Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Da lag das Meer, unvergleichlich schön in der schillernden Mittagssonne. Es hatte hier eine tiefe Bucht in die graue Felsenwildnis gefressen.

Die beiden Detektive hatten bei ihrer Wanderung nach Norden der Richtung nicht geachtet und waren überraschend auf einen Weg gestoßen, der sich von der Höhe allmählich zu der leise atmenden Brandung hinabsenkte. Ein schmaler Sandstreifen löste das Karstgeröll ab. Weit und breit keine menschliche Spur.

Gysander war von dem scharfen Marsch in der glühenden Augustsonne etwas ermüdet und setzte sich im Schatten einer steilen Uferklippe nieder. Der kühle Hauch des Meeres strich ihm über die heiße Stirn. Er dachte bohrend in sich hinein. Nach einer Weile stand er auf und fing an, den Strand eingehend abzusuchen. Im Westen bog die Felsenküste scharf nach Norden um und fiel glatt in die See ab, der schmale Sandstreifen hörte ganz auf, unvermittelt stieg die graue Wand in die Höhe. Das Anlaufen eines Bootes war hier völlig ausgeschlossen. Der Kriminalrat machte kehrt und wandte sich nach Osten. Vorsichtig, immer die Augen am Boden, schritt er weiter; die leise anlaufende Brandung netzte fast seine Stiefel. Auch nach dieser Seite verlor sich der Sandstreifen, ging in eckiges Geröll über und schließlich bauten sich gezackte Klippen auf, ein schmaler Pfad führte hart am Rande der Brandung hin.

Gysander forschte nach oben, bückte sich nach unten und kletterte schließlich auf eine abgeflachte Klippe hinaus, kniete nieder und suchte die vom Meer verwitterte Fläche ab. Dann kroch er bis zum Rande vor, befühlte ihn und nahm etwas auf, das er in seine Brieftasche legte.

Woyka beobachtete aufmerksam die Bewegungen seines Berufsgenossen, der sich nun von der Klippe herunterschwang, an dem schmalen Geröllpfad abrutschte und bis ans Knie ins Wasser geriet. Die Ledergamaschen schützten ihn vor nassen Füßen, unbekümmert drang er weiter vor. Nach ungefähr zwanzig Schritten gelangte er an eine breite flache Klippe, die gleich einer Landungsbrücke ins Meer vorsprang. Diese untersuchte er ganz genau, wieder steckte er etwas ein, schabte an dem Rand mit seinem Taschenmesser herum und legte das Schabsel in seine Brieftasche. Dann zog er eine Leine aus der Tasche, befestigte an ihrem Ende einen Stein und lotete die Meerestiefe ab. Nun war er fertig und kam zu Woyka zurück.

»Haben Sie etwas gefunden?« fragte dieser.

»Eine ganze Menge.«

»Da wäre ich neugierig, ich sehe nur einen nackten Strand, heiße Sonne und einen glitzernden Meeresarm, aus dem sich in der Ferne neblig die Küste der Insel Brazza erhebt.«

»Die Leiche ist ins Meer versenkt worden, sie befand sich in einer Kiste von rohen Tannenbrettern. Diese hat ein sehr großer und starker Mann getragen. Er war mit einer blauen Wolljacke bekleidet, seine Hände sind groß mit brutalen kurzen Fingern. Er raucht italienische Zigarren, sogenannte Toscani, und ist Italiener. In seinem Gebiß fehlt ein Vorderzahn, und zwar ist er schräg abgebrochen, die linke Ecke ist länger als die rechte. Er hat breite Füße, läuft barfuß und der große Zeh rechts ist verkrüppelt, ob von Natur oder durch Verletzung kann ich nicht entscheiden. Er war mit der Leiche und einem Begleiter allein, die andern Männer, auch der mit der tropfenden Laterne, sind zurückgeblieben, um die Spuren im Sand mit Wasser zu begießen und so zu verwischen.«

»Dann hätten sie doch einen Eimer haben müssen.«

»Oder ein anderes Schöpfgefäß, aber sie hatten tatsächlich einen Holzeimer mit einem Bodendurchmesser von zwanzig Zentimetern.«

»Woher wollen Sie das alles wissen?«

»Ich kann Ihnen noch mehr sagen: Das Boot, das die Leiche und wahrscheinlich auch den Gundolic trug, ist hochbordig, grün gestrichen, und zwar mit einer Farbe, die als Chromoxyd im Handel ist.«

»Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen. Stehen Sie mit Geistern im Bund, die Ihnen Nachrichten zutragen? Ich bin ein alter Fahnder, aber bei Euch Deutschen kann man wahrhaftig was lernen.«

»Dabei ist alles sehr einfach. Man braucht nur offene Augen zu haben und die Fähigkeit, verborgene Zusammenhänge zu erkennen.«

»Das ist leicht gesagt. Woher wissen Sie, daß die Leiche ins Meer versenkt wurde?«

»Besehen Sie sich den Weg genau, den wir herabgekommen sind.«

Woyka stand auf und folgte dem Kriminalrat.

