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Neuntes Kapitel

Die Sonne ließ schon ihr Licht über die Scheiben spielen und der Tag kündigte sich durch lustige Vogelstimmen und liebliche Morgenlüfte an, als sich die Verschworenen in der Priorzelle versammelt hatten; man wartete nur noch auf den General Dzialynski und den Bankier Kapostas. Der pausbackige Klosterbruder hatte gerade begonnen, große irdene Schüsseln voll Klosterleckerbissen und Terrinen mit Brühen aufzutragen, aber niemandem war es um das Essen zu tun, trotz der frühen Morgenstunde; sie umringten den Hauptmann Zukowski, der einen in den Klostergängen begonnenen Bericht fortsetzte.

»Die Sache ist ruchlos und gänzlich ohne Beispiel, der General Lubowidzki hatte Befehl an alle Generale, Kommandanten und die höheren Stabsoffiziere der Brigaden der Nationalkavallerie, der Avantgarden und Infanterieregimenter gegeben, daß sie sich Anfang März in seinem Quartier in Nowochwastow einfinden sollten. Mich erreichte der Befehl in Zwinogrodek, wo wir zusammen mit dem Major Wyszkowski in Quartier lagen. Diese Maßnahme hatte uns etwas stutzig gemacht, doch glaubten wir sie in Einklang mit den Gerüchten bringen zu dürfen, die von den Bewegungen unserer über die ganze Ukraina verteilten Abteilungen im Umlauf waren; die Wahrheit war schwer zu ermitteln, denn wir wurden voneinander durch die Truppen der Alliierten wie durch Dämme getrennt, wodurch eine Postverbindung mit der übrigen Welt so gut wie gar nicht bestand. Wir brachen also auf, in der Hoffnung, irgendwo unterwegs Näheres auszukundschaften. Jeder aber wußte gerade nur das, was auch uns bekannt war. Wir kamen nach Nowochwastow bei Abenddämmern an. Die Gasthöfe waren überfüllt und selbst in den Scheunen kein Platz zu finden. Zum Glück nahm uns der Oberst bei sich auf. »Was geht hier vor?« fragen wir. »Ich weiß nicht,« sagt er: »der General Lubowidzki läßt keinen zu sich, aber es bereitet sich etwas Schlimmes vor: ein russisches Lager haben sie hinter dem Schloßpark aufgeschlagen, zwei Regimenter Grenadiere und ein Kosakenregiment haben sie dort plaziert, das Kommando hat der General Zagrodskij.«

Abends begab sich der Major Wyszkowski zu der Generalin, um die Lage auszukundschaften, er war ein alter Bekannter von ihr. Sie behielt ihn zum Abendessen bei sich, aber gesagt hat sie ihm nichts, der General war nicht einmal zu Tisch erschienen.

Schwer ist uns diese zweite Nacht geworden, fast keiner hat schlafen können: die Sorgen nagten an uns, das dumpfe Rollen der vorüberziehenden Kanonen, Pferdegetrampel, Lagerlärm und die Biwakfeuer, von denen ein Bauernhaus in Brand geraten war, brachten uns zuletzt alle auf die Beine. Wir versammelten uns um zehn Uhr morgens im Quartier der Generäle Wielowiejski und Ponpard und mit ihnen an der Spitze begaben wir uns aufs Schloß. Die Grenadiere, die eine lange Gasse gebildet hatten, präsentierten das Gewehr vor uns, die Trommeln ratterten und die Trompeten erfüllten die Luft mit lauten Fanfaren, mir war es aber dabei recht traurig zumute, und der neben mir gehende Oberst Dobraczynski murmelte wie geistesabwesend vor sich hin:

»Habe schlechte Ahnungen ... seltsam, wie mich die Angst befällt!« Er zitterte und atmete schwer.

Das Schloß fanden wir mit einem vierfachen Kordon umgeben, die Kanonen auf die Fenster gerichtet, die Kanoniere auf ihrem Posten, die Protzkästen geöffnet, die Pferde in der vorgeschriebenen Entfernung und abseits die Röste zum Glühen der Feuerbälle.

»Wird denn hier ein Fest vorbereitet oder was hat das zu bedeuten!« sagte der Major Wyszkowski.

»Eher eine prunkvolle Totenmesse, du wirst es schon gewahr werden,« knurrte darauf der Oberst Dobraczynski.

Sie ließen uns in den Saal hinein. Er war riesengroß, zwei Stock hoch, die Decke von weißen Säulen getragen, das Parkett wie ein Spiegel, die bis an den Boden reichenden Fenster wiesen nach drei Himmelsseiten die Einrichtung, reich und wert, königliche Gemächer zu schmücken. Wir stellen uns im Haufen auf und sehen die Soldatenreihen an, die auf dem Schloßhof stehen. Gerade war die Sonne herausgekommen, so daß das Licht in den Bajonetten zu spielen begann und der Schnee aufglitzerte, als plötzlich Schellengeklirr und das Gerassel von Pferdebehang sich vernehmen ließ und eine Kibitka in der Begleitung von vier Kosaken vor die Glastüren des Saales vorgefahren kam, und gleich hinterdrein kommt auch schon eine zweite, dritte, zehnte, zwanzigste, und bleiben nebeneinander in schönster Ordnung stehen. Ich zählte ihrer dreiundvierzig, und jede hatte ein aufgeklapptes Verdeck, mit Stricken festgeschnürte Reisekisten und vier Donkosaken als Geleitmannschaft.

Ich dachte darüber nach, was das wohl zu bedeuten hätte, als sich der Oberst Dobraczynski vernehmen läßt:

»Es sind unserer hier gerade dreiundvierzig ...«

Es überlief mich eiskalt, und ich beginne auch zu zählen: die Zahl stimmte, wir waren gerade so viele an der Zahl. »Die haben uns hier wie auf einem Marktplatz aufgestellt, murrte einer neben mir ungeduldig auf.

»Sie werden schon schnell genug kommen, die Händler, die uns die Rippen abtasten werden,« versuchte der Kopecj zu scherzen.

