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Viertes Kapitel

Durch die wildschöne Paklenicaschlucht stieg eine Gruppe von bewaffneten Dalmatinern, die mehrere schwer beladene Maultiere trieben. Auf einem ritt der Belgrader Geheimpolizist. Er war nicht gebunden, aber seine Begleiter trugen schußfertige Pistolen in der Hand. Die Nacht war stockdunkel, und der Geröllpfad führte steil aufwärts. Niemand sprach ein Wort.

Der Beamte brütete vor sich hin. Er war wütend auf sich. In eine so plumpe Falle zu gehen, wo doch sein Verdacht schon erwacht war. Die verfluchte Eitelkeit, die ihn immer trieb, sich zu weit vorzuwagen. Er schüttelte ingrimmig den Kopf … so ein böser Reinfall. Er hatte einen ganz anderen Dreh erwartet, narkotisierte Zigaretten oder so etwas, um ihn zu betäuben, und dagegen hatte er schon seinen Plan ausgedacht. Er würde sich eine Zigarette nehmen, diese aber mit einer andern geschickt vertauschen. Dann hätte er den narkotischen Schlaf nachgeahmt und die Kerle bei einem Angriff niedergeschossen.

Man soll eben immer jede Möglichkeit durchdenken, aber wer konnte darauf kommen, daß die Verbrecher auf der hell beleuchteten Station einen Überfall wagen würden.

Jetzt ritt der Anführer des Trupps an seine Seite:

»Deine Rolle als Spitzel der Serben ist ausgespielt, mein Junge. Vielleicht kannst du eine andere übernehmen. Ich habe dich nicht fesseln lassen, weil deine Leiche keine Spur von Gewalt aufweisen darf, wenn man sie am Bahnkörper vorwärts Radac findet. Wir schlagen dir den Schädel derart ein, daß deine Kollegen darauf schwören, du seiest aus dem Zug gestürzt.«

Der Schmugglertrupp trat nun aus den letzten Ausläufern des Paklenic-Forstes hinaus auf die klippenreiche Höhe. Graudüstere Gipfel erhoben sich rundum. Wenn der Polizist jetzt vom Maultiere sprang und … Nein, erst mußte diese Geröllhalde überwunden sein. Wenn Wald oder gewachsener Fels kam, dann durfte er hoffen, den Pistolen der Pascher im Dunkel der Nacht hinter einer natürlichen Deckung zu entgehen.

»Warum gibst du keine Antwort? Du brauchst doch nicht weiter den Deutschen zu spielen, wir haben deine Papiere durchgesehen und kennen dich.«

Der Geheime zeigte dem Schmuggler ein vergnügtes Lächeln:

»In meinen Papieren wirst du nichts finden, so dumm ist kein Kriminalist. Selbst in meiner Wäsche ist kein falscher Buchstabe, alles mit dem Paß abgestimmt, den ich führe.«

»Du scheinst deine Lage verdammt kaltschnäuzig zu nehmen.«

»Soll ich mich wegen solchem Gaunerpack aufregen? Hat das Zweck? Ihr habt mich, macht mit mir, was ihr wollt.«

»Das tun wir schon um unserer Sicherheit willen.«

Der Schmugglerzug erreichte jetzt den Kamm in einer Höhe von fast sechzehnhundert Metern und trat nach kaum einer Viertelstunde in zackiges Felsgebiet ein.

Ein Maultier hielt sich hinter dem andern, der Weg war schmal, und das Gebirge fiel zur einen Seite steil in die kleine Paklenicaschlucht ab. Plötzlich hielt der Zug. Aus der Nacht war ein Berghirt aufgetaucht, der mit dem Anführer leise sprach. Wohl eine Viertelstunde wurde beraten, dann der Befehl gegeben, einige Maultiere abzupacken und ihre Last anderen aufzulegen.

Etwas war nicht richtig, anscheinend hatte die Gendarmerie Alarm geschlagen, und man mußte die Waren eilig flüchten.

Der Geheime lockerte vorsichtig die Füße in den Seilschlingen, die als Steigbügel dienten.

Jetzt oder nie. Blitzschnell warf er ein Bein über den gesenkten Kopf des Maultieres. Es schreckte auf und machte einen Sprung. Müller lag auf der Erde und kollerte die Schlucht hinunter. Sofort war der ganze Zug in Bewegung, Schüsse wurden dem Flüchtling nachgesandt, der aber sprang, lief, holperte und stolperte in die Tiefe. Die nachgesandten Geschosse klatschten an die Felsen, manchmal ganz dicht neben ihm, auch Kienfackeln leuchteten auf, die ihm in die Schlucht nachfolgten, aber er kümmerte sich um nichts, sondern rannte um sein Leben, bis er plötzlich knietief in ein Wasser rutschte.

Ah, dachte er, ich bin auf der Sohle der Schlucht.

Das Wasser kann nur nach dem Meer abfließen. Also war die Richtung gegeben, und nun hieß es vorwärts immer dem Wasser nach.      