»Sehen Sie hier sind Steine weggeräumt, die Farbe der Verwitterung in dem Loch ist verschieden von dem Geröll obenauf, wo die Kiste gestanden hat. Kleine Teilchen von Tannenholz haben sich an den scharfen Steinen abgeschülfert, also hat man die Kiste gerückt, ehe man sie auflud. Mit den Steinen, die vorher das Loch füllten, hat man sie beschwert, damit sie vom Meeresgrund nicht wieder hochkam.«

»Gut, das verstehe ich. Nun aber die Größe des Mannes, die übrigen Erkennungszeichen und seine Zigarrensorte. Wie kommen Sie darauf, daß er Italiener sei?«

»Geduld, gehen wir dem Manne nach, der die Leiche auf der Schulter trug, und zwar auf der rechten. Wer so schwer schleppt, geht gebeugt, trotzdem hat die Kiste an der hohen Klippe Holzfasern abgescheuert und … das ist wichtig … in einer Höhe von 2,14 Metern. Der Träger muß demnach ein sehr großer Mann sein.«

»Und weiter?«

»Jetzt kommen wir an die Klippe, die eine natürliche Landungsbrücke bildet; hier hat er seine Last abgesetzt und sich dabei mit der linken Hand an der Felswand gehalten, seine teerigen Finger haben sich deutlich im Kalkstaub abgedrückt. Wir werden sie nachher photographieren, und zwar auf Bromsilberpapier, damit wir gleich eine schwarze Zeichnung auf weißem Grund haben.«

»Einen Apparat führen Sie auch mit sich?«

»Neben der Waffe das unentbehrlichste Rüstzeug des Kriminalisten, dazu ein kleines Ledertäschchen mit dem Nötigsten für die Sicherung von Fingerabdrücken.«

»Das haben wir doch von den Engländern?«

»Doch nicht. Schon im Jahre 1888 hat ein bescheidener deutscher Tierarzt dem Berliner Polizeipräsidium eingehende Vorschläge gemacht, ja sogar haltbare Bilder von Fingerabdrücken hergestellt. Er war Schlachthaustierarzt und kam dadurch auf die Idee, daß er die blutigen Fingerabdrücke der Schlächtergesellen studierte, bis er schließlich jedesmal feststellen konnte, wer das Handtuch beschmutzt hatte. Also ein Deutscher ist der Erfinder, aber wie immer, der Prophet hat in seinem Vaterland nichts gegolten.«

»Das ist ja hochinteressant.«

»Ja, aber gehen wir weiter. Hier auf der Landungsbrücke fand ich den Stummel einer Toscano-Zigarre. Sehen Sie sich den Fund genau an.« Er reichte das Stück dem Kollegen. »Wie auf dem Gipsabdruck eines Zahnarztes zeigt sich an dem weichen Tabakrest die Form der Vorderzähne mit der Lücke.«

»Der Stummel könnte auch von Gundolic herrühren.«

»Richtig, aber nicht sehr wahrscheinlich, denn der Leichenträger ist Italiener.«

»Woher wissen Sie das?«

»Kommen Sie her an den Rand der Landungsklippe, aber vorsichtig, daß Sie mir keine Spuren zertreten. Von rechts außen herum … So ist's gut, jetzt legen Sie sich auf Ihren geehrten Bauch und untersuchen Sie den Felsen von der Wasserseite. Sie werden Farbenspuren finden, die das Boot abgescheuert hat. Ich habe Proben losgeschabt und in einem meiner Glasröhrchen gesichert … Sehen Sie die Farben?«

»Ganz deutlich … dicht nebeneinander grün, weiß, rot.«

»Die Landesfarben Italiens. Der Leichenträger und Bootsmann hat ein Band in diesen Farben um den Bord gemalt, daher ist der Schluß wohl naheliegend, daß er Italiener sei, was auch durch die Zigarre bestätigt wird.«

»Bewundernswert haben Sie das aufgedeckt.«

»Und nun hier haben wir die Spuren seiner nackten Füße. Er hat sie nicht allzu oft gewaschen, das kommt uns jetzt zugut … Als er das Boot abschob, hat er die Fußspitzen fest auf den Fels gestemmt und uns in Schlamm und Sand klare Abdrücke hinterlassen. Sehen Sie den verkrüppelten großen Zeh?«

»Ich kann nur staunen.«

Sie gingen zurück, und dort, wo der Sand an das Geröll stieß, machte Gysander auf einen eingeprägten Kreis aufmerksam: »Hier ist der Holzeimer abgestellt werden, und die Burschen haben vergessen, die Spur seines Bodens zu verwischen.« Dann zog er seine Brieftasche: »Und hier haben Sie einen Wollrest von seiner blauen Jacke, mit deren Ärmel ihr Besitzer an der Klippe hängen geblieben ist … Sie sehen, keine Hexerei, alles geht natürlich zu.«

»Nun wollen wir aber den Strolch festnehmen.«

»Man sachte mit de jungen Pferde.«

»Warum noch zaudern?«

»Nehmen wir ihn fest, wird er uns nichts sagen. Wenn wir ihn auf andere Weise zum Reden bringen können, ist es besser. Vor allen Dingen müssen wir ihn suchen.« Gysander nahm wieder die Karte vor: »Die Nordwestspitze der Insel ist anscheinend nicht bevölkert, wohl weil sie zu sehr dem Unwetter ausgesetzt ist.«

»Unsere Karten sind ungenau. Ich halte gerade diese tiefe Bucht« … er zeigte mit dem Finger auf die Karte … »für einen Verbrecherwinkel.«

»Machen wir dort den Anfang … aber halt, was ist denn das da draußen?«

»Den dunkeln Punkt meinen Sie? Das dürfte ein Fischerboot sein.«

Gysander nahm das Fernglas vor die Augen.

