Ludwig Salomon
Die Blüchertrompete
Ludwig Salomon

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mittlerweile war die Zeit für die Messe herangerückt, und ich mußte eine Stunde lang auf meine liebenswürdige Gesellschaft verzichten.

Mit einer gewissen edeln Vornehmheit bot der alte Herr seiner Tochter den Arm, und so schritten sie beide zum Tal hinab, der Dorfkapelle zu. Ich schaute ihnen aus dem Fenster nach, bis sie in dem frischen Grün verschwunden waren. Dann ging ich zum alten Melchior hinüber. Der stand an seiner Hobelbank und schnitzte Weiselkästchen für die kommende Schwarmzeit der Bienen. Ich fing allerlei mit ihm zu reden an, aber es kam keine rechte Unterhaltung in Fluß. So stieg ich denn endlich zu meinem Zimmer hinauf, um einen Brief in die Heimat zu schreiben.

Ich mochte etwas zu lange gesessen haben; als ich hinab kam, hörte ich, daß die Messe längst vorüber sei. Ich trat in die Wohnstube. Valeska stand vor einem Bücherschränke und blätterte in einem Buche.

»O, da störe ich wohl,« entschuldigte ich mich und wollte zurück.

»Nicht im geringsten,« versetzte sie jedoch. Ich blieb daher.

»Ich hatte vorhin,« fuhr sie fort, »so ein Gefühl von Einsamkeit und griff daher wieder einmal zu meinen Büchern. Meine Hand erfaßte dabei den vierten Band der »Études de la nature par Bernardin de Saint-Pierre«, der »Paul et Virginie« enthält, und als ich nun in dem Buche herumblätterte, das ich früher unter Tränen gelesen, machte ich eine höchst sonderbare Entdeckung: selbst bei den rührendsten Schilderungen konnte ich mich nicht wieder in die alte Stimmung hineinfinden. Wunderbar, wie ich anders geworden sein muß in diesen wenigen Jahren.«

Sie sagte das fast leise, träumerisch, wie zu sich selbst.

»Wenn ich mir überhaupt ein Urteil erlauben darf,« versetzte ich, »so ist dies gewiß eine Wandelung zu Ihrem Vorteil gewesen. Ist auch die Erzählung der Erlebnisse Pauls und Virginiens von unvergänglicher Frische, so ist doch die Stimmung in dieser Dichtung keine gesunde. Der französische Verfasser will uns durch seine hübschen Schilderungen zu dem Glauben bekehren, daß die Menschen nur dann wieder gut, glücklich und zufrieden werden können, wenn sie sich wieder ganz von dem Drange nach Bildung frei machen und dann stillvergnügt ohne Bedürfnisse dahinleben in Wäldern und auf Auen. Eine solche Aufforderung zum Zurückgehen auf die unterste Stufe der Bildung muß aber alle, die sich von dem Franzosen haben diese falsche Meinung beibringen lassen, traurig stimmen, denn ein solches Zurückgehen ist ja doch nicht möglich; sie muß ferner mutlos machen, vorwärts zu streben – und das ist das Schlimmste, was uns passieren kann in unserer Zeit, in der man mit Recht die Menschen durch allseitige Bildung zu glücklicheren, das heißt zu aufgeklärteren, vernünftigeren, strebsameren, tatkräftigeren machen will!«

Sie schaute mich mit ihren großen dunklen Augen verwundert an, als hätte sie derartige Entgegnungen von einem Trompeter nicht erwartet.

