Eduard Trautner
Tagebücher der Henker von Paris - Erster Band
Eduard Trautner

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Halsbandgeschichte

Jeanne de Valois, Gräfin de la Motte; Kardinal de Rohan; Marie Antoinette; Cagliostro; Mlle. d'Oliva; Ludwig XVI.; der Prozeß und Vollstreckung.

Die Geschichte vom Halsband der Königin ist so bekannt, daß es mir unnütz scheint, sie in allen Einzelheiten wiederzuerzählen. Ich werde nur einige Tatsachen anführen, welche einigermaßen die Geheimnisse dieser dunklen Intrige, die die königliche Majestät in einer so unangenehmen Weise bloßstellte, aufklären. Obgleich die ganze Halsbandgeschichte um so bedeutungsvoller ist, als sie sich in einer Zeit ereignete, wo der Volksgeist sich seiner bewußt zu werden anfing und seine Regungen den Thron in den Grundfesten erschütterten, so werde ich mich doch, dem oben ausgesprochenen Satze getreu, darauf beschränken, in möglichster Kürze über die Ereignisse zu berichten, welche bewirkten, daß der Kardinal de Rohan, Herr de Cagliostro, Herr Retaux de Billette und Demoiselle Oliva verhaftet wurden und Frau Jeanne de Valois, Gräfin de la Motte, den Händen des Henkers verfiel.

 

Eines Tages begegnete Frau de Boulain-Villiers, die Gattin des Oberrichters zu Paris, in dem kleinen Dorfe St. Légersous-Bouvray im Burgundischen einem kleinen Mädchen, das ihr die Hand hinhielt und sagte:

»Meine schöne Frau! Schenkt, ich bitte Euch darum bei der Liebe des barmherzigen Gottes, der Urenkelin der alten Könige von Frankreich ein Almosen!«

Diese Worte setzten Frau de Boulain-Villiers in Erstaunen; sie ließ ihren Wagen anhalten und fragte das Kind um eine Erklärung dieser so merkwürdigen Bettlerformel.

Zufällig ging der Geistliche des Ortes vorüber; er hatte das Gespräch gehört, näherte sich und berichtete Frau de Boulain-Villiers, daß dieses Kind wahr gesprochen hätte und daß es in gerader Linie von Henry de Saint Rémy, dem ehelichen Sohne von Henry II. und Nicole de Savigny abstamme.

Frau de Boulain-Villiers erbat sich weitere Aufschlüsse in betreff des Mädchens und erfuhr, daß es eine vater- und mutterlose Waise sei, die von der Barmherzigkeit der Gemeinde lebe. Da niemand Einspruch zu machen hatte, so führte die erwähnte Dame ihren kleinen Schützling nach Paris. D'Hozier untersuchte ihren Stammbaum, und so wurde sie für die kleine Jeanne de Valois anerkannt, deren Bruder und Schwester im vollkommenen und rechtlich anerkannten Besitz der väterlichen Würde waren.

Frau de Boulain-Villiers ließ ein Schriftstück über das ganze Ereignis aufsetzen und es der Königin und dem Herrn de Maurepas durch den Herzog de Brankas-Céreste überreichen. Infolge dieser Schrift wurden den Kindern im Wege der königlichen Gnade Pensionen bewilligt. Der Knabe wurde in die Marine eingestellt, und er starb als Schiffsleutnant unter dem Namen eines Barons de St. Rémy de Valois.

1780 verheiratete sich Jeanne de Valois mit dem Grafen de la Motte von der königlichen Leibgarde.

Herr de la Motte besaß nichts als sein jährliches Gehalt, die Mitgift seiner Frau belief sich auf eine sehr kleine Pension, und so kam es denn, daß die häuslichen Verhältnisse des Paares nicht in rechtem Einklange mit der Vorliebe der beiden Gatten für Luxus und Vergnügungen standen. Von dem heißen Verlangen erfüllt, soviel als möglich zu glänzen, stand Frau de la Motte keinen Augenblick an, in den damals bei Hofe üblichen Ränken die Quellen zu suchen, welche sich ihr nicht freiwillig öffneten.

Frau de la Motte, sagt der Abbé Georgel in seinen Memoiren, besaß zwar nicht den strahlenden Glanz der Schönheit, aber sie war mit allen Reizen der Jugend ausgestattet. Ihr Antlitz zeigte viel Geist und zog jedermann an; ihr ganzes Wesen verkündete jene angeborene Vornehmheit, welche überall siegt. Abbé Georgel schreibt Frau de la Motte in seinen Erzählungen eine unwiderstehliche Beredsamkeit zu, und alle ihre Zeitgenossen stimmen darin überein, daß das verführerische Äußere der jungen Dame den Geist und die wunderbaren Anlagen der Zauberin Circe verbargen.

Die ganz besondere Zuneigung, mit der der Kardinal de Rohan die Gräfin de la Motte beehrte, war somit in ihrem Ursprunge nicht ohne gewissen Eigennutz. Man wird davon doppelt überzeugt sein, wenn man sich an die leichtfertigen Sitten und Gewohnheiten des vornehmen Prälaten erinnert, und niemand wird an eine uneigennützige Freundschaft beider glauben, wenn man von seinen eigenen Lobrednern hört, daß die Großmut des Herrn de Rohan gegen die Gräfin ihn schon vor der Halsbandgeschichte für seine bezaubernde Freundin eine Summe von hundertundzwanzigtausend Livres ausgeben ließ.

