Ludwig Salomon
Die Blüchertrompete
Ludwig Salomon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Sonne schien mir bereits hell in's Zimmer, als ich neu gekräftigt wieder erwachte.

Es war alles still um mich. Im hellen Tageslichte machte das Stübchen nun doch einen etwas freundlicheren Eindruck, als am Abend vorher bei der mangelhaften Beleuchtung.

Der Sonnenschein lockte mich hinaus und ich trat vor die Türe. Ein angenehmes Bild bot sich mir dar. Vor dem Häuschen dehnte sich ein kleiner frischgrüner, von Gebüsch umstellter Platz aus, über den man sich nicht recht entscheiden konnte, ob er ein Garten oder eine Wiese sein sollte, denn mitten im Grase standen regellos große Büschel Thymian, hie und da erhoben sich in strauchartiger Üppigkeit Sonnenblumen mit ihren tellerförmigen gelben Blüten, Hopfen schlängelte sich an den Stangen empor und hing seine vollen Traubenblüten in den Sonnenschein, selbst eine hochaufgeschossene Salweide, eine Salix caprea, die ich hier zu allerletzt gesucht hätte, senkte behaglich ihre strotzenden, dunkelgrünen Zweige zum Rasen hinab. Über dem ganzen Platze aber summte und surrte es in lebendigster Geschäftigkeit, eine Unmenge von Bienen tummelte sich über den Blumen und flog hin und wieder in rastloser Arbeit. Dazwischen brummte bisweilen eine schwerfällige Hummel, dann wiegte sich ein gelber Zitronenvogel bald auf dieser, bald auf jener Blüte, selbst ein samtschwarzer Trauermantel schwebte wohlig in dem herrlichen Morgensonnenscheine.

Ich machte nun einige Schritte in den Platz hinein und wandte mich dann um, mein gastliches Haus zu betrachten.

Da sah ich auf einen wunderlichen kleinen Bau. Man hatte nur die erste Stufe der Baukunst erstiegen und ein Blockhaus errichtet, wie ich es früher in den Cooperschen Romanen geschildert gefunden, nur daß hier das mit Schindeln gedeckte Dach fast ganz mit Hauswurz überwachsen war. An der rechten Giebelseite stieß das Häuschen an eine mächtige Eiche, die den ganzen kleinen Bau überschattete. An der linken Seite breitete sich, soweit es die Herrschaft der Eiche zuließ, eine Linde aus. An diesem Giebel trat auch noch ein erkerartig herausgebauter Taubenschlag hervor, der jedoch geschlossen war. Die Holzwände des Hauses waren fast ganz mit grauem Moos bewachsen; nur unmittelbar über der Bank an der Tür, wo ich den Alten zuerst erblickte, zeigte sich das braune, auch hier noch besonders geglättete Holz, ein Zeichen, daß die Bank und die Rückenlehne viel benutzt wurden. Über der Türe des Hauses, zu meiner Verwunderung las ich es, stand, halb von Moos überwachsen, der Spruch des römischen Dichters Quinctilian: »Sceleri nunquam defuit ratio« – dem Verbrechen fehlte nie ein Grund.

Noch war ich mit meinen Betrachtungen nicht ganz zu Ende, als der Alte, mit seiner kurzen Pfeife im Munde, seitwärts vom Hause in schwarzem Flausrock dahergeschritten kam. Er wünschte mir einen guten Morgen, blieb jedoch auf halbem Wege einen Augenblick stehen, runzelte die Stirn, bückte sich und zog einige Stengel Kamillen aus, die ihre Blüten über Nacht entfaltet haben mochten, verschwand wieder einige Augenblicke im Gebüsch und trat dann abermals hervor, zu mir heran.

»Der Henker weiß, wo alle die vermaledeiten Nieswurz, Wermut, Kamillen, Wolfsmilch und wie das Gelichter alles heißen mag, herkommen,« sagte er mit komischem Ernst. »Jeden Sommer rode ich das Unkraut aus, und immer kommt es wieder.«

»Sind das nicht Ihre Lieblingsblumen?« fragte ich.

Ein eigentümlicher freundlicher Zug drolliger Verlegenheit ging über sein braunes, runzeliges Gesicht.

»Die Bienen mögen das Zeug nicht riechen,« versetzte er.

