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Erstes Kapitel

Ein heißer, seltsam schwüler und stiller Abend ging zur Neige, als aus dem Botanischen Garten auf der Horodnica eine Rakete aufleuchtete und mit ihrem gefiederten Pfeil die Dunkelheit zerriß.

Auf dieses Zeichen hin erblühte aus den Bäumen und Büschen ringsumher ein Gewimmel buntfarbener Lichter: über der Säulenarkade des Lustschlößchens, das eine Anhöhe krönte, erglänzten die Initialen des Jacobus von Sievers, umgeben von Eichenlaubkränzen, in deren Grün seine Wappenfarben eingeflochten und vor den großen Fenstern stiegen aus efeuumwundenen Alabasterurnen blutige Flackerflammen empor.

Plötzlich hatten sich die Flügeltüren aufgetan, so daß sich eine Flut von Licht über die Terrasse voll Marmorvasen, Putten und lieblich verrenkter Göttinnen, ergoß, worauf zwölf Pajuken festen, strammen Schritts in roten, eng anliegenden Gamaschen und reichbetreßten Jacken hinaustraten; sie trugen brennende Fackeln und nahmen auf der letzten breitesten Treppenstufe Aufstellung.

Nach einer Weile sah man den Marschall von Pulaski umgeben von einer reich geputzten Festgesellschaft erscheinen. Die Dienerschaft trug hurtig Stühle und Bänke hinaus, obwohl sich alles nach dem Vordergrund, bis an das von Blumengirlanden behangene Geländer gedrängt hatte, um die von der Stadt her führende menschenleere Straße in Augenschein zu nehmen.

Sogar das Geflüster und das Lachen verstummte, und nur der sich unruhig hin- und herbewegende Herr von Pulaski, der seinen Gurt immer wieder zurechtzog und die herabhängenden weißen Schlitzärmel seines Polenrockes zurückstreifte, erteilte weiter verschiedene Befehle an die Dienerschaft und die im Schatten der Schloßarkade versammelten Musikanten. Seine Augen überflogen immer ungeduldiger die Landstraße und die illuminierten Baummassen, wobei er wiederholt einem gebeugten Greis, der ihm wie ein Schatten folgte, etwas zurief.

»Panje Borowski, was meint Er, wenn da nur nichts vorgefallen ist?«

Der Pan Borowski verbeugte sich tief, so daß die Schöße seiner Kontusche den Boden fegten, breitete die Arme ratlos auseinander, ohne sein Schweigen zu brechen und folgte seinem Herrn weiter.

Verschiedene Freunde beeilten sich, dem Marschall Beruhigung zuzusprechen und ihn durch Scherzreden abzulenken.

»Wird er nicht vielleicht doch haben der Ruhe pflegen wollen nach der Bewirtung bei der Frau Kastellanin?«

»Oder haben er sich noch bei seiner Majestät melden müssen!«

» Parole d'honneur! Sie können es glauben, es sind Staffetten, die ihn zurückgehalten haben.«

»Das ist kein crimen, eine solche Verspätung kann man gelten lassen.«

Inzwischen machten sich ein paar Würdenträger der Generalität halblaut über die Sorgen des Herrn Marschalls lustig.

»Augenscheinlich will er ihm einen Affront bereiten.«

»Die Krone wird ihm schon nicht vom Haupt fallen, wenn er etwas warten muß.«

»Es widerfährt ihm sowieso Ehre genug.«

»Es sieht ganz danach aus, als ob der Herr Gesandte die Geduld des Herrn Marschall auf eine harte Probe stellen wollte.«

»Ich wage zu meinen, daß die hochlöbliche Generalität schon auf schlimmere Entsagungen dressiert worden ist,« bemerkte mit einem verbindlichen Lächeln ein junger Mann, dessen Gesicht scharfe Züge aufwies. Er trug einen aschgrauen Frack mit langen Schößen, eine silberdurchwirkte Weste und eng anliegende Culotten.

Die Herren Würdenträger taten, als hörten sie nichts und nur einer von ihnen, ein Mann mit einem mächtig hervorstehenden Bauch und einem Hängekinn versuchte dem Gespräch eine scherzhafte Wendung zu geben:

»Wenn uns die schönen Braten nur nicht bei all dem Warten hart werden wie gemeines Sohlenleder.«

»Um so besser gekühlt wird der Champagner sein.«

»Da habt ihr das Richtige getroffen, Woyna, ich kann nicht mehr atmen vor Hitze und künde an, daß ich nicht einmal vor einem Schock dickleibiger Flaschen bange werde.«

»Euerer Gnaden Wanst soll es schon aushalten können, aber die Vorräte, ob die das werden ...?«

»Macht Euch keine Sorgen um die Vorräte. Feuchtigkeiten sind da bis zum Übermaß. Ich habe es selbst gesehen, wie vor die Ökonomiegebäude die Schmirgeltwagen Schmirgeltwagen nannte man in Polen die grünen mit Plantüchern gedeckten Postwagen der damaligen Zeit. vorgefahren kamen. Sie waren voll bis an den Rand. Ein artiges Fest hat mir das Klirren der lieben guten Flaschen verkündet!«

Woyna strich sich die wohlfrisierten schwarzen Haare, die in der Stirnmitte gescheitelt waren und in Locken auf den saphirblauen Frackkragen niederringelten, zurück, und die Unterlippe mit dem goldenen Knauf seines Spazierstöckchens stützend, warf er nachlässig hin:

»Ich hatte es vergessen, daß die Nachbar-Puissancen die Expensen tragen. Dann wird schon keiner Mangel zu leiden brauchen.«

»Es zahlt, wer da zahlen muß, und es säuft, wer die Lust dazu hat,« gab ihm ein Dickwanst zurück und setzte dann, mit gedämpfter Stimme auf ihn einflüsternd, hinzu:

»Der Boscamp steht neben uns.«

Woyna sagte darauf ganz laut, ohne den scherzenden Ton zu ändern:

»Laßt den Burgunderwein fließen, und der Rest soll mir gleichgültig sein.«

»Ich lobe mir den Ungarwein!« mischte sich ein Herr mit rotem Gesicht ein, das aussah, als schwämme es in dem riesigen Halstuch seines Besitzers wie in einer weißen Schüssel.

»Es geht nichts über englisches Bier, aber in Flaschen!« schnalzten wollüstig zwei leberblaue Lippen über einem Hängebauch, der sich, umspannt von einem sandfarbenen Frack, auf O-Beinen in weißen Strümpfen näherschob.

» Judica me domine, wenn ich jemals durch Mäkelsucht gesündigt haben sollte,« platzte ein anderer Dickwanst dazwischen. »Alle können bezeugen, daß ich in der schwersten Not meinen Mann stehe und mit dem Feind bis zum letzten Tropfen kämpfe.«

»Natürlich, man kennt Euer Wohlgeboren Heldentaten bei Süffelheim.«

Der Dicke lachte nur kurz auf, und indem er seine schlauen Äuglein in die Runde gehen ließ, redete er mit komischer Salbung weiter:

»Sei nicht zimperlich bei Getränken und frage nicht nach dem, der sie dir zahlt. Wer solche Prinzipien sein eigen nennt und dabei einen schönen Durst, der kann viel in der Welt zustande bringen.« Er kramte seine Weisheiten weiter aus und unterbrach sich immer wieder durch lautes Gelächter.

»Seiner Gnaden Podhorski spielen heute nicht umsonst den Narren,« murmelte irgend jemand von der Seite.

»Das muß schon auf irgend eine Kabale zurückzuführen sein.«

»So ein Schlauberger, beschlagen auf allen Vieren. Und dabei noch Buchholtzens Vertrauter!«

»Und ich wage aus seiner Wohlgeboren, des Herrn Podhorskis Reden zu imaginieren, daß Seine Majestät der König von Preußen eine freigebige Land haben muß, um einen so schönen Durst zu stillen,« hieb Woyna keck dazwischen und wandte sich darauf in der Richtung der Damen ab.

»Warte Er einmal, Euer Wohlgeboren!« rief ihm Podhorski mit einer seltsam gepreßten Stimme nach; er hatte seine Bemerkung vernommen. »Da zieht er es vor, der Windbeutel, den Frauenzimmern nachzurennen, anstatt hier mit uns ehrlich zu diskutieren; trotzdem aber ein goldenes Herz,« versicherte er mit Nachdruck.

»Aber die Zunge wie bei einem Eidechs'.«

»Und nimmt sich wahrlich gar zu viel heraus. Es gibt in ganz Grodno keinen Menschen, dem er nicht wenigstens einmal bis aufs Blut zugesetzt hat. Dem geht der Respekt gänzlich ab.«

»In welcher Materie beratschlagen die Herren?« redete sie der Marschall Pulaski an, der in der Nähe stehen geblieben war.

Doch plötzlich entstand ein Lärm, und man hörte eine Stimme laut rufen:

»Herr Marschall, die Wagen!«

Man vernahm Hufegetrampel und dumpfes Rädergeroll, und eine Weile später blitzten durch das überhängende Gewirr der Baumkronen die Fackeln reitender Diener auf, die im vollen Galopp heransprengten. In ihrer Gefolgschaft schob sich eine prachtvolle, vergoldete Karosse näher, sechsspännig von weißen Pferden mit rotgefärbten Mähnen und Schweifen gezogen und umgeben von einem Haufen Kosaken in purpurfarbenen wehenden Überröcken und hohen schwarzen Pelzmützen, die sie im Schnelltrab begleiteten.

Ein greller Fanfarenruf schrillte auf, die Karosse näherte sich im großen Halbbogen und hielt vor der Terrasse. Ein Tritt wurde eilfertig durch die Dienerschaft herabgelassen und auf seiner untersten Stufe begrüßte der Marschall Pulaski ehrerbietigst den aussteigenden Gesandten der Zarin von Rußland Jacobus von Sievers. Feierlich geleitete er ihn hinauf. Sie schritten, von einem Kranz lohender Fackeln umgeben, durch die im ängstlichen Schweigen verharrende Menge, zwischen ehrfürchtig gesenkten Häuptern. Hinterdrein kam schweren Schrittes mit finster verzogenem Gesicht der Bischof Kossakowski, der die Frau Hetmanin Frau eines Hetmans, eines hohen polnischen militärischen Würdenträgers. Entspricht etwa der heutigen Feldmarschallwürde. Ozarowska am Arme führte.

Nach der langwierigen Abwickelung der verschiedenen Vorstellungszeremonien ließ sich die Frau Ozarowska alsbald vernehmen:

»Wo bleibt denn die versprochene Surprise, Herr Marschall?«

»Wenn Ihro Gnaden geruhen, sich momentweilig zu gedulden, soll sie leibhaftig werden.«

»Es ist nur, daß wir auf die Gräfin Camelli und die weiteren Gäste warten.«

»Und wir sollen derzeit vor Neugierde verschmachten?«

»Und was für Wunderdinge hat man sich berichten lassen müssen von den kommenden Herrlichkeiten!«

»Es wird schwer fallen, uns heute staunen zu machen,« bemerkte Sievers mit einem Lächeln und reichte dabei seine Tabakdose dem Herrn von Pulaski.

»Das ist wirklich wahr, wir haben heute einen bewunderungswürdigen Tag erlebt.«

»Diese Oktave des Namenstages Seiner Gnaden, des Herrn Gesandten wird in Polen unvergeßlich bleiben.«

»Für alle Zeiten, Herr Marschall!«

»Die Chroniken werden diesen Tag dem Gedenken kommender Geschlechter überweisen.«

»Schade, daß ihn der Satiriker Wengierski nicht verewigen wird!« bemerkte Woyna ironisch, aber ein Chor lobpreisender Stimmen übertönte seine Einwendung. Vor Bewunderung trunkene Worte, wie regenbogenschillernde Beteuerungen, honigsüßes Geflüster, schmeichelnde und bettelnde Blicke kamen von allen Seiten auf den weißen kunstvoll gelockten Kopf des Herrn Gesandten zu, der allen mit einem welken Lächeln herablassender Gutmütigkeit, das wie aufgeklebt auf seinen schmalen Lippen prangte, zuzustimmen schien. Von Zeit zu Zeit tastete er wohlgefällig mit den Fingern seiner gepflegten Land über das breite blaue Band des St. Andreaskreuzes, das er in den letzten Tagen für die Durchführung des Teilungstraktats erhalten hatte, nestelte an dem Brillantstern an seiner Brust, nahm eine Prise und ließ hin und wieder, indem seine müden Augen die Gesichter der Anwesenden musterten, eine trockene Bemerkung zum Bischof Kossakowski fallen.

Dieser zwang sich zu einer lächelnden Antwort, aber seine Blicke gingen immer finsterer im Kreise und seine Hände zupften immer ärgerlicher an der purpurgefütterten Mantille, bis er sich zuletzt mit erbitterter Stimme an den Marschall wandte:

»Wir warten also nur auf die Frau Gräfin Camelli?«

»Und auf dero Hochwohlgeboren, den Herrn preußischen Gesandten.«

»Ew. Bischöfliche Gnaden bewundern nicht unsere entzückende Euridike?« fragte Sievers leise, durch den verächtlichen Ton des Bischofs verletzt.

Kossakowski hub an mit höfischem Eifer und mit solcher Begeisterung die Stimme und die Reize der Gräfin zu preisen, daß der versöhnte Gesandte ihn freundschaftlich einhakte und beiseite führte, ohne auf den lärmenden Troß der Wagen acht zu geben, der aus dem Dunkel der Bäume aufgetaucht war und auf der Landstraße im blutigen Dunst der Fackeln unter Schellengeklingel, Pferdegetrampel und bravoureusem Peitschengeknall näherkam.

Wie ein losgebrochenes Gewitter kamen Kutschen, Karriolen, Landauer und lange sonderbare Vis-à-vis vor die Vorfahrt aufgefahren und eine Flut lustiger Damen und Herren ergoß sich über die Treppe und nahm von der Terrasse Besitz. Alles redete durcheinander, versuchte einander zu überschreien und erging sich in ausgelassenster Fröhlichkeit. Die Gräfin Camelli mit der durch ihre Schönheit berühmten Prinzessin Czetwertynska, Baronesse Keiking und die Kammerherrin Rudzka überfielen die Frau Hetmanin Ozarowska, um ihr ein unerhört komisches Geschehnis mitzuteilen.

»... Und zum Schluß hat er die Gitarre auf dem Kopf des Dieners zerschlagen!« rief mit einem komischen Nachdruck die Gräfin aus. »Wir haben diesem Barbaren zum Trotz weitergesungen, ohne einen Augenblick aufzuhören. Ich habe geglaubt, daß er uns vor Wut schlagen würde. Und wenn nicht die Frau Kammerherrin dabeigewesen, so weiß man nicht, was noch geschehen wäre. Er hat schon mit den Zähnen geknirscht!« rief sie und unterstrich jedes Wort durch ein besonderes Lächeln und leidenschaftliche Gebärden.

»Frau Gräfin, Eure Stimme ist ein Schatz der Menschheit. Man muß ihn hüten,« mahnte Sievers väterlich und legte einen scharlachfarbenen Schal um ihre bloßen Schultern. »Wer war denn dieser wilde Mann?«

»Der Fürst Cycyanow, unser edler Ritter und Verteidiger,« beeilte sich die Baronesse vorzustellen, indem sie einen schnippischen Kniks vor einem kleinen, pockennarbigen Herrn unbestimmten Alters machte, dessen Augen stark geschlitzt waren.