Obwohl sich Frau de la Motte der innigsten Zuneigung ihres Gönners erfreute, spielte sie doch keine ganz aufrichtige Rolle gegen ihn. Sie erkannte sehr wohl die geheimen Wünsche des ehrgeizigen Prälaten, sie wußte, daß Herr de Rohan nur neben ihr, einer schönen und geistreichen Prinzessin, die der Herrschaft über ihren Gatten angeklagt war, die Rolle spielen wollte, welche der Kardinal Mazarin bei Anna von Österreich gespielt hatte. Sie schmeichelte seinem Ehrgeiz und hoffte durch ihre Klugheit und die Schwäche des vornehmen Mannes ihr Glück zu machen. Die fast einfältige Gutmütigkeit, mit der Herr de Rohan in die Falle ging, welche ihm die kluge Dame stellte, kann einen Maßstab von seinem sehr beträchtlichen Dünkel geben.

Die Gräfin de la Motte redete zuerst dem Kardinal ein, daß sie das innigste Vertrauen der Königin besäße. Von den seltenen Eigenschaften des Groß-AlmoseniersEin in katholischen Ländern einst fast überall, heute nur noch in Frankreich, Spanien und Rom bestehendes geistliches Hofamt. überzeugt, habe sie mit dieser Fürstin so oft und mit so viel Beredsamkeit von ihm gesprochen, daß die Königin nunmehr jene traurigen Momente vergessen hätte, die den Kardinal seit der unglücklichen Wiener Gesandtschaftsreise in Ungnade fallen ließen. Ihre Vorstellungen, versicherte die Gräfin de la Motte, wären schließlich so erfolgreich gewesen, daß Marie Antoinette Herrn de Rohan erlaubte, sich direkt bei ihr zu rechtfertigen; dann wünsche sie mit ihm einen Briefwechsel zu führen, der so lange geheim bleiben solle, bis der günstige Augenblick erschienen sei, um vor aller Welt das Wohlwollen der Fürstin kundzutun. Natürlich war nach dieser Überlieferung die Gräfin de la Motte bestimmt, bei diesem Briefwechsel Zwischenträgerin zu sein.

Es ist möglich, daß die Gräfin de la Motte sich des ganz besonderen Vertrauens von Marie Antoinette erfreute, aber nach jetzt bekanntgewordenen Ansichten der Königin über ihren Schützling läßt sich nicht annehmen, daß die obige Mitteilung an den Kardinal wirklich erfolgt ist.

Wie dem nun aber auch sei, das erste Wagstück der Gräfin de la Motte glückte vollständig. Der Kardinal de Rohan hörte mit Begeisterung von den glänzenden Aussichten, welche die Hofdame vor seinen Augen eröffnete. Herr de Rohan belohnte sehr freigebig die vermeintlich so großen Dienste seiner Freundin, die sie nichts weiter gekostet hatten als einige klug erdachte Lügen und ein Blatt Papier mit vergoldetem Rand, auf dem ein gewandter Fälscher die Handschrift der Königin täuschend nachgeahmt hatte.

Diese unglaubliche Leichtgläubigkeit mußte natürlich Frau de la Motte in ihren Unternehmungen bedeutend ermutigen.

Ludwig XV. hatte bei seinen Hofjuwelieren, den Herren Böhmer und Bassange, ein prachtvolles Halsband bestellt.

Noch ehe der Schmuck fertig geworden, war der König gestorben und Madame du Barry, für die das Kleinod bestimmt gewesen, durch den neuen König in die Verbannung geschickt worden. So befand sich also das wunderbare Halsband in den Händen der beiden Juweliere.

Sie hatten es der Königin gezeigt, aber durch den ungeheuren Preis, nämlich achtzehnhunderttausend Livres, erschreckt, war Ihre Majestät bei den damaligen Zeitumständen, wo Sparsamkeit notwendig, von dem Wunsche, es zu besitzen, abgestanden.

Frau de la Motte hatte ebenfalls Gelegenheit, das Halsband zu sehen. Die Juweliere machten kein Geheimnis daraus, wie sehr sie die Weigerung der Königin erschreckt hätte und wie sehr sie in ihren Unternehmungen durch den Besitz eines Gegenstandes von so beträchtlichem totem Wert gehindert würden. Sie versicherten, daß sie demjenigen gern ein sehr kostbares Geschenk machen würden, durch dessen Vermittlung sie das Halsband verkaufen könnten.

Die Gräfin dachte im Anfang ganz sicher nur daran, sich die versprochene Belohnung zu erwerben; ihre Hoffnungen und Wünsche wurden erst durch den Erfolg kühner gemacht. Sie beurteilte Marie Antoinette nur als Frau und nicht als Königin und setzte voraus, daß doch wenigstens da, wo die Eitelkeit im Spiele wäre, die Königin in den Hintergrund treten müßte.