In diesem Augenblick wurde die Tür nach der Vorhalle sperrangelweit aufgerissen, es stürzte ein Offizier mit entblößtem Degen hinein und hinter ihm kamen die Grenadiere mit gefälltem Bajonett, wie zu einer Attacke nachgedrängt, so daß viele von uns nach den Säbelknäufen griffen ... Sie besetzten alle Fenster und Türen und der Rest stellte sich vor der Haustür auf, die sich sofort öffnete, und in den Saal trat der General Lubowidzki, der Oberbefehlshaber der Armeen der Republik im ukrainischen Land. Er hatte einen russischen Uniformrock an und anstatt der blaufarbenen Schärpe des weißen Adlerordens trug er die rote des Alexanderordens quer über der Brust. Ihm folgte der General Zagrodzkij mit einem Haufen seiner Offiziere und ein Priester im Chorhemd und Stolaband und einem Kruzifix in der Rechten ...

Die ganze würdige Gesellschaft nahm Platz mitten im Saal.

Wir formierten uns Schulter bei Schulter wie zu einer Parade. Eine völlige Stille herrschte im Saal und die Herzen schlugen uns wie mit Hammerschlägen, manch einen hörte man auch mit den Zähnen knirschen. Der General Lubowidzki musterte uns mit einem unruhigen Blick; sein Gesicht war blau angelaufen und schweißbedeckt und seine Hände flogen; er trat etwas zurück und verkündete mit heiserer Stimme: die Allerhöchste, Erhabenste und Allmächtige Imperatorin aller Reußen hätte allergnädigst geruht, diese Wojewodschaften ihrem Reich einzuverleiben ...«

»Damit hat sich noch niemand einverstanden erklärt!« brüllte der Oberst Dobraczynski, die pflichtgemäße Subordination vergessend ... »Das polnische Militär,« sprach Lubowidzki weiter, »das sich in diesem Lande befindet, wird ebenfalls der russischen Armee einverleibt, die Waffenröcke und Löhne bleiben dieselben, nur die silbernen Portepees werden in goldene verwandelt.«

Es trat ein Adjutant mit einem Bündel goldener Portepees zum Verteilen heran, niemand jedoch streckte seine Hand danach aus; wir standen da wie vom Blitz getroffen, ganz geistesabwesend und nicht mehr wissend, ob man wirklich zu uns gesprochen hatte oder ob das alles ein Spiel irr gewordener Sinne und krankhafte Einbildung sei.

Doch nein: da stehen die Grenadiere in Bereitschaft, vom Hof aus drohen die Kanonen, die Kibitkas warten vor den Fenstern, Feindesgesichter ringsum und vor uns dieser parricida, ganz mit Orden behangen. Schande, Verrat und Gewalt! Die letzte Stunde unserer Freiheit hatte geschlagen. Jesus! ich dachte, daß ich tot hinschlagen sollte, daß mein Herz vor Qual bersten würde, daß ich wahnsinnig würde ...

Der General Wielowiejski, als der älteste aus unserer Mitte, trat hervor und erklärte in unserem Namen:

»Ohne königliche Demission könnten wir den früheren Dienst nicht verlassen und keinen neuen annehmen.«

»Und wir wollen es auch nicht!« fielen zugleich mehrere Stimmen ein.

Der Oberkommandierende unterhielt sich ratlos im Flüsterton mit dem neben ihm stehenden Russengeneral Zagrodskij und durch die Grenadiere ging eine leise Bewegung.

Da bedeckte mit einem Male der Oberst Dobraczynski sein Haupt, riß den Säbel aus der Scheide und schrie mit furchtbarer Stimme:

»Verrat! Tod dem Verräter! Schlagt ihn in Stücke! Mir nach!« und er stürzte sich auf den General Lubowidzki. Es folgten ihm mehrere, doch ehe ihre Säbel den Erbärmlichen erreichen konnten, schob sich eine Mauer von Bajonetten schützend vor, ein Wall von Soldaten flutete gegen uns an, drängte uns zur Seite und entriß uns die Rache aus den Händen. Der Oberst Dobraczynski fiel schwer verwundet und ist am dritten Tage an seinen Wunden und seiner Verzweiflung gestorben.«

Der Erzähler schwieg erschöpft, doch nach einer Weile reckte er sich, riß seinen Säbel aus der Scheide und rief:

»Dem Obersten Dobraczynski, dem Führer des Regiments der Avantgarde, Chef Kurfürst Ludwig von Württemberg, dem Verteidiger der Freiheit – ewige Ehre und ewiges Gedenken!«

Ewige Ehre und ewiges Gedenken! wiederholten die Anwesenden und präsentierten die entblößten Säbel.

Tränen der Rührung benetzten die elenden Wangen Zukowskis, doch er sprach, nachdem er der Erregung wieder Herr geworden war, weiter:

»Als man dann Oberst Dobraczynski hinausgetragen hatte, forderte Lubowidzki unser ganzes Korps auf, der neuen Gebieterin den Eid der Treue zu leisten. Den Widerspenstigen hatte er mit Verschickung nach Sibirien gedroht: die Kibitkas standen in Bereitschaft. So las denn der Pater die Eidesformel vor. Niemand sprach sie ihm nach, aber wir mußten alle unterschreiben: die Bajonette hatten das ihrige getan.

