Peter Rosegger
Die Waldbauern
Peter Rosegger

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Die Ehestandspredigt

Im Dorfe Sankt Stasen wird was.

Schon den ganzen Tag ist die Unruh'. Der Kirchplatz und die Gassen werden mit Besen ausgefegt, und etwas ganz Besonderes geschieht, die Leute kehren vor ihren eigenen Türen. Der Fleischhauer hat zwei Kälber geschlachtet und ebenso viele Ferkeln, auch noch welche in lebendem Zustande vorbereitet, denen der morgige Tag ebenfalls das Leben kosten kann, wenn die Frömmigkeit besonders zahlreich zugelaufen kommen sollte. Der Bäcker backt tausend Semmeln, und noch schwant ihm, es würden ihrer zu wenig sein, daß auch Brotlaibe aufgeschnitten werden müßten. Der Kranzelwirt ist heut schon den ganzen Tag im Keller; »ja, Narren«, sagt er, »wenn so schlechte Jahre sind, da ist's eine Kunst, gute Weine zu haben!« Zum Glück versteht er die Kunst, sie wenigstens »süffig« zu machen.

»Man merkt das Kirchenfest gleich an den vielen Juden, die anrucken mit ihren Bündeln«, sagt der alte Steffel, der auf seiner Hausbank sitzt und den Krämern zusieht, wie sie auf dem Platz ihre Buden aufrichten. Das Tor der zweitürmigen Kirche wird mit einem Reiserkranz geziert, an der Kirchhofsmauer unter der Linde wird aus rauhen Brettern eine Kanzel errichtet, denn an solchen Sommertagen predigt der Pfarrer lieber im Freien als in der dunstigen Kirche, gleichwohl der alte Steffel, der sein Salz überall dazugeben muß, der Meinung ist: der Pfarrer hätt' freilich leicht predigen im Baumschatten, aber die Zuhörer müßten barhäuptig dastehen in der Sonnenhitze, und es sei kein Wunder, wenn der Spielmichel immer sage, alle guten Vorsätze, die er sich während der Predigt in den Kopf gesetzt, seien ihm allemal wieder geschmolzen.

So schwatzen sie und wissen nicht, wie mühevoll eine Festpredigt herzustellen ist. Vom Dorfe geht ein breitgetretener glatter Fußweg mählich zwischen etlichen Gärten und Feldern hinan und oben auf flacher Höhe in den Wald hinein. Es stehen fast lauter Birken dort, mit ihrem luftigen Laub sachte rieselnd, und auch einige junge Lärchen wachsen am Wege, so daß es aussieht, dieser Weg sei zu Ehren eines Wandernden so freundlich geschmückt.

Wer am Waldrand Ausschau hielt, der sah das weite Rund des Gebirges und den Talkessel, durch welchen ein stattlicher Fluß, die Plein, sich schlängelte bis weit hinaus, wo er sich in einer felsigen Engschlucht verlor.

Heute aber hielt niemand Ausschau. Auf unserer Höhe, zwischen den Birken und Lärchen wandelt langsam der Pfarrer von Sankt Stasen dahin. Die eine Hand hält er auf den Rücken hinüber, wo sie mit einem braunen Spazierstöcklein spielend so ein wenig auf die schwarzen Rockschöße klopft, als wolle sich der Herr selber damit vorwärts treiben oder zu etwas anspornen. In der anderen Hand hält er ein Stück Papier, auf das er manchmal einen Blick wirft, um ihn dann wieder zerstreut in das grüne Gebüsch schlüpfen zu lassen. Der schon etwas betagte Herr schaut nicht besonders munter drein, und bisweilen fährt er mit einem blauen Tuch, das er unter dem Papier zu einem Knollen gepreßt in der Faust hält, sich über das glattrasierte Gesicht.

Da kam ihm etwas entgegen. Es war schon ein Weilchen früher zu hören gewesen durch die Büsche her, bevor man es sah. So ein Piepsen und Wispeln war das, als wäre ein ungeheures Vogelnest in der Nähe, und nun trottete er heran, der kleine behende Mann, mit seinem korbartigen Rückenkäfig, der drei Stockwerke hatte, in welchen junge Hühner piepsend und kreischend hin und her flatterten. Das war der Hendlheinl, oder um es klarer zu sagen, der Hühnerhändler-Heinrich.

Das Männlein stak in einem grauen Lodengewand, das über und über voller Federchen war, wie sie aus dem Käfig flogen. Unter dem Lederschilde einer aufgebauchten Tuchmütze guckten zwei kecke Äuglein hervor, die krumme scharfe Nase und das spitze graubartstoppelige Kinn hatte etwas Hahnenartiges, wie es ja heißt, der Mensch nähme innerlich wie äußerlich von den Tieren an, mit denen er zumeist umgeht.

Als nun der Hendlheinl den Pfarrer erblickte, schrie er ihm mit dünner scharfer Stimme entgegen:

»Gotts Gruß, Bruder, hochwürdiger Herr Pfarrer!«

»Ja, ist schon recht«, antwortete der Angesprochene und schaute auf sein Papier, »geh nur, Heinrich, und laß mich in Fried', ich muß Predigt studieren.«

»Uh, da hat er heut seinen giftigen Tag!« rief der Heinl lachend aus.

»Bruder«, sagte der Pfarrer und ließ die Hand mit dem Exzerpt rasch sinken, »das muß ich mir ausbitten. Du kannst vielleicht Hühner rupfen und Kapauner stopfen, aber was Predigt studieren heißt, davon weißt du einen Pappenstiel. Es ist nicht das erstemal, daß du dich lustig machst über meine Not, die ich mit diesem verd – verdienstvollen Predigtstudieren habe. Jedem ist's nicht gegeben. Der eine kann gut predigen, hat aber kein Sitzfleisch zum Beichthören, beim anderen ist's wieder umgekehrt.«

»Ja, Bruder, muß es denn sein?« fragte der Heinl und stützte seinen Stock unter den Tragkäfig, »deine Bauern zu Sankt Stasen wissen es eh schon lang, was du von ihrem Lotterleben für eine Meinung hast und was du ihnen für Zeit und Ewigkeit Gutes wünschest. Und wollen sie schon angewettert sein von der Kanzel herab, so lies ihnen aus einem Büchel was vor und schreie es recht herab, ist just so gut, als hättest es dir selber ausstudiert, ist just so gut.«

»Oder besser«, setzte der Pfarrer bei, »ich mach's auch so, wenn ich mit meinen Pfarrkindern allein bin. Aber morgen kommen fremde Wallfahrer von oben und unten, die wollen was Besonderes hören.«

»Ach Jesses!« rief der Heinl aus, »morgen ist ja euer Athanasiafest zu Sankt Stasen! Ah, da nachher freilich. Das wird wieder was werden! Und wollen scharf angepredigt sein, daß nachher das Wirtshaus besser schmeckt. Wenn wenigstens nach einer guten Predigt des Kranzelwirts Wein nicht so stark Kopfweh tät' machen!«

Der Pfarrer tat mit der Hand eine abwehrende Bewegung.

