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Sechstes Kapitel

Der Kastellan drückte ihn zärtlich an seine Brust.

»Ich freue mich sehr, dich zu sehen, Sewer. Wie geht es dir denn?«

»Wie der Felderbse an der Landstraße,« entgegnete Zaremba lustig und küßte seine Hand.

»Du hast an Cirkumferenz abgenommen, bist ordentlich heruntergekommen.«

»Der verabschiedete Soldat verliert die Federn wie eine Henne nach der Brutzeit.«

»Die Folgerung ist richtig. Terenja hat mir davon vorgeplappert, daß du deine soldatischen Talente vervollkommnen möchtest,« fragte er mit herablassenden Lächeln.

»Ich habe sogar bereits eine Bittschrift überreicht und bin der festen Zuversicht, daß die Entscheidung günstig ausfallen wird.«

»Auf einem solchen Fundament solltest du nicht dein Glück bauen, denn die Reduktion der Armee tritt zweifellos ein und von dem heutigen Bestand werden kaum noch Fetzen übrig bleiben.«

»Wie überhaupt von der ganzen Republik,« warf Zaremba ganz leise ein.

»Es bleibt noch genug, um als Postament für Seine königliche Majestät zu dienen. Denn er hat doch gesagt, daß er die Krone nicht vom Haupt nimmt, so lange er noch genug polnischen Boden hat, um darauf seine Füße zu sehen!«

»Wenn er nur genug haben wird, um seinen Sarg darin zu betten.«

»Du hast es gesagt,« der Kastellan versank in Nachdenken: »Wer kann das Morgen voraussehen? Es kommen jetzt solche Zeiten über uns, daß ich, wenn ich nicht an die großherzigen Garantien der Imperatorin glauben würde ...«

Zaremba suchte sein Gesicht mit den Blicken zu durchforschen und sagte ganz leise:

»Und wenn sie uns verraten?«

Der Kastellan nahm eine Prise, um seine plötzliche Beunruhigung zu verbergen.

»Dieser Glaube ist unsere Rettung. Es gibt keinen anderen Ausweg aus diesen Wirrsalen, keine andere Hoffnung. Es müßten sich schon die Konjunkturen so glücklich gestalten ...«

»Ehe die Sonne aufgeht, frißt der Tau die Augen aus.«

»Dann gib einen besseren Rat, mein kluger Herr Staatsmann,« er machte eine ungeduldig abweisende Bewegung, durch seinen Einwand unangenehm berührt.

»Meine Sache ist, sich zu schlagen und wenn es Not tut, meinen Kopf fürs Vaterland einzusetzen!«

»Du hast dir den leichtesten Teil gewählt,« knurrte der Kastellan zurück, indem er durchs Fenster auf den Kammerherrn hinabsah, der in Tücher gewickelt, sich unter den Bäumen in der Sonne wärmte.

Er seufzte sorgenvoll auf, und indem er immer wieder nach einer Prise langte, fing er an im Zimmer auf und ab zu wandeln. Er war ein Mann reifen Alters, noch rüstig und von imposanter Gestalt; sein Gesicht war schön und gänzlich ausrasiert, er hatte eine römische Nase, große, braune Augen, ein gewinnendes Lächeln, eine befehlende Stimme und eine gewisse Senatorenwürde in seinen Bewegungen; er trug französische Kleidung und kämmte die weißen, gekräuselten Haare auf den Hinterkopf zu, wie Graf Ignatz Potocki, dem er auffällig glich. Er war ein schlauer, kalt berechnender, zäher und vorsichtiger Mensch, der immer seinen Willen zu erreichen wußte. Gegenwärtig war er des Königs wütendster Widersacher, obgleich er einst sein nächster Vertrauter gewesen, denn in ihren jungen Jahren hatten sie gemeinsame Reisen unternommen und zusammen in Petersburg Einfluß und Reichtümer erworben.

Er war zum zweitenmal mit einer Dame aus einem bedeutenden Geschlecht vermählt, von der jedoch gemunkelt wurde, daß sie eine ehemalige Geliebte des Königs wäre; durch sie bekam er außer einflußreichen Beziehungen und großen Besitzungen auch die Kastellanwürde als Titularius, wie man sagte, zur Abfindung. Mit besonderer Vorliebe gab er sich für einen Voltairianer und einen Mann ohne Vorurteile aus, erklärte sich jedoch aus ganz niedrigen Gründen als Feind der Konstitution vom 3. Mai und wurde zu einer der Stützen der Targowicaer Konföderation; er war demgemäß ein leidenschaftlicher Verteidiger der Schlachtaprivilegien und ein grausamer Unterdrücker seiner Leibeigenen. Dabei vernachlässigte er nicht, sein Vermögen zu vermehren und die Stufenleiter der Macht immer höher zu klimmen.

»Wie gefällt dir denn der Kammerherr?« fragte er plötzlich und ließ sich auf seinen Sitz nieder.

»Ich habe ihn noch kaum gesehen; er scheint mir aber schon etwas stark mitgenommen zu sein.«

»Ein ganz schlapper Tölpel,« brauste der Kastellan auf: »der kann doch seine Beine kaum mehr schleppen. Gott hat mich mit diesem Schwiegersohn gestraft.«

»Er soll weit in der Welt herumgekommen sein,« lächelte Zaremba bissig.

»Und von all diesen Reisen hat er in den Knochen solche Erinnerungen heimgebracht, daß ihn schon kein Arzt mehr davon befreien kann. Ein ekelhafter Greis.«

»Man sagt, daß er von der Imperatorin einen Grafentitel erhalten soll?«

»Ich selber bin es gewesen, der sich darum bemüht hat, und bereue es jetzt bitter. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was das für ein Geizhals, Topfgucker und Haustyrann ist. Er quält die Isa mit Eifersuchtsszenen zu Tode und hat ihr selbst mit einem Skandal gedroht, natürlich ohne den geringsten Grund von ihrer Seite, nur aus reiner Bosheit. Isa fordert entschieden Scheidung von ihm.«

»Der Wechsel der Weiden freut das Herz der Rinder,« murmelte Zaremba, kaum fähig, seine große Freude zu verbergen.

»Du könntest wahrlich mit deinen Spöttereien aufhören. Das ist ein wahres Drama für Isa geworden.«

»Niemand hat sie doch dazu gezwungen, ihn zu heiraten ...« er sah dem Kastellan in die Augen.

»Selbstverständlich,« versuchte dieser sich ihm zu entwinden: »die Aussichten schienen die allergünstigsten zu sein, er hat eine Testamentsverschreibung bei dem Ehekontrakt gemacht, versprach goldene Berge und jetzt schlägt er ihr selbst Zuschüsse für die wichtigsten Bedürfnisse ab. Und dazu dann noch diese Eifersüchteleien, die einfach unbegreiflich ... lächerlich ... sind.«

»Und der Isa lächelt dann die Freiheit. Und sie ist jung und schön!«

»Hast du denn ein Frauenzimmer gesehen, das sich scheiden läßt um eines neuen Geliebten willen? Sie halten so viel von der Freiheit wie der Hund von der Grammatik. Es winkt ihr eine glänzende Partie in des Wortes vollster Bedeutung.«

Zaremba erblaßte, doch seine Erregung verbergend, warf er aufs Geratewohl hin:

»Sollte sich der Fürst schon erklärt haben?«

»Das ist noch ein großes Geheimnis, behalte es ganz für dich,« er lächelte ihm verständnisvoll zu: »ich erwarte gerade die Juristen des Konsistoriums. Die Sache wird schwierig sein und kommt mir sehr ungelegen. Außerdem bin ich ein Feind von Prozessen – der Kammerherr wird sich zu einem Kompromiß nicht verstehen wollen, er wird die Umstände ausnützen.«

»Haben der Oheim schon einen Plan formiert? Und kennt Er denn den Prinzen so gut?«

»Nur aus dem Zeugnis von Sievers und aus Isas Briefen; ich weiß natürlich, daß er Oberst im Grenadierregiment, ein Freund des Grafen Zubow und ein Günstling der Petersburger Gesellschaft ist. Er soll einen großen Besitz haben, einige hunderttausend Seelen und dann noch den Titel.«

»Diese Krimer Durchlaucht riecht mir stark nach Schafpelzen und nach podolischen Mastochsen.«

»So ist nun einmal die Welt, daß sie sich an dem Schein genügen läßt, wenn sie einen schätzen will. Ich habe mich über ihn hier und da unter der Hand erkundigt: er gilt als ein renommierter Kavalier und erfreut sich der allgemeinen Verehrung.«

»Weil er mit Komplimenten nicht geizt und das Gold mit vollen Händen um sich wirft.«

»Du scheinst eine Aversion gegen ihn zu haben?«

Ich rede sine titulo, denn ich stehe mit ihm selbst in freundschaftlichem Verhältnis sozusagen, aber es ist doch ein Fremder, und wenn er selbst der Würdigste wäre, ist er uns fremd in seinem Glauben und in seinen Sitten.«

»Die aufgeklärten Menschen sind überall desselben Glaubens an die Natur und den Verstand. Lassen wir die Vorurteile dem gemeinen Volk,« er begann schon ungeduldig zu werden.

