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Einleitung

I.

»Also in einer Amtssache sind Euer Gnaden zu mir gekommen?«

Gräfin Polly nickte ernsthaft.

»Ja – Sie, als den Amtsrichter von Edelsburg möchte ich sprechen. Nur den! – Lieber Skram, es paßt wirklich vorzüglich, daß gerade Sie hier Amtsrichter sind. Mit dem alten Madsen in dieser Sache zu reden, wäre mir ganz unmöglich. Einfach unmöglich! – Sie dagegen, lieber Skram, sind mein Freund, nicht wahr? – Mein getreuer Freund! – Also, um es kurz herauszusagen: Henrik und ich haben uns entschlossen, von nun an jeder seinen eigenen Weg zu gehen. So lautet wohl der richtige Ausdruck dafür.«

Gräfin Polly Eisenbart war von Geburt Amerikanerin, und Amtsrichter Skram sagte sich im stillen, daß der fremde Akzent alles Konventionelle ihrer Worte aufhebe.

Skram war nur infolge einer Amtsvakanz – in Vertretung – zum Richter des Edelsburger Bezirks ernannt worden. Er, der jetzt achtunddreißig Jahre zählte, amtierte eigentlich als Assistent beim Justizministerium, doch als Sohn eines Departementchefs konnte er unbedingt auf eine gute Karriere rechnen.

Von der Gräfin Polly war er sehr eingenommen, was allerdings alle Männer waren – aber außerdem spielte er wunderbar schön Cello, und die Gräfin schwärmte für Musik.

Daher rührte die Freundschaft beider, die jetzt schon einen Winter, einen Frühling und einen halben Sommer hindurch gewährt hatte. Es kam noch hinzu, daß die Amtsrichterwohnung mit ihrem großen, schattigen Garten dem Schloß gerade gegenüberlag und von ihm nur durch den breiten gelbgrünen Schloßgraben getrennt war.

Über diesen war Gräfin Polly soeben in ihrem kleinen, weißen Boot gerudert. Sie wollte ja nur in einer Amtssache mit dem Richter sprechen, denn sie und Henrik Eisenbart hatten, wie gesagt, sich entschlossen, jeder seinen eigenen Weg zu gehen. Ihm sollte die Grafschaft Edelsburg nebst allen zugehörigen Gütern, Wäldern, Kirchen und Zehnten – und ihr – nun ihr sollte sie selbst gehören, weiter nichts!

Und doch schien es Skram, als habe der Graf das geringere Teil erhalten.

La belle dame sans merci nannten die Nachbarn Gräfin Polly, und unter dieser Bezeichnung war sie auch von einem der ersten Künstler des Landes gemalt worden. Eine Florentinerin, die aller Hoffnungen erweckte, aber nichts versprach und daher auch keine Versprechen zu halten brauchte. Eine Florentinerin, eine jener Renaissance-Frauen, die im heutigen Amerika wiedergeboren sind. Ihr Haar war bräunlich, doch wenn die Sonne darin spielte, von goldigem Glanz. Sie trug es gescheitelt und in schweren Locken geordnet, die ihr feines, ovales Gesicht umrahmten. Ihre Augen hatten eine Farbe, die niemand recht ergründen konnte, und ihr feingezeichneter Mund war bald schwellend, bald fast grausam fest geschlossen. Immer trug sie, ohne auf die Mode Rücksicht zu nehmen, eine ausgeschnittene Taille, die den schlanken, weißen Hals freiließ. Ihre Hände glichen denen der Monna Lisa, die niemand vergißt, und ihre mittelhohe Gestalt war recht üppig – eigentlich zu schwellend für das ovale Gesicht und den schlanken Hals.

La belle dame sans merci!

Fremd war sie allen Leuten dieser Gegend gewesen, als sie mit achtzehn Jahren ihren Einzug auf der Edelsburg gehalten hatte, und fremd war sie ihnen noch heute, da sie dem Amtsrichter Skram mit ihrem eigenartigen, stillen Lächeln anvertraute, daß sie und Graf Henrik beschlossen hätten, jedes seinen eigenen Weg zu gehen.

