Ludwig Salomon
Die Blüchertrompete
Ludwig Salomon

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Als ich am andern Morgen erwachte, bemerkte ich, daß ein Stück meiner Wunde wieder aufgesprungen war, und daß überhaupt das Fest nachteilig auf meine Gesundheit gewirkt hatte. Beim Morgenkaffee sah man es mir auch an, und der alte Herr fragte mich teilnehmend, was mir fehle.

Valeska empfahl mir, mich still in die Laube im kleinen Schloßgarten zu setzen, wo mich die herrliche, erquickende Morgenluft stärken werde. Wenn ich erlaube, würde es ihr ein Vergnügen sein, mir Gesellschaft zu leisten.

Das gefiel mir schon; es währte daher nicht lange, so saßen wir, sie mir gegenüber, unter dem prächtigen Buchendache und schauten in das friedliche Tal hinab.

Ein leichter Morgenwind zog jedoch durch die Zweige; sie stieg daher noch einmal hinauf und brachte mir ein wollenes Tuch herab. Ernsthaft breitete sie es mir über die kranke Schulter, ihre Hände streiften mich leise dabei, und wie nach einem elektrischen Funken ging mir ein heißer Glutstrom durch alle Glieder.

Unsere Unterhaltung war bald gefunden. Ich begann, ihr von unserer Schule, von unserem alten Rektor zu erzählen, sprach dann von meinen Zukunftsplänen, daß ich die alten Sprachen und auch etwas Philosophie studieren wollte, wenn der Krieg vorüber sei, um dann auch Lehrer an einem Gymnasium, ja vielleicht gar Professor an einer Universität zu werden. So kam ich aus mein Lieblingsstudium, meinen begeistert verehrten Homer – und bald saßen wir mitten im trojanischen Kriege.

Sie schaute mich mit ihren großen braunen Augen aufmerksam an, ihr Atem stockte beklommen, wenn eine gefahrvolle Szene sich entwickelte, sie atmete tief auf, ihre Angst selbst leicht belächelnd, wenn die Helden glücklich dem Verderben entronnen waren – und sie suchte vergeblich die Rührung zu verbergen, die sie erfüllte, wenn der unerbitterliche Tod einen kühnen Kämpfer hinab in die Unterwelt geschleudert hatte.

So flogen die Morgenstunden rasch dahin, der Mittag führte uns mit Herrn von Kaminski zusammen, der stets am Vormittage, wie mir Valeska sagte, Korrespondenzen erledige, und am Nachmittage wanderten wir hinaus in die schöne Umgebung, begleitet vom alten wegekundigen Melchior.

Zuerst besuchten wir die Bienen und lachten dabei über meine eilige Reise, dann ging's in den Wald durch romantische Schluchten, in denen ich helle Lieder auf meiner Trompete blies, daß es weit durch den Wald schallte, bis wir auf einer traulichen Waldwiese Halt machten und die müden Glieder in das duftige Gras steckten. Ein vorsorglich mitgenommenes Vesperbrot mitsamt der wohligen Ruhe stärkte uns dann wieder, so daß wir im Abendsonnenschein wohlbehalten im Schlosse eintrafen.

An den folgenden Tagen wiederholte sich die Lebensweise, ich kam mittlerweile mit meinen Erzählungen zu den Irrfahrten des Odysseus. Von diesen ging ich zu den neuen deutschen Dichtern über, zuerst zu dem geliebten Schiller, seiner Jungfrau, seiner Maria Stuart, seinem Tell.

Als ich beim Tell die Vaterlandsliebe schilderte und mit gehobener Stimme rief:

»An's Vaterland, an's teure, schließ' dich an,
Das halte fest mit deinem ganzen Herzen,
Hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft!«

da loderte die Begeisterung zu hellen Flammen in Valeska auf, ihre Augen strahlten in magischem Glanze, ihr Busen erhob sich in fieberhafter Erregung.