»Er dient aber doch gegen uns!«

Der Kastellan konnte sich schon kaum beherrschen.

»Da bist du also. Daß ist eben einer der besten Gründe, um Isa mit ihm zu verheiraten. Sievers hat mir angedeutet, daß er Gouverneur aller losgetrennter Wojewodschaften werden soll. Überlege dir nur in Ruhe und bei Vernunft, welche Folgen, welcher Glanz und welcher Nutzen für uns daraus kommen dürften. Ich will dir auch ganz im Vertrauen sagen, daß die Partei des russischen Thronfolgers, mit welchem Cycyanow in heimlicher und enger Freundschaft steht, von Tag zu Tag größer wird. Die Imperatorin ist schon in Jahren, und man muß bei ihren stürmischen Passionen auf jedwede Möglichkeit vorbereitet sein. Das haben die anderen auch schon herausgefunden. Seine Durchlaucht, Fürst Czetwertynski, der nach Petersburg an der Spitze der huldigenden Deputation der losgetrennten Wojewodschaften gereist ist, bemüht sich bereits um die Gunst des Kronprinzen Paul und unterhandelt mit der am Hof allmächtigen Familie der Narischkin wegen seiner reizenden Tochter. Wie viele von unseren Familien haben gleiche Pläne. Und warum hat sich denn der Fürst Sanguszko in dieselbe Delegation wählen lassen? und der Fürst Lubomirski und M. Sobanski und Rzewuski, der Kastellan von Witebsk, oder Grocholski und Wylezynski? Um der Imperatorin die gebührende Huldigung darzubringen, aber auch zugleich, um die eigenen Angelegenheiten zu fördern.«

»Sie sind hingefahren, das panem bene merentium zu angeln.«

»Und ich sehe meinen Kopf dafür ein, daß sie nicht mit leeren Händen heimkehren werden. Und das ist eine durchaus gerechte Sache, wenn das, was man der Republik abgenommen hat, mindestens zum Teil in die Hände der Bürger der Republik wiedergegeben wird.«

»Das ist die Art von Schakalen, sich von Leichnamen zu nähren,« murmelte Zaremba heißer.

»Und wenn mir die Sache mit Isa nicht gelingt,« fuhr der andere fort, ohne auf seine Worte zu achten, »dann werde ich meinen Stanislaw im Regiment des Thronfolgers in Petersburg plazieren: mag sich der Junge etwas abschleifen und Glück und Einfluß zu gewinnen trachten.«

»Wo ist er denn jetzt?«

»In Sieniawa bei dem Fürsten-General des Landes Podolien.«

Zaremba machte ein erstauntes Gesicht, denn der Kastellan war seines Wissens ein Gegner der Familie. Die eine Zeit lang allmächtige Familie der Fürsten Czartoryski, eins der mächtigsten polnischen Magnatengeschlechter; durch die Verwandtschaft mit den Czartoryski sind auch die Poniatowski hochgekommen. Stanislaus Poniatowski, der König von Polen war ein Vetter des Fürsten Adam Czartoryski.

»Ich habe mich unter dem Zwang der Verhältnisse mit ihnen vertragen,« er blinzelte ihm durchtrieben zu. »Der Fürst-General ist der einzige große Herr in Polen und obgleich er vor Hoffart fast zu platzen droht und selbst in bezug auf den preußischen König gesagt haben soll, es ständen ihm, dem General, noch zum Reichen seiner Pfeife Männer besseren Adels zur Verfügung, als die gesamte preußische Majestät, – so ist er doch ein sehr aufgeklärter, hochherziger und freigebiger Mann. Er hat meinen Stanislaw an seinen Hof genommen; der Junge wird bei ihm Weltgewandtheit und höhere Manieren lernen und sich in Landesangelegenheiten unterrichten können. Seine Durchlaucht hat bei allen Nachbarpuissaneen Einfluß, da wird auch Dero Protektion jeden zu hohen Würden fördern können. Die Fürstin dagegen führt ihre eigene Politik, sie unterstützt sehr heiß die Zelanten und hat Fühlung mit den Emigranten in Dresden und Leipzig. Solche Beziehungen können sich Stanislaw unter Umständen auch nützlich erweisen. Wer sich eine Stellung erringen muß, darf sich nicht auf die stürmischen Wogen der Sentimente hazardieren, er muß schon den Verstand zum Führer wählen.«

»Das sind Grundsätze – wert, bewundert zu werden,« sagte Zaremba, ohne ihm in die Augen zu sehen, aber es mußte dennoch etwas in seiner Stimme den Kastellan beunruhigt haben, denn er fügte noch hinzu:

»Gott soll mein Zeuge sein und die ehrlichen Menschen ebenfalls, daß ich dem Vaterlande diene wie ich kann und verstehe, aber ich halte es keineswegs für eine Sünde, daß ich um die Zukunft meines einzigen Sohnes bemüht bin.«

Er machte ihm immer vertraulichere Geständnisse, bis Zaremba, der nicht mehr imstande war, diese Flut von Niederträchtigkeit zu ertragen, ihn zuletzt sehr demütig unterbrach:

»Sind der Oheim auf längere Zeit nach Grodno gekommen?«

»Der Bischof sandte mir Stafette auf Stafette, daß ich mich beeilen müßte, um zur Abschließung des Traktats mit Rußland hier rechtzeitig einzutreffen, dann kommen die preußischen Materien und noch so viele andere nicht minder wichtige Dinge, daß ich wohl bis zu Ende des Reichstags hier werde bleiben müssen.«

»Bis zu dem feierlichen Leichenamt zu Ehren Ihrer Majestät, der Republik.«

»Unsinn,« empörte er sich, »zu spotten und zu kritisieren ist leicht.« Er zog seine goldene, mit winzigen Brillanten dicht besäte Uhr auf und ließ sich gnädig vernehmen: »Setze dich, ich will indessen noch etwas hin und her gehen zur Konkoktion des Magens. Ich muß dir ganz offen sagen, mein Junge, daß du sehr klug und ehrlich gehandelt hast, indem du deine jakobinischen Socii verließest. Ich habe das deinem Vater vorausgesagt: laß ihn sich auskämpfen und mit eigenen Augen die Dinge sehen, dann kommt er schon zur Besinnung.«

»Ich habe sodann auch die Experienz der richtigen Weltverständnis erworben.«

»Wie lange bist du in Paris gewesen?«

»Ein gutes halbes Jahr.«

»Wie hat dir denn diese hochgepriesene Gleichheit, Freiheit und Brüderlichkeit geschmeckt? Und wie ist dir jenes Paradies des wütenden Pöbels erschienen? Du schweigst! Du schämst dich, den Irrtum einzugestehen? So habe ich es mir auch gedacht, daß du dich bald ernüchtern würdest. Die französischen Medikamente heilen besser die Lebendigen als die Kranken. Sie haben aus dieser ihrer Republik das reine Schlachthaus gemacht und ein allgemeines Morden. Ich kenne diese ihre Grundsätze wohl. Ich habe während des vergangenen Reichstags, als mir diese ›schwarze Prozession‹ mit dem Warschauer Bürgermeister Dekert an der Spitze zu Gesicht kam, sofort begriffen, daß sie nicht gekommen waren, ihre Rechte zu fordern, sondern die Gewalt über uns an sich zu reißen. Ich habe es wohl gehört, wie sie schrien: hoch der König, hoch alle Stände! Ich habe mich aber nicht durch Sentimente und durch den Schein betrügen lassen. Der Fürst Vizekanzler und Malachowski sowie Weyßenhoff und ihre übrigen Beschützer und Protektoren hätten wie die da in Paris ihre Köpfe als erste hergeben müssen und nach ihnen die anderen, es hätte sich nur noch die Bauernschaft in Bewegung setzen brauchen, und wir wären verloren gewesen ...«

»Aber vielleicht wäre dadurch die Republik gerettet worden,« sagte Zaremba leise.

