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Der Geldpreis und die Sitte

1857.

I.

Mit melancholischen Betrachtungen über das theuere Pflaster der norddeutschen Städte wanderte ich zu Fuß von Vegesack nach Bremerhafen. Der einförmige Weg ließ mir Muße genug, meine Gedanken über den Unterschied süd- und norddeutschen Geldpreises zu ordnen und über den Widerspruch von alten Volksmeinungen und moderner Nationalökonomie. Es gibt ja nicht blos religiösen und poetischen, sondern auch nationalökonomischen Volksaberglauben und Volksgespenster, wie z. B. der Wucher. Sollte es auch ein solcher Volksaberglaube sein, daß man im Guldenlande mit dem Gulden so weit reiche, als im Thalerlande mit dem Thaler? – ein solches Volksgespenst, daß das süddeutsche Volk sich förmlich fürchtet vor den Thalern, weil es glaubt, die norddeutsche Theuerung sei ihnen aufgestempelt? Der oberländer Reisende kann freilich beim Eintritt in den rheinischen Südwesten sein Budget getrost verdoppeln, beim Einzug in die norddeutschen Städte verdreifachen, und so die Lehre von der Dreitheilung Deutschlands recht mit Händen greifen. Andererseits erhitzt sich der Groll des altbayerischen Spießbürgers gegen alles Norddeutsche gelegentlich an der Kunde, es habe irgend ein Berliner im hellen Staunen über die billigen Zechen des oberbayerischen Gebirgs den Wirthen gesagt, sie möchten doch keine so naiven Esel sein und ihre Preise so lächerlich niedrig stellen.

Der Nationalökonom wird diesen Unterschied des Geldpreises durch den entwickelteren Handel und Verkehr des Nordens zu erklären suchen durch das Vorwiegen größerer Städte und den Einfluß Englands an den Nordseeküsten, wohl auch durch die höhere Regsamkeit des norddeutschen Volkes, welches – materiell und geistig – weniger Kapital ruhen läßt und schon dadurch überall mehr Kapital zu besitzen scheint als der langsamere Süden. Allein diese Gründe erklären zwar Vieles, doch nicht Alles. Denn auf ganz verkehrsarmen Haiden und Hochrücken des mittleren und nördlichen Deutschlands zehrt man in eben dem Grade theuer, als billig an mancher reichbelebten malten Hauptstraße des oberdeutschen Hochgebirgs.

Unter diesen Erwägungen wurde ich vom Dunkel überrascht und mußte in einer ziemlich elenden Schnapskneipe am Saume der Geest Nacht machen. Die Wirthsstube erinnerte mich auf ein Haar an ähnliche abgelegene Herbergen in unsern magern mitteldeutschen Bergstrichen; aber als mein Abendbrod bereitet war, servirte mir der Wirth seitab im Staatszimmer, das ganz städtisch eingerichtet und ausgeputzt erschien, wie man's bei uns in einer Bauernschenke mit einem Strohdach niemals finden wird, und legte mir gar zweierlei Brod vor und, ganz vornehm, zweierlei Teller für Schinken und Eier. In sonst völlig ebenbürtigen Schenken meiner mitteldeutschen Heimathberge müßte man statt solchen Tafelluxuses vielmehr gewärtigen, daß die Wirthin Einen frage, ob man auch ein Messer brauche, und wo wir so unglücklich wären, keines in der Tasche zu führen, da putzt sie das schmutzige, schartige Ding erst vor unsern Augen an ihrer Schürze ab. Ich notirte mir im Gedächtnis; diese Thatsache für meine Betrachtungen über den Unterschied nord- und süddeutschen Geldwerthes. Denn es war ja natürlich, daß ich bei der gegen eine süddeutsche Kneipe gleichen Schlages allerdings bedeutend höheren Zeche nicht nur die Speisen und Getränke, sondern auch die Polsterstühle und Wolkenvorhänge der Staatsstube mitgenossen und mitbezahlt hatte und zweierlei Teller und die Gabel mit dem unerbetenen Messer, dessen Reinigung ich nicht mitanzusehen verdammt war.

So trat mir der Gedanke nahe, der Preisunterschied zwischen Süd und Nord dürfte doch nicht so groß seyn, als er sich obenhin darstelle, wofern man nur mit vollkommen gleichartigen Größen gegeneinander rechne. Der Unterschied der Sitte erschwert es uns aber freilich gar sehr, die wirklich gleichartigen Grüßen herauszufinden.

Des andern Morgens wanderte ich in die fetten Wesermarschen hinaus und spazierte so in einer heitern und lehrreichen Woche durch die Osterstader Marsch und das Land Wursten und Hadeln um die Spitze von Cuxhafen herum und durch das Land Kedingen hinüber zur Mündung der Elbe. Obgleich mich auf dieser vergnüglichen Wanderung die Gastfreundschaft alter und neuer Freunde eigentlich kaum recht erfahren ließ, ob man mit süddeutschem Geldbeutel hier theuer oder billig lebt, so wurde mir doch durch die höchst originellen Zustände gerade dieses Küstenwinkels recht deutlich, daß der Urgrund nord- und süddeutschen Geldpreises viel mehr ein socialer als ein wirthschaftlicher ist.

Um historisch zu beginnen, fange ich auf dem Kirchhofe an. Bei einer altromanischen Tufsteinkirche im Lande Wursten sah ich Grabsteine von Bauern aus dem sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Die alten Bursche waren nach ihrer ganzen Länge im Relief ausgehauen – im spanischen Mantel, mit dem Barett auf dem Kopfe und dem Degen zur Seite, auf dessen Knauf die Hand so trotzig ruhte, als sei der Mann ein Graf oder Herr und nicht ein einfacher Wurster Bauer gewesen.

Es ist also etwas altüberliefertes, wenn die Bauern dieser Marschen auch heute noch als Herren sich kleiden und als Herren leben. Noch wohnen sie freilich im uralten Sachsenhause mit dem mächtigen Strohdach, und der Haupteingang führt durch den Kuhstall, als die eigentliche Prunk- und Schatzkammer. Aber hintendran kommen auch noch ganz andere Prunkgemächer, mit dem reichsten städtischen Comfort ausgerüstete Zimmer, geschmückt mit Teppichen und Mahagoni-Meubeln, prächtigen Spiegeln und Bildern, so recht städtisch herrenmäßige Räume nach dem neuesten Geschmack, in denen manchmal selbst eine elegante kleine Bibliothek nicht fehlt. Und der Garten hinter dem Hause ist kein Bauerngarten, sondern ein anmuthiger kleiner Herrengarten, dessen verschnittene Linden und Taxusbäume wiederum bezeugen, daß auch vor hundert Jahren schon diese Bauern vornehme und feine Leute gewesen sind. Die Wolkenvorhänge, welche mich bei jener Schenke an der Geest im Staatszimmer überrascht hatten, fand ich hier gar in der Küche wieder. Einen solchen Großbauer nennt man einen »Hausmann«, wenn man aber sieht, was bei ihm Küche und Keller zu leisten vermag, dann kann man den herkömmlichen Sinn des Wortes »Hausmannskost« nur noch wie lucus a non lucendo nehmen.