Gleich nach unserer Rückkehr nach Zwinogrodek versammelte der Kommandant Kublicki unsere ganze Brigade, ließ ihr den Befehl des Generalkommandierenden vorlesen und befahl, den Eid abzunehmen. Schon war der Kaplan vor die Front getreten, als ein furchtbares Protestgeschrei ertönte. In einem Augenblick stürzte sich die ganze Brigade auf Kublicki und wollte ihn wegen Verrat in Stücke hacken. Kaum haben wir den Schuldlosen erretten können, doch es ist gar nicht zu beschreiben, was danach vor sich ging. Ich sah ganze Schwadronen der Reiterknechte wie kleine Kinder weinen, sie zerbrachen vor Verzweiflung ihre Säbel und flohen, wo sie nur konnten, sie wanden sich in ihrer Seelenpein und rauften sich das Haar. Sofort hatte sich ein Haufen zusammengetan, der entschlossen war, das nächste Feindeslager zu überfallen und lieber den Tod im ehrlichen Kampf sogleich zu erleiden, als länger die Schande und einen solchen Verrat zu tragen. Das können die Herren Offiziere Tuliszkowski, Wyszkowski, Kopecj, Kozicki bezeugen, wieviele Soldaten nachts in unser Quartier kamen und wie um eine Erlösung bettelten, wir möchten sie gegen den Feind führen. Ihren letzten Groschen brachten sie her zum Einkauf von Pulver und sparten sich ihre Rationen Zwieback vom Munde ab, denn sie waren selbst auf Hunger und Elend gefaßt, um nur den Kampf für das Vaterland ausfechten zu können. Ein solcher Mut, eine solche Kühnheit und ein solches Mitgefühl für das Schicksal des Vaterlandes steckt in den einfachen Soldaten.

»Weil der Soldat keinen Sinn für Rechtskniffe, Verträge und politische Rücksichten hat, so lange der Feind sich auf dem Boden der Republik breit macht,« ließ sich der Hauptmann Chomentowski vernehmen, der im Namen der berittenen Garde zur Versammlung gekommen war. »Ähnliches hat sich im vorigen Jahr in den Feldlagern zugetragen, als der König, nachdem er der Targowicaer Konföderation beigetreten war, ihnen ihre Auflösung verkündete. Im Sieciechower Lager haben wir uns in ganzen Abteilungen aufgemacht den Prinzen Josef Poniatowski anzuflehen, er möge dem König, seinem Oheim, nicht gehorchen, die Verträge unter die Füße treten und uns gegen den Feind führen. Es war umsonst, er ließ nicht einmal mit sich darüber reden. Erst als die Generäle Kosciuszko und Zajonczek ihn im Namen der heimlich konföderierten Regimenter nahegelegt hatten, er solle die Gewalt über das Land in seine Hände nehmen, den König ins Lager bringen, ein Universalschreiben zwecks Einberufung des Landsturms herausgeben und mit der ganzen Macht des Volkes den Feind angreifen, wovon das unfehlbare Ergebnis ein Sieg sein müsse, hat sich der Prinz die Sache durch den Kopf gehen lassen ... Wir wollten ja nichts anderes, als den König in unserer Land haben, eine neue Regierung im Lager bilden, die Targowicaer Anführer in alle Winde jagen, die Söldlinge der Fremden dem Henker übergeben, den Städten die geraubten Freiheiten wiedergeben, dem Bauernstand die Befreiung bringen und Land zuteilen. Welcher Feind hätte noch dieser Republik freier und gleicher Bürger widerstehen können? War denn das Beispiel Frankreichs, das durch die Grundsätze der Menschlichkeit erneuert ward, nicht berechtigte Sicherheit des Sieges? Ist denn Freiheit nicht die furchtbarste Waffe gegen die Tyrannen? Um diese Absichten zu verwirklichen, kam die Fürstin Czartoryska, die Gattin des Fürsten Generals der Podolischen Landschaft, ins Lager, Graf Ignaz Potocki kam etliche Male hin, Pater Kollontaj und Malachowski schrieben aus Dresden, die Armee flehte und das Volk wartete auf den erlösenden Entschluß. Soviel hatte man schließlich erreicht, daß der Prinz sich den Absichten der heimlichen Gegenföderation geneigt zu zeigen begann und schon sollte der General Zajonczek mit einer ausgewählten Gesellschaft zum König und war entschlossen, ihn, wenn es darauf angekommen wäre, selbst mit Gewalt aus dem Kreise seiner Buhlen und ausländischen Beschützer herauszureißen. Plötzlich kamen Stafetten mit Briefen angejagt, worin der Prinz den Entschluß mitteilte, dieser Expedition den Fürsten E. Sanguszko beizugeben, er schien Angst bekommen zu haben, daß dem König in der Gewalt des Generals Zajonczek unterwegs etwas hätte zustoßen können ... Zuletzt hat er von allem Abstand genommen. Er hat wohl die Gefahren des Krieges gescheut; die Garantien der Imperatorin und die Einflüsterungen seiner niederen Eigenliebe sind ihm mehr gewesen als das Glück und die Größe des Vaterlandes. Und er hätte doch die Krone aus den Händen des Volkes empfangen können, worum man ihn auf den Knien gebeten hat, er hätte für die kommenden Jahrhunderte den Ruhm vaterländischer Gesinnung und eines heldenmütigen Genius genießen können. Da ihm aber erfolgreiche Amouren lieber waren, so soll ihn die erste Kugel nicht verfehlen oder der Strick bei passender Gelegenheit!« spie er voll bitteren Hasses hervor.

»Überall das gleiche: Verrat oder Kleinmut vertun die guten Gelegenheiten zur Rettung des Vaterlandes,« ließ sich der Kastellan von Kamieniec, Onuphrius Morski, ein Mann heißen Herzens und großer Tugenden, vernehmen, der während des letzten Krieges im Rücken des Feindes einen Bandenkrieg auf eigene Faust geführt hatte. »Ich werde den Verlust der podolischen Feste Kamieniec nicht verschmerzen, die uns durch die niederträchtige Verräterei von Zlotnicki entrissen wurde. Gerade ein Jahr ist es her, als die Konföderation der Armeeangehörigen, von der der Hauptmann Chomentowski hier gesprochen hat, ein schlimmes Ende nahm und der Feind trotz des geschlossenen Friedens im Lande schaltete und waltete, damals reifte der Entschluß, nicht erst auf die Gelegenheit zu warten, einen neuen Krieg zu beginnen. Die Festung Kamieniec war dabei zum Stützpunkt des Aufstandes ausersehen worden, sie sollte den Anfang machen und sich dem Feind als unüberschreitbares Hindernis in den Weg legen, ehe Kronpolen und das Fürstentum Litauen nach Abfertigung der Feinde in ihren Grenzen uns mit ganzer Macht zu Hilfe geeilt wären, um den ganzen Schauplatz des Krieges in die ukrainischen Wojewodschaften zu verlegen. Der Plan war vortrefflich, das Genie des Generals Kosciuszko hatte ihn erdacht und der General Orlowski, der Kommandant von Kamieniec hatte sich eifrig darangemacht, die Befestigungen zu verstärken, die Munition anzuhäufen, Fourage und Kanonen bereitzuhalten und die begabtesten Offiziere an sich zu ziehen; alles geschah still, im geheimen, als plötzlich Zlotnicki, als hätte er eine Ahnung über die sich dort vollziehenden Dinge bekommen, etwa im Monat April mit einem königlichen Patent ausgestattet, das ihm den Oberbefehl über die Festung übertrug, auftauchte. Er übernahm sie und verkaufte sie dem Feind für fünfzehntausend Dukaten, eine Generalscharge und etliche Orden dazu. Und der läuft noch lebendig auf Gottes Erdboden herum! Heiliger Gott! stöhnte er in hilfloser Wut auf.

