.

Das Geschrei Damiens' begann von neuem; es war so laut und anhaltend, daß der erste Präsident nicht dazu kommen konnte, die gebräuchlichen Fragen an ihn zu richten. Endlich klagte er unter Geheul, Flehen und Gebeten, die wild durcheinander aus seinem Munde kamen, einen gewissen Gautier, den Kommissionär eines Parlamentsrates, und Herrn Lemaitre de Ferrière an, ihn zu dem begangenen Verbrechen verleitet zu haben.

Es wurde sogleich der Befehl erteilt, sowohl Gautier als Herrn Lemaitre de Ferrière zu arretieren und vor die Richter zu führen.

Beim zweiten und dritten Keile waren seine Leiden und sein Geheul dieselben; er sprach noch fortwährend von Gautier. Beim vierten Keil bat er um Gnade und wiederholte:

»Meine Herren Meine Herren! Meine Herren!«

Gautier und Herr Lemaitre waren erschienen; sie wurden mit Damiens konfrontiert, der nicht allein nicht anzugeben wußte, wo er den, den er beschuldigte, gesehen habe, sondern auch fast zugleich die ihm von der Tortur entrissenen Geständnisse zurückzog.

Die Tortur wurde wieder aufgenommen, und man gab ihm den ersten Keil der außerordentlichen Frage.

Hier folgt wörtlich das Protokoll:

Er wird befragt. – Er sagt, er habe geglaubt, ein für den Himmel verdienstliches Werk zu tun.

Beim sechsten Keil: Lautes Jammern. – Er sagt, er sei sehr unglücklich gewesen, sich nicht selbst getötet zu haben, wie es in seiner Absicht lag.– Er bedauert, daß die ehrlichen Leute nach seinem Diebstahl nichts mehr mit ihm hätten zu tun haben wollen. – Er beklagt das Los seiner Frau und Tochter und sagt, daß Gott ihn für seinen Stolz strafe. – Er klagt eine Zauberin an, ihn bezaubert zu haben.

Beim siebenten Keil: Er sagt, daß er Abscheu vor seinem Verbrechen empfinde, und bittet Gott und den König deshalb um Verzeihung. Er bittet die Richter, bei dem Könige zu befürworten, daß er sogleich sterben dürfe. Er spricht noch von Zauberern und sagt, Satan habe die Gestalt einer alten Frau angenommen, um ihn zu verderben.

Nach dem achten Keile, der der letzte der außergewöhnlichen Frage war, erklärten die Ärzte, daß er nicht mehr aushalten könne. Die Tortur hatte zwei und eine viertel Stunde gedauert.

Die Richter erhoben sich mit einer Eile, die anzeigte, daß auch ihre Kräfte zu Ende seien. Sie gaben Gabriel Sanson ein Zeichen, und der Torturmeister nahm die spanischen Stiefel ab. Damiens versuchte seine zerbrochenen und zuckenden Beine aufzuheben. Als er es nicht vermochte, beugte er sich vornüber und betrachtete sie eine Weile mit einer Art schmerzlicher Rührung.

Schon war eine tiefe Bestürzung auf allen Gesichtern zu lesen, und doch waren Damiens, die Männer Gottes, die den Auftrag hatten, seine Seele zu retten, und die Scharfrichter, die ihm noch schrecklichere Qualen als die bereits erlittenen verursachen sollten, noch nicht bis zur Hälfte ihrer Aufgabe gekommen.

Damiens war drei Stunden lang in der Kapelle geblieben; er hatte fortwährend mit einer Andacht und Zerknirschung gebetet, die alle Zeugen rührte.

Als die Uhr vom Schlosse vier schlug, näherte sich Gabriel Sanson den Herren Guéret und von Marcilly, um ihnen anzuzeigen, daß die Stunde zum Aufbruche gekommen sei.

Obgleich er mit leiser Stimme gesprochen, hatte ihn Damiens doch verstanden, denn er murmelte mit fieberisch erregter Stimme:

»Ja, es wird bald Nacht werden.«

Und nach einer Pause setzte er hinzu:

»Ach, für Sie wird es morgen wieder Tag werden.«

Man legte ihn wieder auf den Karren, der Pfarrer von Saint-Paul setzte sich neben ihn, Herr von Marcilly ging zu Fuß hinter dem Wagen und mitten unter den Soldaten. Die Eskorte war zahlreich. Die Polizeiwache und starke Abteilungen der Maréchaussée umgaben den Karren; an jeder Straßenecke standen Piketts von französischen Garden.

