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Das Hündchen Kors und Napoleon der Große

Wenn je ein päpstlicher Pius seinen Namen verdient hat, so Pius VII. aus dem Grafengeschlecht der Chiaramonti, dem als Mensch allgemein eine seltene Herzensgüte und Sanftmut zugesprochen wird, die ihn freilich als Politiker nicht verhinderten, die moralischen Vorteile der Kirche den weltlichen gelegentlich nachzustellen und die wahren religiösen Interessen den irdischen Machtansprüchen seines Thrones in nicht unbedenklicher Weise aufzuopfern: wobei er, ein großer Mann war er nicht, sondern nur ein herzensguter, zwischen kleinlichem Eigensinn und unverzeihlicher Schwäche hin und her pendelte. Die Politik lag ihm eben wohl nicht, und wie es einem ergehen kann, den die Macht der Verhältnisse in das Räderwerk dieser Maschine hineinzerrt ohne ausreichendes Talent dazu, das haben auch schon andere schmerzlich an sich erfahren müssen. Und besonders dem furchtbaren Korsen, der sich eben anschickte, die ganze Welt nach seinem Bild zu modeln, mußte sich ein Papst wie dieser am wenigsten gewachsen zeigen.

Doch hätte es seiner Fehler nicht einmal bedurft; die brutale Gewalttätigkeit Napoleons hätte auch ohnedies genügt, ihn in die Verbannung nach Savona zu bringen und dort das dreifach gekrönte Haupt der Christenheit in so enger und unbequemer Hast, kurz in einer so unwürdigen Lage vier Jahre lang festzuhalten, daß das Gefühl der ganzen zivilisierten Welt nicht anders konnte, als für den mißhandelten ehrwürdigen Greis zu Savona Partei zu ergreifen.

Der Kaiser aber blieb unerbittlich in seiner Grausamkeit, und mit immer wacher Eifersucht hielt er von dem noch dazu kränkelnden Papst alles entfernt, was irgendwie seine harte Kerkerhast lindern oder ihm sonst einen Trost gewähren konnte.

Nur eins vergaß er ihm wegnehmen zu lassen, ein kleines Malteser Wachtelhündchen, das den ehemaligen Benediktinerabt nicht nur an manche glücklichere Tage zu Rom erinnerte, sondern ihm auch durch sein drolliges und munteres Wesen wie durch eine rührende Anhänglichkeit gar oft über bittere Stunden hinweghalf. Der Papst hatte ihm darum den Namen Miserikors gegeben, womit er wohl andeuten wollte, daß alle menschliche Barmherzigkeit, die ihm noch nahekam, in dem kleinen Tier verkörpert sei; er kürzte den langen Namen später und rief das Hündchen nur noch Kors, was so viel heißen sollte als Herz, »mein Herzchen«, und wirklich, es war ein wahres Herz von einem Hund.

Kors, mit den langen seidenweichen Haaren, noch weißer als das hohepriesterliche Gewand seines guten Herrn, glich fast einer großen Schneeflocke, und wenn das zierliche Hündchen, wie es seiner besonderen Art eigen ist, die Zähne etwas bleckte, so zeigten sich auch diese glänzend weiß und niedlich wie Kinderzähne, und nur sein kurzes Schnäuzchen und die beiden kleinen Augen standen als drei schwarze Punkte in seinem etwas komischen, aber jedenfalls sehr gutmütigen Gesicht.

Dieses allerliebste Tierchen begleitete den Papst auch, als er später von dem neuen Herrn der Welt nach Fontainebleau geschleppt wurde, um seinen seitherigen erbärmlichen Kerker mit einem räumlich zwar sehr pompösen, aber moralisch nicht weniger engen zu vertauschen. Dies geschah jedoch weniger zu seiner Erleichterung, als zur Bequemlichkeit des Kerkermeisters, in dessen Interesse es lag, den Papst zu gewissen Verhandlungen in seiner Nähe zu haben, was aber nicht nur heißen wollte, daß der Starke manchmal den Schwachen braucht, sondern daß eben der Papst, als Mensch ein armer Wurm, doch noch irgendwie eine Macht darstellte, mit welcher selbst der furchtbare Emporkömmling zu rechnen hatte.

