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Sechstes Kapitel

Der Dampfer Zagreb legte am Bollwerk von Hvar, dem Hauptort der Insel Lesina an. Die Bevölkerung drängte sich vor der Laufbrücke zusammen, um den wenigen Reisenden das Gepäck zu tragen und sich ein paar Dinare zu verdienen.

Das Städtchen hatte Flaggenschmuck angelegt, denn im Hafen schaukelte ein kleiner Kreuzer, dem sich einige Torpedoboote angeschlossen hatten, um in den benachbarten Gewässern eine Gefechtsübung abzuhalten.

Woyka verließ als einer der letzten den Dampfer. Ein Hoteldiener ergriff sein Gepäck und trug es nach dem Palasthotel, wo er ein Zimmer bestellt hatte. Langsam schlenderte er über das Bollwerk, seine Augen hafteten an der herrlichen Waldumrahmung, flogen über die unsinnig blaue Adria, auf der in zitterndem Goldnebel Inseln und Inselchen schwammen.

Und dieses Städtchen! Wenn das nicht für den Schleichhandel wie geschaffen war, dachte er, und ein Verschwörernest obendrein. Überall hörte er die chorvatische Mundart, das ausgesprochene Kennzeichen des echten Kroaten. Sein künstlerischer Sinn erfreute sich an dem mittelalterlichen Aussehen der Straßen, deren graugelbe Häuschen in alte venetianische Paläste eingebaut waren. Allerorten die kunstvoll gegliederte Bildnerei edelster Renaissance, von einer südlichen Pflanzenpracht überwuchert. Auf dem sonnigen Domplatz zitterte die Hitze, die hohen Palmen ließen die verbrannten Wedel hängen, wie die struppigen Maultiere ihre langen Ohren. Auf der Vorlaube von San Michele war kein Stuhl besetzt. Er ging vorüber und stieg die Steintreppen zum Garten des Palasthotels hinauf.

An einem kleinen Tisch unter einer königlichen Palme im Schlagschatten einer prachtvollen Tamariske nahm der Polizeirat Platz. Zu seinen Füßen drohten die fahlgrünen Schwerter großer Agaven, aus deren Mitte der hohe Blütenstab wie eine Fackel in die Höhe loderte. Riesenhafte Opuntien hoben ihre stachligen Triebe über die Gartenmauer.

Der Kellner kam, um die Bestellung entgegenzunehmen, und flüsterte vertraulich, ob der Herr Polizeirat eine schöne Languste als Vorspeise genießen wolle.

»Jetzt zur Schonzeit Langusten?« fragte Woyka.

»Mirko Gundolic besorgt sie uns auch in der Schonzeit.«

»So …Wo hat Mirko Gundolic die Langusten her?«

Der Kellner zog sein Gesicht in geheimnisvolle Falten, und ganz leise kamen die Worte:

»Mirko Gundolic hat alles.«

Da war ja wieder der Name, den Stojan auf das Brett geschrieben hatte. Jetzt aber nicht weiter fragen, nicht aufmerksam machen.

»Dann bringen Sie also eine Languste.«

Nach dem Essen machte Woyka einen Spaziergang die Uferstraße entlang, und als er aus dem Weichbild des Städtchens heraus war, wurde er von einem zerlumpten Kerl in französischer Sprache angebettelt. Er faßte ihn scharf ins Auge: Ein hageres blasses Gesicht mit dunklen Augen und schütterem grauen Haar über einer gefurchten Stirn. Der Bettler hielt sich kaum auf seinen dürren schlotternden Beinen. Er warf ihm ein paar Dinare zu, die jener schnell einsteckte, um sie in der nächsten Kneipe in Wein umzusetzen.

