Peter Rosegger
Die Waldbauern
Peter Rosegger

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Zwei, die sich mögen

Es war Feierabend vor der Kirchweih. Im Steinleitnerhof ruhten die Werkzeuge, und die untergehende Sonne legte schon den Feiertagsschein darauf. Der alte Steinleitner hatte sein Kinn rasiert und seine dünnen grauenden Haare glatt gestrichen und das grüne Samtkäppchen daraufgesetzt. Die weißärmeligen Hände in die Hosentaschen gesteckt, so ging er jetzt ums Haus herum – er suchte seinen Sohn. Mit dem hatte er was zu besprechen; kann's mit Güte abgemacht werden, dachte er, so wird's am besten sein. Er hatte stark vorspringende Stirnknochen, wie Leute, die geschaffen sind, mit dem Kopf durch die Wand zu rennen. Daher ist sein liebevolles Fürnehmen doppelt erfreulich. Anderseits ging auch sein Sohn, der Martel, ums Haus herum; das war ein kerniger Bursch so zwischen vierundzwanzig und dreißig – näher ist bei diesen Bauernköpfen das Alter ja selten zu bestimmen. Er hatte einen großen schwarzen Schnurrbart, kleine scharfblitzende Augen und auf dem buschigen Kopfe eine schwarz- und rotgestreifte Zipfelmütze, aber ohne die dazugehörige Quaste, weil der Martel das Gängeln und Baumeln nicht leiden mag. Nun gängelte und baumelte aber seit einiger Zeit im Hofe etwas, das war nicht so leicht festzukriegen wie die Quaste an der Zipfelmütze, und darum wollte auch er heute mit dem Alten ein Wörtel reden. So ein Wörtel mit dem Alten redet man sein Lebtag nur einmal, und darum ist's am besten, wenn's in Güte geschehen kann.

Also geht jeder der beiden mit seinem Anliegen dem anderen entgegen, und wie die vorsätzliche Güte ausgefallen ist, das werden wir bald erfahren.

Dort, wo unter vorspringendem Lattendach die Mostpresse steht, dort begegnen sie sich.

»Magst nicht rasten, Martel?« sagte der Alte und setzte sich selber auf den Schragen, »mußt ja müd' sein, wie du wieder brav zur Arbeit g'schaut hast in dieser Wochen – recht wolter brav.«

»Für seine eigene Sach' arbeiten, das macht nicht müd'«, antwortete der Bursche und rüttelte an dem Preßbaum, als ob er nur darum stehengeblieben wäre. Er setzte sich nicht nieder.

»Für eigene Sach', meinst«, sagte der Alte, »freilich wohl. Kriegst sie auch, die Wirtschaft, in ein paar Jahrln. Bist mir alleweil lieb gewest. Über und über war's in Ordnung mit dir, bis auf ein klein Stückel. Bis auf ein ganz klein Stückel, mein Martel. Wenn du mir das Stückel wolltest lassen, ich wüßt' mir auf der Welt keinen besseren Buben zu finden, als wie du bist. Auf der Welt keinen.«

Der Martel tut, als sinne er nach, und dann sagte er: »Kunnt mir's nit denken, was der Vater meint.«

»Nit? Und daß dir dein Gewissen nichts vorwirft? Schau, nicht allein meinetwegen, Martel, auch unsers Herrgotts wegen. Hat uns heuer wieder ein so gutes Jahr geschenkt. Das viele Korn! Most, verhoff' ich, kriegen wir auch der Eimer vierzig, und guten. Sollst wohl doch ein bissel dankbar sein und dem Herrgott eine Freude machen. Und ich weiß es, Martel, er hat eine, wenn du die Dudel laufen laßt . . .«

Damit war der alte Steinleitner rasch aufgestanden und versuchte jetzt des Burschen Hand zu fassen, die der aber wieder an den Preßbaum legte, als wollte er ihn tiefer unter das Dach schieben.

»Geh, Martel, mach uns die Freud', mir und dem Herrgott, laß sie laufen. Das ist keine für dich. Bist auch noch zu jung, schau, ich hab' erst in meinem Zweiunddreißigsten geheiratet.«

»Ich hätt's nit verlangt, daß mich der Vater auf seine Hochzeit mitgenommen –« warf der Bursche ein, biß sich jedoch sofort auf die Lippen, als sollte es nicht gesagt sein.

»Meinst was damit?« fragte der Alte schief und streckte seinen Kopf vor,

»Will's nit gesagt haben«, versetzte der Bursche, »in diesen Stücken ist jeder sein eigener Herr. Ist aber mein Denken, daß wir dennoch gut miteinander auskommen sollen, Vater. Was sollen denn wir zwei uns das Leben sauer machen? Der Vater hat die Wirtschaft auf die Höhe gebracht, er soll ihr vorstehen noch viele Jahre lang. Ich verlang mir nit die Herrschaft im Haus. Aber das muß ich den Vater schon bitten, daß ich jetzt heirate und mit meinem Weib – die Magd sein soll, wie ich der Knecht – auf dem Steinleitnerhof leben will. Das wollt' ich dem Vater heut sagen, und verhoff' ich, es wird kein Unwillen sein.«

