Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

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Zwey und zwanzigster Brief.

Den 21ten Dezemb. 1779.

Ich habe dir so viel zu schreiben, Bruder, daß ich würklich nicht weiß, wo ich anfangen soll. Auch kann ich dir für dießmal keinen so langen Brief schreiben, wie sonst; denn ich bin eben mit Einpaken beschäftigt. Aus unsrer Nachbarschaft wird nichts, Bruder. Es ist mir sehr ärgerlich; wenn schon die neue Pfarre, die ich beziehe, wie man mir sagt, noch einträglicher ist; gerne wollte ich jährlich 100 Gulden, auch mehr missen, um nahe bey dir zu seyn. Den Mann, dessen Pfarre mir eingeräumt wird, und den du an meiner Statt zum Nachbarn bekömmst, hat der Hof versetzen müssen, weil er ein hitziger baumstarker Kontroversist ist, und mit benachbarten Protestanten, Händel anfieng. Es ist der Pfarrer von ** – du weist, der Flecken liegt mitten unter Protestanten. Mir macht diese Mutation wirklich Ehre; denn man hat ausdrücklich beygesezt, daß ich diese gute Pfarre theils zur Satisfaktion, theils deswegen bekäme, weil man überzeugt wäre, daß ich durch Friede und Eintracht wieder gut machen würde, was mein Vorfahrer verdorben hat. Wie gefällt es dir, Bruder, daß du einen so rüstigen Kirchenhelden zum Nachbarn bekömmst? Ein Ketzer wirst du, Bruder, das weiß ich gewiß. In den ersten vier Wochen hat er dich dazu demonstrirt. Wie will ich lachen, wenn ihr einander in den Haaren liegt! Wage dich nur recht, Bruder, mit Wort – und einem tüchtigen Stock – zausse ihn, und schlag ihm die Rippen zusammen, daß es kracht. Ich weiß daß er seinen Mann an dir findet, besonders wenn es zu Faustschlägen kömmt. Daß ich so recht mitten unter die reissenden Wölfe, die Lutheraner komme – was denkst du, Bruder, werd ich meine Schäflein gegen ihre grimmigen Zähne schützen können? Ich weiß, daß unter zehn Pfarrers von unsrer Religion gewiß neune sind, die sich alle vorstellen, daß sie unter einen Haufen Bestien kommen, die alle mit funkelnden Augen die Zähne gegen sie wetzen. Aber ich gehe mit grösserer Freude unter sie, als wenn in der Gegend umher nichts als erzkatholische Mönchsklöster wären. Ich weiß gewiß, daß diese einem guten Pfarrer wärmer machen, als alle Protestanten in der Welt zusammen. Gewiß hat auch mein Vorfahrer selbst allen Anlaß zum Zwist gegeben; und gewiß haben sie seinen Kontroverseifer aufs höchste steigen lassen, ehe sie sich mit ihm abgegeben haben. Gutmann geht mit mir – Der gnädige Herr macht es ihm so toll, daß ers nicht länger aushalten kann; aber er protestirt gegen alles Anerbieten von freyer Wohnung und Tafel. Wenn er menagirte, sagt er, käme er recht artig mit seinem Einkommen aus; ich könnte den Nothleidenden etwas mehr thun. Etwas ist also doch von meinem Traume in der Karthaus wahr geworden. Wie ich von da wegkam, und wie die Sache mit Fulgentius abliefe, sollst du den Augenblick erfahren, Bruder. Zween geistliche Räthe hohlten mich in einem Hofwagen ab, und brachten mich auf das Konsistorium, wo Fulgentius mir Abbitte thun mußte, daß er geflissener Weise in meinem Dorf den Argwohn gegen mich rege gemacht hat, was ihm durch Zeugen aus dem dritten Orden bewiesen wurde. Diese wollten freylich nicht bekennen; aber es sind eine Menge Zeugen gegen die Tertianer freywillig aufgestanden, daß sie endlich nicht länger läugnen konnten. So unverschämt und trotzig auch der Mönch in der Konfrontation that; denn er fieng gleich mit der grossen Sottise an, daß es von dem Konsistorium unartig wäre, ihn stante pede gegen eine Hure zu verhören; und forderte sehr ungestüm einen Stuhl – sobald war er gefangen. Das Konsistorium begieng die Schelmerey, und ließ ihm einen grossen Lehnstuhl hinsetzen, um seine Prostitution glänzender zu machen. Er wurde zu ewigem Klostergefängnis und monatlichen Fasten bey Wasser und Brod verdammt; und seinem Kloster wurde das Urtheil mit der nachdrücklichsten Warnung zur Exekution übergeben, daß man es gewiß nicht ungeahndet lassen würde, wenn sie es nicht pünktlich vollführten, oder ihn verschicken würden. Gegen die Magd verfuhr man sehr gelinde. Sie soll im Nonnenkloster niederkommen, und vier Wochen ohne Schläge im Zuchthaus arbeiten; und einige geistliche Räthe haben mich versichert, daß sie sie in ihre Dienste nehmen würden, wo sie an nichts Mangel haben sollte. Bey einem geistlichen Rath ist sie als Wirtschafterin gewiß am besten aufgehoben, nicht wahr, Bruder?