»Wie anders,« fuhr ich fort, »hat da ein deutscher Dichter in einem Idyll über derartige Verhältnisse gedacht. Goethe schildert uns in ›Hermann und Dorothea‹ Menschen, die in geregelten, gesitteten Kulturzuständen sich in schönheitsvoller, schlichter Einfalt und Ursprünglichkeit menschlich erzogen haben. Und darum wird man auch von den Goetheschen Leuten überzeugt sein, daß sie an der stets fortschreitenden Entwickelung des Menschengeschlechts rüstig teilnehmen werden, ohne dabei ihre Tüchtigkeit einzubüßen. Von den Personen des französischen Dichters wird man eine solche Überzeugung nicht gewinnen können. Wenn ich nach dem Kriege zu meinen Studien zurückkehre, so dürften mich diese interessanten Gegensätze, die mich schon länger beschäftigt haben, zu einer Abhandlung veranlassen.«

Die Verwunderung Valeskas hatte sich mittlerweile noch gesteigert. Es schien, als eröffnete ich ihr eine ganz neue Welt – dann glitt ein Lächeln über ihr schönes Gesicht.

»Ich kenne die deutsche Literatur zwar nicht,« sagte sie ruhig, »ich habe bisher nur französische Dichter gelesen, aber ich habe oft gebildete Männer, deren Urteil ich schätze, sagen hören, daß die deutschen Dichter nur Nachahmer oder auch Übersetzer der französischen seien. Goethe hat Voltaires »Mahomet« ins Deutsche übertragen und Schiller Pikards Lustspiel »Der Neffe als Onkel« für die deutsche Bühne bearbeitet.«

Erstaunt, sprachlos schaute ich auf die geistvollen, glänzenden braunen Augen, auf den schönen Mund, der so etwas sagen konnte.

»Allerdings,« fuhr sie nach einer kurzen Pause in kühlem Tone fort, »eine deutsche Dichtung hat ja Aufsehen erregt; verzeihen Sie, wenn ich Ihrem Volke Unrecht tat. Irre ich nicht, so hieß sie, › Les souffrances du jeune Werther‹ – ganz recht – und der Kaiser Napoleon nahm sie sich sogar als Reiselektüre mit auf den Feldzug nach Ägypten.«

»Das Buch mag dadurch in den Augen der Franzosen gewonnen haben, daß sich Bonaparte damit auf einer Seereise die Langeweile vertrieb,« versetzte ich, ohne meine Bitterkeit unterdrücken zu können; »Gott sei Dank, besitzen wir aber auch noch mehr und auch Besseres noch von Goethe, als ›Werthers Leiden‹, so daß wir selbständig genug sind, um des Beifalls unserer Nachbarn entbehren zu können. Gebe der Himmel, daß wir ihren Einfluß, den anmaßenden literarischen sowohl, wie den uns frech aufgedrungenen politischen, bald und für immer abstreifen!«

Erschrocken fuhr das Mädchen über meine letzten erregt herausgestoßenen Worte zusammen.

»O, mein Gott!« rief sie vorwurfsvoll, »wohin kommen Sie, wohin wenden Sie unser Gespräch!«

»Auf das Thema, das jetzt das vornehmste in allen deutschen Herzen ist, denn der brennende Wunsch, die fränkischen Fesseln –«

»O, halten Sie ein,« unterbrach sie mich hier, indem sie ihre Hände abwehrend emporhob, »so mag man drüben, jenseits des Gebirges, denken, da ist Krieg; aber hier, hier ist Friede. Wir wollen dieses Vorteils nicht verlustig werden. Ich bitte Sie,« setzte sie in ihrer reizvollen Anmut hinzu, »erhalten Sie uns diesen Frieden und sprechen Sie nie von Politik, so lange Sie hier sind, denn wir alle« – und jetzt brach ihre ganze schelmische Heiterkeit wieder durch – »wir hier sind alle schlechte Politiker!«

Dabei streckte sie mir lächelnd die Hand entgegen. »Also Friede sei mit uns!« rief sie, und ich schlug, ganz bezaubert von ihrem Liebreiz, ein, ohne zu überlegen, was ich versprach.

Wunderlich nahm sich die kleine weiße Hand in der meinen aus, die vom Kriegshandwerk schon stark gebräunt war.