So sprach der Bursche. Auf das faltete der Alte seine Hände und sagte: »Martel, das tu mir und deiner Mutter nicht an, daß du jetzt schon eine junge Bäuerin ins Haus bringst – ich bitt' dich um tausend Gottes willen! Du siehst es in anderen Häusern, wie das ein Elend ist, wenn zwei Weiber sind und jede das Recht haben will. Und erst gar diese Dudel! Für Leut', die sich nicht ausstehen mögen, wird die Welt zu eng, und jetzt soll uns das kleine Steinleitnerhaus weit genug sein? Ich mag sie nicht, die Dudel, und ich mag sie einmal nicht!«

»Wenn der Junge allemal die heiraten sollt', so der Alte möcht', da kunnt der Herrgott die Weltkugel bald in den Sack stecken. Der muß mit den Jungen wirtschaften und nit mit den Alten!« So der Martel.

Das verdroß den Alten, mit der Faust gab er sich einen Hieb an den Oberschenkel, daß das Leder daran knarrte, und rief: »Du nimmst sie nicht, die Dudel!«

»Der Vater kann's wehren, daß ich sie nicht ins Haus bring', das kann er; aber mir – der alt genug ist und sich soweit nichts vorzuwerfen hat – das Heiraten versagen, das kann er nicht!«

»Das Heiraten versag' ich dir nicht. Zehn kannst nehmen, wenn du magst, für jeden Finger eine, wenn du magst. Aber die nimmst mir nicht. Aus ist's!«

»Schandfleck, der seinen Vaterleuten nicht folgt!« schrie jetzt eine weibliche Stimme zur Tür heraus und goß einen Kübel Spülicht gerade gegen den Martel hin.

»Schandfleck, wahr ist's!« gab auch der Alte scharf bei, »folgen wirst deinen Eltern, Laff, verdammter!«

»Vaterleut'!« sagte nun der Martel, »wenn ihr gewußt hättet, was auf eure Reden geschieht! Ihr hättet sie nie gesagt. Wenn ihr sie nit zurücknehmt, so bin ich von dieser Stund' an fremd in eurem Haus. Ich folg' euch, wo es die Pflicht ist; in dem Stuck folg' ich euch nit. Nehmt's zurück, euer Wort!«

»Schandfleck!« zeterten die beiden Alten noch giftiger.

»Ihr seid nimmer ganz jung«, fuhr der Bursche ruhig fort. »Daß es euch nit reut! Ihr habt keinen als wie mich. Ich brauch' den Steinleitnerhof nit. Schenkt ihn einem, daß er dafür euch eine heiratet und nit sich selber. Wenn ihr so einen findet . . .«

»Geh zum Teufel, du Racker!« kreischte der Alte und hob beide Arme empor, als wollte er seinen Sohn damit verscheuchen oder niederschlagen.

Ohne ein Wort zu sagen, ging dieser in seine Kammer, trat nach einem Weilchen aus derselben hervor und hatte einen vollbepackten Tragkorb auf dem Rücken. Seine Kleider und sein Bettzeug hatte er aufgepackt. Er ging nun zu seinen Eltern, die drinnen am Feuerherd standen und noch vor Erregung zitterten. Schweigend hielt er ihnen die Hand hin zum Abschied. Der Alte tat einen scharfen Wink mit seiner Linken: »Fahr hin« – und so schieden Kind und Eltern, ohne sich auch nur mit den Fingerspitzen berührt zu haben.

Als der Martel aus den Augen war, wollte ihm die Mutter nachstürzen; der Alte hielt sie starr am Arm zurück: »Mach keine Dummheit, Weib. Der kommt uns wieder.«

»Der kommt uns nimmer«, sagte sie und begann zu weinen. »Ich kenn' meinen Martel, wenn der sich was aufsetzt, so bleibt er dabei.«

»Die Dudel hat ihn verruckt gemacht«, knurrte der Steinleitner, »verhext hat sie ihn, ich will drauf wetten. Dieses Spulergesindel ist alles imstand! Jetzt geh' ich auf der Stell' ins Spulerhäusel hinab und rauf' ihnen die Haar aus. Allen rauf ich sie aus!«

Er wollte fort, sie war zur Besinnung gekommen und ergriff seine Hand: »Vorhin hast du mich zurückgehalten, jetzt tu' ich's. Im Zorne muß man so heikle Sachen nicht anpacken. Heut bleib daheim und schlaf darüber, morgen tu, was du willst.«

Das war klug gesprochen für ein Weib, dem selbst herb war in der Brust. Er blieb daheim, aber er schlief nicht, sondern wachte die ganze Nacht und sann und überlegte, was da zu machen wäre. Sauber und fein ist sie freilich; der Narr, er hätte sich's damit genug sein lassen sollen. Aber heiraten!