»Einen Sulla brauchen wir, der diesen Verrat strafen würde, ein unerbittliches Beil tut uns Not!« rief einer mit düsterer Verbissenheit aus.

Der vor den Fenstern auf Wache stehende Pater Seraphim klopfte in verabredeter Weise gegen die Scheibe, worauf Zaremba in die Mitte trat und feierlich verkündete:

»Der hochehrwürdige Meister und Stellvertreter des Orients von Posen ladet die Brüder ein!« Dem Obersten Jasinski flüsterte er darauf ins Ohr: »Es könnte sich hier einer verirrt haben, der etwas allzu neugierig ist, dann findet er anstatt der Verschwörer ein freimaurerisches Brüderkapitel ...«

Sie warfen die Mäntel ab; die Mehrzahl trug einfache Militärjacken und Säbel an der Seite.

Eine winzige Tür, die bisher Vogelkäfige verdeckten, ging auf und sie traten nacheinander in einen kleinen, gewölbten Saal ein, der weiß gekalkt und leer war, nach Moder roch und ein ziemlich düsteres Aussehen hatte. An dem einzigen Fenster hing ein gekreuzigter Christus von gewaltigen Ausmaßen, dessen Zehen den Fußboden berührten und unter dem Standbild saß vor einem einfachen Tisch General Dzialynski, der Chef des zehnten Regiments, die Seele der Verschwörung und ihr sichtbares Haupt, etwas abseits sah man Kapostas, den Warschauer Bankier, der von Geburt aus Ungar, jedoch ein treuer Sohn des polnischen Vaterlandes war.

Die Eintretenden brachten ihren Gruß durch vorgeschriebene Zeichen dar, denn der Chef trug um den Hals die Kleinodie des Meisters vom Stuhl: ein goldenes Maltheserkreuz am grünen Band und Kapostas als ein Bruder höheren Grades den Pelikan an einer roten Schnüre, das Abzeichen der Rosenkreuzer, schottischen Rituals.

Dzialynski bedeckte den Kopf, und seinen Degen zur Hälfte aus der Scheide ziehend, fragte er streng:

»Sind Uneingeweihte unter euch?«

»Nur wohledle Brüder sind zugegen und die Abgesandten des ganzen polnischen Orients,« gab Zaremba zur Antwort, indem er ihm das Bild der versammelten Loge, das heißt, die Liste der Anwesenden überreichte.

»Die Loge ist eine außerordentliche und affillierte, darum wird sie ohne Ritual abgehalten,« entschied der Chef und schlug, das Haupt entblößend, dreimal mit einem hölzernen Hammer auf den Tisch. »Ich erkläre das Kapitel als eröffnet. Der Ort und die Zeit sind nicht geeignet, darum werden wir ohne die vorgeschriebenen Lichter und mit Unterlassung des üblichen Zeremoniells arbeiten. Nehmet Platz, liebe Brüder.«

Sie setzten sich in gebührendem Schweigen, die Gesichter dem Meister zugewandt.

Da aber die Kapitelsitzung nur ein Schein war, so hatte Kapostas anstatt aktueller Ordensangelegenheiten und des üblichen Freimaurerzeremoniells ein großes, mit Todeswahrzeichen bedecktes Schriftstück hervorgeholt und entfaltet und begann die Namen verschiedener Brüder, die am Vorabend auf der Reichstagssitzung zugunsten des Teilungstraktats gestimmt hatten, vorzulesen unter Nennung der Logen, zu denen sie gehörten, und ihrer Grade.

Und als er fertig war, stand Oberst Jasinski, der »Großredner« der Loge »Vollkommene Einigkeit« im Orient Wilnos auf und erhob gegen sie eine flammende Anklage wegen Vaterlandsverrats, Verrat der Gerechtigkeit und des Großen Baumeisters. Er sprach ohne die übliche freimaurerische Symbolik kurz, treffend und zornig.

»Ich beantrage ihre Erklärung zu Feinden der Menschheit, ihre Entfernung aus den Logen und Todesstrafe.«

»Tod den Verrätern! Haß den Tyrannen!« ging ein Rufen durch den Raum, und das Klirren der aus den Scheiden gerissenen Säbel wurde hörbar.

Dzialynski verwarnte ihn, daß sie, weil die Loge keine ordentliche, nach dem vorgeschriebenen Ritual eröffnete Veranstaltung wäre, schon aus diesen: Grunde kein Recht hätten, zu Gericht zu sitzen und eine Strafe zu bestimmen.

»Die in uns beleidigte Menschenwürde verlangt aber nach Vollstreckung der Gerechtigkeit.«

»Wenn dieser Antrag einstimmig angenommen wird, sende ich ihn der Großloge zur Prüfung ein.«

»Dann wollen wir, liebe Brüder, unsere Stimmen abgeben!« rief Jasinski, und an den Tisch herantretend, durchstieß er mit der Spitze seines Säbels das Schriftstück und sagte: »Tod den Verrätern!«

»Tod!« wiederholte der Hauptmann Zukowski, der erwählte Bruder der Warschauer Loge von Zytomir »Zerstreute Dunkelheit.«

»Tod!« schrie Pater Meier aus Wolda, ein Bruder der Warschauer Loge: »Der vollkommene Sarmate« und durchbohrte mit seinem unter der Soutane hervorgeholten Dolch haßerfüllt das Schriftstück.