Man denkt wohl zunächst, weil die landschaftlich so einförmige, oft unwegsame, dem stäten Kampf mit Wind und Wasser preisgegebene Marsch den Menschen gar wenig aus dem Hause lockt, so haben die reichen Leute ganz klug daran gethan, ihr Haus und ihren Garten möglichst reizvoll auszuschmücken, und wenn sie ihr Haus gleich den Engländern und ihren Garten gleich den Holländern halten, so müssen's ihnen auch die Engländer bezahlen. Der englische Zuchtstier mit seinem gedruckten und wohlbeglaubigten Stammbaum von vier und mehr Ahnen wandert in die Marschen hinüber, und das englische Zuchtschwein, eine wandelnde Fettwalze mit vier winzigen Beinen, dessen Nachkommenschaft haarsträubend rationell gezwungen wird, seine Zeit blos zwischen Fressen und Liegen zu theilen; – dafür gehen dann aber auch die Mastochsen der Marsch, so kunstreich ausgefüttert, daß man ihre hintere Fronte mit einem Holzklaftermaß in's Quadrat messen kann, nicht umsonst in ganzen Dampfschiffladungen nach London zurück.

Nun drängt sich aber die weitere Frage auf, ob denn diese Hausleute mit ihrer Großwirthschaft, mit städtischem Luxus und städtischer Bildung noch wirkliche Bauern genannt werden können? Man kann nicht rundweg mit Ja oder Nein antworten. Ohne Zweifel repräsentiren sie die sociale Macht des Bauernstandes im ganzen Lande; denn der neben ihnen sitzende kleine Mann, der »Köthner,« der freilich noch in vollkommen bäuerlicher Naivetät dahin leben mag und mitunter, – von Gardinen an den Küchenfenstern ganz abgesehen, – nicht einmal einen Kamin oder Schornstein besitzt, sondern gleich den Lappen, Finnen und etlichen Spessarter Bauern den Rauch zu Thüre und Fenster ausströmen läßt und darum seine Schinken zur Noth in der Wohnstube oder im Kuhstall räuchern könnte – dieser Köthner entbehrt noch immer jeder selbständigen socialen Geltung. Die bäuerliche Gesittung also findet in der That ihre Träger in den reichen Hausleuten. Diese aber haben seit alter Zeit städtische Bildung und städtischen Luxus auf das Land verpflanzt, d. h. eine Menge von idealen und eingebildeten, wichtigen und nichtigen Bedürfnissen sind landläufig geworden und eben damit ward das Leben theuerer. Nicht die Dinge an sich stiegen zunächst im Preise, sondern die kostspieligen Nebenbedürfnisse mehrten sich. Ergibt sich aber die ganze tonangebende Gesellschaftsschichte solchen Bedürfnissen, so weiden sie zur Sitte des Landes und selbst bei den einfachsten Gegenständen der Lebensnothdurft thatsächlich so gut als im Preise mit eingerechnet. Die Volkssprache bezeichnet diesen Zustand höchst logisch und treffend mit dem Ausdruck: »das Leben wird theuerer.« Denn in der That steigt zunächst gar nicht der Preis an sich und das Geld wird nicht wohlfeiler, sondern die Lebensart wird kostspieliger, die Sitte anspruchsvoller, wodurch dann in zweiter Linie allerdings neben der scheinbaren auch eine wirkliche Preissteigerung eintreten muß.

In dem üppigen Weizenlande des Donaugaues zwischen Regensburg und Passau kann man noch einen Feststaat der reichen Bäuerinnen sehen, der an Kostbarkeit gewiß nur bei dem Putz der vornehmsten Damen seines Gleichen sucht. Denn Häubchen, Rock und Mieder sind von den schwersten Seidenstoffen, mit Goldstickerei bedeckt, das Mieder mit goldnen Ketten, Medaillen und anderem massivem Schmuck behangen, Haube, Mieder und Schuhe aber manchmal gar mit ächten Edelsteinen besetzt. Allein das Ganze ist doch ein standesmäßiges Bauernkleid, durchaus nicht vergleichbar dem Herrenkleid jener alten Wurster Bauern, und die Bäuerin, welche einmal im Jahr einen solchen Rock anlegt, beschränkt sich an allen übrigen Tagen auf einfache Bedürfnisse und lebt billig trotz jener ungeheuern Verschwendung.

So verkehrt die alten Luxusgesetze und Kleiderordnungen waren, so lag ihnen doch Ein gesunder Gedanke zu Grunde. Sie gehen nämlich von dem Satze aus, daß ein überstandesmäßiger Luxus zumeist das Leben vertheuere. Darum sind diese Gesetze auch nicht von Volkswirthen angeregt worden, sondern von denen, die sich für die berufenen Wächter der öffentlichen Sittlichkeit hielten, von den Theologen. Eine Verschwendung innerhalb der Gränze der Standessitten kann vereinzelt stehen bleiben, eine Verschwendung, welche diese Gränze überschreitet, wird es niemals. Ein Gelehrter mag zweitausend Gulden im Jahre für Bücher ausgeben und doch in allem Uebrigen so bedürfnißlos bleiben, wie vorher; wenn er aber zweitausend Gulden für Equipage ausgibt, so werden sich auch seine übrigen Bedürfnisse verdoppeln. Erstreckt sich dieses Überschreiten der Standessitte auch nur in Einem Punkte auf eine ganze Volksgruppe, so tritt sofort entschiedene Vertheuerung des Lebens ein.

In einem Lande, wo die Bauern noch standesmäßig bäuerlich leben, wird auch – bei sonst gleichen Verhältnissen – das Leben billiger sein, als in einem Lande mit verstädtelter Bauernschaft. Ja man kann kurzweg sagen, wo noch ächte Volkstracht herrscht, da lebt man billig. Denn dieser Bauernrock ist das Wahrzeichen des naiven Bauernthums, welches noch wenig eingebildete Bedürfnisse kennt, wenn auch in einzelnen Punkten – bei Hochzeiten, Kirchweihen u. – ausnahmsweise ein großer Luxus, ja eine unsinnige Verschwendung herrschen sollte. Darum verachten und verspotten die meisten Fabrikanten und Kaufleute, ingleichen alle Musterreiter und Hausirer mit gutem Grund die bäuerliche Volkstracht, denn deren Herrschaft verheißt ihnen einen schlechten Markt für kurze und lange Waaren.

