Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

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Ein und zwanzigster Brief.

Den 14ten Dezemb. 1779.

Daß ich von meiner Pfarre als ein armer Gefangener bin weggebracht worden, wirst du schon wissen, lieber Bruder! Daß ich dir aber aus der Karthaus bey *** diesen Brief schreibe, wird dir gewiß unerwartet seyn. Der Kommissarius vom hochwürdigen Konsistorium, welcher mich ganz unvermuthet überfiel, und in den Wagen steigen hieß, brachte mich in das bekannte Priestergefängnis; aber noch denselben Tag kam ein Befehl vom Hochwürdigsten, mich hieher zu bringen. Ich wurde dem Prior bestens empfohlen; und freue dich, lieber Bruder, mir ists in der Karthaus recht von Herzen wohl. Daß ich hier eine so gute Aufnahme gefunden habe; daß ich nicht in dem Gefängnis – welches auch schon durch seinen Nahmen schrecklicher, als jeder andere einsame Ort ist – bleiben mußte, habe ich Gutmanns Empfehlung und der Güte des Hochwürdigsten zu verdanken. Ich küsse in aller Demuth seine väterliche Hand, ob ich schon unschuldig leide: Ich sehe, daß es ihm selbst nahe geht, mich zu strafen. So viel ich habe erfragen können, haben mich die Mönche verklagt – oder doch Anlaß dazu gegeben. Meine Magd sollte anfänglich ins Zuchthaus; sie kam aber, auf ausdrücklichen Befehl, und auf Kosten des Hochwürdigsten, in das Nonnenkloster zu **. Der beste Fürst! So eben erhalte ich von Gutmann einen Brief, er ist sehr thätig für mich; er ist selbst in der Stadt, und wird mich bald besuchen, wie er mir schreibt. Er sagt, meine Unschuld sey bey Hof so gut als notorisch; sein Brief an den Geheimen Rath wäre einige Stunden zu spät gekommen; sobald ihn dieser empfangen hätte, habe er den Hochwürdigsten davon benachrichtigt, und deswegen wäre ich gleich in das Karthaus so gut aufgehoben worden. Das Konsistorium habe meinen Arrest ohne Wissen des Hofs, bloß auf das Anbringen einiger Mönche dekretirt; und daß ich noch pro forma ein Gefangener sey, geschähe nur, um meine Unschuld und des Franziscaners Bosheit in aller Form darzuthun. Derselbe wäre mit Gewalt auf das Konsistorium aus seinem Kloster gebracht worden. Die Mönche hätten alle Gnade des Hofs verschüttet, weil sie ihn nicht ausliefern wollten; unter dem Vorwand, daß es ihre Sache wäre, die schuldigen Glieder des Ordens zu bestrafen; sie schrien noch erbärmlich über Gewaltthätigkeit, und machten ihre Sache desto schlimmer. Fulgentius läugnete mit aller Frechheit; die Magd aber sey schon zweymal gerichtlich verhört, und in ihren Aussagen untadelich und ganz gleich befunden worden; sie würde übermorgen mit ihrem Verführer confrontirt werden; und wenn dieser die Unverschämtheit zu weit triebe, so hätte man Befehl, trotz seiner Priesterschaft mit aller möglichen Strenge gegen ihn zu verfahren; es seyen deswegen zween Kommissärs von dem Hofrath dem Konsistorium beygesetzt worden, um seine Schritte nach dem Willen des Hofs zu reguliren, und es zu spornen. Der Geheime Rath bäthe mich ganz ruhig zu seyn – Er hat sich selbst unterschrieben, Bruder – wie gütig! Was es doch um einen Freund, wie Gutmann – und ein gutes Gewissen für ein herrliches Ding ist! – Wir giengen so glimpflich mit den Mönchen um, wollten sie so vorsätzlich schonen – und sie fallen so plump in die Schlinge, die sie mir – weiß nicht aus Dummheit oder Bosheit, legen wollten. Sollten mich meine Verkläger würklich für schuldig, und ihre Klage würklich für ihre Pflicht gehalten haben? Es ist doch Leichtgläubigkeit, Dummheit, mich für den Thäter zu halten, bloß weil die Geschwängerte meine Magd ist, und es vielleicht in meinem Dorfe als eine Sage von den Klägern eingefangen wurde. Ich habe gute Ursache zu glauben, daß es ein mit dem Fulgentius boshaft angelegter Plan ist, sich aus der Grube zu helfen, und mich hinein zu stürzen. Sie wußten nicht, daß ich die Magd verhört, und die Wahrheit schon aus ihr gebracht hatte; sie verließen sich auf ihre Verschwiegenheit, die Würkung der Drohung mit der Rache des heiligen Franziscus. Sie wußten nicht, daß ich durch den Geheimen Rath bey Hofe festen Fuß hatte; glaubten also vielleicht bey dem Konsistorium ohne Wissen des Hofs durchzudringen – Ich will mir diese Vermuthung so viel möglich aus dem Sinn schlagen, und mich zu bereden suchen, daß sie mich aus Leichtgläubigkeit verklagt haben; ich will annehmen, daß sie von der Schuld ihres Bruders Fulgentius nichts wußten – Thue du das auch, lieber Bruder; wir wollen das Beste denken.

