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VII.

Lady Macbeth!

Skram saß in der Bibliothek und blätterte in einem illustrierten Shakespeare-Bande. Das Bild, das er aufschlug, war keine hervorragende Leistung des Zeichners, namentlich der Gesichtsausdruck der Lady Macbeth war recht nichtssagend oder gar einfältig, aber die Szene hatte der Zeichner richtig erfaßt: in ein faltenreiches, mehr griechisches als schottisches Gewand gekleidet, stand die schlanke Lady mit aufgelöstem Haar unter einem mächtigen Steingewölbe. Neben ihr – auf einem breiten Säulenkopf brannte ein qualmendes Licht. Sie preßte ihre linke Hand gegen die rechte, als wolle sie ein Merkmal wegwischen.

Yet here's a spot.

Im Hintergrunde sieht man den Arzt und die Gesellschaftsdame.

Out, damned spot – out, I say!

Und die Lady Macbeth des Bildes nahm die Züge an, die Skram so gut kannte, die Züge der belle dame sans merci. Sie würde nicht reden, nicht einmal zu sich selbst. Ihr Mund würde geschlossen sein, fest und grausam, wie er es sein konnte, wenn ihre Lippen sich nach einem spitzen Sarkasmus zusammenpreßten.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, erhob sich Skram und eilte zum Telephon, das an der Wand des Bibliothekzimmers angebracht war.

Nachdem er einen Augenblick lang gezögert, läutete er.

Es verging eine Weile, ohne daß Antwort kam.

Da läutete er wieder.

»Ich möchte Verbindung mit Waldhof,« sagte er.

»Dann müssen Sie erst mit Xdorf verbunden werden,« lautete die Antwort.

»Wird das noch lange dauern?« fragte er, schon im Begriff, seinen Vorsatz fallen zu lassen. Aber der Zufall wollte, daß Xdorf gerade zu haben war und er Verbindung mit Waldhof erhielt.

»Ist Herr Pächter Viffert zu Hause?« rief er in den Apparat. – Der Pächter sei zu Hause, hieß es; ob etwas Wichtiges vorliege?

»Ja, hier ist Amtsrichter Skram. Es ist etwas sehr Wichtiges.«

Ein paar Minuten vergingen. – Dann kam Sigismund Viffert ans Telephon.

»Sind Sie da, Herr Viffert? – Ja, also ich habe Ihnen die betrübende Mitteilung zu machen, daß Ihr Onkel, der Herr Kammerjunker, letzte Nacht gestorben ist.«

»Gestorben?«

»Ja, er hat sich mit einem Barbiermesser den Hals abgeschnitten.«

Es kam keine Antwort.

»Sind Sie noch da?«

»Ja, wünschen Sie, daß ich noch heute nach der Edelsburg hinüberkomme, Herr Amtsrichter?«

»Nein, das ist nicht erforderlich. Wir haben die Leichenschau bereits abgehalten und die Leiche nach dem Krankenhaus gebracht. Aber wenn es Ihnen morgen paßt – – oder schließlich – – ich bin der Vollstrecker des Testaments, und so kann ich noch heute abend zu Ihnen hinüberkommen.«

»Weiß der Graf schon von der Sache?«

»Der Graf weiß davon. – Die Gräfin ist am Morgen ausgeritten und noch nicht zurückgekehrt, doch erwarten wir sie jeden Augenblick. Ich telephoniere von der Edelsburg aus, wo ich mit dem Grafen eine Unterredung haben werde. – Sind Sie noch da?«

Es vergingen ein paar Augenblicke. Skram stand mit dem Hörrohr in der Hand da und wartete ruhig.

Dann erklang eine andere Stimme im Telephon – die der Gräfin. Skram nickte ruhig vor sich hin. Das hatte er gerade erwartet.

»Sind Sie dort, Skram?«

»Ja, ich höre, Euer Gnaden.«

»Viffert erzählt mir, Helmut habe Hand an sich gelegt!«

»Das stimmt.«

»Und Henrik?«

»Der Graf nimmt es sehr ruhig auf; alle nehmen es ruhig auf. Ich werde mit Euer Gnaden noch wegen des Testaments reden müssen; das ist nämlich höchst sonderbar – na, darüber später.«

Die Stimme der Gräfin klang etwas unsicher, als sie sagte: »Sigismund Viffert erzählt mir eben, daß Sie auch mit ihm reden wollen.«

»Ja, mit ihm auch,« versetzte Skram.

»So bitten Sie Henrik, daß er das neue Auto mit dem Chauffeur herüberschickt; ich bin hier auf Waldhof und möchte Sie gleich, und zwar hier sprechen.«

»Soll ich dem Grafen diesen Bescheid geben?« fragte Skram.

»Ja,« lautete die Antwort.