»Nun also!« rief der Heinl, »warum laufen sie nur auch so zusammen von weit her, das möcht' ich wissen.«

»In solchen Sachen«, sagte jetzt der Pfarrer mit einem ruhigen Ernst, der ihm ganz trefflich stand, »in solchen Sachen bist du gottlos unwissend, mein lieber Bruder. Und muß dir's doch schon als kleines Kind unsere Mutter selig erzählt haben, wie sie mir's erzählt hat. Und kommst so oft auf Stasen herüber und bist schon so alt, und weißt das nicht?«

»Alles verschwitzt«, entgegnete der Heinl, »ich hab' auf was anderes zu denken als auf euer Athanasiafest. Ich hab' mich in den Siebengräben und in der Breitenau herumzukümmern, wo ich mein Geflügel auftreib', und hab' mich in Kirberg und Oberstätten zu bekümmern, daß ich mein Geflügel wieder anbring'. – Ah, ich werd' nicht der Narr sein und dastehen mit der Kraxen, ich setz' ab.«

Mit allerlei Umständlichkeit stellte er den Käfig auf den Boden und hockte sich selber neben ihn. Der Pfarrer sagte: »Jetzt, weil ich schon einmal heraußen bin aus dem Sermon, jetzt ist's schon alles eins.« Und setzte sich auf einen bemoosten Stein, der am Wege lag. »Weißt du doch sonst allerlei Geschichten und Schnurren fortweg und bist voller Possen. Daß du nur gerade für unsere heilige Athanasia kein Gedächtnis hast, das verdrießt mich.«

»Willst mir was von ihr erzählen, Bruder, Herr Pfarrer, ist mir recht. Gib mir halt wieder einmal einen Löffel voll Christentum ein. Mußt aber laut, wenn du mein Hendlvolk überschreien willst. Wer am lautesten schreit, dem glaub' ich.«

»Ist ganz gut«, sagte der Pfarrer und begann mit gehobener Stimme: »Die heilige Athanasia, das ist eine fromme Ehefrau gewesen. Hat zwei Männer gehabt.«

»Auf einmal?« fragte der Heinl drein.

»Als der erste gestorben, hat sie den zweiten genommen. Der zweite ist nachher Priester geworden und auch gestorben; die heilige Athanasia ist ins Kloster gegangen und seither eine Schutzpatronin für Eheleute geworden. In unserer Kirche zu Sankt Stasen ist das Bildnis dieser großen Heiligen aufgestellt, und an ihrem Gedächtnistage, dem vierzehnten August, das ist morgen, kommen Andächtige herbei aus nah und fern, Eheleute, um sich das eheliche Glück, den häuslichen Frieden und dergleichen zu erbitten. Zumeist sind's Frauenzimmer, denke mir, weil diese die schwächeren sind und zur Schutzheiligen ihre Zuflucht nehmen müssen, wenn deren Männer grob dreinfahren. Verstehst du das?«

Der Hendlheinl schüttelte den Kopf.

»Leuchtet es dir nicht ein?« fragte der Pfarrer und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Stirn.

»Will mir nicht einleuchten«, entgegnete der Heinl, »im Ehekrieg bleibt, soviel ich weiß, schier allemal das Weib obenauf. Bei wem soll denn der Mann Zuflucht suchen? Die Athanasia hält's mit den Weibern. Wen haben denn die Männer? Die Männer sind arm, mein lieber Herr Pfarrer!«

»Du bist ein Lästerer«, antwortete der Pfarrer lachend. »Übrigens hast diesmal recht – nur diesmal, nicht allemal. Obzwar unsereiner im heiligen Ehestand keine große Erfahrung hat, so viel weiß man doch, daß das Weib gern jede Schuld auf den Mann wirft und sich selber als eine Märtyrin betrachtet und hinstellt, und deswegen ist's ja, wenn sie kommen zu unserer heiligen Athanasia, daß man ihnen predigen muß, heiß zu Gewissen reden auf der Kanzel und im Beichtstuhl, und daß sie wenigstens um einen Groschen Selbsterkenntnis mit heimbringen von der weiten Wallfahrt.«

Jetzt hieb der Heinl dem Pfarrer die flache Hand auf die Achsel: »Das ist ein geistlich Wort gewest, Bruder, das ist ein schönes Wort gewest! – Aber – mußt mir's nicht für übel halten, wenn ich's sag' – was man so hört und sieht und spürt auf der lieben Welt: das Predigen nutzt nicht viel.«

»Leider Gottes!«

»Oft denk' ich mir, wenn einer recht schreit und mit der Faust dreinhaut in die Kanzel – unserer tut's auch, in Breitenau –, denk' ich mir: Ist schad' um die Lungen. Die Leut' haben zwei Ohren, bei einem hinein, beim anderen hinaus. Nun gut, wem's Spaß macht, das Predigen, wie unserm in Breitenau, alsdann soll er predigen, soviel und solang er will. Aber wem's so hart ankommt wie dir, Bruder, und doch alles für die Katz' ist, da sag' ich: laß die G'schicht' bleiben.«

»Für morgen ist noch dazu eine ganze Prozession von Eheweibern aus Neuhofen angesagt«, teilte der Pfarrer nicht ohne Beklommenheit mit.

»So? Aus Neuhofen Eheweiber? Eine ganze Prozession?«

»Die Männer zu Neuhofen – hab' ich gehört – sollen Flegel sein, samt und sonders«, sagte der Pfarrer.

»Ich hab' just das Gegenteil gehört«, wußte der Heinl, »die Weiber sollen dort die Unverträglichsten sein. Die Stiegenbäuerin kenn' ich von meinem Hendlkaufen her, die ist ein Band! Die Stofelhuberin und die Beuglerin sind Schlangen, die Oberbrunnerin ist ein Hausdrach', die Bäuerin von Steinschlag ist auch einer. Beim Steggerhaus ist der Mann nichts nutz, aber das Weib hat ihn verzagt gemacht, er ist ein Süffling worden. Beim Hochwindbauer ist's auch so. Der Lentner Franz zieht mit einer anderen um, kein Wunder, sein eigen Weib hat ihm kein gutes Aug' gezeigt daheim, solang er sie noch gern hat gehabt. Der Webermartin spielt Karten, was er nicht verspielt, das vertrinkt sein Weib in Branntwein. Der Strobelhies hat seinem Weib im Jähzorn einmal einen Streich gegeben, seitdem hat er die Höll' auf Erden und seine bessere Hälft' schreit's um, was er für ein Büffel wär'. Der Trentnerschuster –«

