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Fünftes Kapitel

Als sie sich hinter den Klostergebäuden befanden, gab Zaremba Staschek den Befehl, umzukehren und auf Mathies und die Pferde besonders achtzuhaben, auch sollte er alle verdächtigen Menschen, die sich in der Nähe des Hauses zu schaffen machen würden, ohne weiteres mit dem Stock davonjagen.

Staschek, der sich durch die ihm bezeugte Ungnade beengt fühlte, bat inständig, man möchte ihn doch mit auf die Fahrt nehmen.

»Arbeite erst deine Prügel ab, die dir noch ausstehen!« herrschte ihn Zaremba zornig an. »Kasper, führen!«

Nachdem Kasper einen Fußweg zwischen den Bäumen in der Dunkelheit aufgestöbert hatte, führte er ihn im Zickzack am Hügelabhang hinab zum Fluß.

Die Nacht war dunkel, am Himmel zogen schmutzigbraune, zerrissene Wolkenfetzen dahin, manchmal fuhr ein polternder, warmer Windstoß ihnen ins Gesicht und rüttelte die Baumkronen über ihren Häupten hin und her; dann folgten Augenblicke beunruhigender, vollkommener Stille.

Sie kamen an Häusern vorbei, die zwischen dem Ästegewirr von Obstgärten versteckt lagen, an dunklen Löchern und Lagerstätten, von denen her man das drohende Knurren von Hunden vernahm, und schlichen zwischen zwei Häusern hindurch, die sich fast mit den Firsten berührten. Der enge Durchschlupf führte auf die Brückenstraße, die man durchqueren mußte, was mit gewissen Gefahren verbunden war, denn kaum etliche Schritte davon entfernt brannte über dem geschlossenen Schlagbaum eine Laterne und in ihrem Lichtschein waren berittene und unberittene Wachen zu sehen.

Sie krochen auf den Vieren hinüber und hatten kaum noch Zeit, sich im Schatten einer fest verschlossenen Schenke niederzukauern, denn von der Anhöhe aus der Richtung der Stadt her ließen sich plötzlich schwere Pferdetritte hören.

»Die Wache wird abgelöst!« warnte Kasper, und nachdem er die Tür tastend gefunden hatte, öffnete er sie mit einem bereit gehaltenen Schlüssel, worauf er sie sorgfältig wieder hinter ihnen abschloß. Der Flur, auf dem sie sich befanden, erstreckte sich quer durch das ganze Haus; von beiden Seiten drangen durch elende Türen Licht, gedämpfte Stimmen und Gläserklirren zu ihnen.

Auf dem von Schuppen umstandenen Hof, der voll Wagen und Pferde war, sah man menschliche Schatten sich hin und her bewegen, aber Kasper ging kühn auf den ihm bekannten Durchgang zu und so gelangten sie auf einen Weg, der von der Brücke hinab zum Njemenfluß führte.

»Jetzt wird es heiß werden!« murmelte er, ins Dunkel spähend; es war unmöglich, auch nur auf die Entfernung von einigen Schritten irgend etwas zu sehen, denn die steilen Uferhöhen warfen tiefe Schatten auf den Weg und auf einen Teil des Flusses, der wie in einem Gewimmel von unzähligen silbernen Schuppen gleißte.

Sie gingen mit der größten Vorsicht weiter und blieben jeden Augenblick stehen, um wieder zwischen Holzhaufen, die den Weg säumten, zu verschwinden, denn jede paar Minuten hörte man Rossestampfen, das die vorüberreitenden Patrouillen ankündigte.

Jenseits des Njemenflusses sah man ziemlich dicht von einander die Biwakfeuer blitzen.

»Die wachen hier wie über eine Festung.«

»Jede fünfzig Schritt ein Reiter und nach der Landseite zu stellen sie sogar noch Geheimwachen auf.«

Sie erreichten ein Häuschen, das zwischen dem Weg und dem Fluß eingezwängt lag, Kasper klopfte nach verabredeter Art gegen das Fenster, worauf sofort zwei Männer erschienen.

»Alles fertig, wir können losfahren!« hörte man einen von ihnen flüstern, der auch die Führung bis an das dicht mit Büschen bewachsene Flußufer übernahm, wo im tiefen Schatten ein Boot verborgen lag.

Sie stiegen ein und dasselbe Flüstern befahl:

»Hinlegen!«

Sie erfüllten das Geheiß, das Boot erbebte in einem kurzen Ruck, während es sich wie ein Schwan der Tiefe zuwandte und begann sich schaukelnd am Ufer entlang vorwärts zu bewegen.

Der Fluß gurgelte hin und wieder aus tiefer Nacht auf, die sich drängenden und wie atemlosen Wellen krochen unter einem unaufhörlichen ärgerlichen Zucken vorüber, manchmal hörte man eine von ihnen mit ihrer schaumbedeckten Flosse über den Ufersand scharren oder aufplätschern wie ein aufschnellender Fisch.

Der Himmel hing ganz tief herunter und die geblähten Wolkenwirbel schienen hinter den ewig in Angst und Unruhe fließenden Gewässern dreinzujagen.

Die Umrisse der Anhöhen glitten wie schwarze, bucklige Höcker vorüber.

Hoch oben in den Lüften rauschte der Wind, so daß sich nur die Schöpfe der Bäume unter einem traumbefangenen Raunen bewegten. Die Nacht war tief und lautlos, aus den Dörfern hörte man schon die ersten Hahnenschreie.

Das Boot glitt mutig vorwärts, indem es wachsam den Sandbänken und den Augen der Reiterwachen auswich; die Dunkelheit schützte es treu und die grauweißen, dünnen Wassernebel umhüllten es mit ihren feuchten Gespinsten.

Zaremba richtete sich etwas auf. Von den oberen Fenstern des Schlosses blitzte wie aus Wolkenweiten ein winziger Lichtschimmer. Er seufzte schwer und duckte sich schnell wieder im Boot zusammen, Isas Flüsterstimme umwehte ihn aufs neue mit der wundersüßen Melodie der Liebe und erweckte zugleich einen durchdringenden und stechenden Schmerz. So lag er, in die undurchdringliche Tiefe des Himmels starrend und ganz der Herzensqual anheimgegeben; die gläsernen Geräusche der Wellen, ein Lallen und Seufzen, das plötzlich um ihn hörbar wurde, sickerndes Geplätscher und geheimnisvolle Nachtlaute steigerten sie noch, denn eine jede dieser Stimmen schlug ihm eine neue Wunde, indem sie Erinnerungen und unerfüllte Hoffnungen wachrief, und dennoch wie ein Abschiedsschluchzen war.

Nach einer Weile jedoch schüttelte er dieses unfruchtbare Selbstbedauern ab, schob es von sich wie einen Hausen welker Blumen und begann, über den Rand des Boots lugend, den Fluß und die schwarzen, kaum sichtbaren Umrisse der Kosakenposten zu mustern.

Sie kamen gerade an der Stelle vorbei, wo der Horodniczankabach in den Njemen mündete, als es plötzlich heller wurde und ein silberner Streifen des Mondlichts sich über den Fluß legte, sie den Augen der Wachen preisgebend.

»Halt! Halt!« schallte drohendes Rufen vom Ufer her.

Das Boot schoß wie ein Hecht davon, gleichzeitig erdröhnte hinter ihnen ein Schuß.

»Ans Ufer heran! Rasch!« befahl Zaremba und zog ein Pistolenpaar hervor.

Nach wenigen Ruderstößen verschwand das Boot unter dem herabhängenden Gezweig und floh weiter.

»Halten!« bestimmte er entschlossen und griff nach einem Ast.

Die Bootsleute klemmten das Boot mit den Rudern fest, nicht in der Lage jedoch, es gegen den Strom zu halten, der sie nach der Flußmitte abtriebe, ließen sie sich ins Wasser gleiten und packten das Boot.

Zaremba und Kasper, jeder mit einer Pistole in der Faust, warteten, auf alles gefaßt, mit verhaltenem Atem und lauschten auf die Zurufe, die vom Fluß herüberhallten. Augenblicke schienen wie Ewigkeiten zu sein, die Patrouillen kamen immer näher heran; unter Fluchen, Geschrei und Gelaufe untersuchte man die Ufer und stach wütend mit den Lanzen in jeden Busch hinein; man konnte selbst das Aufplatschen des Wassers unter den Pferdehufen und das Knistern der angezündeten Fackeln hören.

»Aus nächster Nähe angreifen, gut zielen,« warnte Zaremba mit ruhiger Stimme.

Die Bootsleute klapperten mit den Zähnen vor Kälte und Entsetzen.

Nach längeren Minuten einer furchtbaren Ungewißheit begann der Lärm abzuebben und sich zu entfernen, so daß sie, nachdem sie noch eine gewisse Zeit verstrichen ließen endlich den Weg fortsetzen konnten, wobei sie sich noch lange im Schatten der Ufer hielten. Erst hinter Lososna, nachdem sie das Lager der russischen Grenadiere hinter sich gelassen hatten und der verräterische Mond wieder in den Wolken untergetaucht war, schoß das Boot auf die Mitte des Stromes hinaus und flog dahin, als würde es von Flügeln getragen.

Die scharfe Strömung hatte sie erfaßt, die Ruder rissen sie vorwärts und der Wind, der aufgekommen war und auf sie vom Rücken aus einblies, beschleunigte ihre Fahrt.

Die Riemen knarrten, der Schaum spritzte und die Ruder klatschten unermüdlich wie lange Flossen gegen das Wasser an, im Takt der sich vorbeugenden und straffenden Körper der Bootsleute, die ihre Glieder nicht schonten.

Sie gerieten zwischen die Wälder, die von beiden Seiten bis dicht an den Fluß herabstiegen, wie in den Abgrund einer schwarzen, glitzernden Schlucht, welche von dem grauen, wogenden Plantuch der Wolken überdeckt war.

Sie glitten an Wiesen entlang, die mit einem weißlichen Nebelfließ überzogen und vom Schnarren der Wachtelkönige, vom Brummen der Rohrdommeln und dem wimmernden Klagen der Kiebitze erfüllt waren.

Sie glitten an nebelübersponnenen Feldern vorbei, die nach Buchweizen und Rauch rochen, von denen man fern herüberdringendes Hundegebell der in Nacht versunkenen Dörfer hörte, und über die es wie ein schweres, schlaftrunkenes Seufzen ging.

Es mußte schon gegen drei Uhr gewesen sein, denn im Osten hatte es heller zu werden begonnen, als sie an einer waldbewachsenen Anhöhe landeten und ausstiegen.

»Wie werdet ihr nur wieder nach Hause kommen?« sorgte sich Zaremba und reckte seine steifgewordenen, müden Glieder.

»Wir sind sozusagen schon am Morgen auf den Fischfang gefahren und haben den Schein des Brückenwärters, wir können ruhig heimkehren, wenn auch mit leeren Netzen.«

Er wollte jedem einen Dukaten zustecken, sie nahmen das Geld aber nicht an und der Ältere sagte mit Würde:

»Wir haben unseren Kopf nicht für Geld drangesetzt. Pater Seraphim hat uns in die polnische Brüderschaft aufgenommen, wir wollen uns aus freiem Willen und aus Pflichtgefühl nützlich machen.«

»Darf ich wissen, wem ich zu Dank verpflichtet bin?«

»Der Fischer Simeon Trojakowski bin ich und der da ist mein Sohn Adalbert.«

Er drückte ihnen herzlich die schwieligen Hände, gerührt durch ihre treue Hingabe an die gemeinsame Sache und folgte Kasper die Anhöhe hinan auf einem steilen, glitschigen Pfad. Der Forst umschloß sie mit undurchdringlicher Dunkelheit, sie gingen tastend weiter und stießen immer wieder gegen Baumstämme an, die steil wie eine Mauer dastanden; erst auf dem Kamm der Anhöhe wurde es etwas heller und zwischen den unruhigen, rauschenden Ästen begann sich allmählich der Himmel zu zeigen.