Danach stach Pawlikowski, ein Bruder höheren Grades der Warschauer Loge: »Tempel der Isis« mit seiner Säbelspitze auf das Papier ein, desgleichen taten die Brüder Elias Aloe, Chomentowski, Sewer Zaremba, Hauptmann Kaczanowski und Jan Czyz derselben Loge.

Aus der Loge von Dubienka »Vollkommenes Schweigen« gaben Kopecj, Major Duklan Ochocki, der Kastellan Onuphrius Morski und der Bruder höheren Grades, Pater Jelski ihre Stimmen ab.

Aus der Loge im Orient von Grodno »Frohe Erlösung« traten die Brüder: Oberst Korsak, der General Fürst Gedroycj, Oberst Grabowski und Grosmani, der Wilnoer Munizipal heran. Zum Schluß kam Leutnant Bieganski von der Warschauer Loge: »Der Schild des Nordens«, der sich auf das Papier wie auf einen lebendigen Feind stürzte, um ihm mit seinem Degen Einschnitte in der Form eines Andreaskreuzes beizubringen.

Alle stimmten gleichzeitig für das Todesurteil. Das durchlöcherte und zerschnittene Schriftstück steckte Dzialynski zu sich und sagte sodann:

»Jetzt, meine Brüder, wollen wir Verrat und Niedertracht vergessen und an die Arbeit der Wiederaufrichtung des Vaterlandes gehen. Der Befehlshaber wartet bei Krakau auf die Nachrichten über den Stand der Vorbereitungen im Großfürstentum Litauen und im Ruthenenland, ich bitte also die delegierten Brüder aus der Armee um Ablegung der Berichte.«

»Der Kriegsschatz und die Armee sind auf der Tagesordnung!« rief Oberst Korsak mit laut vernehmbarer Stimme, wie er das im großen Reichstag bei entsprechenden Gelegenheiten zu tun pflegte.

»Das sind fürwahr die Grundsteine des Krieges,« entgegnete Dzialynski, indem er den Pater Meier aus Wolda und Pawlikowski zu Schriftführern ernannte, denn beide waren in chiffrierter Schrift und in der Kunst, mündliche Berichte mit der Feder festzuhalten, wohl geübt.

Kopecj und Zukowski überreichten im Namen der ukrainischen Division Berichtstabellen über den Stand der dortigen Armee, über Vorräte, Pferde, Wege, Furten, befestigte Stellungen, über die Zahl der verschworenen Offiziere und Gemeinen sowie über die Pläne der feindlichen Lager und die Größe ihrer Armeen.

Fürst Gedroycj berichtete dasselbe über die in Litauen in Quartier liegenden Armeen.

Oberst Jasinski – über das ganze litauische Artilleriekorps und über die Streitkräfte im Ruthenenland.

Oberst Grabowski – über die Abteilungen, die in Samogitien bis an die Ostgestade und Libau verteilt lagen.

Oberst Korsak erteilte Bericht im Namen des dortigen Befehlshabers Wawrzycki über Livland bis Riga hinauf.

Hamilkar Kosinski, Leutnant und militärischer Kommissar der Verschwörung beim Quartiermeister Prozor, einem der eifrigsten Förderer des Aufstandes, erstattete Bericht über das Pinsker Gebiet und deponierte mehrere tausend Dukaten, die in jener Landschaft gesammelt worden waren.

Die Berichte waren im allgemeinen günstig, die Gesamtzahl der Verschworenen hoch und die Hingabe für die Sache ließ nichts zu wünschen übrig, überall fehlte es aber an fertiger Munition, an Kanonen, Pferden, nötiger Ausrüstung und nicht zum wenigsten an Geld. Es wurde auch allgemein über die Gleichgültigkeit der Offiziere höherer Chargen, über die Engherzigkeit der über Grundbesitz verfügenden Schlachta und der Magnaten geklagt. Die Abgesandten, die das starke Gefühl des Militärs für das Vaterland und dessen heißen Wunsch, sich mit dem Feinde zu messen betonten, forderten die Festsetzung des Zeitpunktes, zu welchem der Ausbruch des Aufstandes stattfinden sollte. Denn die Gefahr der Armeereduktion, welche jeden Augenblick beschlossen werden konnte, heischte eine wohlbegründete Eile im Handein.

»Sollte man die Armee vor der Zeit nach Hause schicken, dann wäre alles verloren,« schloß Kopecj.

»Die Verhandlung über die Reduktion können wir noch im Reichstag in die Länge ziehen,« ließ sich der Vizekämmerer Zielinski vernehmen, »und selbst nach dem Beschluß dürfte die Ausführung nicht gleich erfolgen, denn man wird den verabschiedeten Kriegern die rückständige Löhnung bezahlen müssen, und die Armeekassen sind bekanntlich leer.«

»Fahnenflucht und das Werbegeschäft der Alliierten werden die Bataillone sowieso schon gehörig lichten.«

»Ist es denn wahr, daß das Warschauer Arsenal schon von den Russen besetzt worden ist?« fragte irgend jemand.