»Besitzen Sie einen Bienenzaun?« fragte ich.

»Die Bienenzucht ist seit fünfzig Jahren meine Beschäftigung,« versetzte er. »Wenn es Ihnen Spaß macht, dann schauen Sie sich meinen Bienenzaun an.«

Mit Freuden ergriff ich die günstige Gelegenheit, dieses interessante Insektenleben näher kennen zu lernen. Wir schritten daher an der Eiche vorüber und befanden uns nun abermals auf dem kleinen, von Gebüsch umgebenen Platze, auf dessen einer Seite eine lange nach Südosten gekehrte Hütte sich hinstreckte, in welcher in zwei Reihen über sechzig Bienenstöcke standen, umsummt von einer Unzahl lustiger Honigsammler.

Verwundert blieb ich stehen. Das etwas düstere Gesicht des Alten nahm freundlichere Falten an; mit sichtlichem Wohlgefallen ruhte das blaue Auge auf mir.

»Dies Volk zu regieren und im Stande zu erhalten,« begann er dann, »beschäftigt mich das ganze Jahr und läßt mich den Jammer der Zeit vergessen.«

Wir traten darauf durch eine schmale Giebeltüre in die Hütte. Der bisher ziemlich wortkarge Alte ward jetzt gesprächiger. Wenn ich mich damals auch nur vorzugsweise mit den Dipteren beschäftigte, so waren mir doch auch Beobachtungen über Hymenopteren, wie sie sich mir hier boten, von außerordentlichem Interesse. Der Alte fühlte das bald mit sichtlicher Freude heraus. Mit außerordentlicher Genauigkeit und in den bestimmtesten fachmännischen Ausdrücken wußte er mir eine reiche Fülle von Eigentümlichkeiten aus dem Leben und Treiben der Bienen zu erzählen. Selbst als wir dann wieder im Zimmer saßen, wo ich meine Morgensuppe verzehrte, genoß ich seine mich ungemein fesselnde, klare Unterhaltung.

Nach dem Morgenimbiß kam nun mein weiteres Schicksal in Frage. Ich äußerte, daß ich wohl noch Lust hätte, einen kleinen Streifzug in die Heide zu unternehmen, und darauf bot mir der Alte seine Gastfreundschaft in treuherziger Weise auch für noch weitere Tage an.

Was konnte mir erwünschter sein? Das Haus des Alten lag auf einer kleinen Oase mit einem Quell, an welchem sich Bäume und Kräuter erquickten. Wenige hundert Schritte nur war das Wäldchen breit. Überall, wo man aus den kühlen Schatten in die heiße, zitternde Luft hinaustrat, sah man ringsum über die bald gelb, bald lila, bald grün schimmernde, endlos sich hinstreckende Heidelandschaft.

Ich machte mich denn auch unverzüglich auf, mit etwas Brot, Rauchfleisch und klarem Quellwasser in der Feldflasche – und war bald wieder in der lustigsten Gesellschaft der prächtigsten Käfer.

Der Tag verging mir sehr schnell, und bei der sinkenden Sonne fand ich mich wieder bei meinem Alten ein, etwas erschöpft von dem steten Niederknieen und der Hitze, doch sonst wohlbehalten und froher Laune ob meiner reichen Jagdbeute.

Diese Art und Weise, meinen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgehen zu können, ohne vorher erst weite Märsche machen zu müssen, war bei der Fülle des Stoffes, den ich jederzeit fand, für mich so verlockend, daß ich den Alten bat, er möchte mich noch mehrere Tage dulden.

Er ging bereitwillig darauf ein.

»Lassen Sie es sich mit Ihrem Käferkram hier so lange gefallen, wie Sie Lust haben,« sagte er. »Sollten Sie mich einmal grillig sehen, so mögen Sie nur wissen, das geht Sie nichts an – ich habe so manchmal meine dummen Gedanken.«