»Die Republik, das sind wir!« rief der Kastellan mit Heftigkeit, nehme den Eckstein weg, und das ganze Gebäude stürzt ein, es bleibt nur ein Trümmerhaufen übrig. Du hast doch mit eigenen Augen gesehen, was in Frankreich vorgeht? Die Jakobiner haben den König enthauptet, den Adel ausgemordet, die Kirchen geschlossen, die Stände gleichgemacht und den lieben Gott vertrieben! Und was für ein Glück für die Allgemeinheit ist daraus gekommen? Wohl das einzige, daß sie sich jetzt untereinander um die Herrschaft zanken und beißen, wie tollgewordene Wölfe! Ist das vielleicht nicht so? Willst du es leugnen?«

»Ich leugne nichts, gar nichts,« entgegnete er mit dumpfer Stimme.

»Du wirst es auch noch sehen, wie diese sanskulottische Hundehochzeit enden wird! Der preußische König hat in Mainz seine Jakobiner schon zur Raison gebracht.«

»Ich weiß, ich weiß,« bestätigte er, innerlich bebend vor kaum gezügelter Empörung.

»Wir wollen nicht mehr davon reden,« schloß der Kastellan plötzlich,« diese Materie erregt meine Galle. Es konveniert mir besser von deiner Zukunft zu sprechen. Ich könnte meinen Kopf dafür einsetzen, daß deine Bittschrift an den König keinen Erfolg haben wird, ich werde aber für dich schon eine einträgliche Tätigkeit ausfindig machen. Verlasse dich nur ruhig auf mich. Ich habe bereits über dich mit dem Bischof Kossakowski gesprochen, er sieht sich jetzt gerade nach einem um, der vertrauenswürdig und federgewandt sein soll. Du hast einen hellen Kopf, durch Studium gestützte Talente und könntest unter seiner Protektion leicht vorwärts kommen. Ich nehme dich heute mit zu seinem Empfang. Solltest du ihm gefallen, dann wäre die Sache auch für mich recht dienlich. Denn, siehst du, wenn ich auch mit ihm im herzlichsten Einvernehmen bin, so würde ich doch gern von der Seite erfahren, was da bei ihm sub secreto passiert. Der Bischof das ist eine wirklich staatsmännische Begabung, nur etwas hitzig, ganz unnötigerweise zankt er sich mit Sievers herum und baut allzusehr auf die Macht des Grafen Zubow. Man weiß aber, daß selbst die mächtigsten Günstlinge in Ungnade kommen. Ich will dir ganz im Vertrauen sagen, daß sein eigener Bruder, der jetzt in Grodno weilt, sich schon von ihm loszusagen beginnt. Die Kunst liegt darin, daß man sich nicht durch unvorhergesehene Umstände zu Fall bringen läßt und im voraus weiß, was es für ein Wetter gibt. Du brauchst bloß zu wollen, und dein Glück würde zusammen mit dem meinen wachsen. Die Zeiten sind jetzt für kluge und voraussehende Menschen günstig. Nach der Schließung des Reichstags wird es mir vielleicht gelingen, einen Sitz im dauernden Rat einzunehmen. Komme ich da aber hinein, dann wird sich auch für dich dort eine Tätigkeit finden müssen. Junctis viribus, mein Junge, merke dir dieses gut, und du gelangst bald zu Ansehen und Geld. Sieh dir bloß einmal an, wie rasch das Geschlecht der Kossakowski emporgestiegen ist! Und die Ozarowski! Wozu der Graf Ankwicz zum Beispiel gelangt ist! Welche ansehnliche Stellung so ein Mionezynski heute einnimmt! Oder Zaluski? Man hat doch selbst über den uns gnädigst Regierenden das bekannte Verslein gemacht:

Ein seltsam Werk der Fügung Gottes; frag' nicht was es koste:
Der Sohn ist König, der Vater Senator, der Ahn nicht 'mal Staroste!

Warum sollten also die Gorski und die Zaremba nicht nach den höchsten Ehren greifen? Hast du dagegen etwas einzuwenden? Man soll nur nicht faul sein und die guten Gelegenheiten nicht verpassen, denn jeder Weg kann nach Rom führen. Ich will nur noch hinzufügen, daß man ohne Vermögen nichts von Bedeutung erreichen kann. Ist denn ein Herr von fünf Bauernseelen in der Lage, über die Schicksale der Allgemeinheit zu entscheiden? Ich weiß darüber mancherlei. Ich habe unter dem Pan Krakowski Im alten Polen wurden Gesprächsweise die Reichswürden nicht erwähnt, die entsprechenden Würdenträger wurden nach ihren Ländern und Gütern benannt so z. B. der Wojewode von Lublin, Pan Lubelski. In diesem Sinne wird hier des Großhetmans von Kronpolen Branicki, als »Pan Krakowski« Erwähnung getan. als Page begonnen. Das ist keine Kunst, mit einer Kastellanschaft in der Wiege zur Welt zu kommen, aber man muß einen tüchtigen Kopf haben, um von einem Armenschluckerdasein zur Senatorenwürde und zu Reichtümern zu gelangen.«

Er breitete sich wohlgefällig und weitschweifig über sich selbst aus. Zaremba aber hörte diesen offenen Geständnissen mit einem Lächeln zu, daß durch tiefen Abscheu und Widerwillen wie verängstigt aussah. Er pflichtete ihm dennoch bei und widersprach mit keinem Wort, immer von neuem sich zu dem Entschluß aufraffend, blind seinen Ratschlägen zu folgen, um sich um jeden Preis mitten in das Lager der Feinde einzuschleichen. Er stellte sich schon jenen großen Nutzen vor, den er aus einem solchen Verhältnis für die gute Sache ziehen könnte, als der Kastellan, der jetzt zu brennenden politischen Fragen übergegangen war, plötzlich mit besonderer Betonung sagte:

»Es sieht zur Zeit recht wetterwendisch aus, es könnte stürmisch werden; man muß vielleicht selbst noch auf Schlimmeres gefaßt sein.«

»Wie denn, wie verstehen der Oheim dieses?« fragte Zaremba lebhaft.

»Ich meine, daß in Leipzig und Dresden irgend etwas vorbereitet wird; umsonst sitzen da nicht Seine Hochwürden, der Herr Vizekanzler und seine Freunde, sie müßten schon eine Kabale im Schilde führen. Die Zelanten würden zum Beispiel im Reichstag sich nicht allen vernünftigen Bestrebungen zuwider derartig in Harnisch setzen, wenn man sie nicht von dort aus ermutigte. Es werden da irgendwelche Verschwörungen gesponnen, dafür würde ich meinen Kopf wetten. Und was mich noch besonders in meinen Vermutungen bestärkt, das ist ein ganz eigener Umstand: auf dem Onuphriusjahrmarkt in Berditschow habe ich den Wojewodensohn Dzialynsk getroffen; er trank, praßte, gab jeden Tag Trinkgelage und Gesellschaften und war selbst mit russischen Offizieren gut Freund. Man kennt ihn doch und weiß, daß er sehr enthaltsam ist und unnütze Ausgaben vermeidet, ein solches Gepränge ist also nicht ohne Grund gewesen. Mein Klotze, der das Gras wachsen hören kann, hat mir zugetragen, daß der Dzialynski am liebsten die Gesellschaft der verabschiedeten Offiziere sucht, durchs Land heimliche Stafetten herumschickt und Pferde, desgleichen auch Ochsen herdenweise aufkauft, um sie nach Warschau zu schicken.«

»Das weiß man doch, daß er sehr eifrig für sein Regiment sorgt, er könnte vielleicht die Einkäufe für sich gemacht haben.«

»Mir gibt das aber zu denken. Klotze sagt, daß er selbst Gemeine rekrutiert und die Bestände seiner Truppe ergänzt, und das gerade jetzt, wo die allgemeine Reduktion der Armee so gut wie eine beschlossene Sache ist.«

»Was für Gedanken machen sich also der Oheim diesbezüglich?« fragte er mit klopfendem Herzen.

