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Das Gastmahl des Ministers

In der Residenz eines der zahlreichen Herzöge oder Großherzöge des ehemaligen Deutschlands war's; ich hatte da ein kleines Amt inne, aber der Ministerpräsident des Großherzogs mußte – merkwürdig genug – da und dort von mir gelesen haben, er mußte also kein ganz gewöhnlicher Ministerpräsident sein, und tat sich etwas darauf zugute, mich als Dichter zu behandeln und nicht nach meiner sehr bescheidenen bürgerlichen und amtlichen Stellung.

Wenn er mir im Schloßpark begegnete, unterließ er es nie, mich anzureden oder auch mich aufzufordern, ihn eine Strecke weit zu begleiten, und wenn dann der eine oder der andere meiner hohen Vorgesetzten gerade des Weges kam und große Augen machte, mich »in solcher Gesellschaft zu sehen«, empfand, man kann sich's denken, meine jugendliche Eitelkeit keine kleine Befriedigung; denn die gesellschaftlichen und namentlich amtlichen Rangunterschiede, wieviel sich davon auch, gottlob, noch bis heute erhalten hat, waren damals doch bedeutend strenger und weiter gespannt.

Seit dem Herbst datierte unsere Bekanntschaft, und gegen Weihnachten erhielt ich sogar eine Einladung, sogar ohne daß ich einen Besuch gemacht hatte, zu einem der großen Gala-Essen im Ministerium. Der Mann war wirklich kein ganz gewöhnlicher Ministerpräsident.

Man weiß, was bei solchen Gelegenheiten geladen wird, die Spitzen des Militärs und der Bureaukratie, die Mitglieder der Geburts- und Geldaristokratie und die Berühmtheiten der Künstlerakademie nebst zugehörigen Damen. Schon daß man lauter Fremdwörter braucht, um die Klassen zu benennen, ist fast schon ein Beweis ihrer ungeheueren Vornehmheit.

Und da saß ich nun zwischen all der üppigen Pracht und Herrlichkeit, zwischen all dem Lichterglanz und Kristallgefunkel und sanftem Leuchten entblößter Schultern, zwischen all dem Geglitzer von Ordenssternen und Brillanten – echten und falschen – zwischen all der Rosenfülle in schweren silbernen Amphoren und dem rubinfarbigen und goldenen Geflamm in blumenhaft zarten Stengelgläsern: da saß ich, der arme, kleine Subalternbeamte und – heimliche Dichter ..., von dem niemand nichts wußte.

Recht einsam saß ich zwischen all den vielen Menschen die alle nichts mit mir anzufangen wußten. Und ich mochte ja wirklich nicht die vorteilhafteste Figur machen in meinem schlechtsitzenden, geliehenen Frack. Ja, er war geliehen. Ich schäme mich zwar, es zu sagen, aber sogar ein Dichter darf, zwar zum Vorteil seines Werks, nicht aber zu seinem persönlichen Vorteil, lügen. Ich fühlte also ziemlich viel leere Luft um mich. Doch verdroß mich das nicht, ich war ja kein Sozialdemokrat, und »schön ist es doch für die Augen«, sagte der Dichter in mir.

Und Schönheit macht die Phantasie fruchtbar, und so konnte ich mir gerade meine Einsamkeit inmitten all der Menschen zunutze machen, um meinen Gedanken nachzuhängen, oder vielmehr, was einem Dichter lieber ist, meinen Bildern, wie sie in mir aufstiegen, besonders einem, das mich durch seinen seltsamen Kontrast lange fesselte, wenn es gleich gar nicht schön heißen konnte.

Fünfzehn Jahre mochte es her sein, da verbrachte ich als blutjunger Primaner acht Tage in einem abgelegenen Landstädtchen bei einem Klassenkameraden. Man zählte da das Volk, und auch meinen Freund nahm man dabei in Anspruch mit Austragen und Einsammeln von Zählerlisten nebst eigenhändigem Ausfüllen oder Ausfertigen der Listen in allen den Fällen, wo die betreffenden Staatsbürger dazu nicht imstande oder zu fahrlässig sein mochten. Ich begleitete ihn bei diesem Geschäft, und da erlebte ich das Bild, von dem ich vorhin sprach.

In der Armenleutgasse des Orts kamen wir zu einem alten pensionierten Lehrer, der von seinem Bauerndörfchen hereingekommen war, um den harten Bauern aus den Augen zu sein und sich sozusagen in seiner eigenen Armut lebendig zu begraben, ein Greis über die Achtzig mit langem, ungepflegtem (und ungewaschenem) Bart und Haar und in einem Schlafrock, von dem er gewiß manchmal gejagt hatte: Schier dreißig Jahre bist du alt, – aber das mochte lange, lange her sein. Der Mann stand ganz allein, ohne Bedienung, und so sah es in seiner Wohnung aus, alles um ihn herum eine unordentliche, verkommene, schmutzige Verwahrlostheit; ich hatte nie in meinem Leben eine solche Höhle äußeren Elends gesehen.

Und das war das Bild, das jetzt beim Gala-Essen Seiner Exzellenz vor mir aufstieg, zwischen all der Pracht und Herrlichkeit, zwischen all dem Lichterglanz und Kristallgefunkel und sanften Leuchten entblößter Schultern, zwischen all dem Geglitzer von Ordenssternen und Brillanten – echten und falschen – zwischen all der Rosenfülle in schweren silbernen Amphoren und dem rubinfarbigen und goldenen Geflamm in blumenhaft zarten Stengelgläsern und aller Üppigkeit in auserlesenen Speisen. Wie eine Vision stieg es vor mir auf, das grausige Bild von Schmutz und Elend, und wollte nicht weichen, denn ich wußte noch etwas von dem Bild, was ich noch nicht gesagt habe.

Nämlich jener lebendig Begrabene, bei lebendigem Leib Vermodernde war der Vater Seiner Exzellenz des Herrn Ministerpräsidenten – der eben, denn die Tafel war unterdessen aufgehoben worden, mit einem goldenen Mokkatäßchen zu mir her kam und sich vertraulich – er war wirklich kein ganz gewöhnlicher Ministerpräsident – neben mich setzte zu fast freundschaftlichem Geplauder, daß alle erstaunt aufblickten und große Augen machten und doch die Vision nicht sahen, die mir vor der Seele stand.


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