So geschah es, daß ich eine ganze Woche lang am frühen Morgen auszog und beutebeladen am Abend wieder heimkehrte. Nach genossener Abendmahlzeit aber setzten wir uns beide auf die Bank vor dem Hause, der Alte nahm sein Waldhorn zur Hand und ich hörte wohlgemut, wie die bunte Reihe der Melodien in die Abenddämmerung, in die tiefen Schatten der Bäume hineinschallte. Besonders Studentenlieder, wie ich sie selbst ehedem so oft aus voller Brust jubelnd gesungen, blies der wunderliche Musikant mit Vorliebe. Zur Abwechselung erzählte er mir dann von seinem Bienenstaate, von den heißen Schlachten, die sich die Drohnen, die männlichen Bienen, bisweilen liefern, von den faulen Kuckucksbienen, die ihre Eier in die Zellen anderer Bienen legen, von weiselloser, von schrecklicher Zeit, von verhängnisvollen Schwärmen, von erstochenen Königinnen und anderen Leiden und Freuden eines Bienenvaters.

Der Alte fühlte sehr bald heraus, daß er in mir einen sehr dankbaren und aufmerksamen Zuhörer besaß, seine anfangs etwas sonderbaren, fast rauhen Umgangsformen schwanden daher nach und nach und machten einem freundschaftlicheren Verhältnisse Platz.

Als ich am letzten Abende neben dem Alten saß, wurde es mir sogar wehmütig ums Herz, daß ich ihn am anderen Morgen für immer verlassen sollte. Auch ihn schien die Scheidestunde zu beschäftigen; er sprach weniger, blies dafür alle die alten prächtigen Lieder, die ich immer mit Vorliebe angehört, um deren Wiederholung ich auch wohl gebeten hatte. Von den träumerischen Volksliedern kam er auf die frischen Studentenlieder und von diesen – zu meiner Verwunderung zum ersten Male – auf die Körnerschen Schlachtengesänge. »Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd!« schmetterte er hell in den dunklen Wald hinein.

»Das ist Lützows wilde, verwegene Jagd!« gab das Echo leise wieder.

Als das herrliche Lied verhallt war, hielt er einige Augenblicke inne.

»Eine große, eine herrliche Zeit,« sagte ich unwillkürlich.

Bei diesen Worten setzte der Alte sein Horn aufs Knie und schwieg. Fester zog er die Augenbrauen zusammen und sah starr vor sich hin. Wie mit einem Schlage war er wieder ganz der finstere, wortkarge Mann geworden, als den ich ihn am Abende meiner Ankunft getroffen hatte. Beklommen schaute ich die runzeligen Züge an, auf denen sich eben noch milde Güte gespiegelt und in denen nun die herbe Bitterkeit eines offenbar leidenden Gemütes ausgeprägt lag.

»Habe ich Sie beleidigt,« fragte ich besorgt, »daß ich von einer Zeit zu reden begann, auf die man mit Freuden und Stolz zu blicken gewohnt ist?«

»Ja wahrhaftig!« rief er da unmutig, »mit Stolz, aber nicht mit Freude, sondern mit tiefem Herzeleid. Ja, wie ein Wurm habe ich mich gekrümmt im Staube über dieses Herzeleid. Ein ganzes Menschengeschlecht ist mittlerweile ins Grab gestiegen; ich bin alt und grau geworden – aber verwunden habe ich es nicht bis auf den heutigen Tag!«

Er hatte diese Worte mit einer Leidenschaftlichkeit herausgestoßen, die mich erbeben machte. Erschrocken ergriff ich seine Hand.

Die rätselhafte Aufwallung ging vorüber und bald blickten die großen blauen Augen wieder mild in die Dämmerung.

»Ja, ja,« hob er nach einer Pause mit einem schmerzlichen Lächeln an, »das jetzige Geschlecht fühlt die Fesseln nicht so, weil es in ihnen geboren wird; wir Alten dagegen, die wir eine glorreiche Zukunft erträumten und die wir sehen mußten, wie unsere heiligsten Hoffnungen zertrümmert wurden, die wir die Knöchel uns blutig rieben, um die Ketten abzustreifen – wir können nur schlafen, wenn uns das stete Klirren nicht zur Verzweiflung bringen soll. Und ich schlafe, schlafe bereits seit vielen Jahrzehnten.«

»Und sind Sie aus Gram über Deutschlands traurige Zeiten nach den Befreiungskriegen, wo alle Hoffnungen begraben werden mußten, in die Heide geflüchtet,« rief ich aus, »o, so können Sie jetzt« –

»Nicht weiter,« fiel er mir da ins Wort, »ich will nichts hören von der Gegenwart. Ich steckte einmal den grauen, dummen Kopf mit den alten Gedanken wieder in die Welt hinein – und der Marder würgte mir unterdessen alle meine Tauben.«

Er sagte dies mit einer Bitterkeit, die mir jede Antwort abschnitt.