»So geschehen am Tage St. Nepomuks!« rief sie mit komischem Ernste. –

Am Nachmittage versammelten sich die jungen Mädchen des Dorfes auf dem Schloßhofe, mit Kränzen beladen, und als Valeska sich überzeugt hatte, daß die Gesellschaft vollzählig war, führte sie den bunten Zug zur hohen Brücke an. Ich bildete den Schluß, denn auf dem Hinwege durfte noch nicht geblasen werden.

Nach einem kurzen Marsche waren wir zur Stelle. Mit einer kühnen Wölbung schwang sich die für den Verkehr der ganzen Gegend höchst wichtige Brücke über den wilden Gebirgsbach. Zu beiden Seiten befanden sich steinerne Brüstungen, auf deren einer die graue Statue des heiligen Nepomuk »mit dem Stern und Kranzel« stand.

Die Mädchen entrollten nun ihre Laubgewinde; Valeska hüpfte leicht wie ein Reh auf die Brückenmauer, ließ sich die Kränze hinaufreichen und schmückte mit reizender Anmut das Standbild.

Ich lehnte unten an der anderen Brüstung und schaute bewundernd den flinken, schlanken Händen zu, wie sie den Blumenschmuck so gefällig um den ernsten grauen Heiligen legte, der keine Miene verzog.

Bald war der Schmuck vollendet, nur noch einen duftigen, und zwar den schönsten Kranz sollte der Heilige auf den Kopf gesetzt bekommen.

Ein Mädchen reichte ihn der Valeska hinauf, diese trat mit ihrem zierlichen Fuße auf eine dicke Falte von dem steinernen Gewande des Heiligen, warf mir mit einem unterdrückten Lächeln einen schelmischen Blick zu, und wollte eben den Kranz über den rostigen eisernen Heiligenschein stülpen, als die Bildsäule plötzlich zu wanken begann.

Bestürzt stieß Valeska einen kurzen Schrei aus, ich sprang hinzu, erfaßte sie mit meinem gesunden Arme und zog sie schnell zu mir herab. Zitternd sank sie an meine Brust. Klirrend fiel in demselben Augenblicke der Heiligenschein mitsamt dem Kranze in den schäumenden Bach. Gleich darauf richtete sich aber Valeska auch wieder empor, entzog mir ihre Hand und blickte das nun wieder unbeweglich dastehende Steinbild an.

»Das war recht kindisch, gleich so einen Schreck zu bekommen,« rief sie lachend, »aber es war mir, als hätte der Alte Leben bekommen. Was einem doch gleich für dummes Zeug durch den Kopf schießt! – Ich danke,« setzte sie dann kurz, leicht zu mir gewandt, hinzu.

Wir untersuchten jetzt das Fundament der Bildsäule und entdeckten, daß die Steine der Brüstung, auf denen sie ruhte, bereits stark zerbröckelt waren, so daß ein Umstürzen, sobald ein leichtes Übergewicht hinzukam, leicht möglich war.

Doch freuten wir uns, daß diese Katastrophe, die unserer Freundin leicht hätte das Leben kosten können, noch glücklich vermieden worden war. Die Mädchen murmelten darum dankerfüllt noch ein Gebet, und dann wandten wir dem gefährlichen und doch auch recht undankbaren Heiligen den Rücken; wir brachen zum Heimwege auf.

Jetzt sollte meine Musik beginnen, die Mädchen ordneten sich paarweise, Valeska mit einer schmucken Bauerndirne zu oberst, und dem ganzen Zuge voran ich selbst.

Ich suchte nicht erst lange nach Melodieen, die erste beste, die mir einfiel, begann ich, und so blies ich in den blühenden Tag hinein: »Guter Mond, du gehst so stille«, dann »Sah ein Knab ein Röslein stehn«, und endlich »Stoßt an, Jena soll leben!« Bisweilen schaute ich mich auch um und hatte meine Freude daran, wie der lange Zug der Mädchen aufmerksam hinter mir her schritt, und wie ich dann auch wohl auf Valeskas glänzende Augen traf.