»Ja es ist ein Boot, und es hält gerade auf uns zu.«

»Verbergen wir uns in den Klippen«, riet Woyka.

»Das wird gut sein.«

»Aber nicht mehr hin und her gehen, jede Bewegung am Strand sieht man von See her. Wühlen wir uns hier‚ ins Geröll.«

Das Boot kam mit schnellen Ruderschlägen heran. Ein fester Mann um die Fünfzig herum und ein Junge regierten die schwere Fischerjolle, die jetzt knirschend auf den schmalen Sandstreifen stieß.

Die beiden Polizisten traten heran, und Woyka begann ein Gespräch mit dem Fischer. Der hatte ein ehrliches Gesicht und ein offenes Auge. Vorsichtig fühlte er vor, Gysander hielt sich ganz zurück, um durch die fremde Sprache den Mann nicht mißtrauisch zu machen. Woyka erkundigte sich, wo man für ein paar Wochen unterkommen und baden könne. Mit der Weitschweifigkeit des einfachen Kroaten schilderte er die Möglichkeiten an der Nordküste. Woyka unterbrach ihn und ging gerade auf das Ziel los. Sein Kamerad sei Italiener und möchte gern bei einem Landsmann mieten. Ja, nickte der Fischer, oben im Nordwesten der Insel wohnte eine ganze Anzahl, man kenne sie schon an ihren Booten, weil sie um den Bord ihre Landesfarben gemalt hätten. Da wäre wohl der eine oder andere, der eine Stube abgeben würde, und Geld verdienten sie alle gern, denn der Fischfang sei in diesem Jahr recht mager. Der Belgrader ließ sich dann noch den nächsten Weg weisen, und erst als sie außer Hörweite waren, teilte er seinem Berufskameraden das kroatisch geführte Gespräch nach seinem wesentlichen Inhalt mit.

»Also wieder eine Hoffnung zerplatzt.«

»Wieso?« warf Gysander trocken ein: »Wir werden eben unter mehreren Booten das des Leichenfischers herauszusuchen haben. Wir haben ja Zeit, es treibt uns nichts, und wenn wir erst den Anfang des Fadens haben, dann folge ich ihm bis ans Ende der Welt.«

»Ich bin noch nicht so sicher, daß Gundolic die Insel verlassen hat.«

»Eine solche Unklugheit traue ich dem schlauen Verbrecher nicht zu. Er sollte ohne Not in eine derart enge Falle gehen?«

»Gerade weil es eine Falle ist, was er ebensogut weiß wie wir, nimmt er an, daß wir ihn hier nicht suchen.«

»Das Wagnis ist zu groß; schon der Verräter wegen, die es bei genügend hohem Preis überall gibt.«

Sie hatten jetzt die Geröllhalde erstiegen und sahen im Tal der Bucht einige alte Hütten liegen. Spärlicher Obstbaumwuchs in den Gärtchen, ein paar Tabakpflanzen und Weinstöcke mit etwas Behang wuchsen im Geröll.

Auf dem Sand der schmalen Düne lagen die Boote mit dem grün-weiß-roten Bord.

In der kleinen Siedlung herrschte Ruhe, die Männer waren anscheinend auf Fischfang draußen, und die Frauen hatten in den Hütten zu tun. Ein paar schmutzige Kinder schurrten stumpfsinnig im Sand und bauten Burgen, wie sie es von den Badegästen gesehen hatten.

Weiter landeinwärts lag ein größerer Fachwerkbau mit verstaubten Warenattrappen im Fenster, es war Kaufladen und Kneipe und nannte sich stolz »Grand Palace Hotel«. Hier sprachen sie vor und erhielten ein verhältnismäßig gutes Zimmer mit Aussicht auf die Meeresbucht. Der Wirt war Italiener und hörte auf den Namen Gnocci. Als er vernahm, daß einer seiner Gäste ein Landsmann sei, wurde er sehr zutunlich, sprudelte in seiner Muttersprache alle nur denkbaren Willkommgrüße und Beteuerungen heraus, so daß Gysander trotz seiner vorzüglichen Kenntnis der Sprache kaum verstehen konnte. Beim Wein wurde das Verhältnis bald fast freundschaftlich, so daß die beiden der besten Zuversicht waren, das Nötige zu erfahren. Aber schnell ging das nicht. Sobald der vermeintliche Italiener, der sich den berühmten Namen Signorelli zugelegt hatte, das gefährliche Gebiet streifte, wurde Gnocci merkwürdig hartmäulig, lenkte mit der beweglichen Art seines Volkes von dem Gegenstand ab, und Gysander mußte es aufgeben. Dem Belgrader gegenüber war er noch zugeknöpfter. So gingen acht Tage hin, ohne daß die Beamten nur einen Fingerzeig erhalten hätten. Sie waren jede Morgenfrühe am Strand, um die Boote zum Fischfang auslaufen zu sehen, sie beobachteten die Barfüße aller Fischer, aber keiner hatte einen verkrüppelten großen Zeh.