Ich darf zwar nicht unerwähnt lassen, daß einige Versuche, Marie Antoinette als mehr oder weniger direkte Gönnerin des Kardinals de Rohan auftreten zu lassen, fruchtlos ausfielen; dieser Mißerfolg entmutigte jedoch Frau de la Motte nicht, sondern trug im Gegenteil dazu bei, den Kreis ihrer Hoffnungen und Wünsche zu erweitern. – Mit einer Beharrlichkeit, die ihresgleichen sucht, erstrebte sie nun selbst den Besitz des königlichen Schmuckes und ließ alle Mittel gelten, um nur zum Ziele zu gelangen.

Die beiden Gatten hatten übrigens in einem alten Polizeibeamten namens Marc-Antoine Rétaux de Billette, einer Art von Flugschriftsteller oder Publizisten – dem Verfasser der angeblich königlichen Briefe, – eine starke Stütze und ein gewandtes Werkzeug gefunden. Zu diesen dreien gesellte sich noch als mit die wichtigste Kraft– der Parazelsus der Rokokoepoche – der mehr berüchtigte als berühmte Graf von Cagliostro, welcher durch seine Scharlatanerien über den in vieler Beziehung zwar beschränkten Geist des Kardinals de Rohan einen dennoch ganz unerklärlich mächtigen, ja man könnte fast sagen unbegrenzten Einfluß gewonnen hatte.

Frau Gräfin de la Motte war und blieb natürlich die Seele der Handlung.

Sie überredete zuerst den Kardinal, daß die Königin Marie Antoinette sich ohne Wissen und Willen des Königs, ihres Gemahls, dahin entschieden hätte, das Halsband zu kaufen und es aus ihrer Privatschatulle zu bezahlen. Um nun dem Herrn de Rohan, dem Groß-Almosenier, ein Zeichen von ihrem Wohlwollen zu gewähren, so erteile sie ihm hiermit durch ihre Vertraute – nämlich Frau de la Motte – den Auftrag, das besagte Halsband für sie einzukaufen, und zwar auch unter seinem Namen. Für die ausgelegte Summe würde er einen von Marie Antoinette selbst eigenhändig ausgestellten, geschriebenen und unterzeichneten Empfangsschein erhalten, der ihm als Sicherheit dienen möchte und den er bis zur völligen Bezahlung des Halsbandes behalten sollte.

Frau de la Motte säumte in der Tat nicht, den erwähnten Schein Herrn de Rohan einzuhändigen; er war von TrianonEin Lustschloß der französischen Herrscher. ausgegeben und »Marie Antoinette de France« unterzeichnet.

Es gehörte die Blindheit des Kardinals dazu, nicht zu sehen, daß diese vermeintliche königliche Handschrift durch den bekannten und gewöhnlichen Fälscher der Gräfin de la Motte gemacht worden war. Die Königin zeichnete, wie alle Fürstinnen vor ihr auf dem Thron, einfach mit ihrem Taufnamen, und so hätten schon die Worte »de France«, welche die kecke Einbildungskraft von Marc-Antoine Rétaux de Billette hinzugefügt, zur Entdeckung des Betruges hinreichen können.

Aber der Groß-Almosenier Herr de Rohan argwöhnte nichts, und in dem guten Glauben, nur dem Wunsche der Königin nachzukommen, trat er mit den Hofjuwelieren in Unterhandlungen. Nach seiner ihm zur zweiten Natur gewordenen Eitelkeit nahm er keinen Anstand, den Herren Böhmer und Bassange zu sagen, daß das Halsband für die Königin Marie Antoinette sei, und zeigte ihnen sogar zur Beglaubigung seiner Worte und Erhöhung ihrer Bedeutung das in seinen Händen befindliche Schreiben seiner hohen Gönnerin.

Die Juweliere nahmen die Vorschläge des Kardinals an.

Am 1. Februar wurde das Schmuckkästchen Frau de la Motte nach Versailles gebracht und durch diese in Gegenwart des Herrn de Rohan einem Kammerdiener Ihrer Majestät der Königin übergeben, der das Halsband der neuen Besitzerin zu überbringen beauftragt sein sollte. Der angebliche Kammerdiener war niemand anders als Rétaux de Billette, welchen man mit einer königlichen Livree bekleidet und geheißen hatte, den Schmuck Herrn de la Motte zu überbringen. – Der freche Spaß wurde zum Schluß durch die Abreise des Grafen de la Motte nach London gekrönt. Hier spielte der Betrüger vermöge des aus dem Verkauf des Halsbandes gelösten Geldes den Millionär.

Obschon im Besitze des Halsbandes, war Frau de la Motte noch lange nicht zufrieden; sie erstrebte viel mehr. Sie hoffte die Königin und den Kardinal so vortrefflich zu verwickeln, daß diese selbst bei einer Entdeckung ihres Geniestückchens sie nicht vor Gericht ziehen könnten, ohne sich vor der stets argwöhnischen und das Schlimmste denkenden Welt bloßzustellen.

Frau de la Motte setzte demgemäß folgende Komödie ins Werk.