»Den Hauman hat er sich zum Obersten gewonnen.« »Weil er sich auf das Soldatenhandwerk gut versteht und kriegstüchtige Menschen liebt, der Lauman hat sich doch im letzten Krieg durch seine Tapferkeit ganz erstaunlich ausgezeichnet.«

»Und ich möchte doch schwören, daß da etwas im Gange ist; in den Wojewodschaften jenseits des Kordons sind aufreizende Schriften im Umlauf, desgleichen bissige Verslein über die Generalität, und besonders der Kleinadel ist es, der sich zu empören beginnt und eine drohende Haltung einnimmt. Irgend einer muß diese unglückseligen Gefühle anstacheln, aber wer bloß?«

»Zweifellos nur die ehrliche Sorge um die Zukunft des Vaterlandes.«

»Es wird darüber geredet, daß die verabschiedeten Offiziere eine Konföderation beabsichtigen, aber du würdest es dann wohl wissen?« er warf ihm einen schnellen Blick zu.

»Ich weiß nicht das Geringste. Durch mein Bittgesuch um die Wiedererlangung meiner Charge habe ich jetzt alle meine ehemaligen Kameraden gegen mich, sie kennen mich nicht mehr auf der Straße und halten mich für einen Verräter,« versicherte er mit Eifer.

»Jeder wird hintangesetzt, wenn er seine eigene Meinung hat. Auch mich erklärten sie für einen Verräter und einen Gekauften, weil ich nach meinem besten Dafürhalten für das Vaterland arbeite.«

Er hätte noch länger über die menschliche Undankbarkeit geklagt, wenn nicht der in seinen Diensten stehende Klotze, sein Vertrauensmann, eingetreten wäre; hinter ihm schlichen geräuschlos zwei Juristen mit Gesichtern hungriger Hunde ins Zimmer. Sie hatten ein fuchsschlaues Lächeln um die Lippen, krumme Rücken unter den schwarzen Kontuschen, ringsum ausrasiertes Kopfhaar, lange habsüchtige Hände und Bündel Papiere unter den Armen. Der Kastellan begrüßte sie freundschaftlich und begann, nachdem er sie an dem langen Tisch Platz nehmen ließ, mit Klotze abseits zu flüstern, welcher jeden Augenblick in ein derbes, zustimmendes Lachen ausbrach und sich über sein schwitzendes Gesicht und seine dicken wie angeschwollenen Hände wischte. Das Männlein war von ansehnlichem Umfang, rotwangig und prall wie eine frischgebackene Semmel, es hatte weiße Haare und bewegte sich eilfertig unter fortwährenden Verbeugungen und gefälligen Hüpfern um seinen Herrn herum. Der Kastellan ließ ihm ersichtlich eine ungewöhnliche Gunst zuteil werden, da er sehr tätig und lustig war, mit Anekdoten um sich warf, stets voll Neuigkeiten steckte, alles kannte, alles wußte und sich zu jeder Sache eignete, dabei war er einzig darin, wenn es galt, ein Geheimnis zu bewahren. Er stammte aus einem alten deutschen Geschlecht, hielt sich aber für einen Polen und war stolz auf sein Bürgerrecht, das er mit Hilfe der Dukaten und des Kastellans erworben hatte, dessen rechte Hand und Vertrauter er sich nennen durfte.

Zaremba verließ unbemerkt das Zimmer; ein solcher Mißmut hatte sich seiner bemächtigt, daß er nicht wußte, wo er mit seinem Groll bleiben sollte. Zum Glück war das Empfangszimmer leer, und er konnte seiner Erregung, die er nur mit außergewöhnlicher Anstrengung zurückgehalten hatte, freien Lauf lassen. War es wirklich möglich, daß dieser Oheim, den die ganze Familie verehrte, ihr Glanz und Stolz, dieser unbeugsame Senator mit den vorbildlichen Tugenden und der großen Vaterlandsliebe, sich ihm auf eine solche Weise offenbart hatte! Mein Gott, welch ein bitterer Geschmack der Schande und welche Enttäuschung! Sein Vater hatte ihm von Jugend an eingeflößt, diesen Mann als einen Menschen höheren Sinns und höherer Bildung zu verehren, als einen wahren Bürger des Vaterlandes ohne Furcht und Tadel. Und er fand einen niedrigdenkenden Egoisten, dessen einziges Ziel die eigene Erhöhung und Reichtümer waren. Er ist nicht einmal besser als jene, denen er, Zaremba, den Galgen zugeschworen hatte, nicht um ein kleines besser! Er wiederholte sich die soeben gehörten Grundsätze in Gedanken und wie ein Schlangenknäuel wälzten sie sich durch sein Gehirn. Was sollte er jetzt anfangen? Soll er den Rat seines Oheims befolgen und sich an die Rockschöße des Bischofs Kossakowski hängen, ein Zuträger und Spion werden? – Zeder Weg führt nach Rom – hatte der Kastellan gesagt. Kann man aber jeden gehen, wenn man einem heiligen Ziel entgegenstrebt? – Sein Gewissen krampfte sich zusammen. Ich wäre an der Quelle aller Machenschaften gegen das Vaterland – ließ sich die Stimme der Vernunft vernehmen. – Dort würde ich seine tückisch lauernden Feinde kennen lernen, dort würde ich seine tückisch lauernden Feinde kennen lernen, dort würde ich Auge und Ohr in den Dienst der guten Sache stellen können! Er kämpfte mit sich und sann und schwankte, von den widersprechendsten Gefühlen hin und her gerissen. Aber in einem Augenblick besonderen Entschlusses gab er sich den strengen Befehl: Ich werde tun, was ich dem Vaterland schuldig bin! – Dieser unabänderliche Entschluß hatte ihm eine große Erleichterung gebracht, und er wandte sich nach den von der Kastellanin bewohnten Räumen.

Ein Lakai in weißer Perücke führte ihn in ein großes, verdunkeltes Gemach; schwelende Räucherpfannen ließen liebliche Düfte aufsteigen, die mit rostig-rötlichem Dunst die Umrisse des prächtigen Mobilars umflorten, so daß selbst die Spiegel an den Wänden wie verschleierte Augen herabschauten; es roch nach Wachs und welken Kräutern, wie in der Kirche nach der Messe. Die violettfarbenen, mit goldenen Ornamenten verzierten Tapeten an den Wänden und die von dem Blütenfall der Seufzer und einer kaum verklungenen Musik noch erbebende Luft gaben dem Raum noch mehr den Anschein einer Kapelle.

Die Kastellanin, die sich von einer mit Kissen dichtbelegten Markise erhoben hatte, begrüßte ihn sehr freundlich, indem sie ihm ihre wunderschöne Hand zum Kuß reichte. Der neben ihr sitzende Dominikanermönch mit einen: strengen Asketengesicht stellte die Kniegeige beiseite und trat in die Fensternische zurück, wo er mit einem Papagei, der auf einem goldenen Reif schaukelte, zu spielen begann.

Zaremba nahm den leer gewordenen Platz ein und, indem er der Kastellanin zuhörte, ließ er seine zerstreuten Blicke durch das Gemach schweifen, um sie ab und zu heimlich auf ihrem trotz der Jahre noch schönen und wie zu Marmor erstarrten Gesicht ruhen zu lassen; nur der rote Mund zeichnete sich scharf in diesem Gesicht ab wie eine lebendige blutige Wunde; die schwarzen Augen mit den schweren Lidern und den Wimpern, die wie Schwalbenflügel waren, hatten ein strahlendes Leuchten. Sie war in ein schwarzes, bis hoch an den Hals hinauf schließendes Hausgewand gekleidet, welches ihre schlanke, sehr ebenmäßige Gestalt vortrefflich hervortreten ließ. Das weiße, schlichte Haar bildete über der Stirn eine majestätische Krone. Kein Geschmeide war an ihr zu entdecken.

Sie flüsterte mit einer müden Anmut und ihre seltsam modulierende Stimme voll unerwarteter Tiefen ließ hin und wieder eigentümliche polnisch-französische Redewendungen einfließen. Eine schwermütige Trauer sickerte aus ihren Worten, ähnlich dem süßen Gedüft welkender Blüten, doch jeder ihrer Sätze verriet einen lebhaften Geist und eine große Kenntnis der Menschen und Dinge. Er staunte darüber, denn sie entsprach gar nicht dem Eindruck, den er von ihr in den Kindheitstagen empfangen hatte, er hörte ihr denn auch mit wachsender Aufmerksamkeit und einer unverhohlenen Bewunderung zu. Zufällig fiel sein Blick auf die Miniatüre des Königs, die nebenan auf einer bauchigen Chifonniere stand, und seine forschenden Augen wandten sich abermals ihrem Antlitz zu.

