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Die Dose des Herzogs von Savoyen

Es ist bekannt genug, daß die Franzosen trotz aller Höflichkeit, ja Liebenswürdigkeit, gelegentlich sehr anmaßend auftreten können, besonders, wenn es sich um Fremde handelt, die sie verachten zu dürfen glauben, was Monsieur Chauvin eigentlich immer glaubt, und was ihm besonders unter seinem Erobererkönig Ludwig zu glauben keine Beschwerde machte. Man weiß, wie damals souveräne deutsche Fürsten und Fürstensöhne (die es allerdings verdienen mochten) in Paris gelegentlich behandelt wurden. Namentlich, was ein französischer Marschall hieß, fühlte sich einem derartigen Duodezfürsten, ja auch wohl einem in octavo, mehr als ebenbürtig und konnte sicher sein, den großen König dabei auf seiner Seite zu haben, womit sich aber nur die alte Wahrheit bestätigt, daß Macht in der Welt mehr bedeutet als Rang, besonders, wenn diesem der Stolz abgeht, welcher jedoch mit Hochmut nicht verwechselt werden darf.

Einmal aber ist einem dieser Marschälle die Sache vorbeigelungen, und ich wäre glücklich, sagen zu können, daß ihm das durch einen Deutschen geschah; aber die Geschichte zu fälschen im Namen des hl. Patriotismus, geht nun doch nicht an, wenn dies auch, doch sicher nicht bei uns, manchmal vorkommen soll.

Herzog von Villeroy hieß der gedachte Marschall, und sein König dachte wahrlich nicht gering von ihm. Denn als da, im ersten Jahre des spanischen Erbfolgekrieges, der Marschall von Catinat im Mailändischen gleich die erste Schlacht gegen den Prinzen Eugen gründlich verlor, wurde Villeroy durch einen Eilboten aus Flandern nach Paris geholt und von Ludwig mit dem Oberbefehl über die italienische Armee betraut, was doch heißen wollte, daß man von ihm Wunder erwartete. Er hat keine gewirkt – denn mit den Siegen der französischen Waffen schien es ein für allemal vorbei zu sein –, nur eine moralische Ohrfeige brachte er aus Italien mit nach Hause, eine solche, wie sie wohl noch nie ein französischer Marschall schweigend eingesteckt hat.

Bei Chiari schlug er am 1. September des Jahres 1701 seine erste Schlacht gegen die Kaiserlichen, die unter dem Prinzen Eugen von Brescia her vorrückten und ihn unter ungeheuren Verlusten zum Rückzug zwangen. Dies möchte vielleicht nicht geschehen sein, wenn der Vetter des liedbesungenen Prinzen Eugen, der Herzog Viktor Amadeus von Savoyen, kaum ein geringerer Kriegsmann als der genannte Prinz, bereits auf französischer Seite zur Stelle gewesen wäre. Doch der Marschall von Villeroy hatte ihn absichtlich nicht erwartet, er gedachte die Lorbeeren des Sieges nicht mit dem Fremden zu teilen, mochte dieser auch ein noch so getreuer Bundesgenosse seines Königs und sogar dreifach mit dem großen Ludwig verschwägert sein. Er blieb deswegen doch ein Ausländer, der Anspruch erhob auf Souveränität, die ein Marschall von Villeroy am liebsten nur bei einem einzigen anerkannt hätte.

Der Herzog von Savoyen wußte das recht gut. Bundesgenosse des französischen Königs aus politischer Notwendigkeit, liebte er doch die Franzosen wenig, wozu nicht nur der Umstand beitrug, daß er, im Herzen ein Kaiserlicher, sich zu dieser Bundesgenossenschaft leider Gottes gezwungen sah, was seinem Gewissen ganz und gar gegen den Strich ging; auch die allzu kindisch sich spreizende Eitelkeit und windige Aufgeblasenheit dieser Nachbarnation entsprach wenig seinem soliden Wesen und männlichen Geschmack. Und daß nun dieser Marschall von Villeroy mit seinem etwas komischen Altweibergesicht unter dem übermäßig hohen Pudergewölk seiner Perücke lieber eine Schlacht verlor, als mit ihm den Sieg zu teilen, konnte seine Achtung vor diesen mehr eitlen als stolzen Welteroberern – sie standen bereits am Ende nicht der Welt, aber ihrer Siege – kaum erhöhen.