»Wer da?« ertönte plötzlich aus dem Walddunkel ein drohendes Flüstern, begleitet von dem Knacken eines sich spannenden Hahns.

»Freiheit!« gab Kasper flüsternd zurück und blieb stehen. »Wer da?« wiederholte dieselbe Stimme, weniger drohend. »Gleichheit!«

»Wer da?« fiel zum drittenmal die Frage. Sie wurden von bewaffneten Männern umzingelt.

»Brüderlichkeit!«

»Das sind die unsrigen. Geht mit Gott! Deptuch, führe sie nach dem Lager.«

Es lag noch eine ordentliche Strecke Wegs vor ihnen durch ein wildes Gewirr von Hügeln, Hauen, Waldtälern und sumpfigen Wiesen. Sie gingen schweigend, nur Deptuch ließ von Zeit zu Zeit ein durchdringendes Pfeifen ertönen, sah sich nach allen Seiten um und gab alsbald Zaremba Bescheid:

»Melde gehorsamst, Herr Leutnant, daß die Reiterwachen auf ihren Plätzen sind.«

»Gut aufgestellt,« lobte Zaremba, denn er konnte nicht einmal ihren Schatten erspähen.

»Das sind auch keine Kantonisten, oder adlige Offiziere von der Volkskavallerie,« murmelte Kasper.

»Brauchst nicht zu mäkeln,« verwies ihn sein Herr, indem er mit angespannter Aufmerksamkeit auf die Tritte des Führers achtete, denn im Dickicht und Dunkel sah man nichts außer den sich hier und da ungewiß abzeichnenden Stämmen der dichtgedrängten Bäume.

»Es riecht nach Rauch,« bemerkte er an einer Stelle des Weges.

»Der kommt von den Pechhütten, der Rauch zieht nämlich rechter Land herüber,« erklärte Deptuch und geleitete sie an den Rand eines von Büschen bewachsenen Sumpfes, auf dessen Oberfläche hier und da schwarze, tote Gewässer glasten; der trübe Himmel hing wie ein schmutziger, faltiger Lappen über ihnen. Der Weg war beschwerlich und gefahrvoll, sie gingen wie über eine gespannte Lederhaut, die jede paar Schritt unter ihnen barst, so daß sie plötzlich bis über die Knie versanken und der Schmutz ihnen ins Gesicht spritzte; es kribbelte ihnen in der Nase von dem fauligen Geruch, der vom Sumpf aufstieg, große Vögel flogen unter schwerem Flügelschlagen auf und kreisten über den toten Weihern wie vom Wind geblähte schwarze Tücher.

»Noch ein Hügel ... gehorsamst!« meldete Deptuch und geleitete sie über eine Anhöhe, die so voll Löcher, entwurzelter Bäume und Knorren war, daß sie fast bei jedem Schritt stolperten und schon laut vor sich hinfluchten.

Auf der Anhöhe bot sich ihren Augen ein sehr malerischer Anblick dar.

In der engen und tiefen Talsenkung, die von hochragenden Waldriesen umgeben war, brannten einige Lagerfeuer. Die Flammen zuckten in roten Zungen empor und warfen eine blutige Helle über den ganzen Lagerplatz, der Rauch füllte als eine zerfaserte, bläuliche Wolke die Schlucht, in der man kaum unterscheidbare Menschenhaufen sich regen sah.

»Nicht alarmieren!« hielt Zaremba Deptuch zurück. Er blieb, nachdem er hinab gestiegen war, unter einem Baum stehen.

Das Lager war voll Menschen, aber eine Mattheit und Schläfrigkeit lag darüber ausgebreitet; viele Menschen schliefen lang ausgestreckt auf dem Erdboden, etliche machten sich an ihrer Kleidung zu schaffen, während andere, bis zum Gurt entblößt, ihre Hemden über dem Feuer wärmten; einzelne würfelten leidenschaftlich oder spielten Raffen, während eine Anzahl mit Pfeifen zwischen den Zähnen sich Herumtrieben, ohne irgendwo länger verweilen zu mögen; an einem Feuer sah man einen alten Soldaten, der die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließ, stumpf in die Flammen starren, sich immer aufs neue auf die Brust schlagen und bekreuzigen; weiter zurück hämmerte ein mageres Schusterlein, den Mund voller Holzstifte, auf einen klobigen Stiefel ein, daß es nur so schallte; neben ihm prangten zwei üppige untersetzte Weiber. Die jüngere lauste einen kleinen, derben Bengel, der seinen Flachskopf den Händen der Mutter zu entreißen versuchte und dabei mit den nackten Beinchen um sich stieß; die andere strickte eifrig an einem Strumpf. Ganz schon abseits weideten ein paar Männer ein ansehnliches Schwein aus, das an einem Ast aufgehängt war; ausgehungerte Hunde drängten sich kläglich winselnd heran und bissen sich untereinander.

Zwei gedeckte Planwagen standen im Hintergrunde, magere Mähren daneben, die Köpfe in den Futtersäcken, die an den Deichseln hingen.

Eine Herde Schafe, mit einem großen rostfarbenen Leithammel an der Spitze, schimmerte weiß zwischen den Bäumen auf wie eine Gänseschar. Kalbfelltornister, Rucksäcke, Gurte, Patronentaschen und Kochgeschirre hingen an Astknorren und lagen an den Feuerstätten herum.

Pater Seraphim, gefolgt von einem braunen, zottigen Schäferhund, bewegte sich hier- und dorthin unter den Leuten, bot dem einen seine Tabakdose zum Schnupfen an, half mit Rauchtabak aus und schien dabei allerhand Lustiges zu erzählen, denn von Riesen begleitetes Gelächter bezeichnete seinen Weg.

Trotz alledem war es seltsam still ringsum, man sprach nämlich nur im Flüsterton miteinander, Angst schien über dem Lager zu schweben und immer wieder starrte der eine oder der andere mit vorgehaltener Hand ins Waldinnere, auch die Hunde ließen häufig ein drohendes Knurren hören.

»Ein wahres Bettellager, aber die Kerle haben verwegene Räuberfratzen!« knurrte Zaremba und trat dichter heran.

»Das ist echtes Soldatenvolk, keins zum Paradieren oder Stafettbringen,« verteidigte sie Kasper verärgert.

Deptuch hatte inzwischen das Alarmzeichen gegeben; alles sprang auf, um sich geschickt in langen Reihen an den Lagerfeuern aufzustellen, selbst die Weiber standen zwischen ihnen in Reih und Glied.

»Wie geht's, Jungen!« rief Zaremba, vor die Front tretend.

»Wünschen gute Gesundheit!« ließen sie ihre Antwort erschallen und bohrten, indem sie wie zu Säulen erstarrten, ihre Blicke in sein Gesicht.

Im Flackerschein zweier Kienfackeln, die ein paar Burschen hinter ihm dreintrugen, begann Kasper von einer Tabelle die Namen laut abzulesen; bei einzelneu machte der neben ihm gehende Pater Seraphim einige Bemerkungen, Zaremba musterte indessen mit strenger Aufmerksamkeit die harten, abgemagerten Gesichter, die ausgehungerten Gestalten und ihre bettlerhafte Montur, denn sie halten buchstäblich Fetzen und Lumpen ehemaliger Soldatenröcke am Leibe, die mit den Resten verschiedenartigster bunter Uniformaufschläge ausstaffiert waren, viele hatten nur Joppen und Leinwandhosen an und waren dabei auch barfuß. Die Köpfe putzten recht artig rostrot gewordene Schafpelzmützen, samtene Judenkäppchen, Dreimaster und Kosakenhelme; einer von ihnen, mit einem Maul breit wie eine Satte, spreizte sich selbst in einem Priesterbarett. Sie stanken schon von weitem nach langer Soldatennot. Es waren die Überreste verschiedenster Regimenter und Waffengattungen und Menschen verschiedensten Alters: von pausbackigen Milchbärten an bis zu rechten Stichelschimmeln, die auf allen Vieren beschlagen waren, alles in allem trotzdem auserlesene Kerle, hochgewachsen, sehnig, dürr und in der Not erprobt. Gewiß, sie hatten wahre Spitzbuben- und Galgengesichter, aber er sah keinen, den nicht eine würdige Narbe schmückte, einzelne waren selbst mit Schmissen gesprenkelt, wie Birken, denen man Jahr für Jahr Saft abzapft ...

Sie standen, fest in den Boden gestemmt da und sahen ihn trotzig und kühn an, aus ihren Augen blickten eiserne Seelen und wilder, unerschrockener Mut.

Obgleich sein Gesicht ernst blieb und seine harten Blicke sie abschätzten wie zur Schlachtbank bestimmte Opfer, so hätte Zaremba doch am liebsten die Hände vor Freude gerieben, so sehr hatten sie ihm gefallen. Auch ohne die Tabelle Kaspers erkannte er sofort, daß diejenigen, denen der schiefe Wolfsblick eigen war und die ihre Lüften auf eine breite Art beim Gehen bewegten wie Mägde beim Tanz, die Mannschaften der Kanonen waren; andere aber in etwas vorgebeugter Haltung mit Dackelbeinen und Entenbewegungen waren Berittene, der Rest mit den trommelartig straffen Brustkästen, schmuck, gerade gereckt und stramm stellte das Fußvolk dar, das allem Anschein nach bereits aufs allerbeste eingedrillt war.

»Feines Völkchen! Soldatenbrüderlein!« murmelte er freudig. »Es fehlt nur, daß man euch die Montur gibt, euch herausfüttert und jedem einen Karabiner in die Faust steckt, dann kann es losgehen, selbst gegen die ganze Welt!«

Sie gefielen ihm außerordentlich, diese Galgenstricke; er stapfte um sie herum, als wären es schöne Mädchen. Jeden besah er sich einzeln, schaute ihnen gnädig in die Augen und kargte nicht mit gütiger: Worten.

Mit einemmal trat ein baumlanger Kerl im grünen Wams, roten Pluderhosen und Bastschuhen aus der Reihe hervor, klappte mit der Hand gegen den Schirm seiner Artilleriemütze, reckte sich stramm und rapportierte in einem Atemzug:

»Melde gehorsamst dem Herrn Lieutnant: Hundert Mann, zwei Marketenderinnen, zehn Pistolen, zwei Pfeifer, eine Trommel und ...«

»Wie geht es Ihm, Furdzik,« unterbrach ihn Zaremba lachend. »Schon gut, alter Freund, schon gut.«

»Zu Befehl!« knurrte der andere verwirrt und trat in Reih und Glied zurück.

Kasper blitzte ihn drohend an und kommandierte laut, nachdem er mit der Tabelle fertig war:

»Abtreten, rührt euch!«

Die Reihe geriet in Bewegung und löste sich nach allen Seiten hin auf.

Als aber Zaremba am Feuer Platz genommen hatte, begann sich das Soldatenvolk um ihn zu scharen, denn er sprach gern mit einem jeden von ihnen. Er gewann ihre Herzen durch sein offenes, klares Gesicht und seine soldatische Art, die sie aus jeder seiner Bewegungen errieten. In einem Augenblick hatten die gewiegten alten Schlauköpfe Zaremba aufgebissen und machten einander leise Bemerkungen über ihn:

»Das ist keiner von denen, die mit ihrer Charge gleich zur Welt gekommen sind, man merkt's gleich, daß er Kadett in der Ritterschule gewesen ist.«

»Ein solcher gibt dir, wenn er böse ist, eins aufs Maul, aber schlimm ist er nicht.«

»Es gibt hier welche, die es schon wissen, daß er für seine Soldaten der leibhaftige Vater und Beschützer ist.«

»Bei Zielence hat er mit uns zusammen die Vorderkarren geschleppt, daß ihm die Knochen nur so gekracht haben.«

»Und ein Kugelsicherer ist er. Ein anderer hält nicht einmal den Regen so aus, wie der unter den Kugeln gestanden hat.«

»Seinem Kasper hat er die Freiheit geschenkt und Grund und Boden.«

»Und schön ist das Jesuskindlein, und süß!« schwärmte die Marketenderin, die den Jungen auf dem Arm trug.

