Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Erster Band
Eduard Trautner

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Vor der Revolution

Der Marquis de Favras

Die Nationalversammlung; die Truppen auf dem Marsfeld; Augeau, de Besenval; der Hof.

In der Geschichte von Jean Louis Louschart hat mich die Natur meiner Erzählung selbst veranlaßt, einen kleinen Überblick über die Stimmung des Volksgeistes und seiner nachmaligen Bestrebungen zu geben. Zwar sind eben diese ersten Regungen schon die sicheren Vorboten der Revolution, aber noch konnte ich sie ohne große Abschweifungen meinem Buche einverleiben. Etwas anderes ist es mit den furchtbaren Ereignissen einer zum Bewußtsein erwachten Nation, der Revolution selbst. Soweit diese nicht irgendwie auf den Gegenstand meiner Schilderung bezug hat, nämlich die Memoiren meiner Ahnen, gestatte man mir, sie mit Stillschweigen übergehen zu dürfen. Übrigens sind sie auch bereits so allgemein bekannt, daß ich den Hauptsachen nach immer nur alte Dinge berichten könnte.

Charles Henri Sanson hatte mit der ganzen klaren Umsicht und Fülle der Überlegung, die man in der Einsamkeit und Zurückgezogenheit erlangt, alle Fortschritte der Revolution beobachtet und verfolgt; die Kämpfe des Königtums gegen das Parlament, die Einführung der Zivilehe, die Notablenversammlungen, alle diese neuen, nichts weniger als monarchischen Erscheinungen hatten ihm klar das Drohende der ganzen Sachlage enthüllt. Die Vereinigung der drei Stände in der Nationalversammlung ließ ihm keinen Zweifel mehr, daß der Staat an einem Punkte angelangt war, wo er mehr oder minder gewaltsam andere Formen annehmen mußte.

Ich würde einen ungeheuren Fehler begehen, ja in den Memoiren meines Großvaters Lücken lassen, wenn ich nicht sagen wollte, daß auch er sich mit Begeisterung den Ansichten seiner Zeit anschloß. Aber ich muß hinzufügen, daß Charles Henri Sanson ungeachtet seiner Bewunderung für die Grundsätze des Jahres 1789, in denen er eine frohe politische Botschaft für die Zukunft erblickte, ungeachtet seiner Ergebenheit der neuen Ordnung der Dinge gegenüber, welche er mit aufrichtiger Sehnsucht herbeiwünschte, nimmer aufhörte, der Monarchie und der Person des Königs treu ergeben zu sein.

Charles Henri Sanson gehörte so recht eigentlich zu der sehr zahlreichen Partei, welche damals alle ihre Wünsche und Hoffnungen auf die Errichtung eines konstitutionellen Königtums setzte und sich nur zu ihrem und Frankreichs Unglück durch Schwärmer, ganz gesetzlose Hitzköpfe oder Bösgesinnte von ihrer ursprünglichen Ansicht abbringen ließ.

Gegen Ende des Jahres 1789, das an Ereignissen so reich war, kam auch die Frage betreffs einer Umgestaltung und Erneuerung der französischen Gesetzgebung in der großen Nationalversammlung auf. Wenn seither nichts diese Vereinigung der bedeutendsten Köpfe Frankreichs ausgezeichnet hätte, so würde sie schon die Beantwortung der bezeichneten Frage, welche ein Muster in ihrer Art ist, mit Ruhm bedecken.

Etwa im Monat Oktober hatte der Doktor Guillotin, Deputierter des dritten Standes in Paris, einen Antrag gestellt, demzufolge die Todesstrafe gleichmäßig ohne Standesunterschied über jedermann verhängt werden sollte. In besagtem Antrage war die Enthauptung als die sicherste, schnellste und am wenigsten schmerzhafte Weise, jemanden vom Leben zum Tode zu bringen, betrachtet worden.

 

In diesem Zeitraum schwebten drei große Prozesse bei dem Châtelet, welches den Rang eines obersten Gerichtshofes erlangt hatte; alle drei Prozesse erregten in gleicher Weise die heftigsten Volksleidenschaften. Der erste richtete sich gegen den Generalpächter Augeard, der angeklagt war, dem Könige Gelder verschafft zu haben, mit denen er die auf dem Marsfelde zusammengezogenen Truppen besolden konnte.

Der zweite Prozeß war gegen den Baron de Besenval, Generaloberst der Schweizergarde, der im vorigen Monat Juli auf dem Marsfelde kommandiert hatte, anhängig gemacht, und endlich der dritte gegen den Marquis de Favras, den man beschuldigte, zur Nachtzeit Truppen nach Paris einführen gewollt zu haben, um die Hauptbeamten der ersten Verwaltungszweige zu stürzen, die Nationalversammlung aufzuheben und den König und die königliche Familie nach Peronne zu führen. Die Herren Augeard und de Besenval waren bestochen worden; dies hatte den Unwillen des Volkes aufs höchste erregt, und täglich erscheinende Schmähschriften und Flugblätter vermehrten noch die Erbitterung. Die Lage des Marquis de Favras wurde durch diese Vorgänge sehr gefährlich.