Es wäre Undankbarkeit, wenn ich meinen hiesigen Aufenthalt Arrest nennen wollte. Ich bin ganz frey; darf das ganze Kloster, Gärten, Scheunen, Ställe durchwandern. Einige von den Karthäusern besuchen mich auf meinem Zimmer; wenn sie Colloquium haben, gehe ich unter sie alle, und auch oft zu den Bekannten in ihre Zellen. Ich habe das beste Essen und Wein im Ueberfluß. Das Kloster hat eine schöne – Klosterbibliothek. Ich will sie, so lange ich hier bleibe, aufs beste benutzen. So eben habe ich Augustinius – Ich wollte ihn über die Materie der Gnade durchstudiren; sahe unter den verbotnen Büchern den Kalvinus; und weil ich den Bibliothekar versicherte, daß ich Lizenz habe, so gab er mir ihn gutwillig. Ich vergleiche nun diese zween über das System von der Gnade – und halte sie wieder zusammen – und vergleiche – Ich kann halt mit aller Anstrengung keinen Unterschied zwischen beyden sehen.

Ueber die Einrichtung der Karthäuser bin ich wirklich erstaunt. Ich hatte sie mir als finstre, hagre Krustenbewohner gedacht: Aber sie sind alle recht niedlich und reich eingerichtet; sind meistentheils frische und ziemlich muntre Leuthe. Jeder hat sein besonders Wohnzimmer, Laboratorium, Waschstube, Speiger, Keller und sein Gärtchen. Jeder hat seine besondere Beschäftigung, und es sind würklich einige sehr ansehnliche Künstler unter ihnen; ein sehr geschickter Kupferstecher, ein braver Bildhauer; ein Uhrmacher, wie man nicht leicht einen findet. Ihre Werkstätte sehen allerliebst aus. Sie ziehen sich in ihren Gärten die rarsten Blumen und Früchte; haben Vögel, Kaninchen und Katzen; das Studiren ist ihnen freylich verboten, aber in sehr engem Verstande; sie dörfen nur nicht mit Anstrengung, und nicht aus eitler Wißbegierde sich auf Wissenschaften verlegen: Die erste Bedingung ist ohnehin einem Bücherfreund nicht beschwerlich; und die zweyte läßt sich drehn und wenden, wie eine wächserne Nase, sobald der Leser eine gute Meinung macht; was er liest, Gott, oder der Ehre des H. Bruno aufopfert – oder wenn er ein Buch nimmt, um dem gefährlichen Phantasiren zu entfliehn; oder – wie es ihm immer beliebt, von seiner Lernbegierde einen geistlichen Titel anzugeben. Von der Anstrengung im Studiren haben sie einen besondern Begriff; denn diese besteht nur im Auswendiglernen, und in dem Gedächtnis: Deswegen schreiben sie ihre Predigten mit grosser Achtsamkeit auf, und lesen sie dann vom Papier weg; so beobachten sie die Bedingung, ohne Anstrengung zu arbeiten – Ich muß dir noch bemerken, Bruder, daß sie nicht, als nur für ihr Hausgesinde predigen. Reisebeschreibungen, besonders die von Jesuiten, sind