Dem Geheimen wollte das Gesicht nicht aus dem Sinn, er mußte den Bettler schon irgendwo gesehen haben. Aber wo? Natürlich brachte er ihn mit seiner Aufgabe in Verbindung. Argwöhnisch durchfurchte er sein Gedächtnis nach dem immerhin nicht alltäglichen Gesicht. Da mit einemmal wurde es hell in seiner Erinnerung: Eine kleine galizische Stadt, Marktplatz, Kriegstrubel, scherzende, lachende Truppen deutscher und österreichischer Regimenter. Und dann plötzlich ein Auflauf. Deutsche Soldaten brachten einen Spion gefesselt an. In dem holprigen Pflaster drohte hochaufgerichtet ein Galgen, an dem die irre flackernden Augen des Verurteilten emporflogen. Das waren die gleichen Augen. Ein wilder Lärm, Wirrwarr, unsichtbare Hände hatten den Gefesselten befreit, eine Wand von Menschen schob sich zwischen ihn und die Soldaten, ein Turm von Marktkörben war unversehens da, und der Spion verduftete.

Das also war der Kerl. Woyka beschloß, ihn im Auge zu behalten.

Er schlenderte weiter und kam in ein Gebiet von Ruinen. Da war die verfallene Villa des kroatischen Dichters Hannibal Lucic. Von diesem kostbaren Überrest führte eine steinige Straße zur Höhe, die gute Aussicht in das Innere der Insel gewährte. Eine schön geschwungene Berglinie, über die zwei alternde Ports ihre bemoosten Häupter erhoben.

Hinter den kleinen Inselchen duckte sich jetzt die Sonne, um ihr glühendes Angesicht in die blaue Adria zu tauchen. Unbegreiflich schön der Abend, und so feierlich läutete die Glocke im Kloster zur Vesper.

Rasch sank die Dämmerung nieder. Woyka stieg zu einem Zypressenwäldchen hinauf. Er wollte eine Übersicht über den Weg gewinnen, ehe die Dunkelheit völlig hereinbrach.

Da war es ihm, als ob etwas hinter ihm herschliche. Er blieb stehen und sah sich um, konnte aber nichts entdecken. Es war auch wieder ganz still geworden, nur die Zypressen raunten merkwürdig, wenn der Atem der Adria ihre trockenen Nadeln ins Rieseln brachte.

Das Meer schien tiefster Indigo, am Hafen blitzten Lichter auf. Woyka beschleunigte seine Schritte, um das finstere Wäldchen im Rücken zu lassen. Wieder raschelte es hinter ihm … Jetzt nicht zurückschauen, langsam sich ins Schleudern verlieren, aber alle Sinne anspannen. Und keine Waffe hatte er bei sich, nicht mal einen Schlagring, so mußte also die harte Faust ausreichen.

Jetzt kam es näher. Auf den Weg fiel schon das matte Licht der baumlosen Höhe. Noch zehn Schritte und er hatte das Wäldchen hinter sich. Wenn ein Angriff geplant war, in diesem Augenblick mußte er kommen. Und er kam.

Ein Mensch sprang ihn von hinten an. Woyka fuhr herum, faßte mit der Linken eine mit langem Messer bewehrte Hand am Gelenk, indes die rechte Faust wie ein Hammer auf die Schläfe des Angreifers niederfiel. Dann zerrte er den Burschen hinaus in das schwache Abendlicht.

»Ah, du Strolch. In Galizien bist du dem Galgen entwischt, hier läufst du ihm nicht davon.«

»Oh, mon Excellence, je suis un pauvre mendiant.«

»Schweig, du verbrannter Lump, vorwärts!«

Woyka hob das Messer auf und steckte es zu sich, immer ohne das Handgelenk des Bettlers loszulassen. Dann schob er ihm den rechten Arm unter die Achsel und drückte ihm das Ellbogengelenk nach der Beuge hin durch, so daß der Kerl vor Schmerz laut aufheulte. Ein bewährter Polizeigriff, dem so leicht kein Mensch widersteht.

Er brachte den Bettler zum Hafen hinunter und übergab ihn dem Gendarmerieposten.

Das Verhör ergab nichts von Bedeutung. Der Bettler hieß Kolnica, war in jungen Jahren zur See gefahren, hatte dann in der französischen Fremdenlegion gedient und sich schließlich wieder in seiner Heimat angefunden.  