»Und der außerdem nicht zu kutschieren versteht,« kicherte die Prinzessin.

»Das sind durchaus unberechtigte Suspicia!« murmelte die Kammerherrin.

»Was sollte ich also tun, wenn die Pferde von dem Geklimper der Gitarre scheu wurden und immer wieder durchzugehen versuchten? Wir setzten das Leben aufs Spiel. Und die Damen hatten für alle meine Bitten nur Gelächter,« versuchte er, noch ganz ärgerlich, sich zu entschuldigen.

»Und Sie hatten Lust uns zu verprügeln? Bitte jetzt mit der Wahrheit heraus, Durchlaucht,« drängte die Gräfin und versuchte ihm in die trüben, wie gekochten Augen zu schauen.

»Ich hätte Sie, weit eher verschlungen. Gnädigste!« knurrte der Fürst und umfaßte mit wollüstigem Blick ihre vom Scharlach kaum umflorte Büste.

»Mich auch?« interpellierte die Baronesse aufdringlich.

»Durchlaucht ist kein König Herodes und lechzt nicht nach dem Blut von unschuldigen Kindlein,« verteidigte ihn Sievers humorvoll, ganz plötzlich drehte er sich aber um, flüsterte der Gräfin einige Worte zu und entfernte sich mit ihr in der Richtung einer Seitentreppe der Terrasse, als wollte er absichtlich Herrn von Buchholtz aus dem Wege gehen, der, verfolgt von den haßvollen Blicken der Umstehenden, sich zu ihm durchzudrängen versucht hatte.

Seine Hochwohlgeboren, der Herr Gesandte des Königs von Preußen, blieb stehen und sah sich ziemlich ratlos um, sofort aber hatten sich der Marschall, Herr von Podhorski und einige andere Vertraute, ihm zugesellt und geleiteten ihn mit offensichtlicher Ehrerbietung die Treppe herab, denn die Kapelle spielte schon die Polonaise und die Festgesellschaft begann sich über die Parkanlagen zu verteilen.

Ein Wald blutroter, hochflammender Fackeln wies ihnen den Weg.

Woyna ging für sich und beobachtete dabei von der Seite einen jungen Kavalier, der schon einige Zeit sich um ihn herum zu schaffen gemacht hatte. Auf einmal blieben beide stehen, sahen einander ganz aus der Nähe an, und Woyna ließ sich mit einer spöttischen Herzlichkeit vernehmen:

»Sollten meine sündigen Augen wirklich Seiner Edlen, den Herrn Lieutnant Sewer Zaremba wieder bewundern dürfen?«

»Woyna! Kazimirchen! Woyna!« rief der andere aus und warf sich in seine ausgebreiteten Arme. »Eher hätte ich hier den Tod erwartet!«

»Habe doch wenigstens Achtung vor meiner Coiffüre, junger Bär!«

»Nein, eine solche Begegnung! Ich trau' meinen Augen nicht.«

»An meinen Rippen hast du dir die Gewißheit geholt!« lachte Woyna, indem er sich die Seiten rieb.

»Daß ich dich in Grodno treffen könnte, das ist mir keinen Augenblick in den Sinn gekommen.«

»Wo sollte ich denn sonst sein, Menschenkind?«

»Ich glaubte dich in Warschau anwesend oder auf dem Lande.«

Woyna pfiff melancholisch vor sich hin.

»Noch dieses Frühjahr habe ich die letzte lebendige Seele aus Zatory an den Mionczynski verspielt. Alles ist zum Teufel gegangen, cum assistentia militari, wie mir mein Rechtsanwalt schwarz auf weiß geschrieben hat. In Warschau hatte ich ebenfalls nichts zu suchen. Dort atmet man schon Leichengeruch; zurückgeblieben sind nur alte Glucken von Betbrüdern um Seine Eminenz, den Herrn Primas von Polen, die jammernden Gläubiger des Bankiers Tepper und das städtische Gesindel. Ich sage dir, die reine Wüstenei! Ein Dukaten ist dort eine ebensolche Seltenheit wie jungfräuliche Tugend in Grodno. höchstens müßte man ihn schon bei Igelström suchen, aber selbst dieser Beauftragte Rußlands ist nach den Wahlen nicht mehr so freigebig. Imaginiere, daß man nur zuletzt bei Jaszowicz nicht eine Flasche mehr kreditieren wollte! O tempora, o mores! um den Stoßseufzer unseres braven Landesvaters Stanislai zu gebrauchen, wenn ihm Sievers einen Vorschuß abschlägt. Ich habe also den Staub der undankbaren Stadt von den Schuhen geschüttelt und amüsiere mich jetzt im Paradies von Grodno.«

»Man sagte nur, du wärest Rat der Generalität geworden.«

»Ich mag keinen Hundefraß und noch weniger die Türklinken der großen Herren. Und nebenbei gesagt,« seine Stimme nahm einen wehmütigen Klang an: »wie sollte ich die eigene Mutter schinden! Ich lebe also nach alten Gewohnheiten, verehre wie immer Weib, Wein und klingendes Gold. Ich war gerade dabei, mir ein fettes Essen zu Ehren unseres Beschützers zu versprechen und wenn's glückt, eine Handvoll guter Dukaten im Pharaospiel.«

»Das hier wäre also eine Fête für Sievers?«

»Du fragst, als kämest du aus den Landen der Antipoden.«

»Ich bin erst heute früh angekommen, habe den ganzen Tag geschlafen und wie es anfing schummrig zu werden, hat mich mein alter Kamerad hierher gebracht, er selbst hat sich irgendwo anders hingetan, dann habe ich dich getroffen, und das ist alles, was ich weiß.«

»Wenn es sich so verhält, dann merke dir folgendes gut: dieses ist die Oktave des Namenstages von Sievers. Zu seinen Ehren und um unsere Dankbarkeit für die glückliche Durchführung des sogenannten Allianzvertrages zu bezeugen, werden wir uns bis zum Morgengrauen vergnügen. Behalte diesen Donnerstag, des 1. Augustus, anno 1793 gut im Gedächtnis.«

»Und wer verausgabt sich denn so eifrig für solche Festivitäten?«

»Pulaski, der Vize-Marschall der Konföderation von Targowica und der wolynische Abgeordnete, doch du brauchst keine Angst zu haben, der Edle wird sich dabei nicht übernehmen, er bekommt alle seine Expensen mit einem reichlichen Aufschlag aus der Schatulle des Herrn Gesandten Ihrer Majestät der Zarin zurück. Die Würdenträger der Generalität sind immer sehr freigebig, aber aus fremden Taschen.«

»Es wird mich auf alle Fälle interessieren, die Herrschaften von der Konföderation aus nächster Nähe zu betrachten.«

»Das eigentliche Trifolium wirst du aber nicht zu sehen bekommen. Man sagt, daß von einem Haus, welches einzustürzen droht, zuerst die Vögel flüchten. Vielleicht vergnügt sich seiner gräflichen Gnaden, Felix Potocki aus dem Grunde in Hamburg mit der teuer erkauften Frau Witte, der zweite im Bunde, Xawer Branicki, hütet im Augenblick die Vorzimmer des Grafen Zubow in Petersburg und Graf Rzewuski, der dritte, hat sich auf dem Lande vergraben: er unterrichtet dort die Schankwirte in der Kunst der Verführung der Bauernschaft zur Trunksucht und schreibt gelehrte Traktätchen für seine Ökonomen, wie sie die Untertanen schinden sollen. Manchmal taucht er hier in Grodno auf, besonders wenn man ihm mit einer militärischen Exekution droht, dann schimpft er auf die Preußen und auf den König, lamentiert über den Zusammenbruch der Freiheit und verduftet, sobald er Sievers wieder begütigt hat. Aber an allerhand Kleinzeug der Targowica-Föderation elenden Angedenkens wirst du hier keinen Mangel haben. Du wirst es selbst sehen, sie schwärmen wie die Bienen um den Honigtopf des Gesandten Ihrer Majestät der Zarin. Das ist hier zur Zeit die zahlreichste Fraktion.«

»Es gibt aber doch noch ehrliche Männer genug in der Republik!« rief Zaremba mit solchem Feuer aus, daß der andere ihn aufmerksam ansah und dann im Flüsterton sagte:

»Paß auf, daß du dich nicht vor den Leuten durch allzu große Offenheit verrätst. Hier haben selbst die Wände Ohren. Vor allem aber sind die Personen unserer Alliantin, der Zarin und unseres Beschützers Sievers unantastbar. Jedes Wort wird weitergegeben. Vielleicht bin ich der einzige, der das Privilegium des freien Drauflosredens hat, weil ich als Spieler und Prasser bekannt bin. Wie viele, die nicht aufgepaßt haben, sind schon Gott weiß wohin verschwunden, daß nicht eine Spur von ihnen nachgeblieben ist ...«

»Du redest schier unglaubliche Dinge! Wie reimt sich das mit der bürgerlichen Freiheit, mit den grundlegenden Gesetzen des Reiches?«

»Die befinden sich zur Zeit auf Versatz bei Sievers. Gehen wir aber, damit man uns nicht die besten Plätze belegt.«

Sie holten die Festgesellschaft am Horodniczankabach ein, die dort, von einem unerwarteten Anblick überrascht, voll Staunen verweilt hatte.

Über der wildzerklüfteten und strauchbewachsenen Schlucht, auf deren Grund ein kleines Bächlein murmelte, erhob sich ein kuppelförmiges grün und gelb gestreiftes türkisches Zelt, das innen mit scharlachrotem Taffet ausgeschlagen war; seine Innenausstattung war so prächtig, daß die große Tafel sich unter der Last des Silbers, der Porzellane, Kristalle und zahlreichen Lichter, die in Alabasterurnen glühten, zu biegen schien. Rings um das Zelt waren auf dem welligen Ufergelände in Rosenbosketten, die man sonders zu diesem Zweck gepflanzt hatte, gebauchte chinesische Pagoden aufgestellt, mit geschweiften Dächern aus grünbemaltem Stroh, die auf vergoldeten, mit Blumengewinden behängten Drachen ruhten. Jedes dieser Tempelchen war für zehn Personen bestimmt und glitzerte wie ein geöffneter Besteckkasten von all dem Silber, dem Gold der bronzenen Armleuchter und von blendenden kunstvollen Augsburger Fayencen, die zierlich wie Marzipanarbeit die Tische schmückten.

»Das ist wirklich ein ungewöhnliches Tableau!« lobte Sievers und ihm nach rühmten die anderen um die Wette den glücklichen Gedanken des Marschalls.

Marschall von Pulaski, über das allgemeine Wohlgefallen höchlichst erfreut, streifte immer wieder eifrig die weißen Ärmel seiner Kontusche zurück und lud mit breiter Gebärde die Gäste ein, sich an den Tischen niederzulassen. Die Damen und die angesehensten unter den Gästen führte er selbst an ihre Plätze.

Als ersten hatte er unter dem Türkenzelt Sievers Platz nehmen lassen und rings um diesen wurden die Gesandten der benachbarten Mächte, Frauen der höchsten Gesellschaft, Bischöfe, Minister der polnischen Republik und die bedeutendsten Boten des Reichstags untergebracht. Der Rest der Gäste verteilte sich auf die chinesischen Pagoden, die Wahl nach Lust, Konnektionen und Freundschaften treffend.

Woyna führte Zaremba bei seinen Freunden ein und setzte sich zu ihm, um ungestört weiterreden zu können, aber er konnte ihn nicht ganz für sich behalten, denn die ungestümen Blicke der Frauen und ihr lockendes Lächeln suchten immer wieder, ihm den Freund abspenstig zu machen.

»Ich sage dir einen großen Erfolg bei den Frauenzimmern voraus,« murmelte er mit aufrichtiger Bewunderung, indem er mit den Blicken seine männliche, kühne Schönheit abschätzte.

»Ich halte darauf so viel, wie auf den Schnee vom Vorjahr.«

Er wurde dennoch rot.

»Ist also die schöne Isa noch immer nicht vergessen?«

Sewer Zaremba zog wie unter einem plötzlichen Schmerz die Augenbrauen zusammen.

»Die schöne Kammerherrin,« erzählte Woyna, »sitzt unter dem Türkenzelt zwischen dem englischen Gesandten und dem Herrn von Moszynski. Hast du sie noch nicht bemerkt?«

»Ich brenne nicht darauf,« entgegnete der andere und biß die Zähne zusammen.

»Das ist mein Busenfreund, Frau Vize-Kämmerin,« stellte Woyna vor, indem er sich vor einer majestätischen Dame verbeugte, die im Begriff war, neben ihm Platz zu nehmen.

Ein Mohrenzwerg, der eher einem schwarzen Affen ähnlich war, stellte sich hinter ihren Stuhl, mit einem Riesenschal und allerlei Toilettenzubehör beladen.

Die Frau Vize-Kämmerin fächelte sich eine Weile Kühlung zu und betrachtete mit Aufmerksamkeit und dem gewiegten Blick einer Kennerin die soldatische Gestalt Sewer Zarembas. Die Dame war schon in reiferem Alter, aber noch von einer üppig aufgeblühten Schönheit und so gründlich entblößt, daß Zaremba nicht wußte, wo er seine Augen hintun sollte.

»Eine Wittib im Besitze einiger Tausend Seelen im russischen Gebietteil der Republik, dabei ihr ganzes Leben in Amouren – und äußerst freigebig für ihre Amis,« erklärte Woyna im Flüsterton und freute sich über die Bestürzung des Freundes.

»Hier haltet das, Euer Edlen!«

Sie hatte eine weiche, reizvolle Altstimme und sprach ein Französisch mit Berditschewer Akzent.

Er nahm zögernd das winderzeugende Gerät aus golddurchwirkten Spitzen in Empfang. Nach einer Weile warf sie ihm auch noch die weißen Handschuhe hin, auf denen sich recht frivole Szenen mythologischen Inhalts in Miniaturmalerei befanden, und nachdem sie den Händen des Mohren eine Balsambüchse aus Agat, einen silbernen winzigen Spiegel und eine mit Edelsteinen übersäte Puderdose entnommen hatte, bestäubte sie sich das Gesicht, besprengte sich mit Wohlgerüchen und sagte gedämpft:

»Ich habe Euer Edlen auf keiner der Festlichkeiten bemerkt.«

»Weil ich erst heute angekommen bin,« entgegnete er, nicht ohne Erstaunen über ihr Toilettegebaren und ihre Zudringlichkeit.

Sie lächelte ihn an, ließ zwei Schnüre blendender Zähne sehen und fragte unbekümmert weiter aus, indem ihre schwarzuntermalten Augen ihn zu durchdringen suchten.

»Und von welcher Fahne kommen Euer Edlen?«

Ihr Scharfsinn verwunderte ihn, er versuchte aber eine unmittelbare Antwort zu umgehen.

»Ich erkenne den Soldaten unter jeder Verkleidung, darin irre ich mich niemals. Und welche Charge nehmen denn Euer Edlen ein?«

Er wich ihr aus, indem er die Unterredung mit neckischen Seitensprüngen vom Wege abirren ließ, als das Geflüster Woynas abermals sein Ohr traf.