Etwas besser ging es dem kleinen Kors zu Fontainebleau immerhin. Denn wenn zu Savona für seinen geliebten Herrn kaum die Möglichkeit waltete, je das Zimmer zu verlassen, so war dafür das neue Gefängnis nicht nur inmitten eines wunderbaren Waldes gelegen, sondern auch von schönen stillen Gärten umgeben, in deren einsamen Baumgängen der Papst sich bei schönem Wetter frei ergehen konnte in Gesellschaft der Kardinäle Pacca und di Pietro und einiger anderer hoher Prälaten, die seinen kleinen Hofstaat ausmachten. Und da durfte auch Kors nie fehlen. Und wenn es im geschlossenen Gemach auch wohl sehr schön sein mochte, auf das freundliche Geheiß seines angebeteten Herrn über ein vorgehaltenes Stöcklein zu springen, oder sich auf die Hinterbeine zu stellen und mit erhobenen und bittend zusammengelegten Pfoten einen leibhaftigen betenden Menschen darzustellen: so war es doch noch tausendmal lustiger draußen im Freien, wo man sich so schön im weichen Gras wälzen oder wie ein richtiger großer Hund auf einen Spatzen Jagd machen oder hinter einem aufflatternden Schmetterling herbellen konnte, womit man nicht nur sich selber ein großes, sondern auch der rotbemäntelten Gesellschaft manchmal ein kleines Vergnügen machte.

Überhaupt gab es für das weiche Gemüt des weißgezottelten Kors alltäglich nur eine verdrießliche Stunde, die einzige bei Tag und Nacht, die ihn aus der Gegenwart seines hohen Beschützers verbannte, nämlich die, wenn sich der Papst des Morgens nach seiner Privatkapelle verfügte, um die Messe zu lesen.

Da durfte Kors ihn zwar auf seinem Gang durch einen langen hallenden Korridor begleiten und unterwegs an ihm hinaufspringen und ihm die Hand küssen; aber an der Kapellentüre wurde er regelmäßig von einem hageren violetten Priester mit mürrischem Gesicht, den man Monsignore Imberti hieß, auf den Arm genommen und in ein enges Zimmerchen gebracht, wo der mürrische Veilchenfarbene ihm zwar Gesellschaft leistete, aber es kaum der Mühe wert fand, auch nur ein Wort mit ihm zu reden, denn dem schien der kleine Hund eine viel zu geringfügige Kreatur. Und leider dauerte diese sozusagen Gefangenschaft in der Gefangenschaft immer eine sehr beträchtliche Zeit, da der greise Papst wegen seiner körperlichen Gebrechlichkeit sich nur äußerst langsam am Altar bewegen konnte und überhaupt in seiner tiefen Frömmigkeit die Messe nicht in unverständlich flüchtigem Gemurmel herunterhudelte, wie mancher bäuerlich schwäbische Dorfkaplan, sondern jedes Wort des heiligen Kanon deutlich und vernehmlich zu Gehör kommen ließ.

Man kann sich also denken, daß der kleine Kors den Monsignore Imberti nicht sehr liebte, ja er hätte ihn wohl sogar gehaßt, wenn er nicht von Natur ein so gutmütiges Geschöpf gewesen wäre. Aber dieses also etwas unfreundschaftliche Verhältnis zweier Mitglieder des armen päpstlichen Hofes erwies sich wenigstens nicht darnach angetan, politische oder sonstwie ernste Folgen nach sich zu ziehen; denn wenn auch Kors eine wirklich wichtige Persönlichkeit bedeutete an diesem Hof, so kam dafür der Monsignore Imberti wenig in Betracht. Viel bedenklicher stand es um die Beziehungen des kleinen Kors zu dem großen Korsen.

Beide hegten offenbar, und diesmal ganz gegenseitig, wenig Sympathie füreinander. Hat der entsetzliche Bonaparte den kleinen Trost eines so ergebenen Freundes dem Papst nicht gegönnt? Es ist möglich. Er hatte aber auch noch andere Gründe. Zunächst mißfiel ihm aufs äußerste der Name des päpstlichen Freundes. Kors, das lautete ja fast wie Korse, und Napoleon wußte wohl, daß er von allen so genannt wurde, die ihm wenig Liebe und Bewunderung entgegenbrachten. Aber wenn auch das nicht gewesen wäre, hätte ihm der Name immer noch mißfallen. Seiner grob gesunden Natur, und diesmal befand sie sich vielleicht nicht so sehr im Unrecht, ging nichts so sehr wider den Strich als jede Art Sentimentalität, und den Namen Kors »mein Herzchen« für einen Hund fand er unerträglich sentimental. Den Ursprung der Abkürzung kannte er ja nicht, und wenn er ihn gekannt hätte, würde ihm der Name deswegen wahrscheinlich nicht besser gefallen haben.