Marc-Antoine Rétaux de Billette mußte von neuem zu arbeiten beginnen, und zwar neue Briefe, als wenn Marie Antoinette an den Groß-Almosenier Herrn de Rohan geschrieben, entwerfen. In diesen sprach nun die Königin davon, wie sie es bedaure, dem großherzigen Kardinal nicht öffentlich ihre Wertschätzung und Zuneigung so bezeigen zu können, wie sie es so sehnlichst begehrte; damit er jedoch sähe, wie sehr sein edles und aufopferndes Benehmen ihr Herz ihm gewonnen hätte, so wollte sie ihm im Versailler Park, zwischen elf Uhr und Mitternacht, an dem ** Tage des Monats *** eine persönliche Zusammenkunft gewähren, bei der er ihren Dank erfahren sollte, den sie ihm zu beschreiben nicht vermöchte.

Als die Gräfin das Wagnis unternahm, Herrn de Rohan zu seiner vollständigen Verblendung und Täuschung das bezeichnete Stelldichein seitens der Königin zu gewähren, handelte sie trotz ihrer wunderbaren Keckheit nicht, ohne sich vorher der Möglichkeit des Gelingens ihres Planes versichert zu haben.

Sie hatte ein Mädchen namens d'Oliva an der Hand, welchem sie einmal im Palais Royal begegnet und dessen wunderbare Ähnlichkeit mit Marie Antoinette ihr aufgefallen war. Diese Oliva nun mußte zur gehörigen Verwicklung des Schauspiels die Rolle der Königin spielen.

Das Stelldichein ging in den Apollobädern vor sich.

Mademoiselle d'Oliva spielte im gehörigen Kostüm ihre Rolle ganz ausgezeichnet. Sie überreichte dem vor Entzücken überströmenden Kardinal eine Rose und entfernte sich dann klugerweise so schnell als möglich unter dem Vorwand, ein verdächtiges Geräusch in der Nähe gehört zu haben.

Indessen kam der erste Zahlungstermin heran, und die Juweliere begannen unruhig zu werden. Wiewohl ein wenig spät, wollten sie sich vergewissern, daß das Halsband auch wirklich in die Hände der Königin gelangt sei. Demgemäß entdeckten sie sich einigen Personen vom Hofe, suchten, zwar vergebens, eine Audienz bei der Königin Marie Antoinette nach, entdeckten jedoch sehr bald, daß sie die Opfer eines maßlosen Betruges geworden waren.

In ihrer Verzweiflung machten sie nicht länger mehr aus dem ein Geheimnis, was ihnen Herr de Rohan als solches anvertraut hatte. – Das Gerücht von der unerhört frechen Betrügerei machte bald die Runde und gelangte so auch zu den Ohren des Herrn Baron de Breteuil, des königlichen Hausministers.

Herr de Breteuil war ein persönlicher Feind des Kardinals, und so ließ er sich denn auch die Gelegenheit nicht entgehen, den Nichtsahnenden zu verderben.

Am 15. August, dem Tage von Maria Himmelfahrt, mußte der Kardinal in seiner Stellung als Groß-Almosenier in der Schloßkapelle die Messe lesen. Schon war er im vollen bischöflichen Ornat, als ein Diener mit der Mitteilung an ihn herantrat, daß der König ihn in sein Geheimzimmer zu sich entbieten ließe. – Dort befanden sich der König, die Königin und Herr de Breteuil.

Als der Kardinal eingetreten war, fuhr ihn der König in einem sehr gereizten Tone an:

»Sie also, mein Herr, haben Böhmers Diamanten gekauft?«

»Ja, Sire«, antwortete Herr de Rohan.

»Was haben Sie mit dem Schmuck gemacht?« Der Groß-Almosenier zauderte ein wenig mit der Antwort, meinte aber dann:

»Sire, ich glaubte, daß der in Rede stehende Schmuck der Königin übergeben worden wäre.«

»Wer hat Ihnen diesen Auftrag gegeben?«

»Die Frau Gräfin de la Motte-Valois, welche mir gleichzeitig ein Schreiben der Königin überreichte, das mich hoffen ließ, durch Besorgung dieses Auftrages die verlorene Gunst bei Ihrer Majestät wiedererlangen zu können.«

Nach diesen Worten nahm er aus seiner Brieftasche einige angeblich von der Königin geschriebene Briefe und legte sie den Majestäten vor. Der König überflog schnell die Blätter und sagte dann, noch immer die Augen auf die Unterschrift geheftet:

»Das ist weder die Hand noch die Unterschrift der Königin. – Wie, Herr de Rohan,« fuhr er alsdann mit vorwurfsvollem Blick auf den Angeredeten fort, »Sie, der Sproß eines altfürstlichen Hauses und Groß-Almosenier Frankreichs, konnten glauben, daß die Königin ›Marie Antoinette de France‹ zeichnete? Ich glaube, es gibt außer Ihnen niemand, der nicht wüßte, daß die Königinnen immer nur ihren Taufnamen in Unterschriften führen.«

Der Kardinal erbleichte immer mehr und mehr, seine Knie schlotterten, und er war genötigt, sich an einem Tisch festzuhalten, um nur die vor den Majestäten geziemende Stellung bewahren zu können.