»Wissen Sie, Kollege«, meinte Gysander nach einem weiteren erfolglosen Tag, »es scheint, als ob der Verbrecher Wind bekommen hätte und sich versteckt hielte …«

»Oder fortgefahren sei«, ergänzte Woyka.

Über die Höhe kam jetzt eine Gendarmeriestreife, die als zu dem Posten in Hvar gehörig erkannt wurde. Laut und barsch forderte der führende Wachtmeister:

»Bitte Ihre Papiere, meine Herren«, dann setzte er leise hinzu: »Sie dürfen uns nicht kennen, Herr Polizeirat, wir werden verfolgt. Zeigen Sie ordnungsmäßig Ihre Ausweise … ich habe ein Telegramm für den deutschen Herrn.«

Die beiden Kriminalbeamten zogen ihre Ausweise, der Wachtmeister prüfte sie eingehend und reichte Gysander mit seinem Paß die eingegangene Depesche. Dann grüßte er militärisch, und die Streife entfernte sich nach den Hütten am Strand. Im Gehen flüsterte er noch: »Vorsicht, Sie sind erkannt und eingekreist.«

Gysander wollte noch etwas fragen, aber der Streifenführer winkte mit den Augen und ging weiter.

Abends auf dem Zimmer lasen sie das Telegramm, das in Geheimschrift gegeben war. Es enthielt nur das Ersuchen, schnellstens einen Tätigkeitsbericht zu senden.

»Von diesem Bericht hängt natürlich Ihr weiteres Verbleiben ab«, meinte der Belgrader Polizist. »Ihre Abberufung wäre für mich und die Lösung meiner Aufgabe ein schwerer Schlag.«

»Sie machen sich unnötige Sorge. Seien Sie nicht ungehalten, daß ich nicht ganz offen gegen Sie war, ich mußte Sie erst näher kennenlernen, ehe ich Ihnen volles Vertrauen schenkte. Nun kann ich Ihnen mitteilen, daß ich einen Geheimauftrag habe.«

»Ich dachte es mir.«

Und nun unterrichtete Gysander seinen Mitarbeiter über den dringenden Verdacht einer kroatischen Verschwörerzentrale in Berlin.

»In Paris und Wien auch. Dem legen wir keine große Bedeutung bei.«

»Aber wir; uns genügt das eigene Gesindel, wir verzichten auf jede Einfuhr.«

»Es ist gut, daß Sie mich eingeweiht haben, ich hoffe Ihnen aus meiner Erfahrung in dem unterirdischen Kampf mit unserer Geheimbündelei manchen Fingerzeig geben zu können.«

»Ich danke Ihnen.« Nach einer schlaflosen Nacht ging Gysander am Morgen früh gegen fünf Uhr an den Strand. Er zählte die Fischerboote und fand, daß eins mehr als gestern auf dem Sand lag.

»Wem gehört dieser Kahn?« fragte er den Wirt.

»Der große mit dem geflickten Segel?«

»Ja der.«

»Dem alten Ripetta.«

»Wer ist das?«

»Ein bösartiger Kerl, mit dem niemand gern etwas zu tun hat.«

»Was treibt er?«

»Er ist Fischer wie alle hier.«

»Und sonst …?«

Der Wirt zuckte die Achseln:

»Er lebt allein mit seinem Jungen.«

Anscheinend wollte der Wirt nicht mit der Sprache heraus, sie hielten ja alle zusammen wie Pech und Schwefel.

»Wo wohnt denn der Ripetta?«

»Wenn Sie über den Berg gehen, kommen Sie nach einer halben Stunde an eine kleine Bucht mit steinigem, ganz flachem Strand. Dort in einer Schlucht hat er seine Hütte. Sie liegt versteckt und einsam, versteckt und einsam ist auch der Alte.«

Gysander brach das Gespräch ab, um den Wirt nicht hellhörig zu machen. Gern hätte er das Boot untersucht, aber er nahm davon zunächst Abstand. Ohne glaubhaften Grund wäre es aufgefallen. Diesen gab der Angelsport.