Sie schien die Bedeutung seines Blickes zu ahnen, denn ein Schatten huschte über ihre Blässe, die Schwalbenwimpern begannen zu beben, eine Wolke legte sich auf ihre Stirn und auf ihren Lippen erblühte ein Lächeln, das plötzlich erwachte Sehnsüchte, Trauer und bitteres Mitleid zu umfassen schien.

»Ein unglückseliger Mensch!« seufzte sie, auf das Bildnis deutend.

Er antwortete nicht, denn er fürchtete sie zu verletzen, sie aber, als wäre das gesagte Wort ihrer Erinnerung sofort wieder entschwunden, begann über die polnische Barbarei, den Verfall des Geistes, die Anarchie und das Aussterben der Tugend zu klagen und betonte dabei ganz besonders die Zuchtlosigkeit der Frauen und die Verkäuflichkeit der Männer. Sie sprach klug und maßvoll wie ein Staatsmann und mit einem Gefühl, das ein tiefempfindendes Herz verriet, dem die Zukunft des Vaterlandes und der Allgemeinheit teuer ist. Damit hatte sie seine Zuneigung gewonnen, so daß er voll Verehrung ihre entzückenden, fast durchsichtigen Hände küßte. Nachdem sie sich aus einer goldenen Balsambüchse mit irgendwelchem Duft erfrischt hatte, sagte sie leise:

»Ich weiß, was ihr vorhabt, und Gott segne euch. Rettet das Vaterland und diesen unglückseligen König, solange es noch Zeit ist, tut das!« Ihre Stimme sank und brach unter der Gewalt der Tränen, die in einem feinen Perlenfall ihren Augen entquollen.

Zaremba traute seinen Ohren nicht, er saß in einer stummen Bestürzung.

»Gott über alles!« schrie mit einemmal der Papagei. Zaremba sah sich um, und als er den funkelnden Blicken des Mönches begegnete, zuckte er unruhig zusammen.

»Er ist Spanier, versteht kein einziges polnisches Wort, vertraue nur dem Kastellan oder der Isa nichts an,« warnte sie mit Nachdruck. »Ich weiß, daß du dich mit ganzer Seele der Aufgabe der Rettung des Vaterlandes ergeben hast, und wenn mein Sohn Stach das geeignete Alter hätte, würde ich ihn dir ohne einen Seufzer anvertrauen: er sollte dann hingehen, wohin die Pflicht und Ehre alle Ehrlichen rufen ... Gestern abend waren der Vater, der Fürst Karl und Hetman Branicki bei mir.«

»Der Wojewode! Der Fürst Radziwill, ›Panie Kochanku‹ Fürst Karl Radziwill der mächtigste und reichste unter den polnischen Magnaten, der letzte Vertreter des altpolnischen Magnatentums aus der sächsischen Zeit. Nach seiner gewohnten Anrede »Panie Kochanku« (»geliebter Herr«) erhielt er diesen Beinamen. und der Hetman Branicki?« wiederholte er, voll Staunen die Namen der lange Verstorbenen nennend.

»Das ist so,« bestätigte sie mit einer ruhigen, offenherzigen Stimme. »Sie besuchen mich hin und wieder. Gestern hat mir der Vater befohlen, zum guten Ausgang eures Vorhabens meinen Teil beizutragen. Flüssiges Geld habe ich nicht, denn viel ist in dem Bankhaus von Prot Porocki stecken geblieben und über den Rest hat der Kastellan seine Kuratell ausgebreitet, aber ich habe noch mein Geschmeide, es möge also gegen die Feinde dienen. Sie entnahm der Chiffonniere ein reichgefülltes Beutelchen aus grünem Sämischleder, welches sorgfältig verschnürt und versiegelt war. »Ich wollte dieses alles nach Tschenstochau schicken,« lächelte sie und ließ Juwelen auf Juwelen wie einen Wasserfall aus erstarrten Regenbogenstrahlen auf ihre Knie niederrieseln ... »Kapostas wird sie gut verkaufen können,« mit den Fingerspitzen wühlte sie voll eines schlecht verborgenen Wohlgefallens in den Reichtümern. Es gab dort in diesem vielfarbenen Tau Ringe in altertümlicher Fassung, Perlenschnüre, Gehänge, mit Edelsteinen übersäeter Armschmuck, Spangen, wertvolle Kontuschenknöpfe, Schnallen, in Rubinstein geschnittene Petschafte, hohe goldene Haarkämme mit Perleneinlagen, Ketten, Balsambüchsen aus gedrechselten Korallen und ausgehöhlten Amethysten; auch viele ungefaßte Edelsteine befanden sich unter den Herrlichkeiten. Kein kleines Vermögen war es, das da vor ihnen in diesem Haufen Gold und Steine lag, die in den wundersamsten Farben spielten.

»Vielleicht könnte sie der Graf Moszynski kaufen? Er ist ja so vernarrt in Edelsteine,« murmelte sie und schüttete alles wieder in das Beutelchen zurück. »Das ist alles leeres und kindisches Blendwerk. Wie werden sich der Vater freuen, wenn ich ihm darüber Bericht erstatte,« fügte sie hinzu und reichte ihm das Säcklein.

Sewers Staunen war schon an die Grenze des Grauens gelangt; er blickte sie angstvoll an, aber sie saß wie vordem ruhig, schön, ihrer Sinne mächtig und wie mit einem lauernden Schmerz in den Mundwinkeln da. War es ein Scherz, den sie mit ihm trieb, oder war sie krank?

»Was für den einen Wahrheit ist, hält der andere für Wahnsinn!« sagte sie als Antwort auf seine Ängste und seine forschenden Blicke. Er wurde so bestürzt und entschuldigte sich so umständlich, daß sie ihn mit einem nachsichtigen Lächeln unterbrach:

»Und sieh zu mir einmal ein, du bist mir immer willkommen. Nimm es doch dafür mit und versteck' es gut.«

Sie gestattete ihm gnädig, ihr die Hand zu küssen und verabschiedete ihn herzlich.

Eilig schob er die Kostbarkeiten in seine Taschen und war derartig benommen und gerührt durch all das Vorgefallene, daß er wie geistesabwesend in den Empfangssaal zurückkehrte.

Im nebenan gelegenen Boudoir hörte man die erhobenen Stimmen Isas und des Kammerherrn. Sie zankten sich heftig. Durch die angelehnte Tür drangen gewöhnliche und brutale Schimpfworte. Die bösen, grausamen und rachsüchtigen Entgegnungen Isas schnitten wie Peitschenhiebe durch die Luft, die einer erbarmungslos niedersausen läßt. Es ging um Geld und um die Liebhaber und es endigte mit den Weinkrämpfen Isas und dem heiseren Geschrei des Kammerherrn, sowie dem Lärm umgestoßener Gegenstände.

Zaremba wollte gerade den Saal verlassen, als aus den Frauengemächern der Kammerherr herausgestürzt kam, um nach seinem Kubusch zu rufen, der ihm die Medizin reichen sollte. Ehe jedoch der Diener erschien, bemächtigte er sich Zarembas und begann ihm mit krächzender Stimme darzulegen:

»Nehmen sich Euer Wohlgeboren in acht und heiraten Sie nicht ein Modefräulein; es ist besser sich gleich aufzuhängen, als sich später mit Ärger und Spott füttern zu lassen,« und ohne auf eine Antwort zu warten, begann er hinkend und auf seinen dicken Rohrstock gestützt, im Saal auf und ab zu gehen, wobei er immerzu auf die Frauen schimpfte.

Er war mit einem prächtigen, veilchenblauen und reich gestickten Frack angetan, hatte weiße Strümpfe an den krummen Beinen, trug eine Perücke mit einem Haarzopf im goldenen Netz und machte gebückt und kränklich wie er war, den Eindruck eines wahren Menschengerüpels; sein Gesicht war dabei sehr klug und seine Augen lebendig.