Skram wunderte sich nicht darüber. Er fragte bloß: »Und Ivar?«

»Ivar?« wiederholte die Gräfin. »Der ist heute in sein Kollegium gereist – nach Herlufsholm. Dort mag er bleiben, bis er Student geworden ist. Er ist jetzt ein großer Junge von elf Jahren – und wissen Sie, Skram, es ist Henriks Junge, nicht meiner. Henrik nahm mich nur, um eine Mutter für seinen Jungen zu haben, noch ehe dieser geboren war. Der Stammhalter – das war meine erste Pflicht, und die habe ich erfüllt. Ich habe dem Jungen selbst die Brust gegeben und gut auf ihn geachtet, so lange er klein war, denn wir Amerikanerinnen können auch gute Mütter sein. Aber jetzt ist Ivar nur der Stammhalter – Henriks Junge. Und das mag er meinetwegen auch bleiben. – Er kümmert sich auch gar nicht um seine Mutter. Und Sie wissen ja, ich mache mir auch nicht viel aus Kindern.«

Das wußte Skram.

»Ich bin jetzt dreißig Jahre alt,« fuhr die Gräfin fort und lächelte dabei etwas müde, – »dreißig Jahre, das heißt, ich habe keine Zeit zu verlieren. Denn ich will leben – wirklich leben. Henrik hat mir meine Freiheit gegeben, und nun komme ich zu Ihnen. Sie haben ja mit allen meinen Sachen zu tun gehabt – wenn mir die Dienstboten weggelaufen oder wenn meine Hunde über die Grenze gegangen waren.«

Skram nickte.

»Ich werde eine sogenannte weltliche Vermittlung vornehmen und –«

Die Gräfin unterbrach ihn: »Und ein Gesuch oder, wie es heißt, an den Minister schreiben. Der Minister ist mein Freund, er schlägt mir keinen Wunsch ab. Und Sie, lieber Skram – Sie tun ja wohl auch alles, worum ich Sie bitte.«

Skram lächelte.

»Ich werde die Vermittlung mit aller amtsmäßigen Energie vornehmen.«

»Das ist gar nicht einmal nötig. Henrik und ich sind ja einig. Wäre ich älter, dann würde ich vielleicht bleiben. Hier ist es ja schön, und die Menschen sind gut. Auch habe ich mich an dies Land gewöhnt und liebe die Edelsburg. Aber das Leben ruft, Skram – um mein Leben laß ich mich nicht betrügen. Bis jetzt habe ich nicht einen einzigen Tag wirklich gelebt – es hat keinen Tag für mich gegeben, an dem ich ein richtiger Mensch sein durfte, keinen einzigen! – Doch das habe ich Ihnen gewiß schon hundertmal erzählt.«

»Und ich bin –«

Die Gräfin ergriff Skrams Hand und drückte sie leicht.

»Sie, lieber Skram, sind verliebt in mich gewesen, als der nette, wohlerzogene Jurist, der Sie sind. Ohne Sie wäre ich gestorben im letzten Winter, als Onkel Julius' Tod uns zwang, uns hier niederzulassen. Ich bin Ihnen herzlich dankbar, lieber Skram. Ihre Verliebtheit hat mich recht erwärmt. Ja, das hat sie wirklich, ich wäre sonst gestorben vor Kälte. Sie sehen, Sie haben auf zweifache Art mein Leben gerettet. Nun sollen Sie mich noch einmal retten.«

Die Hand der Gräfin lag in der seinen; er führte sie an seine Lippen.

Sie lachte.

»Armer Skram, Sie sind wirklich verliebt. Zürnen Sie nicht, daß ich es sage, aber verliebt in mich sind alle. Auch Henrik – der arme Henrik! Es hilft ja alles nichts – kein bißchen.«

»La belle dame sans merci,« sagte Skram, dem jetzt wirklich warm geworden war.

Die Gräfin ließ wieder ihr kurzes, klingendes Lachen hören.

»Ich werde Ihr Cello sehr vermissen,« sagte sie dann. »Aber wissen Sie, Skram, zu Ihrem eigenen Nutzen will ich Ihnen sagen, daß Sie noch ein andres Instrument erlernen müssen, wenn Sie Ihr Dasein nicht als Hagestolz beschließen wollen. Könnten Sie ebenso schön, wie Sie Cello spielen, auch Violine spielen, dann, glaube ich, hätte ich mich wirklich in Sie verliebt. Tolstoj redet von der gefährlichen Violine – und Tolstoj hat recht. Denn als Duett für Klavier und Cello konnte selbst die Kreuzersonate nicht gefährlich werden. Nicht wahr, Skram?«

Und die Gräfin lachte wieder – leise, mit etwas neckendem Beiklang.