Man sagt den Spulerleuten nichts Gutes nach. Ein eingewandertes Gesindel! Sogar lange Finger sollen sie haben, wenn's leicht geht. Beweisen! So klug sind sie schon, daß sie sich nichts beweisen lassen. Der Alte tut, als erwerbe er sich im Holzschlag seine Sach'! Das Weib geht betteln. Die Söhne weiß man ohnehin, wie sie's treiben, und das Mädel will sein bissel Schönheit jetzt um einen festen Bauernhof ausspielen. Na, ich glaub's. Und schon gar, wenn so ein kerniger Bursch dran hängt. Ich glaub's. Zu scharf sind wir dreingefahren heut. Wir wollen es mit Feinheiten probieren, vielleicht geht's besser. Morgen früh geh' ich ins Spulerhäusel hinab und red' ihnen im guten zu. Auch dem Martel. Wo wird er sein, als unten bei der Dudel! Liebschaft, ich hab' nichts dagegen. Aber heiraten nicht. Brauchen sie Korn, Holz oder was, sie sollen es haben. Vom Vorjahr her sind sie mir noch ein Stück Loden schuldig, soll vergessen sein. Ihre Geißen mögen sie auf meine Brachen treiben, sollen keinen schlechten Nachbar haben an dem Steinleitner, nur den Buben sollen sie mir nicht närrisch machen, nur das nicht. Und jetzt in Gottes Namen schlafen, morgen heißt's munter sein.

Das waren seine Gedanken und Pläne. Der Morgenstern fand ihn noch mit offenen Augen.

*

Als die Sonne so hoch war, daß sie niederschien über die Waldhöhen ins Engtal, trat der Steinleitner im Spulerhäusel ein. Das war ein ärmlicher Holzbau und mit Lehm verworfen. Die Fensterscheiben waren teils aus Papier, aber davor standen in Töpfen frische Blumen. Im Vorgemach, das zugleich Küche war, hantierte am kümmerlichen Herd das Spulerweib in etwas zerfahrenem Anzug. An dem faltenreich und schlaff hinabhängenden Kittel zerrten ein paar halbnackte Rangen, die sich auf dem bloßen Lehmboden herumwälzten. Als der Bauer durch die niedrige Tür in die Stube trat, sah er auch dort ein Nest mit kleinen Kindern, vom Wickelkind an bis zu Geschöpfen von etwa zwei Jahren. Sie krochen auf und unter verschlissenen Kissen herum, die auf dem Fußboden lagen. Das Kleinste lag in dem breiten Familienbett, unter dessen bunten Lappen noch mehrere vergraben sein konnten. Ein anderes kletterte kreischend an einem Stuhle hinauf; noch ein paar andere balgten sich im Ofenwinkel, und der Bauer mußte nur achtgeben, daß er bei seinem Eintritte nicht auf die Brut trete.

Am Rande des Bettes saß der Spuler, der einen Höcker hatte und einen langen grauen Bart, welcher so tief unter dem Kinn hervorging, als wäre er nicht von den Backen, sondern vom Hals herausgewachsen. Die langen, dünnen Haupthaare hatte er von beiden Seiten hinauf über dem Scheitel in einem Knötlein zusammengebunden, der Glatze wegen. So saß er da und umwickelte eben die Schuhe an seinen Füßen mit einem Strohband, daß sie nicht auseinanderklafften.

»Ich muß schon ein wenig hereinfragen«, sagte der Steinleitner ohne besonderen Gruß, »ob vielleicht mein Martel da ist?«

»Sie sind schon fort, vor einer Stunde schon«, antwortete der Spuler. Dann trat er dem Bauer entgegen: »Grüß dich, Gott, Schwieger! Wirst hinwegkrauchen, Wurm, elendiger!« Das letztere galt einem Knäblein, dem er bei der Begrüßung auf die Zehen getreten war, und der jetzt ein Zetergeschrei erhob. »Wär' schon ich zu dir kommen, Nachbar. Na, mich gefreut's, mich gefreut's.«

»Will wissen, wo mein Bub ist«, fragte der Bauer.

»Wo? Zum Pfarrer sind sie in aller Früh, die jungen Leut'! Ich und mein Weib haben es ihm noch vorgestellt, er soll sich Zeit lassen und überlegen. Das schon, daß er ein braves Weib kriegt an unserer Tochter, aber sonst: haben tut sie nichts, sein tut sie nichts, und wissen wir nicht, ob sie in allen Stucken passen wird für eine Steinleithoferin. Wir wollen kein Falsch haben und wissen recht gut, daß es unsere Tochter büßen müßt' späterer Zeit, wenn wir sie jetzt mit Trug täten verschachern. Wir reden nicht zu, wir reden nicht ab. Aber sein hat's müssen, heut, auf einmal, so daß ich schon zu meiner Alten hab' gesagt: sie müssen eine starke Ursach' haben, daß sie so eilen.«

»Der Ursach' wegen, wenn ich dich versteh', wollt' ich gern ein Aug' zudrücken«, sagte der Steinleitner.