Zu dieser Zeit gab es nicht einen königlichen Beamten der Monarchie, der, was die Rettung des Königs anbetraf, nicht auch einen solchen Plan gehabt hätte. Aber der unternehmende Charakter des Marquis de Favras konnte sich nicht bloß mit einer unnützen königlichen Flucht zufriedengeben; er beschäftigte sich mit mehr Eifer als Umsicht damit, die Mittel und Wege zu finden, sein Vorhaben in Ausführung bringen zu können. Der Marquis de Favras trug sich zuerst mit dem Gedanken, ein Heer von dreißigtausend königlich Gesinnten zu vereinigen, deren Zusammenziehung und Bewaffnung so heimlich als möglich geschehen sollte, daß niemand etwas vor dem Augenblicke der Tat gewahr würde.

Drei Werber, namens Morel, Turcati und Marquies, verrieten ihn, und in der Nacht vom 25. Dezember ließ das zur Untersuchung des Staatsverbrechens von der Nationalversammlung eingesetzte Komitee den Marquis und seine Gemahlin an der Place Royale verhaften.

Etwa seit dem 8. Januar 1790 versammelten sich dann täglich beträchtliche Volksmengen, vor dem Châtelet die das Haupt des Angeklagten forderten.

Am 18. Februar erschien er vor seinen Richtern.

Im Augenblicke, wo man ihn ins Verhör führte, wurden einige Ausrufungen laut, welche die dem Gerichtshofe wie dem Angeklagten schuldige Achtung nicht hatte unterdrücken können. Sie und das Schweigen der Zuhörerschaft, sowie die stumme und düstere Haltung der obrigkeitlichen Personen mußten Herrn Marquis de Favras die Überzeugung bringen, daß er schon von vornherein verurteilt worden war. Diese Überzeugung störte aber weder seine Ruhe noch seine Geistesgegenwart. Er antwortete mit vielem Gleichmut und überaus großer Artigkeit auf alle Fragen, die an ihn gestellt wurden.

»Ich glaubte,« sprach er, »durch das Châtelet von Paris gerichtet zu werden, aber ich habe mich betrogen, ich werde binnen kurzem durch eine spanische Inquisition verurteilt sein.«

Der Marquis de Favras sah klar ein, daß er das arme Opfer sein sollte, welches die Herren vom Châtelet in ihrem sehnlichen Bestreben, die verlorene Gunst des Volkes wiederzuerlangen, dem allgemeinen Wunsche darbringen würden. Überall herrschte Entrüstung über die kurz vorher dagewesenen Bestechungsfälle, und das Châtelet hatte sich bei ihnen nachsichtig bewiesen. Deswegen galt es, die getäuschte Erwartung der Masse zu sühnen.

Herr de Favras ahnte übrigens auch, daß der König und seine Partei sich nur zu wohl hüten würden, zu seinen Gunsten einen gefährlichen und doch vielleicht nutzlosen Schritt zu tun, und somit ergab er sich in sein Schicksal mit heldenmütiger Festigkeit.

Am 29. Februar sprach das Châtelet sein »Schuldig« aus.

Der Marquis de Favras wurde verurteilt, aufgehangen zu werden, nachdem er an der Hauptpforte der Kirche Notre-Dame öffentliche Ehrenbuße getan.

Sein Gesicht zeigte nicht die geringste Bewegung, selbst nicht, als der Berichterstatter ihm nach Vorlesung des Urteils sagte:

»Mein Herr, es bleibt Ihnen nun kein anderer Trost mehr übrig als der, den Sie in der Religion finden.«

Herr de Favras antwortete mit der größten Ruhe:

»Verzeihen Sie, mein Herr, es bleibt mir auch noch der, den mir mein gutes Gewissen geben wird.«

In demselben Augenblicke, wo die Vorlesung des Urteils begann, gab man dem Henker den Befehl, auf dem ???Grèveplatz einen Galgen zu errichten.

Er ging aus dem Gerichtssaal hinweg und sofort an die Arbeit, und niemand wußte von dem Schrecklichen, das soeben im Châtelet geschehen.

Die gräßliche Eile bei den Vorbereitungen war so groß, daß mein Großvater erst in dem Augenblick, wo er mit dem Verurteilten den Karren besteigen wollte, bemerkte, daß er vergessen hatte, den Vorschriften des Urteils nachzukommen und Herrn de Favras zu entkleiden.

»Mein Herr,« sagte er zu ihm, »ich muß Sie Ihrer Kleider entledigen.«

Herr de Favras antwortete nicht, aber als man ihm die Hände losgebunden hatte, unterstützte er die ihn entkleidenden Henkersknechte und stand bald barhäuptig und mit nackten Füßen nur im Hemde da.

Alsdann brach in dem ungeheuer zahlreichen Volkshaufen, der mit erschrecklicher Gier allen Vorbereitungen gefolgt war, ein furchtbares Geschrei aus.

»Den Strick um den Hals! ... Den Strick um den Hals!« rief man.

Der Verurteilte wurde angewiesen, Charles Henri Sanson zu gehorchen, und er tat es. Bei der Berührung der Hanfschnur, die ihm das Leben nehmen sollte, zitterte er nicht.

Nachdem man dem Verurteilten eine gelbe Wachskerze in die Hand gegeben hatte, setzte sich der Zug in Bewegung.

Das Zuströmen des Volkes war so ungeheuer, daß auf der Notre-Dame-Brücke die bewaffnete Macht, welche den Henkerkarren begleitete, geraume Zeit brauchte, um ihm einen Weg zu bahnen.