»Küß Sie ihn also irgendwo, Gevatterin, und versuch, wie es bekommt.«

Sie brachen in ein Gelächter aus, so daß sich Zaremba nach ihnen umwandte und da er den kleinen Jungen gewahrte, ließ er ihn sich hinreichen und setzte ihn rittlings auf sein Knie.

»Wie heißt er denn?«

Er wandte seinen Kopf ab, denn der Junge langte gleich nach seiner Nase.

»Pietrusch!« piepste die Mutter freudig und nach einer Weile fügte sie stolz hinzu: »Der Herr Oberst von König haben ihn mit dem Fräulein Terenja zusammen zur Taufe gehalten.«

»Dann müßt Ihr aus Kozienice sein? Was für ein Kobold hat Euch denn hierher verschlagen?«

»Mein Unglück!« entgegnete sie leise und schlug ihre tränenglitzernden Augen zu ihm auf. »Der Herr Kommandant Orlowski haben sich den Meinen nach Kamieniec in die Festung verschrieben, wo sie Kanonen umgießen wollten, mein Mann war doch wegen dem, daß er das kannte, als Meister in Kozienice angestellt, die ganze Fabrik ging da nach seinem Kopf. Und wir sind dann so weit fortgekommen zu unseren: Unglück. Ehe er noch richtig an seine neue Arbeit gehen konnte, kamen der Herr General Zlotnicki angefahren und haben die Festung dem Feinde verkauft. Alle hat er uns verkauft und verraten, du lieber Gott!«

Sie weinte laut auf, ein heftiger Schmerz wurde auf ihrem elenden Gesicht sichtbar und ihre Brust hob sich unter einem plötzlichen Schluchzen.

»Und jetzt bin ich eine arme Waise! eine richtige Waise!« redete sie weiter und weinte immer wieder auf. »Meiner war ein guter Pole und für des Königs Geld im Ausland zum Meister ausgebildet, als er das erfahren hat, da ist er mit dem Schädel gegen die Wand gerannt und wollte diesem Teufelssohn zu Leibe! Kaum habe ich ihn halten können, denn da war nicht an zu denken, diesem Verräter beizukommen, der fremde Soldat hatte schon die ganze Festung überflutet und unsere Quartiere haben sie mit Postenketten umzogen. Aber gleich in der ersten Nacht hat meiner getan, was er dem Vaterland schuldig war, die ihn daran hindern wollten, hat er unschädlich gemacht und die besten Kanonen vernagelt. Das ist wahrhaftig wahr, er hat es gewagt und hat es zuwege gebracht!«

»Sie redet wahr, das ist so gewesen!« ließ sich eine bejahende Stimme aus dem Haufen vernehmen.

»Die reine Wahrheit sag' ich, daß der General Zlotnicki ihn dann dafür der Marter und dem Tode preisgegeben hat! Und als sie dabei waren, ihn wegzuschleppen, da hat er bloß noch sagen können: ›Zieh das Kind groß. Es soll mein Rächer sein!‹ Das war alles, was ich von ihm noch gehabt habe. Mit Stöcken haben sie ihn zu Tode geprügelt.«

Sie verstummte, und nur ein herzzerreißendes Schluchzen wurde hörbar.

Hoch oben über ihnen ging ein Rauschen durch die Baumkronen, das klägliche Weinen der Frau rieselte wie frisches Blut über die Herzen der Umstehenden und erweckte ein solches Gefühl der Trauer, und einen solchen Schmerz und Haß, daß man ringsum nur erregtes Keuchen und Fluchen hörte und zusammengeballte Fäuste sah.

»Richtiges Soldatenlos,« knurrte einer und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen.

»Zum mindesten ist er nicht vergeblich gestorben.«

»Dafür stehe ich ein, daß die Erinnerung an ihn erhalten bleibt, und was die Witwe und das Kind anbetrifft, so wird die Republik sich ihrer annehmen,« ließ sich Zaremba hören.

»Und wer soll sich jener annehmen, die der Feind schon an sich gerissen hat? Wer wird jene unglücklichen Waisen schützen?« erklang eine düstere Stimme.

»Viele von ihnen verrecken unter den Stockhieben, kein Hund wird ihnen nachweinen.«

»Und wer denkt an diese Tausende, die vor dem Feind fliehen mußten?«

»Wie ein Bienenschwarm ohne Königin haben wir uns in alle Winde zerstreut zu unserem eigenen Verderben.«

»... Wer der Verfolgung entgeht, der wird dem Hunger doch nicht entfliehen können, das wird er schon nicht.«

Sie gerieten in immer schmerzlichere Klagen, und die hingemurmelten Worte, die sich den Tiefen ihrer gequälten Seelen entrangen, fielen auf Zarembas gebeugten Kopf nieder wie Axthiebe.

»Verkauft haben sie uns!« hörte er ein langgezogenes Aufstöhnen, das hundertfach wiederzuklingen schien wie ein Echo.

»Mit Zwang und Gewalt haben sie uns zu Soldaten gemacht, an unserem Elend haben sie sich vollgemästet, mit unseren Knochen haben sie die halbe Welt gepflastert und haben uns zuletzt dem Feind verkauft.«

»Das ganze Vaterland haben sie verschachert!« klagte die vorherige Stimme aufs neue.

»Keiner ist freiwillig zum Feind übergegangen, nur die Herren Offiziere sind, wenn sich ihnen Gelegenheit auftat, hinübergelaufen, als wenn sie geradewegs zu Muttern wollten.«

»Dir aber, Soldat, ist der Tod die Mutter, deine Habe das sind deine Wunden und deine Zuflucht ist die Grube! Jedes Herren Haus steht auf dem Fundament deiner Knochen, jedes Ackerbeet ist mit deinem Schweiß getränkt, du Bauer aber bleibst doch unfrei und wenn du dir die Fäuste zuschanden arbeiten würdest, wenn du hundert Schlachten gewännest und in Treue deinen letzten Tropfen Blut dem Vaterland darbrächtest; dein wird weder ein Stückchen Heimaterde, noch ein Stückchen Himmel, oder ein eigen Dach sein, nicht einmal eine Hundehütte wird dir gehören, wo du dein unglückseliges Haupt niederlegen kannst! Denn du, Soldat, bist der allerletzte vor Gott und vor den Menschen!« hörte man irgend einen mit eintöniger, klagender Stimme vor sich hinreden.

Zaremba verbarg sein Gesicht in den Händen und seine Tränen flossen tief im Innern, denn diese Soldatenklagen wühlten sich in seine Seele und brannten, bis sie sich ganz mit Scham und dem Gefühl einer tiefen Demütigung füllte. Er wagte es nicht mehr, ihnen ins Gesicht zu sehen, denn die Wahrheit eines jeden Wortes war wie ein beißender Mund, ein jedes war ihm wie eine Klage uralten Unrechts und jedes wie ein furchtbarer Vorwurf.

Kasper, der dicht neben ihm im Lichtschein des Lagerfeuers eine Anzahl kleiner Karten ausfertigte, sagte, Zarembas Gefühle scheinbar richtig deutend, leise:

»Wenn über den Soldaten eine schwache Stunde kommt, dann wird er noch schlimmer wie ein altes Weib. Das erleichtert sie aber, diese armen Kerle! Sollen denn alle über Bialystok gehen?«

»Alle, aber truppweise, wähle dazu die Zehntmänner aus. Du wirst das Kommando über sie bekommen und sie dem Hauptmann Bielski zuführen, der füttert sie dann ein paar Tage durch, kleidet sie ein und schafft sie dann weiter. Die Feuer dämpfen; es wird schon voller Tag und der Rauch steigt immer noch auf.«

»Das hat nichts auf sich, denn in den Wäldern gibt es eine Menge Pechhütten, die Tag und Nacht rauchen.«

»Und geh' den Schenken und Dörfern aus dem Weg, daß sich nicht einer durch etwas Unnötiges verrät.«

»Die wissen nichts weiter, als daß es in einen neuen Krieg gehen soll und daß man sich vor Moskowitern und allen, die zu ihnen halten, zu hüten hat. In Warschau wird man ihnen mehr sagen. Was die aber wimmern können, na, na!«

»Das Unrecht brennt länger, als Feuer. Beeile dich mit dem Schreiben.«

Pater Seraphim schmückte indessen unter Beihilfe der Pfeifer und der Frauen den Altar; sein Hund aber, der sich vor den Leutnant hingesetzt hatte, ließ keinen Blick von diesem, winselte ihn leise an und versuchte selbst ihm die Pfote aufs Knie zu legen, doch dieser beachtete ihn nicht und vertiefte sich abermals in die Klagen der Soldaten.

»Brauchst dich nicht zu sorgen,« hörte er alsbald eine höhnende Stimme. »Es soll dein Herr bloß in Erfahrung bringen, daß du aus den Kriegsfahrten noch deine paar Knochen nach Hause gebracht hast, gleich wird er dich durch die Zeitung einfordern und damit du den Weg nicht verfehlst, schickt er dir noch die Starostenknechte entgegen! Sie bringen dich fein im Parademarsch ein, er stellt dir seinen Stiefel auf den Nacken und spannt dich gemeinsam mit seinen Ochsen ein, wird dich schon erniedrigen, deine Soldatenehre mit Füßen treten und mit Peitschenhieben dir in Erinnerung bringen, daß du nichts weiter bist als ein Stück Arbeitsvieh, mit dem er machen kann, was ihm in den Sinn kommt.«

»Und für die Jahre, die du der Republik gedient hast, läßt er dich die Nächte lang Frondienst tun.«

»Sie haben das ganze Vaterland verkauft und verraten!« ächzte die klagende Stimme auf.

»Maul halten, ihr da, Bauernpack! Ruhe, Hundegesindel, sonst hämmre ich euch eins auf eure Schnauzen und laß euch, Läusekerle, bei lebendigem Leibe schinden, mit Stöcken zu Tode schlagen! Sieh einer die schmutzigen Köter, ich werde euch lehren, hier Aufruhr zu stiften!« brüllte mit einemmal ein langer Kerl und sprang unter einem Baum hervor, unter dem er gesessen hatte. Er war sehr groß und mager, sein pockennarbiges Gesicht glich einer Honigwabe, über den bläulichen Lippen mit dem schwarzen, steifgewichsten Schnurrbart ragte die schmale Sperbernase keck in die Luft, er trug lange Stiefel, einen zerfransten ehemaligen Frack, den schmutzigen Fetzen einer Binde um den Hals gewickelt und ein rotes Tuch um den Kopf, in der Hand hielt er einen Rohrstock und gebärdete sich recht hochfahrend. Er hinkte etwas auf dem rechten Fuß, redete mit einer knarrenden Stimme mit einem fremdländisch anmutenden Akzent.

»Was ist Er für einer?« schrie Zaremba und schnellte hoch.

»Laski, ehemaliger Hauptmann eines Regiments vom Majorat des Fürsten Ostrogski.« Ich mußte dieses freche Bauernpack zur Ordnung bringen! Euer Wohlgeboren sind zu nachsichtig für sie, das kann doch nicht so sein ...«

»Schweigen!« donnerte Zaremba und trat mit schwerem Schritt auf ihn zu.

»Ich bitte Euer Wohlgeboren, in meiner Person die höhere Charge und meine Geburt zu respektieren.«

»Ich werde Ihm mit den Zähnen zugleich diese Hoheit aus dem Sinn schlagen, ich werde dich, du Schlachtzizenheld, lehren, wie man zu Soldaten der Republik zu sprechen hat! Kasper!«

Der ehemalige Hauptmann drehte seinen Schnurrbart, nicht im geringsten durch diese Behandlung verblüfft.