Leider beruhte, wie schon erwähnt, die Abneigung, um nicht zu sagen Feindschaft, auf Gegenseitigkeit.

Ob Pius VII. ein politischer Papst heißen durfte, wurde bereits eingangs und vielleicht etwas voreilig verneint, denn soviel ich weiß, sind die Ansichten der Historiker hier einigermaßen auseinandergehend. Wenn aber das Wort, »wie der Herr, so der Hund«, das gewiß oft als richtig befunden wird, auch diesmal zutreffen sollte, so bliebe kein Zweifel mehr in der genannten Frage. Kors wenigstens war kein Politiker – so intelligent er vielleicht sein mochte. Ihm fehlte für die sichere Abschätzung realer Gewalten das richtige Augenmaß; oder fehlte dies ihm nicht, so dann doch die Fähigkeit, Theorie und Praxis zusammen in guten Einklang zu bringen und sein praktisches Handeln von der richtigen politischen Erkenntnis nun auch in allen Fällen kategorisch bestimmen zu lassen. Man wird vielleicht einwenden, das sei etwas viel verlangt von einem Hund. Aber wer das sagte, bewiese nur, daß er diese Nation nur oberflächlich kennt.

Kurz, der kleine Kors war alles, nur nicht vorsichtig, und so oft – es kam gerade in letzter Zeit häufig vor – so oft der neue römische Imperator, angemeldet vom Kardinal Pacca, das päpstliche Gemach betrat, verfehlte Freund Kors nie, ihm ostentativ die Zähne entgegenzublecken, ja sogar ihn fast feindlich anzukläffen. Dem zwar nicht herz-, aber nervenfeinen Napoleon fiel aber nichts widerwärtiger als die Sprache derjenigen Nation, der nun einmal Kors die Ehre hatte, anzugehören. Hundegebell klang dem großen Korsen mindestens ebenso mißlautig in den Ohren wie dem großen Weimaraner – und das war vielleicht ein Hauptgrund der wunderlichen Zuneigung, die beide füreinander gehegt haben sollen. Kurz das Gekläff des so schön weißen, aber in diesem Fall nicht weisen Tierchens »agacierte«, um in seiner Sprache zu reden, den französischen Diktator jedesmal nicht wenig und trug so – warum mußte sich auch ein Hund in die Politik einmischen? – kaum dazu bei, den Ton bei den nachfolgenden Verhandlungen milder und entgegenkommender zu stimmen.

Der Papst verfehlte ja nie, seinen kleinen Freund immer schnell zurückzurufen und ihn mit sanftester Stimme zu beruhigen; aber der einmal verärgerte Napoleon wurde es nun durch den allzu liebevollen Ton des Papstes gegen den Hund noch mehr, das Unglück schien nicht wieder gutzumachen. Wenn es wenigstens dabei geblieben wäre. Aber indem nun die drei anderen, der Papst, der Cäsar und der Kardinal, in hohe und höchste politische Verhandlungen eintraten, sei es, daß dieselben die Ehescheidung des Kaisers, oder die sogenannten »Organischen Artikel«, oder die Bestätigung der vom Usurpator eingesetzten französischen Bischöfe betraf: was trieb dann das so unpolitische weiße Zottelfellchen?

Nichts wie harmlose Kindereien. Wenigstens konnte man es glauben. Zu den Füßen des Papstes hingekauert, schien Kors nichts anderes im Kopf zu haben, als sich aus den bekannten und sprichwörtlichen Pantoffeln oder den herabhängenden goldenen Troddeln der hohenpriesterlichen Lendenschärpe einen angenehmen Zeitvertreib zu machen. Diesem Spiel schien er oft so eifrig hingegeben, daß mehr als einmal die große Zehe des Papstes unter dem weißen Seidendamast ein paar spitzige Zähnchen schmerzhaft zu fühlen bekam, worauf der liebevolle Greis nur den Fuß etwas zurückzog, ohne dem kleinen Freund seine Ungeschicklichkeit weiter übelzunehmen.