»Laß es nicht darauf ankommen, Nachbar, ich rat' dir's«, sprach der Spuler schier so leise, daß der Kinderlärm darüberging. »Wie es meine zwei Buben treiben – das ist ein Elend! Hab' sie abgehalten vom Heiraten in meiner tollen Verblendung. Der Mensch, und der eigene Vater noch dazu, kann ja so schlecht wie der Beelzebub sein, wenn er dumm ist, allzudumm, blitzdumm, so strohmarterdumm als wie ich. Den Kopf kunnt ich mir wegreißen. Seid's gescheit, hab' ich gesagt. Sollt's desweg das Weibervolk ja nicht verachten, hab' ich gesagt, nur binden tut's euch nicht und ein Hauskreuz aufladen, das ihr nachher nimmer vom Buckel kriegt's. Wäre schad' um eure jungen Jahr, hab' ich gesagt!«

»Verstanden haben mich meine Buben«, fuhr der Spuler fort, »gescheit sind sie gewesen, und jetzt schicken mir die Lotter alle Jahr – – weg da unter den Füßen, ihr Ungeziefer! – Das ist ein Elend, mein Mensch! Na, Hiesele, geh, krauch herauf an mein altes Kamelgeripp', ist nicht so schlimm gemeint gewest, bist ja doch mein Hiesele du!«

So schwatzte der alte Häusler abwechselnd mit dem Bauern und mit den Kindern. Man hätte es ihm anmerken können, daß insgeheim ihn sein Gewissen peinigte, weil er dazu beigetragen, der Söhne gutes menschliches Recht und Trachten nach einem eigenen Herd zu verkürzen, zu hintertreiben, und wie er diesen Irrtum an seiner Tochter nun wieder gutmachen wollte.

Als ob er nichts gehört hätte, fragte jetzt der Steinleitner: »Und die zwei, was wollen sie denn machen beim Pfarrer?«

»Weil ich nicht glaub', daß sie sich begraben lassen wollen«, sagte der Spuler, »so denke ich, sie werden sich versprechen.«

»So hol's der dreidoppelte Teufel übereinand!« schrie der Bauer und stürmte davon.

Wie ein Wahnwitziger rannte er wegshin und durch den Wald hinauf, seinem Hause zu. Es war ihm, als höhnten die Bäume und schaukelten spottend ihre Wipfel, und die Vögel pfiffen ihn aus. Der hochpropere Steinleitner, der alleweil der erste hat sein wollen an Ehrenhaftigkeit, der jeden Nachbarn über die Achsel angesehen, weil er – der Steinleithofer – in der Gegend der einzige war, der auf seinem Hause jetzt einen hundertachtzigjährigen Familienstammbaum aufweisen konnte, wie sich's im Pfarrbuch wies! Der stolze Steinleitner jetzt der Spulerleute Schwieher! Ein einziger Spatz war vernünftig unter dem losen Gevögel; ist's denn eine Ehr' für den jungen Steinleitner, zwitscherte dieser Spatz, wenn er eine von oben herabholt? Ist's nicht eine größere Ehr', wenn er eine von unten hinauf heiratet? Ich nehm' mir keine Geierstochter von der Höh', die wollte gleich fertig sein mit mir, da möcht' ich mir lieber die Amsel oder gar das Kibitzl, da könnt' ich von oben herabschauen auf sie, anstatt sie auf mich. Sei kein Lapp, Bauer! Machst zu dem, was unvermeidlich ist, einen Ja-Deuter mit dem Kopf, so halten dich die Leute bald für klug, und du selber wirst dir kaum vorzuwerfen haben: Ei, hätt' ich's anders gemacht! – Nicht schlecht, was der Spatz da schwatzte, aber der Bauer war arg mißmutig, schon auch über sich selber, daß er heute wieder so arg in Zorn geraten, wo er sich doch vorgenommen, die Sache mit Feinheit zu schlichten. Ihnen zum Pfarrer nachgehen? Das Pfarrdorf steht dort drüben, aber beim Pfarrer richtet man in dieser Sache nichts aus, so einer will alles zusammenheiraten lassen, schon aus Bosheit darüber, daß er selber ledig bleiben muß.

Arg verwirrt kam der Bauer heim, aber er sagte nichts, er knurrte nur, als ihn das Weib fragte, was er ausgerichtet.

So war's.

Und nun kamen unterschiedliche Zeiten. Zuerst kam der Tag der Trauung des jungen Paares: es waren keine Musikanten dabei, es waren keine lustigen Gäste dabei, es war auch der Steinleitner nicht dabei. Der ging an jenem Tage in Einöden um, wo er vermuten konnte, daß ihm kein Mensch begegnete.

Bald hernach hörte der Bauer – ganz zufällig wohl, denn er fragte nicht danach und litt es auch nicht, daß in seinem Hause von seinem Sohn gesprochen werde –, der Martel habe draußen in einem großen Eisenhammer Arbeit gefunden und mit seinem Weibe ein Stübchen im dortigen Werkarbeiterhause bezogen. Der Steinleitner mußte einen fremden Knecht ins Haus nehmen, der den Martel ersetzen sollte. Das war ein langweiliger, unsauberer Patron, wollte sich aber fortwährend durch geschmeidige Reden und Hervorheben seiner Leistungen und seines guten Herzens einschleichen, weil der Gauch sich Hoffnung machte, der Bauer werde ihn anstatt des anderen zum Sohn einsetzen. Als er endlich die Eitelkeit seiner Hoffnung einsah, weil ihn der Bauer ein fürs andere Mal einen gottvermaledeiten Wichtling nannte, hub er zu stehlen an. Der Bauer verjagte ihn, mußte seinetwegen aber mehrmals vor Gericht, wobei nichts herauskam als Schande und Ärger.

