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Fünftes Kapitel

Woyka war mit seinem Zweidecker in aller Herrgottsfrühe auf einer Hochfläche bei Spalato gelandet. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Nur auf der Straße von der Eisenbahn her schaukelte ein Bauer auf seinem Maultier, ein zweites neben sich am Zügel führend. Er hatte das Flugzeug schon eine ganze Weile beobachtet, und als es jetzt niederging, setzte er seine Tiere in Trab.

Er erreichte die Landungsstelle und wurde von Woyka mit einem Händedruck begrüßt:

»Guten Morgen, Danilo, ist Stojan eingetroffen?«

»Nein, Herr Polizeirat, er war nicht im Zug.«

Woyka wurde nachdenklich.

»Dann ist etwas passiert. Sind die Gendarmen gekommen?«

»Nein, auch nicht.«

»Hab ich die Kerle doch richtig eingeschätzt«, und zu dem Piloten gewandt: »Können Sie die Maschine in Gang bringen?«

»Mit ihrer und des Mannes Hilfe, ja.«

»Dann los, geben Sie uns ihre Anweisungen.«

Ein weniges später stieg das Flugzeug auf, beschrieb eine Schleife und zog dann in östlicher Richtung davon.

Woyka und der Bauer ritten so schnell, wie die Tiere laufen wollten, nach Spalato hinein, das noch im Morgenschlaf lag. Hafen, Bahnhof und Marktplatz vermieden sie und begaben sich in den Ostteil der Stadt, das alte winklige Spalato, wo sie in einem kleinen baufälligen Hause verschwanden?

In der niedrigen Stube warteten zwei Gendarmen, die aufstanden und dienstliche Haltung annahmen, als sie Woyka erkannten. Dieser fuhr sie hart an:

»Wo habt ihr den Inspektor Stojan gelassen?«

»Er ist verunglückt.«

»Der schwarze Teufel soll euch holen, überfallen wurde er, verschleppt, vielleicht ermordet.«

»Er ist aus dem Zug gefallen, wir haben die Stelle gefunden, gerade dem Bahnhof von Radac gegenüber, da lag sein Feuerzeug, es ist D. S. graviert.«

»Und was weiter?«

»Wir haben den Namen des Reisenden festgestellt, der von Ogulin mit ihm im selben Abteil fuhr.«

»Und nicht festgenommen? Die Peitsche verdient ihr.«

»Er hat sich durch seine Papiere ausgewiesen als Kaufmann Cassio Marini aus Jatara.«

Woyka pfiff leise … Dann nahm er die Karte heraus und studierte eingehend das Gelände. Schwierig, sehr schwierig, man müßte über Knin fahren, da sind die Straßen am besten. Woyka hatte halblaut vor sich hingesprochen. Danilo antwortete, das sei richtig, ob er einen Wagen holen solle. Ja, stimmte der Polizeirat zu, aber den stärksten, den er auftreiben könne und dazu den tüchtigsten Fahrer. Es ginge um das Leben des Inspektors. Was die Meinung der Gendarmen sei.

»Wenn die Pascher ihn aufgehoben haben, ist er ins Gebirge verschleppt werden.«

»Oder ermordet«, warf Woyka finster ein. »Aber das kommt auf eure Kappe, ihr habt euch unverantwortlich benommen.«

»Die Schleichhändler scheuen das Blut«, meldete sich jetzt Danilo. »Ein Mord macht zu viel Lärm, sie werden den Stojan verborgen halten, bis alles in Sicherheit ist.«

»Das war einmal, jetzt sind die Pascher auch Verschwörer und sie haben den Milotsch, der sie verpfiffen, bis nach Berlin verfolgt und in einem Walde umgebracht. Ich traue der Bande jedes Verbrechen zu. Darum keine langen Vorreden. Mach und hole den Wagen.« Und zu den Gendarmen: »Ihr fahrt mit.«      

Die Straße nach Jatara führte in mäßiger Krümmung bergan, Zu beiden Seiten begannen Weinberge. Vereinzelte Ölbäume mit ihrem vertrackten Geäst wuchsen aus dem steinigen Grund.