»Was ist das für einer? Wie kommt der ins Lager?«

»Melde gehorsamst,« begann einer der Soldaten, ehe noch Kasper eine Antwort geben konnte, »dieser hat uns schon von Bialacerkiew an hierhergeführt, ein armer Schlucker ist er wie wir, nur wenn er auf die leeren Gedärme etwas zu trinken kriegt, dann schlagen ihm gleich die Herrengelüste zu Kopf. Wir bitten gehorsamst für ihn, er spielt schön auf der Flöte, kennt alle Wege und hat auch auf die Juden verschiedene Mittel.«

Der Leutnant besänftigte sich und warf dem ehemaligen Hauptmann einen etwas gnädigeren Blick zu.

»Die würdigen Mitbürger stinken mir so stark, daß ich mich mit Anisschnaps behelfen muß,« sagte Laski dummdreist und nach einer gespreizten Verbeugung fragte er nähertretend: »Mit wem habe ich die Ehre?«

»Wenn sie Ihm stinken, dann kann Er gegen den Wind abziehen, der Weg ist frei.«

»Aber ich bewundere sie ja und werde sie nicht bis Warschau verlassen. Wenn Euer Wohlgeboren hier neue Leute anwerben, dann kann ich die Versicherung geben, daß sie sich unter meinem Kommando schlagen werden wie die Löwen! Als ich Hauptmann bei den Musketieren Seiner Königlichen Majestät, Ludwig des Fünfzehnten von Frankreich war – und das ist sicher ...«

»Gehe Er schlafen, später werden wir miteinander reden, auch von Musketieren.«

Ein Schellensummen ließ sich vernehmen, Pater Seraphim trat zum Feldgottesdienst vor.

Der Altar war auf einer heruntergelassenen Klappe eines Marketenderwagens errichtet, die man weiß bedeckt und mit Tannengrün und brennenden Lichtern geschmückt hatte, die Pfeifer dienten als Meßner.

Die Soldaten knieten in einem großen Halbkreis nieder, der Leutnant etwas von ihnen abseits, nur Laski hatte sich plötzlich irgendwohin verzogen.

Das Flüstern ihrer Gebete vermengte sich mit dem Raunen des niedertropfenden Morgentaus und den Stimmen des erwachenden Waldes. Es wurde schon völlig Tag, durch die dichtverzweigten Äste begann ein blasses Licht zu träufeln, aus der Tiefe kam eine würzige, nach Pilzen duftende Kühle und hin und wieder strich ein Windzug durch die Wipfel, so daß das Gedränge der rotstämmigen Kiefern ins Wogen kam, die Lichter auf dem Altar zu flackern begannen und Nadeln niederrieselten.

Der Geistliche hatte es eilig mit der Messe, wie vor einer Schlacht und die Worte seiner Gebete fielen in einem festen Kommandoton, er machte das Kreuzzeichen, als wollte er einen Schwerthieb austeilen oder nach dem Gewehr greifen, dabei leuchtete auf seinem Gesicht eine so feurige Hingabe, daß es jedesmal, wenn er sich am Altar umwandte und die Arme ausbreitete, schien, als wollte er mit dieser Gebärde alle gebeugten Häupter an sich ziehen und alle segnen.

Die Messe ging still vonstatten, und wieder brach das klirrende Schellengeläut hervor, riß sich aus den Reihen der Knieenden ein niedergehaltenes Schluchzen, ein heißes Aufstöhnen los, oder man hörte einen tiefen Seufzer der Andacht, denn über manches strenge Gesicht tropften die Tränen und glühende Augen hoben sich mit bittender Demut zu den Stufen des Kreuzes empor, welches auf dem Altar sichtbar war.

Die Wälder murmelten leise die Begleitung der Gebete, hoch über ihnen schrie vorüberziehendes Vogelvolk und wie aus der Erde hervor stieg ein dumpfes, langgezogenes Röhren fernen Wildes auf; der Rauch der Lagerfeuer und die Morgennebel umspannen indessen alles mit einem bläulichen, wie aus Weihrauchgefäßen aufsteigenden Dunst.

Nach der Handlung traten viele von den Soldaten und die Frauen an den Pater heran, um das Abendmahl zu empfangen.

Die Wittib Tarkowska mit ihrem Söhnchen im Arm nahm am Altar als erste Platz, hinter ihr näherte sich, auf den Knien rutschend, die Marketenderin, mit Augen, die ganz himmelverloren waren, sie hörte aber dabei nicht einen Augenblick auf, weiterzustricken.

»Sieh mal diese vermaledeite Arbeiterin an ...!« fauchte der Priester, indem er sein Gesicht vor den flimmernden Stricknadeln wie vor einem Igel zurückzog.

Die arme Frau fing vor Beschämung und Entsetzen an zu weinen.

Nach der Messe stellte sich Pater Seraphim mit dem Kreuz in der Hand am Altar auf.

»Soldaten!« rief er mit Nachdruck. »Ist es nicht so, daß ihr geschworen habt, das Vaterland bis zum letzten Atemzug zu verteidigen?«

»Wir haben es!« erklang die Antwort aus allen Kehlen.

»Dann gehet also in Gottes Namen, wohin man euch führen wird. Und welcher in der Seele keinen Verrat nährt, der küsse die heiligen Füße Jesu.«

Er reichte das Kreuz zum Küssen hin und segnete jeden einzeln, indem er die Hände um seinen Kopf legte.

»Du gehst in einen großen Kampf, Soldate, in einen heiligen Kampf, und denke daran: man muß schlagen und nochmals schlagen und siegen!« rief er mit einer mächtigen Stimme. »Wer ist denn daran schuld, daß du hungrig bist, Soldate? Daß du wie ein Lazarus gemieden bist? – Der Feind ist die Ursache! Und ich sag' dir eins: schlag' ihn ohn Erbarmen, schlag' ihn ohne Pardon, schlag ihn zu Tode! Schone nicht dein Herzblut, Soldate, schone nicht dein Leben, denn Freiheit und Bodenbesitz harrt deiner zum Lohn! Du wirst dich dessen erinnern, mein Soldate, nach Jahren, was ich dir heute sage, wenn du im Kreise deiner Enkel niedersitzt, um ihnen zu erzählen, wie du gestritten hast, den Feind schlugst und Freiheit wie Heimaterde seinen Krallen entrissest. Und fällst du auf dem Felde, Soldate, dann werden dir die Trommeln ihren Wirbel schlagen, die Fahnen werden sich vor dir verneigen, die Kameraden werden mit Tränen von dir Abschied nahmen und Sankt Petrus wird auf dieses Weheklagen hin vor dir die Himmelstore weit auftun, wird dir entgegentreten und liebevoll zu dir sprechen:

»Komm her, gerechte Seele, tritt ein, Soldate des heiligen Rechtes!«

»Die Engel werden in die Jubelposaunen stoßen, der ganze Himmel wird eitel Freude sein, die Heiligen stellen sich in Reih und Glied auf und werden dich, lieber Soldate, unter die ersten Personen geleiten und dich unter lauter Hetmane setzen, denn du bist ihnen gleich, da du deine himmlische Charge mit Blut erkauft, das du für das Vaterland vergossen hast, also wirst du Lobpreisung und Glückseligkeit genießen in alle Ewigkeiten!« redete Pater Seraphim.

Es ging ihnen diese Ansprache so zu Herzen, daß sie ihm die Hände zu küssen begannen, und wem es nicht gelang, der küßte seinen Ärmel, den Schoß seiner Kutte oder umfaßte seine Knie, alle hörten sie ihm mit einer seltsam freudigen Sammlung zu. Es war ihnen, als gösse er Honig in ihre Seelen, als erfüllte sie Weihrauch mit Wohligkeit, so daß die in der Not und im Elend verhärteten Herzen freudig anschwollen wie Knospen unter dem Frühlingsregen und sich hier und da zu Blütenkelchen der Hoffnung erschlossen; wer weicheren Gemüts war, konnte die hervordrängende Träne unter der Wimper nicht mehr halten, ein anderer seufzte vor Genugtuung und drängte sich an den Priester näher heran, und es gab manchen, der sich schon keck seinen Schnurrbart aufwirbelte, sich aufblähte, den eingefallenen Bauch vorreckte und trotzig seine Augen rollen ließ, als sich plötzlich aus der Nähe ein durchdringendes Gegacker vernehmen ließ, wodurch die Schafe aufgescheucht, kläglich zu blöken begonnen hatten und die Hunde sich mit wütendem Gebell gegen einen der Wagen wandten.

»Die lobt sich schön laut, daß sie dem Soldaten ein Ei gelegt hat,« lachte einer.

»Meine Glucke!« jammerte die Marketenderin. »Ich werd' dem die Haare ausreißen, der sie herausgelassen hat! Kutzuscha! kuzu, kuzu!« lockte sie schmeichelnd und rannte der Glucke nach.

»Auch die Schäflein möchten mit uns wandern gehen.«

»Die sind so mager, daß selbst ein Wolf sie nicht beißen würde.«

»Kannst dein Huhn abtasten, Aas, bei meinen Schafen hast du nichts zu suchen!« drohte der Bernardinermönch und sprang mit einem Satz zu seinen Schafen in der Sorge, sie könnten sich im Walde zerstreuen, aber der rosthaarige Leithammel jagte sie schon zusammen, hier und da ein säumiges Schaf mit den Hörnern stoßend, der Pater wandte sich seinem Wagen zu. Nach einer Weile holte sein Knecht ein ziemlich ansehnliches Fäßlein hervor und stellte es in der Nähe des Feuers auf. Der ehemalige Hauptmann Laski sprang aufgeregt auf das Faß zu, hob den Boden geschickt heraus und füllte mit der Flüssigkeit ein Quartmaß, das er dem Knecht des Bernhardiners abgenommen hatte; salutierend hob er seine Linke hoch und deklamierte dabei mit inniger Stimme:

»Liebes Schnäpschen, fließe, fließ!
Liebe Wirtin, gieße, gieß'.
Liebes Mädchen, ruck, ruck, ruck!
Du Soldate, schluck, schluck, schluck!
Gelobt sei Jesus Christus!«

Er setzte das Quartmaß an die Lippen, und indem er seinen Kopf langsam zurückbog und mit der Gurgel schluckte, trank er es bis zum letzten Tropfen leer und sagte darauf feierlich:

»Ein Narr, dem der Stinkschnaps nicht den Malvasier ersetzen kann.«

»Trinke Schlechtes – und du wirst zu Besserem kommen, wenn du trinkst. Aber Euer Wohlgeboren haben etwas gar zu lange Gedärme!« bemerkte der Almosenpater anzüglich, indem er ihm das Quartmaß abnahm und sich daran machte, den Schnaps in die dargereichten Feldflaschen zu füllen. »Paßt nur auf, einer wie der andere,« wandte er sich den Soldaten zu: »allzu reichliches Trinken bringt Uneinigkeit. Immer nur einen kleinen Schluck, Brüderlein, und nicht auf den leeren Magen,« warnte er.

Sie sprachen aber so eifrig dem Schnaps zu, daß Kasper sie anherrschte:

»Achtung! für später was nachlassen und jetzt hier antreten!«

Er setzte sich an einer sichtbaren Stelle wieder, um jedem auszuzahlen, was ihm versprochen worden war.

»Wenn noch Zeit übrig bleibt zum Abkochen, dann könnte ich wohl für das Frühstück Vorräte ausgeben?« fragte der Pater.

»Es ist schon heller Tag, vor Dämmerung können wir nicht abziehen.«

Es fanden sich im Wagen des Almosenpaters Brotlaibe, groß wie Räder, vor, ganze Kränze von Würsten und selbst eine ziemlich ansehnliche Speckseite, so daß es in einem Nu lebendig um die Lagerfeuer wurde; Kochtöpfe, Tiegel, Kessel erschienen auf dem Plan, und es begann ein solches Kochen, Braten und Prasseln, daß die lieblichen Düfte der Mahlzeit bald jedem die Nase kitzelten. Die Wittib Tarkowska bereitete zusammen mit der Marketenderin das Essen auf ihre Weise zu, und der Bernhardiner wachte darüber, daß bei der Austeilung keiner benachteiligt wurde, zuletzt setzte auch er sich mit Kasper und Laski an einen Topf heran. Die ausgehungerte Gesellschaft stürzte sich über das Essen her wie über einen Feind und begann so gierig zu schlingen, daß man ringsum nichts anderes mehr hörte als das Klappern des Geschirrs, und die Hunde, die ungeduldig aufwinselten und warteten, bis die Reihe an sie käme.