Mich hat die Abbitte des Fulgentius gewiß mehr erniedrigt, als ihn selbst. Ich fühlte, daß ich über und über brennroth wurde. Wenn ich auch nur die zweyte Person bey einem gerichtlichen Akt spielen sollte, so weiß ich, daß ich würde aus der Fassung kommen, weil mir alle Formalitäten überhaupt, alles Gepränge, unausstehlich sind: Und nun mußte ich noch dazu vor dem hochwürdigen Konsistorium in pleno die erste Rolle machen, und mußte einen Habit vor mir prostituirt sehn, dessen Saum zu küssen ich vor einigen Jahren mich nicht würdig achtete. Er kaute seine Abbitte, wie man sie ihm geflissentlich recht zum Erbarmen diktirte, ohne alle Schamerröthung im ordentlichen Choralton heraus, als wenn er das dixit dominus meodixit ... – Dixit Dominus Domino meo: Der HERR sprach zu meinem Herrn: »Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde zum Schemel deiner Füße mache.« Psalm 110 auf seinem Chor anstimmte; die eine Hand stützte er auf den Lehnstuhl, und schlug sehr pathetisch die Hälfte seines Mantels über die Achsel zurück; und mit der andern hatte er das Ende seines Gürtels genommen, und schlug damit recht taktmäßig auf seinen grossen Rosenkranz. Wäre ein Zuschauer da gewesen, der von dem Verlauf nicht wohl unterrichtet gewesen wäre; er hätte gewiß geglaubt, Fulgentius diktirte mir eine Abbitte. Ich war sehr froh, als es zu Ende war.

Ich habe dir noch nicht gesagt, daß Gutmann Wort gehalten; und des andern Tags, nach Absendung meines leztern Briefs, in der Karthaus mich besucht hat. Was ich bey seinem Besuch gefühlt habe, wie ich ihn genossen habe, kann ich dir nicht beschreiben, Bruder. Du must selbst so was empfunden haben, um dir eine Vorstellung davon machen zu können. Mein Arrest war mir da so lieb, wahrhaftig Bruder, ich wünschte, daß er noch härter seyn möchte, nur seiner Gegenwart mehr Gewicht beylegen zu können.

Mein Schulmeister war ganz untröstlich, daß er mich und Gutmann verliert. Wir haben ihm versprechen müssen, oft zu schreiben, und ihm Bücher zu schicken. Gutmann that noch mehr; er will sich so viel möglich verwenden, ihn auf die Schule bey uns zu bringen. Er hatte erst viel einzuwenden, daß er schon bey Jahren sey – das Reich, welches jezt unter seinem Zepter stühnde, genau kennte, und bey einer Veränderung aber unsäglich viel zu thun hätte, um erst seine Unterthanen kennen zu lernen. Gestern aber kam er in vollem Athem gelaufen, daß er nun nichts so sehr wünschte, als bald von hier wegzukommen; indem der gnädige Patron dieser unglückseligen Pfarre ein Subjekt gewählt habe, das er nie ansehen könnte, ohne Lust zu bekommen, es anzuspeyen. Arme Kinder, die ich nun verlassen muß, um sie wieder der despotischen Möncherey zu übergeben! Ich weinte, Bruder – weinte lange über das Schicksal meiner Gemeinde. Der künftige Pfarrer ist der Schreiber des gnädigen Herrn, der die Hunde, Knechte und Mägde mit der nämlichen Peitsche auf dem Schloß zusammenschlägt, daß der gnädige Herr bersten möchte für Lachen, wenn er zusieht; wie das Canaille herumtanzt und heult. Seine größte Kunst ist, mit den Fremden, die der gnädige Herr zur Tafel bitten läßt, ein hübsches Späßchen zu treiben: Dem einen unvermuthet den Stuhl wegzuziehen, wenn er sich setzen will, daß er recht possierlich niederfalle: Dem andern Bier unter Wasser, anstatt des Weins, einzuschenken: Dem den Hut schwarz zu färben, und ihn dann zwingen sich zu bedecken, daß er hernach bey Tische zur angenehmen Unterhaltung, einen schwarzen Strich auf der Stirne hat, und jenem unvermerkt die Knöpfe vom Kleid zu schneiden etc. – Du siehst also, Bruder, daß mein Nachfolger ein noch würdigerer Kandidat ist, als ich es war – und er findet keinen Gutmann! Ich würde ihm gern diesen Mentor zurücklassen, wenn dieser selbst nicht versicherte, daß er sich mit einer solchen Kreatur nie abgeben würde. Mit den Mönchen steht er sehr gut; mit einigen von ihnen, die in der ehrwürdigen Qualität als Spaßmacher auf dem Schloß die Tafel haben, ist er gar Du. Er wars auch, der den Fulgentius beredete, die trächtige Kuh zu schießen, und ihm dadurch die schmackhafte Jagdkollation anrichtete. Er ist der Mann, der die Wildschützen grausamer verfolgt, als diese das Wild.