Man klagt in neuerer Zeit, daß im ganzen Niedersachsenland, von der südwestlichen Ecke Westfalens bis hinüber nach Schleswig-Holstein, der reiche Großbauer, welcher bis dahin für so eichenfest und eichenhart in seiner Standessitte galt, zusehends mehr städtischen Genüssen sich ergebe. Dadurch steigert sich natürlich die Kostspieligkeit des nordwestdeutschen Lebens überhaupt, selbst wenn jene Bauern für den neuen städtischen Luxus keinen Kreuzer mehr ausgäben als für den alten bäuerlichen. Ja es kann den Einzelnen billiger kommen, an den langen Winterabenden ein »Casino« im Dorfe zu besuchen, als nach väterlichem Herkommen auf Metzelsuppen und in Spinnstuben der Geselligkeit zu leben. Dennoch wird ein solches Bauerncasino alsbald das Leben im Allgemeinen vertheuern, denn mit dem städtischen Wort kommt das städtisch elegante Local und städtisches Kleid und tausend bis dahin unbekannte und wirklich eitle städtische Moden, die zuletzt das ganze Leben umspinnen und mit der scheinbaren Preissteigerung auch die wirkliche in jeder Nothdurft heraufführen. Ich habe wohl in Oberdeutschland gesehen, daß reiche ächte Bauern bei Wallfahrten und ähnlichen Volksfesten das Kegelspiel in ein gräuliches Hazardspiel verwandelten, indem je vier Mann zusammen zwei bis vier Gulden auf die Bahn warfen und dann je einen Wurf thaten, und wer die höchste Kugel hatte, der steckte gleich den ganzen Einsatz ein, und in dieser kindisch einfältigen Weise ging das Spiel rastlos fort, daß ein unglücklicher Spieler im Handumdrehen und geschwinder als man eine Maß Bier trinkt etliche Louisd'or verlieren konnte. Den Spielern wird zwar auf diese Art die Wallfahrt theuer, aber das Leben im Lande wird doch nicht Allen vertheuert, wie wenn die Bauern sich in's Casino setzen und Whist spielen.

Kostbare oder billige Sitten sind eben so entscheidend für die örtliche Billigkeit des Lebens, als die hohen oder niederen Preise der nothwendigen Bedürfnisse an sich. Selbst die Geschichte der Kornpreise, auf deren Boden die Nationalökonomie gleichsam ihre fundamentale Gradmessung vorgenommen hat, um darnach ihre Meridiane und Breitekreise bequem über das ganze wirthschaftliche Leben zu spannen – selbst die Geschichte der Kornpreise erhält manchen neuen Lichtstrahl durch die Geschichte der Sitten. Andauernd hoher Kornpreis fördert nur den reichen Bauer, den Kleinbauer drückt theuere Zeit ebensogut wie den Bürger. Der Großbauer wird bei andauernd geringen Ernten zuletzt mehr Kornhändler als Bauer und bringt mit diesem bürgerlichen Beruf in seinem gefüllten Geldbeutel zugleich allerlei städtischen Luxus auf's Land zurück. Wenn manche westfälische Bauern jetzt einen Theil des Jahres ihrem Gute den Rücken kehren, um eine »Saison« in der Stadt zu verbringen, und auf ihren Gehöften oder Dörfern Casino's gründen, wo Polka getanzt und Whist gespielt wird, so ist dies sicher mit eine Folge der vieljährigen hohen Kornpreise. Nun wird aber durch die Einführung der kostbareren Sitten nicht nur das Leben des Einzelnen, der die neue Weise mitmacht, sondern allmählig des ganzen Landes vertheuert. Denn bei dem aristokratischen Bauernvolk wirkt ein von oben und im eigenen Stande gegebenes Beispiel ganz besonders energisch, und der kleine Bauer, den die theuere Zeit eigentlich keineswegs bereichert hat, wird doch zuletzt in die anspruchsvollere Sitte mit hineingezogen. Zur wirthschaftlichen Vertheuerung gesellt sich also eine sociale. Die wirthschaftliche weicht, denn nach sieben mageren Jahren kommen auch endlich wieder sieben fette; die sociale dagegen bleibt. Es ist unerhört, daß ein Volk friedlich und freiwillig von üppigern Sitten zu einfacheren zurückgekehrt wäre. Schwere Kriege und Revolutionen, Völkerwanderungen und Völkerzertrümmerungen, in Summa nur die schwersten Gerichte Gottes vermögen ein solches Wunder zu wirken. Darum trägt die in Folge theuerer Jahre fast immer eintretende Vertheuerung der Sitten auf dem Lande wesentlich dazu bei, daß das Leben auch bei den günstigsten Ernten doch nachgehends nie wieder so billig wird, als es vorher gewesen. Durchgreifende Aenderung, ja vollständige Auflösung der Volkstracht erfolgt fast immer mit und nach den hohen Kornpreisen. Ich bemerkte schon oben, daß das Beharren bei dieser Tracht, wenn man von Land zu Land sieht, ein Wahrzeichen billigen Lebens sei. So ist es auch, wenn man von Zeitraum zu Zeitraum blickt.

Man könnte jedoch meinen, wenn theuere Zeit auch wirklich den Bauer zu üppigeren Sitten führe, so zwinge sie dagegen den Bürger, um so sparsamer zu Hausen, und so hebe eine Wirkung die andere auf und das Ergebniß für die Vertheuerung des Lebens im Allgemeinen sei wieder gleich null. Zeitweilig mögen magere Jahre den Städter in der That zu schlichterem Leben zwingen. Allein es liegt in der Natur des beweglichen Bürgers, bei günstigerem Wind um so rascher das Versäumte wieder nachzuholen. In dem Bauer dagegen ruht die conservative Macht der Sitte, und wenn er theuerer zu leben anfängt, so hilft es nichts, daß man in der Stadt spart; das Leben wird doch durchweg theuerer werden. Als im achtzehnten Jahrhundert die vornehmen Leute maßlos verschwendeten und den kostspieligsten Sitten sich ergaben, war trotzdem das Leben unendlich billiger, als jetzt, wo der Adel spart und der Bauer nur erst mit bürgerlichem Luxus zu leben beginnt. Das Dorf ist – oder soll sein – die Burg der Sitteneinfalt. So lange diese Cidatelle sich hält, schadet es wenig, wenn die Außenwerke fallen. Gar Mancher flieht ja auf das Land, um dem theueren Leben in der Stadt zu entrinnen, – nicht den höheren Preisen an sich, sondern den kostspieligeren Sitten. Denn, mit Ausnahme der Wohnung, zahlt bekanntlich der Städter seine Bedürfnisse auf dem Dorfe höher, als in der Stadt und kauft selbst sein Fleisch und Gemüse besser und billiger auf dem städtischen Markte, wo reiche Zufuhr und Concurrenz ist, als unmittelbar bei dem producirenden Bauern. Aber er darf zwangloser, einfacher leben auf dem Lande und lebt darum doch unvergleichlich billiger, und, wenn ihm ein freier Geist und wahre Bildung tausend eitle Bedürfnisse des vornehmen Comforts entbehrlich macht, selbst besser als in der Stadt. Kommen aber die städtischen Sitten in das Dorf, dann schwindet auch hier die freie Wahl zwischen wirklichen und eingebildeten Bedürfnissen und eben in dieser freien Wahl lag die Wohlfeilheit; das Gegengewicht einer – auch wirthschaftlich – beharrenden Macht ist verloren, und so ist in der That ein aus der standesmäßigen Überlieferung herausschreitendes Leben der Bauern das sicherste Zeichen, daß es im ganzen Lande theuer wird. Im Süden erleben wir sogar heute noch die gewiß merkwürdige Thatsache, daß sich der billigste und bequemste Bauernrock, die Loden-Joppe und der Loden-Kittel, bei den Städtern wieder eingebürgert, eine ächte deutsche Volkstracht statt der Paletot-Muster des Pariser Modejournals. Der Norddeutsche geht fleißig auf Reisen, in die großen Städte, in die Luxusbäder, er lernt dort neue städtische Bedürfnisse; der Südwestdeutsche dagegen geht noch viel mehr auf's Land, d.h. in eine Einsamkeit, welche noch nicht gleich der Schweiz, dem Harze, dem Thüringerwald ein Tummelplatz der vornehmen Welt geworden ist; er lebt dort bauernmäßig; braucht dabei freilich mehr Geld, als wenn er zu Hause geblieben wäre, kehrt aber dennoch fast bedürfnißärmer zurück, als er ausgezogen ist. Es liegt übrigens auf der Hand, daß die hier gezeichneten Gegensätze nicht schlechtweg nord- und süddeutsche Zustände darstellen. Ich will in diesem Aufsatze überhaupt nicht den Norden und Süden zeichnen, sondern nehme nur Thatsachen von da und dort zum Erweis meiner Thesen. Auch in Norddeutschland gibt es Bauerschaften von wenig berührter Sitteneinfalt; in ihrem Kreise wird dann allemal das Leben auch nicht besonders theuer sein. Allein im Allgemeinen sind auf viel größeren und zahlreicheren Strichen des nördlichen und mittleren Deutschlands die bäuerlichen Sitten bereits aus den überlieferten Standesgränzen herausgetreten, als im hochgebirgigen Oberdeutschland. Und hierin ist die in der frischweg generalisirenden Volksmeinung behauptete größere Billigkeit des Guldenlandes vor dem Thalerlande allerdings theilweise begründet.