»Der Herr Lieutnant fastet heute, wie ich sehe?« fragte Laski.

»Er tut, was ihm angenehm ist!« knurrte Kasper unwillig.

Zaremba saß abseits, ganz in Gedanken versunken.

Ringsum geschah das heilige Wunder der Lichtwerdung, das Wunder des hereinbrechenden Tages, des Sonnenaufgangs! Hier und da flammten schon rote Baumstämme auf, durch dunkle Tiefen flimmerten Lichtstrahlen und taubedecktes Moos begann zu glitzern. Der Forst stand im stummen Entzücken da, die Vögel brachen in ein lautes Jubilieren aus und jegliches Geschöpf ließ seine freudige Dankesstimme vernehmen. Die Nebel sanken, der Wind legte sich und durch die Zweige lugte ein schimmernd blauer Himmel, wie gnädig blickende Augen.

Der Tag stand schon über der Welt, als Kasper meldete:

»Ich rufe die Zehntmänner zusammen, dann werden der Herr Lieutnant gleich abfahren können,« und als er sein bejahendes Nicken gewahrte, begann er mit weithin schallender Stimme abzulesen:

»Erste Eskadron, Brigade von Dzierzek, Wachtmeister Mathias Rysj, vortreten.«

Es trat ein klafterhoher Mann mit einem fast wie zu Beafsteak zerhackten Gesicht hervor und blickte fest in die Augen des Leutnants, indem er geradegereckt wie eine gespannte Sehne, mit der Hand am Mützenrand der Befehle harrte.

»Zweites Bataillon des Regiments von Lubomirski, Korporal Thomas Kwak, vortreten!«

Es trat eine geduckte Gaunergestalt vor, rothaarig wie eine Eichkatze und ganz voll Sommersprossen.

»Brigade Jerlitsch, erste Eskadron, Berittener Anton Pyza, vortreten!«

Ein großer Bursche mit einem Gesicht wie ein Vollmond, mit einem Priesterbarett auf dem Kopf, einer dunkelblauen mit Leinwand geflickten Joppe und Judepantoffeln an den Füßen, trat hervor.

»Regiment der Vorhut von Karwicki, drittes Bataillon, zweite Kompagnie, Gemeiner Jan Finczek, vortreten!«

Ein grauhaariger Mensch mit einer gespaltenen Nase und einem kurzen, raubtierhaften Gesicht, trat hervor.

»Brigade der Volkskavallerie von Szwejkowski, Genosse Borejsza!«

Ein schlanker Junge, rosig und schön wie ein Mädchen, trat vor, er hatte helles Haar, eiskalte Augen, Wolfskinnbacken und ein Lächeln, das wie von hoffnungslosem Leid vergiftet schien.

»Erste Kompagnie der Kamienietzer Artillerieabteilung von Gembarzewski, Bombardier Furdzik, vortreten!«

»Regiment der Leibkosaken von Poniatowski, Berittener Semen, vortreten!«

»Dritte Kompagnie der Artillerieabteilung Luczynski, Feuerwerker Kiryluk, vortreten!«

»Zweite Eskadron, Brigade Jerlitsch, Berittener Deptuch, vortreten!«

»Erste Eskadron, Brigade Mokronowski, Berittener Posladek, vortreten!«

Alle zehn nahmen sie in einer Reihe Aufstellung vor Zaremba, der sie um verschiedene Einzelheiten ihrer bisherigen Diensttätigkeit, ihres Lebens und ihrer Flucht befragte, indem er sie auszuhorchen versuchte, denn viele von ihnen gaben an, von Regimentern zu stammen, die noch nicht entwaffnet waren und deren sich der Feind noch nicht bemächtigt hatte, alle wollten trotzdem als Deserteure aus dem feindlichen Heere gelten und erzählten darüber die unwahrscheinlichsten Dinge. Wenn sie logen, so taten sie das so geschickt, daß er keine Möglichkeit hatte, die Wahrheit herauszubekommen. Und schließlich, was ging ihn das an? Sie waren im Kriegshandwerk wohlgeübte Soldaten, zu allem entschlossen und für die Sache von Nutzen. Er gab also seine Nachforschungen auf und wandte sich plötzlich dem Korporal Kwak aus dem Regiment Lubomirski zu:

»Du bist also einer von diesen Helden, die in der Schlacht bei Zielence fortgelaufen sind?«

Der Mann erbebte unter seinem Blick, aber er antwortete in scherzhafter Weise:

»Unser Kommandant haben sich vor jeder Kugel verbeugt, da ist es uns Gemeinen über geworden, im Feuer zu stehen.«

»Und Er, woher kommt denn Er hierher?« fragte er den blondhaarigen adligen Genossen Borejsza.

»Aus den Klauen der Gewalt, um Rache zu nehmen und mein Leben zu lassen,« entgegnete jener hochtrabend und düster.

»Hast du gehört, was der Bernhardiner sagte? Man soll sich schlagen, nochmals schlagen und durchschlagen! Das ist die Losung des Generals Kosciuszko. Nicht Rache suche Er und nicht Tod, sondern Sieg!«

»Und du,« er wandte sich dem Kosaken Semen zu, »warum hast du die russische Matuschka verlassen?«

»Weil ich der eigenen Mutter, der Republik, gehorsam bin.«

»Ein rechter Sohn bist du, Bruder, aber der Rest von den Deinen das sind verräterische Stiefkinder.«

Dem Leibkosaken lief die Narbe auf der Backe rot an und er murmelte ängstlich:

»Die Herren sollen uns die Freiheit wiedergeben, dann wird das Kosakenvolk sich für Polen erklären.«

Zaremba lächelte traurig als einzige Antwort und blieb vor dem Bombardier Furdzik, einem alten Bekannten, stehen.

»Bist du schon lange von Kamienietz fort?«

»Es sind drei Monate her. Ich mußte auf eine Gelegenheit warten. Eine solche Festung abzugeben, mein Gott, all die Kanonen und was noch alles! Unser Kommandant hat schon seit vorigem Herbst die Mauern und Schanzen untersucht und aus eigener Tasche für Pulver gesorgt, tagelang hat er die Kanoniere eingeübt, die Kanonen wollte er auch umgießen lassen. Da hätten wir uns auch ein Jahr gegen alle Teufel verteidigen können ...«

»Warum habt ihr sie denn herausgegeben?« fragte er unbedacht in der Aufwallung eines plötzlichen Leids.

»Die haben die Offiziere und die Herren herausgegeben!« schrie der andere, ohne sich lange zu besinnen. Hatten wir da etwas zu erlauben? Wir haben doch wie die Hunde bei Kälte und Hunger aufgepaßt! Und wie viele sind unter Stockhieben verreckt, weil sie nicht schwören wollten, wie viele haben sie nach Sibirien getrieben, wie viele faulen in den Kasematten! Und diese Verräter haben trockenen Auges ein solches Verderben der Soldaten mit angesehen ... Zu Befehl! ...« unterbrach er mit einemmal feinen Redeschwall, als er den Ausdruck der Qual in den Augen seines Vorgesetzten erblickte.

Zaremba fragte keinen mehr, und ließ sich nur noch mit harter Stimme vernehmen:

»Jeder von euch hat zehn Gemeine zu führen. Und das ist euer Anführer,« er wies auf Kasper: »er wird euch die Marschrouten und Aufenthaltsorte anweisen; jeder Teil muß einen anderen Weg wählen. Wer seinen Trupp vollzählig nach Bialystok bringt, avanciert. Man wird dort alle ausrüsten und die Löhnung auszahlen. In der Dämmerung hat der Abmarsch zu beginnen.«

Die Soldaten zerstreuten sich, nur Laski trat mit einem sauren Lächeln auf ihn zu.

»Vielleicht wäre auch ich zu irgend einer Betätigung geeignet?«

»Er kann den Schutz der Frauen auf sich nehmen: die Wege sind unsicher, voll marodierenden Gesindels ...

»Das hätte ich mir nicht träumen lassen, einmal zu einem Hauswart befördert zu werden!« er wurde rot vor Ärger.

»Ich habe schon eine volle Doppelquart unter dem Sitz im Wagen zurechtgestellt,« begütigte ihn der Pater.

»Bester Wohltäter und Retter!« er geriet plötzlich in einen Zustand von Rührseligkeit: »das ist schon wahr, daß es für meine Charge passender ist zu fahren, als mit dem Bauernpack über Stock und Stein zu pilgern. Jammerschade, daß diese meine Hühnchen schon gerupft sind!« er zwirbelte so temperamentvoll seinen Schnurrbart und warf ihnen einen solchen Blick zu, daß sie auflachen mußten, er aber begann darauf vertraulich zu erzählen:

»Meine Kavalierparole darauf, gerade wegen Liebesangelegenheiten mußte ich mich auf die Wanderschaft mit dem Gesindel machen. Wenn der Mensch Glück bei den Frauenzimmern hat, dann wird ihn der Teufel bis zu seinem Tode nicht aus den Klauen lassen. Selbst unterwegs hat sich mir ein Abenteuer dargeboten, das einfach nicht zu glauben ist ...«

»Ich würde es schon glauben, aber die Zeit eilt,« unterbrach ihn der Bernardinermönch und wandte sich dem Waldpfad zu. Zaremba reichte Laski die Hand, wechselte mit Kasper einige Worte im Flüsterton und eilte, nachdem er ihn wie einen Bruder zum Abschied umarmt hatte, rasch dem Pater nach.

»Der Spitzbube lügt wie gedruckt und denkt, daß ihm die Leute Glauben schenken werden.«

»Das ist seine Methode, ich halte ihn aber für noch was Schlimmeres und habe befohlen, daß man auf ihn acht gibt.«

Sie gelangten durch eine Schlucht auf die Landstraße, wo schon der Klosterwagen des Almosenpaters wartete.

Der Bursche hieb eifrig auf die mageren Gäule ein, man kam aber trotzdem sehr langsam vorwärts, denn der tiefe, lockere Sand quoll bis über die Radspeichen und vor dem Wagen schleppte sich in einer Wolke von Staub ein Häuflein Schafe mit dem Leithammel an der Spitze; der Schäferhund jagte lustig bellend um sie herum und hielt sie in leidlicher Ordnung.

»Die Almosengeber haben sich nicht besonders verausgabt,« begann Zaremba das Gespräch, indem er auf die kleine Schafherde hinwies.

»Ich bin nur sehr wenig unterwegs eingekehrt und hauptsächlich, um die Spur zu verwischen, das Gabensammeln war mir ganz Nebensache. Aber die Werbung ist gelungen, wie? Ausgesuchte Köstlichkeiten, jeder seine zehn Kantonisten wert. Wenn man aus solchen Wildkatzen ein artiges Häuflein zusammenbringen würde, könnte man schon dem Feind heißes Fett hinter den Kragen gießen. Solche Raufbolde wären selbst bereit, mit bloßen Fäusten gegen die Kanonen anzugehen. Und Euer Wohlgeboren würde ich das Kommando übergeben.«

»Ich würde es schon annehmen,« lachte er breit auf. »Ich würde diese Galgenbande bis über den Hals in Blut baden lassen und mit Feindesfleisch füttern. Aber wie sollte ich einfacher Mann von einer so hohen Charge träumen!« er seufzte in aufrichtiger Bescheidenheit.