»Doch nun genug der Dummheiten. Der Ernst tritt wieder in sein Recht, und Sie sind wieder der steife Amtsrichter, der die Diebs- und Mordgesellen verhört, wenn es solche Leute in diesem sittsamen Lande gibt. Henrik und ich wollen, wie gesagt, geschieden werden, und Sie sind derjenige, der dafür sorgen soll. So will auch Henrik es haben.«

»Werden Sie dann verreisen, Gräfin?«

»Verreisen? – Ja, gewiß. Nach Paris.«

»Allein?«

Die Gräfin zog die Brauen zusammen. »Ich will Sie darauf aufmerksam machen, daß dieses hier eine Vertrauenssache ist, aber Sie müssen mich nicht fragen, was ich in Zukunft zu tun gedenke; denn das sage ich nicht. Und so viel wissen Sie schon von mir, Skram, daß wenn ich etwas nicht sagen will, ich es auch nie und nimmer sage, selbst wenn man mich auf ein glühendes Eisen legte.«

Das wußte Skram – Gräfin Polly war stärker als alle Menschen, die er getroffen hatte – einen vielleicht ausgenommen: Helmut Viffert.

Da fuhr ihm ein Gedanke durch den Kopf.

»Reist Helmut Viffert mit nach Paris?«

Die Gräfin erhob sich hastig.

»Sagen Sie das noch einmal, und ich reise auf der Stelle nach Kopenhagen und lasse alles von dem alten, pedantischen Advokaten ordnen. Über meine Vergangenheit wissen Sie nichts, Skram, die Gegenwart kennen Sie – meine Zukunft aber gehört mir, mir allein!«

»Vergebung,« sagte Skram. Er begriff, daß das, was sie sagte, ihr ernst war. »Ich muß nur noch der Form wegen wissen, warum Sie von Ihrem Manne getrennt zu werden wünschen. Es ist nur eine Formsache.«

Gräfin Polly lächelte. »Das Ganze war ja nur eine Formsache – meine Heirat mit Henrik selbst. Ich wollte gern Gräfin sein, und wenn der Name Eisenbart auch wunderlich klingt, so ist er doch alt und angesehen. Die Edelsburg ist auch alt und angesehen. Freilich – hätte ich gewußt, wie entsetzlich sie aussah, ehe ich Henrik veranlassen konnte, sie umzubauen, so glaube ich kaum, daß ich ihn genommen hätte. Aber ich war damals krank an jenem... jenem... nun, Sie kennen es nicht... und so nahm ich Henrik schließlich. Es war alles nur eine Formsache. – Henrik ist stets unendlich gut gegen mich gewesen, viel zu gut. Und doch kann es nicht helfen. Schließlich ist der Stammhalter auch das Wichtigste für ihn, und da Henrik erst sechsunddreißig Jahre alt ist, so kann er sich ja noch einmal verheiraten.«

»Ihr Herr Gemahl liebt Sie doch aber, Gräfin,« sagte Skram ernst. »Und das wissen Sie recht gut.«

Die Gräfin zuckte die Achseln. »Das tun Sie ja auch, Skram, das tun ja alle zusammen – haben es immer getan. Nur ich – ich selbst habe noch nie – –« Sie errötete leicht und schwieg.

Skram wagte nicht, etwas zu sagen. – – –

In diesem Augenblick klopfte es an der Tür, und ein Sekretär trat ein; er war aus dem Bureau des Richters gekommen, das dem Gartenzimmer gegenüberlag.

»Herr Kammerjunker Viffert möchte um eine Unterredung bitten,« bestellte er.

»Ersuchen Sie ihn, noch einen Augenblick zu warten.«

»Aber sagen Sie ihm nicht, daß ich hier bin, Holm,« fiel die Gräfin ein.

Sekretär Holm verbeugte sich tief und verließ das Zimmer.

»Nun geh' ich, Skram, denselben Weg, den ich gekommen bin – über den See. Versprechen Sie mir, Helmut kein Wort von dem zu sagen, was ich mit Ihnen geredet habe, und erzählen Sie mir alles, was er Ihnen sagt. Sie kommen doch heute zu uns zum Abendessen, nicht wahr? Nun gut, es wird eine Art Abschiedsschmaus sein, denn ich reise ja bald. Mit dem Pfarrer habe ich schon gesprochen; der alte Faselhans sagte nichts dazu, und die weltliche Vermittlung können wir gut nach dem Kaffee vornehmen! Ich bin sehr ausgelassen, nicht wahr? Ja, das rührt daher, daß jetzt alles vorbei ist – vorbei!«

Und damit reichte Gräfin Polly dem Richter die Hand, die Skram zweimal küßte.

Das war sein Recht.

Dann schritt sie leichtfüßig über den Rasen zu den hängenden Weiden hinab, wo ihr Boot lag.

Sie löste es los und ruderte zum Schloß hinüber, das sich im gelbgrünen Wasser widerspiegelte.

Skram hörte, wie sie beim Rudern sang. Es schien ihm die Jubelarie aus dem Faust zu sein. – –


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