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Der märchenhafte Stammbaum

Sagenhaft beginnen die meisten Genealogien, warum sollte nicht auch einmal eine mit einem richtigen Märchen anheben?

Nämlich, es war einmal ein König, der hatte eine Tochter, und dieser Prinzessin waren durch sorgfältige Erziehung die Tugenden der Liebenswürdigkeit und der Höflichkeit, welches ja wahrhaft prinzeßliche Tugenden sind, so zur Natur geworden, daß sie durch nichts dazu gebracht werden konnte, einen andern der Lüge zu zeihen, wie sehr man sie auch auf die Probe stellen mochte.

Da geriet der König auf den närrischen Einfall und machte öffentlich bekannt: Derjenige, dem es gelänge, die Prinzessin soweit zu bringen, daß sie ihm mit einem »Das ist gelogen« antwortete, der solle sie zur Frau bekommen. Und da nun die Königstochter nicht nur überaus liebenswürdig war und höflich, sondern auch schön von Gesicht und Gestalt, meldete sich eine Menge Bewerber, aber keiner erreichte seine Absicht, und waren doch, bei Gott, gewaltige Lügenbeutel darunter!

Davon hörte auch der Bub eines Bauern und sagte sich: Das könntest du auch probieren, und eine Königstochter zur Frau zu haben, müßte nicht so übel sein. Und also zog sich der Hans seine Sonntagskleider an, steckte sich auch ein Gelbveigelein ins Knopfloch und machte sich auf nach dem königlichen Schloß.

»Guten Morgen, Herr König«, sagte er, ohne auch nur einen Knickser zu machen, denn mit sowas hatte er sich sein Lebtag nicht abgegeben.

»Guten Morgen, lieber Hans«, antwortete der König.

»Kann ich die Prinzessin sehen?« fragte der Hans.

»Ah«, rief der König, indem er sich auf seinem Thron in die Höhe reckte und die zackige Krone ein wenig aus der Stirn zurückschob, »ah, ich errate, du möchtest dir meine Tochter zur Frau gewinnen, nicht dumm, und so willst du sie auf die Probe stellen; sie lustwandelt drunten im Garten und wird sich freuen, deine Bekanntschaft zu machen.«

»Guten Morgen, schöne Königstochter«, sagte der Hans, als er drunten im Garten der Prinzessin entgegentrat. »Guten Morgen«, sagte er, ohne auch nur einen Knickser zu machen, denn mit so was hatte er sich sein Lebtag nicht abgegeben.

»Guten Morgen, lieber Hans«, antwortete das Königskind.

»Ihr lustwandelt früh schon im Garten«, sprach der Hans.

»Ja«, antwortete sie, »ich beschaue mir die Honigvöglein meines Vaters.«

»Mein Vater hat auch Bienen«, versetzte der Hans, »er besitzt soviel Bienenkörbe, daß er sie gar nicht zählen kann; dennoch kennt er jede einzelne Biene mit Namen, und er hat sie auch alle wohl gezählt.

»Wie wunderbar«, sagte die Prinzestin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig!« beteuerte der Haus. »Eines Tages hat er sie nachgezählt, und da fehlte eine. Er setzte sich sofort zu Pferd und ritt davon, um die verlorene Biene zu suchen. Diese kam ihm alsbald entgegengeflogen, und unter jedem ihrer Flügel trug sie einen großen Eimer voll Honig. Mein Vater nahm ihr die Eimer ab, verband diese mit einem Strick und hing sie seinem Pferd um den Hals. Aber weil die Eimer so schwer waren, schnitten sie dem Pferd den Hals mitten durch.«

»Ganz wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig!« beteuerte der Hans. »Mein Vater schnitt eine Haselgerte, drillte sie zwischen den Händen geschmeidig und damit heftete er die getrennten Teile wieder zusammen. Den Gaul ließ er auf der Weide, ich ließ sieben Jahre hingehen, ohne mir die geflickte Kreatur anzuschauen.«

»Wie wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig!« beteuerte der Hans. »Wer nach sieben Jahren ging ich doch einmal hinaus, es war ja nur einen Pfeilschuß Entfernung, und was meint Ihr, schöne Königstochter, was ich da sah? Die Haselgerte hatte ausgeschlagen und hatte so mächtig getrieben und war so gewachsen, daß sie bis zum Himmel hinaufreichte.«

»Sehr wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig«, beteuerte der Hans. »Ich kletterte an dem Gewächslein in die Höhe, füllte mir alle Taschen mit Haselnüssen, und plötzlich, ehe ich mich's versah, befand ich mich im Himmel. Das schien mir etwas zu früh für meine Jahre, und ich wollte mich anschicken und wieder auf die Erde hinuntersteigen. Aber da war drunten die Bestie im Grasen weiter gewandert und hatte mir sozusagen die Leiter unter den Füßen weggezogen.«