Zaremba empfand für ihn eine mit Mitleid gepaarte Zuneigung und hatte sich mit ihm gerade in ein Gespräch eingelassen, als Isa mit einem Buch in der Hand, geputzt und schön wie immer eintrat und in einem tiefen Voltairestuhl am Fenster Platz nahm. Sie schien den in ihr siedenden Zorn hinter einem gezwungenen Lächeln und einer geringschätzigen Mundverziehung zu verbergen, nickte Zaremba einen flüchtigen Gruß zu, während ihre haselnußbraunen Augen über ihn gleichgültig und fremd hinwegglitten. Er empfand ihre Nichtachtung schmerzlich und rächte sich mit verächtlichen Blicken und einem um so lauteren Gespräch mit dem Kammerherrn. Als wäre es der die Luft bedrängenden Zwietracht noch nicht genug, stürzte Terenja ganz rot vor Erregung und mit Tränen in den Augen ins Zimmer, eilte auf Isa zu und brach an ihrer Brust in ein krampfhaftes Schluchzen aus; hinter ihr drein kam stürmisch Martin Zakrzewski, begrüßte keinen der Anwesenden und wandte sich, indem er an seinem Schnurrbärtchen zupfte und drohend seine Augen durch den Saal wandern ließ, plötzlich Sewer zu.

»Komm mit mir, ich habe eine wichtige Angelegenheit mit dir zu besprechen,« flüsterte er mit finsterem Gesicht auf ihn ein.

»Ich kann jetzt nicht, ich muß auf den Kastellan warten. Abends in der Dämmerungszeit bin ich in der Weinstube von Dalkowski, dort kannst du auf mich warten.«

»Fährst du zum Ball, den man für Zubow veranstaltet?«

»Ist der denn heute schon? Wenn ich die dringenden Sachen erledigen kann, werde ich auf eine Weile hinkommen.«

»Alle wollen diese Fête besuchen, selbst Terenja.«

»Die hat da nichts zu suchen,« sagte Zaremba absichtlich sehr laut.

»Terenja fahrt mit mir,« parierte Isa und durchbohrte ihn mit ihren Blicken.

»Terenja bleibt zu Hause,« brauste Martin rot vor Erregung auf.

»Sie wollen sich das Recht ausnehmen, zu entscheiden, was Terenja tun und lassen soll?«

»Es ist doch meine Verlobte, da werde ich wohl einiges Recht dazu haben.«

»Und darum wollen Sie an ihr Versuche der häuslichen Tyrannei anstellen? Euer Wohlgeboren zeigen etwas früh die Hörner!« Sie lächelte mit einer vernichtenden Geringschätzung. »Terenja kommt unter meiner Obhut mit, genügt Ihnen das nicht?«

»Ich schätze die Ehre sehr hoch, muß aber auf meiner Ansicht bestehen.«

»Bleiben Sie also dabei, ich werde aber Terenja trotz diesen launenhaften Ansichten mitnehmen,« sie wandte sich an Zaremba. »Wir werden doch dort nicht allein hingehen, die ganze gute Gesellschaft fährt hin. Das Fest wird herrlich sein und voll von allerlei Sürprisen. Du fährst doch mit uns?«

»Ich bin trotzdem der Meinung, daß dieses Fest nichts für Fräulein Terenja ist,« entgegnete er kühl und warf ihr einen herausfordernden Blick zu.

»Für wen also hältst du dieses Fest geeignet?« Der Zorn ließ sie hochschnellen; durch seinen Ton gereizt stand sie vor ihm voll drohender Erwartung.

Er konnte den verächtlichen Klang ihrer Stimme nicht länger ertragen und versetzte, ohne sich zu besinnen:

»Lediglich für die sogenannte höhere Gesellschaft, jedoch nicht für tugendreine Mädchen.«

»Kato!« warf sie ihm höhnisch zu, indem sie sich zugleich für die bittere Enttäuschung des letzten Sonntags rächte.

»Nur Sewer Zaremba, der ehemalige Leutnant der Artillerie, mit Verlaub, allergnädigste Frau Kammerherrin,« entgegnete er spöttisch und voll kecker Impertinenz, verbeugte sich und trat beiseite.

»Grobian!« hörte er bloß noch hinter sich ein giftiges Zischen.

Einige Besucher traten gerade ein, denn als Sammelpunkt der ganzen Gesellschaft, die den Grafen Zubow feiern wollte, war das Haus der Kammerherrin ausersehen. Von hier aus sollten sie zu einer Nachmittagsbewirtung nach Stanislawow fahren und darauf nach dem Palais des Fürsten Sapieha, wo eine Theatervorstellung mit Ballvergnügen stattzufinden hatte.

Es war auch Fürst Cycyanow erschienen in der Umgebung seiner Offiziere, der Isa nicht auf einen Schritt verließ; er wurde von ihr dermaßen bevorzugt, daß der Kammerherr, vor hilfloser Wut schäumend, Zaremba zuflüsterte:

»Dieser Fürst hat die reinen Kosakenmanieren ... Er sucht hier scheinbar eine Ohrfeige ... Ich werde ihm noch einen Affront machen,« murmelte er drohend, ohne sich jedoch von der Stelle zu rühren.

» Vae victis, wenn die Frauen Siegerinnen sind! Es scheint, daß die Damen eine Vorliebe für seine Flegeleien und seine pockennarbige Fratze haben,« entgegnete Zaremba spöttisch und war froh, als ihm Klotze zu wissen gab, daß der Kastellan auf ihn warte.

Düster wie eine Herbstnacht vertrat ihm Martin Zakrzewski den Weg und fragte ihn leise:

»Die Damen bitten mich so wegen Terenja, daß ich gar nicht weiß, was ich anfangen soll!«

»Sei auf alle Bitten gefühllos und erlaube es nicht.«

Der Kastellan wartete schon auf ihn in seiner Kutsche und wandte sich an Klotze mit einer Frage:

»Hör' Er, hat Er schon die Ochsen gekauft?«

»In Zelwa habe ich dreihundert erstanden. Hundert haben gleich die Kosaken nach dem Lager von General Dunin getrieben, den Rest wird man nach Grodno bringen und dann nach Preußen verschiffen. Die Preise auf dem Jahrmarkt waren sehr hoch, denn eine Gesellschaft kaufte alles auf und ein Agent des Herrn Starzenski trieb die Preise auch noch hoch. Zum Glück hatte ich die zum Schutzgeleit ausersehenen Kosaken bei mir und habe etwas requirieren können. Nur an die Pferde konnte man nicht herankommen, das beste, das da war, haben irgendwelche Offiziere aufgekauft für die Brigade von Madalinski und die Artillerie von Jasinski, wie es hieß.«

Zaremba spitzte die Ohren, denn er erriet, daß von Kaczanowski und Hlasko die Rede war, aber er ließ sich erst vernehmen, als sie schon unterwegs waren.

»Ich wußte nicht, daß der Oheim auch Kaufmann spielen.«

»Wenn der Pater Kollontaj Leinen und Kattune verkaufen kann, warum sollte ich nicht mit Getreide und Ochsen handeln!« er lachte übers ganze Gesicht. »Der Klotze hat mich dazu beredet, und ich stehe mich ganz gut dabei. Ich habe jetzt selbst einen Speicher in Danzig gepachtet; Klotze kauft eine Flotille zusammen und im Herbst will ich zweihundert Kähne und Schuten mit Getreide nach Danzig expedieren. Der preußische König hat freilich unseren Handel mit scheußlichen Zöllen abgeschnürt und auf den Zollämtern werden einem die größten Schwierigkeiten bereitet, aber meine Schiffe haben sie versprochen milder zu behandeln. Die Frau Kastellanin ist gegen den Handel, denn sie verehrt Svedenborg, Martini und gelehrte Diskurse über die Unsterblichkeit, ich dagegen liebe die gesunden Grundsätze der Volkswirtschaft, die ganz artige Einkünfte gewähren können.«

»Werden der Oheim auf der Gesellschaft zu Ehren des Grafen Zubow zugegen sein?«

»Ich müßte eigentlich, aber ich habe so viele Geschäfte ...« er seufzte auf und versank in Nachdenken; erst als die Kutsche vor dem Palais stehen blieb, flüsterte er ihm zu:

»Ich werde dich dem Bischof empfehlen, aber du mußt dich etwas zieren und dir Bedenkzeit ausbitten, damit er die Verabredung nicht wittert.«