»Ja wohl,« rief sie, »das ist die starke Wurzel deiner Kraft. In der Vaterlandsliebe wird auch das zerfleischte Polen, mein teures Vaterland, seine Stärke wieder finden, durch sie wird es erstehen zu alter Pracht!«

Erstaunt schaute ich auf das erregte Mädchen.

»Das glaube ich nicht,« versetzte ich, »denn zu diesen Hoffnungen haben die Taten der heutigen Polen nicht berechtigt. Sie haben sich einem Abenteurer, der Ausgeburt der schrecklichsten Revolution, in die Arme geworfen, einem Eroberer, der ebenso schnell, wie er emporgestiegen, versinken wird, versinken muß!«

Ich hatte diese Worte mit all dem glühenden Hasse gegen Napoleon hervorgestoßen und sah jetzt betroffen, wie sehr Valeska darüber erschrocken war. Sie ward bleich; starr blickte sie mich an, und mit bebender Stimme rief sie:

»Und sollte selbst dann, wenn der Kaiser fiele, das arme Polen für ewig zertreten sein?«

Ihre Lippen bebten, ihre Augen umschleierten sich, sie brach in Tränen aus.

Mir tat diese Trauer über das Elend des Vaterlandes unendlich weh. Ich suchte sie zu trösten. Ich bemühte mich, ihr zu beweisen, wie man sich nicht wohl anders einem Volke gegenüber benehmen könne, das seit hundert Jahren den Weltfrieden gestört habe und das sich jetzt mit den schlimmsten Feinden Deutschlands verbinde.

Allein sie nahm schluchzend ihre Stickarbeit und ging zum Schlosse hinauf.

Ich blieb sitzen und verlor mich in Gedanken. Es lag alles kraus, wirr und bunt vor mir; ich wußte nicht, was ich tun und was ich lassen sollte.

Lange mochte ich so gesessen haben, als ich es vom Schloßturme zwölf schlagen hörte. Das war die Zeit zum Mittagessen. Ich stand daher auf und stieg hinauf. Als ich in den Schloßhof trat, sprengte eben laut klappend ein Reiter davon. Verwundert blickte ich dem unerwarteten Fremdling nach, der nur den Herrn von Kaminski besucht haben konnte.

Gleich darauf war es wieder öde und still auf dem kleinen Hofe; nur der alte Melchior saß auf seiner Bank vor der Türe, blickte zur Erde und blies dicke Rauchwolken aus seiner Pfeife vor sich hin. Er sah so mürrisch und übellaunig aus, daß ich hinzutrat und ihn fragte, ob ihm etwas Unangenehmes zugestoßen sei.

»Grillen hab' ich,« versetzte er, »Grillen, die sich so ein alter Graukopf wie ich gar nicht mehr aufhängen lassen sollte. Was kann's mich am Ende scheren!«

»Und was schafft Euch die Grillen?« fragte ich teilnehmend weiter.

»Ja, das ist es. Da macht man sich seine dummen Gedanken, und es geht einen gar nichts an. – Aber so ist's nun einmal. Ich dachte eben – es ist doch mit dem Menschen gerade so, wie mit den Peifenköpfen. Das schöne Bildchen auswendig tut's beileibe nicht. Auf's Anrauchen kommt's an, wie sich so ein Kopf dann im Leben macht, wenn er zeigen soll, warum er da ist. Und dann muß so ein Kopf einen reputierlichen Stiefel haben – gerade wie der Mensch, dem's auch nichts hilft, daß er rechtschaffen und brav ist, wenn er unten in der Schmiere sitzt, keine Luft hat und sich nicht 'rausrappelt. Und nun erst der Tabak, was die Gedanken bei dem Menschen sind.«

Bei diesen Worten trat die alte Dienerin auf den Hof, um auszuschauen, warum ich nicht zu Tisch käme. Ich mußte daher die mir bis jetzt unverständliche Unterhaltung abbrechen.

Ich schritt in das Speisezimmer und traf den Herrn von Kaminski mit seiner Tochter in lebhaftem Gespräche in einer Fensternische stehen; man brach jedoch sofort ab, als ich eintrat.