II.

In ganz ähnlichem Verhältniß, wie die Stadt zum Lande, stehen aber auch im Punkte der Sitte und des Geldpreises die meisten niederdeutschen Städte zu den meisten oberdeutschen. Dadurch wird natürlich das billigere Leben im Süden gleichfalls mitbedingt. Zu dem oben charakterisirten Grunde des stärkeren Rückhaltes, den die ländliche Sitte in Oberdeutschland bietet, gesellen sich jedoch hier noch weitere, in örtlichen socialen Zuständen des Städtebürgerthumes selber ruhende Ursachen. Diesen sei zunächst unsere Aufmerksamkeit zugewendet.

Ein ganz besonders feiner Barometer der Sitten ist das Wirthshaus. Nirgends tritt nämlich das öffentliche Vorurtheil greller hervor, als hier, und Tausende, die in ihrem Hause noch selbständig genug sind, einer neuen Mode nicht zu huldigen, huldigen derselben im Wirthshause. Namentlich leuchten unsere großen Hotels als wahre Venetianer-Spiegel des öffentlichen Vorurtheils. Was ist aber die Sitte anders als das gefestete Vorurtheil – im Guten und Schlimmen?

Meine bewußtere Jugend habe ich in engen Gebirgsthälern verlebt und Pflege darum mit Vorliebe die Dinge von unten nach oben anzuschauen und in ihrer Begrenzung und Besonderung, gleichsam als ein Nahesichtiger. Andere, die vom Berge und der Ebene kommen, mögen ihre Rund- und Umschau, welche aus der Ferne und von oben anhebt, ergänzend daneben stellen. Doch vielleicht gelingt es auch mir, indem ich beim Nachfolgenden wieder ganz vom Nächsten und Untersten beginne, allmählig ein wenig auf den Berg und zu einiger Fernsicht in das weite Flachland der Principien zu kommen.

In den altbayerischen Wirthshäusern wird das Brod, auch bei der größten Zeche, dem Gaste besonders vorgerechnet, und wo dies nicht geschieht, da sieht es fast verdächtig aus. Entweder will der Wirth doppelt kreiden, oder wir sind – in der Hauptstadt – aus Versehen gar in ein Hotel gerathen. Jene Sitte hat ein sociales Fundament: sie rührt daher, daß man noch immer voraussetzt, ein Theil der Gäste bringe sein Stück Brod in der Tasche mit nach Art der Arbeiter und Bauern. Das heißt, die ganze Gesellschaft wird in diesen Wirthshäusern, die übrigens auch weitberühmte und vortreffliche städtische Gasthöfe sein können, nach Maßgabe der niederen und mittleren, nicht der höheren Stände behandelt.

Dies ist ein höchst wichtiger Zug, der aber nicht blos bei dem kreuzerweise einzeln verrechneten Brod in den Wirthshäusern, sondern im ganzen socialen Leben hervortritt und durch welchen sich ein großer Theil Oberdeutschlands noch fast allein in unserm Gesammtvaterlande auszeichnet: daß nämlich die allgemeine gesellschaftliche Sitte hier überwiegend noch im Herkommen des Bürger- und Bauernthums wurzelt und nicht der aristokratischen und höfischen Kreise.

Den unbekannten Mann mit anständigem Kleid und halbwegs anständigen Manieren behandelt man in Norddeutschland als »Gentleman.« Es droht dieser englische »Gentleman« – ebenso wie der »Comfort« – in gleicher Weise verhängnißvoll für unser Volksthum zu werden, wie vor zweihundert Jahren der französische »Monsieur« und die »Eleganz.« Denn Beides geht von der Einbildung oder der Heuchelei aus, daß der mittlere Durchschnitt der Gesellschaft in den vornehmen Kreisen und nicht im eigentlichen Bürgerthum liege. Wo man den Unbekannten von vornherein als Gentleman und Monsieur faßt, da muß derselbe auch wie ein großer Herr bezahlen; wo man ihn aber als einfachen Bürger nimmt, da sind auch die Preise bürgerlich. Man spricht ja in solchem Sinn auch von »civilen« Preisen; es wäre gut, diesen Ausdruck, der die Sache in ihrer Tiefe erfaßt, im deutschen Worte gleichfalls festzuhalten. Der unmittelbare Einfluß des englischen Geldpreises auf den Geldpreis unserer Nordseeküstenstädte ist kaum minder entscheidend als der Einfluß englischer Sitte auf den dortigen Geldpreis. Wer das bezweifelt, dem braucht man nur auf die rechte Seite einen »Gentleman« zu stellen und auf die linke einen oberdeutschen Bürger, der sich erst sein gehöriges Stück Brod in die Tasche steckt, bevor er zum Wirthshause geht. Solange in der Schweiz noch oberdeutsche Sitteneinfalt herrschte, war das Leben dort auch billig; erst als mit den anspruchsvollen englischen Touristen der Begriff des Gentlemans und des Comforts einwanderte, d. h. mit den englischen Sitten und Bedürfnissen, nicht mit den Einflüssen englischen Handels und Gewerbes, wurden auch die Preise gentlemanartig und schossen neben der fortdauernden Billigkeit der unberührten Orte wie ein Alpengebirg in die Höhe.