»Ich muß dich warnen, daß diese lieblichen und weiten Besitzungen, welche so süße Einkünfte versprechen, cum silvis et frontieribus zur Zeit verpachtet sind.«

Er schloß mit einem lustigen Kichern.

Die Frau Vize-Kämmerin zog die wie Zobelfell ebenmäßigen, gepflegten Augenbrauen zusammen und neigte ihr mit einem riesigen Diamantgehänge geschmücktes Ohr, um zu lauschen. Zum Glück entstand jedoch ein lauter Lärm: der Pan Borowski war mit einem Haufen weißgekleideter Küchenjungen erschienen, die hinter ihm drein mächtige silberne Schüsseln, dickbäuchige Terrinen, kupferne Kasserolen und Bratenplatten schleppten, über denen duftende Dämpfe schwebten; Leibjäger in grünen Jacken trugen Weine in Kannen, altertümlichen Krügen und graubemosten Flaschen heran, welche schwarze Kreuze auf den Kapseln auswiesen; darauf erschienen Lakaien in tupierten Perücken, dunkelroten Röcken und weißen Strümpfen, die goldgepunzte Kästen voll Liköre, gewürzter Schnäpse und schmackhafter Antipasten als Vorspeise brachten, nach ihnen folgten schließlich hünenhafte Pajuken, die hinter den Stühlen der zur Tafel Sitzenden in Reih und Glied Ausstellung nahmen und die benötigten Handservietten in Bereitschaft hielten. Pan Borowski, als Meister seines Fachs und bewährter Leiter großer Festlichkeiten, gab seinem Dienerstab ein stummes Zeichen und das Festmahl nahm seinen Anfang.

Die Musik kam in gedämpften Wellen irgendwo aus der Ferne, mit Heuduft und dem Aroma welkender Blumen vermengt, auf sie zugeflossen.

Der Abend war sehr dunkel und schwül, es sah nach Gewitter aus; am Himmel hing eine Wolkenwand wie ein schwerer Bleivorhang und im Westen sah man hin und wieder die blassen Blitze des Wetterleuchtens sich schlängeln; weit herüber, von der Lososna her, kam Hähnekrähen und in Abständen erbebte die Luft unter fernem Donnergrollen, dann wieder kam ein trockener heißer Wind auf, der die Bäume schüttelte, so daß es in allen Ästen rauschte und die Lichter der Illumination dunkler brannten.

Auf dem Hintergrund dieser unruhigen, bewölkten Nacht erhob sich das kuppelförmige Türkenzelt wie ein Fanal, wie ein Tempel, in dem ein Mysteriendienst abgehalten wurde. Die glühenden Urnen und Kristallgeräte sprühten regenbogenfarbenen Staub, in dessen Lichtschein die Menschen und Dinge ein gespenstiges Aussehen bekamen. Alles schien ein unaussprechlich zauberischer Traum zu sein. Die Blicke zuckten wie Blitzstrahlen und die Gesichter und entblößten Schultern der Frauen waren wie perlmutterfarbener Glanz, auf dem hier und da das Leuchten von Türkisen geträufelt war; die Farben der Festkleider hatten gedämpfte Töne angenommen und flossen zu einer Flut aus Rubinen, Smaragden und Gold zusammen, auf der hin und wieder der silbrige Schaum des Spitzengekräusels schwamm. Selbst die blendende Weiße der Tischlaken begann den spiegelnden Schimmer duftiger Seifenblasen anzunehmen und die Porzellanfiguren, die als ein Reigen tanzender Musen inmitten des Tisches prangten, schienen sich geheimnisvoll in diesem feenhaften Licht zu bewegen.

Jacobus von Sievers, der in einem goldenen Sessel wie auf einem Thron lehnte, hatte das Aussehen einer grimmigen Gottheit, zu deren Majestät alle demütigen Blicke hinkrochen, während die Häupter sich neigten und Seufzer aufstiegen. Das Schweigen selbst war erfüllt mit angstvoller Anbetung und Anruhe.

Unter dem Türkenzelt herrschte eine wohlbedachte Zurückhaltung. Man unterhielt sich nicht viel und vorwiegend im Flüsterton, wobei jedes Wort, jeder Blick und jede Bewegung sorgfältig erwogen wurden.

Sogar das Klirren der Fayencen und des Silbers hörte sich wie absichtlich gedämpft an und die Dienerschaft eilte vorsichtig auf den Fußspitzen hin und her wie vorübergleitende Schatten.

Man langweilte sich hier mit feierlichem Pomp und großer Würde.

Indessen herrschte in den Gartenhäuschen ein ganz anderer Geist.

Zuerst waren auch dort die Stimmen gedämpft und man bemühte sich auf die Staatspersonen Rücksicht zu nehmen, die unter dem Zelt beim Festmahl saßen, nachdem aber einige Gänge vorüber waren und die ersten Kelche geklirrt hatten, schwand jede Zurückhaltung, und die gute Laune versuchte immer verwegener an dem unbequemen Zaun zu zerren. Die Herren von der Schlachta Sammelname für den polnischen Adel. Der einzelne Adlige wird »Schlachziz« genannt. aßen und tranken und ließen der angeborenen Lustigkeit freien Lauf.

Leichte Witze schossen auf wie Schwärmer und indem sie von Mund zu Mund zugleich mit den gefüllten Kelchen die Runde machten, weckten sie allgemeine ausgelassene Heiterkeit. Gepfefferte Anekdoten über die Pfaffen jagten einander, als hätte man sie aus einem Füllhorn über den Festplatz ausgeschüttet. Es fand sich selbst ein auf einem bläulichen Kärtchen gedrucktes sehr ungebührliches Spottgedicht gegen den preußischen Gesandten von Buchholtz ein, und machte in Windeseile die Runde um alle kleinen Tische; nachdem es überall Ausbrüche tollen Gelächters entfesselt hatte, verschwand es ebenso plötzlich und spurlos. Man unterhielt sich mit immer größerer Lust. Die Lakaien wachten unermüdlich über die Kelche, der Wein floß in Strömen, die Gesichter röteten sich, die Phantasie bekam Flügel, Wohligkeit durchrieselte alle Glieder und die Stimmung wurde immer gehobener. Die Augen der Frauen funkelten wie Sterne, und ihre sich eifrig bewegenden im Lächeln taufeuchten Lippen und entblößten Schultern umnebelten schon manchen Kopf. Hinter den weit entfalteten Fächern knüpften sich schon gedämpfte Zwiegespräche an, wurden leidenschaftdurchbebte Achs gehaucht und wogten schimmernde Busen.

Wenn aber die Unterhaltung zu rauschend wurde und das Geprassel des Gelächters sich zu unbekümmert erhob, tauchte, wo es gerade am lautesten war, der gebeugte Schatten des Pan Borowski auf, und die Stimmung verdüsterte sich zusehends; sofort begann man leiser zu sprechen, die Gesichter beschatteten sich, die Fächer sanken kraftlos in den Schoß und heimliche Angstblicke suchten das Türkenzelt.

»Die tafeln dort, als säßen sie bei einem Totenmahl,« bemerkte jemand halblaut.

»Wo zu viel Priester die Messe halten, da kann es kein rechtes Hochamt geben.«

»Laß sie sich langweilen, warum aber sollen wir noch dazu Miserere singen?«

»Pan Borowski meint, der Herr Gesandte sei heute nicht gut zu Wege.«

»Ein Pferd würde es selbst nicht durchhalten, wenn man es den ganzen Tag lang feiern wollte.«

»Nur die Frau Hetmanin Ozarowska ist unermüdlich ...«

»Die hat nach dem Abgang von Stackelberg genug fasten müssen, jetzt sorgt sie dafür, daß sie sich die Gunst des Nachfolgers erringt.«

Ein lautes Gelächter war die Antwort, und es entspannen sich darauf derartig bissige und von bösartigen gesellschaftlichen Sticheleien durchwürzte Reden über dieses Thema, daß Zaremba mit Wehmut bemerkte:

»Bei uns in Polen ist es besser im Krieg mit den Mitmenschen zu sein, als in Freundschaft.«

»Du hast das Rechte getroffen!« bestätigte Woyna. »Bei uns hätte kein Kastor geboren werden können, sonst hätte ihn der Pollux des ersten besten dummen Witzes wegen verraten. Aber es ist doch ein Vergnügen, sich über die lieben Nächsten lustig zu machen!« lachte er zynisch. »Sieh doch bloß, wie der da würdevoll sein Zepter schwingt!« fügte er hinzu und deutete mit den Augen nach dem weißhaarigen Haupte von Sievers, der alle anderen überragend im Rahmen der weit zurückgeschlagenen Zeltvorhänge sichtbar war.

»Und der Nutzen für uns ist nicht mehr wert, als der Dreck an den Stiefeln Karl des Zwölften für Schweden.«

»Und da wir auf dieselbe Art behandelt werden, bringen wir ihnen unsere Ehrerbietung dar. Denke bloß: niemals und niemandem hat Polen solche Ehren bezeugt. Selbst den Reichstag haben sie bis Sonnabend vertagt, um ihn besser feiern zu können. Auf diese Art versuchen wir, ihn uns aus Leibeskräften geneigt zu machen. Eine ganze Woche schon tragen wir ihn sozusagen auf den Händen, überschütten ihn mit Blumen und beten ihn als den Erretter an. Den heutigen Tag haben wir aber am tätigsten verbracht! Du mußt nämlich wissen, daß heute früh selbst Seine Gnaden, der Bischof Skarsszewski eine Messe zu seinen Ehren gelesen hat. Ist das nicht amüsant?«

»Daß den Pfaff nicht der Blitz erschlagen hat vor dem Altar!« murmelte Zaremba.

»Das ist wirklich schade. Das Schauspiel wäre recht effektvoll gewesen. Um zwölf Uhr hat der päpstliche Nuntius ein Mittagsessen zu sechzig Gedecken für ihn veranstaltet; es hat weder an Champagnerwein noch an Trinksprüchen gefehlt. Wir tranken auf das Wohl seiner Töchter und Enkelkinder, vielleicht selbst seiner Lakaien. Was tut nicht der Pole, wenn die Lust mit ihm durchgeht! Darauf sind wir zu einer Nachmittagsfête mit Überraschungen zu der Frau Hetmanin Ozarowska hingefahren. Man spielte »Le Proverbe«. Die schönsten jungen Damen und das tadelloseste Französisch wurden dabei zur Geltung gebracht. In einem Zwischenakt sang uns die göttliche Camelli etwas vor, und ihr Bruder begleitete sie auf der Gitarre. Darauf tanzte die »süße«, tugendhafte Jula Potocka mit der Staffage ihrer Kinder, wie immer, einen tollen Kosakentanz. Gott, was gab es da für Ducksprünge und Beinkratzer! Wir gerieten in einen wahren Taumel der Bewunderung, weinten vor Glückseligkeit und der Champagner sprühte nur so zum Himmel auf. Zum Schlusse gab es da noch eine Art Apotheose des Geburtstagskindes. Das Stück war unter dem Hund, die Verse hinkten, das Französische geradezu schändlich und nicht für einen Pfifferling Sinn hatte die ganze Geschichte, da es aber unseren Mann der Vorsehung in den Himmel hob, fanden wir das Ganze entzückend und belohnten den Verfasser mit rauschendem Applaus. Dieses Meisterwerk wurde, wenn du wissen willst, unter reichlichem Schweiß von Seiner Hochwohlgeboren, dem ehemaligen kurländischen Gesandten, Baron Keiking, zustande gebracht, was dabei die reizende Baroneß anbetrifft ...«

Er mußte sich unterbrechen, denn plötzlich erschallte Musik, Vivatrufe wurden laut und alles erhob sich von den Sitzen.

»Was ist geschehen?«

»Herr Marschall Pulaski brachte einen Trinkspruch auf seine Majestät den König aus.«

»Möge es ihm wohl bekommen!« murmelte Woyna, indem er mit der nächsten Umgebung darauf anstieß.

»Was nun die reizende Baronesse anbetrifft,« nahm er wieder seinen Bericht auf, »so spielte sie zum Schlusse die wundervolle »Marquerie«. Imaginiere dir also, wie groß unser Genuß war!«

»Aber wozu denn bloß all diese Ehrungen?«

»Frage die da oben,« er deutete nach dem Türkenzelt: »ich weiß bloß, daß ich mich königlich amüsiert habe und außerdem, daß mir Frau Fortuna ausnahmsweise günstig war.«

Zaremba hatte ein schneidendes Wort auf den Lippen, er mußte sich jedoch umdrehen, da die klagende Stimme der Frau Vize-Kämmerer sein Ohr traf.

»Euer Edlen geruhen mir nicht zu respondieren ...«

»Weil er etwas schwerhörig auf süße Worte ist,« versuchte ihm Woyna lachend beizustehen.

»Ihr seid doch ein gar zu schlimmer Spötter!« zischte sie ihn an und spießte ihn mit zornigen Blicken.

»Aber Frau Vize-Kämmerin, Verehrteste ...!«

»Still da, meine Herren, wir bitten um Ruhe! Marschall Pulaski will sprechen!« Ringsum erhoben sich mahnende Stimmen und dann trat plötzlich eine erwartungsvolle Stille ein, in der nur das Glucksen des ausgeschenkten Champagnerweins hörbar war.

Alle wandten die Augen dem Marschall Pulaski zu, der Sievers gegenüberstand und seinen Kelch erhebend mit lauter, feierlicher Stimme hervorstieß:

»Ihre Majestät, die Imperatorin aller Reußen, unsere gnädigste Alliantin, sie lebe hoch!«

»Sie lebe hoch!« hallte das Türkenzelt vor Zurufen und Gläsergeklirr wieder.

»Sie lebe hoch! Bravo! Sie lebe hoch!« antworteten Hunderte starker Kehlen an allen Tischen und zugleich platzte ein wüster Tusch in den Lärm hinein; erzene Posaunen heulten langgezogen auf und von den Anhöhen ließen Kanonen ihr Brüllen vernehmen, sie entluden sich nacheinander in kurzen Abständen, ließen die Erde erbeben und spieen blutige Blitze in die Dunkelheit hinaus.

»Trinke doch! Hier ist nicht zu spaßen! Man sieht auf dich!« flüsterte Woyna und zwang seinen Tischgenossen fast gewaltsam zum Aufstehen. »Das ist ein bißchen bitter, aber man kann sich daran gewöhnen ...«

»Niemals! Niemals!« stotterte Sewer niedergeschlagen. Er sah ganz blaß aus, sein Herz klopfte wie mit Flügelschlägen, in seinen Augen war ein düsteres Lohen und ein solcher Zorn war über ihn gekommen, daß der Kelch in seiner Hand hin und her schwankte und den köstlichen Wein verschüttete.

»Euer Edlen werden mir noch meine Röcke beflecken!« warnte die Frau Vize-Kämmerin und versuchte etwas von ihm abzurücken.

Man leerte auf die Gesundheit ihrer Majestät der Zarin die Gläser in einem Zuge und streckte eifrig die Kelche dem neuen Weinstrahl entgegen; die Musikinstrumente schwiegen und das Rufen war verstummt, indessen hatte sich Marschall Pulaski über den Tisch vorgebeugt und, seine runden Habichtaugen auf den Gesandten richtend, ließ er unter Begleitung der noch immer donnernden Kanonen den Ruf erschallen:

»Meine Herren! Wir trinken auf das Wohl des gefeierten Freundes! Seine Exzellenz, der außerordentliche und bevollmächtigte Gesandte Ihrer Majestät der Imperatorin aller Reußen, Jakobus de Sievers, er lebe hoch!«

Mit einer majestätischen Bewegung streifte er die weißen Schlitzärmel seines Polenrockes zurück und ging mit dem Kelch in der Land unter Hochrufen der Anwesenden auf den Gesandten zu.