Manchmal aber zeigte es sich, daß der kleine Kors bei alldem nur so tat, sozusagen, um sich eine Haltung zu geben; vielmehr verfolgte er, trotz seiner unpolitischen Geistesrichtung, die Verhandlungen zwar nicht gerade mit gespitzten Ohren, die seinigen hängen ihm allzu zottelig schwer an den Wangen herunter, aber doch, wie es dann herauskam, mit heimlicher, aber gespannter Aufmerksamkeit.

Denn immer, wenn bei diesen Verhandlungen gewisse besonders heikle Punkte zur Sprache kamen und etwa der greise Kirchenfürst, der immer noch die umfangreiche Tonsur der Benediktiner trug, dergestalt, daß ihm die weißen Haarlöckchen das Haupt umrahmten wie ein Kranz von weißen Rosen, – wenn also der Papst, sagte ich, bei gewissen plumpen Zumutungen des allmächtigen Korsen eine weit abweisende, ja wegwerfende Handbewegung machte; oder wenn, bei anderen strittigen Paragraphen, der große Namensvetter des kleinen Hündchens seine harte Stimme zu drohender Schärfe erhob: da ließ der scheinbar nur spielende Kors Pantoffel und Troddel fahren, in seine schwarzen Punktaugen trat ein feindliches Funkeln, und er bleckte die Zähne, und knurrte, knurrte ganz laut und vernehmlich, als wenn es sich in dem Gespräch der anderen nicht etwa um das grausame Schicksal der tugendhaften Kaiserin Josephine, sondern um sein eigenes gehandelt hätte.

Damit bewies er, daß es ihm leider nicht nur an politischem Sinn, sondern auch an höfischer Sitte bedenklich fehlte, und so wird sich niemand wundern, daß nun wirklich sein eigenes tragisches Schicksal bereits wie ein Gespenst sein Haupt vor uns emporreckt.

»Ich bitte Eure Heiligkeit dringend,« hatte Napoleon eines Tages unwirsch hervorgestoßen, »mir das nächstemal die Gegenwart dieses knurrenden Hundes zu ersparen.«

Aber, wie schon angedeutet, in der verehrungswürdigen Person des Papstes wohnte hart neben bedauerlicher Schwäche eine greisenhafte Eigensinnigkeit, und derselbe Mann, der dem entsetzlichen Korsen Zugeständnisse gemacht hatte, die über Zeit und Ewigkeit hin für die ganze Welt von unendlicher Wichtigkeit scheinen konnten, er brachte es nicht über sich, dem Kaiser in dieser Kleinigkeit zu Willen zu handeln; denn das Schicksal des kleinen Hundes Kors stand ebenso unverrückbar in den Sternen geschrieben wie das des gewaltigen Imperators selber und aller Sterblichen.

Und es sollte sich nur allzubald erfüllen. Die Geschichte hat es nicht für unwürdig befunden, das Datum des Tages aufzubewahren, es war der 17. Oktober des Jahres 1811, am heiligen Hedwigstag, nicht allzulang vor des Kaisers verhängnisvollem Zug nach Moskau.

Vorher hatte, früher als sonst, ein herbstliches Regenwetter gewaltet, und der Papst war an die zehn Tage nicht an die freie Luft gekommen, wie er es doch, trotz seines Alters, immer noch liebte. Nur mit seinen Augen durch die trüben Fenster hatte er täglich den Park abgewandert, wo es von dem rostbraunen Laub der Bäume trostlos niedertropfte auf die infolge des schlechten Wetters ungepflegten Wege. Aber an dem genannten Siebzehnten sah man bereits in der Frühe an einem dunkelblauen Himmel die langentbehrte Sonne golden aufgegangen; auch die Wege zeigten sich von dem abgefallenen Laub allenthalben gesäubert, und der Papst entschloß sich, nach seinem Frühstück die langentbehrte Wanderung im Freien anzutreten, wie immer in der gewohnten Gesellschaft, worunter der kleine Kors keineswegs die unwichtigste Person für ihn bedeutete.