Woyka stieg zur hell erleuchteten Terrasse des Kursaales hinauf, ließ sich Wein mit Soda bringen und griff nach den dort ausgelegten deutschen Zeitungen, aber seine Gedanken waren nicht bei der Sache. Er mußte unentwegt an seinen Inspektor Stojan denken. Wo lag der gefangen? Trotz fieberhafter Arbeit der Spalatener Polizei war noch immer nichts ermittelt worden. An Mord glaubte er nicht, seit dem Angriff des alten Bettlers schon gar nicht mehr. Nur auf ihn war es abgesehen; war er beseitigt, hielt man Stojan für verhältnismäßig ungefährlich. Aber auch er konnte ohne seinen vertrauten Inspektor, seine rechte Hand, nicht wirksam durchgreifen.

In diesem Augenblick trat aus dem dunkeln Garten ein gut gekleideter Herr an den Tisch und fragte höflich, ob eine der deutschen Zeitungen frei wäre. Als Woyka bejaht hatte, nahm er mit einem wieder sehr höflichen »Gestatten Sie« dem Polizeirat gegenüber Platz und bestellte in deutscher Sprache Wein mit Soda. Danach vertiefte er sich in seine Zeitung. Woyka sah den Herrn mißtrauisch an. Warum setzte er sich gerade an seinen Tisch, wo doch andere genug frei waren? Der Beruf und die Erfahrungen der letzten Zeit hatten ihn übervorsichtig gemacht. Was war denn eigentlich auffällig? Der Herr hatte die deutschen Zeitungen gesehen, einen Landsmann vermutet und sich gleich auf frischer Tat an Ort und Stelle niedergelassen. Man soll auch die Vorsicht nicht übertreiben. Schattenhaft tauchte vor seinem geistigen Auge ein Erinnerungsbild auf. Das Gesicht hatte er doch schon einmal gesehen. War das nicht …? Aber nein, das schien unmöglich … Und doch … Die Ähnlichkeit … Das Bogenlicht konnte täuschen. Er betrachtete sich den Herrn genauer, und in demselben Augenblick hob dieser auch den Kopf. Beider Augen begegneten sich.

»Es ist doch großartig, daß man auf dieser Adriainsel eine Berliner Zeitung findet.«

»Sie sind Berliner?« fragte Woyka.

»Ausnahmsweise einmal ein waschechter und keiner aus Breslau.«

»Zum erstenmal in Dalmatien?«

»Und Sie sind auch Deutscher?«

»Nein, ich bin Slowene.«

»Aber Sie sprechen unsere Sprache vorzüglich, fast ohne Akzent.«

Bei diesen Worten glitt ein merkwürdig scharfer Blick des Deutschen über das Gesicht Woykas. Dieser Blick fiel ihm auf. Was wollte der Mann von ihm? Etwas war da nicht in Ordnung. Das beste ist in solchem Fall überraschend fragen:

»Warum sehen Sie mich eigentlich so aufmerksam an?«

Der Fremde lächelte: »Sie haben das bemerkt. Eigentümlich, Sie scheinen gut zu beobachten … Und doch haben Sie mich nicht erkannt. Allerdings haben Sie mich nur einmal gesehen.«

»Alle Wetter, Herr Kriminalrat …Ich hatte Sie so zeitig noch nicht erwartet. Ihre Verkleidung ist vorzüglich, sie hatte sogar mich alten Ganovenfänger zweifelhaft gemacht.«

»Auch ich war Ihrer nicht ganz sicher. Sie haben Ihren Schnurrbart abgenommen, das hat mich anfänglich irregeführt, als ich aber den Polizeiblick sah …«

»Da haben Sie den Wolf im Schafspelz erkannt.«

Sie schüttelten sich kameradschaftlich die Hände.

»Haben Sie schon etwas ermittelt?« fragte Woyka.