So in Reih und Glied zogen wir zunächst durch das Dörfchen, weiterhin den Schloßberg hinauf in den Schloßhof. Die verständigen Leute mögen schön darüber gelacht haben.

Oben im Schloßhofe fanden wir ein vortreffliches Abendbrot bereitet, zu dem mir uns jubelnd niedersetzten.

Mittlerweile kamen die geputzten jungen Burschen herauf; in einem Saale zu ebener Erde waren die breiten eichenen Tische beiseite geschoben worden, und bald sollte der Tanz beginnen. Aber der alte Fiedler, der zum Aufspielen bestellt worden war, wollte noch immer nicht kommen, so daß man bereits ungeduldig auf und ab ging.

Plötzlich vernahmen wir Geräusch und glaubten ihn schon durch das Tor schreiten zu hören, als ein Fremder in den Schloßhof trat, der den hinzutretenden alten Melchior nach dem Herrn von Kaminski fragte, zu dem dieser ihn denn auch führte.

Als der Alte hierauf wieder heraus kam, sah er finsterer und übellauniger denn je aus, so daß ich ihn schon wegen seiner Mißstimmung an einem solchen fröhlichen Abende befragen wollte, doch trat mir in diesem Augenblicke Valeska in den Weg. Sie schaute mich freundlich an und bat mich, da ich so hübsch blasen könne, einstweilen einen Tanz vorzutragen, damit das Vergnügen nun beginnen könne. Sie sagte das in so liebenswürdiger Weise, daß ich es nicht sogleich abzuschlagen wagte. Sie nahm die Verzögerung der Antwort für Zustimmung; als ich jedoch endlich Mut bekam, ihr zu entgegnen, daß ich mit der mir vom alten Blücher auf dem Schlachtfelde von Großgörschen verehrten Trompete nicht zum Tanz aufspielen könne, da ging ein Schatten über ihr schönes Gesicht.

»Um Blüchers wegen,« versetzte sie, ohne den Unwillen verbergen zu können, den ich in ihr erregt hatte und der ihr eigentümlich aus den dunklen Augen hervorblitzte, »sollten Sie mir die Bitte nicht abschlagen, er ist noch lange nicht Herr von Böhmen und wird es wohl auch nie werden.«

Sie drehte sich um und ging auf die andere Seite des Saales. Ich schaute ihr eigentümlich berührt nach.

Glücklicherweise kam gleich darauf der Fiedler. Er entschuldigte sich wegen seines längeren Ausbleibens. Unten im Kruge, sagte er, habe der Reitknecht des Couriers, der zum Herrn von Kaminski gekommen sei, allerlei erzählt, daß Napoleon nun fester denn je in Deutschland sitze, daß die Preußen bei Bautzen wieder eine Schlacht verloren hätten, und daß Blücher weit nach Schlesien verdrängt sei. »Das ist ja gerade wie bei Auerstädt!« solle der König von Preußen auf dem Rückzüge verzweiflungsvoll ausgerufen haben. Allgemein sei man nun der Meinung, daß in Kurzem Alles Ein großes Kaiserreich bilden werde.

Das gab eine große Aufregung; mir wurde es siedend heiß im Kopfe.

»Welcher Schurke denkt das!« rief ich tief erregt. »Bei Gott, das soll dem Korsen nicht gelingen, so lange sich noch eine deutsche Ader regt!«

Ich war außer mir. Ich hätte auf und davon laufen mögen, nach Schlesien zu. Doch mitten in meiner Hitze fühlte ich eine sanfte Hand die meine berühren. Ich schaute mich um und blickte in Valeskas bittende Augen.

»Sie versprachen nur, die Politik aus dem Spiel zu lassen; lassen Sie dem Spiel sein Recht!«

Das klang so herzinnig, sie lächelte mich so reizend an, daß mir betroffen der Atem stockte. Wie ein Zauberschleier legte es sich über mich. Ich wollte mich wehren, ich wollte das Netz abstreifen, das sich mir fühlbar über die Seele legte, aber ich erlahmte bei ihrem Anblick.