»Igelström hat einen Versuch gemacht, aber unser General Cichocki hat sich nicht mir nichts dir nichts hinunterschlucken lassen und jetzt läßt er die Nachtwachen verdoppeln, die Ketten vorlegen und die Kanonen in Bereitschaft halten ...«

»Wenn er nur bei dieser der Sache des Vaterlandes treu ergebenen Geistesverfassung verharren wollte! Er ist doch ein Vertrauter des Königs.«

»Das ist ein schlauer Fuchs und in politischen Kabalen ein recht gewandter Mann, aber zugleich auch ein hochgebildeter Offizier und ein aufrichtiger Pole, er hat seinen Eid geleistet, und ich würde meinen Kopf dafür verbürgen, daß er ihn nicht revozieren wird,« versicherte Dzialynski, indem er sich an die Schriftführer wandte, die gerade das chiffrierte Resumé aller Berichte beendigt hatten; er versah die Schriftstücke mit einem Siegel und sagte zu Leutnant Bieganski:

»Herr Leutnant, diese Papiere bringen Sie nach Krakau und händigen sie Soltyk ein. Dort wird man Ihnen sagen, was weiter zu tun ist. Herr Leutnant Zaremba, teilen Sie bitte die Losungen der Straßen und der Poststationen mit. Und Sie, Herr Hauptmann Chomentowski, werden ein zweites Exemplar dem Herrn Marschall Potocki nach Dresden hinbringen,« er wandte sich den anderen zu. »Wir können auf alle Fälle nicht früher als im September eine Entscheidung über den Zeitpunkt des Aufstandes erwarten dürfen, die abgesandten Berichte werden für den Entschluß von Gewicht sein.«

Er verließ seinen Präsidialsitz, wodurch die Schweigeverpflichtung, die auf den freimaurerischen Kapiteln streng gewahrt wurde, aufhörte, bindend zu sein, sofort entspannen sich lebhaftere Unterredungen und hauptsächlich waren es die Offiziere, die sich gegen eine Verzögerung des Aufstandes aussprachen.

»Die Armee wartet nur auf das Zeichen!« nahm der Major der Garde Czyz das Wort: »Kleinpolen ist bereit, dreizehntausend konföderierte Truppen harren im Krakauischen ...«

»Die Warschauer Garnison ist gewonnen und könnte selbst morgen losschlagen,« sagte Kaczanowski.

»Auch die litauische Division ist in Bereitschaft,« erklärte Grabowski.

»Die Abteilungen, die im russischen Kordon sind, desgleichen,« versicherte Kopecj.

»Zur Vollendung des Gesamtbildes fehlen Nachrichten aus Großpolen,« bemerkte der Vizekämmerer Zielinski.

»Dort arbeitet Gliszczynski nicht ohne Aussichten auf einen glücklichen Erfolg ...«

»Laß erst mal Krakau, Warschau und Wilno sich zugleich erheben, und die Flamme wird schon das ganze Land erfassen.«

»Die Armee ist bereit, das stimmt, aber wo ist das Geld?« warf Oberst Kossak ein.

»Die französische Republik verspricht ihrer polnischen Schwester geldliche Hilfe für den Kampf zu gewähren: wir haben doch im Preußenkönig einen gemeinsamen Feind, denn gleich schlagen doch die Herzen für die Menschheitsfrage an der Seine, Weichsel und am Njemen, und dieselben Gefühle von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit wappnen uns gegen die Tyrannen,« verkündete Elias Aloe voll Leidenschaft.

»Mein Gott!« erhitzte sich Oberst Jasinski, »wenn man so hunderttausend Mann Truppen hätte, den Landsturm dazu und die bewaffnete Bauernschaft als Reserve, und dann an einem Tag auf einmal die Fackel des Krieges von einem Ende der Republik zum anderen anzünden könnte, dann dürfte nicht ein Feind lebendig entkommen. Der Zorn des beleidigten Volkes muß wie ein Naturereignis mit einem Gewitter voll Blitze und vernichtender Sturmesgewalt ausbrechen ...«

»Ich bewundere solche feurige Eingabe, doch es scheint mir, daß der Herr Oberst sich gar zu weit und zu hoch von seiner poetischen Einbildungskraft fortreißen lassen!« murmelte Kapostas herablassend.

»Wohin das Gefühl der Einbildungskraft reicht, dahin können auch die menschlichen Absichten gelangen.«

»Der Mensch macht keinen Schritt entgegen der Bestimmung. Wenn die Sterne günstig sind, wird auch David den Goliath besiegen, wird ein Hirte Wunder vollbringen und der Nazarener am dritten Tag auferstehen,« führte er mit der Stimme tiefer Überzeugung weiter aus.

»Haben denn Heldenmut, Tapferkeit und Recht keine Bedeutung?«

Der Bankier Kapostas, welcher Mitglied der Sekte der Illuminaten war, und sich in gelehrten jüdischen Büchern auskannte, sagte darauf:

»Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort – der Rest ist bloß ein täuschender Schein, ein Schatten der Sterne, die in eine Grenzenlosigkeit streben, einem niemals erreichbaren Wesen entgegen. Nur der Weise, der das Geheimnis des Wortes besitzt, ist mächtig, die Rätsel der Bestimmung zu begreifen.«

Jasinski hörte diesen Ausführungen nur aus Höflichkeit zu, denn es lockte ihn eine Unterhaltung, die neben ihm von Pawlikowski und einer Anzahl Offiziere geführt wurde.

»Auf welchen Grundsätzen sollen wir den Aufstand stützen, was denken Sie, meine Herren darüber?«

»Auf denen der Konstitution vom 3. Mai,« entgegnete Kopecj.

»Selbst mit der sind ja unsere kleinen Könige nicht einverstanden,« mischte sich Hauptmann Zukowski ein.

»Die Republik wird nicht an den vergoldeten Türen der Magnaten um Erlaubnis betteln.«

»Das ist richtig. Für sie ist das zu viel und für uns zu wenig,« ließ sich Pawlikowski vernehmen, der ein eifriger Klubmann und Jakobiner war und als Verfasser vieler politischer Flugschriften einen Namen hatte. »Die Grundsätze der Konstitution vom 3. Mai genügen uns nicht. Denn wenn wir das ganze Volk in Bewegung setzen wollen, ist es nötig, allen Ständen die Freiheit zu erteilen. Und nur eine auf dieser Grundlage aufgebaute Volksgemeinschaft wird dem Tyrannen Widerstand leisten können. Schon der ehrwürdige Pater Staszic hat geschrieben, daß ohne die Auflösung der Leibeigenschaft des Bauern alle anderen Reformen fruchtlos sind.«

»Erst sollte man die Republik retten und dann die neuen Freiheiten verteilen.«

»Nur Freie können für die Freiheit kämpfen.«

»Es wird doch keiner zur Sklaverei, sondern im Gegenteil, zur Freiheit geboren.«

»Und zum Gehorsam den Gesetzen der Natur gegenüber,« hagelten die Einwendungen der Klubmänner.