»Und seit dieser Zeit,« setzte er nach kurzem Schweigen hinzu, »ist es aus. Kein Mensch soll mir mehr Kunde geben, was da draußen Erbärmliches vor sich geht.«

Mit zitternder Hand fuhr er sich über die Stirn und strich sich das weiße Haar zurück.

»Sie scheinen, wie ich aus Ihren verschiedenen Reden gemerkt habe, eben solch ein Schwarmgeist zu sein,« fuhr er in seinem alten treuherzigen Tone fort und ergriff meine Hand. »Ich habe Sie in den acht Tagen, die wir mitsammen verlebten, schätzen und lieben gelernt; die nahe Abschiedsstunde stimmt mein altes Herz fast wehmütig, daß ich Sie nun wieder aus meiner Wildnis hineinziehen lassen soll in die Welt, die Sie noch so bitter für Ihre Illusionen strafen wird. Darum sei's, daß auch die alten Geschichten noch einen letzten Nutzen haben; ich will sie Ihnen noch berichten, ehe sich der alte Kopf zum ewigen Schlafe niederlegt.«

Ich bat ihn dringend, sein Versprechen zu erfüllen, und er versetzte: »Wohlan! Mögen Sie aus der Geschichte eines alten Trompeters von Anno Dreizehn lernen, daß ein ehrlicher deutscher Mann heutzutage mit blutendem Herzen alle Hoffnungen für das deutsche Reich begraben muß.

Mitten im Lärm der Napoleonischen Kriege bin ich aufgewachsen. All der Jammer und die Schändlichkeit spielte sich vor meinen neugierigen Knabenaugen ab. Der Haß gegen die Fremdherrschaft wurde mir mithin unvertilgbar in das Kindesherz gepflanzt.

Mein Vater war Stadtmusikus, und da ich von meiner Wiege an um mich her hatte spielen und blasen hören, auch wohl ein leidlich Talent zur Musik besaß, so wäre ich ebenfalls gern Musikant geworden. Aber mein Vater wollte es besser mit mir machen; Gott sei Dank hat er es nicht erlebt, daß schließlich gar nichts aus mir geworden ist. Mein Vater machte mir klar, daß in den Kriegszeiten die Kunst, vor allem aber die Musik, sich nur kümmerlich durchschlagen müsse. Das hielt nicht schwer zu begreifen, wenn ich mich daheim umsah. Ich solle es besser haben, meinte er. Noch stehe die Wissenschaft in einiger Achtung.

Ich kam darum auf das Gymnasium meiner kleinen Vaterstadt, ohne daß ich dabei der Musik, am wenigsten dem Waldhorn, dem ich in besonderer Liebe zugetan war, gänzlich entsagt hätte.

Als der Sturm gegen den Bonaparte losbrach, war ich mittlerweile ein junger Bursche geworden, und da litt es mich nicht mehr auf der Schulbank. Daß es vielen seiner Schüler so ging, hatte unser alter, braver Rektor, längst gemerkt. Eines Tages trat er mit einem Zeitungsblatte in unsere Prima – ich weiß noch, es war an einem stürmischen Februartage – seine Augen glänzten, seine sonst so blassen Wangen waren von der Erregung gerötet.

»Jungens,« rief er laut, und die Stimme zitterte ihm, »das erste Lebenszeichen vom neuen Erwachen unseres deutschen Vaterlandes nach einer langen Nacht voll Schmach! Der König hat am 3. Februar von Breslau aus eine Verordnung erlassen, welche die Bildung freiwilliger Jägerkorps verfügt. Jungens, es geht los!«

»Hurrah! Hurrah! Hurrah!« schrieen wir da alle aus Leibeskräften. So etwas hatten wir lange sehnsüchtig erwartet.

»Wer will zu Hause bleiben?« rief unser Rektor.

»Keiner!« schrieen wir alle wie aus einem Munde.

Unser Rektor mußte sich am Katheder festhalten, die Tränen rannen dem alten Männlein über die hageren Wangen. Ich habe seine rührende Freude über unsere Begeisterung zeitlebens nicht vergessen.