Während der Haltezeit wurde das Geschrei der erregten Masse zu einem wahren Sturmgebrüll; der Verurteilte hörte es mit einer Teilnahmlosigkeit, die nicht erheuchelt war, und ohne Verachtung oder Zorn zu zeigen.

Auf dem Vorplatz der Kirche mußte der Delinquent vom Karren herabsteigen, niederknien und, nachdem ihm noch einmal das Urteil vorgelesen worden, die Bußformel aussprechen. Herr de Favras nahm das Papier aus den Händen des Greffiers, las es mit einer lauten, wohltönenden Stimme vor und fügte folgendes hinzu:

»Bereit, vor Gott zu erscheinen, verzeihe ich allen meinen Anklägern; ich sterbe unschuldig. Das Volk verlangt meinen Tod unter wildem Geschrei. Wenn es eines Opfers bedarf, so ist es mir lieber, daß seine Wahl auf mich fällt, statt auf einen vielleicht schwachen Unschuldigen, den die Annäherung eines nicht verdienten Todes zur Verzweiflung bringen müßte. Ich werde mit meinem Tode Verbrechen sühnen, die ich niemals begangen habe!«

Dann kniete er nieder und betete einige Augenblicke still für sich.

Als er wieder aufstand, war sein bis dahin lebhaft gewesenes Gesicht ein wenig bleich. Er wünschte zu trinken, dann stieg er festen Schrittes wieder auf den Karren hinauf, wo seine Haltung fest und würdig blieb.

Als man auf dem Grèveplatz ankam, verlangte er noch einmal nach dem Hotel de Ville zu gehen.

Herr Quatremère, der königliche Rat im Châtelet, empfing die Erklärungen des Marquis de Favras, die man noch lange nachher das Testament des Toten nannte.

Dieses Todesvermächtnis, welches einige Tage nach der Hinrichtung gedruckt wurde, nannte niemand, doch fand sich darin ein Satz, der eine schreckliche Anklage gegen eine Person enthielt, in der die Geschichtschreiber den Grafen von Paris zu erkennen glaubten. Diese Stelle hatte folgenden Wortlaut: »Ich bitte, mein Todestestament dem Hofe zu übergeben und ihm, der mich gerichtet hat, anzuzeigen, daß es der letzte Wunsch seines Opfers ist, ihm Vorsicht anzuraten, wenn er Todesurteile ausspricht und ein Anderer Angeklagter vor ihm steht, der so seltsam wie ich in etwas verwickelt worden ist.«

Nachdem Herr de Favras seine Erklärung diktiert, erbat er und erhielt auch die Erlaubnis, einige Briefe zu schreiben.

Indessen war die Nacht herangerückt; man mußte der schon hereingebrochenen Dunkelheit wegen der Beleuchtung des Grèveplatzes zu Hilfe kommen und illuminierte deshalb das Hotel de Ville mit Windlichtern; wegen der Hinrichtung geschah dasselbe mit dem Galgen, welcher sich aus der ihn umgebenden Nacht wie ein von Feuer bekränztes Schattenbild heraushob.

Nachdem Herr de Favras alles, was er gewünscht, getan, verließ er das Hotel de Ville und begab sich mit gleichmäßigen, festen, militärischen Schritten nach dem Ort, wo der Galgen aufgerichtet war. Der bewunderungswürdige Mut, den er entfaltete, setzte in Erstaunen und rührte alle diejenigen, deren Reihen der Delinquent durchschritt und die von seinem Heldenmute somit Zeuge waren.

Plötzlich hörte man in diesem Augenblick durch die Drohungen und Wutausbrüche viele tausend Stimmen schreien:

»Gnade!«

In dem Moment, wo Herr de Favras sich der Leiter näherte, rief jemand, vielleicht einer von denen, welche noch am Morgen trinklustig die Wirtshäuser der Stadt durchlaufen hatten:

»Vorwärts, rette dich, Marquis!«

Herr de Favras blieb bei dieser letzten Beleidigung unbeweglich und wendete nicht einmal den Kopf herum. Er schritt einige Sprossen hinauf, und als er hoch genug war, um den Haufen übersehen zu können, rief er mit weithin hallender Stimme:

»Bürger, ich sterbe unschuldig, betet für mich!«

Er wiederholte diesen Protest bei jeder der drei Stufen, die ihm zu ersteigen noch übrig blieben.

Bei der letzten wendete er sich zu dem Henkersknecht, der, rittlings auf dem Arm des Galgens sitzend, sich gerade über ihm befand, und sprach: »Und du tue deine Pflicht.«

Er hatte kaum vollendet, als infolge eines lebhaften Stoßes, den er noch schnell seinem Körper gegeben hatte, dieser schon in der Luft schwebte ...

Und dasselbe rohe und entmenschte Volk, das Volk, welches einige Tage zuvor sich versammelt hatte, um zwei Menschen, die ihre Verbrechen mit dem Tode gebüßt, die letzte Ehre zu erweisen, wollte nun die traurigen Überreste des Marquis de Favras der frommen Sorgfalt seiner Familie entreißen. Es bedurfte des Dazwischenkommens der Nationalgarde, um den Leichnam des Gehenkten den Mißhandlungen der furchtbaren Menge, welche Flesselles und de Launay bis in den Tod verfolgt hatten, zu entreißen, und man mußte in aller Eile die sterblichen Überreste von de Favras in der Kirche von Saint-Jean-en-Grève unter die Erde bringen, um sie nur so der rasenden Volkswut aus den Augen zu schaffen.

