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Der Teufel als Glöckner

Es ist vielleicht heute noch so, ich weiß es nicht, aber in früheren Zeiten, wenn einer zu Dingskirchen die Leute fragte, ob es wahr sei, daß sie ihre Kirche dem Teufel verdankten, da gab es böses Blut und einigemal sogar Mord und Totschlag.

Und doch hat sich, wie man weiß, der hl. Wolfgang keine Schande daraus gemacht, sondern einen Ruhm, daß ihm der Teufel die Steine karren mußte zu seinem Münsterbau, was der fromme Meister Moritz so schön in Farben gestellt hat, wie es in einem Bildersaal der großen und schönen Stadt München noch heute zu sehen ist.

Freilich nicht ganz so stand es mit der Kirche zu Dingskirchen. Dieser lieblich gelegene Ort hatte einmal über hundert Jahre, seinem Namen zum Trotz, gar keine Kirche mehr, sondern nur noch eine Ruine von einer Kirche, so daß die guten Leute nach Tripsdrill in die Messe gehen mußten, was sie nicht wenig ärgerte, denn sie verachteten den Ort Tripsdrill. Das war aber so gekommen.

Bei Dingskirchen sieht man noch heute zwei bewaldete Hügel und jeder trägt auf seinem Gipfel die Ruinen oder vielmehr die spärlichen Trümmer einer alten Ritterburg. Außer diesen elenden Trümmern sind auch noch die Namen der beiden Burgen erhalten. Die eine heißt Ellenbogen und die andere Schnellenbogen oder Schnelldenbogen. Und wie die Burgen, so hießen einst auch die Ritter. Wer trotz dieser Verwandtschaft der Dramen und vielleicht auch des Blutes haßten sie sich tödlich.

Beide waren wüste Raubvögel, und wehe dem Kaufmann, der ohne genügende Waffenmannschaft die Straße zog gegen Ulm oder Augsburg, oder dem armen Bäuerlein, das ein Schwein oder Rind oder auch nur eine dürre Ziege zu Markt führte: wer dem Ellenbogen entging, der fiel sicher dem Schnellenbogen in die Hände, und dann ade ihr Pfeffersäcke aus dem Morgenland, ihr Tuchballen aus Brabant, ihr dickbauchigen Fässer mit Malvasier und Muskateller aus Syrakus, und ade auch du magere Ziege, du blöckendes Kälblein, du fettes Schweinchen, und ihre Eigentümer konnten von Glück sagen, wenn sie mit Beulen und gebrochenen Gliedern davonkamen und nicht in ihrem Blut zurückblieben und den Raben zur Speise wurden.

Aber trotz ihrem wüsten Leben – wie das öfter so vorkommt – gingen die beiden Ritter jeden Sonntag zu Dingskirchen in die Messe. Sie hatten dazu noch einen besonderen Grund.

In der Kirche zu Dingskirchen, hoch über dem Langschiff der Gemeinde, im hohen Chor, gleich rechts neben dem Altar, befand sich ein reich geschnitztes Gestühl aus schwarzem Holz mit roten Kissen. Das war der Ehrenplatz der beiden Ritter; und auf diesem Throngestühl vor ihrer Gemeinde zu prunken mit ihren lang herunterhängenden Schnauzbärten, in ihren Wämsern mit buntgeschlitzten Ärmeln, ihren steifen Kragenmäntelchen von gestohlener Seide aus Smyrna, das hätten sie sich um keinen Preis versagen mögen.

Leider gab es nichts Urkundliches darüber, wem von den beiden das Recht zustand auf den ersten Platz nächst dem Altar und wer sich mit dem zweiten zu begnügen hätte.

Seit langer Zeit aber stand immer der Schnellenbogen zu oberst, weil er der ehrgeizigste und hochmütigste war und sich das Frühaufstehen nicht verdrießen ließ, und der Ellenbogen, der immer etwas später kam, mußte sich hinter dem breiten Rücken des anderen zu seiner Stelle hineindrücken, was ihn jedesmal unsäglich giftete, aber als fauler Kerl ließ er es so gehen und fraß jeden Sonntag seinen Ärger in sich hinein, wenn er ihm auch gleich nicht schmeckte. Aber eines Samstags hatte sich der Schnellenbogen einige wilde Kerle und auch einige Weibsen auf seine Burg geladen, und so leerten sie zu dem wilden Schweinskopf ein ganzes Faß des feurigen Muskateller; da schlief und schnarchte der Ritter etwas lang in den Tag hinein, fast über die Zeit der Messe hinaus.