Es wäre eine köstliche Aufgabe für einen Lustspieldichter, der etwas von Holberg's Kraft der niederen Komik und von dessen Gesundheit des Urtheils und der Gesinnung besäße, einen ehrsamen deutschen Spießbürger zu zeichnen, der sich auf der Reise durchaus als Gentleman behandeln lassen muß, der aber mit verschlucktem Aerger sich doch auch wieder gern wie ein vornehmer Herr molestiren läßt und wie ein Herr bezahlt, weil es ihn insgeheim ganz stolz macht, wenigstens von Kellnern und Hausknechten als ein vollkommener Gentleman angefaßt zu werden. Unter dem heiteren Spiel würde sich das ernste Bild eines Geschlechtes verstecken, welches nur nach oben ständisch, nach unten aber standeslos sein will, welches sich das Leben willig vertheuern läßt, um nur standesmäßig zu leben, dabei aber das Wort Stand so erschrecklich fürchtet, daß man selbst in den Fremdenbüchern nicht seinen Stand, sondern seinen »Charakter« einzuzeichnen hat.

Es ist sehr bemerkenswerth, daß in den größeren norddeutschen Städten die soliden und anständigen Wirthshäuser mittleren Ranges mit alten deutschen Namen im Schild fast ganz verschwunden sind und nur noch die Wahl zwischen vornehmen und geringen Häusern geblieben ist, während die größere Billigkeit des Reisens in Oberdeutschland wesentlich noch auf der Möglichkeit beruht, daß hier auch der feinste Mann in einem alterthümlich bürgerlichen, dabei aber höchst bequemen und anständigen Gasthof immer noch absteigen kann. Wie die besondere kreuzerweise Verrechnung des Brodes in Altbayern eine sociale Symbolik einschließt, so gibt die einzelne Berechnung der »Bougies« in den norddeutschen Hotels eine wahre Fackelbeleuchtung für die dortigen Sitten und das theuere Leben. Diese zwei sogenannten »Bougies« werden uns am Abend, wir mögen wollen oder nicht, auf den Nachttisch, und am andern Morgen zu 5 bis 10 Silbergroschen (ein ganzes Pfund kostet 12 Groschen) auf die Rechnung gesetzt, auch wenn wir nur um eines halben Fingergliedes Länge davon abgebrannt hätten. Ein junges Ehepaar aus Süddeutschland, welches seine Hochzeitreise nach dem Norden machte, nahm sich ein eigenes Kästchen für diese »Bougies« mit, um eine so kostbare Beleuchtung nach der Heimkehr im neuen Haushalt wenigstens zu Ende genießen zu können. Im Allgemeinen aber läßt man sich derlei Ueberforderung ruhig gefallen und steckt nicht einmal die Lichter ein; denn es ist doch wohl »gentlemanmäßig,« beim bloßen Auskleiden für 36 Kreuzer Licht zu verbrennen, genau so viel, als in recht anständigen Münchener Gasthäusern das ganze Nachtquartier zusammt der Beleuchtung kostet.

Nicht die Dinge, die man verbraucht, sind in Norddeutschland theurer, sondern die Façon, in welcher sie verbraucht werden. Man muß nicht meinen, weil man in Hannover etwa dreimal so viel für eine Cotelette bezahlt, als in Augsburg, seien die Fleischpreise dort dreimal so hoch, als hier. Denn hier erhalten wir eine Cotelette schlechtweg, dort eine Cotelette mit drei Kellnern – mit drei Kellnern, die englisch und französisch sprechen und sogar hochdeutsch, die meist eleganter aussehen wie wir selbst. Der Philister bezahlt diese Kellner mit Vergnügen doppelt, nämlich einmal im Tarif der Speisekarte und dann unter der Rubrik »Service,« welche den Schwanz einer norddeutschen Rechnung bildet, wie die »Bougies« den Kopf, laut vorsorglich beigedruckter Note aber das Trinkgeld für den Hausknecht nicht in sich schließt. Und warum sollte der Gentleman dieses »Service« nicht mit Vergnügen bezahlen? Ist er nun doch auch wieder einmal flink und unterthänig bedient worden, fast wie ein vornehmer Mann und wie er's im eigenen Hause niemals erleben wird, indeß wir uns im plebejischen Hofbräuhause zu München das Bier selber holen und zu Zeiten wohl gar ein Glas dazu mitbringen müssen, falls wir nicht, wie Diogenes, aus der hohlen Hand trinken wollen. Man kann im Allgemeinen annehmen, daß man billiger zehrt, wo Kellnerinnen (welche Mägde sind) serviren, als wo Kellner, welche junge Herren sind. Zunächst nicht aus wirthschaftlichen, sondern aus socialen Gründen; nicht weil man in der That minder gut, sondern in der That minder vornehm bedient wird. Mit Recht lächelt man jetzt über den Luxus, welchen das Mittelalter mit überflüssiger Dienerschaft getrieben und der in feudalistischen Ländern, wie Spanien und Rußland, theilweise heute noch fortbesteht. Nun ziehen unsere vornehmen Herren freilich nicht mehr mit einem endlosen Dienstgefolge von Müßiggängern auf, dafür aber lassen sich jetzt fast alle Stände, mit Ausschluß der ächten Bauern, durch ein Heer von Dienstboten, Droschkenkutschern, Lohndienern, Kellnern, Tagelöhnern, ja selbst von Gewerbtreibenden zahllose kleine Dienste verrichten, die jeder unbeschadet seiner gemessenen Zeit sehr gut sich selber verrichten könnte und in unserer Väter Tagen auch noch unbeschadet seiner Würde verrichtet hat. Man kann darum kaum sagen, daß der überflüssige Luxus der Dienerschaft geschwunden sei; er ist nur in andere Formen und auf einen größeren Gesellschaftskreis übergegangen. Denn wenn sich z.B. hunderttausend Menschen schämen, ihre leichte Reisetasche höchst eigenhändig zum Bahnhof zu tragen und hierdurch die ständige Dienstleistung von etwa fünfzig Proletariern gefordert wird, so ist dies am Ende kein geringerer Luxus, als wenn Ein großer Herr weiland fünfzig Bediente hinter sich drein laufen ließ. Die Sitte solcher überflüssiger Dienste macht zuletzt alle feinen Leute unbehülflich in den einfachsten Lebensverrichtungen und bricht das Vertrauen auf die eigene Kraft. Sie trägt aber auch selbstverständlich bei zur Vertheuerung des Lebens. Darum kann man unsern jungen Leuten nicht eifrig genug das Fußwandern, ja das wirkliche Reisen zu Fuße predigen. Denn abgesehen davon, daß man kaum auf anderem Wege ein Virtuose der Natur- und Menschenkenntniß und der scharfen Beobachtungsgabe werden kann, lernt man hier erst recht sich selber helfen und ohne Dienerschaft auf den eigenen Beinen stehen.