Da sein Herr selber nicht unheiter dreinblickte – er hatte an die drei Wochen den Kaiser nicht gesehen und ihn darum fast ein wenig vergessen – gab sich Freund Kors seinerseits die Alleen entlang mit Hin- und Herrennen geradezu einer tollen Ausgelassenheit hin. Er mußte sich doch entschädigen für die Entbehrungen der trüben Tage, wo die Korridore und Galerien des Schlosses nur einen schlechten Ersatz geboten für ein Ergehen unter sonnendurchleuchteten Herbstbäumen oder an blumigen Beeten entlang, in denen man immer noch, wenn man Glück hatte, einen gaukelnden goldenen Falter aufstöbern konnte, den man zwar niemals erhaschte, der aber einem doch, wenn man ein kleiner Kors war, ein großes Vergnügen machte. Wirklich strahlte auch heut der Tag gar zu goldig, und daß es sein letzter sei, konnte Kors ja nicht ahnen.

Auch den Papst hatte es gereizt, seinen Gang weiter als gewöhnlich auszudehnen, und als er dann nach einer guten Stunde in das Schloß zurückkehrte und so wie er ging und stand, mit dem weiten roten Mantel über der weißen Soutane, sein Arbeitsgemach betrat, fühlte er sich plötzlich schwach werden und sank dann, wirklich sehr erschöpft, in seinen Sessel vor dem Arbeitstisch. Er hatte immer noch den roten Mantel um, den er sonst nur im Freien zu tragen pflegte, denn es fröstelte ihn jetzt ein wenig, und nur den roten Hut mit den mannigfach verknoteten Schnüren (womit sonst auch die Kardinäle abgebildet zu werden pflegen) hatte er vor sich auf den Tisch gesetzt. Der kleine Kors stand in einigem Abstand vom Sessel und sah etwas ratlos zu seinem erschöpften Herrn auf, der sich innerlich gerade sagte, daß er sich wohl zur Ruhe begeben müsse, denn er fühlte kaum noch die Kraft sich aufrecht zu erhalten.

In diesem Augenblick wurde wie von einem Sturmwind die Tür aufgerissen, und da stand der Kaiser. Nicht mit der Reitpeitsche just, aber doch gestiefelt und gespornt. Ohne sich anmelden zu lassen, ohne den zeremoniellen Vorschritt des Kardinal-Staatssekretärs war er eingedrungen – wie ein Soldat, der er ja vor allem war, in eine Kneipe im Feindesland. Selbst der kleine Kors erschrak darüber so sehr, daß er diesmal das Kläffen vergaß und es scheinen konnte, als ob er sich ernstlich ein besseres Betragen vorgenommen habe. Das arme Tierchen sah aus seinen kleinen schwarzen Äuglein nur wie in sinnloser Angst nach dem kleinen und dickbäuchigen Soldaten, dessen hohe und breite Stirn über dem blassen und etwas fettlichen Gesicht durch eine schräg vorliegende Haarsträhne wie in zwei Hälften auseinandergeschnitten schien. Der Papst aber, statt sich wie sonst zum Gruß zu erheben, lehnte sich nur in seinem Sessel stolz zurück, und ganz erfüllt in diesem Augenblick von der hohen Würde, die er vertrat, maß er stumm, und mit einem hoheitsvollen fragenden Blick, die kurze stämmige Person des Weltherrschers.

Man weiß, daß Napoleon sich nicht leicht von etwas imponieren ließ, zum wenigsten nicht so, daß dies äußerlich zum Ausdruck gekommen wäre. Wie standen nun aber heut die Dinge? Offenbar so, daß der Kaiser, der es mit seiner Sache sehr dringend und eilig hatte, den Papst recht zu verblüffen und damit auf dem kürzesten Weg sein Ziel zu erreichen gedachte. Er hatte aber diesmal falsch gerechnet. Und er erkannte dies sofort, denn er wußte im menschlichen Antlitz zu lesen wie kaum einer. Aber nun galt es, zu retten, was zu retten sein mochte, und er begann, ein wahrhaft seltener Fall bei ihm, mit einer Entschuldigung.

»Allerheiligster Vater,« sprach er, indem er sich, seine Rechte im Ausschnitt seines grünen Soldatenrockes, in respektvollem Abstand hielt, »ich bitte Eure Heiligkeit um Verzeihung über meinen rücksichtslosen Einbruch. Die Dringlichkeit der Sache wird mich entschuldigen. Ich bin gekommen, um aus Eurer Heiligkeit eigenem Munde zu hören, ob Dieselbe, wie ich mir schmeichle annehmen zu dürfen, sich nachträglich entschlossen habe, die Versammlung des französischen Episkopats, die auf den 20. huius zusammentreten wird, in eigener Person zu eröffnen zur Beruhigung des Reiches und zur Wohlfahrt der Kirche selber.«