Auf einem solchen Gerichtsgang vernahm der Steinleitner, daß der große Eisenhammer aus Mangel an Arbeit stehenbleibe, und daß die meisten der Arbeiter bereits entlassen seien. Was wird der Martel machen? fuhr es ihm durch den Kopf, aber er war zu stolz, danach zu forschen.

*

Dem Martel, dem ging's schlecht. Gar wiederholt kam es ihm in den Sinn: Ist's denn doch eine Strafe Gottes? Ich habe meinen Eltern in allem gehorcht, hätte ich denn auch in diesem einen Stück ihren Willen tun sollen? Hätte ich diese gute liebe Seele an der Straße liegenlassen sollen? Meinetwegen bereue ich es nimmer und nimmer, daß ich sie genommen; aber ihretwegen ist's mir hart . . .

Sie waren anfangs, als sie brotlos geworden, von Häusel zu Häusel gezogen, von armen zu ärmeren, weil der Erwerb immer kärglicher ward. Es waren so schlechte Zeiten gekommen. Nun wohnten sie in einer von Holzbauern verlassenen Hütte im Rodwald. Sie hatten zwei Kinder; die Mutter war kaum imstande, sie zu nähren und zu pflegen, denn sie kränkelte. Der Martel arbeitete, wo er Arbeit fand, er tat das Schwerste gegen geringen Lohn, er brachte alles heim, und sie wurden alle nicht satt.

Bisweilen kam die Spulerin, die brachte Mehl und Brot, wie sie es erbettelt hatte; sie blieb manchen Tag bei ihrer Tochter und half ihr weinen.

Mehrmals war der Martel im Begriff, zu seinem Vater zu gehen, dem wohlhabenden Bauer, aber sein Weib hielt ihn davon ab. »Wenn du der Schuldige wärest«, sagte sie, »so müßtest du freilich hingehen und ihm abbitten. Aber du wirst wohl im Recht gewesen sein, und wenn du jetzt hingehst und ihn um Hilfe bittest, so ist es gerade, als ob du dein Recht tätest schimpfen. Du hast oft gesagt, Martel, bei der jetzigen Zeit, wo alles so freigeisterisch ist, tät' man irr' werden im Glauben. Jetzt hast gleich eine Gelegenheit zu probieren, ob ein Gott im Himmel ist oder nicht. Wir tun unsere Schuldigkeit, und wenn einer im Himmel ist, so muß er uns helfen.«

So tröstete ihn das Weib.

»Wenn du es darauf ankommen lassen magst, du gute Haut«, entgegnete er, »ich will's auch noch verwinden.«

Endlich war gar keine Arbeit mehr zu finden. So währte es lange. Da, eines Tages; Martel kam von einem Gange heim und sagte: »Für morgen weiß ich Arbeit; sie trägt mehr als eine Woche. Schau, wie das Michele schon anhebt zu lallen!«

»Das ist gewiß«, antwortete das Weib und hielt den einjährigen Knaben vor den Vater hin, »wart einmal! Paß auf, Michele, paß auf!«

Der Kleine schaute ihr mit seinen hellen Äuglein auf den Mund.

»Paß auf, Michele! Sag: Vater!«

»Vater!« sagte das Kind ganz deutlich. Dem Martel ging ein Strahl der Freude durchs Leben.

»Vater«, wiederholte der Martel leise. »Vater unser.«

Der Knabe schaute ihn an, schier ein wenig verwundert darüber, daß er nicht zufrieden war mit dem einen schönen Wort! –

Am nächsten Morgen – es war sehr früh am Tage, und die Dämmerung lag noch fast öde auf der bereiften Matte – ging der Martel davon. Er hatte seine Wassersuppe gegessen, er hatte die schlafenden Kinder geküßt und bekreuzt, er hatte dem Weibe Lebewohl gesagt, wie gewöhnlich, wenn er fortging. Aber tagsüber wurde dem Weibe angst und bang, und es wußte nicht warum. Die scharfen Fußeisen waren heute nicht da, der Martel mußte sie mitgenommen haben.

Das ängstigte sie noch mehr, doch zum Tröste sagte sie sich: Die Fußeisen hat er schon oft mitgenommen, wenn er über den Berg ging, was weiter?

Sie hätte ihn aber doch fragen sollen nach seinen Wegen. Nein, nein, diese Kümmernis ist gar zum Lachen. Er ist schon selber klug. – Und trotzdem kam ihr Gemüt heute nicht zur Ruhe.

Durch häusliche Arbeit suchte sie sich zu zerstreuen, aber es zitterten ihre Hände und Füße vor Erschöpfung. Es war ein schlimmer Tag, die Luft wie Blei, und das Herz in einer seltsamen Beklemmung.

Da nahm sie das Michele auf ihren Schoß und lehrte ihn die zwei Worte sprechen: »Vater unser . . .«

*

An demselben Morgen war's, als weit drinnen im Gebirge, in seiner Stube, auch der alte Steinleitner ein Vaterunser betete. Er hatte wieder einmal eine schlaflose Nacht gehabt. Es meldete sich zu dem vielen Kummer, den er insgeheim trug, auch schon die körperliche Mühsal an. Sein Weib machte ihm in manchem Vorwürfe, wo sie selber mit schuld war, und die Unzufriedenheit mit sich selbst ließ sie am Gatten aus. Da war ihm oft bitter zumute, und je mehr ihn der Schlaf floh in den Nächten, je häufiger flogen ihn böse Gedanken an und nagten an seinem Gehirn.