»Einen kleinen Rang bekommt man – die größten nimmt man sich selbst.«

»Das weiß ich wohl, Cäsar ist das beste Beispiel, und Cromwell und manch ein anderer ...«

»Sie haben sich selbst zu den Ersten ihres Volkes gemacht. Es wundert mich, daß sich ein solcher bei uns noch nicht gefunden hat, nicht einmal, um das Vaterland zu retten!«

»Weil der Adel sofort dagegen protestieren würde und die Gerichte nichts besseres zu tun hätten, als ihn rechtlos zu erklären.«

»Es hat einer sehr richtig gesagt, daß man in unserem Polen den lieben Gott nur darum ehrt, weil er nicht durch Wahl zum Herrn geworden ist und weil man ihn nicht überstimmen kann! Es geht auf schlechtes Wetter, ich habe Reißen in den Waden.«

»Ich dachte, daß der Weichselzopf die Knochen eines Almosenpaters verschont.«

»Das kommt auch nicht vom Weichselzopf. Einmal haben mir die Fußketten das Fleisch bis an die Knochen abgeschabt, so daß ich jetzt besser wie der Kalenderprophet jeden Witterungswechsel voraussagen kann.«

»Ketten? Was war denn das für ein Spaß?«

»Das kam nämlich so: in meiner Jugend ist mir die Geschichte passiert, den Werbern in die Finger zu geraten und die haben mich dann dem Landgrafen von Kassel verkauft, jener hat mich den Engländern abgetreten, welche uns nach Amerika geschleppt haben, damit wir uns für sie mit den Franzosen herumschlagen. Ob sie nun wollte oder nicht, mußte die arme Seele die Suppe auslöffeln. Die Geschichte ist länger als mein Gebet,« er lachte auf, indem er die Perlen seines Rosenkranzes durch die Finger gleiten ließ und die Morgengebete zu murmeln begann.

Zaremba wagte nicht ihn zu unterbrechen, schielte aber ungläubig zu ihm herüber.

»Die Welt weiß es, daß die deutschen Fürstlein mit Menschenfleisch handeln, wie unsere mächtigen Herren mit dem Vaterlandsboden,« sagte nach einer Weile der Bernhardiner, und auf seinem hageren Gesicht leuchteten Blitze des Zornes und Hasses auf. »Auch mit mir haben die Menschen Handel getrieben wie mit einem Packtier. Das lateinische Sprichwort sagt: Contra vim non valet jus, aber das stinkt nach Resignation. Man braucht nämlich gegen die Macht nicht das Recht – sondern ebenfalls Macht! Jeder hat das Recht, der eine stärkere Faust hat. So geschieht es auf der Welt unter gebildeten Nationen. Ich habe so viel Gewalt und Niedertracht an mir erfahren, daß ich weder an das Recht noch an das Gewissen der Könige glaube. Bleibe, Herr, meiner Seele gnädig, aber du herrschest bloß im Himmel, auf Erden ist es der Teufel, der den Vorteil von allem hat!« er schlug sich wie ein Büßender auf die Brust.

»Bei uns ist es noch besser, als anderswo, hier verkauft man noch nicht die Menschen auf Ausfuhr.«

»Weil sie den Herren von der Schlachta zur Arbeit nötig sind. Aber mit Soldaten wird schon gehandelt. Euer Wohlgeboren haben es wohl schon gehört, daß die Generäle Zabiello und Zlotnicki dem Russengeneral Kretschetnikow die Gemeinen stückweise verkauft haben?«

»Ich halte dieses Gerücht für Erfindungen, die nicht wert sind, daß man an sie glaubt.«

»Ich bin natürlich nicht bei diesem Geschäft dabeigewesen, werde es auch nicht beschwören, aber was ist denn den mächtigen Herren heilig? Haben wir nicht Beispiele genug, daß sie ihre eigenen Frauen und Töchter, das Vaterland und alles, wofür sie einige Dukaten bekommen können, verkaufen? Polen ist auf Rechtlosigkeit eingestellt, Polen geht zugrunde, Polen wird von Raben zerfleischt! Und wie könnte es auch anders sein, wenn der Bauer in Sklaverei, der Schlachtziz dumm und der Magnat ein Schurke ist? Es ist furchtbar, was in dieser Republik alles getrieben wird!«

»Mit Klagen wird man das Schlechte nicht gut machen und die Krankheit nicht heilen.«

»Gott allein ist nur noch mächtig, uns zu retten,« seufzte der Mönch sorgenvoll.

»Auch er hält es mit den Stärkeren.«

»Euer Wohlgeboren sollten nicht lästern! Franek!« herrschte er den Burschen an: »schläfst du da, Halunke, oder was? Gib mal der Stute eins auf die Hosen, damit sie die Faulheit verlernt!«

Er machte sich eifrig über sein Brevier her.

»Die Zeit zum Klagen ist schon vorüber!« sagte Zaremba, als er jedoch merkte, daß der Mönch die Nase ins Brevier gesteckt hatte, gähnte er langgezogen und überließ sich dem Schlaf.

Der Wald war bald zu Ende, sie fuhren über fahle Brachäcker, auf denen hier und da Wacholderbüsche wuchsen und zahlreiche Sanddünen sichtbar waren; der Weg senkte sich sanft gegen ein grünes Tal, in dem das Gewässer des Njemenflusses bläulich glänzte; hinter ihnen erhob sich hügeliges Land, das von tiefen Klüften durchschnitten war, durch die das schimmernde Gespinst der Bäche talabwärts sickerte.

Die Sonne stand schon hoch über der Welt und brannte mächtig, so daß die armen Klostermähren immer langsamer vorwärts kamen und sogar die Schafe vor Hitze müde zu werden begannen, auch der Leithammel drehte immer wieder sein gehörntes Haupt ihnen zu und blökte kläglich, aber Pater Seraphim trieb unaufhörlich zur Eile an und rief fortwährend:

»Vorwärts, Franek, treib' die Pferde an, wir werden jenseits des Flusses ausruhen!«

»Ist Euer Würden bekannt, daß alle Fähren auf dem Fluß von Kosaken besetzt sind?«

»Ich weiß, und gerade darum müssen wir nach Grodno auf der Landstraße von Kowno heimkehren, um sie zu täuschen. Aber Euer Wohlgeboren fahren schon eine reichliche Zeit die Juden spazieren, daß es eine wahre Lust ist! Ich habe Euer schönes Schläfchen ordentlich beneidet,« bemerkte er und schob ihm die Tabakdose hin. »Legt Euch schlafen, ich werde schon wachen.«

Er erwachte erst in Grodno, als die Uhr gerade vier schlug.

»Wie haben mich Hochwürden denn durch den Schlagbaumkordon in die Stadt geschafft?«

»Ich habe einen Betrunkenen angemeldet, und der wachthabende Offizier hat einen solchen Umstand zu berücksichtigen geruht.«

»Mit Hochwürden zusammen geht ja alles wie auf Butter ab, Gott bezahl's.«

Er umarmte den Mönch herzlich.

»Ich höre solche Worte gern, wie der Hase die Trommel!« sagte der Almosenpater sehr befriedigt. »Unter Beihilfe des Brüderchens Stock habe ich in meinem Leben manches buchstabieren müssen, so hat man denn seine Erfahrung. Ich will mich jetzt etwas aufs Ohr legen und von morgen ab steh' ich wieder zu Diensten des Herrn Lieutnants.«

»An Arbeit wird es uns nicht fehlen. So, du bist es, Staschek! Was hast du für Nachrichten gebracht?«

Staschek reichte ihm ein paar Visitenkarten und neigte sich freudig über seine Hand.

»Alles in Ordnung, Herr Lieutnant.«

Er blieb in strammer Haltung stehen.

»Fürst Cycyanow, Oberst des Grenadierregiments, von Blum, Hauptmann ...« las Zaremba, ohne sein Staunen und eine gewisse Besorgnis unterdrücken zu können. »Was hast du ihnen denn gesagt?«

»Daß der Herr Hauptmann gerade zum Essen fortgegangen seien. Sie waren zu Mittag hier.«

»Angenehme Gäste. Cycyanow hat meinen Besuch erwidert, aber was hat hier der von Blum zu suchen? ... Ich muß mich gleich unter Menschen zeigen. Vielleicht könnten Hochwürden erfahren, wen man gestern aus Grodno fortgeschleppt hat?«

»Sie entführen die Menschen unter falschen Namen und wechseln diese Namen auf jeder Poststation, um die Spur zu verwischen, so daß selbst der Teufel nichts ausfindig machen würde. Ich will es trotzdem versuchen. Es sprach mal die Schlinge, sieh, daß es gelinge!«

Er lachte und ging hinaus.

»Es wartet hier noch ein Marketender. Er sagt, daß er ein Bekannter des Herrn Lieutnant sei.«

»Das sagt er? Ehe du ihn aber rufst, gib mir etwas zu essen.«

»Alles vorgesehen!« er begann, an den Fingern die Reihenfolge abzuzählen: »Wir haben Schwarzsauer mit Klöschen, ein junges Entlein, direkt vom Spieß ... ist da, feine Preiselbeeren sind da ...«

»Mach' keinen Unsinn, sondern gib, was du hast! Hör' mal ... schaff' mir noch Wasser heran, schlage Seifenschaum und lege mir den kirschfarbenen Frack zurecht ...«

Staschek war wie ein Kreisel in immerwährender Bewegung um ihn herum und redete dabei so possierliches Zeug, daß Zaremba, ob er wolle oder nicht, immer wieder ins Lachen geriet und schließlich belustigt fragte:

»Wo hat man dich denn großgezogen?«

»Ich weiß nicht, Herr Leutnant, weil man mich schon fix und fertig auf dem Kohlfeld gefunden hat.«

»Du könntest dich von Komödianten anwerben lassen.«

»Auch das habe ich ausprobiert, denn ich bin mit der Krippe in Warschau herumgezogen. Die Puppen hat ein Kamerad ausstaffiert, und ich habe für den Herodes und den Teufel, für Margarete und den Juden, und für alle anderen geredet. Da es aber während der letzten Fastnacht zur Zeit des großen Reichstags war, haben uns die Ungarn des Herrn Marschalls zu fassen gekriegt und er selbst ließ uns dafür, daß wir große Herren vor dem Volk lächerlich machten, jedem fünfundzwanzig aufzählen. Ein freigebiger Herr, der Teufel soll ihm das mit Profit heimzahlen! Da haben uns dann der Herr Weyssenhoff, Herr Niemcewicz und der Pater Dmochowski unter ihre Protektion genommen und uns komische Verse über die großen Herren zurecht gemacht, auch die Puppen dazu gegeben, die wie ein Ei dem anderen ihnen allen ganz genau glichen. Ich habe die Stimme eines jeden nachgemacht, und so führten wir die Krippe in den Schlössern, Quartieren und den ersten Kaffeehäusern vor. Es gab Tage, daß ein jeder seine hundert polnische Gulden bekam. Und was wir dabei gelacht, getrunken und uns den Wanst vollgestopft haben ...!«

»Kannst du jede Stimme nachmachen?«

»Wenn der Herr Leutnant erlauben ...«

Und ohne auf Zarembas Antwort zu warten, trat er etwas in den Hintergrund der Stube, von wo mit einemmal so täuschend ähnlich Kaspers Stimme erklang, daß Zaremba sich erstaunt umdrehte. Danach gab sich Staschek plötzlich den Anschein, als wäre er dicker geworden, schob den Bauch vor, blähte die Backen auf und begann mit der Stimme des Hauptmanns Kaczanowski zu sprechen. Er machte auch Mathies und den Almosenpater nach, bis er zuletzt wie eine Henne zu gackern anfing, aufwieherte, drei Hundestimmen auf einmal von sich gab und wie eine Amsel zu pfeifen anhub.

»Daß dich die Kugel ...! Da hast du für deine Künste. Selbst auf dem Theater würde man es nicht besser nachmachen können.«

»Ich brauch' nur einmal zu hören, dann behalt' ich's auch!« prahlte er, durch den Dukaten und die Gnade des Herrn erfreut.