»Geh, Bruder, laß gut sein mit deiner Litanei.«

»Nicht wahr? In solchen Stücken weiß ich wieder mehr als wie du? Ja, Herr Pfarrer, das sind die Leut' von Neuhofen, wo herüber die Weiber morgen wallfahren kommen nach Sankt Stasen, und sich beschweren und beweinen und ihre Männer anklagen und wieder mit Scheinheiligkeit heimgehen und ihre Männer weiter quälen und alleweil noch schlechter machen, als sie schon sind. – Bruder! Ich sag' dir eins. Die meinige kann ich ausnehmen, wenn ich mag, kann's auch mitzählen, wenn ich mag, die Geschichte ist so: Wenn in einem Haus Unfrieden ist, so hat der Mann daran ein Viertel schuld und das Weib drei Viertel. Allemal! Schier allemal, Herr Pfarrer!«

»Ich habe auch in meiner Pfarre Beispiele hiervon«, gab der Pfarrer gern bei. »Und dann, wenn gäh eins stirbt! So als wir vor etlichen Wochen den Bergbauer von da oben begraben haben – ich habe meiner Tage keinen größeren Jammer gesehen. Das Weib hat ins Grab wollen nachspringen. Zwei Männer haben sie mit Gewalt müssen zurückhalten. Und immer geschrien: Ich bin die Schuld! Meinetweg hat's dir das Herz zerrissen. Nur einmal, mein lieber Mann, nur einmal steh mir noch auf, ich will recht sein, ich will gut sein auf dich! Du bist ja mein tausendlieber Mann! – Da habe ich mir gedacht: Ihr umstehenden Ehefrauen allsamt, kommt nur herbei und höret, was sie sagt, das greift wohl tiefer als die schönste Predigt vom Herrn Pfarrer.«

Der Heinl griff in ein Säckchen, das er sich vorne an den Bauch gebunden hielt, zog daraus eine Handvoll Brosamen und streute sie in den Korb auf und zwischen die Hühner.

»Schau du«, sagte er. »Die Hendln raufen auch, wenn sie was Gutes kriegen. Wenn's ihnen schlecht geht, haben sie Fried'. Und die Manndeln und Weibeln sind gerad' am bissigsten aufeinand – sind das Vieher! Weißt du, hochwürdiger Herr, wesweg just die Manndeln und Weibeln soviel miteinander raufen? – Ja, Narr, wenn sie voneinander lassen kunnten, so täten sie nach dem ersten Raufen auseinandergehen. Und weißt ja, wie unser Vater gern gesagt hat, wenn die Eheleut' nichts zu streiten hätten miteinander, so müßten sie sich vor lauter Lieb' auffressen. – Gib aber jetzt einmal Ruh', vertracktes Aasel, neidisches! Das kleine Vieh ist hell wie der Geier auf die Kameraden.« – Diese letzten Worte gingen ein kleines Hühnchen an, das fortwährend Händel stiftete im Käfig und jedem anderen die besten Bissen wegschnappte, aber nicht, um sie selbst zu verzehren, sondern um sie zwischen den Käfigspangen hinauszuschnellen.

»Folge des ersten Sündenfalls!« sagte der Pfarrer mit Salbung. »Es bekriegt sich alle Kreatur.«

»Pfarrer!« rief plötzlich der Heinl und fing ihn am Arm, »ich will dir was sagen. Gleichwohl ich nichts hab' gelernt als Hendel atzen und Fabeleien machen, wie du sagst, so will ich dem Gesindel einmal eine Predigt halten, die stärker einschlägt als wie deine Kanzelsprüche, die man nur anhört, wie man das Glockengebimmel anhört in der Kirchen, weil's so der Brauch ist.«

»Du kannst deinen Hühnern predigen wie der heilige Franziskus den Vögeln!« rief der Pfarrer ärgerlich. »Ihr Weltleut' wollt ja immer alles besser verstehen und trottet mitsamt eurer Weisheit schnurgerade der Hölle zu.«

»Tu dich nicht giften, Bruder, es ist nicht schlimm gemeint. Dich und deine heilige Weih' in Ehren, aber eine Predigt halt ich doch, von der du hören sollst. Jetzt studier weiter. Ich muß anrucken, daß ich nach Oberstätten hinüber komme, ehevor's finster wird. Ihr Sankt Stasener kauft's so keine Hendeln.«

Damit schupfte das Männlein seinen Käfigkorb auf den Rücken, so scharf, daß drinnen alles kreischend übereinander flatterte: »Behüt Gott, Herr Pfarrer. Mach in deiner Predigt, daß das Wort vor dem Amen ein gutes ist, das ist die Hauptsach'! Behüt Gott!«

Damit trottete der Hendlheinl hastig davon, und der Pfarrer hörte noch lange das Piepsen und Schreien des Geflügels.

»Das Wort vor dem Amen ein gutes? Er hat recht. Wenn der Heinl Geistlich worden wär', und ich Hendltrager . . .?«

*

Am nächsten Tage ging's los. Der Kirchplatz zu Sankt Stasen war voller Menschengewirr, wie es auf einem Kirchfeste eben der Fall ist. Bisweilen kam eine singende Kreuzschar dahergezogen – lauter Weiberstimmen. Dicke, kugelrund, gar gutmütig aussehende Frauchen watschelten daher; schlanke, magere, vertrocknete Matronen schritten in aufrechter Würde, und mancher zahnlose Mund schien besser zum Keifen eingerichtet zu sein, denn zum Beten und Singen. Andere richteten sich gar nicht nach dem Vorbeter, sondern steckten ihre Köpfe zusammen und erzählten sich gegenseitig – aber auch gleichzeitig, ohne daß eine auf die andere hörte, ihr Hauskreuz. Hauskreuz und Hauskrieg! Ach jerum, und was das heut für eine Schlamperei sein wird daheim, wenn der Mann der Hahn im Korbe ist! Es sei halt gar kein Verlaß auf die Mannerleut', gar keiner! Und meinen sie, wenn sie das bissel Geld ins Haus bringen, so kunnten sie weiters schon treiben, was sie wollten. Mein Gott, das Geldverdienen ist keine Kunst, wenn man ein Mannsbild ist! Verblendete Leut', diese Mannsleut'! – Jede wollte heute beten um den lieben Hausfrieden und beten für ihren Mann, daß er sich bessere. Der eine soll nicht trinken, der andere nicht spielen, der dritte nicht rauchen, der vierte soll einmal die Nachbarin bei den Haaren nehmen, dieses »falsche Bradel«, der fünfte soll nicht so viel schlafen, der sechste soll kein solcher Duckmauser sein, lustige Leut' hat man gern! Der siebente soll's im Wirtshaus nicht so toll treiben, soll hübsch ehrbar daheim bleiben, wie es sich schickt für einen ernsthaften Hausvater. Der achte soll auf die Kinder nicht so grob sein, der neunte soll die Kinder nicht so verhätscheln. Der zehnte soll den schandbaren Geiz ablegen, tragen andere Eheweiber auch ihr Seidengewand! Der elfte soll nicht so flegelhaft dreinschlagen, der zwölfte soll nicht gar so lahmlackig sein – zu schämen mit so einem Mann! »Wenn er den und den Fehler nicht hätt', der meinige«, sagte manche, »er wäre der beste Mensch. Ich kunnt mir gar keinen besseren wünschen.«