Der Henker vor der Nationalversammlung

Das Bürgerrecht; Robespierre, Marat.

Es ist nicht ohne Interesse, meine Leser von den Vorgängen in der Sitzung der Nationalversammlung am 23. Dezember 1789 zu unterrichten, in der die Bürgerrechtsansprüche meines Großvaters zum Vortrag kamen, und ihnen die Verteidigungen und Entgegnungen mitzuteilen. Unter den Verteidigern stand der Graf de Clermont-Tonnerre obenan, der nach seiner gewohnten Freimütigkeit und in energischer Kürze den Antrag einbrachte:

»Es gibt anscheinend schädliche Gewerbe, die es jedoch in der Tat nicht sind. Wären sie es, so läge die Schuld an der Gesellschaft, die sie ohne Säumen unterdrücken müßte; sind sie es nicht, so muß das Gesetz mit der Gerechtigkeit, welche die Quelle des Gesetzes ist, gleichen Schritt halten. An der Gerechtigkeit ist es, Mißbräuchen abzuhelfen und nicht den Baum niederzuschlagen, der wieder aufgerichtet oder gepfropft werden soll. Unter den von mir bezeichneten Gewerben gibt es zwei, die ich hier berühren muß; aber in den Augen der Gesetzgeber darf nur Gut und Böse getrennt sein. Ich spreche von den Vollstreckern der Todesurteile und den Schauspielern.

Betreffs des ersten dieser beiden Gewerbe behaupte ich, daß es sich nur darum handelt, das Vorurteil zu beseitigen; dasselbe ist unbestimmt, leichtsinnig und entbehrt aller vernünftigen Gründe. Zumeist hält es sich nur an die Form, und man muß also die Form ändern, um ihre Folgen, ein so verächtliches Vorurteil, zu vernichten. Wenn nach militärischem Gebrauch jemand zum Tode oder irgendeiner anderen Strafe verurteilt worden ist, so wird es niemandem einfallen, die das Urteil vollstreckende Hand für ehrlos zu halten. Alles, was das Gesetz befiehlt, ist gut. Das Gesetz befiehlt den Tod eines Verbrechers: der Henker hat nur dem Gesetz zu gehorchen und weiter tut er nichts. Es wäre blödsinnig, wenn das Gesetz zu dem Manne sagen wollte: Tue dies, und wenn du es tust, wirst du ehrlos sein.«

Abbé Maury kämpfte gegen diese kalte Vernunftsprache mit einer der ihm geläufigen Berufungen auf das Gemüt an:

»Die Ausschließung der Henker von den gewöhnlichen Rechten beruht nicht auf einem Vorurteil! Das Gefühl, welches uns angesichts dessen, der mit kaltem Blute seinen Mitbruder mordet, Schauder und Abscheu empfinden läßt, ist in der Seele jedes Menschen tief begründet. Man sagt, daß das Gesetz die Hinrichtung befiehlt; aber befiehlt auch das Gesetz einem Manne, Henker zu sein? Das Vorurteil gegen diesen Stand beruht auf dem Ehrgefühl, welches in einer Monarchie vor allen Dingen geachtet werden muß.«

Aber schon hatte sich ein andrer Redner erhoben und schritt auf die Rednerbühne zu. Es war ein bleicher Mann, eine vertrocknete, knochige Gestalt. Mit zusammengekniffenen Lippen sprach er in bissigem Tone folgendes:

»Man wird niemals in dieser Versammlung mit Erfolg behaupten können, daß eine notwendige gesetzliche Handlung durch das Gesetz selbst entehrt werden könne. Man muß das Gesetz ändern, und der grundlose Vorwand wird verschwinden.« Dieser Redner war ein unbekannter Deputierter aus Artois namens Maximilian Robespierre. Man beachtete ihn kaum auf den Bänken der Nationalversammlung, und doch, so oft er die Stimme erhob, hatte sein Wort so viel Entschiedenes und Willenskräftiges an sich, daß es wie mit der unerbittlichen Schärfe eines Schwertes die Erörterungen förmlich abzuschneiden schien. Vermutete vielleicht schon zu jener Zeit dieser kleine Rechtsgelehrte, daß er in dieser Sache seine eigene verteidigte und daß er, für den Henker auftretend, für den rechten Arm seiner zukünftigen Politik spräche?

L'ami du peuple (Volksfreund), redigiert von Marat, widmete der Frage folgende Zeilen:

»Obgleich es nicht dem Plane unseres Journals entspricht, so können wir dennoch uns des Vergnügens nicht enthalten, unseren Lesern ein Meisterwerk in bezug auf Empfindung, Geschmack und Gelehrsamkeit vorzuführen: dies ist das Schriftstück des Herrn Maton de la Varenne, eines ebenso schätzenswerten Rechtsgelehrten wie ausgezeichneten Schriftstellers, desselben, welcher mit soviel Wärme, Entschlossenheit und Erfolg gegen die Verleumder von Herrn Sanson gesprochen hat. Das Vorurteil, welches die Scharfrichter für ehrlos erklärt, wird in dieser Denkschrift, die man nicht ohne Rührung lesen kann, vollständig vernichtet, und die Nationalversammlung, an die sie gerichtet ist,, kann eben nur den an sie gestellten Forderungen entsprechen, denn es beruhen dieselben ja auf nicht zu leugnenden Rechten der Menschen, den Geboten der Vernunft und der Philosophie.«

Robespierre sprach mit seiner gewohnten energischen Kürze in der Sitzung am 24. Dezember:

»Ich glaube nicht, daß es eines Gesetzes bedarf; diejenigen, welche nicht ausgeschlossen werden, sind zugelassen.«

Übrigens kam die Zeit immer näher und näher, wo die von meinem Großvater gesuchte Genugtuung ihm zur Genüge wurde.