Der König, welcher die schreckliche Lage des Armen sah, forderte ihn auf, sich in ein Seitenzimmer zu begeben und dort seine Rechtfertigung aufzusetzen.

Herr de Rohan gehorchte; er blieb etwa eine Viertelstunde in dem ihm angewiesenen Gemach, dann kehrte er zu den Majestäten zurück und übergab sein Schreiben dem Könige, der ihm befahl, sich zurückzuziehen. An der Tür des königlichen Kabinetts stand schon Herr de Jouffroy, ein Leutnant von den Leibgarden, der offenbar den Kardinal erwartete und ihn denn auch, wie er war, in seinem bischöflichen Ornat verhaftete.

Tags nach der Verhaftung des Kardinals wurde Frau de la Motte in Bar-sur-Aube, ihrem einstweiligen Zufluchtsort, gefangengenommen. Bei ihrem Verhör leugnete sie keck und entschieden, sich in die Halsbandgeschichte gemischt zu haben, und klagte den Grafen Cagliostro als Urheber jener Spitzbübereien an. Sie behauptete, nur den Herrn Kardinal zu dem Ankauf der Diamanten Böhmers beredet zu haben, diese seien jedoch von dem Italiener und seiner Frau einzeln verkauft worden, und so hätten auch bloß diese Personen einen Nutzen aus dem Unternehmen gezogen.

Infolge dieser Erklärung schritt man zur Einziehung von Herrn und Frau de Cagliostro.

Frau de la Motte mochte glauben, daß sie sich den Händen der Gerechtigkeit entziehen könnte, wenn sie den Kardinal und Cagliostro für den doch nur von ihr allein begangenen Diebstahl verantwortlich machte; aber sie irrte sich in ihren klugen Voraussetzungen. Mademoiselle d'Oliva, welche die Gräfin schon wer weiß wo glaubte, wurde auf ihrer Flucht nach Brüssel aufgehoben, und ihre Enthüllungen und Geständnisse begannen auf den ganzen Sachverhalt einiges Licht zu werfen.

Einige Zeit nachher gelang es auch, Marc-Antoine Rétaux de Billette in Genf zu erwischen. Er wurde im Verhör Frau de la Motte gegenübergestellt, und nun begann diese endlich inne zu werden, daß all ihr Leugnen und künstliches Gespinst von Unwahrheiten sie nicht mehr retten könne.

In der Nacht vom 29. zum 30. August wurden alle in die Halsbandgeschichte Verwickelten aus der Bastille in die Conciergerie gebracht, und am 5. September übergab ein Handschreiben des Königs den Prozeß dem obersten Gerichtshofe.

Das erwähnte Handschreiben befahl das strengste Verfahren, besonders in bezug auf den Kardinal, und zeigte, wie erbittert der König über die sein Haus angreifenden und beleidigenden Vorkommnisse war.

Man wird sich wohl leicht denken können, was ein derartiger Prozeß für Aufsehen machen mußte. Der gesamte Adel Frankreichs hielt sich in der Person eines seiner höchsten und hervorragendsten Glieder an dem Prozeß für beteiligt, und die Geistlichkeit des Königreichs, welche ihr Vorrecht geltend machte, über den Kardinal zu Gericht zu sitzen, legte bei dem Hofe Widerspruch gegen das oben bezeichnete Verfahren ein. Diese Widersprüche, die zwei Jahrhunderte vorher einen weit bedeutenderen Rechtshandel vernichtet hätten, brachten nun nicht die geringste Wirkung mehr hervor. – Selbst aus Rom erging an Herrn de Rohan die Aufforderung, vor dem Tribunal der Kardinäle zu erscheinen, um über die Vorkommnisse Rechenschaft abzulegen, und es war dieser Vorladung die bestimmte Mitteilung beigefügt, daß er, wenn er nicht erschiene, seines Titels und seiner Würden enthoben werden sollte, bis er sich gerechtfertigt haben würde. – Aber diese Erklärung des heiligen Vaters war ebenso erfolglos wie die der Geistlichkeit.

Die gerichtlichen Verhandlungen nahmen am 22. Dezember früh ihren Anfang.

Frau de la Motte nahm mit der ihr eigentümlichen Grazie auf ihrem Sessel Platz. Ihre Haltung, sagte ein Schriftsteller jener Zeit, war so sicher, daß sie wie in ihrem Zimmer und im weichsten Lehnsessel zu ruhen schien.

Sie antwortete mit vieler Geistesgegenwart und Sicherheit auf alle Fragen des Präsidenten. Nach ihr erschien der Kardinal und nahm auf der Anklagebank der vor das Obergericht geführten Vornehmen Platz. Die Parlamentsmitglieder bezeigten ihm viel Achtung. Man konnte aus ihrem Benehmen gegen den zumeist Angeklagten deutlich herausfühlen, daß sie dem Herrn de Rohan vollständig günstig gesinnt waren, wie überhaupt die öffentliche Meinung, meist aus besserer Einsicht, bisweilen aber auch aus Widerspruchssinn, gegen den Fürsten ist.