Sievers erhob sich etwas mühselig von seinem Sitz, und nachdem er seinen Kelch aus den Händen des Grafen Ankwicz empfangen hatte, stieß er mit allen an und dankte mit herzlicher Freundlichkeit für das gütige Gedenken und die freundschaftliche Gesinnung.

Es entstand eine Bewegung um den goldenen Sessel.

»Wir müssen mit den anderen gehen,« murmelte Woyna und zog den Freund mit sich.

»Ein Gedränge wie vor dem Hochaltar.«

»Ehre und Lob der allmächtigen Frau Fortuna. Das ist eine unvergleichliche Göttin!«

Als sie aber in den hellen Lichtkreis getreten waren, der das Zelt umgab, zuckte Zaremba plötzlich zurück, zögerte einen Augenblick und dann war es, als wollte er sich in den Bann zweier Augen stürzen, die aus dem Hintergrund des Zeltes erstrahlt waren.

»Isa!«

»Sewer!«

Etwas wie ein Schrei brannte in ihren aufblitzenden Blicken, die sich aus dem tiefsten Grund der Sehnsucht losgerissen zu haben schienen, und wie durch ein unüberwindliches Schwergewicht gedrängt, begannen sie durch den Menschenknäuel um Sievers herum zueinander hinzustreben. Sie waren sich schon ganz nahe gekommen und näherten sich immer mehr ...

»Wir verspäten uns«, meinte Woyna und hakte ihn energisch ein, »man wird das als Nachlässigkeit deuten.«

Mit einemmal waren die zauberischen Regenbogen zerstoben und die Wirklichkeit blickte ihm in die Augen mit ihrer höhnischen, erbarmungslosen Fratze. Er wußte es wieder, und mit plötzlicher Selbstbeherrschung hob er stolz den Kopf und verbeugte sich kühl und hochmütig vor ihr, stieß mit Sievers an und ohne sich um jene vor Staunen umflorten Frauenaugen zu kümmern, verließ er das Türkenzelt. Er ging zwischen den andern dahin mit Schritten eines fast Erstorbenen, hielt ganz mechanisch den noch nicht geleerten Kelch in der Hand und wußte nicht, wohin er strebte.

Unter einem Baum, der ihm den Weg versperrte, kam er zu sich, besann sich und schleuderte das Glas heftig zu Boden; gegen den Stamm gelehnt suchte er sodann seiner rasenden Gedanken und Gefühle Herr zu werden

 

Nach einer Weile kehrte er zu der Festgesellschaft zurück, aber unter dem Türkenzelt und in den Chinesenpagoden wimmelte es nur noch von Livreedienern, die dabei waren, sich an den Resten des Mahles gütlich zu tun, alle Gäste waren auf einem Hügel hinter dem Schloß versammelt, wo Frau Hetmanin Ozarowska eigenhändig das Feuerwerk anzündete.

Zöpfe roter Flammen zischten auf, lösten sich, stiegen empor und begannen als dichter Regen verlöschender Funken herabzusinken. Rufe der Bewunderung und Beifallklatschen ließen sich von allen Seiten vernehmen, Sievers selbst geruhte zu applaudieren. Gleich darauf ließ ein gewaltiger Donner die Luft erbeben, ein Orkan grüner Dämpfe flammte empor, aus dem Schlunde der Dunkelheit, wie aus dem Abgrund der aufgerissenen Erde, und die Initialen von Sievers tauchten rubingolden empor; sie hoben sich langsam, bis sie zuletzt auf einen endlos dünkenden Augenblick über dem schwarzen Abgrund des Nachthimmels hängen blieben, hoch in der Höhe wie über der ganzen polnischen Republik ...

Es währte nicht lange und ein Sturmwind von Blitzen wurde wach; sie flogen aufwärts mit Pfeifen und Knistern und umschwebten als viele hundert von Feuerruten und Federbüsche die Initialen in einer Wolke von Sternen und farbigen Dämpfen, in der es unaufhörlich vor Entladungen krachte.

Alles war stumm, und bewundernd blieben die Augen wie gebannt an den schmerzhaft-zauberischen Zeichen hängen, die sich über die Dunkelheit gespannt hatten. Auf einmal ließ sich eine starke düstere Stimme aus der Stille vernehmen:

»Mene! Tekel! Upharsin!«

Ihr zur Antwort kamen allgemeines Gelächter und Ausbrüche ungebändigter Heiterkeit. Man klatschte wütend Beifall, schrie Hochrufe auf Sievers, umdrängte ihn und überschüttete ihn mit begeisterten Zurufen. Die Hitzigeren wollten ihn hochheben, und nur mit Mühe konnte der Marschall Pulaski, in der Befürchtung eines unliebsamen Zwischenfalls, diese Absicht verhindern. Dafür tauchten Heiducken mit gewaltigen Weinflaschen auf, und Kelche klirrten abermals aneinander. Man trank aufs neue auf verschiedene Gesundheiten und brüllte die Vivats immer leidenschaftlicher hinaus. Die Posaunen ließen aufs neue ihr erzenes Dröhnen erklingen, Büchsensalven begannen zu knattern und die Mörser huben ihre baßtiefe, schwere Sprache an, bis zuletzt ein solches Getöse entstand, als gelte es eine erbitterte Schlacht voll Mord und Totschlag auszukämpfen. Als die Initialen erloschen waren, geriet der ganze Park mit den umliegenden Hügeln in Aufruhr, immer wieder spieen sie Donner und Blitze; spitze Flammenzungen zuckten eins ums andere Mal empor, leuchtende Fontainen, in ihrer seltsamen Schönheit an märchenhafte Korallenbäume erinnernd, begannen zu spielen, rätselhafte Blüten aller erdenklichsten Farben blühten plötzlich auf. Sterne tanzten leicht dahin, smaragdgrüne Wasserfälle rieselten, goldene Regenschauer und rubinrote Hagelwetter gingen nieder. Tausende von Feuern schossen mit zischendem Lärm gen Himmel, wie Schwärme buntgefiederter Vögel.

Die Festteilnehmer bewegten sich, von dem herrlichen Anblick überwältigt, wie in stummen Rausch dahin, gleich Schatten Elyseischer Gefilde. Und manch einer hatte den Eindruck, als wäre der Olymp von seinen unerreichbaren Gipfeln niedergestiegen und als wandelten inmitten der zauberischen Haine voll Blitze und Donnergetöse Göttinnen, Nymphen und Dryaden in träumerischer Entrücktheit eines seligen Rausches mit den Sterblichen im Verein. Hin und wieder tauchten geschürzte griechische Gewänder auf, schimmernde Brüste und bloße zarte Frauenfüße wurden sichtbar, die wie aus rosigen Wolken plötzlich dem grellen Licht entstiegen. Dann wieder verschoben sich diese Bilder zu blassen Umrissen einer Fiebervision, und es kamen Augenblicke, wo jegliche menschliche Gestalt versank und nur ein wilder Chaos von leuchtenden Farben und zuckenden Schatten den Plan beherrschte.

Das Schauspiel war so schön, daß man mit Bedauern auf das Zeichen zur Rückkehr die Anhöhen verließ und sehnsüchtigen Blickes die verlöschenden Herrlichkeiten bestaunte.

»Zweitausend Dukaten Unkosten für Gestank und Rauch!« äußerte jemand ganz laut.

»Und Seine Majestät der König bettelt jede paar Tage durch Boscamp um neue Vorschüsse!« flüsterte eine andere Stimme.

»Und die barfüßigen und hungrigen Soldaten, denen man keinen Sold zahlt, zerstreuen sich nach allen Seiten, obgleich der Feind auf dem Boden des Reiches steht,« fügte Zaremba hinzu und versuchte sich den beiden Sprechenden zu nähern. Diese sahen sich mit erschrockenen Augen um und stoben auseinander.

»Wir wollen tanzen gehen!« sagte Woynas Stimme. »Wo hast du denn gesteckt. Die Frau Vize-Kämmerin hat mich obligiert, dich zu ihr zurückzubringen. Du scheinst rasch in ihrer Gunst zu steigen.«

»Ich mach' mir nichts aus einer solchen Charge!« knurrte er unwillig.

Sie folgten den anderen in der Richtung des Schlosses, das schon von weitem durch seine leuchtenden Fenster sichtbar war. Neben ihnen schritt, auf einen jungen Priester mürrisch gestützt und in sich versunken, der Bischof Kossakowski.

»Ich habe einen genialen Gedanken,« wandte sich plötzlich Woyna an den Bischof, der seine finsteren und bösen Augen auf ihn richtete: »Und zwar, in welcher Weise wir Polen einen neuen Schutzheiligen geben könnten.«

Der Bischof blieb für einen Augenblick stehen.

»Wir haben nämlich für das Königreich – den Stanislaus, Litauen freut sich seines Kazimirs, so wäre es durchaus am Platze, wenn wir dem Ruthenenland den Jacobus geben würden.« Anspielung auf den Polnischen König Stanislaus, auf den Bischof und auf den russischen Gesandten Jacobus von Sievers.

Kossakowski lachte auf und hörte schweigend dem Spötter zu.

»Seine Würden, Bischof Skarszewski,« sprach Woyna mit vollem Ernst weiter, »wird es schwarz auf weiß und dazu noch sehr gelehrt beweisen, daß in Polen durch die Vermittelung des neuen Schutzheiligen blaue Wunder geschehen! Und zwar, in welcher unirdischen Weise die Güter und Habe einzelner Mitbürger vermehrt werden, und die Erzesel Polens sich in Weise und Würdenträger verwandeln! Welche eifrigen Anbeter der Rubel gewinnt! Alle diese Verdienste würden nicht einmal auf einer Ochsenhaut Platz finden, wenn man sie aufschreiben wollte. Der Nuntius wird für uns in Rom eintreten. Ihre Majestät die Frau Imperatorin wird sich einer Erhöhung ihres Dieners nicht widersetzen und die Republik wird auf diese Weise ihren aufrichtigen Freund würdig belohnt haben. Ein aufrichtiger Freund ist er. Versichert er denn nicht in einem fort, daß alles, was er tut, zu unserem Nutzen geschieht? Wie sollten wir eine solche Tugend nicht verehren? Wie sollten wir ein so empfindsames Herz mit dem Essig der Undankbarkeit tränken?«

Zaremba lachte laut auf, aber der Bischof drohte dem Redner mit dem Finger:

»Daß man nicht eher Euer Edlen die Zunge abklemmt!«

»Ich werde dann das Stückchen als Votum auf dem Altar des undankbaren Vaterlandes opfern.«

»Ihr dreht alles ins Lächerliche!«

»Ist denn dies alles nicht einen Spaß wert?«

Der Bischof schwieg, erst als sie auf der Gartenterrasse des Schlosses angelangt waren, sagte er freundschaftlich:

»Darf ich Euer Edlen zu mir zu Mittag bitten. Ich sehe dich gern als Gast, und sollte es selbst morgen sein.«

Woyna verbeugte sich mit dankender Gebärde, und nachdem er ihn bis an die Schloßtür begleitet hatte, hakte er Zaremba ein und begann lebhaft und mit gedämpfter Stimme zu erzählen:

»Du mußt nämlich wissen, daß er den Sievers nicht ausstehen kann und ihm nach allen Regeln der Kunst eine Grube gräbt. Sie hassen einander, obgleich sie freundlich miteinander tun, als tanzten sie ein Menuett. Er hat auf meine Angel angebissen, und ich werd' ihn schon aus dem Wasser herausholen.

Sie hassen einander, aber beide arbeiten in Eintracht für den Vorteil der ... Semiramis ...«

»Einer arbeitet für seine Herrin, der andere rafft alles, was er nur kriegen kann, für seine gierige Verwandtschaft zusammen. Der Mensch ist geradezu unersättlich und darum so gefährlich! Du wirst hier vieles lernen können, halte nur die Augen und Ohren offen.«

»Deswegen bin ich allerdings nicht hierher gekommen,« entgegnete Zaremba zögernd.

»Suchst du eine reiche Heirat zu machen?« Er stellte die Frage ganz ohne Umstände.

»Ich möchte meinen verlorenen Rang in der Armee zurückerhalten. Wie du dich erinnern wirst, bin ich kein Statist, sondern Soldat, und alle anderen Dinge liegen mir fern.«

»Dann mußt du schon, mein edler Ritter von Dubienka, zuerst in Grodno verschiedene Kammerherrinnen besiegen, bis du auf dem grünen Feld des Pharaos den Tod der Tapferen davonträgst. Ich stehe dafür ein, daß dir die Gelegenheit dafür nicht abgeht. Vielleicht ist dir zuletzt Frau Fortuna hold.«

»Man muß sich mit ihr messen.«

»Ich bewundere alle entschlossenen Prinzipien. Sag' mir aber die Wahrheit, bist du denn tatsächlich hierher gekommen, um lediglich deine Wiedereinstellung ins Regiment zu betreiben?« forschte er von ungefähr.

»Durchaus, und ich rechne damit, daß mir mein Onkel dabei behülflich sein wird.«

»Der Kastellan wird einen fetten Mastochsen zur Begrüßung des verlorenen Sohnes schlachten und wird mit Tränen die herzliche Versöhnung begießen. Was werden aber dazu deine alten Sozii sagen?«

»Ich kehre doch in den Dienst der Republik zurück.«

»Besser gesagt, der Generalität. Ich sah deine Unterschrift auf dem Manifest.«

»Jetzt muß ich natürlich nolens volens meinen Stolz beiseite lassen und um Absolution bitten.«

»Der König wird sie dir leicht gewähren, vielleicht wird er dir auch irgend etwas, irgendwo für irgendwann versprechen. Niemand wird ihn für ein Versprechen zur Rechenschaft ziehen. Ich sehe aber daraus, daß dir das Zählen der väterlichen Garben und das Schnauzen auf die Bauernlümmel gründlich verleidet worden ist.«

»Du hast es erraten, ich ziehe schon meine Gemeinen und den Exerzierplatz vor,« lachte er ungezwungen auf, sehr befriedigt, daß ihn Woyna nicht weiter mit Fragen belästigte.

»Und was gibt's bei euch zu Hause?« fragte Woyna ganz nebenbei.

»Nicht daß ich etwas besonderes wüßte, im Moment,« er war sichtlich stark verlegen; »denn ich bin dieses Mal nicht dort abgestiegen.«

Sie betraten die Vorhalle. Von den anliegenden Seitengemächern, die zu Ankleidezimmern hergerichtet waren, kamen Frauenstimmen und Gelächter.

»Jetzt mußt du dich allein behelfen, ich entferne mich auf eine Weile,« sagte Woyna und ging davon.

Zaremba wandte sich der vergoldeten Flügeltür zu. Zwei Lakaien in roten Fracks und weißen Perücken sperrten sie dienstfertig vor ihm auf.