Bald sollte sein unersättlicher Ehrgeiz durch die amtlichen Beglückwünschungen, die Freudenbezeigungen des Volkes in der grausamsten Weise gesättigt, Charles Henri Sanson selbst eine der wichtigsten Personen im Staate werden.

Die Guillotine

Dr. Guillotin; Schmidt, Ludwig XVI.

Doktor Guillotin hatte mit seltener Beharrlichkeit das einmal von ihm begonnene Unternehmen verfolgt. Nachdem man, wie bekannt ist, in der Sitzung vom 1. Dezember 1789 betreffs seines Antrags vom 28. November, der eine Gleichheit der Todesstrafen für gleiche Verbrechen verlangte, durch ein Dekret zustimmend geantwortet hatte, nahm Doktor Guillotin am folgenden 21. Januar von neuem das Wort, um andere Vorschläge zu unterstützen, die bis dahin vertagt worden waren.

Doktor Guillotin hatte über eine menschliche Bestrafung nachgesonnen, die ein langes Martern verhindere, nicht gerade durch Menschenhand geschehe und nach vollendeter Hinrichtung die traurigen Überreste des Opfers den Augen des Volkshaufens entzöge.

Charles Henri Sanson hatte alle diese Dinge zu nahe und zu oft gesehen, um darüber nicht das beste Urteil fällen zu können. Man zog wohl ganz leicht einen fast entseelten Körper am Galgen hinauf, oder man flocht ihn auf ein Rad, aber es war etwas ganz anderes, ihn auf seinen Knien ganz fest und unbeweglich in dem Augenblick zu erhalten, wo er den tödlichen Streich empfangen sollte. Man mußte sich an Montmorency, Lally-Tollendal und la Barre erinnern, um künftighin solchen erneuten Greuelszenen vorzubeugen. Ließe man den Delinquenten durch Henkersknechte halten, so wäre dies erstens sehr schwierig und hieß ferner auch diese unnütz einer vielleicht gefährlichen Verwundung aussetzen.

Charles Henri Sanson bestand also lebhaft auf der Forderung, daß man ein Mittel finde, den Hinzurichtenden in eine wagerechte Lage zu bringen, welche ihm das Gewicht seines Körpers zu tragen erspare und gleichzeitig die Freiheit seiner Bewegung verhindere.

Glücklicherweise besuchte meinen Großvater seit einiger Zeit ein deutscher Mechaniker namens Schmidt, und mit diesem hatte er bisweilen von seiner und Doktor Guillotins Bedrängnis gesprochen. Dieser Schmidt, damals Klavierfabrikant, war in bezug auf Mechanik sehr erfahren und geschickt, auch wie fast alle seine deutschen Landsleute ein leidenschaftlicher Musiker. Nachdem er die Bekanntschaft meines Großvaters durch einige an ihn verkaufte Instrumente gemacht, hatte er an diesem Gefallen gefunden und kam nun wöchentlich mehrere Male in das Haus des Scharfrichters. Sei es, daß einmal ein Klavier zu stimmen war, oder erschien er aus anderen geschäftlichen Rücksichten, kurz, der Mechanikus Schmidt galt bald in meiner Familie als ein ganz unentbehrlicher Gast und Hausfreund. Die Vorliebe für Musik knüpfte zwischen ihm und Charles Henri Sanson, der auch ein Musikverehrer war und ganz leidlich die Violine und das Violoncell spielte, ein inniges Freundschaftsband; die Aufführung Gluckscher Musikstücke näherte sie einander mehr und mehr.

Schmidt kam bald alle Tage. Während er auf dem Klavier spielte, ließ Charles Henri Sanson seine Violine oder sein Violoncell ertönen.

Eines abends, gerade nach einer Arie aus »Orpheus« und vor einem Duett aus der »Iphigenia in Aulis«, kam man, das heißt mein Großvater, auf den sehr beliebten Instrumentenwechsel, wenn ich dies schreckliche Wortspiel hier anwenden darf; man vertauschte nämlich Klavier und Geige mit der fraglichen Enthauptungsmaschine, deren Gestalt Charles Henri Sanson mit so fieberhafter Hast und Ungeduld Tag und Nacht in Erwägung zog.

»Hören Sie, ich glaube, daß ich eine Maschine nach Ihrem Wunsche erfinden könnte,« antwortete Schmidt, nahm einen Bleistift und entwarf schnell mit einigen Strichen eine Zeichnung:

Dies war die Guillotine!

Die Guillotine war es mit ihrer breiten, scharfschneidenden Stahlklinge, welche zwischen zwei Balken hing und vermöge eines einfachen Seiles leicht bewegt werden konnte. Da lag auch der Delinquent seiner ganzen Leibeslänge nach auf ein Schaukelbrett derartig gebunden, daß, wenn sich das Brett senkte, der Hals gerade auf die Stelle kam, wo das Messer im Fallen ihn treffen mußte.