»Wie wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig«, beteuerte der Hans, »nur zu wahr! Auch machte ich ein höchst trübseliges Gesicht dazu, denn ich dachte an Euch, schöne Königstochter. Zufällig saß die Mutter Gottes neben mir. Sie saß an einem goldenen Rocken und spann einen goldenen Faden von goldenem Flachs, und ihre Spindel mit dem goldenen Wirtel tanzte nur so. Die gute Mutter Gottes sah mein betrübtes Gesicht und empfand Mitleid mit meiner Not. ›Lieber Hans‹, sagte sie, ›häng dich an meine Spindel, ich will dich zur Erde hinunterspinnen.‹ Und also tat ich.«

»Wirklich wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig«, beteuerte der Hans. »Und also ging es wirbelnd abwärts, denn wenn die Spindel sich nicht im Wirbel dreht, weswegen sie eben ihren Wirtel hat, so gibt es keinen Faden. Wirbelnd ging es abwärts, wahr und wahrhaftig. Aber plötzlich ging es nicht mehr, der guten Mutter Gottes war der Flachs ausgegangen und ohne Flachs kann auch eine Mutter Gottes keinen Faden spinnen.«

»Wie wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig!« beteuerte der Hans. »Und stellt Euch nur vor, schöne Königstochter, wie ich nun dahing zwischen Himmel und Erde, da hieß es den Kopf oben behalten. Dennoch kam ich, als ich die Spindel fahren ließ, mit dem Kopf zu unterst auf den Erdboden. Bei einem Fallen, das mehrere Stunden dauerte, läßt sich aber alles erklären. Und also mit dem Kopf zu unterst kam ich auf die Erde gerade zwischen zwei harten Kieselblöcken, zwischen denen mein Kopf tief in den Boden eindrang.«

»Ganz wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig«, beteuerte der Hans, »und wie ich mich auch anstrengte, um meinen Kopf aus dem felsigen Boden herauszuziehen, es war ganz und gar vergeblich. Ich lief also nach einer nahen Mühle, um mir einen Hammer zu holen.«

»Sehr wunderbar«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Wahr und wahrhaftig«, beteuerte der Hans, »und als ich mit dem Hammer zurückkam, sah ich drei Raben, die über meinem armen Kopf hockten und daran fraßen. Mit einem wohlgezielten Wurf warf ich meinen Hammer nach ihnen, und das erschreckte die guten Vögel so sehr, daß sie das Fortfliegen vergaßen und wie tot liegen blieben. Mit meinem Hammer machte ich mich daran, das Gestein um meinen Kopf zu zersplittern, das gelang mir aber nicht, der Kiesel war viel zu hart. Also schlug ich kurzer Hand meinen Kopf in Stücke und nahm ihn stückweise heraus. Dann setzte ich die Stücke wieder zusammen, und auch was die Raben gefressen hatten, nahm ich aus ihren Mägen und fügte alles an die richtige Stelle, das alles gelang mir vortrefflich. Ihr selber, schöne Königstochter, werdet es mir zugeben, denn wie könnt' ich sonst mit dem Kopf auf der Schulter also vor Euch stehen.«

»Ja, lieber Hans, du bist ein Tausendsassa«, sagte die Prinzessin und lächelte.

»Nicht wahr, schöne Königstochter«, versetzte der Hans, »aber eins hätt' ich fast vergessen. Als ich des Hammers wegen in die Mühle kam, verhaftete man dort gerade einen Dieb, und das sag' ich nur Euch, schöne Königstochter, der Dieb war Euer Bruder.«

»Halt, das ist gelogen!«

So war es ihr denn doch entfahren, das fatale Wort, denn sie besaß gar keinen Bruder, sondern sollte erst einen bekommen, wie ihre Frau Mutter versicherte.

»Bravo, mein lieber Hans!« So rief der König und klatschte in die Hände. Er hatte hinter einem Buchsbaum die beiden belauscht und stand jetzt vor ihnen.

»Bravo«, rief er noch einmal, »und nun, lieber Hans, nimm sie, du hast sie wohl verdient.«

Da wurde ohne Aufschub Hochzeit gemacht. Zwar König konnte der Hans nicht werden, weil, wie gesagt, Seine Majestät selber einen männlichen Leibeserben erwartete. Dennoch zeigte sich der Herr Schwiegervater nicht knauserig, er machte den Hans zum Baron und Freiherrn und schenkte ihm das Schloß und die Herrschaft von Münchhausen, und so heißen seine Nachkommen noch bis auf den heutigen Tag, wenngleich nur ein einziger darunter sich seinem Ahnherrn wahrhaftig ebenbürtig erwiesen hat, ihr werdet von ihm gehört haben.


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