So hatte ihn auch an diesem Tage das Morgengrauen noch wachend gefunden. Und als von der Dorfkirche her, die auf gegenüberliegendem Berge stand, die Frühglocke klang, richtete er sich auf und betete ein Vaterunser. Da war ihm heute das erstemal etwas in diesem Gebete, was er früher nie entdeckt hatte. »Führe uns nicht in Versuchung! Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben!« Vater unser! beten die Menschen gemeinsam. Die Glücklichen gedankenlos, die in Not und Elend Lebenden mit Andacht und Schmerzen. – Wie wohl der Martel beten wird und die Seinen? Man hört, er hat auch Kinder. Und wenn sie in Not sind und ihre Hände falten: Vater unser! Wird da der Gott ihr Gebet nicht an mich weisen? Ihr habt auf Erden noch euren Vater, der soll euch helfen. Und wenn sie klagen: Der hilft nicht, der hat einen Kieselstein in der Brust! so wird er antworten: Geduld, wir wollen den Kieselstein zermalmen. –

So kam es ihm vor, dem trotzigen Mann, der den Gedanken, seinen Sohn und dessen Familie zurückzurufen, sooft mit wildem Trotz zu Boden geschlagen hatte. Immer wieder daran gedacht, und immer wieder zu Boden geschlagen, und immer wieder geknirscht. – Gestern hatte die Dorfglocke einen seiner Nachbarn, der jünger gewesen als er, zu Grabe geläutet. Heute läutet sie ihm zum Gebete, und »Vater unser!« hallte es wie aus Kindesmund durch die Luft. –

Der Bauer stand auf, ging zum Kasten und tat sein Sonntagsgewand heraus.

»Was ihm einfalle? Am hellen Werktag!« sagte das Weib.

Er antwortete nicht, zog sich an, nahm aus der Tischlade ein Stück Brot und ging fort. Fürs erste ging er hinab zum Spulerhäusel. Der Alte dort hockte mitten in der Brut von schreienden, kreischenden Kindern; die größeren waren schon flügge geworden und bei Bauern als Hirten untergebracht. Die braven Söhne, die als Taglöhner herumgearbeitet, einmal näher, einmal ferner waren, bisweilen ganz verschollen, ließen aber doch plötzlich wieder etwas von sich anrücken . . . Die Alten sind just recht zum Kinderatzen. Wäre es ihnen einst anders recht gewesen, so könnte jetzt jeder sein eigenes ehrliches Nest haben, denn der Ehestand macht tüchtiger zur Arbeit, ernster und gewissenhafter als das ledige Dahinleben und das schelmenhafte Umhergaunern. Wenn die Kinder von ihren eigenen Eltern verführt werden, das ist gar lustig. Aber es geschieht jedem, wie er's verdient. – Dachte es der Steinleitner?

Der alte Spuler war stumpfsinnig geworden und kreischte und röhrte jetzt selber mit, wenn es das Gezücht tat.

»Wo die alte Spulerin wäre?« fragte der Steinleitner.

»Wer?«

»Die Spulerin!«

»Die Spulerin? Die Spulerin? Wer ist denn die?«

»Dein Weib – Tropf, alter!«

»Ei, so, so. Mein Weib, die meinst! Die Alte meinst? So, so, die Alte!«

»Wo ist sie denn?«

»Wer?«

»Dein Weib!«

»Die? Die wird wohl eh da sein.«

»Sie ist nicht da.«

»Nicht?« fragte der Spuler überrascht, »nachher – nachher ist sie gewiß fortgegangen. Hi, hi, jetzt ist sie fortgegangen.«

Der Steinleitner dachte sich's wohl, sie war wieder auf dem Bettel aus. So konnte er hier nichts erfahren.

Er ging seiner Wege.

Er ging stundenlang, bis er in Gegenden kam, wo die Berge niedriger und die Täler weiter wurden. Dem Eisenhammer wollte er zu, vielleicht war dort etwas zu erfahren.

Da kam der alte Mann, wo die Waldungen zu Ende gingen, durch eine Engschlucht, an welcher eine Felswand aufstieg; über derselben ragte eine hornartige Zacke in den Himmel. Von unten hinauf war der Fels, der durch einen Sattel mit dem Bergzug zusammenhing, mit Flechten und einzelnen Fichtenzwergen bewachsen; gegen die Schlucht, in welcher die wilde Gins an den Steinblöcken toste, stürzte der Fels fast von seiner Spitze bis zum Grunde senkrecht ab.

Dem alten Bauer wäre all das nicht aufgefallen, wenn am Wege nicht Leute gestanden wären, welche, die Hände über den Augen, alle wie einer, zur Spitze des Felsens schauten.

Der Steinleitner blickte auch hinauf, und da er nichts sah als die starre Spitze, die immer gleich blieb, fragte er, was denn da zu sehen wäre?

»Jetzt noch nichts«, antwortete ihm ein munteres Männlein, »und wenn was zu sehen sein wird, halten wir uns, denke ich, die Augen zu. Es ist kein Spaß. – Habt Ihr's nicht zu eilig, so laßt Euch doch ein wenig Zeit. Von hinten geht er hinauf, er muß bald kommen.«

»Ein Mensch? Da oben ein Mensch?« fragte der Bauer.