Der alte Herr wandte sich in der ihm eigenen eleganten, freundlichen Weise an mich und erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden, während mich Valeska aus der Nische mit glänzenden Augen fröhlich anblickte. Die ganze Betrübnis des Vormittags war aus ihrem rosigen Gesichte verschwunden.

Am Nachmittag machten wir wieder einen Spaziergang durch den Wald.

»Sie haben mir recht wehe getan heute morgen,« sagte unterwegs Valeska zu mir, »aber es ist glücklicherweise weit besser.«

»Was ist besser?« fragte ich schnell. »Nun werde ich Sie bestrafen und Ihnen nichts erzählen,« lachte sie.

Ich bat sie eindringlich, es stiegen bange Sorgen in mir über etwaige Siege Napoleons auf, allein sie schäkerte lustig um mich herum, sie spielte fast übermütig mit mir, daß es mich hätte verdrießen können, hätte sie nicht so reizend dabei ausgesehen und sich nicht mit unnachahmlicher Anmut dabei benommen. –

In solcher Weise gingen die Tage hin; meine Wunde heilte sichtlich, und schon trug ich mich mit Abschiedsplänen. Aber wenn ich dann an das Scheiden aus diesem friedlichen Tale dachte, so zog mir eine sonderbare Wehmut durch meine Seele, in tieferen, volleren Schlägen quoll mir das Blut aus dem Herzen, und ich konnte dann stundenlang sitzen und Gedanken nachhängen, die mir bisher ganz fremd gewesen waren. Bisweilen hätte ich aufspringen und davon, in die Welt hinaus laufen und alle Gedanken und Bilder verbannen mögen, die mich an das Schloß und seine Zauberin fesselten – und dann wieder hätte ich wünschen mögen, daß für immer wie eine Insel mitten im Ozean dies Tal unberührt von dem Treiben der Welt in stillem Frieden blühe und daß ich leben könnte mit ihr so sanft und glücklich, wie Paul und Virginie. War ich aber bei diesen Gedanken angelangt, so klangen mir plötzlich Fanfaren und Schlachtenlärm im Ohr. »Blase sie stets zu Deutschlands Ehre!« hörte ich rufen; stahlblaue Augen sah ich aufblitzen – ich mußte mich aufrichten, mir über die Stirn streichen und mich gewaltsam aus meinen Träumereien reißen.

An einem Vormittage umspannen mich abermals solche verlockende Phantasiebilder. Valeska hatte mir anfangs Gesellschaft geleistet; ich hatte ihren schlanken, geschickten Fingern zugeschaut, die einer gefälligen Häkelarbeit ein Muster nach dem anderen zugefügt, hatte zu ihrer großen Belustigung die Miene eines Kenners angenommen und über die Gruppierung der Blumen im Häkelmuster wie über die Säulenordnung in der antiken Baukunst gesprochen – da plötzlich hatte sie ihr Vater gerufen; sie war hurtig wie ein Reh davongesprungen – und nun saß ich allein.

Ich blickte in das Tal hinab; da sah ich Valeska mit ihrem Vater den Weg zum Dorfe hinuntergehen. Bald bogen sie aber in einen Seitenweg und entschwanden mir.

Die wunderlichsten Gedanken tauchten wieder in mir auf; unwillkürlich schloß ich die Augen. Mir war, als hielte ich ihre zarte weiße Hand in der meinen und als schaue ich in ihre munteren braunen Augen; sonnige Zukunftsbilder bauten sich vor mir auf – als mir auf einmal wieder der Lärm des Krieges in den Ohren gellte.

Wie steht es um die Sache des Vaterlands? rief es lauter denn je in mir. Aus den Breslauer Tagen tönte mir plötzlich herüber:

»Das Volk steht auf, der Sturm bricht los,
Wer legt noch die Hände feig in den Schoß?
Pfui über dich Buben hinter dem Ofen,
Unter den Schranzen und unter den Zofen!

