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II.

Gräfin Polly wartete an der Treppe, als das Automobil heranrollte und vor dem ausgehauenen Steinportal hielt. Sigismund Viffert stand neben ihr. Beide grüßten freundlich und ernst, wie die Lage der Dinge es gebot, und bald darauf saß Skram in dem großen, altmodisch möblierten Gartenzimmer, vor dessen schmalen Fenstern dichtstehende Obstbäume eine schützende Wehr gegen die Sonnenstrahlen bildeten.

Klipp und klar berichtete Skram, was geschehen war; den Hauptnachdruck legte er auf die Abfassung des Testaments und die sonderbare Eile, die Viffert dabei gezeigt hatte. Er redete von der Herzkrankheit und den Zwangsvorstellungen, verweilte lange bei dem sonderbaren Vorfall mit den Barbiermessern, die Viffert mitten in der Nacht gebracht wurden, und schloß mit einigen gewöhnlichen Worten über den Verstorbenen, dessen trauriges Ende kein eigentlicher Verlust war, sondern ein Ereignis, das bald in Vergessenheit geraten würde.

Die beiden hörten ihm schweigend zu, Viffert benommen, ernst und ruhig, Gräfin Polly mit weiblicher Teilnahme, etwas unbehaglich berührt, vielleicht sogar ein wenig bekümmert.

»Und die Leiche?« fragte sie.

»Die ist schon nach dem Krankenhaus gebracht worden, wo die Obduktion vorgenommen werden soll. Alsdann ist die Sache erledigt.«

Sie redeten über den Verstorbenen, und Äußerungen wurden getan, wie sie Skram nur erwartet hatte. Helmut Viffert war tot, und sein Nachruf entsprach seinem Verdienst.

Gräfin Polly suchte ihn zu entschuldigen, indem sie sein einsames Leben hervorhob, die harten Kämpfe, die er in der Jugend durchgemacht hatte, das von seiner Verwandtschaft an ihm begangene Unrecht, seine eigenartige Begabung und große Begabung auf einzelnen Gebieten.

Eine nette Leichenrede, dachte Skram. Sie war genau so, wie er sie erwartet hatte.

Und dabei merkte er deutlich, daß Gräfin Polly sich sehr für den Grund interessierte, der ihn nach Waldhof geführt hatte.

Skrams Absicht war in Wirklichkeit nur, sie zu treffen, der erste zu sein, der ihr Nachricht brachte, und die Vermutung, daß Sigismund der Mann ihrer Wahl sei, bestätigt zu sehen. Sodann wünschte er, mit ihr unter vier Augen zu sprechen, noch ehe sie mit einem andern geredet hätte und die Möglichkeiten, die ihr die Zukunft bot, überschauen könnte.

Er wollte – mit andern Worten – sie für sein erstes Verhör isolieren.

Dies freilich konnte er nicht gut als den Grund seines Kommens angeben. Und darum sagte er: »Ich wollte mit Ihnen, Herr Viffert, als dem nächsten Verwandten des Verstorbenen gern reden, bevor ich das Amt übernehme, das mir der Verstorbene zugedacht hat. Das Testament ist ein Glied in der Kette von Umständen, die sich um den Selbstmord schließt, und ich möchte Ihren Namen nicht gern in die Sache hineinziehen, bevor ich mit Ihnen geredet habe. Wenn die Frau Gräfin mir also ein paar Minuten zu einem Gespräch mit Herrn Viffert lassen wollte – –«

Sigismund unterbrach ihn. »Ist nicht nötig, lieber Herr Amtsrichter. Gräfin Polly und ich haben keine Geheimnisse voreinander.«

»Ja,« fügte die Gräfin ruhig hinzu, »nach diesem ungewöhnlichen Ereignis habe ich nichts dagegen einzuwenden, daß Sie erfahren, daß Sigismund Viffert die Ursache zu meinem Schritt bildet, über den ich gestern mit Ihnen sprach. Ich brauche wohl nicht mehr zu sagen.«

Skram verbeugte sich – der erste Teil seiner Mission war beendet. Viffert hatte mit seiner Vermutung recht gehabt.