Er holte seine Rute, trat in das Boot und warf den Haken aus. Das machte sich ganz natürlich. Der Fisch biß gut, und jedesmal wenn er einen der silbernen Schwimmer aus dem Wasser zog, ließ er ihn ins Boot fallen und machte sich mit dem Abhaken lange zu tun. Eine Stunde lang trieb er es so, dann zog er seine Rute ein, verteilte die Beute unter die umstehende Jugend und ging aufs Zimmer, wo ihn Woyka erwartete:

»Nun haben Sie gut gefangen?«

»Sehr gut.«

»Da bin ich gespannt.«

»In dem Boot sind Trebinjac-Zigaretten befördert worden, ich habe eine, gänzlich zertreten, aufgefunden. Da der Alte, wie wir wissen, italienische Zigarren raucht, so kann er die Zigaretten nur als Fracht geführt haben.«

»Das besagt an und für sich nichts. Der Überrest kann von einem Mitfahrer stammen.«

»Schwerlich, es müßte dann ein Stadtherr gewesen sein, die Eingeborenen drehen sich ihre Röllchen selber … Aber Sie bringen mich auf einen Gedanken. Vielleicht hat er Gundolic nach Brazza gefahren und die Zigarette rührt von ihm her. Wir müssen den Alten unter die Lupe nehmen.«

»Was unser Wirt über ihn sagen wollte, hab' ich schon aus ihm herausgezogen. Er schildert ihn als Sonderling, der nur nachts zum Fischen ausfährt. Unter tags wurzelt er in einem Keller, den niemand betreten darf, selbst sein Junge nicht, kurz ein Sonderling.«

»Solche Sonderlinge sehe ich mir gern in der Nähe an. Kommen Sie, wir wollen das Geheimnis des Kellers ergründen, wenn nicht im guten so mit Gewalt.«

Woyka nickte zustimmend, prüfte eingehend seine Pistolen, ölte und lud sie. Dann brachen sie auf. Der Weg ging in westlicher Richtung über einen kahlen flachen Karstrücken. Ein scharfer Wind hatte sich aufgemacht und wühlte dunkles Gewölk am Horizont hoch. Das Meer setzte weiße Mützen auf, die Felsen sangen ihre merkwürdige eintönige Melodie, große graue Raubmöwen kreischten zu Häupten der einsamen Wanderer. Die Luft war geladen mit Gewitterspannung.

Vor ihnen lag der schluchtige Einschnitt, der sich allmählich zur Küste abflachte. Eine verzweifelte Öde, grau in grau, durchzuckt von einem gespenstigen Wetterschein. Es blitzte nicht, nur hinter den stürmisch aufsteigenden Wolken leuchtete es zitternd auf und zerflatterte strahlig im flutenden Dunkel. Das eigenartige Adriagewitter zog vor einem schalen Schirok her. In der Schlucht nisteten sich blaugraue Schatten ein. Und in diesen schimmernden Nebelfetzen sahen sie die Hütte des alten Ripetta, eine verfallene Cabache mit buckligen Fenstern, schief gezogenen Balken und einem grün angelaufenen Schilfdach. Der Unterbau paßte gar nicht zu der einfachen Holzhütte, er war aus den Kalksteinen des Karst in roher Bearbeitung aufgeführt, breites und massiges Mauerwerk wie zu einem Festungsbau. Ein Wall von Geröll umgab die Hütte, die nur einen Zugang durch den verwilderten Garten hatte, wo ein paar hornlose Ziegen das spärliche Blattwerk abweideten. Ein unheimliches Nest, einer Räuberhöhle ähnlicher, als einer Wohnung ehrlicher Menschen.

Die beiden Detektive hatten vorsichtig über die Höhe gespäht. Gysander hob jetzt den Kopf, da riß ihn Woyka schroff zurück; im gleichen Augenblick krachte ein Schuß und ein Schrothagel prasselte auf das Gestein.

»Galt das uns?«

»Wem sonst, es ist ja weiter niemand da.«

»Dann vorwärts, die Feindseligkeiten sind eröffnet.«

Gysander sprang mit der schußbereiten Pistole in der erhobenen Hand die Schlucht hinunter gerade auf die Gartentüre zu. Da trat ihm ein hünenhafter Mann entgegen und richtete drohend eine Doppelflinte auf ihn.

Ein wilder italienischer Fluch quoll aus dem breiten häßlichen Maul, das von weißen Borsten umgrast war.

Der deutsche Kriminalist starrte die grauenhafte Riesenfratze an. Das Erschreckendste war das Maul mit dem gelben Raubtiergebiß, das von verzerrten Wangenfalten umhängt war, an denen sich weiße starre Backenhaare sträubten; eine platte Nase mit aufgeblähten Nüstern, kleine, bösartig blitzende Augen hinter einem borstigen Brauengebüsch, eine niedrige Verbrecherstirn und aufschießendes wirres Weißhaar: Ein richtiges Tigergesicht.

»Hände hoch«, herrschte Gysander den Riesen an, der offenbar Deutsch verstand, und richtete die Waffe auf ihn.

