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Der Beichtvater als Finanzberater

Es stand schlimm um Frankreich im Spätsommer des Jahres 1710, schlimm auf den Schlachtfeldern von Flandern und Italien, von Spanien und am Rhein, und noch schlimmer stand es daheim um die königlichen Finanzen. Frankreich hat zwar den Krieg nachher trotzdem gewonnen, weil seine Feinde zwar von der Kriegführung sehr viel, von der Politik aber sehr wenig verstanden (wie das auch viel später wieder vorgekommen ist); aber wie gesagt, es stand verzweifelt um das Land.

Umsonst hatte vor kurzem der reichste Hofadel sein üppiges Silberzeug auf dem Altar des Vaterlandes geopfert, in Frankreich hat sich sooft selbst die hohe Aristokratie als patriotisch erwiesen, aber dieses großmütige Opfer, gegen das man nur ganz heimlich murrte, stopfte nur notdürftig einige Lücken.

Denn da vor allem die Taschen gewisser Schieber sich bannt zu füllen wußten, fand nur sehr wenig davon den Weg bis zu den Kriegskassen draußen bei den Armeen. Kaum dargebracht, sah man das Opfer auch schon verduftet, wie das vielleicht ein wenig zur eigensten Natur des Opfers gehört, und als einzige Hoffnung für den König blieb doch wieder nur der Finanzminister Demarets übrig, der aber von jedem anderen Franzosen, außer dem König, für den größten und abgefeimtesten Spitzbuben von Frankreich angesehen wurde.

Er ließ auch wirklich den König nicht im Stich, er trug sein neuestes Steuerprojekt bereits fertig in der Tasche. Als er dieses dann aber dem König vorlegte, erntete er nicht den freudigen Dank, den er erwartet haben mochte für seine wahrhaft weitgehende Fürsorge. Wie entsetzt blickte der Monarch auf die Zahlen, und sein Haupt, umwallt von dem weißen Gewölk seiner künstlichen Jupiterwolken, senkte sich nieder zur Brust in ehrlicher Bekümmernis. Zögernd schob er endlich mit dem Handrücken die Papiere von sich, die ihn, wie eine teuflische Versuchung, zugleich verlockten und mit bleichem Schreck erfüllten.

Denn wie sehr er schon daran gewöhnt war, den letzten Blutstropfen aus seinen Untertanen herauszupressen, schienen ihm nun doch diese neuesten Vorschläge des Herrn Demarets so ungeheuerlich, daß ihn ein ordentliches Grausen ankam vor dem Versucher.

Und wortlos, mit einer stummen Handbewegung, verabschiedete er den Minister.

Aber mit verdüstertem Gemüt blieb der König zurück. Und immer mehr verfinsterte sich seine Stimmung in den letzten Tagen, und immer trüber blickte sein königliches Auge.

Zwar sein Hofgesinde, das doch nicht nur aus den vornehmsten, sondern wirklich auch aus den besten Männern von Frankreich bestand, merkte nichts davon. Sie lasen nichts in seinem Gesicht, als was er sie mit ständigem Bemühen gelehrt hatte, darin zu lesen: die ewig unwandelbare und unverrückbare, stolzsichere Majestät. Sogar seiner treuesten Freundin, der Marquise von Maintenon, wußte er sein Inneres zu verbergen, denn in diesem Punkte war er wirklich zu zartfühlend, um von seiner Bekümmertheit auch nur den geringsten Teil auf die geliebte Frau ab bürden zu wollen. Nur seine nahesten Leibdiener, als mit welcher Sorte von Menschen er auch sonst am unverstelltesten und menschlichsten zu verkehren pflegte und die ihm darum mit echter Liebe anhingen, fühlten mit großer Besorgnis die Veränderung in seinem Wesen.

Besonders seinen obersten Kämmerer, namens Maréchal, behandelte er fast wie einen Freund, und dieser nahm sich denn auch eines Morgens beim Ankleiden seines Herrn und Meisters ein Herz und äußerte in bangen Worten die Beängstigung aller um die Gesundheit des Königs. »Ach ja,« seufzte die Majestät, »ich bin krank; ein armer Mann ist immer ein kranker Mann.«

Diese verzagten Worte aus dem Munde Seiner Majestät des Königs taten dem treuen Maréchal in tiefster Seele so weh, daß er kein Wort zu erwidern fand. Und der König hielt es nicht unter seiner Würde, den schmerzlich Betroffenen aufzuklären und ihm einige Andeutungen zu machen über die unerhörten Steuervorschläge des Herrn Desmarets, die er aber, der König, zurückgewiesen habe, weil er sie mit seinem Gewissen für unvereinbar hielt.

Was der treue Maréchal dazu gesagt hat, findet sich nicht aufgezeichnet; es genügt auch dies zu wissen: Noch ungefähr vierzehn Tage lang sah er täglich den König in immer größerer Niedergeschlagenheit und litt darunter unsäglich. Doch nach Verlauf dieser Zeit fand er seinen Herrn eines Abends wie umgewandelt. Höchste Freude und Befriedigung strahlte aus den königlichen Augen, so daß der treue Diener sich nicht genug verwundern konnte, es aber doch nicht wagte, den König mit einer Frage anzugehen. Diesem entging die Verwunderung seines Dieners nicht.

»Ja, mein lieber Maréchal,« sagte Seine Majestät, »es geht mir besser. Ich bin wieder ein gesunder Mann. Ich habe einen Arzt gefunden, der mich kuriert hat. Rate einmal, wer er sein mag.«

In dem Gesicht des erstaunten Dieners lag der Ausdruck gänzlichen Nichtverstehens.

Der König lächelte geheimnisvoll. »Der Pater Tellier ist es,« sagte er.

Und dann erzählte der König seinem lieben Maréchal, wie er endlich auf den Gedanken gekommen sei, seine Gewissensqual seinem Beichtvater vorzutragen. Der habe um drei Tage Bedenkzeit gebeten und sei dann nach Ablauf dieser Frist mit einem Dokument angerückt, von allen illustren Doktoren der Sorbonne unterfertigt, welche in diesem Dokument auf Treue und Gewissen die Erklärung abgaben: Alles was den Untertanen gehöre, gehöre in Wahrheit dem König, und wieviel er ihnen auch nehme, so nehme er doch immer nur von dem Seinigen.

»Und so bin ich ja nun wieder ein reicher Mann,« schloß der König und rieb sich vergnügt die Hände.

Der glückliche König! Er ist nun längst tot; aber die Patres S. J. und die Illustrissimi Doktores der Sorbonne, scheint mir, sind unsterblich.

 

Ein Teil der vorstehenden Novellen ist entnommen dem bei uns erschienenen Bande: »Pompadour, 25 Historische Novellen nebst einem unhistorischen Nachtisch«.


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