Ein alter Johannisbrotbaum schien fast den Abhang herabzugleiten. Sein Stamm war schon an der Wurzel auseinander gefallen, die Äste schlichen über den Boden und streuten ihre harten braunen Schoten ins graue Geröll. Einzelne Schutzhütten, roh aus Feldsteinen aufgeschichtet und mit gesplißten Brettern gedeckt, waren in die Weinberge eingebaut. Ziegen, die untrüglichen Zeichen einer menschlichen Siedlung, kletterten in den felsigen Hängen herum, in der Farbe kaum von der karstigen Umwelt zu unterscheiden. Alles hatte hier das Mimikry der Felslandschaft angenommen. Auch die ersten Häuser des Dorfes sahen wie natürliche Geröllhaufen mit schwarzen Löchern aus.

Da hielt auch schon der Wagen vor dem Kaufmannsgeschäft des Cassio Marini, und im Handumdrehen waren die Gendarmen auf ihrem Posten. Einer bog ums Haus herum und stellte sich mit schußfertigem Karabiner auf, der andere besetzte die Tür, in der jetzt Woyka und ein Gendarm verschwanden.

»Sie sind Cassio Marini?«

»Zu dienen.«

Ein tückisches Lächeln spielte um den breiten Mund des Kaufmanns, und in seinen Augen war Raubtierglitzern. Woyka beobachtete ihn genau und fuhr fort:

»Haben Sie einen anständigen Prosecco, Marini?«

»Oh, euer Exzellenz, ein Weinchen, wie es der König nicht besser trinkt. Nehmen die Herren draußen Platz, ich bringe sofort einen Fiasco aus dem kühlen Keller.«

Marinis Haus hatte wie alle kroatischen Bauernhäuser einen geräumigen Hofplatz mit schönen alten Bäumen, unter denen ein Tisch mit Bänken und Holzstühlen eine Schattenruhe bot. Dort setzten sich Woyka und der Gendarm nieder.

»Ich brauche dem Kerl nur in seine frechen spöttischen Augen zu sehen, um zu wissen, daß wir hier nichts finden. Wir müssen an einem andern Ende anfangen.« Er wandte sich nach dem Auto: »Danilo, meine Zigaretten.«

Danilo brachte die Zigarettenschachtel und fragte leise, was der Herr befehle.

»Fahre durchs Dorf, markiere eine Panne, und wenn die Leute um dich herumstehen, horche sie aus, ob der Italiener heute etwas fortgeschafft hat. Du weißt schon was. Ich stelle dir frei, den Sergeantchauffeur mitzunehmen.«

»Zu Befehl, Herr.«

Das Auto setzte sich in Bewegung. Marini brachte den Wein und stellte wie landesüblich Brot und Trauben auf den Tisch.

Der Wein war prachtvoll, und die Beamten tranken mit großem Behagen, aßen Trauben, dazu Brot und brannten schließlich ihre Zigaretten an.

»Wir müssen auf Danilo warten. Wenn etwas zu erfahren ist, er kommt sicher dahinter.«

Eine halbe Stunde verging in scheinbar harmloser Ruhe. Woyka beobachtete jede Bewegung Marinis, der nervös hin und her trabte, bald an den Tisch kam und nach Wünschen der Gäste fragte, bald im Hof mit seiner Magd zankte, die in einer Ecke saß und Flachs hechelte. Dann wieder trat er an die Gendarmen heran, um ihnen einen Prosecco zu reichen, worauf er ins Haus schoß. Kurz, ein wachsamer Beobachter konnte seine Unruhe bemerken. Da kam Danilo mit dem Auto zurück.

