Peter Rosegger
Die Waldbauern
Peter Rosegger

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die heilige Katharina

Als der achtzehnjährige Bursche, die Hände in den Hosentaschen, durch das Städtchen schlenderte, guckten ihm die Mädchen und Weiber nach.

»Das ist er!« flüsterten sie.

»Er muß entsprungen sein«, sagte eine, »es ist nicht denkbar, daß sie einen Mörder nach vierzehn Tagen wieder auslassen. Die Standarn werden ihn gleich haben!«

»Wenn ihn der Schutzengel nur in mein Haus wollt' führen. Bei mir findet ihn keiner.«

»Ich habe gehört, er soll gehenkt werden.«

»Um den wär's schad'!«

Der Bursche kümmerte sich um solches Schwatzen der städtischen Weibsleute nicht. Er trachtete, daß er aus dem »Stadtl« kam, und schritt dann über die winterlichen Felder dahin. Die Welt war voller Nebel und der Bursche voller Freuden. Hübsch ausgerastet sind wir, und morgen ist der Faschingstanz daheim beim Scheibenwirt in der Baldau. Der Arrestdiener hat uns gesagt, jetzt, weil wir den Raufhandel haben gehabt und gesessen sind, jetzt werden wir uns vor den Dirndln nicht erwehren mögen. Wollen halt einmal sehen, was an der Sache ist.«

Ein hübscher Junge war's. Feine Stiefeln trug er, vorne gespitzt und Wichsleder! eine schwarze Tuchhose, ein grauer Lodenrock, aus dessen Brustschlitz eine »juchtene« Zigarrentasche lugte, ein Hütchen aus Hasenhaaren, etwas schief auf dem lichtblonden Köpfel; eine rotseidene Halsbinde flatterte am weißen Hemdkragen, im frischen Gesicht ein junges Schnurrbärtchen, die braunen Augen munter in den Nebel blickend! Entsprungene Sträflinge sehen nie so aus, entlassene selten!

Plötzlich hörte er hinter sich eine Stimme: »Muß doch sehen, wegen was der Herr Arrestant gar a so laufen tut.«

Das war schon eine. Die feine Chorsängerin von der Baldau war's, des Stegrochel Anna Maria. Sie sah aus wie das junge Leben; dem Winter sagt man nach, daß er nur Eisblumen wachsen lasse. Verleumdung. Auf die Wangen der herzigen Dirnlein malt er Rosen, wie sie der Frühsommer nicht schöner hat. Trotzdem sie unter dem Arm einen in blaues Tuch gewickelten Gegenstand trug, der nicht gar leicht zu sein schien, schwebte sie zierlich auf dem Schneeweg heran, bis sie vor dem Burschen stille stand und sich ausschnaufte.

»Jetzt hab' ich dich«, sagte sie.

»Und ich dich auch«, sagte er.

»Tust eh' auch in die Baldau hinüber«, sagte sie, »nachher gehen wir miteinander.«

»Und macht's dir nichts, daß du mit einem Verbrecher gehst?« fragte er munter.

»Hast recht«, antwortete sie, »mit dir soll eins jetzt gar nimmer umgehen. Der Thoma tut zwar schon wieder Holz schneiden. Die Schramm' am Kopf wär' schon lang heil, wenn er der Zwickelschusterin ihr Pflaster nicht drauf hätt'. Kunnt'st ihm aber auch den Schädel eingeschlagen haben, du Wildling, du! Wegen was ist's denn eigentlich hergangen?«

»Kannst dir's wohl denken, der Weiberleut' wegen. Er hat mir vor allen Leuten zugeschrien, ich wär' noch ein junger Rotzlecker und tät' keine kriegen. Aber du kriegst eine! hab' ich gesagt, da hat er auch schon eine gehabt.«

»Vetter«, sagte das Mädchen, als sie nun auf dem enggeleisigen Schlittweg nebeneinander hingingen, wobei einmal er an sie, einmal sie an ihn anstrich, »daß ich dir's nur sage, mir ist's nicht alles eins gewest, wie sie dich haben fortgeführt. Gelt, Lenz, von jetzt an bist wieder brav, und daß du nimmer eingesperrt wirst.«

»Wenn mich wieder einer schimpft, so schlag' ich wieder zu!« sprach er schneidig.