ihre Lieblingslektüre. Einige lassen sich auch von guten Freunden die Zeitungen bringen; denn alles Profane läßt sich nach ihren Grundsätzen durch eine gute Meinung heiligen. Ihre Kleidung und alles ist sehr reinlich. Im Winter tragen sie Pelzröcke und Pelzstiefel, wenn sie in den Chor gehen, und ihre Zimmer sind gut gewärmt. Der Chor ist sehr hart und lang; von vier und zwanzig Stunden müssen sie ohngefähr die Hälfte in der Kirche ausdauern; sie singen alles sehr tief und langsam aus dumpfer hohler Brust. Ihre Tafel ist würklich kostbar. Sie haben die seltensten Fische, und machen sich daraus Schinken, Braten und Würste, die auch ein mittelmäßiger Kenner von Delikatessen für die besten Fleischspeisen nehmen würde. Ausser den Fasttägen hat jeder anderthalb Maaß Wein, der sehr gut ist, und auf die Fasttäge ohngefähr eine Maaß. Sie essen wenigstens einmal die Woche beysammen, und dreymal haben sie Colloquium; da gehen sie in ihren schönen Gärten mit einander, oder auch mit guten Freunden aus der Welt spatzieren, und nehmen in ihren Zimmern Besuche an. In der That, sie sind lange nicht so einsam in ihrer stillen Zelle, als der Handwerker mitten in der Stadt, der die ganze Woche mit einigen Knechten, die ihm durch Gewohnheit und Mangel an Mittheilung, oder durch den Abstand zwischen Meister, Knecht und Junge so gut als Bildsäulen sind, in seiner Werkstätte schmachtet, die Verschiedenheit und Abwechslung der der Zerstreuungen eines Karthäusers nicht kennt, und oft in einer ganzen in Schweiß und Kummer zugebrachten Woche nicht so viel zusammenbringt, daß er die Sonntäge mit seinen Zunftgenossen einen Krug Bier leeren kann. Wäre nicht der schwere und lange Chor, ich wünschte mir würklich ein Karthäuser zu seyn. Eine Menge unglücklicher Liebhaber, reducirter Officire und Hofleuthe, ausgelaufner Avantüriers, lecher Wollüstlinge oder Philosophen, Werthers, denen noch nicht ihre Mitternachtsstunde schlägt, würden meinem Wunsch beystimmen. Die Karthäuser sind unter allen Mönchen gewiß die unschädlichsten, weil sie die Möncherey außer ihren Mauern nicht ausbreiten können; und da es billig ist, daß ein Staat für alle seine Glieder sorgt, so ist eine Karthaus für denselben die wohlfeilste, und für die Konstitution der Kandidaten angemessenste Art, obbemeldte unstatistischen Leuthe unterzubringen. Nur der Chor müßte erleichtert werden, um ihren Steckenpferden mehr Raum zu lassen. Da könnten sie nun nach Belieben trottiren, galloppiren, oder auch im züchtigen, bedächtlichen Gang von Silenus Eselein umher wandeln, ohne der ordentlichen Staatsbahn in die Quere zu kommen.