Am 29. Dezember erließ der Generalprokurator sein Urteil. Es war sehr streng in bezug auf den Kardinal und verlangte als Buße so viel Entehrendes von Herrn de Rohan, daß es nicht wahrscheinlich war, daß er sich diesem Spruch unterwerfen würde, da derselbe ihn für sein ganzes noch übriges Leben vernichtet hätte. Bei der Vorlesung dieses Beschlusses rief Herr de Barillon laut: daß dies nicht das Urteil des Generalprokurators, sondern vielmehr das eines Ministers sei, den man unschwer daraus erkennen könne. Natürlich wollte er mit diesem Minister Herrn de Breteuil bezeichnen. – Auf seinen Wunsch unterbrach der Generaladvokat Séguier sehr lebhaft den Vorleser Herrn de Fleury.

Der Endbeschluß wurde am 31. Dezember abends neuneinhalb Uhr verkündet. Er lautete der Hauptsache nach wie folgt:

  1. Die dem Prozeß zugrunde liegenden, angeblich von der Königin abgefaßten und unterzeichneten Schriftstücke, Briefe usw. haben sich nach den strengsten Untersuchungen als gefälschte Machwerke herausgestellt, welche nur in betrügerischer Absicht Ihrer Majestät untergeschoben worden.
  2. Der Graf de la Motte ist als schuldig erkannt und somit zu den Galeeren verurteilt worden.
  3. Jeanne de Saint-Rémy-Valois, die Frau de la Mottes, ist verurteilt worden, den Strick um den Hals, Kirchenbuße zu tun, ausgepeitscht, auf beiden Schultern mit dem Buchstaben V gebrandmarkt und endlich auf Lebenszeit in dem Spital eingesperrt zu werden.
  4. Marc-Antoine Rétaux de Villette wird hiermit für ewig aus dem Königreich verbannt.
  5. Die Demoiselle d'Oliva darf bei Strafe nicht mehr am Hofe erscheinen.
  6. Herr de Cagliostro wird nach Beschluß des Obergerichts von jeder Anklage entlastet, und
  7. der Kardinal Herr de Rohan, in jeder Beziehung für unschuldig erklärt, hierdurch berechtigt und angewiesen, wegen der für ihn in dem Schriftstück der Gräfin de la Motte enthaltenen boshaften Beleidigungen, das ganze Urteil des Parlaments drucken und in der Öffentlichkeit verbreiten zu lassen.

Dieser Beschluß wurde mit einem gewissen Enthusiasmus aufgenommen.

Nachdem der König schon so unklug gewesen war, nicht mit aller Gewalt einen Prozeß zu ersticken, wo ein sehr vornehmer Name mit Betrügern und Diebinnen der gemeinsten Gattung in nahe Berührung kommen mußte, fügte er gar noch die Torheit hinzu, in allen seinen Verordnungen und Erlassen die persönliche Feindschaft gegen den Kardinal de Rohan durchblicken zu lassen. Diese offenbar hier nicht gerechtfertigte Anfeindung mußte dem Groß-Almosenier allgemeines Mitgefühl erwecken, dessen er sich sonst nimmer würdig gemacht und das er auch niemals erworben hätte. Die öffentliche Meinung sah in dem Urteil des Parlaments, welches die in den königlichen Briefen erlassene Anklageakte außer Kraft setzte, einen ersten Sieg über die Unbeschränktheit der Herrschermacht und pflichtete in jeder Hinsicht dem Widerstand der Vertreter des Gesetzes gegen den so deutlich ausgesprochenen königlichen Willen bei, freilich vielleicht schon deswegen, weil es überhaupt ein Widerstand war.

Die Richter wurden so gefeiert, schreibt Herr Baron de Besenval, und so mit Lobes- und Ehrenbezeigungen bestürmt, daß sie nur mit großer Mühe sich durch den versammelten Volkshaufen einen Weg bahnen konnten, als sie nach beendigter letzter Session vom Parlamentshause zurückkamen. Erst am 21. Juni gab Herr de Fleury dem Henker das Urteil. Gleichzeitig ermahnte er ihn, alles so einzurichten, daß nur ja jedes Aufsehen vermieden würde.

Charles Henri Sanson erkundigte sich hierauf bei dem Gefängniswärter nach den Gewohnheiten der Frau de la Motte und vernahm über dieselbe, daß sie mit seiner Frau besonders gut stehe und die Frau Gräfin denn auch in ihrer Gefangenschaft bediene.

Den Vorschriften des Scharfrichters gemäß begab sich eines Morgens die Gefängniswärterin in die Zelle der Verurteilten und meldete ihr, daß jemand aus dem Palast nach ihr frage.

Frau de la Motte lag auf ihrem Ruhebett; infolge der mehrfach wiederholten Mitteilung wandte sie sich um und sagte:

»Man möge wiederkommen; ich habe diese Nacht nicht schlafen können und will nun am Morgen wenigstens ausruhen.«

Unterdessen war aber auch Charles Henri Sanson zu einer Seitentür eingetreten, hatte die Türen verschlossen und hielt nun auf der Schwelle zu dem Zimmer der Gräfin Wache.

Frau de la Motte blieb vor ihm stehen und betrachtete ihn mit funkelndem Blick.