»Und wenn der Graf unter solchen Umständen mitkommen will?« fragte er wieder.

»So sagen Sie ihm, daß ich mit Ihnen allein zu sprechen wünsche, und bitten Sie ihn zu warten, bis wir nach Hause kommen. Ich schicke Johann mit den Reitpferden nach Hause.«

»Wie Sie wollen. Also auf Wiedersehen.«

Er läutete ab.

Dann nahm er auf einem der niedrigen Lehnstühle der Bibliothek Platz und schlug die Beine übereinander, wie er zu tun pflegte, wenn er allein mit seinen Gedanken war. –

Viffert hatte also recht gehabt – die Gräfin war auf Waldhof, und der Selbstmord würde keinen Einfluß auf ihre Pläne ausüben, wenn nicht – wenn nicht – –

Die Tür ging auf, und der Graf trat ein.

Er sah aufgeräumt und heiter aus.

»Ich habe Sie wohl etwas lange warten lassen,« sagte er, »aber um nicht Jörgens Mißtrauen zu erwecken, habe ich das weniger gute Messer benutzt. Das nahm längere Zeit in Anspruch und erforderte auch Vorsicht. Nun ist es überstanden, und wir können in aller Ruhe über das Ereignis reden. Nehmen Sie eine Zigarre?«

Skram nahm dankend eine, und die Zigarren wurden angezündet.

»Ich habe inzwischen über Ihre Mitteilungen gehörig nachgedacht,« fuhr der Graf fort. »Sie haben recht, es darf unter den Leuten nicht das geringste Geschwätz entstehen. Was wollen Sie aber als Motiv zu dem Selbstmord angeben?«

Skram erhob den Kopf. »Es ist natürlich niemals leicht zu ermitteln, aus welchem Grunde ein Selbstmörder seine Tat begangen hat. Nahrungssorgen sind hier ausgeschlossen, denn Viffert war ja ein sehr vermögender Mann; Liebeskummer ist auch kaum die Ursache gewesen, denn dazu war er ein viel zu eingefleischter Egoist. Ich glaube, seine Herzkrankheit hat zusammen mit einer krankhaften Zwangsvorstellung, die er mir übrigens gestern in sehr interessanter Weise beschrieb, auf ihn eingewirkt. Er sagte gestern, er liebe das Leben, befürchte aber dennoch, daß er eines Tags Selbstmord begehen könne. Daher gehe er auch nicht auf Jagd, könne weder Berge noch Türme besteigen und rasiere sich ungern selbst. Die Furcht ist ihm zum richtigen Zwangsgedanken geworden, sein Gehirn muß nicht ganz normal funktioniert haben. Ich glaube, es liegt ein Fall vor, den die englische Coroner Jury ›momental insanity‹ nennt. Aber schließlich will ich seinen Motiven nicht nachjagen, sondern das Doktor Kühn überlassen.«

Der Graf nickte. »Gut,« sagte er, »das ist alles sehr klug erdacht. Aber ich bitte Sie, Skram, vergessen Sie, was ich gestern sagte; ich war etwas erregt, und ich hege keinen Zweifel, daß meine Frau nun, nachdem Viffert tot ist, viele Dinge mit andern Augen ansehen wird; ja, ich will Ihnen nicht verhehlen, daß dieser Todesfall mir nicht solchen Kummer bereitet, wie es doch eigentlich sein müßte.«

Skram lächelte. »Es gibt sicher niemand, der Viffert eine Träne nachweint! Das ist das Los aller Egoisten. Ein stilvolles Begräbnis – voilà tout! würde Viffert selbst gesagt haben.«

»Ich bin dem Manne sehr zugetan gewesen,« sagte der Graf ernst, »allerdings vor vielen Jahren. – Na, über die Toten nur Gutes! Er war ein begabter und in mancher Hinsicht auch tüchtiger Mann. Liebenswürdig war er ja nicht und sein Charakter war nicht gut. Na, wollen lieber nicht mehr davon reden. Wer beerbt ihn denn?«

Skram zuckte die Achseln. »Das darf ich jetzt noch nicht sagen. Das Testament setzte ich erst gestern abend auf, nachdem die Herrschaft zur Ruhe gegangen war. Es ist seinem Inhalt nach recht wunderlich und wird sicher noch genug Zwist und Ärger erregen. Aber es ist vollkommen gesetzmäßig und unanfechtbar.«

»Sie meinen, seine Verwandtschaft werde einen Prozeß anstrengen?«

»Zweifellos. Man wird behaupten, Viffert sei unzurechnungsfähig gewesen, als er es machte. Wer die gesetzmäßigen Erben sind, habe ich noch nicht untersucht, aber die werden sich schon von selbst melden. Jeder Tag hat seine Plage!«

Der Graf schwieg eine Weile lang, dann erhob er den Kopf.