Der Fiedler begann eine Polonaise, einen bisher in diesem Eckchen Böhmerland völlig unbekannten Eröffnungsreigen.

Valeska stand neben mir.

»Ich habe bisher das Vorrecht gehabt, mir meinen Tänzer selbst zu wählen,« sagte sie zu mir, und der Schalk saß ihr im Nacken, indem sie zu mir aufblickte, »werden Sie mir mein Privilegium streitig machen?«

»Ich darf auf hohen Befehl nicht von Krieg reden,« versetzte ich, und in demselben Augenblicke schob sich die kleine Hand durch meinen unwillkürlich halb gebeugten rechten Arm – und voran schritten wir, den Saal entlang, und der lange, paarweise geordnete Zug des übrigen jungen Volkes hinter uns.

Mehrere ältere Leute, auch der Herr von Kaminski, waren mittlerweile in den Saal getreten, setzten sich in eine Ecke und schauten dem Treiben zu.

Meine Tänzerin verstand sich vortrefflich auf die verschiedenen Touren; die Verschlingungen und Durchzüge wußte sie aufs Anmutigste auszuführen. Dann teilten sich die Paare, die jungen Burschen, mit mir an der Spitze, schritten an der einen Seite des Saales entlang, die jungen Mädchen unter Anführung Valeskas an der anderen, bis wir wieder unten zusammentrafen und vereint in der Mitte des Saales heraufschritten.

An der uns gegenüberliegenden Wand hing ein Spiegel, in welchem ich uns sehen konnte. Überrascht blickte ich auf Valeska, wie sie mit reizender Anmut neben mir daherschritt, das Gesicht von der Freude leicht gerötet.

Jetzt klatschte sie in die Hände, der Zug stand, die Musik schwieg, um gleich darauf mit einem munteren Walzer abermals zu beginnen. Ich legte meinen rechten Arm um ihre schlanke Taille, und dahin flogen wir im rhythmischen Schwunge.

Ich war bisher ein schlechter Tänzer gewesen, auf unseren Primanerbällen war ich nie recht fortgekommen – hier schien ein Zauber obzuwalten, so leicht schwebte ich dahin.

Die Tänze wechselten nun in bunter Folge, mit jedem neuen ward die Gesellschaft fröhlicher; überall, wo Valeska hinkam, gab es heiteres Scherzen, lustiges Lachen. Bisweilen drehte sie sich auch wohl nach mir um, und wenn sich dann unsere Blicke trafen, so ging ein glänzender Schimmer über das lebendige Gesicht, daß mir das Blut heiß in den Kopf schoß, und ich aufatmete, als dämmerte leise ein süßes Geheimnis in meiner Seele auf.

Nach verschiedenen Tänzen traten in einer Pause mehrere junge Mädchen zu Valeska heran.

»Wir bitten Sie, gnädiges Fräulein,« sagten sie, »uns doch die Mazurka, mit der Sie uns neulich überraschten, noch einmal vorzutanzen!«

Valeska zögerte einen Augenblick.

»Das war ja gar keine eigentliche Mazurka,« warf sie ein, »ich hatte nur die Touren des Herrn mit denen der Dame in ein unvollkommenes Ganzes verschmolzen, damit ich unsern schönen Nationaltanz in der Fremde nicht ganz vergesse.«

»Bitten Sie das gnädige Fräulein einmal,« wandte sich ein Mädchen an mich.

Ich schrak unwillkürlich zusammen, als müßte sie, wie es in mir aussah. Valeska hatte die Aufforderung an mich gehört und blickte leichthin zu mir auf. Dann warf sie aber, ehe ich antworten konnte, das seine Köpfchen zurück, daß die dunklen Locken reich in den Nacken wallten, klatschte mit den Händen und machte eine leichte Bewegung, daß man Platz mache.