So sangen und schwatzten sie sich in die Kirche hinein. Das Bildnis der heiligen Athanasia war mit einem dreifachen Rosenkranze umgeben und vor ihm auf dem steinernen Tische brannten Wachskerzen, weiße, blaue, rote. Auch wächserne Herzen waren hingeopfert worden auf den Tisch, in schmerzhaftem Gedenken an Männer, die kein Herz hatten. Auch wächserne Augen waren da, eine Liebesgabe solcher Weiber, deren Männer verblendet waren. Ein Bauernweibchen fragte draußen in einer Bude, ob nicht auch schlafende Opferaugen zu haben wären; derselbigen schien erwünscht zu sein, daß der Ihrige manchmal ein Auge zudrücke.

Die Weiber von Neuhofen, die besonders andächtig in Sankt Stasen eingezogen waren, hatten zusammengeschossen auf ein feierliches Hochamt mit Windlichtern, Trommeln und Trompeten – und die Herrlichkeit begann nun.

Nach dem Hochamt folgte die Predigt. Anfangs, nachdem der Pfarrer auf die Kanzel getreten war, betete er drei Vaterunser. Dann las er langsam und stockend, als ob ihm die Kunst des Lesens nicht recht geläufig wäre, das für Kirchweihfeste vorgeschriebene Evangelium vom Zachäus auf dem Feigenbaum. Hernach betete er wieder drei Vaterunser. Endlich begann er nach allerlei sonstigen Vorbereitungen mit dem Sacktuch, mit der Schnupftabaksdose, mit den Ärmeln des Chorrocks, die Predigt. Unbedachterweise war er in derselben dem Zachäus auf dem Feigenbaume gefolgt. Da sprach er eine Weile herum von guten und schlechten Früchten, von Blättern, die verdorren, von dürrem Holze und so weiter, und ward ihm allmählich unbehaglich auf dem Feigenbaume, und wußte er nicht, wie er jetzt vom Baume hinunterkäme und auf die Eheweiber. Da fielen ihm zum Glück die Bibelworte ein: »Zachäus, steig vom Baume herab!« »Und so will«, knüpfte der Prediger an, »auch ich vom Baum herabsteigen, vom Feigenbaum. Hingegen auf den Baum des heiligen Ehestandes hinauf, der auch Früchte tragen soll, heißt das: gute Früchte!« Das war doch ein prächtiger Übergang! »Aber leider Gottes!« fuhr der Prediger fort, »der Ehestandsbaum wird allzuoft Wehestandsbaum, heißt das: zu einem Giftbaum, auf welchem wohl der Apfel der Eva ist, aber auch die Schlange, heißt das: das böse Weib, welches gemeiniglich die Hauptschuld trägt am Unfrieden und Unglück für Zeit und Ewigkeit. Darum, meine Lieben, soll man die Gebote Gottes halten, ein frommes christliches Leben führen, die heiligen Sakramente empfangen und fleißig beten. Alsdann wird der Gottessegen über euch kommen und ihr werdet eingehen in die ewige Freud' und Seligkeit. Amen.«

Wohl war der Pfarrer gewahr worden, daß ein langes Zwischenglied, an dem er gestern so sorgfältig herumgefeilt hatte – es handelte von der christlichen Geduld –, ausgeblieben war. Aber als er einmal bei den Geboten Gottes und bei den Sakramenten angekommen, da ging's auf diesem gewohnten Geleise unaufhaltsam dem Schlusse zu, und da er an dem allseitigen »Vergelt's Gott!« merkte, daß die Zuhörer mit der Predigt zufrieden gewesen waren, war es auch er und war froh, dieses mühsame Geschäft für diesmal wieder glücklich hinter sich zu haben.

Nach dem Gottesdienst füllten sich die Wirtshäuser. Manches Eheweib war jetzt schier traurig, den Mann nicht bei sich zu haben, und wie sie sonst auch brummte, er solle nicht so schreckbar viel Geld ausgeben, beim Braten mit ihm griff sie doch tapfer zu, und beim Weinglas schließlich auch, besonders wenn Zucker drin war.

Hernach gingen die Wallfahrerinnen auch zu den Marktbuden, kauften kleine Andenken. Manche suchte für ihren Mann sogar ein Tabakspfeifenzeug aus, oder ein Uhrkettlein, oder gar noch was Feineres, und mancher wurde ganz warm ums Mieder, da sie jetzt an ihren abwesenden Mann dachte und wie sie ihm eine Freude mit heimbringen wolle.

Die Trentnerschusterin aus Neuhofen besonders, die konnte nie an ihren Mann denken, ohne daß sie in eine innere Erregung kam. Entweder es war liebreiches Gedenken, Hinaufheben ihres kreuzbraven, herzensguten Mannes bis in den Himmel, oder es war giftiger Ärger über ihn. Das letztere zumeist, wenn sie bei ihm, das erstere, wenn sie ihm ferne war. Die Trentnerschusterin war ein lebendiges Beispiel von dem Ausspruch, den der Hendlheinl einmal getan: Es gibt gar nichts, was zwei Liebesleut' näher zusammenbringt, als das, wenn sie recht weit auseinandergehen. Und Liebesleute sind sie doch, die meisten Ehepaare, sie mögen sich zeitweilig spinnefeind sein, Liebesleute sind sie doch. Dagegen hilft alles nichts.

Am Nachmittag machten sich die Wallfahrer endlich wieder auf den Heimweg, die einen oben, die anderen unten aus.

Die Kreuzschar der Neuhoferinnen ging unten aus. Diese Wallfahrerinnen hatten einen weiten Weg, und als sie zur Dreiwassermühle kamen, waren die meisten schon so müde und durstig, daß man in der Mühle einkehrte. Es ging auch selten eins vorüber, ohne in der Dreiwassermühle abzurasten. Sie war weitum das einzige Wirtshaus, hatte ein ganz passierliches Trinken und die Müllerischen waren gesprächige Leut'.