»Sie wollen uns also mitteilen,« fuhr die Gräfin fort, »welche Bestimmungen Helmuts Testament enthält – mit Bezug auf Sigismund und – mich.«

Skram begriff sofort, daß dieses »und mich« deutlich verriet, daß die Gräfin schon am vorigen Abend mit Viffert über das Testament unterhandelt hatte. Wußte sie also schon alles? Das mußte er sofort erproben.

»Der Kammerjunker erzählte mir gestern abend, daß er Euer Gnaden bereits den Inhalt des Testaments mitgeteilt habe. Da es von mir als Amtsperson nicht korrekt gehandelt sein würde, den Inhalt einem andern als Herrn Viffert allein anzuvertrauen, so möchte ich gern wissen, ob Euer Gnaden den Inhalt wirklich schon kennen oder nicht.«

»Ja,« sagte die Gräfin, »ich weiß, daß ich seine Erbin unter gewissen Bedingungen bin – aber,« fügte sie hinzu, als bereue sie, sich soweit vorgewagt zu haben, »somit ist es ja sinnlos, daß Sie es mir nicht sagen wollen. Das hätte ich von Ihnen nicht erwartet, Skram. Oder ist das Testament etwa abgeändert worden?«

Skram schien es, als habe er jetzt bereits einen Fehler begangen. In einem so unwesentlichen Punkte hätte er nicht Schwierigkeiten machen dürfen, zumal, da die Gräfin bedingungslos Bescheid wußte.

Er verbesserte sich daher schnell und sagte lächelnd: »Euer Gnaden müssen schon meine Beamtenpedanterie entschuldigen; die wahre Ursache aber ist, daß ich mich geniert fühle, über diese Bedingungen zu dreien zu diskutieren. Wie Euer Gnaden wohl wissen, verlangt der Verstorbene von Ihnen, daß Sie die Erklärung abgeben, niemals mit Herrn Viffert die Ehe einzugehen, nachdem Ihre gegenwärtige Ehe, wie der Verstorbene es erwartete, gelöst ist. – – Darf ich fortfahren?«

Die Gräfin war glühend rot geworden. Skram stutzte. Wußte sie es etwa nicht? Aber nun war es einmal gesagt, und so fuhr er fort: »Diese Bedingung, die den nächsten Erben in zweifacher Weise von der Erbschaft ausschließt, ist an und für sich anstößig. Man kann sie nicht gut veröffentlichen, und leider läßt sie sich auch nicht beiseiteschieben. Was ich nun wünsche, ist eine Erklärung des Herrn Viffert, die zusammen mit der offiziellen Bekanntmachung des Testaments den Erben vorgelegt werden und der absonderlichen Vermutung, die das Testament ausspricht, den Stachel nehmen könnte.«

Die Gräfin sah Skram bewundernd an, und dieser fand im Stillen ihre Bewunderung ganz berechtigt; denn diese Wendung war wirklich wohlgeglückt, um so mehr, als er sie – was die Gräfin nicht wußte – ganz impulsiv, einer Eingebung des Augenblicks folgend, vorgeschlagen hatte.

Skram fuhr fort: »Wenn ich eine solche Erklärung vorlegen könnte, würde jedermann sich sagen, der Verstorbene habe einen ganz sonderbaren Irrtum begangen. Ich hatte zuerst gedacht, daß Euer Gnaden selbst eine solche Erklärung abgeben könnten, wenn Sie, was ich allerdings vorhin nicht wußte, keine Bedenken dagegen trügen. Es ließe sich jedenfalls machen, ohne auch nur den Schimmer eines Argwohns auf Sie zu werfen. Es dreht sich ja nur um die wunderlichen Ideen eines Selbstmörders.«

»Was meinen Sie aber jetzt, da Sie mehr wissen?« fragte die Gräfin. Sie verließ sich offenbar ganz auf Skrams Scharfsinn und seine juristische Tüchtigkeit.