Und als er dann erwachte, geriet er in keine kleine Wut über sich selber. Sein erster Gedanke lief nun wohl dar auf hinaus, ach was, ich geh nicht zur Messe. Doch da fiel ihm der Ellenbogen ein. Nun wird der Bärenhäuter sich auf meinen Platz gestellt haben, dachte er; das darf nicht sein, es könnte ein Gewohnheitsrecht daraus werden.

Und also flugs in die Kleider. Als er in der Kirche ankam, war der Pfarrer mit seiner Messe schon nahe bei der heiligen Wandlung. Mit klirrenden Sporen schritt der Ritter durch das Langhaus hinauf zum Chor, und da stand wirklich der Ellenbogen in sanfthimmelblauem Mäntelchen auf dem obersten Platz; das Mäntelchen des Schnellenbogen glühte gelbrot wie Feuer.

»Herr Ritter,« sprach er zu seinem Nebenbuhler, »Ihr steht auf meinem Platz; wollet gefälligst nach links rücken!«

Der Ellenbogen rückte aber nicht im geringsten, er stand fest wie eine Mauer und schien auch taub und stumm wie eine Mauer. Da überkam den Schnellenbogen, dem der Muskateller noch immer im Gehirn rumorte, eine solche Wut, daß er erst rot wurde wie eine Mohnblüte und dann graubleich wie eine frischgetünchte Wand und sich nicht mehr zu helfen wußte. Und plötzlich, weil er zu ersticken meinte, ergriff er seinen Dolch, der ihm armslang mit einem Kettlein am Gürtel hing, und stieß das lange, scharfe Eisen dem anderen in den Wanst, der sofort aufbrüllte wie ein Stier und dann, indem er röchelnd zusammensank, seinerseits wirklich erstickte.

Das geschah in demselben Augenblick, als gerade das Meßglöcklein läutete und der Priester in Gestalt der weißen Hostie den Leib unseres Herrn und Heilands zur Anbetung der Gemeinde hoch in die Höhe hielt.

Die Folgen dieser scheußlichen Tat folgten ihr auf dem Fuß. Der Kaiser ließ die beiden Raubschlösser von Grund aus zerstören und der Bischof die arg besudelte Kirche schließen und belegte sie mit dem Interdikt für alle Zeiten.

Dadurch wurden allerdings die Unschuldigsten – so steht es einmal mit der Gerechtigkeit in der Welt – am härtesten bestraft. Denn die guten Dingskirchner hatten trotz ihres Namens nun keine Kirche mehr und mußten nach Tripsdrill in die Messe gehen.

»Wenn es nur nicht gerade Tripsdrill wäre,« sagten sie.

Es hatte also der Teufel, nämlich der Teufel des Hasses und des Hochmuts, ihnen ihre Kirche genommen, und so war's denn nur in der Ordnung, daß er sie ihnen auch wiedergab. Aber die Dingskirchner kannten den Teufel zu gut und glaubten nicht daran. Erst als das Wunder zur Tatsache geworden, und nun freilich war's keine Kunst mehr, glaubten sie daran, wenigstens lange Zeit; später freilich wollten sie nicht mehr daran erinnert werden.

»Wenn es nur nicht gerade Tripsdrill wäre,« sagten sie, gingen aber doch hin jeden Sonntag. Denn die Menschen gewöhnen sich an alles, sogar an Tripsdrill. Zur Entschädigung besaß der Ort nun zwei Ruinen, auf die er stolz sein konnte, wenn er wollte.

Er besaß deren sogar drei, denn auch die Kirche mußte dazugezählt werden. Ihr Dach und die Sparren waren längst zusammengebrochen und die Decke eingestürzt, und bald wuchs ein ganzer Wald aus dem Innern empor, Birken und Rüstern durcheinander und auch Fichten und Föhren. An dem abbröckelnden Gemäuer klammerte sich der Hollunder mit seinem schwärzlichen Laub und seinen schlohweißen Blütendolden und tausenderlei anderes Gesträuch. Darin nisteten die Vögel des Himmels und die Dohlen und Falken nahmen ihre Wohnung in den Mauerlöchern.

Am besten hielt sich noch der Turm. Zwar seine Türe war längst aus den Angeln gefallen, und seine steinerne Wendeltreppe hatte so viel Zahnlücken, ich wollte sagen Stufenlücken, daß der Lücken mehr waren als der Stufen. Es wäre also für einen Menschen kein Leichtes gewesen, da hinaufzusteigen. Auch konnte keinem Dingskirchner das je einfallen, denn der verfluchte Raum wurde von ihnen gemieden wie der Gottseibeiuns, der vielleicht gar, man konnte nicht wissen, seine Wohnung darin aufgeschlagen hatte.