»Nun, was ist los?«

»Niemand hat etwas bemerkt. Der Italiener war schon vor Tagesanbruch um die Wege, man glaubt auch, daß er um diese Zeit Besuch hatte, aber gewisses wußte niemand. Später sind dann Bauern von Starigrad heraufgekommen und bald wieder fortgeritten.«

»Es scheint also, daß das Geheimnis noch im Hause steckt. Wir wollen fest zufassen … Marini!«

»Exzellenz?«

»Haben Sie mehr von dem Wein?«

»Ich bin gut versehen.«

»Wo liegt der?«

»Nun, im Keller, wo aller Wein liegt.«

»Lassen Sie sehen.«

Woyka ging ins Haus, Marini folgte und der Gendarm machte den Schluß. Der Polizeirat stieß die Kellertür auf und schaute in den dunklen Kellerhals hinab.

»Ein Licht, Marini.«

»Sofort.«

»Ein geräumiger Keller und schön trocken. Da ist ja auch eine Stube, wozu wird die benutzt?«

»Als Lagerraum, sonst nicht.«

Woyka wandte sich den Weinfässern zu. Sie waren wie die italienischen Barili eiförmig gebaut und sehr groß. Er klopfte an die Dauben aller Fässer und stellte fest, daß sie durchweg gefüllt waren.

»So, nun lassen Sie uns mal ihren Wein vom Faß trinken, da muß er noch besser schmecken.«

»Gerne, Exzellenz.«

Marini zapfte ein Glas voll und reichte es dem Polizeirat hin. Der kostete und nickte Beifall. Dann ging man zum nächsten Faß und dann zum dritten. Jeder Tropfen wurde mit Lobsprüchen genossen. Das vierte Faß überging Marini und trat zum fünften.

»Nun kommt aber ein Wein, Exzellenz, wie Sie ihn noch nicht getrunken haben.«

Das letzte Faß, etwas kleiner als die andern, lag in der Ecke fast ganz im Dunkeln. Der Italiener spülte die Gläser sorgfältig aus, trocknete und polierte sie umständlich. Dann sprang er die Kellertreppe hinauf und kam in wenigen Minuten mit Salz und Brot zurück.

»Nehmen Sie erst dies, damit der Geschmack gereinigt wird.«

Und nun flossen die schimmernden Goldperlen ins Glas. Der Wein verbreitete einen wunderbaren Duft und wurde von den Männern mit Begeisterung geschlürft.

»Bei dem bleiben wir, bringen Sie uns eine Flasche davon nach oben.«

»Oh, Exzellenz, Sie sind ein Kenner.«

Sie verließen den Keller und nahmen wieder im Hof unter den Bäumen Platz.

»Warum mag der Bursche das eine Faß übergangen haben?« fragte Woyka den Gendarm.

»Verdorbener Wein oder geschmuggelter Sprit. Soll ich ihn fragen?«

»Nein, um keinen Preis … Ich muß wissen, was in dem Faß ist. Da muß Danilo helfen.«

Woyka ging zum Auto und verständigte den Agenten:

»Sei sehr vorsichtig, ich werde den Halunken an unserm Tisch beschäftigen, indes gehe in den Keller und hole mir ein Glas Wein aus dem vierten Faß, rechts von der Türe angefangen. Ein Gendarm soll dir den Rücken decken.«

Marini brachte den Wein.

»Nun, wo ist das Glas für Sie?«

»Ich darf unter tags keinen Wein trinken, da werde ich müde.«

»Ach Unsinn, wenn wir fort sind, können Sie sich ausschlafen. Vorwärts, herangesetzt. Sie sollen sich mit der Polizei auf guten Fuß stellen.«

»Ich hab' die Polizei nicht zu fürchten.«

»Wer sagt denn das? Also heran … Auf das Wohl des Königs.«

Marini konnte nicht ablehnen, ohne Verdacht zu erregen.

Woyka wurde immer vergnügter, er faßte den Italiener unter dem Arm und trank ihm lustig zu. Der Gendarm füllte dessen Glas immer von neuem.

Wer die drei so gesehen, hätte sie für eine heitere Zechgesellschaft halten können, und doch war es dem Polizeirat bitter ernst. Jetzt kam Danilo zurück und ging nach dem Wagen, da sprang er auf:

»He, braver Cassio, holen Sie uns noch eine Flasche von diesem Götterwein.«

»Ja, Bruderherz, ein Götterweinchen.«

Er hatte schon einen sitzen und torkelte nach dem Haus.