Er machte dennoch gute Miene zum bösen Spiel. Er gab am Tage seiner Ankunft dem Marschall und seinen sämtlichen Generalen ein großes Essen auf dem benachbarten Schloß von Montechiaro, wobei denn auch die schimpfliche Niederlage des Marschalls vor zwei Tagen mit keiner Silbe erwähnt wurde. Man tafelte also trotz der verlorenen Schlacht sehr fröhlich, und nach aufgehobener Tafel stand man noch plaudernd beisammen, alle Generale im höchsten Grade entzückt von der Liebenswürdigkeit des Gastgebers, der trotz seiner strengen und stolzen Züge eines im Krieg wie im Frieden hochbedeutenden Fürsten für jeden Anwesenden die freundlichsten und schmeichelhaftesten Worte wußte, nicht zum wenigsten für den Herrn Marschall, der ihm zunächst zur Seite stand. Und, wie gesagt, von der verlorenen Schlacht kein Wort. Während des Plauderns zog der Herzog von Savoyen einmal seine Dose aus der Tasche seiner langschößigen goldgestickten Weste und fingerte sich, immer im Fortgang der Unterhaltung, behutsam eine Prise heraus, und da mußte den Marschall der Teufel reiten, daß er etwas tat, was er besser unterlassen hätte.

War es bloß seine herkömmlich nationalgemäße und standesgemäße Anmaßung oder trug vielleicht die erlittene Niederlage die Schuld, die ihn, wie das ja vorkommt bei gewissen Charakteren, noch trotziger und herausfordernder stimmen mochte, kurz, er ließ den Fürsten sein Schnupfgeschäft nicht zu Ende bringen, sondern benutzte den Umstand, daß Viktor Amadeus die Dose noch offen vor sich in der Hand hielt, und nahm sich selber daraus eine Prise, ohne eine Aufforderung dazu abzuwarten, von der er wohl fürchtete, daß sie ausbleiben könnte. Der Herzog von Savoyen errötete einen Augenblick zornvoll, gewann aber dann schnell wieder sein verbindlichstes Lächeln gegen die Gesellschaft. Aber seinen Tabak schüttete er zu Boden, indem er einem Lakaien winkte und ihm befahl, sie frisch zu füllen.

Der Marschall von Villeroy konnte zwar nicht erbleichen, während er diesen Schimpf schweigend hinunterschlucken mußte, dazu war sein Gesicht zu sehr überpudert, aber seine schlaffen Züge versteinerten sich derartig, daß er aussah wie die jämmerlichste Maske, die man sich nur denken kann. Doch Viktor Amadeus tat nicht weiter dergleichen, und abgesehen von dem kurzen Befehl an seinen Lakaien führte er das Gespräch ununterbrochen fort, als ob nichts gewesen wäre.

Er mochte ja auch selber die symbolische Bedeutung seiner Handlung noch nicht ahnen; denn mit dem verschütteten Tabak hatte er es auch mit den Franzosen verschüttet, und schon kaum ein Jahr später kämpfte er bereits auf seiten des Kaisers. Von dem Marschall von Villeroy aber meint der Chronist, er habe nie wieder in seinem Leben unaufgefordert in die Dose eines fremden Souveräns gegriffen, und das mag denn wörtlich auch seine Richtigkeit haben; aber in einem allgemeineren Sinne stimmt es nicht; denn der Marschall, seht nur hin, lebt ja noch heute, wir kennen ihn nur zu gut, und es fehlt nichts als die Ohrfeige.


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