Die Schwierigkeit war besiegt, das Problem gelöst: Schmidt hatte endlich das Mittel gefunden, den zum Tode Verurteilten in wagerechter Stellung hinzurichten und ihn außerstand zu setzen, durch eine krampfhafte Bewegung den tödlichen Zweck des Streiches zu vereiteln.

Charles Henri Sanson konnte einen Ausruf der Überraschung und Genugtuung nicht zurückhalten.

»Ich wollte mich eigentlich in die ganze Geschichte nicht mischen, und zwar – sehen Sie, weil das den Tod eines Mitmenschen anbetrifft; aber ich habe es endlich satt, Sie ewig und immer so zerstreut zu sehen. So, nun ist die Frage abgetan, und wir können diese kleine Arie aus »Armide« wieder beginnen, welche wir gestern und vorgestern eingeübt haben.«

»Von Herzen gern, mein guter Schmidt,« antwortete mein Großvater, der sofort einsah, daß dem Freunde ein längeres Verweilen bei dem Gespräch über den Nutzen der eben gemachten traurigen Erfindung peinlich sein müßte.

Und Klavier und Violoncell klangen so schön zusammen wie nie vorher.

So wurde also die Guillotine inmitten eines Konzertes erfunden.

Tags nach dieser kostbaren Erfindung benachrichtigte Charles Henri Sanson den Doktor Guillotin davon, dessen Freude alle Grenzen überstieg, als er den vorzüglich aufgefaßten Plan vor sich sah, und man wird es kaum glauben können, wie zärtlich er immer und immer das Blatt Papier mit dem rohen Entwurf an sein Herz drückte. Aber so ist es mit den Menschen, die irgendeiner Idee Herrschaft über sich gegeben haben; zuletzt hören und sehen die unter dem Einfluß des bestimmten Gedankens Stehenden nichts weiter als die Verwirklichung desselben.

In der Sitzung am 30. April 1791 teilte Doktor Guillotin der Nationalversammlung etwas näheres über seine Maschine mit. Begeistert durch die Erfindung und hierdurch fortgerissen, wählte er unglücklicherweise Worte, die, anstatt freudiges Erstaunen hervorzurufen, den Ausbruch einer törichten Heiterkeit zur Folge hatten und den Erfolg seiner Sache entschieden in Frage stellten.

Bei der Behauptung, daß diese menschliche Hinrichtungsweise kein langes Leiden verursache, sagte Doktor Guillotin, daß der Delinquent ganz im Gegenteil eine leichte Frische auf dem Halse verspüren werde. War schon diese Redensart ein wenig gewagt, so mußte es die folgende noch mehr erscheinen. Der gute Doktor fügte nämlich mit der Begeisterung des Schwärmers hinzu: »Mit dieser Maschine will ich in einem Augenblick Ihnen das Haupt von den Schultern herabtanzen lassen, ohne daß Sie nur das geringste verspüren.«

Sämtliche Mitglieder der Nationalversammlung brachen in ein derartiges Gelächter aus, daß man zur Tagesordnung übergehen mußte, um die Gemüter nur einigermaßen zu beruhigen; trotzdem soll diese Sitzung eine der heitersten gewesen sein, welche nur jemals stattgefunden haben.

Obgleich nun auch Doktor Guillotin, wie oben erwähnt, das erstemal mit seiner Maschine soviel Unglück hatte, so war die Nationalversammlung doch immer durch ihre erste Entscheidung gebunden und mußte den ganzen Plan der Beratung unterwerfen. Infolgedessen trat nun ein ziemlich starker Briefwechsel zwischen Guillotin, dem Generalprokurator Herrn Roederer, dem Finanzminister Clavères und meinem Großvater ein.

Die Nationalversammlung beauftragte endlich den Doktor Antoine Louis, sein schriftliches Gutachten über die neuerdings vorgeschlagene Art und Weise der Enthauptung abzugeben.

Doktor Louis war der Leibarzt des Königs, und so erfuhr sein königlicher Gebieter, womit man den gelehrten Mediziner betraut hatte.

Man kennt die Neigung dieses Fürsten für das Schlosserhandwerk und sein Geschick, in Eisen zu arbeiten. Er wollte dem Arzt bei dessen Arbeit Ratschläge erteilen und ließ sich somit über eine Frage genau unterrichten, bei der er, wie er sagte, als Fürst Anteil nähme, weil sie die Kriminalgerichtsbarkeit seines Volkes beträfe.

Beide, sowohl der König wie sein Arzt, waren neugierig, den Entwurf der durch Doktor Guillotin vorgeschlagenen Maschine zu prüfen. So wurde dieser nun durch den Doktor Louis in den Tuilerienpalast beordert, und zwar mit dem heimlichen Bemerken, sich von meinem Großvater begleiten zu lassen, den eine dritte, bei der Beratung gegenwärtige Person um sein doch sehr wesentliches Urteil befragen wollte.