Und so wußte auch niemand im ganzen Dorf, was wohl aus den Glocken geworden sein mochte da droben auf dem Turm, von dem auch allerlei würziges Gesträuch herunternickte.

Und also die Dingskirchner wußten nichts vom Schicksal ihrer Glocken und dachten auch weiter nicht daran. Aber an einem schönen Frühlingsabend, am Tage vor Sankt Walpurgis, hörten sie plötzlich vom Turm her ihre Glocken läuten. Aber sie läuteten kein frommes Ave Maria, wie die Dingskirchner bald erfahren sollten.

Denn nun überwanden sie doch ihre religiöse Scheu und alle, groß und klein, liefen sie hinaus nach der Kirchenruine und dem Turm, welches alles ein Stückchen außerhalb des Dorfes auf einem Hügel lag, der selber eine artige Wildnis bildete, weil er seit dem Kirchenbann von niemand mehr bebaut wurde.

Liefen also hinaus, und die Kühnsten drangen sogar über die faulen Bretter der verfallenen Türe hinweg in den unteren Turmraum hinein, wo einst die Glocken geläutet worden an langen, dicken Seilen, die nun morsch am Boden lagen. Da standen sie und guckten. »Der Teufel!« schrie plötzlich einer im höchsten Entsetzen.

Er hatte nicht schlecht gesehen. Um eine Biegung der Wendeltreppe zeigte sich eine schwarz-zottige Gestalt, wirklich schwarz wie der Teufel, ziegenfüßig, mit zwei gewaltigen Spitzhörnern und mit Augen, mit was für Augen!

Die untergehende Sonne warf gerade einen letzten roten Schein durch ein Mauerloch, und in diesem Schein standen die fürchterlichen Augen, glühend wie das höllische Feuer selber, obwohl das noch kein Dingskirchner gesehen hatte. Das teuflische Gespenst selber stutzte beim Anblick der Bauern und so wurden seine Augen noch starrer und größer, wie zwei glühende Kohlen.

Die Dingskirchner besahen sich aber den Teufel nicht allzulang und allzu genau. Sie hatten ja auch wirklich genug gesehen, die Bocksfüße, das schwarze Zottelhaar, die quergerippten Hörner und vor allem die Glühaugen. In wildem Entsetzen rasten sie davon. Der Teufel lachte. Wie eben der Teufel lacht. Ein höhnisches Meckern war's. Das entsetzte die Dingskirchner noch mehr und mancher meinte nicht anders, als daß ihm der Satan schon im Nacken säße.

Aber die Dingskirchner als gute Schwaben haben auch einen guten Schlaf, und am andern Morgen glaubten sie ganz ernstlich, sie hätten den ganzen Spuk nur geträumt und gingen wie alleweil an ihr Tagewerk. Als jedoch die Sonne sich zum Untergang senkte, Himmelwetter noch einmal, da läutete die Glocke schon wieder.

Sie läutete übrigens heute viel kürzer, doch als es aufgehört hatte zu läuten, da geschah etwas noch viel Grausigeres, da erschien auf der Zinne des Turmes, zwischen den Sträuchern, die dort wuchsen, der Teufel in leibhaftiger Gestalt, genau so zottelhaarig schwarz, genau so bocksfüßig und genau so behörnt, wie sie ihn am ersten Tag in der Nahe gesehen hatten. Und wie er hohnlachend auf sie heruntermeckerte! Ja, noch einen andern Laut wollten einige gehört und sogar etwas gerochen haben, und dem Teufel ist so etwas wohl zuzutrauen.

Die Dingskirchner hätten zwar gern geglaubt, daß sie träumten, sie sind ja Schwaben, und die lassen sich, wie man zu sagen pflegt, nicht so leicht vom Teufel ins Bockshorn jagen; aber da geschah noch etwas:

Wie die Sonne sich noch ein wenig weiter westlich wendete, da fiel plötzlich der Turmschatten, wie der Zeiger einer Sonnenuhr, mitten in die Dorfgasse und mit dem Turmschatten auch der Schatten des Teufels auf der Turmzinne.

Da gab es keinen Zweifel mehr. Ein Gespenst, sagten die klugen Schwaben, kann einem etwas vorgaukeln, ein Schatten aber nicht; wo ein Schatten ist, da muß auch ein Körper sein. Mit dieser Logik, die niemand beanstanden wird, gaben sie sich zufrieden, weil ihnen nichts anderes übrig blieb. Noch einmal zum Turm hinauszulaufen und genauer nachzusehen, kam ihnen wohlweislich nicht in den Sinn; denn, wenn man schon Gott nicht versuchen soll, um so weniger den Teufel.

