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Mittel, die Kinder rachgierig machen

I.

Wenn sie unwillig sind, so gib ihnen allemal etwas, woran sie ihren Unwillen auslassen können.

Wenn der kleine Gustav fiel oder sich stieß, so fing er allemal ein solches Zetergeschrei an, daß das ganze Haus dadurch alarmiert wurde. Seine Eltern sprangen bei, waren ängstlich und suchten ihn zu besänftigen und zwar auf folgende Art. Sie fragten ihn, worauf er gefallen sei ? woran er sich gestoßen habe? Dann holten sie eine Peitsche oder eine Rute herbei, schlugen damit auf die Sache, die, wie er glaubte, ihn beleidigt hatte. Du garstiger Stein, denkst das Gustävchen umzuwerfen! ich will dich lehren artig sein! Du infamer Stuhl! hast du mir nicht einmal das arme Kind vor den Kopf gestoßen? Ich will dich prügeln, daß du daran denken sollst! So sagten sie, gaben alsdann die Peitsche Gustav in die Hand, daß er auch dreinhauen mußte: und so wurde er besänftigt.

Niemals stellte er sich unbändiger an, als wenn ihm die Mutter das Gesicht waschen wollte. Anstatt nun, daß sie seinen Willen hätte brechen und ihm zeigen sollen, wie er selbst durch seinen Leichtsinn sein Gesicht beschmutzt habe, so schob sie die Schuld allemal auf den armen Phylax. Da ist, sagte sie, der infame Hund einmal wieder da gewesen und hat dein Gesicht verunreinigt. Aber wart'! wir wollen es ihm schon anstreichen! Da schielte Gustav immer nach dem Hunde hin. Und kaum war das Handtuch vom Gesichte weg, so ging das Prügeln an, auf den armen Hund los.

So wurde er nach und nach gewöhnt, so oft ihm etwas Widriges begegnete, über das Nächste, was da war, herzufallen und seinen Unwillen auszulassen.

Da nun die Magd am gewöhnlichsten um ihn war, so mußte diese gewöhnlich seine Zorn empfinden. Er schlug nach ihr, kratzte und biß sie. Seine Mutter sah es oft und fand hierin nichts Unschickliches.

Als er einmal die Magd ins Gesicht kratzte und diese dadurch so aufgebracht wurde, daß sie ihn auf die Hände schlug, so entstand darüber ein gewaltiger Lärm. Die Eltern schimpften und schmähten. Was müßt ihr euch wohl einbilden, sagten sie, daß ihr euch an unserm Kinde vergreift? Ihr seht ja, daß es ein kleines Kind ist. Es wird das dicke Bauernfell nicht gleich zerrissen haben.

Und sogleich mußte die Magd das Haus räumen.

So wurde der Gustav gebildet, der, da er größer wurde, einigemal seine alten Eltern geschlagen und sie mit den abscheulichsten Reden gepeinigt hat; der auf jedermann wütend losging, der ihn beleidigt hatte, und der, wenn er an Menschen sich nicht rächen konnte, die Stühle zertrat und die Krüge auf die Erde warf.

II.

Wenn dein Kind von jemand ist beleidigt worden, so stelle ihm die Beleidigung recht groß vor, und laß sie nicht auf ihm sitzen.

Melchior lief einmal nach der Schule auf den Spielplatz und trieb da allerhand Mutwillen. Unter andern belustigte er sich damit, daß er seine Kameraden mit Erdklumpen und Steinen warf und sie dadurch reizte, auch nach ihm zu werfen.

Der Spaß ging ein paar Minuten ganz gut. Sie trafen einander nicht, und wenn auch einer bisweilen getroffen wurde, so ging es doch ohne Schaden ab.

Einmal aber warf der kleine Johann so unglücklich, daß er Melchior vor die Stirn traf und ihm ein Loch schlug. Da entstand ein allgemeines Klagegeschrei. Das Unglück! das Unglück! Melchior hat ein Loch im Kopfe.

Johann besonders war untröstlich. Er umarmte den blutigen Melchior, küßte ihn. Ach du armer Schelm, sagte er; ich habe es nicht gern getan. Ich dachte nicht, daß ich dich treffen würde. Du hast mich auch vor das Knie geworfen. Komm mit an das Wasser, ich will dich waschen. Sag' es nur deinem Vater nicht! hör', Melchior! sag' es um Gotteswillen deinem Vater nicht, daß ich keine Schläge kriege. Willst du? versprich es mir.

Melchior war gerührt. Er sah ein, daß er an seinem Unglücke selbst schuld sei, weil er das unbesonnene Spiel angefangen habe. Ihn dauerte auch der arme Johann, der so sichtbare Beweise seiner Reue von sich gab. Er beteuerte also, daß er den ganzen Vorgang seinem Vater verschweigen wollte.

Unterdessen ließ sich der Vorfall nicht wohl verschweigen. Das Loch war doch da, und Melchior konnte es nicht verbergen. Eine Stunde ging er wohl seinem Vater aus den Augen; da er aber zu Tisch gerufen wurde, mußte er erscheinen, und da fiel denn das Loch dem Vater gleich in die Augen.

Nun! was gibt es denn da? Ich glaube, du hast gar ein Loch im Kopfe? Behüt' uns Gott! über dem Auge? Was hast du einmal vorgehabt?

Ich bin gefallen.

Gefallen? Was wolltest du gefallen sein! Wer weiß, was du vorgehabt hast. Wo bist du gewesen?

Auf dem Spielplatz hinter der Kirche.