Diese Zusammenkunft fand am 2. März 1792 statt. Der Tuilerienpalast war weiter nichts mehr als das baldige Grab einer ersterbenden Königsherrschaft. Als Charles Henri Sanson mit Doktor Guillotin diese großen Vorzimmer, diese langen, früher von dem Haufen goldstrahlender Höflinge angefüllten und heute fast verlassenen Vorsäle durchwanderte, wo sich nur hier und dort einige bleiche, sorgenvolle Gesichter zeigten, fühlte sich mein Großvater noch schmerzhafter beängstigt als früher zu Versailles, wo der Glanz eines prächtigen Hofes wenigstens die Stimme seiner ängstlichen Ahnungen hatte unterdrücken können.

So kamen sie endlich in das Gemach des Doktor Louis, den sie auf einem Stuhle vor einem Tische sitzend fanden, über den eine grüne Sammetdecke mit goldenen Fransen gebreitet lag.

Nach einigen artigen kollegialen Begrüßungsformeln zwischen den Medizinern wünschte Antoine Louis den Plan zu der neuen Maschine zu sehen. Guillotin gab ihm die Zeichnung von Schmidt, der mein Großvater eine ausführliche Erklärung beigefügt hatte, indem er durch Buchstaben den Gebrauch jedes Stückes anzeigte.

Während man eben dabei war, die Arbeit zu prüfen, ging plötzlich eine Tapetentür auf, und ein neuer Ankömmling erschien im Gemach.

Doktor Louis, der bis dahin gesessen hatte, erhob sich. Der Angekommene warf auf Gouillotin, der sich tief verbeugte, einen kalten Blick, wendete sich dann kurz zu Antoine Louis und sprach zu ihm: »Nun, Doktor, wie denken Sie darüber?«

»Diese Maschine erscheint mir vollkommen,« antwortete der Doktor, »sie rechtfertigt alles das, was Herr Guillotin mir davon gesagt hat. Übrigens urteilen Sie selbst.«

Mit diesen Worten überreichte er dem Herrn die Zeichnung.

Dieser betrachtete sie einen Augenblick stillschweigend, dann schüttelte er zum Zeichen einigen Zweifels den Kopf und sprach:

»Wird dieses sichelförmige Eisen wohl auch vollständig seinen Zweck erfüllen? Glauben Sie, daß ein so gerundetes Eisen auch auf alle Hälse passen wird? Ich halte dafür, daß es für manchen zu groß sein wird und andere wiederum nicht umfassen dürfte.«

Seit dem Eintritt dieser Persönlichkeit hatte Charles Henri Sanson weder einen Blick noch ein Wort von ihr sich verlorengehen lassen. Der Ton dieser Stimme lieferte ihm den Beweis, daß der erste Eindruck ihn nicht betrogen hatte. Der mittelgroße Mann im dunklen Anzüge ohne Orden auf der Brust war der König. Durch seine ganze Haltung zeigte er offenbar, daß er nicht für den König gehalten werden und den Anschein erwecken wollte, als sei er lediglich wegen eines wissenschaftlichen Gesprächs hierhergekommen.

Charles Henri Sanson wurde eigentümlich von der richtigen Bemerkung des Königs berührt, und indem er unwillkürlich die Augen auf den Hals des Königs richtete, den die breite weiße Halskrause immer offen ließ, bemerkte er, daß dieser im ganzen sehr kräftig gebaute Fürst einen muskulösen Hals besaß, dessen Umfang den durch den Bleistift Schmidts bezeichneten Halbkreis um vieles übertraf. Nach dieser Entdeckung bemächtigte sich seiner ein unfreiwilliges Zittern, und obwohl er in einer Art stummer Betrachtung versunken blieb, hörte er doch die Stimme des Königs, welcher, auf ihn mit einem Blick deutend, den Doktor Louis fragte:

»Ist dies der Mann?«

Der Leibarzt bejahte durch eine Verbeugung.

»Fragen Sie ihn um seine Meinung,« bemerkte Ludwig XVI. ganz leise.

»Sie haben die Bemerkung dieses Herrn gehört,« sagte der Leibarzt, »in welcher Gestalt denken Sie sich das Fallmesser am besten?«

»Der gnädige Herr hat vollkommen recht,« antwortete mein Großvater, indem er die Worte »gnädiger Herr« ziemlich stark betonte; »die halbmondförmige Gestalt des Fallmessers könnte dann und wann einige Schwierigkeiten herbeiführen.«

Der König lächelte mit einem gewissen Blick der Befriedigung; sodann nahm er eine Feder vom Tisch des Doktor Louis und verbesserte die Zeichnung, indem er anstelle des halbmondförmigen Fallbeils ein Messer mit schräg zulaufender Schneide setzte.

»Übrigens kann ich mich irren,« fügte er hinzu, »und wenn man die Frage lösen will, wird man schon beide Arten Fallmesser versuchen müssen.«

Darauf grüßte er freundlich mit der Hand und zog sich durch die Tür, durch welche er gekommen war, wieder in seine Gemächer zurück.

Fünf Tage nach dieser Zusammenkunft in den Tuilerien, nämlich am 7. März, reichte Antoine Louis der Nationalversammlung seinen Bericht ein, in welchem er klar und einfach den durch Schmidt gezeichneten Mechanismus darstellte und den Vorschlag machte, je nach dem Erfolg von Versuchen sich der einen oder der anderen Form für das Fallbeil zu bedienen. Am 20. März nahm die Nationalversammlung den Antrag in der jetzt erlangten Gestalt an und Doktor Louis wurde beauftragt, die erste Enthauptungsmaschine bauen zu lassen.

