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Mittel, die Kinder gegen die Schönheiten der Natur unempfindlich zu machen

I.

Verweise es ihnen, wenn sie die Natur beobachten wollen, und suche sie durch allerlei Versprechungen davon abzubringen.

Der kleine Matthias bekam in der Stadt von der schönen Natur weiter nichts zu sehen als ein Stückchen Himmel, so breit als seine Gasse; denn sein Vater, der ein Handwerksmann war, wohnte in einer engen Straße in einem kleinen Hause, an dem nicht einmal ein Gärtchen war. Wenn ihn dann der Vater einmal mit aufs Feld nahm, da war dies für ihn eine unaussprechliche Freude, weil ihm alles neu war. Da fand er bald eine Blume, bald einen Wurm, bald einen Vogel, die seine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Da hüpfte er dann dem Vater nach und rief: Vater, Vater! sieh einmal da das allerliebste Blümchen! das artige Vögelchen! Aber der Vater antwortete allemal unwillig: Mit deinen Possen da! Hast du denn noch keine Blume, noch keinen Vogel gesehen?

Einmal fand er eine große Raupe, hob sie voll Erstaunen auf und brachte sie dem Vater. Sieh einmal, sagte er, das große Tier, das ich da gefunden habe! Aber der Vater sagte: Pfui, das garstige Ding da! Wirf es hin! tritt es tot! es könnte dich beschmutzen.

Da sich Matthias bei allem, was er sah, aufhielt und es bewunderte, so konnte es nicht anders kommen, als daß er oft zurückblieb und sein Vater warten mußte, bis er herbeikam.

Dies machte nun den Vater verdrießlich. Er verwies ihm diese Verzögerung und sagte oft: Geh doch fort, du heilloser Junge! Wenn du nicht geschwinder gehst – gib Achtung! so mußt du gewiß ein andermal zu Hause bleiben.

Da lief Matthias wieder ein Fleckchen; aber die Begierde, alles, was um ihn war, zu betrachten, war viel zu groß, als daß er sie sogleich hätte überwinden können. Kaum war der Vater wieder etliche Schritte gegangen, so sah er einen Frosch hüpfen oder hörte eine Heuschrecke zwitschern – da stand Matthias wieder still.

Der Vater bekam am Ende das Ding satt, nahm ihn bei der Hand, schleppte ihn mit sich fort; wenn er dessenungeachtet bald da-, bald dorthin sah, so fing er gewöhnlich folgende Erzählung an:

Geh' zu, Matthias! geh zu! Wenn du brav darauf losschreitest, so kommen wir bald nach dem Dorfe dort. Da soll es dir wohl besser gefallen, als auf dem leeren Felde da. Da will ich lassen einen Kaffee machen und Milch und Eier hinein schlagen, daß die Milch kaum fließt.

Und da krieg' ich auch was?

Das versteht sich! Da kriegst du zwei Schalen. Geh nur zu, immer zu, lauf! Da lasse ich ein paar Bratwürste braten und lasse Bier herbeibringen, da soll es dir eine rechte Lust werden. Durch diesen Kunstgriff gelang es ihm endlich, die heftige Begierde des Matthias, die schöne Natur zu bewundern und aus derselben den guten, weisen und mächtigen Schöpfer zu erkennen, gänzlich zu ersticken. In der Folge schritt er brav darauf los, dachte an den Kaffee und ließ Natur Natur sein, zum großen Vergnügen des Vaters.

Jetzt ist er ein Mann, und die Spuren der Erziehung, die er genossen hat, sind noch immer an ihm sichtbar. Er läuft auf seinen Spaziergängen durch Wiesen, Wälder und Saatfelder, ohne da etwas Merkwürdiges zu sehen. Vor ihm fliegt die Lerche auf, bei seinem Eintritte in den Wald begrüßt ihn die Nachtigall – er bemerkt es nicht: denn seine Gedanken sind schon in dem Bierkruge.

Wenn man ihn bei seiner Zurückkunft fragt, was er unterwegs gesehen habe, so weiß er nichts zu sagen, als: es war heute sehr warm; es war ein Mordweg; das Bier war vortrefflich. Es müßte denn sein, daß er Karten gespielt hätte, – dann kann er stundenlang erzählen.

Ein einziges Mal hatte doch die Natur so viel Gewalt über ihn gehabt, daß sie seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der Vollmond ging auf. Da rief er seinem Kameraden zu: Alle Hader! der schöne Mond! Wie er da hängt! wie eine Kuchschüssel!


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