»Die blechene Gems trägt er hinauf«, belehrte der Alte redselig. »Der Baron draußen – dem gehört hierum die Jagd, dem Baron –, der will da auf dem Geierstein eine blechene Gems, weil sie vom Weg aus so schön anzuschauen ist, und etwan auch, weil er im Hochgebirg' oben die lebendigen schon alle totgeschossen hat. Soll früher auch eine oben gewesen sein, auf dem Geierstein, eine Gems, eine blechene. Habt Ihr gute Augen, so seht Ihr den eisernen Stab noch, wo sie angenagelt ist gewesen. Schon im vorigen Herbst hat sie der Baron wollen oben haben, die Gems, ist keiner gewesen, der hinaufgestiegen wäre, 's ist aber auch! Nicht um sein ganzes G'schloß, wenn er mir's geben wollt', der Baron, möcht' ich da hinauf. Wenn einer da oben nur ein Ruckerl macht, ein unrechtes, so tut ihm kein Zahn mehr weh. Dem nicht mehr! Jetzt hat er endlich einen Narren gefunden, der Baron. – Schau du! Schau du! Er taucht herfür!«

Hinter einem Steinvorsprung des spitzen Kegels wurde ein schwarzer Punkt sichtbar, das Haupt und bald auch die ganze Gestalt des Mannes, der die Blechgemse an den Rücken gebunden hatte.

Der Vorsprung mochte ihm ein erwünschter Ruhpunkt sein, er stand etliche Augenblicke still. Er war, wie er so mit seiner scharfgeschnittenen Gestalt in den Himmel aufragte, wie eine Fliege zu sehen. Nun begann er wieder zu klettern, das stellenweise scheinbar senkrechte Gewände hinan.

Da man die feinen Zacken und das Moosgeflecht in den Spalten, woran er Hand und Fuß legte, nicht sehen konnte, so schien es, als klettere er, wie eine Fliege am Fenster, die glatten Tafeln empor.

Mehrere der Zuschauer wendeten die Augen ab und lugten nur verstohlen hin, als fürchteten sie, ein scharfer Blick könne ihn in den Abgrund stoßen.

»Brav hält er sich!« flüsterte einer zum anderen, »jetzt wird er bald gewonnen haben.«

»Wer ist er denn?« fragte der Steinleitner, der unverwandt zur Felsspitze emporsah, welcher sich der kühne Steiger immer mehr näherte.

»Ein vazierender Hammerschmied«, war die Antwort. »Soll Weib und Kind haben und nichts zu essen, heißt es, und desweg' hätt er diese Arbeit übernommen. Armer Teufel!«

»Wird gut zahlen, der Baron!« mutmaßte man.

»Und wenn's ein' Zehnerbanknoten wär', ich möcht' mein Leben nit drum ausspielen.«

»Und schon Gottigkeit, wenn ich eines reichen Bauers Sohn wär', wie der Martel.«

»Jesus Maria!« rief der Steinleitner. Alle zuckten zusammen über den Schrei. »Gott!« atmete der Bauer auf, »mir ist's gewesen, er wäre gestürzt.«

»Er ist oben!« riefen sie erregt. »Gut Heil! Gut Heil!«

Der Mann stand auf der schärfsten Spitze, mit der einen Hand hielt er den Stock in den Boden gestemmt, mit der anderen schwang er den Hut.

»Warum er nicht jauchzt?« bemerkte einer. »Hat gesagt, daß er's tun will, wenn er oben ist.«

»Wird's auch getan haben«, belehrte ein anderer. »Der Hall und Schall bleibt auf der Höh'.«

»Wenn ihn nur der Herrgott hört!« sagte der Steinleitner und faltete die Hände.

Der Mann auf dem Felsen begann seine Arbeit. Er löste die Blechgemse von seinem Rücken und befestigte sie an den eisernen Stab, der aufrecht stand.

Man merkte die große Vorsicht, mit welcher der Steiger das vollbrachte. Er hielt den einen Arm um die Stange geschlungen, während er mit dem anderen hantierte. Plötzlich flog ein schwarzer Punkt davon.

»Den Hut hat er von sich geschleudert!« heißt es.

»Der Wind hat ihn genommen«, sagte einer, »seht, wie er in die Lüfte hinauffliegt! Es muß ein wenig ungestüm sein da oben.«

Der schwarze Punkt wirbelte in der Luft und wehte dann in weitem Bogen gegen die Waldhöhen hin, wo er entschwand.

Als die Augen wieder zur Felsenspitze zurückkehrten, stand auf derselben die Gemse, aber der Mann war nicht mehr da.

»Wo ist er?« rief alles, »er ist jäh verschwunden!«

»Er müßte doch denselben Weg zurückmachen, wo wir ihn hinaufsteigen sahen!«

»Wenn er auf der rückwärtigen Seite hinabgefahren ist!«

»Gnade ihm Gott!«

Einige knieten nieder, um zu beten. Andere eilten davon, gegen die Felswand hin. Unter diesen war auch der alte Steinleitner.