Eine warme Schwüle schlug dem Eintretenden entgegen, die schwer war vom süßlichen Duft der Parfüms und dem Geruch verbrennender Wachslichter. Stimmengewirr und das Summen gestimmter Instrumente verwob sich mit ihr.

Voll Staunen schaute er in einen riesigen wie eine Kirche anmutenden Saal, der ganz mit rotem Damast ausgeschlagen war. Im Hintergrund zierte ihn eine Galerie, die auf vier weißen Säulen ruhte, zwischen welchen eine zweite goldverzierte Tür eine prächtige Zimmerflucht darbot. Eine breite goldene Leiste schloß oben die Wände des Saales ab, die durch weiße Marmorpfeiler in längliche Rechtecke gegliedert waren; in jedem schimmerte ein altertümlicher ovaler Spiegel im gehämmerten Silberrahmen und mit brennenden Lichtern davor, und durch die hohen Fenster sah man den roten Flackerschein der Urnen. Runde Spiegel in Porzellanrahmen, die von dickwangigen Amoretten getragen wurden, starrten hier und da im matten Gleißen in den Saal. Große Kronleuchter streuten umflortes Kerzenlicht und regenbogenfarbenes Kristallsprühen in die Runde. Im Blau der hohen Decke sah man flüchtige Horen vor der siegreich aufziehenden Göttin Aurora entweichen, die von einem Gefolge von Göttinnen und Putten umgeben war, welche silberne Bogen gespannt hielten. Das Parkett schimmerte wie eine glatte Eisfläche, aus der köstliche Arabesken aus Rosen- und Ebenholz sichtbar wurden. Langgestreckte mit rotem Rips überzogene Bänke schienen wollüstig auf ihren goldenen Bocksbeinen zu erzittern und überall an den Fenstern und Türen sah man rote Lakaien stehen, unbeweglich und auf jeden befehlenden Wink bereit.

Im Rahmen dieser Herrlichkeiten bewegte sich eine frohe glänzende Festgesellschaft. Wo man hinsah, trafen die Blicke lachende Menschen, sprühte Diamantenpracht, lockten entblößte Brüste, puffiges, schimmerndes Lockenhaar, klassische Tuniken, nackte Füße, auf deren Zehen Ringe glitzerten, tändelten flimmernde Fächer, funkelnde Blicke und boten sich reizende Mädchengesichter dem Beschauer dar. Schönheit, Eleganz und Üppigkeit herrschten gemeinsam und unbeschränkt. Ein Schwarm mannigfarbener Fracks umgab die Schönen, aus Halstüchern bis halb übers Kinn starrten säuberlich ausrasierte Gesichter in ihre Augen, lange prunkvolle Westen spreizten sich und enganliegende Culotten umtänzelten sie eifrigst, während die Köpfe mit aufgepufften Frisuren à la Caraciolla unter gemessenem Lächeln hin und her nickten und ein Summen leerer Worte und verliebten Geflüsters die Begleitung gab. Hin und wieder sah man den Polenrock eines sich bescheiden zurückhaltenden Provinzlers, eine polkaartige ringsum ausrasierte Haartracht, einen mächtigen Hängeschnurrbart, einen goldgewirkten Polengürtel, rote Saffianstiefel und die nervige Faust auf dem Griff eines Polensäbels. Daneben trippelten eifrig zierliche in weißen Strümpfen und Stoffpantoffelchen steckende Füßchen, unter dem Rauschen reicher altmütterlicher Reifröcke, altertümliche Gesichter im Schmuck bebänderter Hauben stierten entsetzt zu den halbnackten Damen hinüber und versuchten sich gekränkt und verschämt in den Schatten der Chorgalerie zu flüchten.

Hin und wieder kam ein Jabotgeschmückter Kavalier des ancien Régime wie ein farbiger Falter dahergeflattert, unter dem Aufklopfen seines Rohrstocks und seiner roten Stöckelschuhe. Er beugte voll Anmut seinen gepuderten Kopf zur Seite, an dem in einem goldenen Netz ein Haarzopf hing, fegte mit seinem Hut über das Parkett im charmanten, liebenswürdigen Gruß und ließ ein Lächeln und Komplimente nachklappern.

Oder es kamen, träge auf und ab promenierend, hohe Damen der Gesellschaft daher, ganz in das Rascheln von Seidenroben eingehüllt, welche an ihren Lüften aufgebauscht waren, auf den Köpfen türmten sich weiße Lockenfrisuren, die Ausschnitte reichten von den üppigen Brüsten bis unter die Schulterblätter, auf den weißgeschminkten Gesichtern klebten Schönheitspflästerchen, Brillantgehänge beschwerten die Ohrläppchen, die Schleppen waren fünf Ellen lang und rauschten hinter den veilchenfarbenen, goldgestickten Pantöffelchen drein, und über zierlichen Fächern sah man stark gerötete Lippen und das wollüstige Funkeln schwarz untermalter Augen.

Zuweilen sah man auch einen Stutzer sich durch das Gedränge schieben im Mäntelchen, ganz in Spitzen, mit sorgfältig an den Schläfen aufgerollten Haarlocken, schön überpudert, duftend, mit einer goldenen Tabakdose in den gepflegten Händen, in lilafarbenen Strümpfen und Halbschuhen mit Diamantschnallen. Er tat schön, beträufelte die Menschen mit einem süßlichen Lächeln, verteilte das zierliche Almosen seiner Schmeichelworte, Blicke und Tabakdarreichungen, glitt mit Katergebärden um die jungen Damen, sie mit seinen saugenden Blicken verschlingend und redete dabei über durchaus nicht erhabene Dinge.

Und mitten im steigenden Stimmengewirr hörte man jeden Augenblick eine neue Sprache ertönen: die gepflegten Worte des italienischen Idioms schienen zu blitzen, wie Degen, die man aus samtenen Scheiden herausgerissen hatte; dazwischen knurrte der scharfe Kommandoton der deutschen Sprache, energisch, als hätte er einem Rudel von Jagdhunden Befehle zu geben; englische Worte scharrten aneinander wie das Knirschen sich reibender Kieselsteine; die russische Sprache buhlte mit ihren fliegenden Akzenten und hüpfte wie in Kosakentanzsprüngen daher; das Polnische entlud sich in sprühenden gewandten Fluten, oder kam wie Rossegetrampel kriegerisch einher, wie eine Attacke eisengeflügelter Reiterei, am häufigsten aber hörte man das glitzernde kalte und wohlberechnete französische Gezwitscher voll prickelnder Witze und perlender Champagnerlaune, das in vielfältigen Anspielungen schillerte. Besonders unter den Offizieren des russischen Gesandten waren einige, nach den letzten Mustern der Mode gekleidete, die in diesen häufig ungebührlichen Scherzen und aufdringlichen Hofierereien das erste Wort führten. Die Festgesellschaft war nämlich trotz dem glänzenden Auftreten und dem stolzen Augenschein eine sehr gemischte. Es trieben sich hier allenthalben dem Aussehen nach fremdländische Persönlichkeiten herum, die sehr weltgewandt und gebildet erschienen und auch über wohlklingende Titel verfügten, von denen aber in Wirklichkeit niemand etwas Sicheres zu sagen vermocht hätte. Ausgenommen die Gesandtschaften vielleicht, mit denen sie in besonders herzlichem Einvernehmen zu stehen schienen. Es gab darunter Damen, mit den besten und höchsten Empfehlungen, die selbst in den tugendreinsten Häusern verkehrten und dennoch verdächtig waren. Auch war eine Menge rätselhafter Polen da, deren Namen ganz wie neugebacken klangen und den Ruch einer eben vollzogenen Nobilisierung an sich trugen, da diese Herren sich aber mit Gold Freunde zu machen wußten, Meister im Kartenspiel, in Intrigen und Gelagen waren, so führten sie die Jugend an, die sich bewundernd um sie scharte und sie mit höchstem Eifer nachzuahmen trachtete.

Alle diese Menschen schwärmten jetzt im großen Ballsaal durcheinander im Taumel einer leichtsinnigen, sorglosen Fröhlichkeit.

Das Festmahl war köstlich gewesen, die Weine erlesen, dabei waren die Frauen jung, schön und vergnügungssüchtig und die Kavaliere wohlgewachsen und so lebenslustig, daß sie sich kaum in die artigen Redensarten, eingedrillten Manieren und in die künstliche Gemessenheit mehr fügen konnten.

Sie bäumten sich gegen den Zwang auf wie gekoppelte junge Fohlen, und in ihren Blicken funkelte eine unbändige Lebenslust, die mit wachsender Ungeduld auf den Beginn des Tanzvergnügens wartete.

Zaremba blickte mit Wohlgefallen auf sie, mit dem sicheren Blick eines Werbers schätzte er ihre breiten Nacken ab, um die sich die zarten Halstücher aus Musselin schlangen, die stark gewachsenen Glieder, die von den allzuknappen Fracks eingeschnürt wurden, die hirschschlanken Beine, die sehnigen Hände und die offenen, ehrlichen Gesichter, die man zu Modefratzen und zu Schaupuppen umgemodelt hatte. Und mit Freude dachte er, wenn jetzt jemand so laut und gebieterisch riefe, daß es im ganzen Polenlande wiederhallte: Zu den Waffen! Aufs Pferd! …

Wie da in einem Nu die bunten Lappen von ihnen abfallen würden, wie das Blut in Wallung käme, und die Herzen vor Mut überfließen würden. Dann würde man sie sicherlich alle dort finden, wo sie sein sollten, auf dem Felde der Ehre, mutig den Feinden den Weg verwehrend.

Er sah sie schon im Geiste im Toben der Schlacht, löwenstark in ihrem Kampfmut, als plötzlich kaum einige Schritte vor ihm Isa auftauchte. Er stürzte sich hastig zwischen die Menge und entschlüpfte ihr in die Nebensäle.

Im letzten Raum der Zimmerflucht, einem Rotundensaal, der mit grüner Seide bespannt war und ein prunkvolles Mobiliar aufwies, waren um den russischen Gesandten alle diejenigen versammelt, die sozusagen das Salz der Republik, ihre Intelligenz und ihre erlesenste Wehrkraft darstellten.

Sievers saß auf einem niedrigen Karlstuhl und schlürfte ein Wasser, das mit Pomeranzenblüten gewürzt war, ließ die müden Augen über die Gesichter huschen und hin und wieder ein gnädiges Wort fallen.

Sie umringten ihn und starrten ihn mit einer solchen Andacht und Versunkenheit an, daß, wenn seine Stimme zuweilen etwas lauter wurde, aller Augen sich so eifrig an seine welken Lippen hingen, als gelte es, von ihnen den köstlichsten Honig zu saugen, und wenn er schwieg und schnupfte, ohne die Tabakdose einem anderen hinzureichen, dann verfinsterten sich die Gesichter, wie auf ein Geheiß und jeder versank in einen Zustand von Unruhe und Angst. Geruhte er aber sich zu bewegen, dann wogte auch um ihn die Menge im gleichen Takt und mit freudigem Geflüster neigten sich die Häupter der Würdenträger, wie ein Feld reifer Ähren, das sich dem Herrn zu Füßen legt.

Schließlich hatte er begonnen im Zimmer auf und ab zu wandeln. Sie traten vor ihm auseinander, als käme das heilige Sakrament ihnen entgegen, bettelnde Blicke legten sich ihm zu Füßen und kriecherische Unterwürfigkeit lauerte ihm auf und haschte gierig nach jedem Brosamen seiner Gnade, nach jedem Schimmer eines wohlwollenden Lächelns.

Zaremba kam ganz außer Fassung darüber und fast besinnungslos vor Zorn begab er sich in den Ballsaal zurück, mischte sich zwischen die unter der Chorgalerie Stehenden und ließ seinem heimlichen Haßgebet freien Lauf.

»Strick und Galgen für dieses Gezücht!« zischten seine erblaßten Lippen. »Schande, o Schande!« wiederholte er immerzu und peitschte sich mit diesen Worten bis zum tiefsten Schmerz auf.

Mit einemmal erdröhnten über ihm die ersten Klänge einer Polonaise, und durch den Saal ging ein aufgeregtes Gemurmel und lautes Rufen:

»Die Polonaise! Bitte Platz machen, meine Herrschaften! Platz für die Polonaise!«

Das Orchester ließ alle seine Stimmen ineinanderfluten und ging in eine breite getragene Weise über, die erhaben und feierlich, hurtig und doch ernst, frohgemut und stolz sowie voll erzener Kraft und herrischer Üppigkeit war.

Im Rahmen der reichvergoldeten Flügeltür war Baron Sievers aufgetaucht, reichte mit liebenswürdiger Verbeugung der Hetmanin Ozarowska den Arm, und so schritten sie als erstes Paar dahin im Tanztakt der Polonaise … Hinter ihnen drein setzte sich ein langer schillernder Zug in Bewegung und begann sich unter gleitendem Wandeln, lockendem Lächeln, ehrerbietigen Verbeugungen und leicht hingeworfenen Worten als flimmernde Schlange zu entrollen, während die Klänge immer höher stiegen, immer mehr an Breite gewannen, immer inniger und gewaltiger wurden.

Und zuletzt schien es, als herrschte im Ballsaal eine wundersame Stille. Paare auf Paare glitten dahin in feierlichem Schweigen, als regenbogenfarbenes Band, und nur die Musik sprach mit ihrer würdigen, zu Herzen gehenden Stimme ...

Die Bratschen stöhnten auf, wie ein Chorus sorgender Greise, hier und da blitzten Geigenklagen dazwischen, sanft wie tränenfeuchte Augen abschiednehmender Mädchen; die Violen brachen in ein krampfhaftes Schluchzen aus; eine Klarinette klagte und murmelte lange mit ängstlicher Stimme, die Flöten weinten wie unter leidenschaftlichen Küssen auf, bis zuletzt die Posaunen alles mit einem stolzen und düsteren Schlacht- und Triumphgesang übertönten: Rauschen von Adlerschwingen erfüllte die Luft, der Boden erdröhnte unter schwerem Aufschlag, eiserne Panzer klirrten, fernes Wiehern mischte sich mit rufenden Stimmen und einem wachsenden Gesang ...

Die eiserne Reiterei! Die Eisengepanzerten!

Ein Frösteln durchlief die Glieder! Hunderte von Herzen schlugen gleichen Takt, Hunderte von Händen umkrampften die Säbelgriffe. Und Held Hodkiewicz, der Türkensieger, reitet an der Spitze, unter ihm der schaumbedeckte Apfelschimmel, hinter ihm ein Wald rauschender Eisenflügel; der Wind bläht die Fahne, die Lanzenspitzen glitzern, die Schuppenpanzer klirren … Es rauscht wie nahender Sturm. Und wie ein Sturm kommen sie daher ...

Jetzt sind sie wie eine Mauer stehen geblieben ... In unerschrockener Treue schauen die Augen ... die Ringkragen blitzen; ein Pferd schnaubt auf, ein leiser Seufzer steigt empor, das Flüstern der letzten inbrünstigen Schlachtgebete zieht seine heimlichen Kreise ...

Jesus Maria! Drauf und dran! Ein gewaltiger Schrei durchschnitt die Luft, Pfeifen wimmerten auf! Ein Gewittersturm bricht los, die Lanzen splittern, Brust drängt gegen Brust, die Panzer klirren, schon hört man die Schwerter dreinhauen wie Hämmer, wie Blitze, wie niedergehendes Wolkenfeuer ...