Vor der Halle von Notre-Dame wollte man Damiens zwingen, niederzuknien, um Buße zu tun, aber seine halb zerbrochenen Beine verursachten ihm solche Schmerzen, daß, als er sich, um dem Befehle zu gehorchen, niederbeugte, er mit dem Gesichte auf die Erde fiel und einen so durchdringenden Schrei ausstieß, daß derselbe ungeachtet des Tumultes der Menge auf der anderen Seite des Vorhofes der Kirche deutlich gehört werden konnte. Er sprach die Worte, welche ihm der Greffier vorsagte, stehend und von zwei Häschern gehalten.

Als er wieder auf den Karren gesetzt worden war, weinte er; diese Tränen waren die ersten, die man ihn vergießen sah.

Eine Stunde später kam man am Fuße des Schafotts an. Niemals hatte eine solche Menschenmenge den Grèveplatz bedeckt; auf dem ganzen Platze gab es kein Fenster, das nicht dicht mit Neugierigen besetzt gewesen wäre. An den Kostümen einiger unter ihnen erkannte man, daß sie zu den höchsten Klassen der Gesellschaft gehörten. Hier und da sah man sogar einige reiche Frauentoiletten; ich kann aber nicht glauben, daß in einem Jahrhundert, welches sich der Philosophie und Menschlichkeit rühmte, wirklich vornehme Damen den Gedanken gehabt hätten, sich eines Schauspiels zu freuen, das schon im voraus die Henker erzittern ließ.

Wie schon gesagt, blieb Damiens mehrere Minuten lang auf den Stufen des Schafotts sitzen; er hatte seine Festigkeit wiedergewonnen und betrachtete das Publikum mit sicheren Blicken. Er verlangte mit den Kommissarien zu sprechen, und man brachte ihn nach dem Stadthause. Er wandte sich an Herrn Pasquier und bat ihn, sich seiner Frau und Tochter, die nie etwas von seinen Plänen gewußt hätten, anzunehmen. Er widerrief noch einmal die Beschuldigung, die er auf Gautier geworfen hatte, und schwur beim Heile seiner Seele, daß er den Plan zu seinem Verbrechen allein entworfen und ausgeführt habe.

Um fünf Uhr wurde er wieder auf den Platz und das Schafott gebracht.

Die Pfanne, in welcher der Schwefel, mit glühenden Kohlen gemischt, brannte, erfüllte die Luft mit scharfem Geruche. Damiens hustete mehrere Male, dann betrachtete er, während die Knechte des Scharfrichters ihn auf die Plattform banden, seine rechte Hand mit demselben Ausdrucke von Traurigkeit, der sich auf seinem Gesichte kundgegeben hatte, als er seine Beine nach der Tortur ansah. Er murmelte einige Bruchstücke von Gebeten und sagte zweimal:

»Was habe ich denn getan? Was habe ich denn getan?«

Der Arm wurde auf einen Block derartig festgelegt, daß das Handgelenk über die letzte Planke der Plattform hinausreichte. Gabriel Sanson näherte sich mit der Kohlenpfanne. Als Damiens die bläuliche Flamme sein Fleisch erreichen fühlte, stieß er einen schrecklichen Schrei aus und biß in seine Banden. Als der erste Schmerz vorüber war, erhob er den Kopf wieder und sah zu, wie seine Hand abbrannte, ohne seinen Schmerz auf eine andere Weise als durch das Knirschen seiner Zähne kundzugeben.

Dieser erste Teil der Strafvollstreckung dauerte drei Minuten.

Charles Henri Sanson sah die Pfanne in den Händen seines Onkels wanken. Aus dem Schweiße, der sein Gesicht bedeckte, aus seiner Blässe, die fast ebenso groß war wie die des Delinquenten, und aus dem Schauder, der seine Glieder schüttelte, entnahm er, daß es ihm unmöglich sein würde, das Zangenreißen vorzunehmen; er bot deshalb einem der Knechte hundert Livres an, wenn er dies traurige Geschäft übernehmen wollte.

Dieser Mann, welcher darauf einging, hieß André Legris.

Er ließ sein schreckliches Instrument über Arme, Brust und Schenkel des Delinquenten gleiten; jedesmal riß dieses fürchterliche Feuereisen ein Stück zuckenden Fleisches heraus, und Legris goß dann in die klaffende Wunde bald kochendes Öl, bald brennendes Harz, bald glühenden Schwefel oder geschmolzenes Blei, das ihm die anderen Knechte reichten.

Man sah nun etwas, was die Sprache zu beschreiben unfähig ist, was der menschliche Geist kaum zu fassen vermag, etwas Höllisches, das ich nur die Trunkenheit des Schmerzes nennen kann.