»Die Mazurka, die ich Euch kürzlich gelehrt habe!« rief sie dem Geiger zu. Bei diesen Worten stand der alte Herr von Kaminski aus seiner Ecke auf, preßte die schmalen Lippen etwas fester aufeinander und schaute ernst auf seine Tochter. Diese strich sich einige dunkle Haarlöckchen aus der heißen Stirne, ließ sich ihre polnische Mütze reichen, setzte sie auf, daß die rechte Seite des viereckigen Deckels keck emporstand, während die linke sich herabneigte.

Die Musik begann; eine eigentümliche Schwermut lag in der fremdartigen Weise. Zu meiner Verwunderung bemerkte ich auch, wie ein leichter Zug von Trauer sich auf das Gesicht der schönen Tänzerin legte. Diese hatte unterdessen die Hände an den Gürtel gestemmt und begann sich mit ganz eigenartiger Würde nach dem Takte zu bewegen. Erst glitten die schmalen Fußspitzen leise über den Boden; dann schwebte der schlanke Körper graziös dahin; dann klappten die flüchtigen Sohlen laut auf die Dielen; gleich darauf drehte sich die reizende Gestalt im lebhafteren Tempo um sich selbst – alle anmutigen Bewegungen, alle sanften Biegungen des Körpers schienen aus der Musik unmittelbar hervorzuwachsen – es war, als ob die Melodie hier Fleisch und Blut geworden wäre.

Immer rascher wurde der Takt, immer leidenschaftlicher schwang sich die Tänzerin; die braunen Locken flogen um das heiße Gesicht – noch ein heftiger Strich über die Geige; laut klappten die zierlichen Schuhe auf die Dielen, und Valeska stand straff und gerade auf demselben Platze, von dem aus sie zu tanzen begonnen hatte.

Nun verneigte sie sich – und die Schwermut war aus ihrem Antlitz verschwunden. Lächelnd sprang sie zu ihrem Vater, der sie freudestrahlend in seine Arme schloß.

Ich atmete tief auf und schaute dem wunderbaren Mädchen nach, während die übrigen Zuschauer in den lebhaftesten Beifall ausbrachen.

Der eigentümliche Tanz sollte auch den Schluß des Vergnügens bilden. Die Köchin brachte mit einer Gehilfin Kaffee und süßes Gebäck herbei, man schob die Tische wieder in die Mitte des Saales, und bald saß die lustige junge Gesellschaft zum Schlußakte versammelt vor den dampfenden Tassen.

Valeska trank aber leider nicht mit den übrigen, sie war bei ihrem Vater stehen geblieben, nahm dort eine Tasse Kaffee ein, rief uns dann noch ein munteres »Gute Nacht!« und »Wohl bekomm's!« zu und verschwand mit dem alten Herrn.

Nun schmeckte mir der Kaffee nicht mehr. Ich sah mir die übrige Gesellschaft um mich her an – es waren alles reizlose Gesichter nüchterner Bauernmädchen und vierschrötiger Bauernburschen.

Ich wünschte daher ebenfalls »Gute Nacht!« und tappte die dunkle Wendeltreppe hinauf in mein Stübchen. Dort schlug ich mir Licht und schaute unwillkürlich in den Spiegel, gleichsam als wollte ich nachsehen, ob ich auch noch derselbe sei, der am Morgen hinausgegangen. Ich blickte in der Stube umher – ganz eben noch so ernst schauten die beiden Hussiten auf mich herab – es war alles noch so im Zimmer, wie ich es verlassen hatte, und doch kam mir das ganze Stübchen so fremd vor.

Sie hätte mir doch etwas anders »Gute Nacht« sagen können, dachte ich. Gehöre ich denn auch nur so zur großen Menge? –

Das Fest des heiligen Nepomuk hatte mich aber doch sehr angestrengt, müde streckte ich mich auf's Bett und lag bald in tiefem Schlafe.


 << zurück weiter >>