Die Weiber von Neuhofen besetzten zwei lange Tische. Sie nestelten ihre Handbündel auf, denn was sie an Brot und sonstigem Essen mithatten, das brauchten sie nicht zu kaufen. Obstwein tranken sie und tauchten Brotschnitten in die Gläser und tranken – anfangs verschämt in kurzen, gar bescheidenen Zügen, später in längeren und kräftigeren. Und weil heute keine ihren Mann bei sich hatte, so mahnte sich diese und jene fortwährend selber: »Das ist schon völlig zuviel! Narr, ich bin heut frei durstig worden. Der Wein ist gut. Aber jetzt muß ich aufhören, mir geht's schon alles im Kopf um. Einmal muß ich mir noch nachfüllen lassen, einmal. Jetzt ist's schon alles eins, ein wenig rauschig bin ich eh' schon. Geh, Kellnerin, sei so gut!«

Die Trentnerschusterin drängte zum Aufbruch. Sie hätten noch über zwei Stunden auf heim. Und in die Nacht hineingehen, so ohne Mannsbild, das sei keine Sach'.

Jetzt trat der Hendlheinl in die Stube.

»Uh!« murmelte er verwundert, »da gibt's Gäst'! Und lauter Weiberleut'! Lauter saubere Weiberleut'! Gehen gewiß auf den Kornschnitt hinüber ins Gressental. So, Kränzen, du stehst mir gut da hinten im Winkel.«

Mit den letzten Worten stellte er seinen Käfigkorb – er war leer – hinter den Ofen, rieb sich hierauf die Hände, faltete sie und neigte sein Haupt vor, als ob er beten wolle. Dann setzte er sich an den Ofentisch und verlangte ein »Stamperl Zwetschkengeist«.

Der Wirt brachte ihm das verlangte Gläschen Branntwein und fragte in leutseliger Wirtsart, ob er heute dableibe.

»Heim muß ich!« antwortete der Heinl kurz und stürzte den Inhalt seines »Stamperl« in die Gurgel.

»Wie weit gehst denn her?« fragte der Wirt.

»Hast keinen stärkeren?« knurrte der Heinl und schob das leere Gläschen hin.

Dem ist heut was Besonderes, dachte der Wirt; aber solche Leute geben das Vorhaben, von ihren Gästen Neuigkeiten und Groschen herauszulocken, nicht so bald auf.

»Weißt heut nichts Lustiges, Heinl?« fragte er.

»Lustiges leicht wohl nicht heut«, antwortete der Hühnerhändler. »Ich muß schau'n, daß ich weiterkomm'.«

Es muß ihm heute das viele Weibervolk nicht taugen, dachte der Wirt, beim Eintritt hat er noch sein lustiges Gesicht gehabt.

»Die da«, sagte er und deutete mit dem ausgebogenen Daumen auf die Wallfahrerinnen, »die wollen heut noch nach Neuhofen hinüber, da wirst du auch noch nach Breitenau kommen.«

»Nach Neuhofen? So?« sagte der Heinl fast heiser, »haben recht. Nur heim. Ich geh' auch zu meinem Weib. Ich sag' das, solang Eheleut' leben, sollen sie keine Stund' verlieren und schön beisammen bleiben. Dauert eh nicht lang auf der Welt. – Wirst es ja gehört haben, das Unglück bei der Hirschwand!«

»Ein Unglück?« fragte der Wirt. »Ein Unglück?« rief die Wirtin. »Was für ein Unglück?«

Jetzt horchten auch die Wallfahrerinnen auf: Der Hendlheinl weiß ein Unglück!

»Das ist ja der Bruder vom Herrn Pfarrer zu Stasen«, flüsterten sie sich zu. »Nu, da kann er schon was wissen.« Alles wandte sich ihm erwartungsvoll zu.

Der Heinl stützte seine Faust auf die Tischkante, lehnte sich rückwärts an das Ofengeländer, legte den kleinen, kurzgeschorenen Kopf in den Nacken, drückte das eine Auge zu, mit dem anderen schaute er längs der scharfen Schneide seiner Nase hinaus, gleichsam um zu beobachten, ob sie noch ihre richtige Linie habe; er guckte aber nur die Weiber an.

»Du magst einen frei erschrecken«, sagte jetzt die Wirtin.

»Habt ihr denn noch nichts gehört davon?« fragte der Heinl. »Bei der Hirschwand hat sich einer ins Wasser gestürzt.«

»Jesses Maria!« ging es – hier laut rufend, dort flüsternd – durch die Stube.

Der Heinl nickte nachdenklich mit seinem Haupte. »Dreißig Klaftern hoch«, sagte er wie in sich hinein, »das ist höher als die Kirchtürme von Stasen, wenn man sie tät' übereinanderstellen.« Hierauf beugte er sich vor und ward lebhaft. »Unterwegs muß er an eine Felsrippe angeflogen sein, weil er so schauderlich zugerichtet ist.«

»Wer denn? Wer denn?« fragten sie von den Tischen her.

»Unterhalb der Schlucht, wo die Sandbank ist, hat ihn die Plein ausgeschwemmt«, fuhr der Erzähler fort. »Voller Schlamm über und über.«

»Wann ist's denn g'west, wann?« wollte der Wirt wissen.

»Heut vormittag. Mir zittert noch der ganze Leib. Ich bin just zurechtgekommen. Aber zugerichtet, Leut', ich sag's euch, nicht ein Knochen kann ganz geblieben sein, und das Blut! Das Blut!«

»So sag uns doch, Heinrich, wer?Wer?«

»Weiß ich's?« fuhr der Alte unwirsch drein. »Einer aus der Neuhofner Gegend soll es sein. Es war ja schier nichts zu erkennen. Der Kopf schreckbar zerschlagen – mitten auseinander über den Scheitel, daß man einen Finger kunnt hineinlegen. Eine Hand ist auch weggerissen. Mein Himmel, wie es ihn durchgearbeitet haben wird zwischen den Steinen, das wilde Wasser! Alles voller Wunden und Schlamm, o Gott, mir wird schlecht, wenn ich dran denke!« Er verdeckte mit beiden Händen sein Gesicht.

Die Wallfahrerinnen waren von den Bänken aufgestanden: »Einer von der Neuhofner Gegend, sagst?«

»So habe ich gehört. Dem Hut nach – ein dunkler Filzhut ist daher geschwommen – muß es ein Bauers- oder ein Handwerksmann gewesen sein. Ich bin in Neuhofen nicht viel bekannt. Die Leut' – es sind bald Leut' dagewest –, die haben ihn noch genannt beim Hausnamen. Ich hab's vergessen. Es ist so ein Schreck gewest. Und selber – haben die Leut' gesagt – soll er sich haben ums Leben gebracht. Seines Weibes wegen. Weil sie ein Drach' wär' gewest, ein grausam zuwiderer Drach'. Und sein Weib, die soll gar nicht daheim sein –«

»Gar nicht daheim?«

»Soll auf Sankt Stasen hinübergegangen sein, kirchfahrten –«

»Was meinst, Heinl, auf Sankt Stasen?« fragten mehrere der Weiber.