Sie haben die besondere Regel, oft an den Tod zu denken. Ihre Betten sollen – wie einige von ihnen behaupten, Todtenbahren seyn. Ein Profaner findet aber wenig Aehnlichkeit unter beyden. Der Uhrmacher muß auf jedes Zieferblat ein Gerippe mit Stundenglas und Hippe, der Bildhauer viele Todtenköpfe, der Kupferstecher viele Sterbende, den Teufel mit der Sündenliste dabey, abbilden. Ihr gewöhnlicher Gruß soll seyn, wenn sie sich begegnen: Memento mori: Ich habe ihn aber noch nie gehört. Entweder murmeln sie ihn zu leise, denn ihre Lippen habe ich schon bewegen gesehn; oder sie haben diese Regel gloßirt, daß es genug sey, ihn nur mentaliter auszusprechen. Wie nun alle dergleichen Mönchsregeln gerade gegen ihre Absicht würken, so ist es auch mit der Todeserinnerung. Die Gewohnheit hat ihnen alle Todtenbilder ganz gleichgültig gemacht, und die beständige Erinnerung des Todes ist gar kein Mittel, denselben förchten zu lernen: Man wird mit ihm vertraut; und weil keine Veränderung auf diese Art in der Phantasie vorgeht, so hat sein Bild gar nichts auffallendes oder schreckendes mehr. Der junge unregelmäßige Wollüstling bebt vor der Bahre, wenn er sie mitten im Tanz und Schmauß erblickt; aber niemand, der schon einige Jahre nichts anders gesehen hat. Der Soldat, der schon tausende neben sich fallen sah; der Arzt, der einen Kirchhof gefüllt; der Matrose, der schon manches Schiff scheitern gesehen, achtet den Tod gar nicht mehr, und er wird ihn also auch nicht von der Sünde abschrecken. Seneka empfielt die öftere Erinnerung des Todes, nicht um unsre Freuden dadurch zu stören, sondern uns daran zu gewöhnen, damit sie uns im Genuß nicht abschrecke, wenn sie die Quere herkömmt. Seneka und Bruno haben also sehr verschiedene Begriffe vom Tod. Ich habe durch meine eigne Erfahrung, Bruder, daß der erste wahr redet. Seitdem ich oft an Sterbebette gerufen werde, ist mir der Tod lange nicht mehr so grauslich. Die Gräber der Karthäuser müssen ohne alle Pracht, ohne Inschrift und Zeichen seyn: Damit man aber, wenn irgend ein heiliger Leichnam Mirakel würkt, den frommen Mann erkenne, so bekömmt jeder einen schriftlichen Paß mit unter die Erde. Dadurch gewinnen ihre Heiligen doch ein Bißgen mehr Credit, weil die Vermuthung, daß ihre Heiligsprechung durch würkliche Wunderwerke veranlaßt wurde, ein wenig stärker; und der Verdacht, als ob in ihrem Leben schon Anstalten zu ihrer Heiligkeit wären gemacht worden, ein wenig schwächer wird. Sie machen auch alle mit diesem Vorzug ihrer Heiligen recht viel Aufhebens.

Ich habe bis jezt nur einen Mißvergnügten bemerkt; er ist sehr jung. Der Pater Vikarius war sein Novizenmeister; und er hat mir viel von ihm erzählt, was er für Mühe gehabt habe, ihn nach der Professe zu beruhigen und wie er schon einigemal versucht habe, zu entspringen: Dieses hätten sie wohl nicht mehr zu beförchten; denn er wäre in eine Zelle gebracht worden, worin ein wunderthätiges Marienbild stühnde – Dieses habe einst, als ein Professe, der auch entsprungen, und, wie sie hernach erfragt hätten, ertrunken sey, vor ihm gekniet, ihm den Rücken zugewandt, und stühnde noch heutigen Tags verkehrt in der Zelle. Glücklicher Mensch, wenn ihn ein umgedrehtes Marienbild beruhigen kann! Aber er ist nicht beruhigt, Bruder; ich sehe zu deutlich auf seinem Gesicht und in seinen Gebehrden, daß er den Vorsatz zu entwischen nur so lange aufgegeben hat, als er ihn nicht ausführen kann.

Die übrigen scheinen wenigstens alle mit ihrem Stand sehr zufrieden zu seyn. Wenn ich ihre Lebensart, und ihren Wohlstand lobe, so gestehen sie einstimmig, daß sie sich recht wohl befänden: Ihr Kloster aber käme mit der Karthaus zu Mainz an Schönheit, Reichthum und Lage, in gar keinen Vergleich. Von dieser wissen sie gar viel zu sprechen.

Die Lage dieser Karthaus ist herrlich, gerade der Mündung des Mains gegen über. Sie sieht auf eine Stunde am linken Ufer des Mains hinauf den goldenen Hügel von Hochheim, welcher Flecken wie eine Krone auf dem Hügel sizt. Rechts am Main die schöne Ebene von Darmstadt. Links den Rhein herunter die Stadt Mainz, einige Auen, und hinter diesen die Berge vom Rheingau, sie liegt auf einem kleinen Hügel, und schaut in die Churfürstliche Favorite, die nur durch eine Mauer von ihr geschieden ist, herab. Hier soll das nämliche Marienbild seyn, wovon eben geredet wurde; so versicherte man den Herausgeber.