Das Palais Kossakowski war nicht sehr geräumig und von mittelmäßiger Architektur, aber mit Geschmack und nicht geringem Prunk eingerichtet. Im Vorzimmer des ersten Stockes standen ganze Reihen von Heiducken in Wappenlivree, und ein magerer Priester mit einer Hornbrille auf der Nase empfing die Gäste; in den Gemächern machten die Schwägerinnen des Bischofs die Honneurs, er selbst aber bewegte sich schleppenden Ganges und gnädig lächelnd zwischen den Gästen umher. Jeden Augenblick tauchte sein von weißen Locken umkränztes Haupt mit dem blassen, pockennarbigen Gesicht an einer anderen Stelle auf. Er schlängelte sich zwischen den Gruppen der Besucher hindurch, wobei er mit schmeichelnden Worten, freundlichem Zunicken, heimlichem Geflüster und auch mit priesterlich segnenden Blicken nicht kargte. Er schien die Güte und Würde selbst zu sein, und bedachte alle in gleicher Weise. Selbst mit dem ärmsten Schlucker ließ er sich bereitwillig in eine Unterredung ein und verstand ihm einzuflößen, wie er ihn weit mehr als die anderen schätzte, denn er wußte einen jeden gut für seine Ziele auszunützen. Er hatte eine hohe Meinung von seiner eigenen Person, versteckte jedoch seinen Hochmut unter einer bezwingenden Liebenswürdigkeit, einem scharfen Witz und einer ungewöhnlichen Gelehrsamkeit, seine Habgier unter einer ehrlich sein sollenden Sorge um das Glück der Allgemeinheit, seine Selbstsucht unter Gründen tiefer Politik und seinen Haß unter dem gerechten Zorn gekränkten Rechtsgefühls.

Die Vertrauten belohnte er freigebig, den Feinden verzieh er laut, ließ sie aber durch die Hände ihm Ergebener erbarmungslos auspressen, beraubte sie ihrer Habe und gab sie mit honigsüßen und bedauernden Worten der allgemeinen Verachtung preis. Er zeigte sich stets als ein Priester, der einzig und allein darauf bedacht war, Gott zu dienen, selbst die Messe las er fast alltäglich, aber noch eifriger bemühte er sich um fette Pfründen, und wenn es die Umstände erlaubten, riß er sie an sich mit Waffengewalt.

Dabei war er ein aufgeklärter Mensch voll würdiger Manieren und durch Weisheit gezügelter Grundsätze, und wenn die Umstände danach waren, der hinterlistigste, in den Mitteln nicht wählerische Intrigant und ein unersättlicher Raffer, der, weder für sich, noch für seine Familie genug Macht, Ehren, Reichtümer und Einfluß zusammenscharren konnte.

Er war es gewesen, der während des großen vierjährigen Reichstags am eifrigsten gegen die Reformen und die Konstitution intrigiert hatte.

Die Imperatorin zahlte ihm dafür.

Er war es auch, der später die Seele der verderblichen Targowicaer Konföderation wurde und sich mit allen Machenschaften befaßte, die zum Verderb der Republik ersonnen waren.

Er empfing dafür reichlichen Verräterlohn in Rubeln.

Und auch jetzt war er im Reichstag das Haupt einer mächtigen Partei, die sich jedem Wunsch, der von Petersburg kam, geneigt zeigte, wofür ihm ununterbrochen reiche Gnadenbezeugungen zuflossen in Gestalt von Schenkungen, Zuwendungen, edelsteingeschmückten Bischofskreuzen und Dukaten.

So war dieser Staatsbürger, dieser Bischof und dieser Mensch, dem man vielleicht noch schlechtere an die Seite stellen konnte, der aber in seiner Schädlichkeit für das Vaterland alle übertraf.

Der Kastellan stellte ihm Zaremba vor. Der Bischof faßte ihn scharf ins Auge, und nachdem er ihn sehr gnädig begrüßt hatte, zog er den Kastellan beiseite.

Zaremba begann sich, trotzdem ihn die Juwelen der Kastellanin, die er in den Taschen mit sich herumtrug, und Isas Zorn bedrängten, unter den anwesenden Menschen umzuschauen.

Im amarantrot ausgeschlagenen Hauptsaal, der mit kostbarem Gerät, Spiegeln, Bronzen und vergoldeten Möbeln angefüllt war und über den sich eine Kastendecke aus goldenem Stuck auf rotem Grunde spannte, saßen der Bischof von Wilno Massalski mit seinem würdigen Genossen, dem Bischof von Chelm Skarszewski. Beide waren die erbittertsten Gegner von Kossakowski; vor allem haßte ihn Massalski, der trotz seiner großen Beleibtheit und seinem hohen Alter ein arger Spieler, Verschwender und Säufer war, aus ganzer Seele und verfolgte ihn mit bösen Blicken. Ab und zu äußerte er ein bissiges Wort im Flüsterton, worauf der Bischof Skarszewski ihm boshaft zulächelte und mit dem spitzen, kahlen Schädel bejahend nickte.

In der Nähe sah Zaremba den schwarzen, hageren Italiener, Pater Ghigiotti, den Leibsekretär Seiner Majestät des Königs, der gleichzeitig auch Sievers' ergebenes Werkzeug war, sich mit lauerndem Schlangenblick durch die Menge schleichen. Auch der berüchtigte Boscamp schien herumzuschnüffeln und Friese bot den Leuten seine Tabakdose an, wobei er diesem und jenem gern ein unbedachtes Wort entlockte, es gab außerdem hier noch andere, die in ähnlicher Weise ihrem Beruf nachgingen, denn zu dem Empfang beim Bischof Kossakowski versammelte sich eine vielköpfige Gesellschaft aller Parteien.

Hinter den Bischöfen sah man auf roten Bänken, die rings an den Wänden um den Saal herumliefen, allerhand hochgestellte würdige Schlafmützen nicken, bemooste Matronen, die wie alte Weihkessel nach Wachs und Weihwasser rochen, tabakbekleckerte Professoren in blankgescheuerten Sutanen und Fracks, einige altertümliche Kontuschenträger und ehrwürdiges Gerümpel aus weitentlegenen, weltfremden litauischen Landschaften; manchmal tauchte in der Menge auch ein Mann untadeligen Rufes auf, doch es hatte den Anschein, als hätte man ihn nur zur Dekoration hierher eingeladen, es waren auch einige modisch gekleidete Ausländer anwesend. Die anderen Räume, die sich mit dem Saal zu einer Zimmerflucht vereinten und üppig ausgestattet waren, erfüllte ein buntes, aufgeputztes Gedränge: Modestutzer mit aufgetollten Haarschöpfen, die Knäufe ihrer Stöcke gegen die Lippen gedrückt, mit klirrenden Petschaften und Anhängseln behangen, standen an den Eckpfeilern herum, es fehlten unter ihnen weder Offiziere der alliierten Mächte, noch Schlemmer, die überall zugegen waren, wo es hoch herging, noch Neuigkeitenjäger oder Personen von ganz rätselhaftem Gewerbe; eine Unzahl ewiger Bittsteller drückte sich im Schatten der großen Herren in Erwartung einer günstigen Gelegenheit. Die Mehrzahl der Anwesenden bestand aus Reichstagsmitgliedern, Vertrauten und Verwandten des Bischofs und aus einem großen Haufen ihm ergebener Anhänger, die stets eifrig nach der Gnade strebten, dem mächtigen Schutzherrn ihre Ehrerbietung erweisen zu dürfen, Anweisungen zu empfangen, Gunst zu erbetteln, sich mit ihrem Einfluß im Reichstag brüsten zu dürfen und Bericht darüber zu erstatten, was beim König, bei Sievers, bei Buchholtz und bei anderen Machthabern vor sich ging. Jeden Augenblick nahm einer von ihnen Gelegenheit, etwas in das bischöfliche Ohr zu flüstern oder ihm ein winziges Kärtchen zuzustecken. Irgendwo in nächster Nähe sollte wohl eine Geheimberatung vor sich gehen, denn die bedeutendsten Persönlichkeiten, wie die Zabiellos, Gielgud, Narbut, der Kastellan, einige Bischofssöldlinge aus dem Reichstag und selbst Nowakowski verschwanden allmählich unbemerkt ins Innere des Palais.

Zaremba sann gerade darüber nach, als vor ihm der alte Schlachtziz Srokowski auftauchte, den er bei Nowakowski kennen gelernt hatte und nach Möglichkeit mied. Er begann ihm die unglaublichsten Dinge über politische Konjunkturen und den Verfall des Vaterlandes vorzuschwatzen, rang dabei die Hände, riß an seinem langen Schnurrbart und jammerte immer kläglicher über den Niedergang der Sitten und das Umsichgreifen der allgemeinen Sündhaftigkeit.