»Gerade diese erhabenen Menschlichkeitsgrundsätze geben Frankreich das Übergewicht über die Tyrannen.«

Kaczanowski lachte plötzlich auf, bezwang sich aber und sagte derb:

»Wir aber stützen unsere Hoffnung auf Soldaten und Kanonen, nach altem Brauch!«

»Es ist nicht nötig,« redete Pawlikowski unbeirrt weiter: »daß der Adel seine Freiheiten verliert, er muß nur seine Vorrechte allgemein machen, indem er die Zahl der freien Bürger vermehrt.«

»Und haben denn Euer Wohlgeboren schon Eure Leibeigenen befreit?« fragte Kaczanowski bissig, denn er wußte sehr gut, daß dieser eifrige Fürsprecher des Bauerntums ein Bürger der Stadt Petrikau war und außer seinen Tugenden, seinem persönlichen Mut und Verstand keinen anderen Besitz sein eigen nennen konnte. Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Kaczanowski darauf an Zaremba und ließ seinem Zorn freien Lauf.

»Seht mal diesen Wohltäter aus fremder Tasche! Eine Meile weit stinkt er nach Tinte. Hat so einer etwas in französischen Traktätchen herumgeschnüffelt und will sich hier als Staatsmann aufspielen! Dieser Schreiber ...« murmelte er mit tiefem Abscheu.

Er beschränkte sich darauf, denn man hörte plötzlich den Kastellan Onuphrius Morski irgend einem laut antworten:

»Die Allgemeinheit? Es ist wohl so, daß sie im tiefsten Grunde der Seele unserem Vorhaben geneigt ist, aber die einen werden von der eisernen Faust der Preußen zu Boden gedrückt, den anderen flößen die russischen Jägerbajonette den gehörigen Respekt ein, andere wieder macht der Glaube an Garantien blind und eine Abänderung der Lage scheint ihnen entbehrlich. Es gibt auch solche, die auf alles mit den Augen ihrer hochgeborenen Protektoren blicken. Ich bin der Meinung, daß die Mehrheit ein ehrliches Fühlen hat und, angesichts des Niederganges der Republik, zu Opfern geneigt sein wird ...«

»Eine nicht geringe Anzahl,« ließ sich Dzialynski vernehmen: »schrickt nicht davor zurück, ihr Blut und ihren Besitz dem Vaterland zu opfern, sondern vor dem Umsturz der Staatsordnung und vor den jakobinischen Grundsätzen. Das Beispiel Frankreichs gibt dem Adel zu denken und läßt Befürchtungen aufkommen, um so mehr, da verschiedene Flugschriften und Feuerköpfe allzu umstürzlerische Absichten im Lande zu verbreiten suchen. Ich würde es für notwendig halten, daß die Kenntnis unserer wahren Ziele und Absichten die weiteste Verbreitung findet. Die beruhigten Gemüter wird man leichter zur Opferwilligkeit geneigt machen können ...«

»Das ist es eben, ehrerbietigst bei den Wohl- und Hochwohlgeborenen herumzubetteln, daß sie geruhen, einen entbehrlichen Fetzen Gnade dem zugrunde gehenden Vaterland hinzuwerfen,« brauste Pawlikowski auf. »Ein guter Staatsbürger kennt nichts, was über der Pflicht der Sorge um das Glück der Allgemeinheit steht; wer das nicht fühlt, dem sollte man die Erfüllung seiner Pflicht anbefehlen!«

»Es ziemte selbst, ihn dazu zu zwingen!« ließ sich Pater Meier mit Nachdruck vernehmen: »und diejenigen, die sich dem Willen der Allgemeinheit widersetzen, muß man als Feinde der Menschheit austilgen. So tun es die Revolutionäre in Frankreich, und das Ergebnis ist, daß sie den Sieg der Tugend und des Verstandes über die Eigensucht, der Menschlichkeit über die Tyrannei erlangt haben. Der Wille des Volkes macht das Recht. Auf unseren Fahnen sollte man die Aufschrift anbringen: » Qui non est nobiscum, est contra nos

»Wer nicht mit uns ist, der ist gegen uns!« bekräftigten seine Anhänger voll Begeisterung.

»Die Ansichten der anderen zu achten, ist die Pflicht der Weisheit,« bemerkte Dzialynski, den die Gemäßigteren unterstützten, Pater Meier jedoch schrie leidenschaftlich darauf:

»Veto, ich protestiere! Darin ist der Quell der polnischen Anarchie zu suchen: die Beachtung der fremden und widerstehenden Meinungen führt zu ängstlicher Rücksichtnahme auf die anderen und zu einer alles verstehenwollenden Nachsicht, selbst gegenüber sichtlichem Verrat und offenbarer Feindschaft. Auch der Bischof Kossakowski vertritt politische Ansichten und der König gibt desgleichen welche kund, die Targowicaer Anführer haben doch auch im Namen ihrer Ansichten das Land dem Feind ausgeliefert. Sollen wir all diese Ansichten achten und ehren? Nein, fort damit! Es soll in Polen keine Ansicht geduldet werden außer der, die zur Emporhebung der Republik auf den Grundsätzen der Gleichheit, Brüderlichkeit und Unabhängigkeit führt ...«

Dzialynski antwortete nicht, um die Feindschaften nicht anzustacheln und wandte sich an den Leutnant Hamilkar Kosinski, der vom Quartiermeister Prozor und von Podlachien erzählte.

»Und das Seltsamste dabei ist, daß unter den Podlachiern das Gerücht umgeht, in einigen Wochen solle die große Schlacht mit den Moskowitern beginnen. Bei Owrucz meinten schon die Bauern, eine ganze polnische Armee gesehen zu haben, die durch die Wälder aus Wolhynien zu zog. Man berechnete selbst die Zahl der Kanonen, der Fouragewagen und der Pferde. Sie sehen schon das, was erst geschehen soll ...«

»Der einfache Mann ist Gott näher und sein Glaube zeigt ihm, was die Weisen nicht sehen können,« murmelte Pater Jelski, ein frommer Mann und eifriger Patriot.