Es ist noch nicht gar lange her, daß in Oberschwaben ein Wildschütz zur inniglichen Freude seines Landesvater lebendig auf einen Hirsch geschmiedet, und sodann in Gehölze gesprengt wurde. – O Menschheit und Beckaria! – Hier hilft keine Litteratur, keine Aufklärung; die Thüren sind ihr noch zu stark verriegelt. Für diese deutschen Hyperboräer ist keine Hülfe, als von dem kaiserlichen Ansehen zu erwarten; der kaiserliche Hof kann aber mit all seinem Ansehen und dem besten Willen nicht helfen, wenn er von den Thatsachen nichts weiß; und wer will es ihm zu wissen thun? Freunde des verurtheilten? Wehe ihnen, wenn sie an ihr Vaterland gebunden sind, und es der Rath des regierenden Herrn erfährt.

Heute ist es schon im ganzen Dorf bekannt, daß er die Pfarre bekömmt. Nun habe ich meine liebe Noth mit Abschied nehmen. Leuthe, die ich wegen Verhetzung der Mönche für meine größte Feinde hielt, kommen nun, und nehmen mit nassen Augen Abschied von mir. Mich macht so was zu weich, als daß ich es wie ein Mann aushalten könne, so lieb es mir auch an sich ist. Alle zucken die Achseln und sehn gen Himmel, wenn ich sie damit trösten will, daß mein Plaz vielleicht besser von meinem Nachfolger, als von mir selbst besezt wird. Wenn ich ihnen sage, daß Gutmann auch mit mir geht, der vielen von ihnen mehr als Vater war, so fällt ihnen zusehends aller Muth. Die armen Waisen! Der Mann, der nach seinem Beruf, und nach seiner Bestimmung von der Wiege an – ihr Vater seyn sollte: Der gnädige Herr weiß gar nicht, daß sie zu etwas anders auf der Welt sind, als Steuer zu bezahlen, seine Frohndienste zu thun, sein Wild zu treiben, und sich prügeln, hängen, köpfen, rädern zu lassen. Herr Gutmann hat mir oft bewiesen, daß kein Türk den niedrigen Begriff von einem Christensclaven hat, den ein solcher deutscher Cavalier von seinen Unterthanen hat. Der Muselmann ist nach seinem Gesetz Herr, über Leben und Tod seines Sklaven; und seine Unmenschlichkeit, die doch seltner ist, als unter dem deutschen Adel in gewissen Gegenden, hat also Grund für sich: Aber der deutsche Cavalier hat die sanfte Religion und Reichsverfassung, das Beyspiel des gesitteten Adels andrer benachbarten Reiche, oder deutschen Provinzen; sein Begriff von seinen Unterthanen muß also niedriger, und seine Unmenschlichkeit muß größer seyn, als des Türken seine, weil sie ihn gegen die laute Stimme der Religion, Reichsgesetze und des Beyspiels andrer taub macht. Das grausame Jagdrecht ist Herrn Gutmann am anstößigsten; und er sagt oft, daß er es einem Regenten nicht sehr verübeln würde, der sich sonst Mühe gäbe, seine Unterthanen zu beschäftigen; aber hier zu Lande, wo sich die Landesväter gar nicht bekümmerten ihren Kindern Nahrung zu schaffen; die müssigen jungen Leuthe zu beschäftigen, wäre es auch nur mit der Muskete – Hier zu Lande wäre es unverzeihlich, so grausam strenge auf das grausame Jagdrecht zu halten.