Und was waren da für Jungen?

Christian, Gottfried und Jakob.

Sonst keine?

Und – und Johann.

Nun da will ich doch einmal die Jungen fragen, was es gegeben hat. Und wenn ich erfahre, daß du mich belogen hast, da soll es dir gewiß nicht so hingehen. Jetzt gleich ziehe ich mich an und gehe fort.

Ich will es nur sagen – es hat mich einer geworfen.

Wer? wer hat dich geworfen?

Ich denke Johann.

Das ist ja ein abscheulicher Range! So ein Flegel! So zu werfen! Frau, da sieh nur das Unglück! Da hat der Range, der Johann, unsern Melchior geworfen! Sieh nur einmal das Loch! Wenn es einen Finger breit tiefer gekommen wäre, das Auge hätte er ihm aus dem Kopf werfen können. Da hätten wir nun das Unglück, da müßten wir einen Krüppel ernähren. Tot, mausetot hätte er ihn werfen können. Aber wart', wart'! ich will dir schon etwas einschenken! – Und nun nahm er den Melchior und lief mit ihm nach Johanns Hause zu.

Doch gar geschwind lief er nicht. Denn allen, die ihm begegneten, zeigte er Melchiors verwundete Stirn und schrie über die Bosheit Johanns, des verruchten Buben. Da versammelte sich nun ein Trupp Weiber, Männer und Kinder, die alle um Melchior herumtraten, das Loch sehen wollten, in die Hände schlugen und versicherten, daß der Vater die Sache nicht könne stecken lassen. Und so ging der Zug nach Johanns Hause zu.

Melchior wurde unter der Zeit ganz verändert. Er fing nun an einzusehen, daß Johann der abscheulichste Junge sein müsse, und freute sich recht darauf, daß ein solcher Bube, der ihm das Auge hätte auswerfen, oder gar ihn tot machen wollen, recht tüchtig gestraft würde.

Da standen sie nun vor Johanns Hause. Melchiors Vater schlug vor die Tür, daß sie hätte zerspringen mögen. Johanns Vater sah durch das Fenster, und da er den Schwarm Menschen und den Tumult vor seinem Hause sähe, kam er vor Schrecken halbtot und öffnete die Tür.

Aber noch mehr entsetzte er sich, als ihm Melchiors Vater die pöbelhaftesten Grobheiten entgegen rief, ihn einen nichtswürdigen Mann, seine Familie eine Bestienbrut nannte und vom Verklagen und Zuchthause redete.

Johanns Vater mußte notwendig bei einem solchen Betragen die Fassung verlieren. Er redete seinem Sohne das Wort, schimpfte wieder, warf endlich Melchior nebst seinem Vater zum Hause hinaus und schlug die Tür zu.

Den andern Tag untersuchte er die Sache und strafte Johann gebührend ab.

Aber Melchiors Vater hatte es nicht gesehen. Er redete also alle Tage über das Unglück, das Johann hätte anrichten können, und schwur, sich an ihm zu rächen.

Er hielt es auch. Denn als er einmal Johann auf der Straße antraf, prügelte er ihn mit seinem spanischen Rohre so durch, daß er es lange Zeit nicht verwinden konnte.

Und so betrug sich Melchiors Vater immer. Wenn sein Junge einmal von einem andern war geschimpft oder geschlagen worden, so fing er allemal einen entsetzlichen Lärm an. Er schimpfte auf die Jungen, die ihn beleidigt hatten, und auf ihre Eltern, rückte ihnen vor die Tür und zankte sich mit ihnen.

War Melchior in der Schule gestraft worden, so rückte er den Schulkollegen (Lehrern) ins Haus und sagte ihnen die größten Grobheiten. Zuchtmeister möchten sie wohl sein, aber keine Schuldiener; sie wüßten nicht, wieviel es koste, ein Kind groß zu ziehen! – Das waren die gewöhnlichen Komplimente, die sie bekamen.

Melchior wurde bei dieser Art der Erziehung das, was er notwendig werden mußte: ein rachgieriger Junge. Wenn ihn jemand beleidigt hatte, so wurde er hitzig, daß er alles Bewußtsein verlor. Er bedachte nicht, daß er die Beleidigung oft selbst veranlaßt habe, daß es damit so böse nicht gemeint wäre, als er glaubte. Das Ding lasse ich nicht stecken, das soll dir teuer zu stehen kommen! – das waren die gewöhnlichen Drohungen, die er ausstieß, so oft ihm jemand eine Beleidigung zufügte.

In der Tat kann man ihm nicht Schuld geben, daß er jemals etwas habe stecken lassen. Als Knabe, als Jüngling, als Mann hat er alles durchgefochten. Entweder hat er sich mit seiner Zunge oder mit seiner Hand gerächt, oder er hat seine Gegner auf das Rathaus geschleppt und da die Sache mit ihnen ausgemacht.

Jetzt muß er aber doch manches stecken lassen. Sein Vermögen, das ihm sein Vater übrig ließ und das noch durch die Beerbung eines reichen Vetters um ein Ansehnliches vermehrt wurde, ist für Strafgelder und Prozeßkosten aufgegangen. Das Haus ist sogar verkauft, und er muß sehr kümmerlich von den Guttaten leben, die ihm seine Anverwandten gewähren. Da muß er nun freilich oft den beißendsten Spott und die bittersten Vorwürfe hören, ohne daß er weiter etwas tun kann, als die Zähne zusammenbeißen und mit der Faust drohen.


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