Die Gräfin, sagt mein Großvater, war eine sehr gut gebaute Person, jedoch mehr stark als mager. Ihr Gesicht konnte man trotz der Unregelmäßigkeit der Züge schön nennen. Die Nase glich der eines Wiesels auf ein Haar, der so ausdrucksvolle Mund war groß, fast zu groß, und die Augen, die wie Brillanten strahlten, hatten das zu wenig, was der Mund zu viel besaß; bei alledem aber ließen Frau de la Motte die Pracht und Fülle ihres Haares, die Weiße ihrer Haut und die angeborene Zierlichkeit, Grazie und Feinheit in allen ihren Bewegungen bemerkenswert erscheinen. Die unglückliche Frau war auch in der Gefangenschaft noch sich der Bedeutung ihres Äußeren bewußt. An dem obenerwähnten Morgen trug sie ein geschmackvolles seidenes Hauskleid mit braunen Streifen und kleinen weißen Rosenbuketts und auf dem Kopfe ein kleines niedliches Spitzenhäubchen, welches die prächtige Haarfülle in angenehmer Weise hervorhob.

Während Charles Henri Sanson von der Gräfin mit dem drohenden Auge einer gereizten und zum Sprunge bereiten Löwin betrachtet wurde, hatten dieselbe einstweilen die Henkersknechte und noch vier andere Gehilfen umringt. Frau de la Motte schien bei sich selbst die Ungleichheit des Kampfes zu erwägen und sah ein, daß sie unterliegen müßte. Da öffneten sich ihre Nasenlöcher, sie fing an zu keuchen, und nach einer kleinen Pause fragte sie meinen Großvater, der den Hut vor ihr abgenommen hatte:

»Was wollen Sie von mir?«

»Sie sollen Ihr Urteil hören, Madame!« antwortete der Henker.

Bei diesen Worten sah man ein Zittern über den ganzen Körper der Gräfin gehen, ihre geballten Hände lösten sich und die Finger begannen ängstlich mit dem breiten Bande zu spielen, welches schärpenähnlich ihrem Überwurf als Gurt diente. Eine Minute blieb die Dame nachdenklich und mit niedergeschlagenen Augen stehen, dann erhob sie stolz das Haupt und sagte:

»Wohlan denn, lassen Sie uns gehen!«

Die beiden Henkersknechte, welche sie zuerst an den Armen ergriffen hatten, näherten sich wieder, aber Frau de la Motte stieß sie mit der verächtlichen Gebärde einer vornehmen Dame zurück und schickte sich an, vor ihnen her zu gehen.

Als man in das Gemach gekommen, wo der Parlamentsausschuß für diese besondere Gelegenheit versammelt war, begann ein Gerichtsbeamter sofort mit der Verlesung des Parlamentsbeschlusses.

Bei den ersten Worten, welche ihre Schuld behaupteten, prägte sich die unbändige Wut Frau de la Mottes, die Heftigkeit ihrer Gefühle auf ihrem Antlitz aus. Die Augen rollten unstät und wild in ihren Höhlen, die Zähne knirschten schauerlich aneinander und bissen wild in die eingezogenen Lippen, daß blutige Spuren darin zurückblieben. Kein Zug in dem Gesicht der Frau, die so oft so verführerisch aussah, verriet mehr ihren früheren Charakter; aller Liebreiz war von ihr gewichen und nur das Äußere einer Furie geblieben.

Charles Henri Sanson, der den einbrechenden Sturm ahnte, hatte sich ihr genähert, und er hatte guten Grund dazu.

In demselben Augenblicke, wo der Gerichtsbeamte zu dem Endurteil des Parlaments gelangte, brach die Wut der Unglücklichen so ungestüm aus, wie man es kaum hätte erwarten können. Sie warf sich so kraftvoll hintenüber, daß sie sich, wenn mein Großvater sie nicht aufgefangen hätte, den Kopf auf den Steinplatten zerschmettert haben würde. Von furchtbaren Krämpfen befallen, stieß sie ein wahres Wolfsgeheul aus.

Fünf starke Männer hielten die Frau, aber obwohl sie alle ihre Kräfte anstrengten, gelang es ihnen nur, die Unglückliche vor einer Verwundung oder einem tödlichen Fall zu schützen.

Man mußte auf die vollständige Verlesung des Urteils Verzicht leisten.

Die Kräfte von Frau de la Motte schienen mit ihrer Wut zuzunehmen. Durch die Krämpfe waren sie so wenig erschöpft worden, daß die Gräfin sogar und nicht ganz erfolglos mit den Leuten zu ringen vermochte, die sie zu binden suchten. Wenigstens zehn Minuten vergingen, ehe die fünf Männer über den wahrhaft übermenschlichen Widerstand zu siegen vermochten. Endlich gelang es meinem Großvater, die Verurteilte abführen zu lassen, und man begab sich in den großen Palasthof hinab. Dort war das Schafott errichtet worden, und zwar gerade unter dem Gatter, das ganz offen stand. Aber zu dieser frühen Morgenstunde, noch sollte nämlich die Uhr sechs schlagen, und wegen der Beschleunigung der Strafvollstreckung war die Zuschauerschaft ziemlich klein.