»Ist denn das ein Schimpf, wenn einer sagt, du kriegst keine?«

»Das ist einer.«

»Und weißt es denn, daß du eine kriegst?«

»Bis jetzt hab' ich keine mögen.«

»Da hast du ganz recht gehabt, Vetter, das ist ganz gescheit von dir.«

»Was heißest denn du mich alleweil Vetter?« war seine Frage.

»So, das weißt nicht? Wie wir zwei miteinander verwandt sind, weißt nicht? Von deiner Mutter die Schwester ist meine Godl (Patin).«

»Du, Annamirl«, sagte der Bursche, »da weiß ich eine viel nähere Verwandtschaft miteinand'. Dein Vater und mein Vater sind zwei Brüder g'west.«

»Jesses Maria.«

»Das ist gewiß. Der meine dem Stockbauern sein Bruder und der deine der Scheibenwirtin ihrer.«

Kriegte er einen Klaps auf den Mund.

Der Weg stieg bergan, sie hatten den Kilmstock zu übersteigen und zu trachten, daß sie noch vor dem Einbrechen der Nacht in die Baldau kämen.

»Geh, Annamirl«, sagte der Bursche nun, »wirst deinen Striezel selber schleppen, gib ihn her.«

»Das ist ja kein Striezel nicht,« sagte das Dirndl lachend, »und ich will meine Sach' schon selber tragen.«

»Was ist es denn?«

»Kannst raten? Aber nicht greifen.«

»Das Ding«, meinte der Lenz, mit dem Blicke prüfend, »schaut sich gerade an wie ein Stiefelknecht.«

»Wenn du so tief unten anhebst, kannst hundert Jahr raten«, lachte sie.

»Ist's am End' das Wetterfahndl zu eurem neuen Hausdach?«

»Noch zu tief.«

»Wenn das auch noch zu tief ist, nachher laß ich's sein.«

»Magst nicht so gut sein und ein Stückel in den Himmel hinauf raten?«

»Von wo hast es denn her?«

»Aus dem Stadtl, vom Anstreicher.«

»Himmel? – Anstreicher?« überlegte der Bursche. »Nachher hast gar ein blaues Firmament bei dir.«

Das Mädchen schlug an ihrem Bündel ein wenig das blaue Tuch auseinander. Ein hellglänzendes Kindergesicht mit einem messingnen Heiligenschein ward sichtbar.

»Kennst sie? Kennst sie nicht? Die heilige Katharina! Haben sie zur Schutzpatronin für unsere Hauskapelle! In der Fastenzeit wollen wir wieder beten dabei. Ist schon arg verschossen gewest. Hat sie der Vater anstreichen lassen und bin ich sie heute holen gewest.«

»Deck sie nur wieder zu«, sagte der Lenz, »sonst darf man unterwegs nicht einmal fürwitzig sein.«

»Daß dir der Fürwitz nicht vergangen ist im Arrest!« entgegnete sie und verhüllte das Bild.

»Du, da ist er mir erst gekommen. Den ganzen Tag liegen auf der Bank, bei der Nacht auch. Gesunde Kost und gute Behandlung. Ein bissel Karten gespielt haben wir, ich und der Herr Kerkermeister. Wer einmal ein paar Wochen lang Feiertag haben will, etwan im Sommer, wenn die heiße Mahdzeit ist – kunnt ihm nichts Besseres raten, als einen prügeln.«

Unter solchem Gespräche waren sie hinan und immer weiter hinangestiegen. Da kamen sie in den Sonnenschein; tief unter ihnen in den Tälern, wie ein graues Meer, lag der Nebel, und die hohen Berge standen in der Ferne wie leuchtende Inseln empor, deren höchste Spitzen aber kreisende Wolkenhauben hatten. Die Bäume und Sträucher, an denen unser wanderndes Paar vorüberkam, waren über und über vom Stamme bis zum feinsten Zweige mit silbern schimmernden Eisnadeln bewachsen. Im Schnee zogen die Spuren von Rehen und Hirschen und von allerhand Gevögel.

Der Lenz blieb stehen, schaute eine Weile hinaus und sagte dann: »Eigentlich, wenn man's nimmt, schöner ist's doch auf dem Berge als wie im Arrest.«

Da die Anna Maria auf dem Schneewege ein paarmal ausgerutscht war, so führte er sie Arm in Arm, und je müder sie wurde, je enger zog er sie an sich.