Die kupfernen Pauken schreien den Feuersturm des Schlachtfeldes, Janitscharenschellen klappern, Posaunen dröhnen wie Kanonen in langgezogenen Tönen, die Geigenbogen zischen auf wie tausende von Säbeln, die Pfeifen stechen wie mit Bajonetten, Trommelwirbel knattern wie Gewehrsalven und ein furchtbarer Lärm erfüllt die Luft; alles kämpft, ringt, ballt sich zu Laufen zusammen. Blutdurst, Mordgier und Raserei! ... Nur die Baßstimme stöhnt unbeirrt dumpf und eigensinnig, haßerfüllt und unerbittlich in einem fort:

Schlag tot! Drauf und ran! Schlag tot!

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Und als erstes Paar tanzten Jacobus von Sievers mit der Hetmanin Ozarowska.

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Mit einemmal stieg ein breiter siegestrunkener Triumphgesang zur Decke auf! Uralte Linden rauschen heimlich, Hochrufe hallen durch die Nacht, das alte Herrenhaus erzittert, die Fenster stehen wie eine Feuersbrunst, das Blut wallt in seliger Trunkenheit, Hände suchen Hände zu fassen, Liebesblicke schlingen sich ineinander, die Herzen schäumen vor ausgelassener Freude, wie die übervollen Kelche des Festmahls, die Seelen schwellt das Bewußtsein der Kraft, die Festlust reißt die Gemüter mit sich.

Hei, wie wundersam und hochzeitlich ist doch die Welt!

»Wechselt die Damen, meine Herren! Damenwechsel!«

Die Hände klatschen gegeneinander, die Köpfe biegen sich zurück, die Kleider rauschen, hin und wieder tritt ein Stiefel fester auf, so daß die Schöße eines Polenrockes auffliegen und die Schlachzizsäbel klirren ...

Man knickst voll Anmut, man verneigt sich im Gehen, ein plötzliches Niederknien, ein trunkenes Kreisen, leidenschaftliches Aufwallen, gedämpfte Verehrung, unerwartetes Schluchzen, – und die Polonaise wallt aufs neue dahin, blitzt und schillert wie ein Feuerbrand rings im Ballsaal in einem Meer von Lichtern und Farben, in einer Flut von Klängen, die einmal scherzen und necken, vor sich hinsummen wie ein Gesang, ausgelassen dahertollen, aufkichern, rauschtrunken aufbegehren, dann wieder wie ein Wehmuthauch vorübergleiten und dahinschaukeln in einem Zauberglanz völliger Entrücktheit.

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Und als erstes Paar tanzten Jacobus von Sievers mit der Frau Hetmanin Ozarowska.

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»Wie unterhältst du dich denn?« fragte Woyna, der wieder neben Zaremba aufgetaucht war.

»Wie in einem Theatrum! Die ganze Republik tanzt vor mir.«

»Oder besser, die ganze polnische Kanaille mit ihrem würdigen Beschützer an der Spitze.«

»Ich sehe nur den Hetman Ozarowski nicht.«

»Der heldenhafte Oberkommandierende ist nach Petersburg gereist. Vielleicht müht er sich dort um einen fetteren Lohn für die Reduzierung der Armee der Republik. Oder er begleitet lediglich aus Freundschaft die Abgesandten der uns entrissenen Provinzen, die sich aufgemacht haben, der Imperatorin zu huldigen.«

»Man hat sie aber doch zu dieser Huldigung gezwungen …«

»Nicht so sehr, unsere Herren haben eben eine solche Liebe für die Vorzimmer der Zarin!«

»Wer ist die Dame, mit der der Marschall Pulaski tanzt?« begann ihn Sewer Zaremba auszufragen, indem er wieder den Tanzenden seine Aufmerksamkeit zuwandte.

»Das ist die Generalin Dunin. Die kann sich ruhig amüsieren, denn ihr Ehegemahl ist es, der die Stadt Grodno und uns alle zugleich unter dem Schutz seiner Kanonen genommen hat. Du kannst hier noch mehrere von diesen Lagerdamen finden. Eine gewählte Gesellschaft.«

»Die Frau Vize-Kämmerin hat sich da aber einen prunkvollen Tänzer ausgesucht.«

»Das ist der Graf Ankwicz. Das erste Maulwerk im Parlament und vielleicht auch der beste Kopf, aber sicherlich der erste erkaufte Verräter. Eintausendfünfhundert Dukaten empfängt er monatlich aus der Schatulle der Imperatorin und hat große Aussichten für die Zukunft. Ein stiller Berater von Sievers!« flüsterte er ihm ins Ohr. »Durch dessen Verstand und Witz ist der 17. Juli zustande gekommen. Imaginiere dir also, was das für eine Person ist.«

»Fürwahr keine alltägliche!« bejahte Zaremba, und starrte auf den Bezeichneten, als wollte er ihn verschlingen.

»Warte einmal, ich will dir die ganze Litanei vorbeten, ich kenne sie auswendig. Hinter dem Grafen Ankwicz stolziert noch ein weit besserer, das ist der Mionczynski. Die Hölle hat diesen Schuft aus ihren tiefsten Schlünden ausgespien. Ein Spieler, Säufer und Parricida. Erhält tausend Dukaten monatlich und das Vorrecht, ungestraft zu schinden, wo es nur möglich ist. Ein unersättlicher Schlund, löchrige Taschen dabei und ein wurmzerfressenes Gewissen. Immer ist er zur schlimmsten Schufterei bereit. Außerdem ist das ein unübertrefflicher Pokulant, ein bezaubernder Prasser und der erste Zyniker und Spötter der Welt. Ein Vertrauter von Igelström, in dessen Sinn er die Wahlen in Kronpolen, natürlich gegen eine Sondervergütung, durchgeführt hat. Er tanzt mit der Frau von Zaluska, der Herzensdame seines Beschützers und Freundes, die jetzt für ihren Gatten um das Unterschatzmeisteramt sich bewirbt. Ein erlesenes Pärchen. Der Teufel wird seine Freude an ihnen haben.«

»Eher gehören sie dem Henker!« zischte Zaremba zurück, um aber den Eindruck dieser Worte zu verwischen, fügte er rasch hinzu: »Diesen aber muß ich doch von irgendwoher kennen.«

»Das ist Bielinski, der Reichstagsmarschall. Er bekommt tausend Dukaten monatlich auf die Hand ausgezählt und ebensoviel an Unterhalt, Wohnung und Liebchen. Auf Ehre! Boscamp muß ihm für jeden Tag das Zehrgeld geben, sonst hätte er positiv nichts zu beißen und keine Wohnung. Er verspielt nämlich alles. Von der Sippe der Kossakowski holt er sich auch manchen Batzen heraus. Hier schert er und da seift er ein.«

»Ist denn dieser Rothaarige da Moszynski? Wundervolle Brillanten hat er angelegt.«

»Jawohl, das ist unser teurer »percepta«, der Graf Friedrich. Er scheint zu meinen, daß die Welt vor lauter Edelsteinen nicht seinen Buckel und sein Fuchsgesicht merkt.«

»Wirklich! unser Vize-Kommandant aus der Kadettenschule, kaum hätte ich ihn wiedererkannt. Ist der aber mächtig alt geworden. Nimmt wohl keine Bestechungen an? Dazu ist er doch viel zu reich.«

»Reich oder arm, was hat das damit zu tun! Es nimmt ein jeder, der was bekommen kann. Man gibt ja das Geld auch nicht umsonst aus, etwa um der schönen Augen willen. Was also den »Percepta« anbetrifft, so nimmt er kein Bargeld, das stimmt schon, der Meinung aber ist er, daß, wenn ihm nur einer das Vizekanzleramt anbieten würde, dann täte er, was man nur von ihm wollte. Inzwischen spreizt er sich mit einer Tabakdose mit dem Bilde der Imperatorin, die er für seine Beihilfe beim Zustandekommen des Traktats erhalten hat. Ein ehrgeiziges Individuum, gefühllos wie ein Stein und habsüchtig wie ein Jude. Dabei ist er sehr aufgeklärt und arbeitet treu für die Semiramis und die Republik zugleich! Er hat zwei Leidenschaften: liebt sich mit seinen Tänzerkünsten zu produzieren und sammelt Edelsteine. Sieh bloß, wie er sich mit ihnen aufgeputzt hat, da ist die schöne Luhlli nichts dagegen! Seine Schnallen allein sind fünfzigtausend Dukaten wert. Und diese, die so komisch an seiner Seite hüpft, wie ein Bauernkorb am Leiterwagen, das ist die Frau Generalin Rautenfeld. Den General selbst wirst du bald kennen und lieben lernen, er macht nämlich dem Reichstag seine Honneurs und assistiert bei den Sitzungen mit angebrannten Kanonenlunten. Darum wird er ja von der Allgemeinheit so geschätzt.«

»Die Dame hat das Aussehen einer Lagerbuhle. Doch ich höre weiter zu und zwar mit der gleichen Bewunderung.«

»Mit der Bewunderung spare vor allem nicht!« lächelte Woyna bissig: »Denn bis zum Ende der Herrlichkeiten hat es noch gute Weile. Siehst du zum Beispiel jenen im grünen Frack mit der goldschimmernden Weste? Das ist der Feldhetman von Litauen, Zabiello. Vielleicht kennst du ihn schon. Verderbe mir aber nicht den Spaß, ihn dir vorstellen zu dürfen. Seine Äuglein sind voll Zärtlichkeit, sein Gesicht voller Güte und dabei der Gang von einem hungrigen Wolf. Eine sehr ehrenwerte Person! Den eigenen Bruder hat er ausgeraubt und an den Bettelstab gebracht. Die Geschichte hat im ganzen Lande genug Lärm gemacht. Er ist eine Kreatur der Kossakowskisippe und ihr Vertrauter in allen Angelegenheiten des Raubens und der Vergewaltigung. Damit du, teurer Ritter, als Soldat die nötige Hochachtung vor dem Befehlshaber hast, will ich dir nur sagen, daß er es gewesen ist, der dem russischen General Kretschetnikow die aufgelöste Brigade von Braclaw verkauft hat. Man redet davon nur im Verschwiegenen, aber laut sagt es schon die Fama, daß er den Kosaken half, seine eigenen Gemeinen zu fangen; er nahm für sie fünf Rubel pro Stück und fünfzig für jeden Offizier, die Montierung wurde extra verkauft. Man muß natürlich hinzufügen, daß er sich mit seinem Kameraden Zlotnicki abfinden mußte. Du verstehst also, daß der Mann um das öffentliche Wohl schon hochverdient ist,« schloß er mit einem blassen Lächeln.

Zaremba sah sich plötzlich lebhaft um. An der zweiten Säule der Galerie stand Jakob Jasinski, sein früherer Oberst und schien aufmerksam zuzuhören.

»Furchtbare Dinge erzählst du da! Ich würde Angst haben, so vieles zu wissen.«

Er deutete in der Richtung von Jasinski.

Woyna begriff seine Befürchtungen, und indem er mit den Schläfenlocken zu spielen begann, warf er ganz gleichgültig hin:

»Alle wissen das und sagen es einander im Vertrauen. Nur ich bin so einer, der kein Versprechen gibt, das Geheimnis zu wahren. Wenn du Lust hast, dann kannst du die Geschichte weitergeben.«

»Das ist nicht meine Art und besonders, wenn es sich um Dinge handelt, die man kaum glauben kann.«

»Dann glaube sie nicht, wenn es dir aber Spaß macht, dann höre geduldig weiter zu … Gib acht, der geblümte Rosafrack, der mit dem schwarzen Band durchflochtene Haarzopf da und die gepuderte Perücke, das eingefrorene Gesicht mein' ich mit der roten Nase und der wertvollen Preziose dran, vom Tabakschnupfen natürlich und die geistesabwesenden Augen und tölpelhaften Bewegungen dazu – das ist der litauische Marschall Tyszkiewicz. Über ihn geht ein sehr treffendes Verslein um:

Er trägt im Saal den Marschallstab
und ruft: führt die Arbiter Arbiter wurden die Zuhörer auf den Galerien im polnischen Reichstag genannt. ab!
Kann leise reden über stolze Sitten
laut bloß den Sievers um Verzeihung bitten.

Er haßt die Sippe der Kossakowski, darum liebt er so sehr das Vaterland, doch er hat eine solche Angst, dieses zu gestehen, daß er davon nur in Metaphern spricht und die Patria – Diana nennt. Häufig ärgert er sich auch auf Sievers und ist im stillen den Zelanten Zelanten eine Fraktion von aufrichtigen Vaterlandsfreunden im polnischen Reichstag. wohlgeneigt, aber da er Besitzungen im russischen Gewaltbereich hat und der Gesandte ihn mit allerhand militärischen Repressalien zu kitzeln liebt, so ist er schließlich mit allem einverstanden. Eine ehrliche, wenn auch recht komische Haut. Hinter ihm hinkt wie ein rehes Pferd Fürst Sulkowski. Er soll ein Vertrauensmann des preußischen Königs sein. Seinen Sold bekommt er darum in Talern. Dahinter watschelt mit Frau Generalin Dziekonska einer der Grafen Raczynski daher, ein Spitzbube und ein treuer Knecht des preußischen Gesandten von Buchholtz, aber den Rubel verachtet er darum doch nicht.«

»Zur Vollständigkeit fehlt uns noch der Hetman Ozarowski. Ich will dir das Verslein hersagen, das einer der Zelanten über ihn gemacht hat:

Weder Hund noch Federvieh,
Keine Bestienphysiognomie,
Doch alles was er tut jetzund,
Sichert den Ruf: ein Schweinehund!

»Diese Silhouette ist prächtig getroffen! Wen soll ich dir denn noch nennen? … Den Bischof Kossakowski und seine Brüder? Von denen mußt du ja selbst genug wissen. Die Allgemeinheit wird sie einmal gebührend würdigen ... Die Verdienste mancher anderen harren noch der Bekanntmachung und des Lohnes. Solche natürlich wie Podhorski, Lobarzewski, Boscamp brauchen nicht erst besonders angekreidet zu werden: sie sind selbst bei Nacht zu erkennen, denn von weitem riecht man ihnen schon den Aasgeruch an. Jetzt kannst du dir vorstellen, welch ein Pack sich hier in Grodno versammelt hat. Zum Spaß kommt hier auch mal ein ehrlicher Schafskopf in altväterlicher Kontusche vor, der wie ein Spielwerk immer nur das eine wiederholt: Freiheit, Gleichheit, Glaube und Liberum Veto! Der Tenor all dieses Geschreis ist aber stets der gleiche und zwar: Rechtlosigkeit, Willkür und rücksichtsloseste Habsucht. Mit einem Wort gesagt, eine possierliche Menagerie von wappengeschmückten Lumpen!« Er schien damit schließen zu wollen und ließ seinen umdüsterten Blick über die festliche Menge gehen.