Als Frau de la Motte, auf der Plattform des Schafotts ausgestreckt, gestäupt wurde, begann sie ein wildes und wütendes Geschrei auszustoßen, welches bis zu Ende währte. Mit zorniger Stimme, der nachgerade alles Menschliche abzugehen schien, klagte sie besonders den Kardinal de Rohan wegen ihres Unglücks an. Sie gab ihm die entehrendsten Namen, und zwischenein konnte man sie murmeln hören:

»Meine Schuld ist's, daß ich diese Schmach erleide; ich brauchte nur ein Wort zu sagen und ich wäre aufgehenkt worden.«

Nach Parlamentsurteil empfing die Gräfin zwölf Rutenhiebe.

Bis dahin hatte man sie, sogar nicht einmal bei dem Ausbruch ihrer vorhin geschilderten entsetzlichen Verzweiflung, keine Träne weinen sehen. Jetzt waren, als man sie vom Boden aufhob, ihre Augen voll Wasser; aber anstatt daß die Tränen auf die Wangen herabglitten, tropften sie von den Wimpern nieder und fielen auf die heftig wogende Brust, wahrscheinlich durch eine krampfartige Zusammenziehung und Ausweitung der Nerven so weit geworfen.

Vielleicht hatte ihr früherer Wutanfall, wie das ja oft genug vorkommt, einer Abspannung der Seele und des Körpers Platz gemacht; vielleicht hatte sie auf die Endbestimmung des Parlaments nicht gehört: kurz, als man sie auf die Plattform hinsetzte, blieb sie einige Augenblicke stumm, unbeweglich, wie geistesabwesend und gegen alles Kommende gleichgültig.

Charles Henri Sanson glaubte diesen Zustand zur Vollstreckung des noch nicht erfüllten Teils des Urteils benutzen zu müssen, und da das Kleid der Gepeitschten bei dem Kampfe vorher aufgerissen worden und die Schulter entblößt war, so nahm er das Markeisen, welches nicht weit von ihm in einem Kohlenbecken schon weiß glühte, näherte sich von hinten der Gräfin und brannte ihr auf der Haut das Zeichen ein.

Frau de la Motte stieß ein Geschrei aus, wie es etwa eine verwundete Hyäne tun würde, drang auf einen der sie haltenden Henkersknechte ein und biß ihn mit solcher Wut in die Hand, daß sie, als man sie losriß, ein großes Stück Fleisch zwischen den Zähnen hielt.

Dann begann sie, obwohl noch gerade zur rechten Zeit gebunden, sich zu verteidigen. Die Nachsicht, welche die Knechte in dem Kampfe gegen ein Weib ausübten, wußte die Gräfin nur zu gut zu benutzen; sie lähmte lange Zeit alle ihre Bestrebungen, und infolge des furchtbaren Ringens konnte nur sehr unvollkommen die linke Schulter der Verurteilten gebrandmarkt werden.

Endlich war der Gerechtigkeit genug getan. Frau de la Motte wurde in einen Wagen gesetzt und nach SalpêtrièreEin Zuchthaus in Paris. gebracht. In dem Augenblick, wo man sie aus der Kutsche hob, versuchte sie sich unter die Räder zu stürzen, und einige Minuten nachher wollte sie sich ersticken und steckte sich ihre Bettdecke in den Hals.

Hätte Frau de la Motte gewußt, wie kurze Zeit sie gefangen sein sollte, so würde sie vielleicht geduldiger gewesen sein: denn schon sechs Monate nach ihrer Inhaftierung hörte ihre Einsperrung auf.

Im Monat April gelang es ihr zu entwischen. Vielleicht, daß die Regierung ihre Flucht in der Furcht erleichtert hatte, Herr de la Motte, der nach London entkommen war, würde aus der Schule schwatzen und dort unangenehme Aufschlüsse über das Pariser Kabinett geben; vielleicht, was sehr wahrscheinlich ist, daß Herr de la Motte die Gefängniswärter bestochen hatte; vielleicht auch, daß irgendeine der Zuchthäuslerinnen, bei denen sich die größte Verderbtheit der höchsten Achtung erfreut, leidenschaftliche Liebe zu der traurigen Heldin gefaßt hatte – kurz, Frau de la Motte und mit ihr eine andere Gefangene des Zuchthauses entkamen aus Salpêtrière.

Eines Tages sah die unter dem Fenster der verhafteten Gräfin aufgestellte Schildwache eine Person auf sich zukommen, welche kurz vorher noch mit einer der bedienenden und darum frei umhergehenden Zuchthäuslerinnen gescherzt hatte. Besagter Mensch trug einen königsblauen Überwurf, darunter ein schwarzes Wams und schwarze Beinkleider, Schnürstiefel, einen runden, hohen Hut, weiße Lederhandschuhe und in der einen Hand eine Reitgerte. Unter dieser Verkleidung steckte Frau de la Motte, und vermöge ihrer Geistesgegenwart, ihres Mutes, ihrer Sicherheit und wohl auch infolge der trefflich gewählten Maske gelang es ihr, aus dem Zuchthause zu entkommen und nach London zu ihrem Gatten zu gelangen.


 << zurück weiter >>