»Ja,« sagte Skram, »wenn es wirklich Ihre Absicht ist, in drei Jahren mit Herrn Viffert die Ehe einzugehen, dann wird es freilich schwer fallen, eine Erklärung abzugeben, daß Sie das nicht tun wollen. In diesem Falle möchte ich Ihnen raten, zu erklären, daß Sie unter keinen Umständen ein Erbe annehmen wollen, das sich als eine gewisse Anspielung auffassen läßt, die gegenwärtig, da Sie Graf Henriks Gattin sind, nur beleidigend für Sie sein kann. Eine solche Erklärung würde ich mit Vergnügen für Sie abfassen, und damit fielen alle Zweifel fort.«

»Zusammen mit der Erbschaft,« sagte die Gräfin, kurz auflachend.

»Zusammen mit der Erbschaft,« wiederholte Skram und blickte sie forschend an. »Aber Euer Gnaden können selbstverständlich auch anders handeln. Sie könnten wenigstens vorläufig Ihre Pläne fallen lassen, eine Erklärung wie die erstgenannte abgeben und das Erbe in Empfang nehmen. Sollten Sie später Ihre Ansicht ändern und die Ehe einzugehen wünschen, so müßten Sie selbstredend den vollen Betrag an die berechtigten Erben zurückerstatten. Aber ich möchte doch bemerken, daß ich nach dem, was geschehen ist, eine solche Erklärung nur ungern abfassen würde.«

»Das alles will sagen: er verfolgt mich über das Grab hinaus,« sagte die Gräfin bitter und biß die Zähne zusammen.

Skram blickte sie an. – Der grausame Mund! dachte er.

Doch sie bereute ihren Ausruf sofort und fuhr eilig fort: »Wer sind denn die sonstigen Erben?«

»Graf Henrik – Mamsell Leonie – und der Rest ist für das Allgemeinwohl bestimmt nach Kühns und meinem Gutdünken.«

»Mir dies zu verraten, dazu halten Sie sich wohl ohne weiteres für berechtigt, nicht?« sagte die Gräfin scharf. »Ja,« versetzte Skram. »Sie wußten es ja schon.«

»Nein,« sagte sie, »mir das zu erzählen, ist ihm doch zu schwer gefallen.«

»Es ist indessen so,« sagte Skram. »Ich sehe Schwierigkeiten voraus, aber ich, der als Notar das Testament attestiert hat, muß hervorheben, daß der Kammerjunker bei voller Vernunft gewesen ist, als er seine Bestimmungen traf, und diese müssen somit von jedermann respektiert werden.«

»Ich muß mit dir darüber reden, Sigismund,« sagte die Gräfin.

Das Wort »du« wird in jener Gegend gewöhnlich zwischen Nachbarn gebraucht, und hat somit nichts weiter zu bedeuten. Skram hatte die Gräfin allerdings noch nie so zu Viffert reden hören und er hatte ja auch erst soeben ihr gegenseitiges Verhältnis erfahren, aber dennoch war er überzeugt, daß dieses »Du« an und für sich nichts zu bedeuten hatte.

»Dazu ist auch reichlich Zeit,« sagte er. »Nur scheint mir, als hätte ich Herrn Viffert gar nicht aufzusuchen brauchen. Ich vermag wohl zu verstehen, daß Ihnen die Erörterungen, die an dieses sonderbare Testament geknüpft werden können, nicht sympathisch sind und daß Sie Ihre Entscheidung gerne auf später verschieben möchten. In diesem Falle ist mein Auftrag erledigt. Ich selbst habe nur die Bestimmungen des Testaments zu erfüllen und das Barvermögen zu verwalten, das nach der Aussage des Verstorbenen gegen sechs- bis siebenhunderttausend Kronen beträgt, mithin recht bedeutend ist.«

Die beiden saßen schweigend da.

»Und einen andern Auftrag haben Sie nicht?« fragte die Gräfin nach einer Weile.

»Doch,« sagte Skram, »im Grunde genommen, habe ich noch einen zweiten Auftrag, und ich kann ihn auch gleich nennen. Es hat dem Kammerjunker offenbar daran gelegen, einen Bruch zwischen Euer Gnaden und seinem Neffen herbeizuführen. Er hat schärfere Augen gehabt als wir andern, ja, als Graf Henrik selbst; das darf ich nun, da Sie mir Ihr Vertrauen geschenkt haben, wohl sagen. Und er hat sich in den Kopf gesetzt, diese – lassen Sie mich sagen – Partie zu verhindern. Er hat einen Brief an Herrn Viffert hinterlassen, in dem er seinem Neffen eindringliche Vorhaltungen macht, wie unrecht es gehandelt sei, zwischen zwei Ehegatten zu treten. Dieser Brief befindet sich in meinem Verwahrsam und darf wohl dem Adressaten übergeben werden.«

Skram hatte sich ausschließlich an die Gräfin gewendet, und er merkte, daß sie ihn verstand; sie erglühte und bewegte sich unruhig auf ihrem Stuhl.