Viel bedenklicher als die Sitte der überflüssigen Bedienung ist die damit eng verknüpfte Unsitte, einen besonderen Dienst als geschehen vorauszusetzen und aus Vornehmthuerei als solchen zu bezahlen, wo er eigentlich gar nicht vorhanden ist. Ich meine die Unsitte der renommistischen Trinkgelder, die aus den höfischen Kreisen bereits tief in die bürgerlichen herabgestiegen ist. Sie wirkt entschieden mit zur Vertheuerung des norddeutschen Lebens. Immer mit Ausnahme der allerwege theuern großen österreichischen Städte und der Schweiz zeigt der Süden noch wenige Spuren von diesem socialen Krankheitssymptom der Trinkgelder. Hinter der Mainlinie nimmt es seinen deutlichen Anfang; denn schon in Frankfurt kann man bei einem Freunde kaum eine Suppe oder eine Tasse Thee nehmen, ohne der Köchin dafür, daß sie doch nur ihre verfluchte Schuldigkeit gethan, einen halben Gulden in die Hand zu drücken. Hamburg steht in dem Rufe, nächst Wien diesen Unfug auf die Spitze getrieben zu haben. So berührt sich also auch hier der äußerste Norden und der äußerste Süden. Ein sociales Krankheitssymptom nenne ich jene Mode um deßwillen, weil sie lediglich aus einem Kokettiren des Mittelstandes mit aristokratischer Depense hervorgegangen ist, ein Ausfluß jener Tendenz standesmäßig nach oben und standeslos nach unten zu sein. Sie liefert sogar einen der schlagendsten Beweise für die Kraft dieser Tendenz, denn die Leute besinnen sich ja nicht, denn vornehmen Schein selbst mit gutem baaren Gelde zu bezahlen. Der Bayer und der Schwabe aber ist noch so klug, bei solcher Berührung bürgerlichen und aristokratischen Wesens mit George Dandin zu denken: » La noblesse de soi est bonne; c'est une chose considérable assurément, mais elle est accompagnée de tant de mauvaises circonstances, qu'il est très-bon de ne s'y point frotter.« Und dafür lebt er auch um ein Erkleckliches billiger.

Wie bei manchen Silberwaaren, so bezahlt man auch bei tausend Lebensbedürfnissen mehr für die Façon, als für den Metallgehalt. Und gar oft liegt lediglich in dieser höheren Werthung der Façon das eigentliche Geheimniß des theuerern norddeutschen Lebens. Insofern in der Façon eine Fülle von Arbeit steckt, darf der Nationalökonom sich über dergleichen Luxus freuen; der Socialpolitiker wird sich aber auch erinnern, daß zu allen Zeiten, wo man den Luxus mehr in der Façon als im Gehalt suchte – z. B. im achtzehnten Jahrhundert – ein bedenklicher Zustand des socialen Lebens angezeigt war.

Es ist aber, um gerecht zu sein, nicht blos der Luxus der Façon, es ist häufig auch die Zeit, die man in dem wirthschaftlichen Norden höher werthet und bezahlt, als im Süden, und oft glauben wir nur für den müßigen Luxus der Façon – pro studio et labore, wie die Apotheker sagen – bezahlt zu haben, während wir in der That uns ein kostbares Stück Zeit erkauften. In den billigen bayerischen Wirthshäusern dankt man Gott, wenn man binnen einer Stunde zu einer Portion Braten für 12 Kreuzer gekommen ist, während man dasselbe Gericht in Norddeutschland für 36 Kreuzer in einer Viertelstunde erhalten und verzehrt hat. Sehr urtheilsfähige Norddeutsche finden darum die Abnahme des Schnapstrinkens zu Gunsten des Bieres in ihrer Heimath keineswegs von so unbedingt günstiger Wirkung, als man sich's wohl einbilde; denn bei einem Seidel Bier sitzt man dreimal so lange, als bei einem Glase Schnaps, und wenn auch – so urtheilen Jene weiter – beim Branntwein ein paar Leute sich den Säuferwahnsinn im Stehen an den Hals tranken, so arbeitet jetzt schier der ganze Handwerkerstand weniger; denn ungezählte Stunden werden im Sitzen beim Bierglase verdämmert.

Der langsamere Griff zur Arbeit, die vielen Feierstunden und Ruhetage, das geringe Raffinement der Zeitausnützung bei dem Oberdeutschen hängt – neben anderem – innig mit der Thatsache zusammen, daß die kleinbürgerlichen und bäuerlichen Sitten hier noch so vielfach das sociale Leben beherrschen. Bauern und Kinder haben bekanntlich immer Zeit; je älter, gebildeter und vornehmer die Welt wird, um so mehr geht ihr die Zeit aus. Mit der höheren Werthung der Zeit sinkt aber naturgemäß der Geldpreis; wir leben also da am billigsten, wo die Menschen am meisten Zeit haben; denn sie schenken uns die kostbarste Waare, die Zeit, fast umsonst. Es kommt dann nur darauf an, ob wir dieselbe kostbare Waare nicht ebenfalls verschleudern.