Ja, eine Entschuldigung lag in dieser Rede ausgesprochen, nämlich so, wie einer etwa sich entschuldigte, indem er dem anderen die Pistole auf die Brust setzte. Der mit allen Bitterkeiten getränkte Papst fühlte es nicht anders. Doch er zuckte mit keiner Wimper. Der ehemalige Benediktinermönch hatte sich oft schwach erwiesen auf seiner dornenvollen Laufbahn; doch hatte es ihm in seinem Leben auch nicht an Augenblicken gefehlt, wo er den Eindruck machte wie einer, in dem der Geist der Stärke wohnt. Ein solcher Augenblick schien ihm jetzt beschert.

»Ich hatte bereits die Ehre,« antwortete er kühl, »Eurer kaiserlichen Majestät keinen Zweifel zu lassen über die Festigkeit meines Entschlusses in dieser Sache.«

»Sie verweigern sich also rundweg mir entgegenzukommen,« polterte Napoleon heraus, »Sie maßen sich an, meine bestgemeinten Absichten zu durchkreuzen.«

Der Papst ließ sich auch damit nicht aus seiner kaltblütigen Ruhe bringen.

»Ich kann nicht,« sagte er mit fast ersterbender Stimme, denn seine körperlichen Kräfte schienen ihn immer mehr zu verlassen; »ich kann nicht eine Versammlung eröffnen, die gegen meine eigenen klaren Verbote zusammentritt. Ich allein bin von Gott gesetzt, Bischöfe zu ernennen und zu berufen, in Frankreich wie in allen Ländern der Erde.«

»Und ich bin natürlich ein Nichts neben Euch,« spottete der Imperator.

»Du bist der siegreiche Cäsar,« sprach der Papst feierlich, »der Nachfolger des großen Konstantin und des noch größeren Karl. Alle weltlichen Angelegenheiten magst du schlichten und ordnen mit deiner mächtigen Hand, und Wir sind gern bereit, dir so weit helfend zur Seite zu stehen. Aber darüber hinaus gibt es Gebiete, wo deine Macht nicht hinreicht, wo ...«

»Chiaramonti!« schrie Napoleon, seines Zornes nicht mehr mächtig.

Um dem Papst zu zeigen, wie wenig er sich aus ihm mache – seine siegreichen Feinde haben es später so mit ihm selber gehalten – hatte er den Papst herabsetzend bei seinem Familiennamen genannt. Aber der an sich ehrenwerte Name, der jedoch im Munde Napoleons wie eine Ohrfeige wirken sollte, war kaum hervorgestoßen, da geschah etwas ganz Entsetzliches (wie es der schon genannte große Weimaraner gewiß empfunden hätte) oder auch etwas sehr Komisches; denn die großen und kleinen Ereignisse der Weltgeschichte spiegeln sich verschieden in den Gehirnen, je nach dem Standpunkt, äußeren oder inneren, des Betrachters, oder auch der Beschaffenheit seiner Augen.

Also komisch oder entsetzlich: als der Täter ergab sich jedenfalls der kleine Kors. Über die Anrede »Chiaramonti« würde der sich wohl nicht weiter empört haben; aber die Rechte des Soldatenkaisers hatte im gleichen Augenblick ihren Ort in dem Brustlatz verlassen, und wie zum Schlag ausholend – er konnte bekanntlich in der Wut zu allem fähig sein – war er gegen den Papst vorgestürzt.

Eine augenblickliche Bewegung war es gewesen.

Schon in der nächsten Sekunde aber wich der Kaiser jäh und mit einem erschrockenen »Ah!« bereits wieder einen halben Schritt zurück.

Und das hatte das kleine Hündchen Kors bewirkt. Die Gefahr, die seinem geliebten Herrn drohte, und vielleicht auch ein wenig der eigene Schrecken hatten ihm einen über Wuchs und Kraft hinausgehenden Mut eingeflößt; damit war der Hund an dem sich niederbückenden kurzbeinigen Kaiser emporgesprungen, und im Nu war da das Entsetzliche – oder das Komische geschehen.

