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Mittel, die Kinder für die Welt unbrauchbar und ihr Leben freudlos zu machen

Zwinge sie zu einem Berufe, zu dem sie weder Lust noch Geschicklichkeit haben!

In Sandleben wohnte vorzeiten ein Bauer, den noch viel alte Leute gekannt haben, der Nachbar Rehbock hieß. Dieser Rehbock war der Meinung, ein jeder Mensch habe seine Freiheit, man müsse daher jedem Kinde auch seinen Willen lassen und nur immer darauf sehen, daß es nichts Böses täte und keine albernen Streiche mache.

Nun hatte er zwei Söhne, davon hieß einer Friede, der andere Balzer. Mit diesen ging er einmal Sonntags spazieren, setzte sich unter eine Linde und sagte: Hört, Kinder, ihr wachset heran und es ist Zeit, daß ich wissen muß, was aus euch werden soll.

Sagt mir einmal, wozu habt ihr Lust? Was wollt ihr werden? Ich werde ein Pfarrer, sagte Friede. Und ich bleibe bei dem Ackerbau, sagte Balzer.

Gut, antwortete der Vater, du, Balzer, kannst ohne Widerrede deinen Willen haben, sei nur auch fein fleißig und nimm dich der Arbeit und der Haushaltung an. Es gehört gar viel dazu, wenn man bei dem Ackerbau sein ehrliches Auskommen finden will. Dir, Friede, will ich auch nicht hinderlich sein. Hast du aber auch den Kopf dazu? Ich habe gehört, wer ein Pfarrer werden will, der müsse sieben Sprachen verstehen! Getraust du dir wohl die zu lernen?

Und wenn es ihrer vierundzwanzig wären, sagte Friede, so wollte ich mich nicht davor fürchten.

Der Vater traute aber dem Landfrieden nicht, sondern ging mit Friede zum Herrn Pfarrer und bat, er möchte ihm doch ein wenig auf den Zahn fühlen und versuchen, ob sein Friede wohl wirklich den Kopf dazu hätte, ein Pfarrer zu werden.

Der Herr Pfarrer ließ Friede eine ganze Woche lang zu sich kommen, sprach mit ihm, ließ ihn in Büchern lesen, hernach kam er zum Vater und sagte: Nachbar Rehbock, euer Sohn hat einen trefflichen Kopf und ungemeine Lust, recht viel zu lernen. Laßt ihn in Gottes Namen studieren.

So blieb Balzer bei dem Ackerbaue und erwarb sich so viel, daß er das Gut in Sandleben pachten konnte, wo er sich sehr gut stand und durch seinen Fleiß und seine gute Haushaltung ein ziemliches Vermögen erwarb. Friede hingegen bezog erst die Schule, hernach die Universität und wurde immer seines unermüdeten Fleißes wegen gelobt. Da er von der Universität zurück kam, starb bald darauf der Herr Pfarrer in Sandleben, und der Herr Magister Friedrich Rehbock wurde an seine Statt zum Pfarrer gewählt. Er verwaltete sein Amt gut, predigte und erklärte die Bibel so, daß ihn alle Nachbarn in Sandleben gern hörten und viele durch sein Predigten klüger, besser und glücklicher wurden.

Das war es aber eigentlich nicht, was ich sagen wollte.

Der Pachter Balzer Rehbock und der Herr Magister Friedrich Rehbock nahmen beide Weiber, und sie wurden beide in den ersten Jahren ihres Ehestandes mit einem gesunden Kinde erfreut. Beide Kinder waren Söhne und wuchsen zur Freude der Eltern heran.

Als beide das zehnte Jahr erreicht hatten, bemühte sich jeder Vater, sein Kind zu dem Berufe anzuführen, bei dem er sich selbst so wohl befunden hatte. Der Pachter Balzer hielt seinen Sohn Gottlieb an, den Garten zu jäten und zu begießen, und der Herr Magister fing an, mit seinem Sohne Polykarpus Gedikens lateinisches Lesebuch durchzugehen. Beide hatten aber an ihren Kindern gar wenig Freude.

Wenn Gottlieb jäten sollte, so blätterte er in einem Buche, und dem Polykarpus wollte das Latein nicht in den Kopf. Er war immer bei den Pferden, und wenn der Knecht auf den Acker zog, mußte dieser ihn gewöhnlich auf dem Pferde reiten lassen.

Darüber betrübten sich beide Väter sehr, und da einmal der alte Rehbock seinen Geburtstag feierte und alle seine Kinder und Enkel dazu hatte einladen lassen, klagten sie ihm ihre Not.

Wenn's weiter keine Not ist, sagte der Alte, so kann der Sache leicht abgeholfen werden. Ich dächte, du, Friede, ließest deinen Sohn bei dem Ackerbau, und du, Balzer, ließest deinen Gottlieb studieren.

Damit waren aber beide nicht zufrieden und glaubten, daß ihr Vater als ein einfältiger Bauer darüber nicht urteilen könne.

Jeder zwang seinen Sohn, sich dem Geschäfte seines Vaters zu widmen. Gottlieb bekam Schläge, wenn er in Büchern gelesen und nicht ordentlich gejätet – und Polykarpus bekam Maulschellen, wenn er sich in Gedikens Lesebuch nicht präpariert hatte.

Beide Väter hatten das Vergnügen, durch diese Behandlungsart ihre Absicht erreicht zu sehen. Gottlieb baute den Acker und Polykarpus studierte. Jener wurde ein Pachter, dieser aber ein Pfarrer. Darüber freuten sich beide Väter gar sehr.

Kurz darauf wurde aber beider Freude in Traurigkeit verwandelt. Wenn die Bestellzeit anging, die Heu- und Getreideernte besorgt werden sollte, so las Gottlieb in Büchern, überließ die Besorgung der Wirtschaft den Knechten und Mägden, die, weil sie ohne Aufsicht waren, ihre Geschäfte sehr nachlässig und liederlich trieben, ihren Herrn übervorteilten und ihn in wenig Jahren dahin brachten, daß ihn die Schuldner vom Hause und Hofe jagten. Herr Magister Polykarpus hingegen stand fast Todesangst aus, so oft er eine Predigt halten mußte. Bei dem Gebete zitterte er am ganzen Leibe, und wenn er den Text verlesen hatte, troff er vor Angstschweiß. Dabei hatte er den kränkenden Verdruß, daß ihn seine Gemeinde nicht gern hörte, sich des Sonntags in benachbarte Dörfer verlief und seine Kirche leer stehen ließ. Einmal kamen Gottlieb und Polykarpus zusammen, wurden bei einem Glase Bier offenherzig, klagten einander ihre Not, und jeder sagte: Ich habe mein Leben so satt, daß ich lieber heute als morgen sterben möchte.


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