»Die Gerüchte über eine bevorstehende Revolution verbreiten sich über das ganze Ruthenenland,« begann Hauptmann Zukowski; »und die Angst vor der russischen Besetzung erfaßt immer größere Massen des ukrainischen Volkes. Ich habe selbst gesehen, daß die ganze Bevölkerung, als man den russischen Kordon von Wasilkow westwärts bis nach den: Ikwafluß vorgeschoben hatte, in die Pachtgüter fliehen wollte, die bei der Republik verblieben waren. Ich habe eine Post aus dem Kiewer Gebiet gehabt, die besagt, das; auch jetzt auf die Nachricht hin, Rußland ergreife für dauernd von dem dortigen Lande Besitz, die Bauern zu Tausenden nach Polen flüchten und es keine Möglichkeit gibt, dieser Landflucht Einhalt zu gebieten.«

»Denn mit dem neuen Regiment werden sich die Leiden der Bauern nur noch verschlimmern.«

»Aus diesem Grunde will auch die alte Zaporoher Kosaken-Sitsch Sitsch, die Hauptstadt der Zaporoher Dnjeprkosaken-Republik. mit uns verhandeln.«

Der Prior des Klosters kam atemlos herein und forderte die Anwesenden zu einem einfachen Mahl auf.

Dzialynski teilte noch mehrere Patente aus, die von General Kosciuszko unterschrieben waren, und eine Anzahl vom »großen Rat« vorgeschlagener Männer zu General-Majoren einiger Wojewodschaften und Landkreise beförderten. Delegierte der Armee sollten sie den betreffenden überbringen, sodann begaben sich alle nach dem Gemach des Priors; es war inzwischen Mittag geworden und manch einem spielte schon der Magen einen recht artigen Parademarsch auf.

Der pausbackige Klosterbruder hatte den Tisch mit Hilfe des dicken Kellermeisters gedeckt und der Prior lud herzlich zum Essen ein; als alle schließlich Platz genommen hatten, bemerkte er schüchtern:

»Ich mochte Eure Hochwohlgeborenen bitten, sich etwas zur Eile anhalten zu wollen, um mit der Gemeinde zusammen die Kirche verlassen zu können.«

Kaum hatte sich die Tür hinter ihm geschlossen, begannen die Amseln wie eine gut eingespielte Kapelle eine schwungvolle Polonaise zu pfeifen; der Klosterbruder machte sich an den verdeckten Käfigen zu schaffen und pfiff leise mit. In der Kirche war die Hauptmesse noch im Gange und fernes, verschleiertes Orgelspiel mit dem Summen frommer Gesänge zog in einer Flut süßer Laute und Klänge durch das Klostergemach hin.

Eine stille, innige Trauer umfloß alle Herzen, Schweigen hatte von ihnen Besitz ergriffen, manch einer sann seinen kommenden Schicksalen und Hoffnungen entgegen, manch einem hatten Tränen den Blick verschleiert und die Erinnerung beschwor liebe Gestalten. Selbst General Dzialynski seufzte, indem er seine Blicke über die Gesichter der Verschworenen gehen ließ. Der Bankier Kapostas schien inzwischen mit durchdringendem Blick das Los eines jeden der Anwesenden zu wägen, und sein Gesicht verdüsterte sich in Schmerz und Wehmut.

Beklommenen Herzens betrachtete er diese lebendige Litanei von Heiligen des polnischen Freiheitskalenders, die von nun an in einem langen Jahrhundertkampf gewaltig anschwellen sollte zu einer Kette unaufhörlicher Aufopferung, Mühewaltung, Hingabe und Heldentums – er sah auf diese heilige Ritterschaft, die sich anschickte, freiwillig Kopf und Herz in die Bresche zu legen, damit die Sünden der Väter getilgt, damit das Vaterland und das Glück der Allgemeinheit aufgerichtet würden.

Zaremba wurde durch den Klosterbruder hinausgerufen. Pater Seraphim wartete auf ihn im Klostergang.

»Von Kasper!«

Er reichte ihm einen beschmutzten Zettel, der mit Bleistift geschriebene Schriftzüge aufwies.

»Jesus Maria! Die Moskowiter Werber haben ihn zu fassen bekommen! Er ist im Lager der Grenadiere und bittet um Rettung. Wer hat diese Nachricht gebracht?«

»Mein Vertrauensmann, dem es gelungen ist, sich in das Lager einzuschleichen.«

»Mein Gott! und wenn ich es selbst mit dem Tode zahlen müßte, in der Gefangenschaft werde ich ihn nicht umkommen lassen. Der arme Junge!«

Die Verzweiflung hatte ihn gepackt, er stand mit gerungenen Händen und blickte vor sich hin.

»Eine halbe Schwadron Mirower Garde kann sofort die Pferde besteigen. Staschek hat sie angeworben.«

»Gegen ganze Regimenter kann ich damit nicht vorgehen. Dieser Unglücksmensch, mit fünfzig anderen haben sie ihn in Ketten getan; er weiß noch nicht, wann und wohin man sie abführen wird! Rein zum Verzweifeln! Und ich hatte schon die ganze Zeit eine solche Angst um ihn ... Es könnte vielleicht sein, daß Kaczanowskis Freund, Iwanow, gerade diese Partie nach Merecz bringen dürfte? ...«

Er belebte sich plötzlich und seine Augen erglänzten unter einem Entschluß.

»Würden Hochwürden in meinem Quartier auf mich warten. Ich werde bald mit dem Hauptmann Kaczanowski da sein, wir wollen dann zusammen einen Plan beraten. Ist das ein Unglück!«

Kaum war er in die Priorzelle zurückgekehrt und hatte seinen Platz eingenommen, als sich General Dzialynski erhob. Alle sprangen zugleich auf, treu ergebene Blicke hefteten sich auf ihn, er aber erhob seinen Kelch und sagte nur kurz:

»Tod oder Sieg!«

»Tod oder Sieg!« riefen sie machtvoll zurück und alle Kelche klirrten zu Boden. –


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