Selbstverständlich trug der französische Cäsar, im Unterschied zu dem Römer dieses Namens, zwischen dem vielgenannten grünen Soldatenrock und seinen Kanonenstiefeln noch ein anderes Kleidungsstück am Körper, weiß von Farbe und, wie es damals die Mode forderte, an der Vorderseite mit einer sinnreichen Einrichtung versehen, die an ihrem oberen breiteren Ende beiderseits mit einem Knopf befestigt zu werden pflegte. Nun ist eine gewisse Eigentümlichkeit Napoleons allgemein bekannt, darin bestehend, daß er beim Auskleiden, seinem ganzen Wesen und ungestümen Temperament entsprechend, sich nie zum ruhigen Aufknöpfen die Geduld nahm, sondern sich die Kleider nur so aufriß und herunterriß, mochte aus den Haften und sonstigem werden, was da wollte: also daß vielleicht einer von den genannten goldenen Knöpfen bereits etwas zweifelhaft am Faden hielt, und das mag für das schauerliche Majestätsverbrechen (crimen laesae Majestatis) des sonst so harmlosen Hündchens Kors ein mildernder Umstand sein.

Darin nämlich bestand seine Untat: das Hündchen war mit seinen feinen Zähnchen an die genannte Vorrichtung gefahren, und darüber war der eine der erwähnten goldenen Knöpfe abgerissen ...

Ob nun Chiaramonti, wie Napoleon ihn zu nennen beliebte, oder Pius der Siebente, wie er in der Weltgeschichte heißt, hier trotz Würde und Ernst des Augenblickes ein Lächeln doch nicht zu unterdrücken vermocht hat, darüber schweigt die Geschichte. Wenn sich ihm ein solches aber wirklich in etwas unvorsichtiger Weise auf den schmalen und verhärmten Asketenlippen hervorgewagt haben sollte, ist es gewiß, gleich einer halbgeöffneten Blütenknospe im eisigen Hauch eines bösen Nordsturmes, sofort erstarrt und erfroren im Wutblick des fast lächerlich verletzten Cäsars. Dessen Grimm – man sieht, der Mensch hatte nicht ein Fünkchen Humor – schien ins Maßlose angeschwollen, mit einem Griff wie ein Lämmergeier aus der Höhe, erfaßte seine Hand, die dennoch nichts weniger als den Fängen eines Raubvogels glich, sondern, klein und weiß, fast einer Kinderhand ähnelte – erfaßte diese zierliche Hand das noch zierlichere Hündchen im Nacken; auf einen Druck seiner Linken öffnete sich in einem der Riesenfenster des Gemaches eine Umklappscheibe, die man dortzuland Spagnoletten nennt, ein Ruck des kaiserlichen Armes und das unglückliche Hündchen flog – es hatte leider keine Flügel eine gute Strecke in wirbelnder Bewegung wagrecht hinaus und dann in die Tiefe aus einer Höhe von mehr als hundert Klaftern ...

»Majestät!« Flehentlich hatte der Papst die Hände erhoben; leider zu spät, und voll Entsetzen blickten seine sonst so milden Augen nach dem fürchterlichen Korsen.

»Sollte ich mich beißen lassen von der giftigen Bestie?« stieß dieser erregt hervor.

»Kors hat in seinem Leben niemand gebissen,« beteuerte der Papst.

»Und wenn er etwa von der Wut befallen war?«

Darauf antwortete Pius nicht. Was er dachte hinsichtlich der Wut, das durfte er ja doch nicht aussprechen.

Napoleon aber, der trotz seiner Größe und großen Härte etwas wie das Bedürfnis nach Rechtfertigung fühlte, kam auf seine Befürchtung zurück.

»Der Hund konnte wirklich wütig sein,« stotterte er, »bedenken Eure Heiligkeit, welche Folgen! Die Achse, um die sich die Welt dreht, zerbrechen? Es ging wirklich um die Welt, was hätte aus ihr werden sollen.«

Sie hätte erlöst aufgeatmet, dachte der verzweifelte Papst. Zum Sprechen war ihm keine Kraft geblieben. Sein greises Haupt mit dem weißen Kranz spärlicher Löckchen sank ihm auf die Brust herab, Totenblässe verbreitete sich über sein Gesicht, seine Züge nahmen einen verzerrten Ausdruck an, man konnte glauben, es sei sein Tod. Aber er lebte, über seine Wangen rollten perlende Tränen, das grausame Ende seines geliebten Hündchens hatte ihm schmerzlicher in die Seele geschnitten, als einst der Verlust des ganzen Kirchenstaates, von höheren Gütern hier nicht zu reden.


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