»Und Sie sind sicher, daß hier Selbstmord vorliegt?«

»Warum fragen Sie danach, Herr Graf?«

»Sie haben ja selbst gesagt, daß auf Jörgen ein Verdacht fallen könnte, denn Leonie ist wohl die Erbin, das würde wenigstens Helmut gleichsehen – – und dann ist es ja jedenfalls Ihre Pflicht, eine Untersuchung anzustellen. Für Jörgen stehe ich ein – er ist kreuzbrav und treu wie Gold, aber die Untersuchung würde in höchst unerwünschter Weise die Aufmerksamkeit der Zeitungen auf die Affäre lenken. Sie verstehen mich wohl.«

Skram erhob sich.

»Ich verstehe es sehr gut, Herr Graf, aber so weit kennen Sie mich wohl schon, um überzeugt zu sein, daß ich nur im äußersten Notfall einen Schritt unternehmen werde, der diesem Hause, in dem ich so viel Liebenswürdigkeit und Gastfreundschaft genossen, Unfriede und Ungemach schaffen müßte. Meine Pflicht als Beamter muß ich freilich tun, aber ich werde sie zu vereinigen suchen mit dem, was ich Ihnen als Ihr Freund schulde.«

Der Graf drückte ihm die Hand.

»Ich vertraue Ihnen, Skram. Aber sagen Sie, kann das wirklich möglich sein?«

»Es ist noch sehr unwahrscheinlich,« sagte Skram, »in jedem Falle hängt es von dem Ergebnis der Obduktion ab, die der Kreisarzt vornimmt. Bevor ich irgend einen Schritt in dieser Richtung tue, werde ich Ihnen Bericht erstatten.«

»Hm,« meinte der Graf nach einer Weile nachdenklich. »Polly ist noch immer nicht zu Hause. Sie ist am Morgen ausgeritten und hat den Bescheid zurückgelassen, daß sie zum Frühstück wieder da sein werde. Ich vermute, daß sie bei Ahrenfelds oder vielleicht auch in Taarnborg ist, aber – Sie verstehen wohl – unter diesen Umständen kann ich nicht rings herum nach ihr telephonieren. Das Gerücht geht natürlich draußen schon um. Ich selbst hörte die Nachricht zuerst von einem Landbriefträger, als ich von der Ziegelei zurückkehrte. Ich wünsche auch nicht, daß Sie nach der Gräfin telephonieren. Sie bekommt es noch früh genug zu wissen.«

»Selbstredend,« sagte Skram. »Übrigens weiß ich, wo sich Ihre Gnaden befindet. Sie ist nach Waldhof hinüber... wahrscheinlich hat sie sich mit dem jungen Viffert gestern abend verabredet. Ich muß wegen des Testaments zu ihm hinüberfahren, und die Frau Gräfin, mit der ich per Telephon redete, ersuchte mich, Sie zu bitten, mir das Auto zur Verfügung zu stellen.«

Der Graf stutzte.

»Auf Waldhof?« sagte er langsam. »Und sie weiß es? – Wie nahm sie es auf?«

»Sehr ruhig,« versetzte Skram. »Die Frau Gräfin hat ja eine seltene Charakterstärke. Sie sagte noch, sie möchte gern gleich mit mir reden.«

»Dann fahren wir beide zusammen hinüber,« sagte der Graf und erhob sich, um nach dem Stall zu klingeln.

»Einen Augenblick noch!« rief Skram. »Wollen Sie mich nicht lieber allein fahren lassen, Herr Graf? Im Anschluß an unser Gespräch von gestern abend glaube ich, gerade heute etwas ausrichten zu können, und Sie wissen, daß niemand sehnlicher den Wunsch hegen kann, daß die Verhältnisse hier dieselben bleiben, als gerade ich, besonders nach diesem Ereignis. Ich habe einigen Takt und einige Menschenkenntnis. Wirklich, Herr Graf, Sie sollten meinem Vorschlag folgen.«

»Nun, meinetwegen,« sagte dieser.

»Dann warte ich also auf den Wagen,« fuhr Skram fort, »und Sie sorgen wohl dafür, Herr Graf, daß die Zimmer geschlossen werden und niemand Zutritt erhält.«

»Wie Sie wünschen. Brauchen Sie mich sonst noch?«

»Nein, danke.«

»Dann will ich zusehen, ein wenig Essen zu bekommen, und auch ein paar Briefe schreiben. Im übrigen stehe ich zu Ihrer Verfügung.«

Skram verbeugte sich.

Der Graf klingelte. – »Wollen Sie etwas zu essen haben?« fragte er noch.

»Nein, danke,« sagte Skram, »ich habe schon gegessen. – Was ich noch zu bestellen habe – und das ist ein ganzes Teil – muß noch bis heute abend erledigt sein.«

So schieden sie.


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