Man sieht, viele scheinbare Räthsel im oberdeutschen Volksleben lösen sich nur mit dem Schlüssel, daß dort der Kleinbürger nach altem Schnitt noch in vielen Stücken als der Mann gilt, wornach man Jeglichen mißt. Man hat es oft als einen bedientenhaften Charakterzug dargestellt, daß der Bayer und Oesterreicher jeden sauber gebürsteten Menschen »Euer Gnaden« und »Herr von« nennt. Es liegt diesem Gebrauch aber keineswegs ein übermäßiger Respekt vor dem Adel zu Grunde – wie ja im Gegentheil das Adelsprädikat dadurch vielmehr abgenutzt und im Kurs vollständig entwerthet wird – sondern es ist rein ein altbürgerlicher Schnörkel aus dem vorigen Jahrhundert, der neben einer ebenso altmodischen, für uns fast demokratischen Sitteneinfalt ganz harmonisch auf derselben Basis fortbestehen kann. Als die gleiche großväterlich altmodische Art erscheint es, wenn uns der Kaufmann, zu dem wir als Käufer treten, mit einer für ein norddeutsches Ohr geradezu derben Barschheit behandelt, am Schlusse aber »g'horsamst bittet,« daß wir ihm »bald wieder die Ehre schaffen möchten.« Wo ein solches Uebermaß von Höflichkeit mit einem Uebermaß von Grobheit brüderlich zusammengeht, da wird es in der Regel billig sein. In demselben oberdeutschen Bierhause, wo man uns von vornherein als gnädige Herren begrüßt, werden wir doch um kein Haarbreit besser bedient, als die Bauern und Proletarier, die mit uns am selben Tische sitzen, und wollten wir eine Aufwartung verlangen, die außerhalb der höchst einfachen altherkömmlichen Hausordnung läge, so hätten wir uns von dem reichen Wirth, der sich vielmehr als den Herren und uns gnädige Herren als hergelaufenes Volk ansieht, der handgreiflichsten Geringschätzung zu gewärtigen. Da ist überall nichts vom Gentleman zu verspüren, sondern nur vom Bürger, und wenn im Grünen Baum zu München, in der Herberge der Floßknechte, noch vor Kurzem Minister und Diplomaten Diners zu geben pflegten, so hatten sie sich keiner so gar besonders auszeichnenden Bedienung vor den Floßknechten zu erfreuen, aber eben so guter Kost – und die Floßknechte wissen auch, was gut schmeckt – und schließlich eben so billiger Zeche. Die Thatsache, daß in Oberdeutschland häufig noch der Kleinbürger da den Ton der Sitte angibt, wo in Niederdeutschland längst nur noch die Sitte der vornehmen Welt entscheidet, schließt eine tiefe Charakterverschiedenheit in sich, die sich auch in einem anderen Satze anschaulich aussprechen läßt. Auf zweierlei Art können wir unserem Stolz des Standesbewußtseins schmeicheln: einmal, indem wir uns in der Weise und den Kreisen einer möglichst vornehmen Welt sonnen und dadurch unsere eigene Bedeutung recht klar ausgesprochen und anerkannt fühlen; dann aber auch, indem wir umgekehrt in den äußeren Formen einer niederern Sphäre uns bewegen und dadurch unsere verborgene Würde um so stolzer und durch den Gegensatz gesteigert für uns selbst empfinden. Das Eine ist weit mehr norddeutscher, das Andere süddeutscher Gesittung zusagend. Im Style des achtzehnten Jahrhunderts würde man Jenes den Stolz des Weltmannes, Dieses den Stolz des Philosophen nennen. In den vornehmsten Cirkeln habe ich, eine entschieden süddeutsche Natur, mich wahrhaftig nicht halb so stolz gefühlt, als wie wenn ich auf meinen Fußmärschen da und dort in einer Herberge campirte, an deren Stubenthür geschrieben stand, daß hier nur Reisende aufgenommen werden, die sich vorher über den Besitz von 2 Kreuzern für Schlafgeld und 6 Kreuzern für Zehrung ausgewiesen haben. Man hat da ganz das Bewußtsein eines Fürsten, der incognito reist, – wobei die Zechen billig sind, während der Norddeutsche viel lieber wie ein Fürst auf öffentlicher Reise sich behagen mag, und das gibt bekanntlich verzehnfachte Zechen. Für die sittliche Würdigung mögen beide Formen des Stolzes völlig gleich gelten, im Punkte des theueren oder billigen Lebens aber bedingen sie nicht blos auf der Reise, sondern in unserer ganzen Existenz einen unglaublichen Unterschied.

III.

Berlin, die Kunsthauptstadt des deutschen Nordens, übertrifft unsere süddeutsche Kunstmetropole München in der Zierlichkeit und dem feinen und reichen Geschmack des künstlerischen Handwerks, während in eigentlich kunstschöpferischen Thaten die Münchener Epoche König Ludwigs dem Norden weit voranging. Wir müssen die elegantesten Körbe, Kronleuchter, Oefen, Tafelaufsätze von Berlin beziehen; aber Berlin holte sich Cornelius und Kaulbach von München.

In Berlin, ja selbst in Hannover hat sich die bürgerliche Baukunst neuerdings weit origineller, phantasievoller und luxuriöser ausgebildet als in München, freilich unter starker Beihülfe von Steinpappen-, Zinkguß- und Thonornamenten. Das norddeutsche Bedürfniß eines formvolleren bürgerlichen Lebens gab aber dem Architekten erst die Möglichkeit zu solch freierem Spiel der Formen, und diese modern eleganten Wohnräume sind zugleich ein Zeugniß der theureren weil der bedürfnißreicheren Existenz im Norden.

Aber beruhen diese Thatsachen nicht doch zuletzt auf dem wirthschaftlichen Grunde des reicheren Verkehrs, der entwickelteren Gewerbekraft? Allerdings, bis auf einen gewissen Grad. Denn alle Sitte hat ein ökonomisches Fundament, und doch fallen die Begriffe und Gesetze der Sitte und der Wirtschaft nicht absolut zusammen. Augsburg mit seinen großen Bankhäusern und Fabriken, Nürnberg mit seinen zahllosen bienenfleißigen Werkstätten sind gewiß eben so reich und reicher als die Stadt Hannover. Dennoch ist die Sitte dort noch ohne Vergleich bedürfnißärmer. Vor dreihundert Jahren war das Leben in diesen Reichsstädten anspruchsvoll genug und das Luxusgewerbe blühte. Mit den nachfolgenden armen Zeiten kamen bescheidenere Sitten. Und diese gibt der verschlossene, schwerfällige Oberdeutsche unendlich zähe wieder auf, wenn er auch längst wieder neue Reichthümer gewonnen haben sollte.

Hausgeräthe aller Art, namentlich Gefäße und Zierstücke aus Metall und Porcellan, werden in Berlin, wie gesagt, weit zierlicher, mannichfaltiger und prunkhafter verfertigt als in München, und wer im Süden seinen Salon mit einem recht geschmackvollen Fayenceofen schmücken will, der läßt denselben aus Berlin kommen. Es sind freilich in Berlin zwei Kunstmeister von unerschöpflicher Einbildungskraft in neuen und anmuthigen Zierformen dem Handwerk tonangebend und befruchtend vorausgegangen: Schinkel und Rauch; allein es fragt sich sehr, ob denn diese schöpferischen Geister auch eine solche Bahn eingeschlagen hätten, wenn ihnen nicht in der luxuriösen Sitte Berlins schon die Stätte bereitet gewesen wäre, und ob die bei Gärtner und andern Münchener Meistern so oft gerügten breiten Massen der Häuserfronten und die flüchtige Durcharbeitung des Ornamentwerks nicht vielmehr in dem geringen Anspruch des oberdeutschen Lebens auf Eleganz und zierliche Form ihren Grund haben, als in dem nur jenen Meistern persönlich eigenen Mangel des Gefühls für solche Dinge. Hier kreuzen sich Ursache und Wirkung. Man lebt in Berlin theuerer, weil – neben Anderem – Haus und Hausrath so besonders zierlich ist; aber andererseits konnte auch Haus und Hausrath dort erst so zierlich ersonnen werden, weil es die Sitte seit Menschengedenken gebot, theuerer, d. h. bedürfnißreicher zu leben. Und umgekehrt: nicht weil es an künstlerischer Anregung fehlte noch an vorbedachter Agitation (der Münchener »Verein zu Ausbildung der Gewerbe« ist im letzteren Sinne ein Musterinstitut, welches in Berlin schwerlich seines Gleichen hat), sondern weil das Bedürfniß fehlt, leistet die Münchener Luxusindustrie minder Reiches und Zierliches als die Berliner.