»Nun schnell zum Auto«, mahnte Woyka.

Danilo reichte ihm ein kleines Reisefläschchen mit einem trüben öligen Wein, und der Polizeirat nahm aus einer schwarzen Ledertasche sein Mikroskop, goß einen Tropfen auf das Glasscheibchen, bedeckte es mit einem zweiten und schob es unter die Linse. Dann trat er ins helle, Sonnenlicht und schaute durch das Okular:

»Das ist Blut, vielleicht Menschenblut. Nehmen Sie den Marini fest und schließen Sie ihn ein. Dann alle in den Keller, Werkzeug herbei, das Faß herauf.«

Die Befehle wurden schnell vollzogen. Marini blieb ganz ruhig. Selbst als das Faß in den Hof gebracht wurde, zeigte sein Gesicht keine Veränderung. Es schien dem scharf beobachtenden Woyka, als ob ein Zug von Spott sich in des Italieners Mundwinkel setzte. Es war ein Gärungsfaß, dessen Deckel abgenommen werden konnte, ohne die Reifen zu lösen.

Woyka war aufs höchste gespannt, er erwartete eine grausige Entdeckung. Vielleicht hatten die Pascher seinen Inspektor ermordet und in diesem Faß verborgen. Groß genug war es dazu. Nun, das würde ja bald genug festgestellt werden.

Als Woykas Leute das Faß mit Hammer und Beil angreifen wollten, sprach Marini heftig auf sie ein, sie sollten ihm sein bestes Pökelfaß nicht zerschlagen.

Ein Pökelfaß … Nun, das war ja ein gründlicher Reinfall. Auch der erfahrenste Polizist greift einmal fehl. Es war wirklich ein Pökelfaß, Marini hatte seinen Winterbedarf darin eingelegt. Woyka ließ ihm die Fesseln abnehmen und ging ins Haus um es einer eingehenden Durchsuchung zu unterziehen. Trotz sorgfältigster Arbeit konnte nichts gefunden werden. Nur die Kellerstube war noch nicht durchforscht. Diese nahm der Polizeirat jetzt vor. In erster Linie kam das Strohlager an die Reihe. Das helle Licht seiner Taschenlampe huschte über das eiserne Feldbett, über den alten Strohsack und das muffige Kopfkissen. Nichts … Da mit einem Male blitzten seine Augen, und er bückte sich gegen die hölzerne Fußstütze, ein gehobeltes Brett, dessen Anstrich stark abgenützt war. Es zeigte merkwürdige Linien, die frisch eingekratzt schienen. Sollte der Verschwundene hier Zeichen gegeben haben? Aber wie … Die Halunken hatten ihm doch sicher Hände und Füße gefesselt. Und doch hatte er es fertig gebracht mit einem spitzen Gegenstand auf die alte Ölfarbe des Brettes zu schreiben. Dieser fand sich denn auch in einem verrosteten Nagel, den Stojan mit gebundenen Händen aus der Wand gerissen hatte.

Die Schriftzüge waren ungelenk, die Worte in deutscher Sprache, die der Gefangene als ehemaliger Wiener Schutzmann fließend beherrschte. Woyka las deutlich das Wort »Mörder«, davor ein anderes, in der Dunkelheit nicht zu entziffern. Kurz entschlossen hob er das Brett aus dem Eisengestell heraus und nahm es nach oben in die helle Wohnstube Marinis.

Nun konnte er deutlich lesen: »Mein Mörder heißt Mirko Gundolic.« Der Name dieses Verdächtigen stand nur in den Handakten des Polizeirats, Stojan konnte ihn nicht kennen, also war der Gundolic ihm begegnet … Vorsicht und Schweigen. Woyka wickelte das Brett mit der Botschaft ein und verschnürte es. Kein Mensch sollte etwas erfahren, aber die Suche nach dem verschwundenen Inspektor mußte mit verschärftem Eifer fortgesetzt werden.


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