Die Flucht des Geheimpolizisten hatte die Pascher in große Aufregung versetzt. Alle redeten leidenschaftlich durcheinander.

»Wenn er durchkommt, sind wir verraten.«

Ein anderer fluchte: »Ich hab's gleich gesagt, Mirko hat immer so ausgefallene Sachen … Leben lassen, nicht fesseln. Dummheit … Tote Spitzel reden nicht mehr … Wenn er durchkommt …«

»Er darf nicht durchkommen, und er kommt nicht durch«, ließ sich jetzt der Anführer vernehmen, »Alte Weiber seid ihr, sonst wäre der Halunke keine zwei Schritt weit gekommen. Vorwärts jetzt, Petar, Jakse, Jure, her zu mir. Zwei von euch auf die schnellsten Maultiere, der Hund kann nur an einer Stelle aus der Schlucht heraus. Also los, ihr umreitet die Schlucht so schnell wie möglich, und wenn die Maultiere den Hals brechen. Ihr haftet mir mit eurem Kopf für den Spitzel.«

»Und was soll ich«, fragte Jure, der gefährlichste Wilddieb im ganzen Velebit.

»Du folgst ihm in die Schlucht. Er muß am Sumpf den Bach erreicht haben, dort wirst du seine Spur finden. Ich muß ihn lebendig haben, nur in äußerster Not darfst du …« er machte eine entsprechende Gebärde. »Keinen Schuß, gib ihm dein Messer unters linke Schulterblatt. Fort mit Euch, worauf wartet ihr?«

Und wieder rief er:

»Andrija, Franjo, zu mir. Ihr reitet mit mir nach Starigrad, damit wir den Kerl dort empfangen, wenn er den andern durch die Finger geraten ist. Mir wird er nicht entwischen. Er darf nicht. Dieser Woyka ist der einzige Polizist im ganzen Königreich, der uns gefährlich werden kann. Los, wir reiten. Ihr andern bringt die Packen in Sicherheit. Nachricht trifft mich in Starigrad.«

Damit saßen die drei auf und in schlankem Maultiertrab ging es der Küste zu.

Nur bei der blinden Sicherheit der Tiere war ein solcher Ritt möglich. Der Saumpfad, der um den Berg herumleitete, war mit Kalkgeröll bedeckt und kaum so breit, daß der Huf eines Maultieres fußen konnte; dazu noch die stockdunkle Nacht, denn auch das Licht der Sterne war von einem Dunstschleier verhüllt, den das nahe Meer in der zweiten Nachthälfte heraufsandte.

Trotzdem trieb der Anführer fortwährend zur Eile, und als der Morgen graute, ritten die drei Schmuggler verwegen an der Gendarmeriekaserne vorbei in die Stadt ein. Bei dem Kaufmann Marulic pochten sie ans Tor und wurden von dem schnell aus dem Bett gekrochenen Hausherrn eingelassen. Sie brachten die Tiere in den Stall und traten dann in die Wohnstube.

»Nichts von Mirko eingetroffen, Nikola?«

»Nichts, ich denke, er wird selbst kommen.«

Marulic ging und brachte eine Flasche Prosecco mit Gläsern. Jeder goß sich von dem prachtvollen Wein ein und trank, denn der scharfe Ritt hatte alle angestrengt.

Ungefähr eine Stunde später kam Petar an, er zog sein Maultier in den Stall und setzte sich dann zu den andern an den Tisch.

»Sprich, was ist geschehen, habt ihr ihn?«

»Erst ein Glas Wein, ich bin wie ausgedörrt.« Er trank in tiefem Zug, wischte sich den herabhängenden Schnurrbart und sagte dann: »Ja, wir haben ihn.«

»Dann ist's gut.«

In diesem Augenblick brachte ein kleiner Junge einen Brief. Marulic reichte ihn dem Anführer hin: »Für Ragutin, es ist Mirkos Handschrift, mach auf und schau, was er will.«

Ragutin erbrach das Schreiben und las.

»Nun, was ist?«

»Mirko ist in Jatara. Wir müssen dich verlassen, Nikola.«

Die Maultiere, die inzwischen gefüttert und getränkt worden waren, wurden aus dem Stall gezogen, und bald darauf verließen ein paar harmlose kroatische Bauern und Händler, die anscheinend mit dem Kaufmann Marulic Geschäfte gemacht hatten, dessen Hof und ritten auf dem Weg nach dem Dorf Jatara, das auf weltverlorener Höhe liegt. Die Straßen waren mit Karstschotter bedeckt, die Häuser klein und ganz in Stein gebaut, niedrige Fenster, Gärtchen, worin sich Feigenbäume in der Sonne badeten, Grünflecken mit ein paar Blumen; an sonnigen Abhängen Trauben in reichem Fruchtbehang.