Der Alte ließ das Gewehr fallen, hob die Hände in die Höhe und sprang mit einem fürchterlichen Satz den Beamten an, dieser bog aus, und Ripetta flog gegen Woyka, den er mit einem Faustschlag zwischen die Augen traf, daß er betäubt ins Geröll sank. Dann riß er ein langes Dolchmesser aus dem Gürtel und warf sich auf Gysander. Dieser in solchen Messerkämpfen des Berliner Nordens erfahrene Polizist ließ ihn herankommen, wich dem Stoß geschickt aus und traf mit der hart trainierten Kante der rechten Hand des Angreifers Kehle, der wie ein Turm zur Erde stürzte. Blitzschnell war Gysander über ihm, und die stählernen Handketten schnappten ein. Dann sah er sich nach dem Berufskameraden um.

Woyka war aus der Betäubung erwacht, aber noch völlig benommen von dem Schlag. Er erholte sich jedoch schnell, ein herzhafter Schluck Slivowitz, und er stand auf.

»Donnerkiel, schreibt der Kerl eine Handschrift.«

»Er schreibt nicht mehr, höchstens sein Testament.«

Der Belgrader Polizist trat an den Gefesselten heran und wollte ihn aufrichten, der aber stieß mit den Füßen nach ihm, wälzte sich im Kreis herum und verteidigte sich mit Fußtritten, wie die Wildpferde gegen den Wolf.

Gysander nahm schnell eines der Fischnetze, die zum Trocknen am Zaun hingen und warf es ihm über die Füße. Da hatten sie den Wütenden endlich fest.

Nun sprudelte er eine Flut von Schimpfwörtern hervor, forderte mit gräßlichen Flüchen seine Freilassung: Er hätte nichts verbrechen, die Polizeischufte hätten ihn mit der Waffe bedroht.

»Du hast zuerst auf mich geschossen.«

»Warum streckst du deinen Strohkopf über die Steine, ich habe dich für ein Kaninchen gehalten.«

»So siehste aus.«

Woyka äußerte Bedenken wegen der Festnahme. Der Kerl rede sich auf Notwehr hinaus, und sie seien die Dummen.

»Mir einerlei, ich durchsuche erst die Cabache, da wird sich schon etwas finden, das die Festnahme rechtfertigt. Ich bin nicht empfindlich solch einem wilden Tier gegenüber.«

Trotz des wütend brüllenden Alten drang Gysander in das Haus ein. Dicht bei der Tür drückte sich ein etwa vierzehnjähriger Knabe in eine Ecke des düsteren Hausflurs, der als Küche diente. Gysander redete den zitternden Jungen italienisch an und versicherte ihm, daß ihm nichts geschehe, wenn er brav gehorche.

»Der Vater schlägt mich tot, wenn ich mit jemand spreche.«

»Keine Angst, dein Vater darf dir nichts mehr tun. Du mußt nur alles sagen, was du weißt und uns den Keller aufschließen.«

»Nimm mich fort von hier«, bat der Junge und richtete seine angsterfüllten Augen auf den Beamten.

»Fort von deinem Vater?«

»Er ist gar nicht mein Vater. Als die Blattern hier waren, sind meine Eltern gestorben, da nahm er mich zu sich und ich mußte immer Vater zu ihm sagen.«

»Hast du viel Prügel bekommen?«

»Nein, der Vater war nicht schlecht zu mir, nur durfte ich mit keinem Menschen sprechen. Einmal sprach ich mit Vater Goffredo, da hat er mich fast totgeschlagen. Seitdem hab' ich's nicht wieder getan.«

»Nun vorwärts, geh voran in die Stube.«

Der Junge gehorchte, und im Licht des Fensters sah Gysander erst, wie groß und stark er war. Prachtvolle offene Augen hatte er in seinem wildschönen Gesicht. Er fragte ihn nach dem Namen, die Antwort kam schnell und sicher: Agosto Ripetta.

Die Stube bot nichts bemerkenswertes, eine richtige Seefahrerstube mit den vielen kleinen Andenken, die sich Matrosen in den tropischen Häfen kaufen. Eine besondere Vorliebe schien der Alte für Waffen gehabt zu haben, denn von allen Arten hingen welche an den Wänden. Gysander griff nach einem schönen Dolch altmexikanischer Arbeit, da zog ihm Agosto die Hand zurück:

»Alles vergiftet, wenn du dich nur ein wenig stichst, mußt du sterben!«

»Also lassen wir die Pfoten davon.«

Mitten in dem Fußboden befand sich eine Falltür, die hob der Beamte auf, und es erschloß sich eine Treppe, die nach dem Keller führte. Er ließ den Jungen voransteigen und folgte mit brennender Laterne. Da zeigte sich ein kurzer feuchter Gang, der in einer schweren Bohlentür endete. Ein eisenbeschlagener Balken mit einem derben Schloß sicherte den Zugang.

»Wo ist der Schlüssel?«

»Den trägt Vater an einem Riemen um den Hals.«

Zurück zu dem Gefangenen. Als der Alte den Knaben erblickte, fluchte er mörderlich, weiter aber konnte er nichts tun. Sobald man ihm den Schlüssel abnehmen wollte, biß er um sich, und erst ein Schlag Woykas mit dem Pistolenschaft brachte ihn zur Ruhe.