Als sie um den Nockstein gebogen hatten und durch das von Felswänden eingeschlossene Kar hinanstiegen den holperigen Schneepfad, verdüsterte sich allmählich der Himmel, und es begann ein sachtes Schneien und Schneetreiben.

Auf dem Sattel des Gebirges, wo der Weg sich abzweigt in den weiten Talkessel der Baldau, steht das Alpenhaus. Es ist vom Österreichischen Touristenklub erbaut worden, steht aber in der Winterszeit, wenn nicht etwa zu Weihnachten Städter kommen, leer und verschlossen.

Weil die Annamirl den Berg heran schon müde geworden war und weil ein eiskalter Wind strich, der ganze Wolken von Schnee herantrieb, so versuchte der Bursche an der Türe des Alpenhauses, ob sie aufgehe. Beim ersten Druck ging sie nicht auf. Tat er einen erklecklich stärkeren, sie ging noch nicht auf. Stemmte er sich mit aller Gewalt an, da brach sie ein.

»So, da wären wir«, sagte der Lenz und zog das Mädchen mit in das Haus. Da drinnen war's aber schreckbar finster und frostig; der Bursche riß einen Fensterbalken auf, und nach wenigen Minuten brannte auf dem Herd ein prasselndes Feuer.

»Aber Lenz«, murrte die Annamirl, »was treiben wir denn da?«

»Jausen wollen wir«, entgegnete er, begann in den Schränken herumzusuchen und fand Schnaps, Kaffee, Zucker und Zigarren.

»Also, Hausfrau, pack an!« rief der Bursche.

»Nicht einen Finger rühr' ich«, sagte sie, »ich will meines Weges!«

»Schau hinaus«, entgegnete der Lenz.

Draußen tobte ein solches Schneegestöber, daß sie nicht zwei Klafter weit in die Luft hineinsahen. Die Schneemassen schienen aus dem Boden zu wachsen, und die Fenster, an denen der Bursche eben die Läden aufgemacht hatte, schien der Schnee wieder vermauern zu wollen.

»Mach dir nichts draus, Annamirl«, sagte der schalkhafte Lenz, »zu Ostern oder Pfingsten wird's schon wieder aper sein, und jetzt wollen wir Kaffee trinken.«

Der heiße Trank machte das allverzagte Dirndl ein wenig munterer. Das Stübchen war mittlerweile auch warm geworden, wenn zwar ein bißchen räucherig, weil der Sturm den Rauch nicht durch den Schornstein ließ.

»In Gottes Namen«, sagte der Bursche, eine Zigarre anbrennend, »so wär' ich halt wieder im Arrest; aber besser«, er schlang seinen Arm um den Nacken der Annamirl, »besser gefällt mir doch dieser auf dem Berg, als wie jener unten in der Stadt. Jetzt wollen wir halt einmal in einem Herrenhaus unseren Fasching halten, wir zwei.«

Die heilige Katharina wurde von der feucht gewordenen Umhüllung befreit und auf den Tisch gestellt. Die Annamirl kniete davor nieder und betete zu der heiligen Märtyrin und Jungfrau um Hilfe und Erlösung aus dem drohenden Schneegrab. Plötzlich sprang sie auf, gegen den Strohbund hin und schlug mit dem feuchten Tuche hastig drauflos. Was das bedeute? fragte der Lenz. Ja, ob er's denn nicht gesehen hatte, wie vom Herdfeuer ein Funke in das Stroh gespritzt sei? Da könne das »schönste Malheur« geschehen! Der Lenz lobte die vorsichtige Hausgenossin.

Sie konnte ihm nun aber nicht ins Gesicht blicken. Es kochte in ihr etwas wie Zorn gegen ihn, und doch war ihr klar, daß sie heute, bei dem Einfalle dieses Schneegestöbers, verloren gewesen, wenn nicht er mit ihr des Weges gegangen wäre. Das einzig Angenehme war ihr, daß sie kein böses Gewissen zu haben brauchte. So mit ihm allein zu sein – es geht ja gar nicht anders. Und er ist im Grunde doch ein guter Bursch!

»Ich weiß nicht, warum ich alleweil den nassen Rock auf dem Leibe herumschleppen soll!« sagte der Lenz, zog die Jacke aus und hing sie über den Herd. Es waren aber auch die übrigen Kleider naß.

»Das ist nicht gesund«, sagte die Annamirl, und legte auch ihre Joppe ab.