Wie ein Knabe von zwanzig Jahren, so sprang er von Felsblock zu Block über den reißenden Bach, der in Gischten aufspritzte bis zu seiner Brust. Er eilte durch Haselgebüsch gegen das Gestein empor, er verlief sich in Schrunde und mußte umkehren, er geriet in Brombeergestrüppe und anderes Dorngehege, dessen Ritzen er freilich nicht achtete, das ihm aber Bänder und Schlingen um die Beine warf, höhnend: Du hast dich früher nicht um ihn gekümmert, vielleicht braucht er dich jetzt nimmer.

Als ob's der Wind hingeweht hätte, so ward es bekannt unten im Dorf und in allen umliegenden Häusern: der Gemsträger ist nicht zurückgekehrt, ist in Verlust geraten oben auf dem Geierstein. Jetzt umkreisten sie den Berg, stiegen hinan, kletterten an den Wänden herum, spürten in Schrunden und Gründen und fanden ihn nicht. Eine Schlucht war, deren Tiefe allerlei Gestrüppe bedeckte, da konnte er hinabgestürzt sein. Es wollte keiner wagen, sich durch Seile in den Abgrund niederzulassen. Auch der Baron war gekommen, und als es gegen Abend ging, rief er einen Preis aus für den, der den Verunglückten auffinde.

Zur Stunde, da die Abendglocke Ave-Maria läutete, baumelte der alte Steinleitner an einem langen Seil durch wilden Holler, Einbeerlaub und Schierling hinab in den Abgrund. »Dem ist um den Preis!« meinten die Leute.

Zur selben Zeit war's, als oben an der senkrechten Wand von einer scheinbar unzugänglichen Felsbank her eine weibliche Stimme um Hilfe rief. Das Weib des Martel war's, das nach vernommener Kunde alsogleich herbeigeeilt war aus der Hütte im Rodwald, das ohne Säumen, Wanken und Klagen den rechten Weg fand, das, vergessend des eigenen Lebens, emporkam an den wüsten Massen, als trügen es die Engel.

Dort auf der Felsbank – gerade so breit wie ein Bahrbrett – lag auf Steinmoos, zwischen einem Alpenrosenstrauch und wilden Nelken, der Steiger.

Als die Leute endlich mit vieler Not hinaufkamen, lag das Haupt des Verunglückten auf dem Schoße des Weibes. Große Schrammen am Haupte waren mit einer Blutkruste überzogen. Sie atzte seine Stirne mit kühlen Blättern. Er atmete langsam, aber ruhig, schlug jetzt die Augen auf und schaute befremdet auf seine Umgebung. Das war ihm alles unbekannt, nur an den blassen Zügen seines Weibes blieb sein Blick ruhen.

Man bedurfte schon der Fackeln, als sie den alten, in Verzweiflung bereits stumpf gewordenen Steinleitner aus dem Abgrund heraufzogen und den Martel mit heißer Gefahr vom Hange herabtrugen. Dort, wo das kahle Gestein aufhört und an sanfteren Lehnen das Gebüsch wuchert, dort kamen sie zusammen. Die Leute warfen lange zuckende Schatten über das Gestein hinauf.

Der alte Bauer wankte der Tragbahre zu, und als er das Angesicht seines Sohnes erblickte und das des Weibes, hat er laut gröhlend beide umschlungen.

Der Dorfarzt erklärte den Zustand des Verunglückten nicht für hoffnungslos. Der Baron erbot alle seine Kräfte – deren mögen freilich viele sein, aber wohl oft noch zuwenig, um ein Leben zu retten, das eine Herrenlaune leichtfertig aufs Spiel gesetzt.

Und nun war denn Gott einmal vom Himmel gekommen in die arme Hütte des Martel. Nach wenigen Wochen war die Wunde geheilt, der große Blutverlust ersetzt. Sein Weib wurde vom alten Steinleitner mit Liebe schier überladen, sie und die Kleinen. Wie ein Springquell drang das solange zurückgedrängte Vatergefühl hervor, und der Alte sah nun, es war alles anders, als es seine Bitterkeit und sein Trotz ihm vorgespiegelt.

Heute leben sie alle zusammen auf dem Steinleithofe. Die alte Bäuerin keift mitunter ein Weniges; lieber Gott, wer wollte dem braven alten Weiblein in aller Welt diese unschuldige Ergötzung mißgönnen. Die Schwiegertöchter und die Kinder haben längst erfahren, daß es nicht grob ernst ist.

Zu vermelden ist noch, daß das heranwachsende Michele, welches einst so brav »Vater unser« sagen gelernt hatte, nun Miene macht, als wolle es sich auch um eine Dudel umschauen.

Der Großvater und der Vater halten Rat, was in dieser Sache zu tun sei, und kommen zu folgendem Entschluß: Solange der Junge nur noch herumflattert und er die eine möchte, weil sie hübsch ist, und die nächste, weil sie munter ist, und die dritte, weil sie ein anderer haben will, solange nur gescheiterweise abreden und zurückhalten.

Wenn er sich aber einmal auf eine festgesetzt hat, und die müßt' er haben und keine andere – nachher in Gottesnamen ja sagen. Was der Herrgott anstiftet, das wird er auch verantworten.

 


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