»Wir wollen die Bestie ins Haus bringen«, schlug Woyka vor. »Hier draußen brüllt der Kerl die ganze Gegend zusammen.«

In der Tat erschienen schon einige Fischer am Zaun und sahen sich den Fall an, aber sie zeigten keine Feindseligkeit.

»Sind die Gendarmen heute wieder drüben?« fragte Woyka.

Die Frage wurde bejaht, und darauf forderte er einen Fischer auf, sie zu holen, es gäbe ein gutes Trinkgeld.

Einer setzte sich auch sofort in Marsch. Andere mußten helfen, den Gefesselten in die Stube zu schaffen, wo er an eine Bank geschnürt wurde. Nachdem alle hinausgewiesen worden waren, schloß Gysander die Türe ab und stieg mit Woyka und Agosto wieder in den Keller hinunter.

Die Bohlentür wurde geöffnet, und es zeigte sich ein fest gemauerter trockener Raum, der von einem schmalen Oberlicht erhellt wurde. Hier lagerten in hohen Kisten Stapel von Zigaretten fertig gepackt. Gefälschte Banderolen fanden sich gebündelt auf einem Tisch.

Das war also der Lagerraum, von dem aus Ripetta die Schwarzware fortschaffte. Aber wie? Er mußte doch erst zu seinem Boot kommen, das eine halbe Stunde entfernt lag.

Als Woyka dies zur Sprache brachte, fragte Gysander den Knaben darnach. Der schüttelte den Kopf.

»Vor unserer Bucht läuft eine tiefe Fahrrinne, zu der wir waten können. Vater holte in der Nacht das Boot heran und dann trugen wir die Packen hinein. Kein Mensch außer uns kennt diesen Weg.«

»Das scheint mir doch sehr unwahrscheinlich«, äußerte sich Gysander, »Fischer sollten ihr Gewässer so wenig kennen?«

»Natürlich wissen alle Bescheid, aber sie verraten einander nicht, weil sie am Schmuggel alle verdienen. Eigentlich müßte man die ganze Gesellschaft verhaften, aber die Beweise fehlen … Wie gedenken Sie nun weiter zu verfahren?«

»Als Polizist soll man nie einen Plan machen, denn der Gegner und die Ereignisse bestimmen allein unser Handeln.«

Es klopfte an der Haustür.

»Das werden die Gendarmen sein. Wollen wir erst den Alten abfertigen!«

Ripetta wehrte sich, er strampelte, schlug um sich und war nicht auf die Beine zu bringen. Die Gendarmen machten kurze Arbeit, sie hoben ihn auf, schleppten ihn an den Strand und warfen ihn ins Wasser. Das Bad half, es kühlte dem Alten das heiße Blut.

»Sollen wir den Jungen auch mitnehmen?« fragten die Gendarmen.

»Ja.«

»Bekommen wir etwas Schriftliches?«

»Nein, ich komme selbst mit.«

»Zu Befehl, Herr Polizeirat.«

Woyka reichte dem deutschen Kollegen die Hand:

»Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden. Ich schicke Ihnen die Gendarmen so schnell wie möglich zurück. Ich kann kaum vor morgen früh wieder hier sein.«      

Gysander machte sich sofort an die Durchsuchung der Hütte, da bemerkte er, daß sich drei oder vier Fischer von der benachbarten Bucht am Gartenzaun eingefunden hatten und nun ohne weiteres eintraten. Das paßte ihm gar nicht. Kurz entschlossen forderte er sie mit der Pistole in der Hand auf, schleunig den Garten zu verlassen.

Feindseliges Gemurmel, trotziges Bleiben, bis schließlich ein junger Hüne den Mut faßte, gegen die Hüttentür vorzudrängen. Da riß dem Deutschen die Geduld, er faßte den Burschen am Kragen und warf ihn zum Garten hinaus, worauf die andern widerwillig folgten. Sie blieben am Zaun stehen und richteten eine regelrechte Belagerung ein. Bald zogen sie auch Verstärkung heran, aber sie wagten nichts.

Gysander sah nach der Uhr. Mit dem Tageslicht konnte er noch einige Stunden rechnen, inzwischen waren auch die Gendarmen zurück. Die Haustür war fest, sie bestand aus schweren Eichenbohlen, und das Schloß hatte zolldicke Zuhaltungen. Der alte Schmuggler war vorzüglich gesichert. So hatte auch der Beamte bei der Durchsuchung keine Störung zu befürchten.

Er war vertraut mit den Tücken einer solchen Arbeit. Nicht nur das Auffinden von ausgeklügelten Versteckplätzen galt es, es galt auch, lebensgefährlichen Überraschungen auszuweichen. Keine Schublade, keine Schranktür unvorsichtig öffnen, sie könnte mit der Zündschnur einer Höllenmaschine verbunden sein, die dann mordgierig aufflog. Solche Zicken hatten die Belgier im Kriege gemacht, ehe sie aus ihren Häusern flüchteten.