An einem größeren Haus, das ein kleines Schaufenster mit verstaubten Waren hatte, stand an der Tür die Aufschrift, »Cassio Marini, Trgovac.« Er war also der Kaufmann des Ortes und wurde von Mirko als Reisespion benutzt. Da er einige Vertretungen in- und ausländischer Firmen hatte, kam er im ganzen Lande herum. So hatte er auch als harmloser Geschäftsreisender im Agramer Schnellzug den Angriff auf den Belgrader Geheimpolizisten geleitet.

In strahlender Morgensonne waren die Pascher vor Cassios Hause angekommen. Sie wurden sofort in den Hof geführt, wo sie sich an einem breiten Tisch unter schattigen Nußbäumen niedersetzten. Mirko war schon wieder fortgeritten und hatte ein zweites Maultier, das eine längliche Kiste trug, mitgeführt. Das Warum wurde verstanden. Am Tag konnte der Gefangene nicht in Marinis Haus gebracht werden. Dazu mußten besondere Vorkehrungen getroffen werden, und Mirko war erfinderisch. Es dauerte auch nicht allzu lange, da kam er zurück.

»Alles in Ordnung?«‚ fragte Marini.

Mirko nickte: »Ich habe die Kiste dem Mihol am Kreuzweg übergeben, er bringt sie herauf. Etwas zum Einschläfern habe ich dazugelegt, so kommt er unbemerkt in Cassios Keller.«

Es dauerte noch viele Stunden, ehe die Pascher mit dem Gefangenen ankamen. Er schlief fest in seiner Kiste und merkte nichts von der Überführung.

Marini trug das einfache Mittagessen auf, eine Kohlsuppe und stark gezwiebeltes Hammelfleisch, wozu viel des weißen Brotes gegessen wurde. Dann ging der Italiener nach der Kellerstube und fand den Gefangenen erwacht. Er klagte über Durst, und gutmütig brachte ihm Marini Wein. Da erkannte er seinen Reisegefährten und fuhr wütend auf. Die reiche kroatische Sprache mußte ihren ganzen Schatz an Schimpfwörtern hergeben, um den Groll des Polizisten zu entladen. Cassio lachte nur:

»Du wirst schon ruhig werden, wenn du eine Kugel ins Genick bekommst.«

»Sei verdammt, du italienischer Hund.«

Cassio ging und rief Mirko. Als der den Gefangenen sah, stieß er einen lauten Ruf der Überraschung aus:

»Das ist doch nicht Woyka! Cassio, du Brummochse, du hast dich anführen lassen. Den Kerl hier kenn ich nicht.«

»Aber ich erkenne dich, Mirko Gundolic. Erinnerst du dich an die Hölle in der Duklasenke, wie ich dich aus dem russischen Stacheldraht herausholte?«

»Wahrhaftig, Dinko Stojan. Du, ein Kroat, dienst dem Serben gegen deine Brüder? Schämst du dich nicht?« Eine Zeitlang blickte er ihn stumm an, dann fuhr er fort: »Ah, jetzt sehe ich klar, ihr seid beide zum Bahnhof gefahren, er aber blieb zurück. Dich schickte er offen vor, um uns zu täuschen. Wo ist der Hund, sag's uns, dann bist du frei und bekommst so viel Geld, wie du in deinem Leben nicht fressen kannst.«

»Mirko, du warst mein Korporal, wir haben aus einem Kochgeschirr gefressen.«

»Hilft dir nichts, du mußt sterben, wenn du nicht unser Handgeld nimmst.«

»Mirko, du warst mein Kriegskamerad, in Not und Tod haben wir treu zusammengehalten. Angespuckt hättest du mich, wenn ich dich verraten hätte. Woyka ist jetzt mein Kamerad, mein Korporal, ich verrate ihn nicht, nie, nie, nie. Anspucken würde ich mich selber, wenn ich's tät.«

»Es tut mir leid um dich, Dinko, ich kann dich nicht leben lassen, wenn du nicht zu uns schwören willst. Aber ich will dich nicht drängen, du hast vierundzwanzig Stunden Zeit zum Überlegen. Denk an unsere alte Kameradschaft.« Dann zu Marini gewendet: »Du haftest mir für ihn.«

»Keine Sorge, Mirko, er ist hier ganz sicher.«

Gundolic drückte dem Gefangenen die gefesselten Hände:

»Überleg dir's, Dinko, verrate nicht deine Brüder an den Serben … Es kann dir nichts geschehen, wenn du den Woyka verpfeifst. Wir legen dich gebunden und geknebelt in den Wald, wo dich die Gendarmen finden, die hinter uns her sind. Kannst Ihnen erzählen, was du willst. Dann trittst du aus dem Polizeidienst aus, was dir kein Mensch übelnehmen wird.«

»Ich hab einen Diensteid geschworen und den halt ich. Schlag mich tot und sei verdammt.«

»Vierundzwanzig Stunden geb ich dir Zeit.«

Damit ging er. Der Gefangene blieb allein in der Kellerstube, deren Fenster auf den Hof ging und stark vergittert war. Ein Feldbett mit Strohsack, ein Kopfpolster und eine Decke waren alles, was der Raum enthielt.


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