Bist doch ein ehrlos erbärmlicher Wicht,
Ein deutsches Mädchen – –«

Ich fuhr auf und blickte erschrocken um mich. Mußte ich mir den Vorwurf machen, untätig in weichlichem Wohlleben hier zu liegen? Bisher nicht, jetzt aber war ich wieder hergestellt, was zauderte ich noch!

Ich stieg zum Schlosse hinauf. Im Schloßhofe auf seiner Bank neben dem Turm saß wieder der alte Melchior, fest die Augenbrauen zusammengezogen. Er hatte eines der alten Gewehre, die in seinem Zimmer hingen, auf seinen Knieen liegen und war damit beschäftigt, die halb verrosteten Schrauben aufzudrehen.

Ich hatte mir vorgenommen, ihm gleich mein Vorhaben mitzuteilen, endlich wieder zur preußischen Armee aufzubrechen, als ich ihn aber so mürrisch sitzen sah, vermochte ich meinen Vorsatz nicht über die Lippen zu bringen.

Ich setzte mich zu ihm und fragte ihn, was er tun wolle. Er blies, wie das so seine Art war, wenn er über etwas sprechen wollte, was ihm am Herzen lag, aus seiner kurzen Pfeife eine dicke Rauchwolke langsam vor sich hin, dann blickte er mich an und sagte:

»Und wenn ich auch mit ihm zusammen gerate, das kann ich nicht länger mehr mit ansehen. Und daß Sie so still dabei bleiben können, das – das tut mir sehr leid!«

»Aber um Gottes willen, was meint Ihr, lieber Melchior?« rief ich verwundert.

»Wie Sie herkamen, da dachte ich – – aber da sind Sie nun selber so in den Trödel mit hineingekommen –«

»Aber, bester Melchior!« brach es aus mir hervor.

»Nun ja,« rief er und warf erregt den Schraubenzieher auf die Bank, »die Polenwirtschaft darf nicht mehr so fortgehen!«

Mir schoß das Blut ins Gesicht; das Herz klopfte mir ungestüm, ich fühlte mich schuldig und vermochte nicht zu antworten.

»Ganz Preußen hat sich aufgemacht,« fuhr der Alte heftig fort, »um den vermaledeiten Franzosen hinauszujagen, Österreich darf sich nicht länger besinnen, mitzugehen, und nun setzt sich dieses polnische Gesindel hierher, geht mit dem Korsen Hand in Hand und untergräbt uns den Boden!«

»Was?« rief ich bestürzt und sprang auf.

Melchior schaute mich erstaunt an.

»Ist Ihnen denn das geheimnisvolle Treiben hier fremd geblieben?« fragte er.

Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Meine Blicke hatten bisher immer nur an Valeska gehangen, meine Gedanken waren immer nur bei ihr gewesen, so daß ich auf die verschiedenen Kuriere, die gekommen und verschwunden waren, nicht achtgegeben hatte. Jetzt traten mir auch verschiedene Unterhaltungen mit Valeska wieder vor die Seele und erschienen in ganz anderen Lichte.

Der alte Melchior kam meiner Frage nach Aufklärung zuvor. Er erzählte mir, bei seinem letzten Aufenthalte in Prag habe ihm ein alter Gesinnungsgenosse mitgeteilt, daß die Polen, gestützt auf die glänzenden Vorspiegelungen Napoleons, mit allen Kräften dahin arbeiten, das Bündnis Preußens mit Österreich zu gemeinsamer Bekämpfung der Ländergeißel zu verhindern. Die österreichischen Diplomaten, besonders Metternich mit seinem leichtfertigen, gewissenlosen Genz, seien leider den polnischen Einflüsterungen und dem polnischen Golde nicht abgeneigt. Der brave Freiherr vom Stein, der sich jetzt auch in Prag aufhalte, solle vergeblich mit allen Kräften dagegen arbeiten. »Wie ich heute von einem Bauern, der gestern in Prag war, erfahren habe,« schloß der alte Mann, »so ist jetzt selbst Scharnhorst, trotz seiner bei Großgörschen erhaltenen Wunde, nach Wien gereist, um eine Vereinigung, die uns allein nur retten kann, zustande zu bringen. Das scheinen aber die Polen zu wissen, und wenn ich nicht ganz blöde mit meinen alten Augen sehe, so ist jetzt eine ganz besondere Verschwörung im Werke, unsere Wünsche zu vereiteln. Und ich irre mich gewiß nicht – hier in unserem alten, stillen Schlosse laufen die Hauptfäden der bösen Schlingen, die unsere Hoffnungen erwürgen sollen, zusammen!«