»Bislang habe ich die Verhältnisse an der ehemalig österreichischen Grenze studiert, aber keinen Anhalt gefunden.«

»Das glaube ich wohl. Die Waren werden wahrscheinlich über die Adria nach einem italienischen Küstenort geschafft, wo unsere Pascher überall ihre Helfer sitzen haben. Noch kein Erlebnis gehabt?«

»Aber Herr Woyka, dazu ist meine Aufgabe viel zu ernst, um Reiseabenteuer zu suchen.«

Der Polizeirat lachte vergnügt:

»So meine ich das auch nicht. Ich wollte nur wissen, ob die Gegenseite noch keinen Angriff auf Sie gemacht hat.«

»Das ist doch wohl kaum zu erwarten. Ich reise hier als deutscher Ferienbummler, habe mich als Referendar außer Dienst, was auch richtig ist, durch meine Papiere ausgewiesen. Wer sollte in mir den Polizisten vermuten?«

»Seien Sie lieber nicht so sorglos. Ich habe erst diesen Abend einen Mordanfall abgeschlagen. Hier sehen Sie«, und er zeigte des Bettlers Dolch.

Gysander nahm ihn in die Hand und betrachtete ihn eine ganze Zeit in schweigender Prüfung. Endlich fragte er:

»Können Sie mir den Dolch überlassen? … Mit einer solchen Waffe ist der arme dalmatinische Händler in Berlin erstochen worden. Ich glaube, wir sind da auf eine wichtige Spur geraten.«

»Diese Spur dürfte Ihnen wenig helfen, denn Dolche von der Art gibt es in unserm Lande unzählige. Die Waffe sagt Ihnen nur, daß der Mord von einem Dalmatiner begangen wurde, und das wissen Sie ohnehin. Ist Ihnen schon der Bericht unserer Kriminalabteilung über diesen Milotsch zugegangen?«

»Ja, ich habe ihn gestern erhalten.«

»Aber was man nicht schreiben kann, das Unwägbare, das in der Volkseigenart liegt, das wissen Sie nicht. Sie wissen, daß dieser Milotsch seine Verschwörergenossen angegeben hat und darum mit dem Tode bedroht wurde. Er floh über die Grenze und es bestand die Gefahr, daß er auch die Zigarettenschmuggler verpfeifen würde. Damit hätte er eine bedeutende Einnahmequelle der Verschwörer verschüttet, und deshalb mußte er sterben.«

»Wenn wir die Herkunft des dreieckigen Dolches ermitteln, gewinnen wir meines Erachtens eine Handhabe an der Person des Mörders und auch der Schmuggler.«

»Die Schmuggler kennen wir schon, auch ihren Hauptmann, aber wir haben keine Beweise gegen sie. Wir müssen sie bei der Tat abfassen … Und das ist jetzt meine Aufgabe.«

»Und ich muß feststellen, wie ein solcher Dolch nach Berlin gekommen ist.«

»Das wird sehr schwer sein. Derartige Waffen werden durch die dalmatinischen Hausierer in ganz Europa eingeführt und verkauft. Wir müssen den Kopf der Schlange treffen, und dieser Kopf heißt Mirko Gundolic.«

Woyka überlegte, ob von einer offenen Zusammenarbeit Vorteil zu erwarten sei und kam zu dem Schluß, daß es besser sei, sich zu trennen. Ein tüchtiger Polizist   und das mußte Herr Gysander sein, sonst hätte ihn seine Behörde nicht ins Ausland geschickt   sah viel klarer aus eigener Anschauung, und ein Austausch der Ergebnisse konnte nur von Nutzen sein. Auch war man in der Lage, sich gegenseitig den Rücken zu decken. Jedenfalls mußte ihre Verbindung geheim bleiben, er schlug daher vor, sich stets nur ganz unauffällig zu treffen.

Das war in Hvar sehr leicht, man brauchte bloß vom Bade über den Hafen nach dem Franziskanerkloster zu gehen, da begegnete man irgendwo bestimmt dem, den man suchte. In diesem Sinn beschlossen die beiden Geheimpolizisten zu verfahren.


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