Wenn einer eine gegründete Klage gegen seine Karthaus hat – zum Beyspiel die Luft bekomme ihm nicht wohl – so darf er in eine andre verschickt werden. Wie wenig bey solchen Klagen auf das Gelübde der Armuth gesehen wird, läßt sich daraus schließen, daß sie Erlaubnis das Kloster zu wechseln bloß deswegen bekommen, weil sie das Bier nicht vertragen können, und ihre Karthaus keinen Wein hat. Ich dächte, ein Mensch, der im strengsten Verstand Armuth schwört, könnte mit Wasser vorlieb nehmen – Nicht als wenn ich ihnen ihren guten Wein mißgönnte, behüte Gott! Ich wünsche jeder Karthaus den berühmten vollen Keller der Mainzischen – aber ich kann es nur nicht mit der strengen Armuth zusammenreimen.

So wenig nun den Karthäusern das Gelübde der Armuth Seelenblähungen verursacht, so wenig können sie das geringste, was auch nur in der weitesten Entfernung Anlaß zur Unkeuschheit geben kann, verdauen. Sie sind geschworne Feinde des schönen Geschlechts; und dörfen kein Frauenzimmer – nicht einmal den Saum seines Oberrocks – mit freyem Auge ansehen. Kömmt eines aus Vorsatz oder Irthum in ihr Kloster, so wird hinter ihm drein gekehrt, damit nicht unreiner Staub dem Geruch ihrer Seelen beschwerlich falle. Während meines hiesigen Aufenthalts ist es geschehen, daß eine Dame den Einfall hatte, die Karthaus zu besehen. Ein Kavalier, der im Kloster sehr bekannt ist, führte sie in Mannskleidern durch den Kreutzgang. Aus Bosheit oder Muthwillen war schon die Maske von jemand verrathen, und die Dame wurde würklich – hinausgekehrt. Das ist nun doch – sehr gelinde betitelt – Narrheit. Jeder hat doch, ehe er ins Kloster gieng, Frauenzimmer gesehen; und wenn er also nicht combabisirt oder origenesirt ist, so bleiben noch eine Menge Sünden in Wort und Werke gegen die Keuschheit möglich, wenn er auch kein Mädgen mehr sieht. Im Gegentheil werden diese Sünden durch das strenge Verbot alles Umgangs mit dem andern Geschlecht befördert, weil die tägliche Erinnerung dieses Verbots sie doch an Frauenzimmer denken macht, ihre Phantasie durch das Klösterliche höher gestimmt ist, und ihr Körper durch die übertriebne Menge von Eyerspeisen gereizt wird. Denke nur, Bruder – auf die Fasttäge bekommen sie gemeiniglich zum Nachtessen drey oder wenigstens zwey gesottne Eyer. Ein Ey giebt dem Körper so viel Nahrung, als ein Pfund gutes Rindfleisch – und die Karthäuser fasten mit wenigstens zwey Eyern und einer ziemlich starken Portion des besten Brods – und einer Kanne Wein!

Wenn man sie mit den alten syrischen Mönchen vergleicht, die, um ihre Enthaltsamkeit zu prüfen, in Bäder und Hurenhäuser das Frauenzimmer verfolgten; so wird man wirklich verlegen, welche von ihnen man für die größten Narren erklären soll. Wie unbestimmt im Grunde der Begriff von Tugend ist! Wie sehr er von Klima, Gewohnheit, Erziehung, oder Noviziat abhängt! Die alten Mönche in Syrien glaubten, daß Keuschheit nur Tugend sey, wenn sie geprüft, wenn sie der Gefahr ausgesezt würde; und die Karthäuser glauben, daß man schon eine Unkeuschheit begeht, wenn man auch den unschuldigsten Gegenstand mit freyem Auge ansieht. Zwischen diesen beyden Extremen liegt wohl die Tugend in der Mitte, wird aber bekanntlich von den Schwärmern verachtet und angespien. Der ehrliche Bürger, der weder aus Trotz auf seine Enthaltsamkeit in Bordels läuft, noch Konvulsionen bekömmt wenn er eine von dem Schöpfer metamorphosirte Adamsrippe erblickt – sondern sein Weibchen in Lieb und Treue herzt – der schlendert zwischen beyden Luftspringerbanden dem Himmel geradezu; und mancher der Kapriolanten bricht sich unterdessen das Bein, oder gar den Hals. Mich wundert es in der That, daß kein Patriarch auf den Einfall gekommen ist, einen Kastratenorden zu stiften. Bey der grossen Mühe, welche sich die Ordensstifter gegeben haben, die schönste Hälfte der Natur zu unterdrücken, und die Nachwelt zu entvölkern, wäre das Verschneiden der kürzeste Weg gewesen, ihren Zweck zu erreichen.