Die wirthschaftlichen Thatsachen haben das wunderbar Anregende, daß auch die kleinste derselben sich nicht einfach erklären läßt, sondern daß man die Motive in allen Wurzeln unserer physischen und geistigen Existenz suchen muß. Man gesteht jetzt, daß Keiner mehr ein epochemachender Historiker sein könne, der nicht ein tüchtiger Nationalökonom. Aber man wird bald nicht einmal die Kunstgeschichte mehr zu begreifen wagen ohne die Nationalökonomie. Andererseits gehört es dann aber auch zum tüchtigen Nationalökonomen, daß er die Kunstgeschichte studire und die sociale Volkskunde und andere Zweige dazu, die uns auf dem Umwege des moralischen Lebens erst recht in's Herz des wirthschaftlichen hineinführen. Aus dem Encyclopädismus retteten wir uns in's Einzelstudium; aber dieses Einzelstudium führt uns selber wieder zurück zu einer höheren Form des Encyclopädismus, zur Culturgeschichte.

Durch die Eisenbahnen gehen die städtischen Sitten in Deutschland am raschesten einer Verschmelzung entgegen. Da es aber in der Natur des Menschen liegt, ohne Noth gewiß nicht vom bedürfnißloseren Nachbar die Beschränkung, wohl aber vom bedürfnißreicheren das Bedürfniß anzunehmen, so wirkt schon dieser einzige Grund zur ausgleichenden Vertheuerung des Lebens im ganzen Lande. Auch im abgeschlossenen oberdeutschen Binnenlande wird der Städter zusehends formvoller und eleganter, und die zierlichen, den Berlinern nicht unähnlichen Privatbauten Münchens im letzten Jahrzehnt mögen uns diese Thatsache auch architektonisch versinnbilden.

Gegen diesen geheimen Rapport zwischen Sitte und Geldpreis erscheint alle vorbedachte Erziehung des Volkes zu reicherem oder ärmerem Schmuck des Lebens, zur Mehrung oder Minderung der Bedürfnisse ohnmächtig. Dies wurde unlängst der wohlmeinenden Regierung eines mitteldeutschen Kleinstaates von den Töpfern des Landes in recht drolliger Art bewiesen. Jene Regierung hatte nämlich die Pariser Industrieausstellung beschickt und unter Anderem anmuthige Muster der gangbarsten irdenen Gefäße mitbringen lassen, damit der Gewerbeverein dieselben einer fast nur aus Töpfern bestehenden Gemeinde zur Verbesserung ihrer plumpen Schüsseln und Teller gratis übermittle. Die Töpfer besahen sich das schöne Geschirr und erklärten, sie könnten solches freilich wohl auch nachmachen, aber sie würden es nur unter der Bedingung, – daß die Regierung einen zwischen der Gemeinde und der landesherrlichen Domänenkammer schwebenden Prozeß niederschlage! Sie wollten also noch bezahlt sein dafür, daß sie eine Förderung ihres Gewerbes als Geschenk annähmen!

Aus alledem mag man die Riesenmacht von Sitte und Herkommen erkennen, eine moralische Macht, die in unsern ökonomischen Untersuchungen gemeinhin noch gar wenig mitberechnet wird. Denn diese Macht der Sitte – oft der letzte Urgrund des beschränkten oder entfesselten Bedürfnisses – hat nicht blos auf den unterschiedenen Geldpreis, nicht blos auf Luxusindustrie und Kunstwerk, sondern sogar auf das Kunstideal in den Hauptzonen unsers Vaterlandes tiefen Einfluß geübt. In dem billigen Altbayern, wo Luxus und Eleganz und moderner Comfort die Gemüther noch gar wenig bestrickt, konnte die ernste, der verfeinerten Form oft bis zum Puritanismus entkleidete, aber gedankenreiche Schule der Malerei und Baukunst eine Wurzel schlagen, für welche am fröhlichen Rheine zu Düsseldorf oder auf dem theueren Pflaster von Berlin kein rechter Boden mehr war; und wenn an der Isar so manches nüchterne Kasernenhaus im Elephantenstyl gebaut wurde, so konnten sie an der Spree eine Kirche hinstellen, so überzierlich, daß sie der Volkswitz »des lieben Gottes Sommervergnügen« nennt. – –

– – Wir sprechen vom theuern und billigen » Leben«, und in der That ist der Geldpreis ein Resultat der ganzen Lebensführung eines Volkes. Finanzielle, ökonomische, sociale Motive wachsen hier untrennbar ineinander, und die Sitte ist ebensogut Ursache als Produkt des wirthschaftlichen Haushaltes.

Vergleicht man Oesterreich und das übrige Deutschland im Punkte des Geldpreises, so wird man zunächst nicht an die Sitten, sondern an die eigenthümlichen Finanz- und Münzverhältnisse des Kaiserstaates denken müssen, welche das Leben in Wien wie in den Provinzen mehr und mehr vertheuert haben. Vergleicht man aber das nördliche Deutschland mit dem südwestlichen, das Thalerland mit dem Guldenlande, so ist es vor Allem das unterschiedene Maß der durch die Sitte gebotenen Lebensbedürfnisse, welches das süddeutsche Leben billiger macht, als das norddeutsche. Darum finden wir Süddeutsche, die wir mit geringen Bedürfnissen nach dem Norden kommen und dort gezwungen werden, höhere zu befriedigen oder wenigstens zu bezahlen, das Leben daselbst entsetzlich theuer; kommt dagegen der ächte Norddeutsche nach dem Süden, so findet er es bei uns gar nicht so auffallend wohlfeil; denn wer in München leben will wie ein Berliner, der muß dafür freilich ebensoviel, ja noch mehr zahlen, als in Berlin. Nicht sowohl der Geldpreis ist unterschieden als die Sitte.

Daraus könnte am Ende Einer folgern, daß die angebliche Wohlfeilheit des Südens eigentlich nur ein Zeugniß der Barbarei unserer Heimath sei. Denn das Bedürfniß ist der Vater der Thatkraft und des Fortschrittes. Es gibt aber höhere und niedere Bedürfnisse und gerade eine recht große Summe niederer, willkürlicher Bedürfnisse kann das Leben außerordentlich vertheuern, Geld und Arbeit in's Land bringen und doch die Kraft der Nation brechen. In Deutschland, wo man, Gottlob, die Arbeit immer noch mehr nach ihrer inneren Würde, als nach dem äußeren Ertrage hochhält, erkennt man den wahrhaft gebildeten Mann zur Zeit auch noch daran, daß er viel kann, aber wenig bedarf, d.h. daß er der höheren Bedürfnisse viele hat, die das geistige Kapital wohlfeil machen, aber nicht der niederen, die das Geld verwohlfeilen und das Leben vertheuern. Trotz der Macht der Nationalökonomie darf man bei uns doch immer noch das Wort Sitteneinfalt mit Ehrfurcht aussprechen. Das bloße niedere Bedürfniß der äußerlich bequemen und geschmückten Existenz, welches hauptsächlich das Leben vertheuert, ist allerdings ein Vater des Fortschrittes, es ist aber auch in seiner einseitigen Herrschaft ein Vater des Verfalls der Nationen. Und in der Geschichte aller Völker spricht uns doch mit gutem Grund jene bedürfnißarme Epoche unendlich erhebender an, wo Männer von Granit im Holz- und Lehmhause wohnen, als jene bedürfnißreiche Zeit der Altersschwäche, wo ein wachsweiches Geschlecht unter Granitsäulen haust.


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