Am 17. April 1792 wurde in dem Hofe von Bicêtre unter dem Beisein der Doktoren Antoine Louis, Philipp Pinel und Cabanis zum ersten Male die Enthauptungsmaschine in Tätigkeit gesetzt.

Nachdem die Maschine in allen Teilen sorgfältig untersucht und instandgesetzt worden, schritt man zur Enthauptung der drei Leichname, welche die Direktion der Pariser Spitäler zu diesem Zwecke nach Bicêtre geschickt hatte.

Die beiden ersten Versuche mit dem Fallbeil von schräger Schneide, wofür der König gestimmt hatte, glückten; der dritte mit dem halbmondförmigen Messer nach der Zeichnung von Schmidt erwies sich als höchst mangelhaft. Infolgedessen entschied man sich für das Beil mit schräger Schneide.

Acht Tage nachher hatte mein Großvater mit dieser neueingeführten Maschine einen lebendigen Menschen hinzurichten: Jacques Nicolas Pelletier, der am vorhergehenden 24. Januar wegen Diebstahls auf öffentlicher Heerstraße, verbunden mit Gewalttätigkeit, zum Tode verurteilt worden war.

Man war nicht ohne einige Sorge um das Verhalten des Volkes beim Anblick dieses neuen Todeswerkzeuges, wie dies auch das folgende, von dem Generalprokurator Roederer an Lafayette, den kommandierenden General der Nationalgarde, gelichtete Schreiben beweist:

»Paris, den 25. April 1792.

Mein Herr! Die neue Hinrichtungsweise – ich meine damit die Enthauptung durch die Maschine – wird sicher einen großen Volkshaufen nach dem Grèveplatz ziehen, und es liegt viel daran, Maßregeln zu ergreifen, damit die Maschine nicht etwa auf irgendwelche Weise herabgewürdigt wird.

Ich halte es also für durchaus notwendig, daß Sie den bei der Hinrichtung anwesenden Gensdarmen befehlen, in genügender Anzahl auf dem Platze und an den Mündungen der benachbarten Straßen zurückzubleiben, damit die Errichtung des Schafotts und der Maschine ungehindert vonstatten gehen kann.

Roederer.«


Man erinnert sich vielleicht der Geschichte des jungen Louschart, dessen Räderung durch das Volk vereitelt wurde. Wahrscheinlich hatten auch die Behörden jenes Ereignis noch gut im Gedächtnis und fürchteten nun, daß die gärende Volkswut an der Enthauptungsmaschine einen neuen Anstoß nehmen könnte, welche die einen bereits nach Doktor Louis »Louisen« oder »Louisette«, andere nach Doktor Guillotin »Guillotine« nannten. Man weiß, daß letztere Bezeichnung den Vorzug behalten hat.

Am Tage der Hinrichtung sah man jedoch ein, daß alle Besorgnisse überflüssig gewesen waren.

Wenn die über Pelletier verhängte Strafe auch wirklich zu streng gewesen wäre, so war der Verurteilte doch nichtsdestoweniger einer jener gemeinen Verbrecher, deren Schicksal nimmer das Mitleid des Volkes erwecken kann. Ungeachtet des ungeheuren Zuströmens der Volksmenge ging alles in der größten Ordnung und Ruhe vor sich.

Diese Hinrichtung bestätigte vollkommen die dem Justizminister mitgeteilten Beobachtungen meines Großvaters. Pelletier war von einer so vollständigen Schwäche befallen worden, daß er nicht imstande war, zu der Hinrichtung zu gehen, sondern vielmehr getragen werden mußte. Hätte er nun mit dem Schwerte hingerichtet werden sollen, so würde man ihn geradezu auf der Erde haben zerhacken müssen, weil er sich in dem natürlichen Drange, sein Leben zu erhalten, unzweifelhaft auf den Boden würde niedergeworfen haben.

Vielleicht wäre das hier der geeignete Ort, zu prüfen, ob die Guillotine in der Tat die am wenigsten schmerzhafte Hinrichtungsart ist. Man könnte fragen, ob sie den menschenfreundlichen Wünschen und Hoffnungen ihrer Erfinder entsprochen hat, oder ob sie, wie einige ein wenig seltsam gestimmte Anatomen zu behaupten versucht haben, im Gegenteil den Hinzurichtenden schreckliche Leiden bereitet?

Was besagte Anatomen anbetrifft, so sagen dieselben, daß, wenn das Abschneiden des Kopfes sehr schnell erfolgt, das Leben nicht sofort entflieht, sondern das Gefühl, das Bewußtsein und überhaupt alles, was Mensch heißt, noch eine gewisse Zeit, nachdem der Kopf vom Körper getrennt ist, in letzterem zurückbleiben und den Hingerichteten den Schmerz des Halsabschneidens noch nachträglich in der gräßlichsten Weise empfinden lassen.

Jedoch über alles dies hinweggehend ziehe ich es vor, ein eingehenderes Studium über diese wichtige Frage auf einen Zeitraum zu verschieben, wo ich bei Erzählung meiner eigenen Erinnerungen durch diese Besprechung den geringen Kreis meiner Beobachtungen und persönlichen Eindrücke werde erweitern können.

Jetzt drängt die Zeit, und wir nähern uns so ungeheuren Ereignissen, daß es nicht zu entschuldigen sein würde, wenn wir den Lauf unserer Schilderungen verzögerten.


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