Tief erregt war der Alte bei den letzten Worten aufgestanden.

Mir war eiskalt und dann wieder siedend heiß geworden. Zitternd ergriff ich die Hand des Braven.

»Beim ewigen Gott,« rief ich, »Ihr sollt mich nicht vergeblich an meine Pflichten gemahnt haben. Kann ich auch nur meinen Arm dem Vaterlande bieten, dem Himmel sei Dank, er ist wieder stark genug – morgen in aller Frühe werde ich wieder nach meinem –«

In demselben Augenblicke trabte ein Reiter in den Schloßhof.

»Schon wieder so einer von den nichtswürdigen Kurieren,« brummte Melchior.

Der Reiter sprang vom Pferde und fragte nach kurzem Gruße, ob der Herr von Kaminski zu Hause sei?

»Der Herr macht einen Spaziergang,« versetzte Melchior.

»Wird er bald zurückkommen?« erkundigte sich der Fremde weiter.

»Das weiß ich nicht,« gab Melchior kurz zur Antwort.

»Das paßt mir schlecht,« fuhr der Reiter mißgestimmt fort. »Könnte ich jetzt nach kurzem Füttern wieder kehrtmachen, dann wäre ich am Abend wieder zu Hause; wenn ich aber hier erst noch viel Zeit verpasse, muß ich unterwegs übernachten und dann geht mir von dem geringen Verdienste, bei dem nicht einmal ein Trinkgeld zu besehen ist, wieder die Hälfte für die Zeche verloren. – Ach was,« setzte er lauter hinzu, »der alte Knicker in Prag hat mirs zwar an die zehn Mal gesagt, ich solle den Brief nur in die Hände des Herrn von Kaminski abgeben – aber ich habe die Reiterei hieher überhaupt satt. Hier ist das Gott weiß wie wichtige Schreiben, 's wird wohl auch nicht umkommen, wenn Ihrs aufhebt und dann abgebt.«

Dabei zog er einen dicken großen Brief aus der Brusttasche und gab ihn Melchior, der ihn schweigend in Empfang nahm.

»Habt Ihr noch etwas Tabak übrig?« fragte er dann noch, »ich habe unterwegs meinen Beutel verloren – und hier in dem ruppigen Neste kann man nicht einmal für Geld, vielleicht aber für gute Worte, welchen bekommen.«

Melchior holte seinen Tabakskasten, der Kurier schüttete sich eine hübsche Menge in seine Manteltasche, bedankte sich, sprang auf seinen Gaul und sprengte mit flüchtigem Gruße wieder zum Tore hinaus.

Der Alte trug seinen Tabakskasten schweigend in sein Stübchen zurück. Ich folgte ihm. Er setzte den Kasten auf seinen alten Platz auf dem Eckschrank, dann warf er den dicken Brief mit nicht länger mehr verhaltenem Grimm auf den Tisch.

»Da, nun soll ich sogar noch meine Hände besudeln! Wie eine giftgeschwollene Kröte kommt er mir vor.«

»Was er enthalten mag, da er so wichtig sein soll?« fragte ich bang. »Böses Blut, List, Bestechung, Meuterei, Empörung!« rief der Alte immer heftiger.

Mir ward es siedend heiß.

»Mein Gott, welch ein Unheil muß daraus entstehen!« brach es aus mir hervor. »Und das sollen wir befördern, unterstützen?«

Die Augen des alten Melchior blitzten zu mir auf, dann schauten wir einige Augenblicke stumm auf den mit zwei großen Siegeln fest verschlossenen Brief.