Da die meisten sehr jung in die Karthaus, und gerade aus der Schule gekommen sind, so ist die Sphäre ihrer Kenntnisse von Dingen unter dem Monde höchst enge. Sehr natürlich ist es, daß sie zum Lachen leichtgläubig sind, besonders die, welche keine Freude am Lesen haben. Wenn jemand zu ihnen kömmt, und viel gereist ist, so hat er seine liebe Noth mit Erzählen: Aber kek kann er ihnen Hottentotten mit langen Schwänzen; Riesen, die ihre Köpfe unterm Arm tragen, und, wenn sie etwas niedriges sehen wollen, solche mit den Händen auf den Boden halten; und kurz das tollste zeug vorlügen, ohne daß ihm widersprochen wird.

Gestern wurde von Schiffen geredet: Sie fragten mich, ob ich noch keine gesehen habe? Ich sagte ihnen, grosse Schiffe habe ich noch nicht gesehen. Nun fiengen sie an Wunder zu erzählen, was ihnen ein Kapuziner, der von Venedig nach Palästina gefahren ist, von Schiffen gesagt hat: Die venetianischen Schiffe wären von Leder; und ringsum recht wohl verwahrt, daß weder oben noch unten auch nur ein Tropfen Wasser hinein könnte: Da wären nun die Leuthe alle drinne, und das Schiff würde immer wie ein Ball von Wellen und Wind fortgekugelt, daß den Augenblick der obere Theil unten, und der untere oben sey: Die Leuthe müßten sich inwendig vest anbinden, oder sie würden immer mit dem Schiff herumgerollt, und könnten so den Hals abstürzen. Ich weiß nicht, wars Prahlerey, oder Muthwillen von dem Kapuziner. Ich machte ihnen eine Beschreibung von Seeschiffen, so wie ich sie von vernünftigen Augenzeugen hatte; daß sie eben so von Holz, und fast auch auf die Art gebaut wären, wie unsre Holzschiffe; sezte die Masten und Segel darauf etc. Aber meine Schiffe fanden nicht so viel Beyfall, als des Kapuziners lederne; und sie waren einig, daß man mich entweder belogen hätte, oder die Schiffe andrer Nationen müßten von den venetianischen sehr unterschieden seyn.

Unter dem grossen Haufen Manuscripten in der Bibliothek, die meistentheils Predigten für das Hausgesinde sind, fand ich eine alte französische Abhandlung über die Eitelkeit der Welt, vom seligen Bruder Hugo, geschrieben im Jahr 1620. Entweder glaubten die Kartäuser in diesem Bändchen nichts anders zu finden, als den uralten salomonischen Denkspruch: Alles ist Eitelkeit, wodurch ohnehin alle ihre Bücher voll sind; und sie lasen es also nicht, weil sie nichts neues darin vermutheten: Oder es blieb ungelesen, weil sie noch keinen Bibliothekar hatten, der Französisch oder Altfranzösisch verstuhnd. Die Hauptabsicht des Verfassers ist, zu beweisen, daß, da alles Eitelkeit ist, es unter allen Eitelkeiten die größte Eitelkeit sey, sein einziges Geschäft für sein Lebenlang daraus machen, das vanitas vanitatum den ganzen Weltlauf hinanzubellen. Seine Betrachtungen über die Triebfedern der moralischen und physischen Welt sind sehr gefährlich: z. E. Wie wenig der Mensch von sich abhänge; wie sehr er Sclave vom Ohngefähr und den geringfügigsten Umständen, Sklave seiner eignen Eingeschränktheit ist, u. dgl. – Er führt das Beyspiel ihres Ordensstifters, des Heiligen Bruno an – Wie eitel der Entschluß dieses geistlichen Vaters – wie eitel die Nachfolgung seiner Kinder sey, da der ganze Orden im Grunde von einer Unverdaulichkeit, vielleicht einem Dutzend zuviel gegessener Austern, eines Cölnischen Domherrn abhienge.