Vor unserem Abmarsch ward aber erst noch eine Lehrerkonferenz zusammenberufen, und da wurde beschlossen, schnell noch in aller Eile die Abiturientenprüfung, die wir erst gegen Ostern zu bestehen gehabt hätten, abzuhalten. Das wollte mit unseren Schlachtenplänen nicht recht passen, wir mußten aber heran und merkten dann, daß man es nur gut mit uns meinen wollte. Da war vieles »Optime«, was sonst gar nicht gegolten hätte. Alle kamen wir durch das Examen, und so konnten wir unseren Eltern neben unserem Abschiedsbriefe auch das Abgangszeugnis vom Gymnasium einsenden.

Wir marschierten natürlich nach Breslau. Ich hatte wenig mitgenommen, um mich nicht zu belästigen; von einem hatte ich mich aber nicht trennen können, das war mein Waldhorn, das ich leidlich blies. Es kam uns auch bald auf unseren Märschen gut zu statten, denn wenn wir müde wurden, so blies ich frische Vaterlandslieder, auch »Heil dir im Siegerkranz«, denn wir sahen schon allerlei Triumphe, und dann gings wieder frisch vorwärts.

In Breslau kamen wir mitten in die heilige Begeisterung hinein. Der »Aufruf an mein Volk« war eben erschienen. Wir sahen den König, umgeben von Scharnhorst, Gneisenau, Blücher, Stein, wir hörten die feurigen Redner Steffens und Jahn. Es war ein Leben und Treiben, eine Geschäftigkeit sondergleichen!

Wir ließen uns bei dem alten Blücher einstellen, und weil ich die Blechinstrumente blasen konnte, so ward ich Trompeter.

Nach kurzem Exerzieren zogen wir aus, und nach mehreren Eilmärschen kam es bei Großgörschen zum Klappen.

Wir Blücherschen standen in erster Linie. Mit unwiderstehlichem Ungestüm gingen wir vor und nahmen das Dorf, schon glaubten wir Sieger zu sein, als der französische General Ney mit neuen Verstärkungen heranrückte. Wir mußten weichen; aufs neue führten uns Blücher und Scharnhorst vor, die selbst wie Löwen fochten.

Jetzt wichen die Franzosen abermals zurück, wir jubelten auf und drangen aufs neue vor – aber die Russen, die verdammten Russen ließen uns im Stich. Napoleon selbst erschien mit neuer Verstärkung.

Da sprengte Blücher zu unserem Regimente heran.

»Jungens, haltet euch fest,« rief er uns an, »daß uns die verfluchtigten Kerle nicht unterkriegen!«

Mit allen Leibeskräften blies ich mit meiner Trompete zum Angriff, daß es weit hin durch den entsetzlichen Lärm und das Gebrüll der Geschütze schallte.

Freundlich nickte mir der alte Haudegen zu, mit jauchzendem Hurrah stürmten wir in die Reihen der Feinde und brachten sie abermals zum Weichen.

Da plötzlich bekam ich einen heftigen Ruck, es wurde mir schwarz vor den Augen, die Sinne vergingen mir, dann war mir, als schwanke ich, aber ich kam nicht zur Ruhe, es kam mir vor, als läge ich in einem Kahne und werde hin- und hergeschaukelt. Das Brüllen der Geschütze glich mehr und mehr einem fernen Donner. Dann war es wieder, als wäre ich mitten in der Schlacht, als drängen die Franzosen auf mich ein und als müßte ich um mich schlagen.

Ich wollte aufspringen, als mich auf einmal heftige Schmerzen durchfuhren und mich eine Hand sanft niederdrückte. Jetzt erwachte ich und fühlte nun, daß ich schwer verwundet war. Ein wuchtiger Hieb war mir in die linke Seite des Kopfes und in das linke Schulterblatt versetzt worden, und nun lag ich, aus dem Getümmel getragen, im Feldlazarett. Das hätte ich nun noch getrost ertragen, wäre zu dem Jammer nicht noch die traurige Kunde gekommen, daß wir geschlagen worden. Das Herz schnürte sich mir krampfhaft zusammen, als ich diese Hiobspost vernahm, und mir wäre lieber gewesen, die Erbfeinde hätten mich ganz erschlagen.