»Wie alt bist du denn eigentlich?«

Er schien ihm nämlich in diesem Augenblick noch sehr jung.

»Da mich die Tante aus Gnaden geboren hat und da ihr das im jungfräulichen Stand passiert ist, hat sie sich geschämt, den Geburtsschein zu holen.«

»Ha, ha!« lachte Zaremba laut auf. »Räume schnell ab, du Schlingel, und rufe gleich den Marketender.«

Nach einer Weile betrat ein kleiner, stämmiger Mensch mit einem dünnen Bärtchen rostroter Farbe, geschlitzten Augen und einem breiten Gesicht die Stube; er trug ein Käppchen auf dem glattrasierten Kopf, ein himbeerrotes Hemd, das über die breiten Pluderhosen herabhing, und darüber einen blauen reich in der Taille gefälteten Überrock. Er übergab ihm ein bläuliches Kärtchen, das in der Ecke mit einem ausgestochenen Dreieck gekennzeichnet war.

Zaremba besah das Papier, da er aber befürchtete, es könnte ein Betrug sein, sagte er kühl:

»Was ist das für ein Unsinn! Seid Ihr stumm?«

Der Marketender lächelte, und nachdem er Zaremba die Formel der Eingeweihten zugeflüstert hatte, fügte er laut hinzu:

»Ich bin Mahmud Bielak aus Lostoja, der Bruder des Majors Amurad. Ein Tatare, wie Euer Wohlgeboren sehen und ein treuer Diener des polnischen Vaterlandes.«

»Nehmt Platz, Euer Wohlgeboren, und verzeiht mein erstes Benehmen, aber die Ordonnanz hat mir einen Marketender gemeldet. Ich bitte sehr.«

»Seit einem halben Jahr bin ich wirklich Marketender. Sogleich werden sich der Herr Leutnant überzeugen, was für artige Waren ich mit mir führe.«

Er rief etwas auf tatarisch in den Flur hinaus, und nach einer Weile wurden große, lange, wohlverschnürte Bastkästen hereingetragen.

»Staschek!« befahl Zaremba, »setz' dich in die Hauslaube, niemand ist zu Hause, verstanden!«

Der Marketender verschloß eigenhändig die Tür und holte aus dem Kasten einige Säcke mit Goldmünzen.

»Zehntausend Dukaten. Man muß sie selbst heute noch dem Herrn Vizekämmerer Zielinski aus Nura einhändigen, das ist der Befehl des Chefs, der in fünf Tagen versprochen hat, nach Grodno zu kommen. Jetzt will ich Euch aber wirkliche Waren zeigen.«

»Betreiben Euer Wohlgeboren tatsächlich Handel?« fragte Zaremba etwas befremdet, indem er die Säcke in seinem Necessaire barg.

»Ein solches Gewerbe bringt bedeutende Einnahmen und erlaubt mir zugleich, unserer Sache zu dienen,« entgegnete der Tatar, aus den auf dem Fußboden stehenden Kisten kostbare Waren hervorkramend, danach holte er schwere lange Gegenstände in Bojstoffhüllen hervor. »Ich habe auch fünfzig Karabiner mitgebracht, die man dem Obersten Grochowski nach Parczew zustellen soll.«

»Fürwahr, fabelhafte Kisten sind das!« rief Zaremba sehr erfreut und besah die Gewehre mit wahrer Andacht. »Einfach zuckersüße Dingerchen! Daran fehlt es uns am meisten, und noch dazu nagelneue!« er roch an den Läufen. »Und auch schon ausgeprobt! Die kosten wohl viel Geld?«

»Einen goldenen Rubel Handgeld pro Stück, da mir doch der Koran berauschende Getränke und Bewirtung verbietet. Ich habe einem russischen Grenadieroffizier aus der Verlegenheit geholfen. Es ist nicht meine Sache, woher er die Karabiner genommen hat! Es ist nicht meine Sünde und ich habe das nicht zu sühnen! Hier ist noch eine Tasche mit tausend Flintensteinen bester Sorte.« Er legte die Waffen in einer Kiste zurecht, packte die Waren zusammen und bereitete sich zum Fortgehen. »Mein Quartier ist sozusagen auf dem Posthof. Ich bin meistens unterwegs, denn ich habe Fouragelieferungen für die Lager der Allianten, aber der Bursche, der die Aufsicht bei den Reservepferden hat, wird mich benachrichtigen, dann stelle ich mich auf jeden Wunsch ein. Der Chef hat darauf gedrungen, daß die Karabiner sofort abgeschickt werden.«

»Ich habe da einen Almosenpater, der sie gleich morgen mitnehmen wird.«

Bielak wollte keine Bewirtung annehmen und ging davon, Zaremba ließ indessen rasch anspannen und fuhr goldbeladen nach dem Vizekämmerer Zielinski, bei dem er bereits bei seiner Ankunft vorgesprochen hatte, ohne ihn jedoch zu treffen.

Der Vizekämmerer Zielinski, ein Mann mittleren Alters von sehr ansehnlicher Statur mit einem schönen Gesicht, das ein mächtiger Hängeschnurrbart zierte, und das von einem graumelierten, an den Rändern ausrasierten üppigen Haarschopf gekrönt war und ein herzgewinnendes Lächeln zur Schau trug, kam ihm entgegen. Er trug die polnische Tracht mit einem Krummsäbel dazu.

Nachdem er Zaremba in einen Seitenraum geführt hatte, wog er das Geld genau ab und verschloß es in einer Lade, worauf er sich ihm freundlich zuwandte:

»Morgen bekommt es der Bankier Kapostas. So hat es der Chef befohlen, er hat mir den Herrn Leutnant dabei sehr warm zu empfehlen geruht. Ich wünschte, daß wir mehr solcher würdigen Offiziere besäßen!«

»Es wäre noch wünschenswerter, daß wir mehr solcher Bürger wie der Herr Vizekämmerer aufzuweisen hätten! Die Offiziere wissen, was sie dem Vaterland schuldig sind und haben nicht einen Augenblick daran gezweifelt.«

»Goldenes Freundchen!« rief der Vizekämmerer, ihn umarmend. »Ich soll sofort einen Pips auf der Zunge kriegen, wenn ich dich damit habe verletzen wollen! Ich bin doch der größte Lobredner des ganzen Offizierkorps und weiß, daß ihr die einzigen seid, die wachen, während die anderen schlafen, oder durch die verräterische Freundschaft verwirrt, resignieren.« Er hielt mit einemmal inne, denn aus einem der Hinterzimmer erklang eine laute Stimme:

»Und ich will Ihnen, meine Herren, die Versicherung geben, daß die Alliantin alles, was sie tut, zu unserem Heil unternimmt. Und nur unter dero edelmütiger Protektion ...«

Der Vizekämmerer zog die Tür zu, aber Zaremba hatte gehört, was gesagt worden war und preßte zwischen den Zähnen hervor:

»Gerade wie im Märchen von der wölfischen Protektion über eine Herde von Schafen.«

»Und das Schlimmste ist, daß solches ein ehrlicher Mensch und ein rechtlich denkender Staatsbürger redet, und dasselbe glaubt fast ganz Litauen felsenfest. Diese Blindheit ist wirklich zum Verzweifeln!«

»Sie werden schon sehend werden, nur wird es dann zu spät sein.«

»Die Kossakowski verdrehen den Leuten die Köpfe in dieser Richtung, denn sie verkünden schon offen und laut, daß für Litauen die einzige Rettung ist, wenn es sich mit Rußland durch einen Bund freiwillig verbündet.«

»Man glaubt allen Einflüsterungen, um nur nicht die Stimme des Gewissens und der Pflicht zu hören!«

»Aber, was ich noch sagen wollte, Jeziorkowski der Reichstagssekretarius hat mir anvertraut, daß der Bote Zaluski für Sandomir bereits das Unterschatzmeisteramt der Kronlande übertragen erhalten hat.«

»Die Frau hat ihm bei Igelström diese Stelle erdient, das ist doch dessen Geliebte.«

»Und der Bote Mionczynski für Lublin hat die Würde des Feldsekretarius der Kronlande bekommen.«

»Ein schönes Henkerpärchen: ein Kuppler und ein Wegelagerer!«

»Der Herr Gesandte braucht im Reichstag mehr Stimmen von Würdenträgern und läßt auf diese Weise seine Ohrenbläser zu solchen ernennen, der König wird sich doch dem nicht widersetzen.«

»Es würde mich nicht einmal verwundern, wenn man den Erzschuft und Verräter Lubowidzki zum Großhetman der Kronlande ernennen würde.«

» A propos, Branicki hat den Kommandostab niedergelegt. Man flüstert sich zu, daß der Hetman ›nach dem Willen der Allgemeinheit‹, also Kossakowski, sich um die Stelle in Petersburg bewirbt. Der König dagegen und Sievers begünstigen den Hetman Ozarowski, es gibt außerdem andere, die den Marschall Pulaski aus Wolhynien zum Kron-Feldherrn haben möchten.«

»Wohl für die Tugenden und Verdienste seines Bruders Kasimir seligen Angedenkens.«

»Es hat mir gerade Trembicki diese auf Pulaski bezüglichen Absichten mitgeteilt. Ich meine, daß das bloß eine Intrige ist, um Uneinigkeit in der Generalität hervorzurufen. Der Marschall Pulaski beklagt sich nämlich schon über seine Kameraden von der Targowicaer Konföderation und über deren unersättliche Habgier und Verkäuflichkeit.«

»Zur Zeit brauchen wir einen ganz anderen Führer.«

»Ich wüßte schon einen, doch ehe etwas derartiges geschähe, würde sich der Marschall Pulaski besser für unsere Absichten eignen: das ist ein Mann voll warmen Gefühls für das Vaterland.«

»Sollte er aus diesem Gefühl heraus das Marschallamt der verräterischen Targowica übernommen haben?«

»Es ist auch dieser Plan gediehen,« setzte der Vizekämmerer fort, ohne auf den Stich zu achten, »daß man ihn im Reichstag dem König und den Ständen zum obersten Kommandostab empfehlen sollte. Der Bote Mikors hat sich entschlossen, für ihn zu sprechen. Was denken Euer Wohlgeboren darüber?«

»Ich möchte keiner dieser Diversionen beistimmen, denn ich bin über solche Materien so im Dunkeln, wie Tabak im Sack,« versuchte er dem unangenehmen Gespräch auszuweichen; er erhob sich und faßte nach seinem Hut.

»Ich dachte, wir sollten jetzt zusammen zur Vesper essen, mein goldiges Freundchen, man wartet auf uns. Euer Wohlgeboren werden bei mir einige eifrige Zelanten und den Hauptmann Zukowski kennen lernen.«

»In der Regel meide ich den Verkehr mit den Patrioten, um nicht die Aufmerksamkeit der Spione auf mich zu lenken. In Grodno ist jeder Ehrliche verdächtig und steht unter scharfer Aufsicht. Darum muß ich mir schon der Sicherheit halber den Anschein eines Jahrmarktgaffers und lustigen Bruders geben,« setzte er ihm auseinander, versprach jedoch am nächsten Tag zum Mittagessen zu kommen, worauf ihn der Vizekämmerer herzlich in die Arme schloß und beim Abschied sagte:

»Ich bitte Euer Wohlgeboren mein Haus bei jedem Bedarf als Euer eigenes zu betrachten.«

Zaremba schickte den Wagen nach Hause und befand sich alsbald, ohne sich davon Rechenschaft zu geben, vor der Wohnung der Kammerherrin gerade in dem Augenblick, als Hauptmann von Blum vorgefahren war und die Ordonnanz einen riesigen Korb Rosen aus dem Wagen heraushob, um ihm die Blumen nachzutragen.

Sie begrüßten einander ganz freundschaftlich, worauf ihn der Hauptmann mit einer gönnerhaften Gebärde zum Eintreten aufforderte.