»Müssen wir das?« unterbrach endlich Melchior die Stille.

»Wir müssen es nicht, wir dürfen es nicht!« rief ich jetzt und ergriff den Brief. Als ich ihn aber in den Händen hielt, überlief es mich eiskalt; der Atem stockte mir, meine Gedanken verwirrten sich; ich ließ den Brief wieder auf den Tisch gleiten. »Valeska!« rief es in mir. Ich mußte einige Minuten die Augen schließen, und da trat mir ein Mädchenbild vor die Seele, so schön, so begehrenswert und so unerreichbar, wenn –. Ich schauderte zusammen und blickte wieder zu Melchior auf. Straffe, finstere Falten hatten sich in das greise Gesicht gelegt.

»Freilich, ein ganzer Kerl muß man sein, und durch Weiber darf man sich die Sinne auch nicht berücken lassen, wenn man so ein gefährliches Netz zerhauen will,« sagte er bitter.

Das Blut schoß mir wieder in den Kopf, ungestüm klopfte mir das Herz.

»Ja wohl,« rief ich, »und bei Gott, ich will es sein. Was ist unschuldig, heilig, menschlich gut, wenn es der Kampf nicht ist ums Vaterland!«

Bei diesen Worten ergriff ich den Brief und riß das Kuvert auseinander, daß die roten Siegellackstücke weit umher auf die Erde sprangen.

Eine Menge Papiere fielen auf den Tisch, Listen mit vielen Namen und Zahlen und dann auch ein Brief an den Herrn von Kaminski.

Mit beklommenem Herzen lasen wir:

»Ihr Plan hat sich vorzüglich bewährt, Scharnhorst ist glücklich von Wien fern gehalten worden und hat unverrichteter Sache wieder umkehren müssen. Er wäre auch sicherlich sehr gefährlich geworden und hätte ein Bündnis zwischen Österreich und Preußen zustande gebracht, hätten wir die Wiener, besonders den Alles vermögenden Genz, nicht rechtzeitig mit klingender Münze bearbeiten können. Jetzt ist Scharnhorst auf der Rückreise begriffen und soll auf der Straße von Iglau nach Prag liegen geblieben sein. – Der Ärger sei ihm, so berichtet man uns, in seine noch nicht geheilte Wunde gefahren. Es wäre ein Glück für unsere Sache, wenn der Kerl, der uns so sehr im Wege ist, mit Tod abginge.«

»Donnerwetter!« unterbrach hier der alte Melchior, »aber weiter, weiter!«

»Doch er lebt noch,« fuhr ich zu lesen fort, »und darum soll eiligst unser alter Plan ausgeführt werden, der uns für immer retten wird. Napoleon hat sich endlich verpflichtet, uns das Königreich Polen wieder herzustellen, wenn wir das Bündnis Österreichs mit Preußen und Rußland, das Wilhelm von Humboldt, Hardenberg und Stein jetzt zusammenleimen wollen, verhindern. Napoleon beabsichtigt dann, Preußen vollständig zu zertrümmern und darauf Österreich matt zu legen. Es ist nun ein rasches Handeln nötig, denn bereits befindet sich der Kaiser von Österreich mit Metternich in Gitschin, um in Ratiborzitz, einem Schlosse der Herzogin von Sagan, wo Genz sich augenblicklich aufhält, mit dem Könige von Preußen zusammen zu treffen. Genz ist der allmächtige Mann, der Beherrscher Metternichs – und ein Feind Preußens. Ihn müssen wir für unseren Plan gewinnen: und das ist schon halb gelungen. Er fordert viel, er ist durch England verwöhnt, aber wir werden die Summe aufbringen. Senden Sie eiligst den Rest der Kasse und schreiben Sie schnell eine neue Sammlung aus, die Listen der Parteigenossen liegen bei. Das Weitere in nächster Zeit. In Eile

Ihr
Lubinski.«


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