Einer dachte dennoch anders. Der kam, wenn auch auf Umwegen, nicht nur hinaus an den Turm an jenem Abend, er hatte auch ein freundschaftliches Gespräch mit dem Teufel.

Es war das ein alter Kriegsinvalide, dem nichts fehlte als das rechte Auge, weil es ihm in der Schlacht am Weißen Berg zum Teufel gegangen war, und das halbe linke Bein, das er in der Schlacht – nun vielleicht am Schwarzen Berg – mitzunehmen vergessen hatte. Außerdem galt er für einen Philosophen. So wußten die Dingskirchner nichts mit ihm anzufangen, als daß sie ihn ihre Geißen hüten ließen, und für seinen besten Freund galt darum der Gemeindebock.

Die beiden verstanden sich vortrefflich miteinander; auch ließ der Invalide seinem Freund alle mögliche Freiheit, wenn er sich nur beim Heimtreiben wieder einfand. Aber gerade da fehlte er heute, wie er gestern schon gefehlt hatte. Doch wie nun der einäugige Stelzbein gegen alle Gewohnheit seine meckernde Zottelherde über den buschigen Kirchbühl trieb, hart an dem zwar nicht verwunschenen, aber verfluchten Turm vorbei, da steht plötzlich unter dessen Türöffnung sein schwarzer Bock, ganz verdutzt den alten Freund anglotzend, wie wenn er ein böses Gewissen hätte.

Ei, ei, dachte das Stelzbein, dem das geheimnisvolle Läuten auf dem Turm auch kein kleines Kopfzerbrechen gemacht hatte, ei, ei, sollte mein Bock sich zum Christentum bekehrt haben in seinen alten Tagen, um den Dingskirchnern das Ave Maria zu läuten?

»So, so, da treibst du dich herum, du Tagedieb,« redete er den Bock an, »gelt dich haben die Würzbüschel auf dem Turmgemäuer in Versuchung geführt, du Leckerschnute? Hab ich's erraten?«

Der Bock meckerte zustimmend.

»Und dann hast du die wackelige Glocke da droben, weil sie so schwarz war, für deinesgleichen gehalten und hast sie zum Bockskampf herausgefordert. Da bist du zwar erst erschrocken, als das Tier so ungewohnt brummte, aber dann hat es dir Spaß gemacht, alter Schelm, und hast immer wieder von neuem angefangen. Denn daß du ein musikalischer Bock bist, weiß ich schon lang.«

Der Bock meckerte zustimmend.

Und also wußte der Invalide Bescheid. Den Dingskirchnern aber sagte er nichts davon. Denn er war ein Philosoph und wußte, wenn sich die Leute einmal einen Glauben in den Kopf gesetzt haben, daß der nicht so leicht wieder herauszubringen ist. Er tat auch wirklich gut daran, daß er schwieg, denn er hätte sonst leicht die Dingskirchner um ihre neue Kirche gebracht. Die bekamen sie nämlich. Denn als ihre Glocke am andern Tag zum drittenmal läutete, begriffen sie alsbald, daß das nicht so weiter gehen könne, und schickten eine feierliche Abordnung mit dem Bürgermeister an der Spitze an ihren Bischof und begehrten von ihm, daß er ihnen eine neue Kirche baue und weihe, und wenn er es nicht täte, wollten sie überhaupt nicht mehr in die Messe gehen, denn mit Tripsdrill, das hätten sie längst satt, und daß nun gar der Teufel sich über sie lustig mache und ihnen zum Spott ihre Glocke läutete, das habe dem Faß vollends den Boden eingeschlagen.

Der fromme Bischof fand diese Gründe schwerwiegend genug und schickte Werkleute, also, geschickte Werkleute nach Dingskirchen, und als der neue Bau gerichtet stand, kam er selber mit der ganzen hohen Klerisei und weihte die neue Kirche mit großem Pomp. Wenn du aber einmal nach Dingskirchen kommst, nicht weit von Tripsdrill, versäume es nicht, im Roten Ochsen einen Schoppen Schillerwein zu trinken, es wächst dort ein guter, aber ums Himmelswillen frag dieser Geschichte nicht nach und ob's auch wirklich wahr sei, daß die Dingskirchner einmal den Teufel als Küster hatten und ihre schöne Kirche eigentlich dem Gottseibeiuns verdanken, es könnte dir schlecht gehen. Denn die Dingskirchner haben unterdessen die lutherische Lehre angenommen, wovon sie aber auch nur gerade so viel glauben, als ihnen in ihren Kram paßt, und den Teufelsglauben (wenn man's glauben will) haben sie trotz dem Luther abgeschafft, so undankbar sind die Menschen.


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