»Vielleicht siehst du die Dinge doch zu schwarz.«

»Mag mir der Henker die Zunge ausreißen, wenn ich gelogen habe!« er sagte diese Worte mit leidenschaftlichem Ausdruck. Nach einer Weile sprach er aber wieder in der gewohnten spöttischen Weise. »Bei so vielen fremden Sünden kann man selbst um so leichter eine Absolution erlangen. Ich sage das alles nicht als Sittenprediger, der über den Verfall der Gesellschaft jammert, sondern als einer, der grenzenlos müde geworden ist. Ich möchte endlich einmal von diesem Karneval der Schächer ausruhen dürfen.«

»Gibt es denn kein Leben mehr und keine Tugend jenseits der hohen Gesellschaft?«

»Wo sollte ich da die Frau Fortuna suchen! Der Mensch gewöhnt sich selbst an den Morast.«

Die Polonaise war zu Ende, das Orchester schwieg, dafür war der Riesensaal erfüllt von einem lauten Stimmengewirr.

»Zum Klosterleben inkliniere ich nicht,« nahm Woyna das Gespräch nach einer Weile wieder auf. »Im besten Fall, das heißt, wenn ich die Mittel zum Kauf einer fetten Bischofspfründe oder wenigstens eines Krakauer Stellvertreteramtes hätte, würde ich es vielleicht noch tun. Ich könnte dann ja wie der Primas in Warschau üppige Plauderstündchen für die Damen einrichten und sie in einer sechsspännigen Kutsche, mit einem Kruzifix voran, spazieren fahren. Würde meine Trüffel im Altar vor der Gefräßigkeit meines Kaplans verwahren wie der Bischof Skarszewski und meine Galawagen sowie mein Pferdegeschirr mit dem Kirchensilber schmücken lassen, wie es der Bischof Kossakowski tut ... Na, und würde leben in Freuden und Üppigkeit, wie es sich für einen guten Hirten ziemt. Die Kirchen sind noch lange nicht ganz ausgeraubt, es würde auch für mich noch ausreichen. Der Gedanke ist beachtenswert, nicht wahr?«

Zaremba sah ihm voll Mitgefühl in die Augen.

»Du starrst mich an wie eine Krähe einen verreckenden Schindergaul.« Er fühlte sich verletzt.

»Weil du mir aufrichtig leid tust. Ich würde dich aber doch gesund machen können.«

»Ich bin so frei, selbst zu erraten, was das Medikament wäre. Gott bezahl's, aber Soldatenleben ist nichts für meinen Geschmack. Ich kann den Gestank von Juchtenleder, Grütze mit Speck und die Liebesgöttinnen der Schenken nicht vertragen.«

Er schüttelte sich vor Abscheu.

»Es kann aber doch eine Zeit kommen, daß gerade dieses das einzige Heilmittel sein wird.«

»Das kann es, nun aber die Augen aufreißen! Ein Wunder naht uns!«

Zaremba richtete seine kühlen Blicke auf eine schlanke braunhaarige Schöne, die einige Schritte von ihnen stehen geblieben war, von einem Gefolge glänzender Kavaliere umgeben und alle Blicke auf sich zog. Sie schien Diana zu mimen, denn im Paar, das kunstvoll getollt war und in Ringeln niederfiel, glitzerte über der Stirn ein Halbmond aus Diamanten und auf dem fast nackten Rücken hing ein goldener Köcher voll gefiederter Pfeile. Eine spinnwebfeine Tunika, die wie aus Türkisen gewebt schien, durchwirkt mit Sonnenstrahlen, reichte ihr gerade bis an die Waden, die mit goldenen Bändern umschnürt waren; auf allen Zehen der bloßen Füße schimmerten Perlen, Perlen umschlangen ihren Schwanenhals und Perlen, an einem goldenen Faden hängend, schmiegten sich zwischen die beiden entblößten Brüste. Ihr Gesicht war von einer frechen Schönheit, – eine Adlernase, schwarze bogenförmige Augenbrauen wie drohend zusammengezogen, dazu Augen einer Straßendirne und blutrote flammende Lippen.

»Die keusche Diana! Wehe dem Aktäon!« murmelte Zaremba mit einem tiefen Seufzer.

»Wenn er sie nicht verehren würde! Die Meute ist bei der Hand.«

»Wer ist das? Sie trägt ja Perlen, die einer Königin wert wären.«

»Der Preis derselben ist der Republik wohlbekannt! Über sie geht doch der kleine Vers herum:

Die Marquise Luhlli!
Viele sind dabei:
König und Lakei.
Alle liebt die Luhlli!
Der Marquise Luhlli
Ist jeder einerlei!

»Die Buhle des Königs, na, und vieler anderen.«

»Und eine Marquise?«

»Nur Boscamp weiß, wie weit es mit ihrem Titel her ist; er hat sie dem König zugeschanzt und protegiert sie. Ich hörte, daß man für sie einen Ehegemahl sucht. Ich muß dich bei ihr einführen; das ist das einzige Haus, in dem man in Grodno alle Reichstagsparteien, alle Stände und alle Kartenspiele zugleich zu sehen bekommt, vom l'Hombre bis zum Benediktiner Schalk. Das denkbar lustigste Häusel der Welt.«

»Und eine solche wird hier empfangen?«

»Edler Tugendritter! Mensch, der du mit häßlichen Vorurteilen gespickt bist! du, Feind der Freiheit! Merke dir dieses für alle Zeiten, daß in der gebildeten Welt aller Nationen der unsterbliche Grundsatz regiert: » Ni maître, ni prêtre, ni dieu!«

Zaremba machte eine unwillige Gebärde und wollte protestieren, aber Woyna kam ihm zuvor.

»Ich muß dich von dieser Rückständigkeit kurieren, denn ich kenne die Mittel gegen die hartnäckigsten Tugenden. Jetzt muß ich aber fliegen, um mich der schönen Diana in Erinnerung zu bringen.«

Zaremba wandte seine Aufmerksamkeit abermals dem Obersten Jasinski zu, der immer noch an der Säule stand, als sähe er dem Schauspiel zu, sich dabei aber häufig mit verschiedenen Leuten durch heimliche Zeichen und leise hingeworfene Worte verständigte.

Der hat irgend etwas Heimliches vor! dachte er, da er aber nicht wagte, ihm näher zu treten, nahm er im Hintergrund auf einer Bank Platz, auf der bereits einige ältliche Damen mit greulich gelockten Köpfen eifrig ihren Zungen freien Lauf ließen.

Die Kapelle spielte einen hüpfenden englischen Tanz, eine Anzahl Paare tanzte mitten im Saal unter der Leitung des berühmten Tanzmeisters Dauvigny, der in weißer Perücke, weißem Frack und weißen Tanzschuhen, in Culotten und Handschuhen von der gleichen Farbe, mit dem Hut unter dem Arm und einem Stöckchen in der Hand, selbst zu einem einzigen übertriebenen Hopser, einer wirbelnden Pirouettenverbeugung geworden, die tanzenden Reihen befehligte.

Lakaien in roter Livree und langen Perücken reichten silberne und kristallene Krüge mit Mandelmilch und Bavaroise herum.

Die überreifen Damen unterhielten sich immer herzlicher; ihre Krallenblicke funkelten wie Dolche und unaufhörlich schwirrten ihre bösartigen Bemerkungen, derben Erklärungen und ihr höhnisches Lachen um die Ohren Zarembas. Er saß mit mutigem Entschluß da, als verstände er nichts von ihrem wunderlich geflickten Französisch und war nur mit Jasinski und jeder seiner Gebärden beschäftigt.

Die einäugigen Stiellorgnetten hoben sich um ihn herum und zielten in der Richtung verschiedener Schönen, während die Stachelzungen unermüdlich an der Arbeit waren.

»Die Niesiolowska! Voile et tunique à la Vestale! Hähä! die sieht gerade aus, wie eine Schaffnerin, die sich in schmutzige Bettlaken gewickelt hat.«

»Seht euch einmal diese Szydlowska an! Ihre coiffure à l'antique erinnert an einen alten Wisch aus Erbsenstroh. Das muß wohl der Geschmack der Landschaft Plock sein.«

»Die Ozarowska sieht heute aus wie ein derangiertes Kanapee.«

»Sie hätte ihren dicken Bauch zu Hause lassen können. Es wird einem übel, wenn man das sieht.«

»Die Walewska, nicht zu glauben, hat unter ihrer Tunika nichts an! Schamloses Weib, sie trägt ihren Rücken voll Pickel herum wie eine Monstranz. Ein Hund müßte bei diesem Anblick aufheulen!«

»Seht doch bloß die Frau Marschallin von Litauen, ihr Decolte reicht gerade vom Bauchknöpfchen bis an die Schinken.«

»Und die Schinken hüpfen ihr noch dazu, als wollten sie vor lauter Schamhaftigkeit auf und davon gehen.«

»Wenn sie die bloß nicht noch verliert, wie damals die Starostin Wodzinska in Warschau.«

»Die Luhlli! Gott, diese Perlen! Dieses Gefolge! Dabei ein Pariser Aufwaschmädel!«

»Aha! Die Frau Kammerherrin Isa Rudzka mit ihrem pockennarbigen Affen. Ja, ja! …«

Zaremba zuckte zusammen, aber er horchte, wenn auch blutenden Herzens, eifrig hin.

»Das ist ihr neuester Ami! Er soll schon dreißigtausend Dukaten für sie ausgegeben haben, sagt man, und läßt ihr Kleider und Konfekt aus Paris durch Estaffeten kommen.«

»Mir erzählte einer, auf den man sich verlassen kann, daß sie auch mit anderen nicht zimperlich ist.«

»Das ist bloß aus Herzensgüte, damit sie in der Kompagnie die Kosten leichter tragen können. Tugend hat leere Taschen, das Geld ist jetzt rar und der Kammerherr ist geizig.«

Zaremba wand sich in hilfloser Wut, da es ihm aber aufgefallen war, daß der Oberst Jasinski mit seinem Ring spielte, den er auf eine ganz besondere Weise von einem Finger auf den anderen schob, trat er auf ihn zu und murmelte:

»Ein schöner Ring.«

Jasinski reichte ihm den Ring mit einem höflichen Lächeln hin.

Der Reif war golden, in der bekannten Form römischer Ritterringe und mit der Aufschrift » Fidis Manibus« mit dem Datum des 3. Mai und einem Namen in der Mitte. Man trug solche Ringe als Andenken an die Konstitution vom 3. Mai 1791.

Zaremba holte aus der Westentasche einen ganz ähnlichen Ring hervor und zeigte ihn dem anderen.

»Sie sind einander ähnlich!« flüsterte er mit einem leichten Beben und harrte auf die Antwort.

»Wie ein Ave und ein Credo!« kaum hörbar streifte diese Stimme sein lauschendes Ohr.

Darauf rückte Zaremba noch etwas näher und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Gott mit dir!« …

Und er nannte dabei seinen Namen.

»Stelle dich neben mich, aber zur Seite gewandt und betrachte aufmerksam das Publikum, als kennten wir uns gar nicht. Kennst du mich, Kadett? Und aus welcher Brigade?«

»Aus der zweiten. Wer von uns sollte den Obersten nicht kennen!« antwortete er freudig.

»Der Chef hat mir deine Ankunft angezeigt.«

»Ist er bereits in Grodno?« Er sah sich im Saal um, und obgleich er Isa mitten unter den Tanzenden bemerkte, zuckte er nicht mit der Wimper, von der Wichtigkeit des Augenblicks erfüllt.

»Er wird in diesen Tagen hier sein. Der Bund soll sich versammeln. Wo ist der Hauptmann?«

»Voraussichtlich unterwegs nach Krakau.«

»Und die Spione haben auf ihn in Grodno und Umgegend gefahndet.«

»Eine solche Absicht bestand, Mieroslawski muß ihn verraten haben. Ich warne vor diesem Mann; er hat verschiedene Heimlichkeiten mit der Konföderation von Targowica. Er soll sich da ziemlich engagiert haben. Ich brauche Fühlung mit Madalinski und Grochowski.«

»Morgen wirst du die Pläne bekommen. Ich logiere bei der Frau Hetmanin Oginska, doch du findest mich am ehesten auf den Diners beim Hetman Ozarowski, oder beim Bischof Kossakowski. Wundere dich über nichts,« redete er und schob sich dann näher an Zaremba heran. »Du mußt in freundschaftliche Beziehungen zu russischen Offizieren treten. Woyna wird dir dabei behülflich sein, er ist hier mit allen gut Freund, mit ihm selbst muß man vorsichtig sein: er ist ein durchtriebener Schlaukopf und ein Schwätzer; für einen guten Witz verkauft er die eigene Seele. Hast du Geld?«

»Bernaux sollte zur Verfügung stellen, was nötig sein würde.«

»Sei morgen auf der Priormesse im Bernardinerkloster.«

»Ich wohne dort im Kloster. Ist die Post mit Warschau aufgestellt?«

Anstatt einer Antwort hörte er nur Schritte, die sich rasch entfernten und nach einer Weile sah er schon Jasinski an dem anderen Ende des Ballsaales im Gefolge der schönen Luhlli. Er machte ihr eifrig süße Komplimente, verbeugte sich, tänzelte und lachte. Sein ausdrucksvolles Gesicht ließ eine edle Seele erkennen, in seinen Augen stand ein heimliches Feuer und seine schön geformten Lippen mußten beredt sein, denn die Marquise blickte immer gnädiger und gefühlvoller zu ihm hin.

Er sprach schnell, fuhr sich dabei häufig durch den getollten Haarschopf, aus dem vereinzelte Locken bis auf den Kragen seines grünen Fracks niederhingen und machte mit der Rechten eine Gebärde, als haue er um sich mit dem Säbel.

Zaremba verfolgte ihn mit den liebevollen Blicken eines treuen Bewunderers; er fühlte sich seltsam gestärkt durch diese unerwartete Begegnung, und auch nicht mehr so einsam inmitten des festlichen Gedränges.

Er ist auf unserer Seite! Litauens Artillerie ist also mit uns! überlegte er und konnte seine Freude kaum meistern. Er begann sich alle guten Folgen, die aus dieser Tatsache für die Verschwörung flossen, zu überlegen und verband sie mit allgemeinen Plänen.

»Ihr sollt hier bald tanzen lernen!« murmelte er vor sich hin und verfolgte die Offiziere von Sievers mit dem gierigen und grausamen Blick eines Wolfes.

Seine Seele war zornerfüllt beim Anblick dieser gedankenlosen Fröhlichkeit, die rings um ihn herrschte, und er gedachte der verräterischen Söldlinge, die ihm Woyna in ihrer ganzen Blöße gezeigt hatte. Seine Blicke gingen ihnen heimlich nach, er spähte nach jedem Merkmal ihrer Gesichter und prägte sich jede Einzelheit ein.

Isa glitt an ihm vorbei im Tanz. Er sah sich nicht einmal nach ihr um; das erste Mal im Leben sah er auf die Frauen mit haßerfülltem Blick.

»Teufelspuppen! Verführerinnen!« Die Worte hatten einen bitteren Geschmack und die gefühlvollen Blicke, die ihm begegneten, beantwortete er mit verächtlichem Zorn.

Er blieb aber dennoch in der großen vergoldeten Tür stehen und schaute mit wachsender Beunruhigung auf die kreisenden Paare, auf die entblößten Brüste, nackten Füße, durchsichtigen Tunikas, die nichts verbargen, auf die schamlosen Blößen, die von tollen Blicken verschlungen wurden, und die wollüstigen Gebärden der sich im Tanz aneinanderschmiegenden Leiber.