Damiens, dessen Augen unverhältnismäßig weit aus ihren Höhlen getreten waren, dessen Haare sich sträubten und dessen Lippen sich fest ineinander gebissen hatten, verspottete die Henker, verachtete ihre Torturen und verlangte nach neuen Leiden. Als sein Fleisch unter den glühenden Flüssigkeiten aufzischte, mischte sich seine Stimme in diesen häßlichen Ton, und diese Stimme, die nichts Menschliches mehr hatte, brüllte:

»Noch mehr! Noch mehr!«

Und doch waren dies nur die Vorläufer der Hinrichtung.

Man hob Damiens von der Plattform und legte ihn auf ein Zimmerwerk, das drei Fuß Höhe hatte und ein Andreaskreuz bildete, dann befestigte man die Ziehstränge eines Pferdes an jedes seiner Glieder.

Während dieser Vorbereitungen hielt der Unglückliche seine Augen hartnäckig geschlossen. Der ehrwürdige Pfarrer von Saint-Paul, der ihn nicht verlassen hatte, sprach zu ihm; er gab ihm ein Zeichen, daß er ihn höre, aber er öffnete nicht die Augen. Man hätte sagen können, er wolle nicht, daß sein Blick, der bald Gott schauen sollte, auf die Barbaren fiele, die seinen elenden Körper so entsetzlich quälten. Von Zeit zu Zeit schrie er:

»Jesus! Maria! Zu mir! Zu mir!«

Als hätte er sie bitten wollen, ihn schnell seinen Henkern zu entreißen.

Je ein Knecht hatte den Zügel eines Pferdes ergriffen, ein anderer stand hinter jedem der vier Tiere mit der Peitsche in der Hand. Charles Henri Sanson stand auf dem Schafott, so daß er alle seine Leute überblicken konnte.

Auf sein Signal setzte sich dieses schreckliche Viergespann in Bewegung.

Die Anstrengung war eine ungeheure, denn eines der Pferde stürzte auf das Pflaster nieder, aber die Muskeln und Nerven der menschlichen Maschine hatten dieser furchtbaren Erschütterung widerstanden.

Dreimal zogen die Pferde, durch Geschrei und Peitsche angetrieben, mit aller Kraft an, und dreimal riß sie der Widerstand zurück.

Man bemerkte nur, daß die Arme und Beine des Delinquenten sich unverhältnismäßig verlängerten, aber er lebte immer noch, und man hörte seine Atemzüge, röchelnd wie den Blasebalg einer Schmiede.

Die Scharfrichter waren bestürzt; der Pfarrer von Saint-Paul, Herr Guéret, wurde ohnmächtig, der Greffier verbarg sein Gesicht in seinem Gewande, und in der Volksmenge vernahm man ein dumpfes Murmeln, wie den Vorläufer eines Sturmes.

Als darauf Herr Boyer, der Wundarzt, nach dem Stadthause hin geeilt war und den Richtern angekündigt hatte, daß die Zerreißung nicht würde stattfinden können, wenn man den Anstrengungen der Pferde nicht durch Zerschneiden der großen Nerven zu Hilfe käme, erfolgte die Genehmigung dazu.

Man hatte kein Messer zur Stelle; André Legris hieb mit der Axt in die Verbindungen der Arme und Schenkel des Unglücklichen.

Fast in demselben Augenblick wurden die Pferde wieder angetrieben; ein Schenkel löste sich zuerst, dann der andere, dann ein Arm.

Damiens atmete noch immer.

Endlich, als die Pferde noch an dem einzigen gebliebenen Gliede rissen, öffneten sich seine Augenlider und seine Augen kehrten sich gen Himmel; der unförmliche Rumpf war zum Sterben gelangt.

Als die Knechte des Scharfrichters diese traurigen Überreste von dem Sankt-Andreaskreuze losbanden, um sie auf den Scheiterhaufen zu werfen, bemerkte man, daß die Haare des Delinquenten, die, als er auf dem Grèveplatze anlangte, noch braun gewesen, jetzt weiß wie Schnee geworden waren.

Dies war die Hinrichtung Damiens'.

Wer sich am meisten über diese greulichen Vorgänge betrübte, war König Ludwig XV. Als man ihm erzählte, was auf dem Grèveplatze vorgegangen sei, stieß er Rufe des Schmerzes aus, floh in seine innersten Gemächer und warf sich auf sein Bett, um wie ein Kind zu weinen. Der Anteil, den die Herren Machault und d'Argenson an der Leitung dieser gräßlichen Prozedur gehabt hatten, war nicht wenig an der Ungnade schuld, in welche die beiden Minister später fielen.


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