Mit dem Besiegen war es jedoch nicht so schlimm gewesen, denn wir hatten einen langsamen Rückzug antreten können, durch den nichts geschädigt wurde. Ein empfindlicher Schlag wurde jedoch noch nachträglich bekannt, Scharnhorst war am linken Fuße sehr hinderlich verwundet worden.

Am anderen Nachmittage besuchte der alte Blücher, der selbst eine leichte Blessur hatte, uns Verwundete, und als er mich erblickte, verriet ein freundlicher Zug seines finsteren Gesichtes, daß er mich wiedererkannte.

»Habe ich's also doch noch zur rechten Zeit gesagt, daß sie Dich forttragen sollten,« rief er, zu mir herantretend. »Hast Dich brav gehalten mit Deiner Trompete!« setzte er lauter hinzu.

Das war Balsam auf meine Wunden. Zugleich aber fiel mir auch meine Trompete ein, suchend blickte ich um mich – ich besaß sie nicht mehr.

Blücher entging das nicht, er mochte auch mein trauriges Gesicht bemerken.

»Haben sie sogar die Dir nicht einmal gelassen!« sagte er mit schmerzlicher Bitterkeit. »Aber da kann ich helfen,« setzte er kurz hinzu. Damit ging er fort. Gegen Abend jedoch trat er abermals an mein Feldbett und hielt eine schöne Trompete in der Hand.

»Hier, braver Junge,« sagte er so laut, daß man es im ganzen Lazarett hören konnte, »diese Trompete wollte ich einem Stabstrompeter schenken, der sich bereits ruhmvoll ausgezeichnet hatte, doch er ist gestern geblieben. Ich weiß nun keinen würdigeren Erben für das Instrument, als Dich, der sich so wacker gehalten. Nimm es und hilf damit recht bald die vermaledeiten Franzosen aus Deutschland hinausblasen, daß sie das Wiederkommen vergessen. Hier, blase sie stets zu Deutschlands Ehre!«

Er hatte die letzten Worte mit erhobener Stimme gesprochen und mich mit seinen stahlblauen, durchdringenden Augen angeschaut. Mir brauste das Blut in den Kopf, die Tränen stürzten mir aus den Augen, ich konnte nichts sprechen – die braune Hand des Heldengreises drückte und küßte ich, dann sank ich ohnmächtig in mein Bett zurück.

Als ich wieder erwachte, war alles still im Lazarett, es war Nacht. Ein kleines Nachtlämpchen brannte in der Mitte des Raumes auf einem Tische, an dem ein schlafender Lazarettgehilfe saß. Auf dem Stuhle neben meinem Bette aber lag die Trompete vom alten Blücher, blitzend und blinkend in den kärglichen Strahlen des Nachtlichtes, Ich griff nach ihr; abermals schlug mein Herz laut vor freudiger Erregung. »Blase sie stets zu Deutschlands Ehre!« klang es mir in den Ohren.

Ein Verwundeter seufzte in diesem Augenblicke auf.

Ein heiliger Ernst kam über mich.

»Bei Gott, immer zu Deutschlands Ehre!« rief es in mir. Aus tiefster Seele rang sich mir der Schwur in jener Nacht hervor, rastlos zu kämpfen, zu ringen zu Deutschlands Ehre. –

Am anderen Morgen weckte mich der Lärm des aufbrechenden Heeres. Das Lazarett sollte später folgen. Doch war denen, die sich allein fortschleppen könnten, geraten, in Privatpflege zu gehen, damit man den außerordentlich geringen Mitteln des Staates nicht beschwerlich falle. Da war ich kurz entschlossen. Schon hatte ich mich wieder etwas durch die Ruhe erholt, darum wagte ich es, mich mir selbst anzuvertrauen. Ich ließ mir vom Bagage-Wagen mein Waldhorn geben, von dem ich mich auch im Kriege nicht hatte trennen können und das ich vor der Schlacht dort abgegeben, hing meine Blüchertrompete über die gesunde rechte Schulter und nahm Abschied, natürlich mit der Versicherung, sobald zurückzukehren, als ich wieder hergestellt sei. Was sollte ich nicht alles erleben, ehe ich zum Heere zurückkommen konnte! – –


 << zurück weiter >>