Ein Schauer durchrieselte ihn, das Blut wallte auf, denn zum erstenmal hatte sich ihm dieser Olymp in seiner ganzen geilen Trunkenheit und ungezügelten Begierde offenbart.

In tiefster Seele schämte er sich und doch konnte er seine Augen von dem Schauspiel nicht abwenden und stand da wie angewurzelt im steten Schauen. Es war wie ein verführerischer Traum voll zauberischer Trugbilder, der da vor seinen glühenden Blicken vorübertanzte, wie ein endloses Gewinde, das immer wieder lockte, berauschte und hinriß. Es war ein Reigen wundersam geformter Göttinnen, der in Wolken spinnwebfeiner Hüllen vorbeigaukelte, man sah die lebhaften Farben des Fleisches durch ihre Hüllen schimmern und die Umrisse ihrer beängstigenden Schönheit sichtbar werden.

Psycheerscheinungen tauchten vor ihm auf mit Brüsten wie Blütenknospen und Gesichtern wie aus Mondesstrahlen gesponnen; er sah stolze und unzugänglich scheinende Dianagestalten, die einen weitverbreiteten Ruf liederlicher Dirnen hatten.

Und Vestalinnen, die wie weiße Lilien in ihren Eternelgewändern schienen, aber dreiste Blicke um sich warfen.

Und Ceresüppige Weiber voll königlicher Fülle, die wollüstige Schauer und tolle Gelüste weckten.

Und Nymphen und Waldgöttinnen, ganz à la sauvage nur mit Blüten, Federn, Edelsteinen und mit ihrer schamlosen Nacktheit geschmückt.

Und ganz junge, kaum erblühte Jungmädchen, die über ihre Nacktheit ganz beschämt und verängstigt, dennoch wie Bachantinnen herumtollten.

Wie viele gab es da noch, eine schöner als die andere, und eine jede stellte gemäß der Mode alles zur Schau, was sie hatte und was käuflich war.

»Warum so ganz allein?« erklang plötzlich eine leise lockende Stimme.

Er drehte sich hastig um. Die Vize-Kämmerin stand vor ihm und lächelte ihn mit bestrickenden Blicken an.

»Ich habe mich in diese Wunder verloren!« er wies mit den Augen auf die Tanzenden.

»Ich kann Euer Edlen als Ariadne dienen!«

Sie netzte mit der Zungenspitze ihre vollen roten Lippen, der Taftschal glitt von den Schultern herab und er sah ihren Körper dicht vor seinen Augen aufleuchten, als wäre sie ganz nackt.

Er taumelte zurück, durch die Üppigkeit ihrer Reize und durch ihre sengenden Blicke betroffen.

»Wollen Euer Edlen mit mir eine Anglaise tanzen?« Sie tupfte ihn neckisch mit ihrem Fächer vor die Brust.

»Was bin ich doch für ein Unglückskind! Ich weiß einen Kosak nicht von einem Menuett zu unterscheiden.«

»Das ist jammerschade, denn Ihr seid ein stattlicher Kerl!« Sie sagte das ohne jegliche Umstände und begann ihn mit unverhohlenem Wohlgefallen zu betrachten.

Er empörte sich darüber und parierte ebenso unumwunden.

»Ihr schätzt mich vergeblich ab, denn ich bin nicht zum Verkauf.«

Er verbeugte sich trotzig und ging davon.

Die Vize-Kämmerin verlor die Fassung, aber lange noch blickte sie ihm nach.

Er irrte in den Festräumen umher, um etwas Einsamkeit zu finden, aber jeder Winkel war voll Menschen. In den behaglichen Seitenkabinetten, wo gedämpfte Lichter in Alabasterurnen zu beschaulichem Sinnen einluden, hörte man Geflüster voll Liebesbeschwörungen oder sah alte Matronen nicken, in den Prunkzimmern aber hatte man überall, gleich nach der Abfahrt von Sievers und des ganzen diplomatischen Korps eifrig Karten zu spielen begonnen. Die Zimmer waren gedrängt voll und ganz dunkel vor Tabakdunst, denn man rauchte schon Pfeifen, ohne auf die Damen und die Schicklichkeit Rücksicht zu nehmen. Das Pharo herrschte unbestritten, die Tische waren belagert, über die grünen Tuchflächen neigten sich gierige Gesichter, fieberhaft erregte Augen funkelten und rastlos bewegten sich viele zitternde Hände. Immer wieder hörte man gewichtige Ausrufe, denen sodann Augenblicke quälender Erwartung folgten. Im allgemeinen Schweigen waren nur mehr das trockene Rascheln der verteilten Spielkarten, das Keuchen der Spieler und das erregte Schurren ihrer Füße vernehmbar. Und plötzlich brach an irgend einem der Tische leidenschaftliches Gezänk aus, irgendwer fluchte, das hin und her geschobene Gold klirrte, bis sich wieder über allem das schwere, bängliche Schweigen ausbreitete.

Und so ging es von Tisch zu Tisch, von Zimmer zu Zimmer.

Dabei trank man hier so unmäßig viel, daß die Livreediener kaum imstande waren, für genügende Getränke zu sorgen und einzuschenken.

Zaremba hatte schon übergenug von diesem Schauspiel, als er plötzlich Woyna von einem der Tische aufstehen sah. Seine Augen brannten in einem seltsamen Feuer, seine Wangen glühten.

»Du hast wohl dein Geld verspielt?«

»Scheußlich! Alles! bis fast zu meinen Schnallen. Borge mir, was du mir geben kannst.«

Zaremba reichte ihm eine ziemlich dicke Geldbörse hin.

»An die fünfzig Dukaten werden es sein!« murmelte Woyna, indem er die Börse in der Hand wog. Wollen wir nicht zur Hälfte spielen?«

»Wie du willst. Wer hat dich denn so ausgepumpt?«

»Na, dein lieber Kamerad Nowakowski.«

»Gut, daß du mich daran erinnerst; ich muß ihn noch sprechen.«

»Spiel nur nicht mit ihm; er hat immer ein solches Glück, daß er wohl im stillen Einvernehmen mit Frau Fortuna sein muß. Er sitzt im runden Zimmer. Ich habe eine Witterung, daß ich jetzt mein Geld zurückgewinne, herzlichen Dank.«

Er klopfte sich mit der Handfläche auf die pralle Tasche und rannte davon.

Zaremba verlor plötzlich die Lust, Nowakowski zu sehen.

Er kehrte in den Ballsaal auf seinen früheren Platz an der Galeriesäule zurück und ließ seine Blicke hinter Isa hergehen. Sie wandelte in der Gesellschaft eines pockennarbigen blassen Kavaliers einher, der um sie herumscharwenzelte wie ein verzogenes Hündchen und um etwas recht aufdringlich zu bitten schien. Sie würdigte ihn keiner Antwort und blickte mit düsteren Augen vor sich hin. Mehrmals fühlte er ihre zwingenden Blicke wie abwesend auf sich ruhen.

Die Vize-Kämmerin rauschte an ihm vorüber mit beleidigtem Gesicht – er achtete ihrer nicht einmal. Jasinski kam vorbei – er sah ihn nicht; ein paar Jünglinge machten sich neben ihm vertrauliche Geständnisse über verschiedene schöne Damen – er hörte nicht einmal ihre Stimmen. Er sah jetzt nur sie allein im ganzen Saal, nur Isa, die Einzige, Eine ...

Aber es kam ihm kein Verlangen, in ihrer unmittelbaren Nähe zu sein. Er zog es vor, auf sie aus der Ferne zu schauen und die wundersamen Formen ihrer Gestalt sich für alle Ewigkeiten einzuprägen. Was brauchte er mehr? Nur sich satt sehen und dann fortgehen! Das war sein Entschluß, während er wie festgewurzelt auf seinem Platz stand. Sie bemerkte ihn plötzlich und tauchte ihren prüfenden Blick in seine starrenden Augen. Ein rätselhaftes Lächeln legte sich um ihre Lippen, ihm aber begann das Herz ganz schwer zu schlagen ... Sie wandte sich zum Gehen und verschwand im Gedränge. Das Orchester setzte wieder ein und ein neuer Tanz hub an. Dauvigny fuchtelte mit den Armen, wie eine weiße Windmühle, indem er die ausgelassenen, stark angeheiterten Paare aufstellte.

Mit einemmal zuckte Zaremba zusammen, wie unter der Wucht eines gutgezielten Streiches, sein Herz erschauerte ... Sie kam auf ihn zu, mit dem Ausdruck eines stillen Lockens, und ihre Lippen bewegten sich, als wollten sie ihn anrufen ... kam wie von einer sanften Woge getragen, die sich unbeirrt und mit königlicher Gelassenheit den Weg durch den Strom der Menge bahnte! Ihre schwarzen Locken schlängelten sich in üppiger Fülle über Stirn, Schläfen und Hals. Ihre schlanken, fast entblößten Brüste drängten sich verwegen hervor. Sie kam daher wie eine sich wiegende Blume. Für Augenblicke wurde sie von der Flut der Tanzenden mitgerissen und verschlungen. Er stand und wartete mit einem Beben, das ihm bis in alle Tiefen wehe tat. Und wieder tauchte ihre goldig schimmernde, mit kleinen Röschen bestreute Tunika auf, und ihre weißen bis an die Knie entblößten schlanken Beine wurden sichtbar. Sie lächelte ein Lächeln bestürzter Seligkeit und in den nußbraunen, goldgesprenkelten Augen war ein Funkeln, heiß wie bei einer lauernden Tigerkatze.

Er hörte schon das Klappern ihrer Sandalen gegen den Parkettboden, eine unwiderstehliche Glut umfing ihn, sein Herz pochte stürmisch, ein Wunsch, sich ihr zu Füßen zu werfen, überkam ihn; er blieb dennoch unbeweglich stehen und begann mit ganzer Verzweiflung sich in Gleichgültigkeit zu panzern und sich hinter dem Schild eines spöttischen Lächelns zu verbergen.

»Ich wartete darauf, daß du mich begrüßen würdest.«

Ein Zittern kam über ihn. Da steht sie vor ihm, spricht mit ihm, ihre Hand streckt sich ihm entgegen, ihre nußbraunen Augen blicken ihn an …

»Wie hätte ich das wagen sollen, Frau Kammerherrin … Die Freiheit hätte ich mir nicht herausgenommen.« Er brach sofort ab, so fremd und verhaßt dünkte ihm seine eigene Stimme.

Sie sah ihn erstaunt an, als wartete sie noch auf etwas, er aber sagte kein Wort mehr und blickte sie nur durchbohrend an mit seinen erbarmungslos kalten Blicken.

»Frau Kammerherrin, wir warten!« Irgendeiner kam auf sie zugetänzelt. Sie reichte ihm die Hand und ging, ihren Zorn verbergend, davon.

Zaremba machte den Versuch ihr nachzueilen, aber die Menge trennte sie sofort und drängte ihn auf seine alte Stelle zurück.

Der große Ballsaal begann vor seinen Augen zu schwanken, alles verschlang sich zu einem Wirbel – die Lichter und die roten Wandbekleidungen, die Menschen und die schimmernden Spiegelflächen, und an der Spitze dieser trunkenen Kette sah er den weiß gekleideten Dauvigny unermüdlich mit seinem bebänderten Stock fuchteln und springen wie ein wild gewordener Hampelmann. Seine knarrende Greisenstimme klang an sein Ohr.

Zaremba lehnte sich schwer gegen eine Säule zurück und ließ keinen Blick mehr von der tanzenden Isa. Er bedauerte nichts und gab sich auch nicht mehr der Sehnsucht hin. Er war jetzt ganz ruhig, nur daß dieser Sieg über sich selbst ihn mit dem bitteren Geschmack einer Resignation erfüllt hatte und etwas wehe tat.

Und Isa tanzte jetzt, als gelte es nur ihm.

Immer wieder zog sie an seinen Blicken vorüber wie eine goldschimmernde Wolke.

Sie war wie eine reine Blüte, wie eine Erscheinung in Mondlicht getaucht und doch wie der verkörperte Taumel zugleich.

Über ihr Gesicht schlugen heiße Wellen wie Flammen, ihre Augen sprühten Feuer, der erblühte Mund leuchtete wie ein blutiges Mal, ihr verführerisches Lächeln lockte unwiderstehlich und ihr anmutsvolles tanzendes Sichanschmiegen war wie ein herrisches Begehren ...

Jede ihrer Bewegungen war wie ein Gesang der Sehnsucht, des Erinnerns und der Liebe.

Du wirst mich nicht an dich locken! antworteten seine trotzigen, herausfordernden Augen. Ich geb' mich nicht mehr deiner Marter hin! Du hast meine Liebe getötet! – All das zog durch seine Gedanken zugleich mit einem aufdringlichen Erinnern an verblaßte Liebesschwüre und brennende Küsse. Er stieß sie von sich, diese auferstehenden Gespenster, jagte sie fort aus dem Gedächtnis, aber er konnte seine Augen nicht vor ihr losreißen und fortgehen, wie er das immer wieder beschloß.

Er ernüchterte sich erst, als ihn jemand am Ellenbogen berührte.

»Was willst du?«

Vor ihm stand Kasper, sein Famulus und Getreuer.

»Herr Kapitän sind angekommen und ein beleibter Herr mit ihm,« flüsterte er ihm zu.

»Gut, laß Mathies vorfahren.«

»Wir haben keinen Durchlaßschein.«

Er sah den Diener an, ohne zu verstehen, worum es sich handelte.

»An allen Ecken stehen Posten und Kosaken patrouillieren überall in der Stadt. Jeder muß einen Erlaubnisschein des Kommandanten von Grodno haben.«

»Wie sollen wir denn da nach Hause kommen? Man muß warten, bis es Tag wird.«

»Der Herr Leutnant müssen gleich heimkehren, die Sache ist wichtig. Ich habe mich schon mit einem Bosniaken verabredet. Er hat versprochen, uns durchzubringen.«

Zaremba sah noch einmal nach Isa hin. Sie tanzte und hatte die Augen auf ihn gerichtet, ganz ein Lächeln, ein stummes Flehen, ein Schrei sehnsüchtiger Liebe.

Er trat hinter die Menge der Zuschauer zurück und verließ den Saal.

An der Schloßterrasse erwartete sie ein fremder Mensch und sagte mit gedämpfter Stimme:

»Bitte mir zu folgen!« Er setzte sich sofort in Bewegung und sah sich im Gehen vorsichtig nach allen Seiten um.

Im Osten fing schon das erste Frührot an aufzuglühen. Der Schloßpark tauchte schwarz aus der Nacht auf und begann sich mit dichten Nebeln zu umziehen, die vom Njemenfluß gezogen kamen. Irgendwo aus der Ferne von den Weideplätzen her klang Pferdegewieher zu ihnen herüber.

Zaremba sah sich nach dem Schloß um: es leuchtete aus allen Fenstern, die Kapelle ließ ihre rauschende Musik erschallen, tanzfrohe Haufen wogten durch den Saal und immer wieder drangen Lärmausbrüche zu ihm herüber, aus denen Gelächter, Getrampel und grelle Stimmen hörbar wurden.

»Wer sagst du, wartet auf mich?« fragte er, mit einemmal stehen bleibend.

»Der Herr Kapitän Kaczanowski mit einem beleibten Herrn.«

Zaremba begann plötzlich so schnell auszuschreiten, daß die beiden ihm kaum folgen konnten.


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