»Soll von allem noch nichts wissen, getraut's ihr auch niemand zu sagen, wenn sie heimkommt. Schon gestern sollen sie ihn halbverzagt umgehen gesehen haben. In die Muttergotteskapelle, die unterhalb Neuhofen an der Straße steht, soll er hineingeschrien haben, ganz wahnsinnig hineingeschrien: ›Sie geht jetzt hinüber auf Stasen und verklagt mich bei der heiligen Athanasia, und ich weiß nimmer, wie ich anders sein kunnt, als ich bin. Ich kann's nicht. Ich hab' wohl auch meine Fehler, aber dieweilen ich sie will ablegen, macht sie sie noch größer. Was ich sagen mag, 's ist ihr nichts recht; was ich tun mag, 's ist ihr nichts recht. Und unredlich ist sie gegen mich. Und schlecht macht sie mich vor den Leuten, und peinigen tut sie mich, als wenn ich ihr Feind tät' sein. Und ich, du meine liebe Mutter Gottes, du bist mein Zeuge!‹ – soll er ausgerufen haben –, ›wie ich diese Person liebhab' gehabt. Mit keiner kunnt ich leben als mit ihr, mit keiner! Und jetzt ist sie so unglücklich an meiner Seiten; wenn ich anders wär', als mich Gott erschaffen hat, so kunnt sie glücklich sein. Leben wir noch so weiter, ist's unser beider Verderben für all' Zeit und Ewigkeit. Ich will ein End' machen. Ich will sie frei machen. Bitt für mich, du heilige Jungfrau Maria, und wenn sie einmal kommen sollt' und bei dir beten, tröste sie. Sie soll glücklich werden! Ich mach' ein End'!‹ – So soll er laut gesprochen haben mit der Mutter Gottes, wie man noch keinen Menschen hat reden gehört und ihm es hätt' am wenigsten zugetraut. Hat ja keinem Menschen nichts gesagt. Und jetzt möcht' man ihn gern trösten, und jetzt wird sie, wenn sie heimkommt, alles gutmachen wollen. Und jetzt ist's zu spat.«

»O du armer, armer Mensch!« rief die Wirtin aus.

Die Wallfahrerinnen waren still. Keine tat eine Frage mehr. Nur die Kleinschneiderin, die ihren Mann drüben in den Siebengräben auf der Ster (Wochenarbeit) wußte, trat an den Heinl und fragte, ob er noch liege auf dem Sand?

»Soviel ich weiß, haben sie ihn nach Neuhofen in die Totenkammer getragen«, berichtete der Hühnerhändler. »Wird ja draußen verscharrt, hinter der Kirchhofsmauer.«

Wer jetzt die Weiber angesehen hätte, sie waren totenblaß im Gesicht, eine wie die andere. Die Wirtin legte ihren Arm um den Nacken ihres Mannes und weinte.

»Da ist mein Geld«, sagte der Heinl, warf eine Münze auf den Tisch und nahm den Korb auf den Rücken. »Mitgeht wohl eh niemand ins Breitenau hinüber. Muß ich halt allein fort in Gottes Namen. Behüt Gott allmiteinander!«

Als er schon zur Tür hinaus war, schoß ihm ein rundes Weibchen nach, die Steinleitnerin aus Neuhofen, die faßte ihn draußen an der Hauseck' am Korbrand und flehte: »Du, Heinl, ich kann's nicht lassen. Des großen Unglücks wegen. Hast wohl fein alles gesagt, was du weißt! Ich bitt' dich!«

»Bist du leicht eine von Neuhofen?« fragte der Heinl. »Nachher wirst es ja selber erfahren und genauer, als ich dir's sagen kann.« Damit riß sich der Heinl los und war fort.

Wirst es ja selber erfahren! Das Wort war ihr wie ein Stich ins Herz gegangen. Vor den Augen ward ihr ganz blau, sie hörte nicht mehr das Mühlfloß rauschen, in ihren Ohren war ein seltsames Klingen.

*

Als die übrigen Wallfahrerinnen aus dem Hause traten – denn plötzlich war jeder ums Heimgehen, ums eilige Heimgehen –, kamen sie just recht, um die Steinleitnerin zu Boden sinken zu sehen. Man labte sie mit kaltem Wasser, dabei war auch mancher anderen schlecht zum Umfallen.

Eine Weile sprachen sie unterwegs – jede scheinbar ruhig – von dem Ereignisse an der Hirschwand. Sie mutmaßten, wer und wer? Eine ist unter ihnen, die es getroffen, aber welche? Auf welche wartet das schreckbare Unglück, wenn sie nach Hause kommt?

»Es ist närrisch«, sagte jetzt die Heidenbacherin, »daß man nur daran denkt, aber der Meine kann's nicht sein. Geschweige das sonstige, aber der Meine steigt nicht auf die Hirschwand, der ist zu schwindlig.«

»Und der Meinige«, sagte eine andere, »trägt Gott Lob und Dank keinen dunkeln Hut, sondern einen grünen.«

»Grün ist auch dunkel«, meinte die erste.

»Ich brauche mich nicht zu fürchten«, sagte die Trentnerschusterin, »für meinen Mann stehe ich nicht auf den Hut an und nicht auf den Schwindel, bei dem trifft gar nichts zu, was der Heinl erzählt hat.«

Die Heidenbacherin tat endlich den Vorschlag, ein lautes Gebet anzustimmen, wie es auf Wallfahrtswegen sich gezieme. So beteten sie, und dabei wurde jedem der Weiber bang und banger, je näher sie der Gegend von Neuhofen kamen. Neben der Straße rauschte die Plein. Die Berge engten sich an beiden Seiten, die Wallfahrerinnen kamen zur Schlucht, die das Wasser vor Urzeiten durch das Gebirge gerissen hat. In dieser Schlucht lag schon die Finsternis des Abends. Steinige Hänge an beiden Seiten, und von einem der höchsten Riffe ging es senkrecht nieder in die Tümpel der Plein. Das war die Hirschwand. Sie war grau wie Blei und nur an den Rissen und Klüften mit wenigem Moos und Gekräute bewachsen. In einer der Klüfte schienen Falken zu horsten, einer dieser Vögel schoß an dem Gewände hin und her und stieß scharfe Pfiffe aus. Zwischen der Hirschwand und der Straße war die gischtende, brausende Plein, die in hohen Wellen über ihr Grundgestein dahinflutete. Mitten aus dem Wasser ragten Felsblöcke, stumpfkantig und mit dem dunkelgrünen Samte des nassen Mooses überzogen. Das Wasser umwallte sie trotzig, sprang manchmal mit Zorn über sie hin. Es hatte sich tief unter die Wand eingegraben, und in den Tümpeln kreiste der Schaum und spritzte empor an das überhängende Gestein, um dann von dem wieder träge niederzutriefen. Es lag in diesem Felsen und in diesem Wasser eine große Wildheit der Natur, und der sich von da oben herabstürzen konnte, dem mußte es Ernst gewesen sein mit dem Sterben.