Durch den Tod dieses Domherrn wurde Brunos Bekehrung veranlaßt.

Er ruft dann sehr pathetisch aus: Wie, Tugend und Laster, gute und böse Unternehmungen, Heiligkeit und Verdammung von einem Dutzend Austern, und oft von Einer Auster, oder einem guten oder schlechten Gläschen Wein abhangen! Drauf fragt er sehr trotzig den Sokrates, Aristoteles, Plato, Salomo, und eine Menge andrer Weisen, ob sie mit all ihren Speculationen einen Unterschied zwischen Tugend, Laster, und der Laune (humeur) finden könnten? Sie sollten ihm antworten. – Und da er keine Antwort von ihnen bekömmt, so antwortet er selbst: daß die Tugenden und Laster, alle moralische Bewegungen, eitle, kindische Launen seyen, ein Spiel unsers Bluts; und nun sezt er wieder, wie beym Schluß jedes Paragraphs, das salomonische Sprüchlein bey: Vanitas vanitatum, & omnia vanitas! Nun folgt eine drollige Betrachtung, wie sehr das Menschengeschlecht Sklave seiner Eingeschränktheit in seinem Thun und Lassen wäre. Höre nun Bruder, wie drolligt er anfängt: Wenn mich ein Ochs stößt, oder ein Hund beißt, und ich schreye: Hohle dich der Teufel! So wird sich kein Zuschauer an meinem Fluche ärgern: Kömmt aber ein Schauer, und schlägt mir die Fenster ein, verwüstet mein Gärtchen, und ich fluche dem Wetter, so schreyt jeder Zetter über mich. Warum? Fragt er: Weil der Hagel ein Geschicke Gottes ist, dem ich nicht fluchen darf, sagen sie. Ist denn der Hundsbiß nicht auch ein Geschicke Gottes? Gott hat freylich Wasser, Erde und Luft gemacht, mit all ihren Kräften, und hat sie so und so verbunden. Nun steigen die Dünste der Erde und des Meeres ganz mechanisch empor; verdicken sich durch allerley Bewegungen ganz mechanisch, und werden der untern Luft ganz mechanisch zu schwer; gefrieren in der Kälte, und schlagen mir nun ganz mechanisch Fenster und Garten zusammen. Gerade so gehts mit dem Hundsbiß. Gott hat dessen Mutter und Vater geschaffen. Er wurde gebohren; seine Nerven und sein Blut kamen jezt, so mechanisch und nothwendig, alles wie beym Wetter, in die Bewegung, daß der Biß unvermeidlich war. Nun aber kann es sich fügen, daß mir die Würkungen des Schauers viel schädlicher werden, als der Hundsbiß; und vernünftiger Weise sollte mir in diesem Fall das Fluchen verzeihlicher gegen das Wetter, als gegen den Hund seyn. Warum verzeihen sie mirs aber nicht so leicht? Weil sie über den Hund mehr unmittelbare Gewalt haben, als über das Wetter; das schmeichelt ihrer Eigenliebe; und diese gebiert den tyrannischen Wahn, daß Fluchen und Schlagen gegen alle mehr untergeordnete Dinge eher erlaubt sey, als gegen die welche außer unserm Würkungskreise sind. Dieß nun ist eine Ursache; und die zweyte ist: Weil sie aus Blindheit glauben, daß Gott auf den Schauer unmittelbarer würke, als auf den Hundsbiß; und dieser Irrthum macht nun, daß sie gegen das Wetter mehr Ehrforcht oder Religion haben, als gegen den Hund. Die Eingeschränktheit ihrer Einsicht aber, welche diese Ehrforcht verursacht, ist doch wahrhaftige Eitelkeit; so wie auch die obbemeldte Eigenliebe und Tyranney vanitas vanitatum, & omnia vanitas ist.