Sie unterbrach ihn: »Und den Brief haben Sie bei sich?«

»Ja,« sagte Skram.

»Haben Sie ihn gelesen?« fragte sie kurz.

Skram glaubte ihr Herz schlagen zu hören. – Sie wußte, was in dem Briefe stand. »Ja,« sagte er, »es war von Amts wegen meine Pflicht.«

»Ihre Pflicht, einen Brief zu lesen, der nicht an Sie gerichtet ist?«

»Mit den unabgesandten Briefen eines Selbstmörders muß sich die Behörde bekannt machen. Es ist bloß noch mein Amt, Herrn Viffert zu sagen, daß ihm der Brief nicht vor Abschluß der Sache ausgeliefert werden kann.«

Sigismund Viffert verstand offenbar die Erregung der Gräfin nicht. Er saß wie gewöhnlich da und starrte sie an. Sie war jetzt etwas blaß, aber äußerlich ruhig, und ihr geschlossener Mund verriet wieder rücksichtslose Entschlossenheit.

Skram begriff, daß die Vergangenheit, die er mit ihr verlebt hatte, jetzt unwiderruflich vorbei war. Er war nicht ihr Freund mehr, er hatte ihr gesagt, daß Vifferts Geheimnis nicht mit dessen Tod ins Grab gehen werde, sondern in ihm weiterlebe. Und wenn es zum Kampfe kam, mußte er das Geheimnis offenbaren. Doch unter der Maske der Freundschaft zu kämpfen, war seiner Natur zuwider. Hier stand hart gegen hart. Sollte er sie besiegen, dann mußte der Sieg durch sein größere Stärke und die gute Sache, die er verfocht, gewonnen werden; überlisten ließ sie sich gewiß nicht. Und nun hatte er sich ihr so weit genähert, daß sie die Gefahr ahnte: das Geheimnis des Toten lebte noch und wurde von einem Manne bewahrt, der die Macht hatte, es zu benutzen – von einem Manne, mit dem sie nicht brechen konnte, weil er die Seele des Ganzen war.

Die Gräfin erhob sich.

»Ich muß jetzt nach Hause,« sagte sie. »Wir können ja noch morgen darüber sprechen, Sigismund. Heute abend noch will ich mit Henrik reden. Ich wünsche in den nächsten Tagen nicht zu Hause zu sein. Mögen die Leute reden so viel sie wollen. Wir können auch morgen darüber sprechen, Skram. Haben Sie Herrn Viffert noch etwas zu sagen, oder kommen Sie mit mir nach der Edelsburg, wie unsre Verabredung lautete?«

Skram verbeugte sich. »Nach dem, was ich erfahren habe, bleibt nichts für mich zu tun übrig. Ich begreife recht wohl, daß Euer Gnaden darüber nachdenken wollen, und ich werde das Testament so lange zurückhalten, bis Sie und Herr Viffert sich über Ihren Entschluß geeinigt haben; ich bin ja auch bereit, Ihnen jederzeit bei diesem nicht leichten Schritt zu helfen. Der Brief steht, wie gesagt, Herrn Viffert zur Verfügung, sobald die Sache abgeschlossen ist, was in den nächsten Tagen der Fall sein wird.«

Viffert fragte Skram, ob er eine Erfrischung wünsche, was Skram bejahte, und so wurden Wein und Speisen gebracht. Sie tranken schweigend, und Skram bemerkte dabei, wie Gräfin Pollys Blick forschend auf ihn gerichtet war.

Dies war erst ein Vorpostengefecht gewesen. Der Weg, der zum Ziel führte, war lang, und Skram war noch weit vom Ziel entfernt.


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