»Ich habe leider keine Zeit, ich wollte mir nur Nachrichten über den Herrn Kastellan verschaffen.«

»Er kommt morgen, hat mir heute mittag Fräulein Terenja gesagt. Wir gehen heute ins Theater, würden Sie vielleicht mit von der Gesellschaft sein?«

»Ist denn die Gesellschaft groß?«

»Bloß Hausangehörige: die Frau Kammerherrin, Fräulein Terenja, ich – na, und der Kammerherr.«

»Und der Fürst?« er konnte diese Frage nicht unterdrücken.

»Er wird gegen Ende der Vorstellung erscheinen, denn er ist jetzt durch den jungen Grafen Zubow sehr in Anspruch genommen, der aus Petersburg eingetroffen ist, darum hat er bloß den Garten des Herrn Gesandten aller Rosen berauben können und gab mir den Auftrag, die Blumen der Frau Kammerherrin zu überbringen. Er ist jetzt wieder im Zustand der Glückseligkeit, denn die verlorene Gunst hat er wiedererlangt,« gestand er mit einem dummen Lächeln.

»Es freut mich sehr,« stotterte Zaremba und zwang sich noch zu einigen Worten der Entschuldigung, daß die Herren ihn nicht zu Hause angetroffen hatten.

»Durchlaucht haben sehr bedauert, der Fürst war bei Ihnen, um seinen Dank auszusprechen.«

Zaremba machte ein aufrichtig erstauntes Gesicht.

»Er hat mir ein Geständnis gemacht, daß er Ihnen die Verzeihung der Dame verdankt.«

»Mir? Ach, ja, ja!« lachte er plötzlich seltsam auf und entfernte sich dann, nachdem sie sich voneinander verabschiedet hatten, langsamen Schrittes, als müßte er eine Last mit sich tragen, der er nicht gewachsen war.

»Mir zu verdanken ...!« wiederholte er mit einem Empfinden, für das er keinen Ausdruck fand. »Sie hat sich gerächt, wie eine gemeine Dirne!« Für einen Augenblick nahm der Zorn in ihm überhand, doch er bezwang sich und mit der Maske der Gleichgültigkeit stellte er sich vor dem Kaffeehaus auf, wo um diese Tageszeit die Modejugend sich versammelte, um die spazierenden Damen in Augenschein zu nehmen. Unter den Dastehenden war auch sein Freund, der Leutnant Martin Zakrzewski; er schien mürrisch, sehr schlecht gelaunt und in einer derartig menschenfeindlichen Verfassung zu sein, daß er nur eine Gelegenheit erwartete, um einen Zank vom Zaun zu brechen.

»Du bist so bitter, daß man fast denken könnte, die Vize-Kämmerin hätte dir einen Laufpaß gegeben,« murmelte Zaremba.

»Du hast etwas vorbeigeschossen, aber jemand muß mich scheinbar bei ihr verleumden.« Er sah ihn mit mißtrauischem Blick an.

»Dein Verdacht ist gänzlich verfehlt, beliebe einer anderen Spur zu folgen.«

»Wenn ich bloß wissen könnte, wer mich dort so herabsetzt!« knurrte er und zupfte nervös an seinem Schnurrbärtchen.

»Paß lieber auf, daß man dich nicht bei der Terenja herausbeißt!«

»Willst du mir einen Affront machen oder ist das eine Warnung?« er näherte sich Zaremba drohend.

»Ich möchte nur, daß du merkst, wer dir eine Grube gräbt und wo ...«

Zakrzewski wurde mit einemmal blaß, sein sanftes Gesicht erstarrte zu Stein.

»Ich halte dich für einen Freund, darum sollst du mich nicht schonen.«

»Überzeuge dich selbst! Die Damen werden heute im Theater sein, natürlich in Begleitung ... Denke nur daran, daß die Offiziere des russischen Gesandten sich nicht duellieren dürfen.«

»Ich werde aber noch einem jeden von ihnen die Rippen abtasten dürfen und wenn nicht anders, dann mit dem Knüppel.«

»Und dafür eine Fahrt nach Kaluga machen. Ein mittelmäßiger Spaß, der nicht zum Ziel führt. Mache also keine Geschichten; man muß wirksamere Mittel finden.«

»Wart' einer, bis die Stute die Wölfe gefressen haben,« murrte Zaremba verächtlich und rannte davon.

Zaremba wollte ebenfalls davongehen, als aus dem Kaffeehaus ein betrunkener Riese herausgetorkelt kam und mit seinem ganzen Gewicht gegen ihn anprallte und ihm im Befehlston zustotterte: »Er soll mich führen,« und er rülpste ihm gerade ins Gesicht.

»Ich bin nicht dein Bursche!« Er stieß ihn voll Abscheu von sich, so daß dieser gegen die Hauswand taumelte und, sich an der Mauer krampfhaft festhaltend, mit weinerlicher Stimme zu schreien anfing:

»Helft mir doch, Hundesöhne! Vorwärts, Laffen! Schafft einen Wagen her!«

Niemand schien Eile zu haben, ihm behilflich zu sein, anstatt dessen regnete es Spott von allen Seiten.

»Er wird sich am Kaffeehaus zur Ruhe legen und die Marschalldiener werden ihn wegräumen.«

»Widriges Vieh! Ihr sollt sehen, der wird hier gleich die Wand verzieren.«

»Man müßte ihn der Patrouille übergeben, er schläft auf der Wache den Rausch aus und findet dann schon von selbst den Weg zu seiner Würden, dem Bischof Massalski.«

»Sic transit gloria mundi!« gab ein anderer dazu und spie in der Richtung des Trunkenboldes aus.

»Meine Herren,« mischte sich ein ernster Herr in Schlachtzizenkontusche ein: »ihr solltet euch schämen, über einen Betrunkenen zu lachen und ihn zum Spott des Pöbels zu machen. Verdeckt ihn zum mindesten, ich will indessen hinlaufen und einen Wagen holen.«

Ob sie nun wollten oder nicht, mußten sie ihn den Blicken der Gaffer entziehen und ihn stützen, damit er nicht umfiele.

»Was ist das denn eigentlich für einer?« fragte Zaremba.

»Ein Poninski, es ist der ehemalige Vizeschatzmeister, jetzt allerdings einer der letzten Saufbrüder im Reich.«

Es war tatsächlich der berüchtigte Fürst Poninski, seinerzeit die erste und niederträchtigste Person der Republik, den das Reichstagsgericht als einen Feind des Vaterlandes, als der Ehre, des Adels und der Titel und Ämter verlustig erklärt und zur ewigen Verbannung verurteilt hatte. Er sollte selbst unter Trompetenstößen durch die Straßen der Stadt getrieben und als Verräter ausgerufen werden.

»Einer der Schlimmsten, aber nicht der einzig Schuldige!« dachte Zaremba und betrachtete mit einem Schimmer von Mitleid sein scheußliches Gesicht, das aussah, als wäre es mit Schmutz und Niedertracht gezeichnet.

»Die Targowicaer Konföderation hat ihm die alten Privilegien wiedergegeben, aber man geht ihm aus dem Weg wie einer bösen Seuche.«

»Wer könnte ihn denn auch von der Schande befreien!« hörte Zaremba in seiner Nähe reden.

»Selbst die früheren Genossen verleugnen ihn. Bischof Massalski ist der einzige, der ihm noch eine Zuflucht gewährt und ihm ab und zu eine Handvoll Dukaten zusteckt. Ich kann mir vorstellen, wie den da sein Gewissen peinigen muß.«

»Gewissen und Poninski! Ha, ha! Du kennst ihn, wie ich sehe, nicht einmal seinem Ruf nach.«

»Dafür weiß der Pöbel von ihm mancherlei. Seht nur, wie viel Gesindel sich hier angesammelt hat.«

»Er nimmt sich einen jeden zum Freunde, wählerisch ist er nicht; der säuft, mit wem er kann und wen er findet!«

Es kam schließlich ein Wagen vorgefahren, in dem man den Trunkenbold mit Mühe hineinsetzte, und als die Pferde angezogen hatten, rannte der Menschenhaufen mit Johlen und Pfeifen hinterdrein.

»Verräter! Dieb! Schuft!« flogen ihm Schimpfworte zugleich mit Steinen und Straßenkot nach.

Einige russische Grenadieroffiziere, die abseits standen, begannen laut Beifall zu klatschen und schienen sich dabei vor Lachen ausschütten zu wollen.

»Wenn das die jetzigen Herren Minister sehen könnten!« warf einer der jungen Kavaliere hin.

Zaremba wandte sich von diesem widerlichen Schauspiel ab und lenkte die Schritte seiner Behausung zu.

Es war schon nach Sonnenuntergang, der Himmel bedeckte sich mit einem Schuppenpanzer glühenden Purpurs und von der Erde stieg ein bläuliches Dämmern auf, das sich mit dem Staub und den Stimmen des sterbenden Tages mischte. Auf den Plätzen und an den Straßenecken wurden unter dumpfem Trommelwirbel und begleitet von Kindergeschrei die Wachen abgelöst. Haufen von Städter ergossen sich über die Straßen und ließen sich überall auf den Türschwellen und Treppenstufen nieder. Menschen waren dabei, ihre Kramläden abzubrechen und die Kaffeehäuser und Schenken zu schließen, denn die Stadtknechte kamen schon daher, mit ihren Hellebarden laut aufklopfend, und riefen ihre langgezogene Mahnung:

»Schließen! Feuer löschen! Schließen!«

Zaremba wollte mit dem Almosenpater wegen der Fortschaffung der empfangenen Gewehre Rücksprache nehmen, da er ihn aber im Kloster nirgends finden konnte, wandte er sich nach der Zelle des Priors, auf deren Schwelle er jedoch erstaunt stehen blieb.

Der Raum war ganz von dem Licht der Abendröte durchflutet, auf dem pfirsichfarbenen Hintergrund am Fenster kniete der Prior wie in einer Wolke von flatternden Vogelschwingen; Vögel saßen auf seinem Haupt, auf seinen Armen und selbst auf den zum Gebet zusammengefalteten Händen. Und in dieser heiligen, sanften Stille der Dämmerung erklangen nur die zwitschernden Stimmen der Vögel und die Worte der Litanei:

»Zuflucht der Sündigen!« hörte man das beschwingte Raunen der Liebe ins Endlose des Raumes verwehend. »Bete für uns!« schien ein rhythmischer Ausbruch heller Vogelstimmen zu sagen, die alsogleich verstummten, so daß man nur das Blitzen der Flügel sah, wenn einzelne Vögel von einem Sitzplatz zum anderen hinüberflatterten.

»Trösterin derer, die betrübt sind!«

Und wieder nur das inbrünstige Vogelgezwitscher und ein Schweigen wie aus Blumenkelchen, die nach der Hitze des Tages Wohlgerüche ausströmen in das stille, sommerliche Verdämmern.

»Schutz der Treuen!« betete der Prior weiter, ohne das Knarren der geöffneten Tür gehört zu haben.

Zaremba zog sich auf Zehenspitzen zurück und stand lange noch im Garten am Fenster voll andächtigen Träumens, bis die Erinnerungen an das Vaterhaus, die Mutterliebe und die Kinderjahre in leuchtenden Farben aus seiner Erinnerung aufwuchsen. Ferne Jahre, ferne Träume, fernes Hoffen! – Die duftende Brise trug seine Seele dahin und trug ihn in unerbittlicher Reihenfolge bis zu seiner ersten und einzigen Liebe, zu Isa. Er schauerte zusammen, die eiserne Tatze des Schmerzes hatte sein Herz gepackt.

»Warum bist du so?« kam ein Stöhnen aus seiner Brust, denn mit einemmal war die wundersame Traumblüte in seiner Hand entblättert, starb dahin, ließ ihre Blütenblätter in den Kot regnen und wurde selber dazu.

Nach einer Weile ging er müden Schrittes wieder in die Stadt, in der Richtung des Palastes des Fürsten Sapieha, in dem man heute ein französisches Theaterstück aufführte.


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