»Wir müssen auch inwendig einheizen«, meinte der Lenz und reichte ihr den Schnapsplutzer.

»Mir ist gerade warm genug«, war ihre Antwort.

»Die Nacht ist lang«, sagte er und nahm selbst einen guten Schluck zu sich, »wenn wir auch das Herdfeuer nicht ausgehen lassen! Wir werden zu tun haben, daß wir uns warm halten!«

Darauf sagte die Annamirl nichts mehr, sondern strich an den Tisch hin und hüllte die heilige Katharina mit der Schürze zu.

Draußen toste der Sturmwind und pfiff schrill zu den Fensterfugen herein. Es war finster geworden, die Fensterscheiben waren weiß belegt mit Schnee. Bisweilen ächzten die Wände.

Dem Dirndl war angst und bang, und als der Lenz sich nun zu ihr setzte, hübsch nahe – es war ihm heiß und kalt – schob sie ihn nicht zurück.

So saßen sie auf dem Strohbunde. Als wäre jedes von ihnen das Untergehende und klammerte sich ans andere zur Rettung, so war es. Anfangs, als sie sich anschauten, schlug ein Blick den anderen zu Boden. Aber endlich hielten sie einander mutig aus und blickten sich fast krampfig starr an. Wie es ist, wenn man aus scharfer Kälte in eine weiche Wärme kommt, sie waren halb betäubt und verloren sich sachte in die Ungründe eines süßen Traumes. Aller Winterschnee – so empfand es das Dirndl – war geschmolzen in einem seltsamen Föhn, rosige Knösplein sproßten aus der Erde, zwitschernde Vögel umkreisten die grünen Wipfel – der Lenz war da. Der Lenz war bei ihr. Fast schon schmolz sie selbst dahin im Föhn seines Kusses, da war plötzlich in der Stube ein Gepolter. Die Träumenden fuhren empor, das Dirndl ächzte vor Schreck. Die heilige Katharina war vom Tisch gesprungen.

Auf dem Boden lag sie hingestreckt, und die Annamirl war nüchtern im Augenblick.

»Wer weiß, was das bedeutet!« sagte sie.

»Ich weiß es: daß der Wind das Fenster aufgerissen und die Figur umgeworfen hat.«

»Lenz!« sprach sie hierauf mit ernster und doch weicher Stimme. »Ich habe die heilige Katharina vorhin gebeten um ihren Schutz. Es wäre aus gewesen. Lenz, ich hab' dich viel zu lieb!«

In diesem Augenblick ein derbes Pochen an der Tür. Das war nicht der Sturm. Der Bursche öffnete.

Zwei Schneemänner traten herein mit aufgepflanzten Gewehren. Gendarmen. Sie forderten den Lenz auf, mit ihnen zu gehen, denn er hätte in das Alpenhaus eingebrochen.

»So, Bub«, sprach das Mädchen mit dem Humor der Verzweiflung. »Dir hat's ja gar so gut gefallen im Arrest, jetzt kannst gleich wieder hinein.«

»Oho!« rief der Bursche und stellte sich scharf vor die Gendarmen hin. »Jetzt frage ich die Herren, für was ist denn dieses Schutzhaus erbaut, als für Leute, die im Gebirge vom Unwetter überfallen werden? Hätten wir da draußen vor dem Hause steckenbleiben und erfrieren sollen?«

Das sahen die Herren ein. Sie waren zufällig an dem Alpenhause vorübergekommen, weil sie in die Baldau wegen des Faschingballes gingen; und weil sie im Hause etwas gewahr worden, so hätten sie gemeint, es wären Schelme drin. – Ob nicht ein warmer Tropfen zu haben wäre.

Nachdem sie sich mit dem Reste des Branntweins geatzt, verließen nun die vier Personen selbander das Schutzhaus und kämpften sich zur Not durch Schnee und Gestöber hinab in die Baldau.

In der Kapelle des Stegrochel steht heute die heilige Katharina. Der Lenz ist fortgezogen von der Gegend, so erweist die Annamirl der lieben Heiligen alles mögliche Gute. Ein seidenes Bändchen, eine brennende Ampel, ein Kranz von Rosen – sie ehrt frommen Sinnes in dem Bilde die Blutzeugin und unversehrte Jungfrau. Wohl an der Nase hat es eine ganz kleine Narbe, das Bildnis – niemand als die Annamirl weiß, was das bedeutet.

 


 << zurück weiter >>