Es giebt Philosophen, die es vielleicht mit der Menschheit recht gut meynen; aber die Menschheit nicht nehmen, wie sie würklich hienieden auf Gottes Erdboden ist – Die wollen beweisen, daß, wo nicht der Soldatenstand überhaupt – doch eine sehr zahlreiche Armee, der Menschheit schädlich sey. Es giebt viele Gründe, warum eine starke Armee jedem Staat, folglich der Menschheit zuträglich sey. Ich will nur zwey anführen, die nicht auf die äußere Grösse eines Staats, sondern auf seine innere Constitution Bezug haben. Erstens beschäftigt der Soldatenstand eine Menge müßige Leuthe, die, wenn dieser Stand nicht wäre, entweder ihr Vaterland verlassen, Mönche – oder gar Räuber und Wildschützen werden müssen. Wer sagt, man könne diese Leuthe zu was besserm, als z. B. zum Ackerbau, Manufakturen etc. gebrauchen, und schwäzt eine Gemeinstelle her, die er nicht versteht; die praktische Wahrheit dieser Gemeinstelle hängt von einer unzähligen Menge Nebenumstände ab, die sie für eine Menge Staaten so unbrauchbar machen, wie die Statistik des arabischen Emirs im goldnen Spiegel. Schwaben hat so viele Auswandrer; Italien so viele Banditen; Bayern so viele Mönche; und, bey so vielen vollen Galgen und Rädern, doch noch so viele Räuber; hauptsächlich weil sie keine proportionirte Armee haben. Wenn man aus Bayern in Oestreich kömmt, so wird man augenscheinlich davon überzeugt. Die östreichischen Criminalisten sind noch sehr gelinde; und doch ist ein Räuber ein seltnes Ding in Oestreich; und in Oestreich sind obendrein die Klöster nicht so offen, wie in Bayern. Die zweyte Ursache ist: Weil ein starker Kriegsetat eine regelmäßige sistematische Anstrengung eines Volkes ist, welche ihm Geist und Thätigkeit giebt. Die zweckmäßige vereinigte Anstrengung desselben ist der einzige Maaßstab seiner Glückseligkeit und Grösse. Nicht die Volksmenge macht einen Staat glücklich und groß; es giebt viele bevölkerte Staaten, deren Bürger nicht glücklicher, und der ganzen Menschheit nicht wichtiger sind, als ihre Heerden Vieh. Man darf eben nicht bis in China wandern, um sich davon zu überzeugen. Manchen Staaten ist die ungeheure Summe ihrer einzelen Kräfte ein Hindernis ihrer Anstrengung, folglich ihrer Glückseligkeit und Grösse. Die Thätigkeit, Klugheit, Glückseligkeit und Grösse der Preussen ist eine Folge ihrer Anstrengung, des Gebrauchs ihrer wenigen Kräfte; und diese ist meistentheils durch den grossen Kriegsetat rege gemacht worden. Beförderung des Ackerbaues und der Manufakturen sind natürliche Folgen eines klugen ökonomischen Kriegsetat. Man vergleiche alle Völker der Geschichte und der jetzigen Welt, ob nicht Industrie allezeit desto grösser bey ihnen war oder ist, je grösser und regulirter ihr Kriegsetat ist. An der Industrie eines Volks ist eigentlich der Menschheit gelegen; denn sie ist die Muter der Erfindung, und der Ausbreitung des Erfundenen. Ich nehme diesen starken Grund für eine starke Armee nur insoweit, als er die Industrie, und die innere Glückseligkeit befördert; wovon natürlich die äußere Grösse und Ueberlegenheit eine Folge ist. Völker, die sich anspannten – wenn sie auch unter der Anspannung erlagen, wenn sie sich auch überspannten, sind eigentlich Menschen für die Allheit. So sind Griechen der ganzen Welt wichtiger als Parther und Mogulen, ob sie schon Schlözer aus Haß gegen Belletristerey als Nebenvölker behandelt. Und eine Armee ist die zweckmäßigste, concentrirteste Anspannung einer Nation. Auch in kleinern Staaten behält dieser Grund sein Gewicht. Man vergleiche Hessen, Hannoveraner, Sachsen mit andern Deutschen. Eine regulirte Armee hat eine Menge Bedürfnisse und Verbindungen, die den Verstand und die Industrie des ganzen Staats rege machen. Auch giebt das militärische einem Volk eine gewisse Regelmäßigkeit, eine geometrische, taktische Sicherheit im Denken und Handeln, die immer einem Staat nützlicher ist, als alle Belletristerey und Empfindeley.

Es fällt mir würklich hart, Bruder, die guten Leuthe zu verlassen. Das Mönchswesen wird nun desto grausamer auf diese Heerde losstürmen, je grössere Mühe Gutmann und ich bis jezt angewandt haben, es abzuhalten. Nun kömmt alle Hitze der Rache, und des Eroberungseifers einer alten bis jezt streitigen Provinz, von meinem Dechant und den Franciscanern dazu. – Ich kann nicht weiter daran denken, Bruder. Lebe wohl!

Ende des zweyten Bandes.


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