Die Weiber warfen kurze, scheue Blicke hinüber auf den grausigen Hang, aber sie hielten nicht an, eng aneinandergedrückt wie ein Rudel von Schafen, die sich fürchten, so eilten die Weiber leise ihren Psalter murmelnd vorüber.

Etliche hundert Schritte weiter unten lichtet sich die Schlucht, das Wasser flacht sich seichter auseinander und am Ufer straßenseitig ist weißer Sand. Da also hatte es ihn ausgeworfen, den Armen, den Unseligen, den selbst die Elemente, in welchen er Zuflucht gesucht, von sich gestoßen! Im Sande sah man noch etwas wie die Fußspuren der Männer, die ihn hinweggetragen hatten. Die Weiber ließen auch da ihre Blicke nur kurz und scheu hinzucken und eilten wegshin.

Als sie ins breite Tal hinauskamen und die Mauern des Dorfes Neuhofen im Scheine des Abendrotes erglühend vor ihnen dastanden, trennten sie sich allmählich, die eine ging über den Feldweg hin, die andere über den Wiesensteig, die dritte blieb auf der Straße, um später abzuzweigen gegen ihr Haus. Der Abschied voneinander war fast kurz und gedämpft; nur eine oder zwei lachten überlaut, um ebenso laut aufzuseufzen, als sie mit sich allein waren.

Die Trentnerschusterin ging ihrem Häuslein zu, das außerhalb des Dorfes, halb unter Ulmen versteckt, sich an einen Berghang kauert. Je näher sie der Behausung kam, je zögernder wurden ihre Schritte. Es ging ihr nicht aus dem Sinn, was der Hendlheinl erzählt hatte; jedes Wort überdachte sie und kam ihr vor: Mein Mann, just so kunnt er geredet haben bei der Kapelle, just so kunnt er's gemacht haben! – Dort stand sie ja, die Kapelle, die rote Ampel schaute der Schusterin entgegen wie ein betrübtes vorwurfsvolles Auge aus finsterer Höhle. Das Weib ging hin, kniete nieder vor dem lebensgroßen Bildnis der Maria und tat ein Gebet. In dieser ernsten Abendstille, bei diesem Gedenken an ihren Mann fielen ihr allerhand Sachen und Vorgänge ein, die sich in ihrem Eheleben zugetragen. Wie mancher Hader und Streit! Wie manch herzlose Bosheit und Feindseligkeit, wie wenige Stunden des häuslichen Friedens! Und seltsam, sonst war sie stets überzeugt gewesen, daß er an allem die Schuld trage – warum tat er das? Warum unterließ er jenes? Er war schuld! Heute kam es ihr vor, es wäre umgekehrt gewesen. Er war sanftmütig, da hatte sie ihn aufgestachelt, denn sie konnte die sanftmütigen Männer nicht leiden. Er wurde ärgerlich, da hatte sie ihn gespottet, verhöhnt, den Ärger muß man züchtigen. Er geriet endlich in Zorn, da hatte sie ihn gereizt bis zur Wut, und versetzte er ihr einmal etwas Derbes, dann sank sie wie gebrochen hin und weinte kläglich, weil sie wußte, dieses Weinen drehte ihm das Herz um. Und hierauf konnte sie ihn schmähen und quälen nach Belieben: er war ein Haustyrann, ein Wüterich, ein Höllenlaster auf zwei Füßen, ein neundoppelter Lumpenschelm, der nur ein Weib genommen, um sie unglücklich zu machen. Er war entwaffnet, und sie triumphierte unter ihren falschen Tränen. – Der Heinl hatte erzählt von dem Weibe des Selbstmörders, das nach Sankt Stasen gegangen. Von Kindern war keine Rede. Schier die meisten Ehemänner in und um Neuhofen haben Kinder, der Trentnerschuster hatte keine und mußte schon auch darum von seinem Weibe manch giftig Wort einstecken. So ist er oft gar verzagt worden. Hat sogar mehrmals gesagt, das beste für ihn, wenn's aus wäre. O Gott, alles stimmt! – Die Angst des Weibes wurde noch größer.

Zur Angst kam plötzlich auch das Grauen wie ein kalter Hauch von Gräbern her. Sie raffte sich auf und schlich ihrem Hause zu. Da war's so still drinnen, zum Herzabdrücken still. Sonst hört man den Schuster doch hämmern aufs Leder, auf die Leisten. Aus dem Fenster fiel kein Lichtschein; und sonst arbeitet er noch um solche Zeit, denn er ist ein fleißiger Mann. – Sie hat nicht den Mut, ins Haus zu treten.

Auch dem Fenster weicht sie aus, es könnte die Magd herausschauen und ihr das schreckbare Wort ins Ohr schreien. Sie will noch etliche Atemzüge tun, ehe sie Gewißheit hat und ganz und gar verdammt ist.

Eine Weile steht sie da unter den Bäumen und horcht und hört sonst nichts als das Pochen ihres Herzens. Dann wankt sie davon. Sie will ins Dorf hineingehen, aber wo sie in der Dunkelheit einen Menschen sieht, da weicht sie ihm aus. Sie wird's noch früh genug erfahren. Sie geht über die taunassen Felder hin und dem Friedhofe zu, der abseits vom Dorfe liegt. Die weißen Punkte dort, das sind die Kreuze. Liegen viele Bekannte und Verwandte darunter. Gott geb ihnen die ewige Ruhe! Sie fürchtet sich heut gar seltsam vor den Toten, sie sträubt sich, aber sie wird hingezogen wie mit tausend unsichtbaren Armen. Die blasse Wand dort, das ist die Totenkammer. In die Totenkammer haben sie ihn getragen. Aus dem Fenster schimmert Licht. Sie redet sich ein, sie fürchte sich nicht, sie will hin, obgleich ihre Füße bei jedem Schritt wie an die Erde gewachsen sind. Aber im Fenster ist alles schwarz, und was sie für ein Licht gehalten, das war das Glänzen eines Johanneswürmchens.

Sie kehrte wieder um, und da war ihr, als husche etwas hinter ihr her, dann schwirrte es über ihren Kopf hin. – Es kann eine Fledermaus gewesen sein, es kann aber auch die arme Seele eines Verlorenen gewesen sein. – Im Kirchturm läutet jetzt eine Glocke. In alten Zeiten haben sie nicht geläutet, wenn sich einer das Leben genommen, dachte die Trentnerschusterin, heute sind sie barmherziger. Und haben wohl recht. Die sich selber das Leben nehmen müssen, das sind Märtyrer. Die müssen ein schweres, schweres Leben gehabt haben, daß sie es nicht mehr haben ertragen können.

Das Weib brach in Weinen aus und hatte heiße Reue und machte ein heiliges Fürnehmen.