In der Wohnstube stand ein mächtiger Tisch aus Eichenholz, unter dessen Platte zwei tiefe Schubladen angebracht waren; in der mittleren steckte der Schlüssel. Das sollte wohl der Anreiz sein, voreilig zu öffnen. Der Beamte ging mit äußerster Behutsamkeit zu Werke und zog die Schublade ohne jeden Zwischenfall heraus. Sie enthielt Akten, Papiere und Zeitungen.

Er legte alles heraus und begann die Durchsicht. Auf den ersten flüchtigen Überblick schien vieles ohne Belang. Aber der erfahrene Kriminalist wußte, daß manchmal ganz harmlose Schriftstücke im Verlauf einer Untersuchung oder Gerichtsverhandlung eine ungeahnte Bedeutung gewannen. Also nichts unbeachtet lassen.

Zur eingehenden Prüfung war jedoch jetzt keine Zeit. Er packte daher sämtliche Schriftstücke zusammen und nahm sogar die Zeitungen mit.

Als er zur Sicherheit, nichts übersehen zu haben, die Schublade ganz herauszog, entdeckte er in der äußersten Ecke eine Aktentasche von schwarzem Rindleder, die verschlossen war. Ein Schlüssel fand sich nicht. Der Junge wußte nichts, er hatte die Tasche nie gesehen.

Nun, das machte weiter nichts aus, man konnte das Leder ja aufschneiden. Damit brauchte der Beamte sich jetzt nicht aufzuhalten. Die Durchsuchung des ganzen Hauses war wichtiger.

Auf dem Tisch stand eine kleine eiserne Kassette, sie enthielt wahrscheinlich nichts von Bedeutung, denn der Schlüssel steckte … oder …? Eine Falle, war hier die Höllenmaschine verborgen? Gysander dachte einen Augenblick daran den Jungen die Kassette öffnen zu lassen, aber nur einen Augenblick, dann schalt er sich feige und öffnete schnell entschlossen den Deckel. Und nun kam eine große Überraschung: Er fand einen Brief, einen Brief mit seiner eigenen Adresse und deutscher Marke, der Umschlag war unversehrt. Merkwürdig, da stand in Maschinenschrift: »Herrn Kriminalrat Martin Gysander aus Berlin, zur Zeit bei Arnoldo Ripetta, Jelsa auf der Insel Lesina (Hvar), Dalmatien.« … Der Brief war in Berlin vor zehn Tagen aufgegeben.

Seltsam. Demnach hatte man vorausgesehen, daß er Ripetta auffinden würde, oder … hatte man ihn absichtlich auf diese Spur geführt? Zum Teufel auch, der alte Fischer war ihm in die Hände gespielt werden. Hatte nicht der Gendarm gesagt, wir seien erkannt und eingekreist? Augen auf, alter Junge, du stehst auf einem Pulverfaß … »Wollen mal sehen, was die Burschen mir mitzuteilen haben … Donnerwetter, das ist frech.«

Der Brief enthielt auf einem ganzen Bogen nur die Verse:

»Martinke, Martinke, hüte Di,
Fangen wir Di, so hangen wir Di.«

Das war bitterer Hohn. Die Kerle mußten sich sehr sicher fühlen, aber nun erst recht. Der Brief lieferte sie ihm aus, oder er müßte nicht Martin Gysander sein. Jedenfalls mußte er so schnell wie möglich zurück, ehe die Spur kalt wurde.

Also die Bande hatte bereits die Verbindung mit Berlin aufgenommen, wahrscheinlich nur eine fliegende Geschäftsstelle, aber immerhin, Fuß fassen durften die kroatischen Schmuggler nicht. Da kam ihm ein neuer Gedanke: Wenn der Brief nur ein Ablenkungsmanöver wäre, um ihn von der Brandstelle des Schmuggels wegzulocken? Dann bewirkte er gerade das Gegenteil, dann bliebe er erst recht auf dem Posten. Was tun? Der guterzogene preußische Beamte hielt an seinem Auftrag fest, meldete neue Ereignisse seinem Vorgesetzten und wartete dessen Entscheidungen ab. Aber nie untätig sein.

In diesem Augenblick kam Woyka zurück. Da war etwas Unerwartetes geschehen, denn er wollte nur die Gendarmen zurückschicken, selbst aber erst morgen früh eintreffen. Der Belgrader Polizist war sehr erregt:

»Denken Sie sich so eine Frechheit. Auf offener Dorfstraße bringt mir ein Junge einen Brief, und ehe ich etwas unternehmen kann, ist er verschwunden.«

»Sie auch?«

»Ja, haben Sie denn auch einen Brief bekommen?«

Statt jeder Antwort reichte ihm Gysander den Wisch hin.

»Aus Berlin? Nanu, jetzt wird's Tag. Meiner ist undatiert, aber aus der hiesigen Gegend, dafür zeugt schon die kroatische Sprache.«

»Und der Inhalt?«

»Eine Drohung und ein Angebot. Entweder muß ich sterben, oder mich bestechen lassen.«

»Die Kerle gehen auf's Ganze.«

»Wir auch, Herr Kollege.« Der Belgrader Beamte reckte drohend die Faust.


 << zurück weiter >>