In den folgenden Absätzen läßt Bruder Hugo noch deutlicher merken, daß, wenn er kein Atheist, doch wenigstens ein abgeschmackter, toller Deist sey. Er schließt seine Deklamation damit, daß er sagt, der Gipfel aller menschlichen Eitelkeit hienieden wäre, daß es Leuthe gebe, die am meisten von dieser Eitelkeit überzeugt seyn, und doch ihr Geschrey über Eitelkeit, und ihre Verachtung der nichtigen Welt so geltend und wichtig machen wollten, daß sie damit in den Himmel stürmten. O eitle Eigenliebe, sagt er! Unter allen Eitelkeiten soll gerade ihr Bauchgrimmen über Eitelkeiten ganz allein selbständig und gut seyn! Er ermahnt dann seine Ordensbrüder, in dem Wort vanitas ihre eigne Wenigkeit ja mit einzuschließen; selbst ihr Gebet, ihre guten Werke, ihre Tafel, und ihren Keller; und besonders sollten sie eben ihre Verachtung der irdischen Dinge als eitel verachten, indem sie auch eine menschliche, irdische Handlung sey, und vanitas vanitatum, & omnia vanitas.

Wenn die Karthäuser wüßten, welches Gift in diesem Manuscript verborgen läge, mit Fluch und Verdammung würden sie es in aller Feyerlichkeit verbrennen. In der Vorrede sagt Bruder Hugo etwas von seinem Lebenslauf – Wie er sich mit allem Fleiß und Ruhm lange Zeit auf der Universität zu Paris den Wissenschaften gewiedmet habe; dann lange als Civilbedienter seinem Vaterlande gearbeitet, und aus Gram über eine unglückliche Liebe seine Stelle verlassen habe – Da habe er zum erstenmal die Eitelkeit der Welt erkannt. In seiner Verzweiflung sey er in den Krieg gegangen; da habe er sich recht von aller Eitelkeit überzeugt. Er erzählt dann, wie er zu Wasser und Lande noch herumgehudelt wurde; und endlich aller Eitelkeit satt in die Karthaus gienge, um dem eitlen Weltgetümmel zu entfliehn. Er habe aber gefunden, daß eine Karthaus auch Eitelkeit sey, und deswegen nöthig erachtet, dieses Werklein zu schreiben. Alle frommen Kirchenlehrer, alle Freygeister von allen Fahnen, alle guten und bösen Leuthe sind einig, daß alles unter dem Monde Eitelkeit ist: Fragt man aber den Kirchenlehrer, ob sein Foliant z. B. von dem Himmelreich, oder der geistlichen Hierarchie, auch Eitelkeit sey; so weiß ich nicht, ob man bey all seiner Frommheit nicht Gefahr laufe, den Folianten sehr unsanft vor den Kopf zu bekommen. Frage du den Zeloten, ob auch seine Strengheit, den Mönch, und auch seine Kutte Eitelkeit seye! – Im Grunde sind die Rotten Freygeister mit Salomon und sich selbst einiger und gleicher, als diese frommen Männer; denn sie legen doch ihren eignen Bemühungen nicht das Gewicht, nicht die trozige Zuverlässigkeit bey, als die andern. Mit mir muß es nun besser werden, lieber Bruder! Durch diesen Zufall werde ich gewiß gegen alle fernere Unternehmungen der Mönche sicher gestellt. Meinem Dechant ist ohnehin schon alle Lust vergangen, nach seinem löblichen Model einen Pfarrer aus mir zuzuschneiden. Nun merk auf, Bruder, nun kömmt noch das Beste! Gestern kam der Prior und Schafner der hiesigen Karthaus aus der Stadt zurück. Sie waren bey dem Consistorialrath **, und es wurde viel von mir geredet. Du weist, die Pfarre ** ist vakant, und der Consistorialrath versicherte meine lieben Mönche, daß ich die beste Hoffnung hätte, diese Pfarre zu bekommen. Es geschehe theils wegen meinen s. v. Verdiensten; theils zur Satisfaction meines unschuldigen Arrestes. Das wäre nun mehr, als ich mir zu wünschen getraute. Ich wäre um zwey Drittel näher bey dir, und hätte allerdings dreymal so viel Einkünfte, als jezt. Lebe wohl, Bruder!


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