Die Glocke schwieg. Die Schusterin raffte sich neuerdings auf.

»In Gottes Namen!« stöhnte sie, »einmal muß es doch sein«, und ging zur Straße hinab und ihrer Behausung zu. – Da sieht sie vor sich eine Gestalt. Die kommt ihr entgegen, scheint aber unschlüssig zu sein. Leicht zu denken, mit der Unglücksbotschaft!

»Na endlich, da ist sie!« rief die Gestalt, »aber so spat! Nach dem Betleuten erst! Grüß dich Gott, Agatha, bist recht müd' worden?«

Mit einem Freudenschrei sprang sie ihm an die Brust. Er war's, ihr Mann, und lebendig.

Nachher hätt's ihr schier ein wenig leid getan, daß sie ihm ihre ganze Liebe so plötzlich gezeigt; Männer sollen nie wissen, wie gern man sie hat! Aber sie kehrte doch wieder zurück zu ihrer redlichen Freude und legte ihre feuchte Wange an die seine und flüsterte: »Du bist mein lieber Mann!«

Der Schuster war völlig starr vor Verwunderung.

»Wär's doch richtig?« murmelte er in die finstere Nacht hinein. »Ich hab' nie was gehalten auf die Sankt Stasener Wallfahrt Soll sie doch was nutz sein?«

*

Ähnlich wie der Trentnerschusterin erging es den anderen. Fast keine von denen, die auf der Wallfahrt waren, getraute sich heute auf dem kürzesten Wege nach Hause; sie irrten umher, die eine auf den Feldern, die andere im Schachen oder in den Gärten. Den Dorfleuten, wie sie noch am Abende umhergehen, wichen sie aus und wollten doch wieder Näheres über die Neuigkeit erfahren und hatten nicht den Mut dazu. Die Hochwindbäuerin verbarg sich an einem Reisighaufen, und erst als es kalt wurde, schlich sie zähneklappernd in ihr Haus, in ihre Stube. Das Bett ihres Mannes war leer.

Der Hochwindbauer hatte lang in die Nacht hinein auf sein Ehegespons gewartet, endlich aber gesagt: »Wenn sie nicht kommt, gehe ich auch davon.« Und war hinabgestiegen zum Dorfwirt. Am nächsten Morgen fiel die Hausfrau im ersten Augenblick in den alten Ton: »Unverbesserlicher Saufaus!«

»Sind nur ein paar Tröpferle gewesen«, sagte der Bauer.

»In Gottes Namen, so trink dein Tröpfel Wein daheim, kannst einen besseren haben als im Wirtshaus. Nur nicht fortgehen! Schau, Mann, ich habe dich ja soviel gern daheim. Wenn ich auch bisweilen brummen tu', 's ist nicht so schlimm gemeint. Mußt halt auch ein wenig Geduld haben mit mir.«

Laut hub er an zu heulen, der Hochwindbauer, vor Rührung über ein solches Wort von seinem Weibe. Alle zehn Finger hob er auf zum Schwur, ihr zuliebe nicht mehr ins Wirtshaus zu gehen.

Freilich erkundigten sich die Frauen alsbald auch nach dem Hergang an der Hirschwand, und wer es denn sei, den die Gnade Gottes so sehr verlassen?

Man wußte von nichts.

Darüber war die eine und die andere so aufgebracht, daß sie den Hendlheinl, diesen »verdächtigen Lugenschippel«, zerreißen wollte. Als die Weiber allmählich ins Gleichgewicht kamen, meinten sie doch, es sei besser, daß es nicht wahr wäre. Aber er soll ihnen nur wieder einmal kommen Hendel einkaufen, sie würden ihn lehren, ehrliche Leute anschwatzen, sie würden ihm die Wahrheit schon sagen!

*

Ein gutes Weilchen später war's, zur Zeit um das Allerheiligenfest, als die beiden Brüder wieder einmal zusammenkamen und bei einem Glas Apfelwein saßen im Pfarrhof. – Wieder war vom Predigtstudieren die Rede und sagte der Pfarrer zum Heinl:

»Zehnmal so gern und zehnmal so leicht studiere ich jetzunder, seit ich Erfahrung hab', daß meine Predigten auch was ausrichten.«

»So?« antwortete der Heinl.

»Hast es wohl auch schon gehört, daß seit meiner letzten Ehestandspredigt am Athanasiafeste die Eheweiber, besonders die in der Neuhofener Gegend, ganz anders worden sind, gar nicht mehr zu erkennen gegen voreh. Ich habe ihnen aber auch etwelches an den Kopf gepfiffen, daß es nur so geblitzt und gedonnert hat in der Kirche. Sie sind alle bekehrt!«

»So«, sagte der Heinl und machte aus seinem Glase einen bedächtigen Schluck. Dann wischte er sich den Mund mit der umgekehrten Hand und sprach: »Alle Ehr' vor deinem Gotteswort, hochwürdiger Herr Bruder. Aber diesmal hat eine andere Ehestandspredigt gewirkt. Sie haben ihre Männer sterben gesehen, auf der Bahre gesehen, sie haben ihre Männer begraben, und da ist das böse Gewissen aufgestanden, und das, mein Herr Pfarrer, das hat ihnen erst die richtige Ehestandspredigt gehalten. – Hast denn nichts gehört davon, daß sich am Athanasiatag einer über die Hirschwand gestürzt hätt'?«

»Ist ja eine Lug gewesen.«

»Freilich ist's eine gewesen. Denn nicht einer, alle haben sich über die Hirschwand gestürzt, alle die Männer der ehrenwerten Frauen von Neuhofen, die auf der Wallfahrt waren. Und wieder von den Toten auferstanden! Kannst du das machen, hochwürdiger Herr? Nicht? Ich kann's. Mag aber gar nicht übermütig sein deswegen. Die Weiber fallen wieder zurück. Da gibt es nichts, keine Lehr' und keine Mär' und kein Fürnehmen – die Weiber fallen wieder zurück. – Ich habe nur zeigen wollen – ich, der kleine Hendlheinl dem Herrn Pfarrer –, wie man diese Weibsen packen muß, daß sie einmal zu sich kommen. Ich will dir aber auch sagen, wann eine Predigt angreift. Am Grabe des Mannes halte sie, und du wirst das Weib bekehren.«

Als er so gesprochen hatte, der kleine Alte, schier ernsthaft, da ward er auf einmal gemütlich. Er streichelte den Pfarrer, der gar nachdenklich dasaß, am Arm, guckte ihm ins würdige Gesicht hinein und sagte:

»Bist mir aber nicht böse, Bruder, gelt? – Ich habe ein Kapaunlein daheim, das ist schon hübsch rund und wird noch alle Tage runder. Und wenn es ganz rund ist, kugelrund, alsdann bringe ich dir's. Behüt dich Gott derweil!«

 


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