»Alles ist hin,« krächzte er unheilvoll, »ich sage Euer Wohlgeboren, daß die Republik verloren ist. Es muß eine Strafe für die Sünden kommen. Gott muß die Schuldigen züchtigen und mit Feuer dieses Sodom und Gomorrah vernichten!«

»Euer Wohlgeboren sollten lieber den Weibern an der Kirchentür predigen und prophezeien, mich aber bitte ich damit zu verschonen!« knurrte er wütend und wandte sich von ihm fort in der Richtung, aus der er die Stimme Woynas zu hören vermeint hatte.

Einige junge Leute mit eisigen Gesichtern saßen hier und da auf den Kanapees und Woyna las halblaut vor.

»... Und danach sprach Felix Potocki: Ich bin euer Herr und euer Schöpfer, und alle Bewohner der polnischen Erde sind Empörer. – Und da nannte Felix die polnische Armee ein Feindesheer und die moskowitische nannte er die Armee der Erlösung und der Freiheit. Und es begannen Morde, Brandschatzungen und Verwüstungen im Lande. Felix aber sah, daß es für ihn gut war und freute sich.

Und das war der erste Schöpfungstag.

Und da sprach Felix: ›Jegliche Ordnung und Gerechtigkeit sollen aufhören, der Schlachtziz soll dem großen Herrn gehorchen und die Städte haben abermals in Armut und Unwissenheit zu versinken. Das, was die von ihren Mitbürgern Erwählten einstimmig beschlossen haben, soll Verbrechen und Verschwörung heißen, und was ich befehle, soll Recht sein.‹ – Und Felix sprach abermals: ›Die Druckereien sollen aufhören zu drucken und die Menschen zu lesen, zu reden, zu schreiben und zu denken!‹ – Das nannte er sodann Freiheit.

Und das war der zweite Tag der Schöpfung.«

»Wie gefällt euch die ›Bibel der Targowica‹? Ist das nicht ein köstlicher Witz?«

»Hohle Gehässigkeit, aus der die Eselsohren eines Schmierers ohne Talent und Bildung hervorgucken!« erklang ganz unerwartet die Antwort des Bischofs, der plötzlich unter ihnen aufgetaucht war.

Die bestürzte Jugend sprang von den Sitzen auf, nur Woyna, der seine Fassung nicht verloren hatte, ließ sich mit der üblichen Zungenfertigkeit im scherzenden Ton vernehmen:

»Ich bin der Meinung, daß Felix nach dieser Pille die Gelbsucht bekommen wird.«

»Und Euer Wohlgeboren werden dreihundert polnische Gulden Strafe zahlen für die Verbreitung von Schriften, die durch die Sanktionen der Generalität verboten sind,« knurrte der Bischof mit drohender Stimme.

»Ein guter Witz ist schon Geld wert, und dieses Possenspiel ist selbst eines fetteren Lohnes würdig. Man sagt, daß Weyssenhoff dieses Schriftstück verfaßt hat, es ist mir aber, als ob ich die Stacheln von Niemcewicz oder Dmochowski fühlte.«

»Geben Euer Wohlgeboren mir das Exemplar her!« Er streckte gierig seine Hand danach aus.

Woyna reichte ihm widerwillig das Papier und wollte sich noch durch einige Scherze herausreden, aber der Bischof winkte Zaremba zu sich, und nachdem er ihn in ein abseits liegendes Gemach geführt hatte, nahm er ihn in einer ungezwungenen, freundschaftlichen Unterhaltung, die mit hinterlistigen Widerhaken gespickt war, in Verhör. Das Examen schien günstig ausgefallen zu sein, denn mit einem Ton von Herzlichkeit gestand er ihm ganz offen:

»Der Kastellan hat mir Euer Wohlgeboren sehr warm empfohlen.«

»Der Oheim sind mir ein stets gnädiger Wohltäter.«

»Ich suche gerade nach einer gebildeten Persönlichkeit mit gemäßigten Anschauungen, der ich mein Vertrauen schenken darf. Er könnte sich somit unter meiner Leitung für den späteren Dienst der Republik einüben. Die Stelle ist allerdings bescheiden und nicht sehr einträglich, aber es ließe sich für Ihn durch die Protektion des Hetmans, meines Bruders, seine alte Charge mit den dazugehörenden Einnahmen zurückerlangen, Wohnung und Tisch hätte Er bei mir. Wäre Ihm solches recht?«

Im stummen Dank neigte er sich zum Handkuß.

»Es kann unter meinem Schutz aus Ihm etwas werden,« fügte der Bischof sehr gnädig hinzu.

Zaremba schielte zu ihm hin, aber Kossakowski, der es gern hatte, sich mit hochtrabender Beredsamkeit und der Erhabenheit seiner Absichten, Freunde und Bewunderer zu machen, war gerade dabei, wie von ungefähr sich über seine Mühen und seine bedeutenden Opfer für das allgemeine Wohl auszubreiten. Es sollten offene Geständnisse eines Mannes voll großer Tugenden sein, aus denen das Ergebnis zu folgern war, daß er alles, was er tat, nur zur Errettung des Vaterlandes und zum Glück der Allgemeinheit unternahm.

Er hätte vielleicht noch länger seine hinterlistigen, gewundenen und sehr verdächtigen politischen Arcana gesponnen, aber es trat plötzlich der Kastellan ein, und nachdem er ihm etwas zugeflüstert hatte, wandte er sich an Zaremba:

»Warte auf mich, wir haben jetzt wichtige Angelegenheiten zu beraten.«

Sie verließen schnell das Gemach, und Zaremba kehrte in die leeren Säle zurück, wo bereits die Heiducken die Fenster aufsperrten und ein junger Priester mit einem kupfernen Räucherschiffchen die Luft ausräucherte; allmählich überkamen ihn die Gedanken über die Worte des Bischofs und hauptsächlich auch über seine eigentliche Lage. Er fühlte sich nicht geeignet für diese Dienste, die ihm der Kastellan vermittelte und die ihm die Rücksicht auf das Gedeihen der guten Sache anbefahl.

Er schauderte vor dieser Möglichkeit zurück und wurde allmählich immer finsterer, wie die Gemächer, in denen er sich aufhielt, und die, während eine aschgraue Dämmerung über sie unaufhörlich niedersank, ihn schwer angähnten wie Höhlen, aus welchen nur hier und da das verlöschende Blinken der Spiegel und Vergoldungen aufzuckte.

Der Kastellan ließ lange auf sich warten, so begann er denn voll Ungeduld durch die lange Flucht der Zimmer auf und ab zu wandeln und in die Nebensäle einzusehen, bis er zuletzt in das bischöfliche Schlafgemach geriet. Das riesige Bett unter einem Himmel stand auf einem dicken, flaumigen Teppich und dahinter sah man durch einen Vorhang etwas Licht hindurchrieseln und hörte Stimmen von Menschen.

Er blickte gedankenlos hin und erstarrte, als wäre er auf der Stelle festgewachsen.

In einem Gemach, das mit Arratapeten ausgeschlagen war, aus denen sich in wundersamen Farben die Marter Christi den Blicken darbot, unterhielten sich mehrere Menschen. Silberne Armleuchter ließen aus vielen Kerzen Licht erstrahlen, in einem Kronleuchter aus Kristall leuchteten ebenfalls die Lichter. An einem großen, runden Tisch, der ganz mit Papieren belegt war, saß der Bischof, neben ihm hatte der Kastellan Platz genommen und etwas weiter zurück waren der Kopf des Hetmans Kossakowski und das zynisch verzogene Gesicht des Grafen Ankwicz sichtbar. Der wohlgemästete Reichstagsmarschall Bielinski mit blauen wie ausgelaugten Augen und feisten Wangen, die wie zwei morsche Früchte aussahen, saß neben Zabiello, dem Feldhetman des Großfürstentums Litauen und dem jungen Narbutt. Weiter nach hinten wurde die Gestalt des Pater-Referendarius Wollowicz sichtbar, der seinen runden Daumen über dem stark hervortretenden Bauch drehte und unter den buschigen Brauen hervor auf den Bischof starrte, ganz im Hintergrunde drückten sich ganz bescheiden noch einige stumme Teilnehmer mit erschrockenen Augen. An einer besonders sichtbaren Stelle blühte das in Wonne des Zuhörens fast zerfließende Gesicht Nowakowskis.

Die ganze ausgewählte Kumpanei der Ohrenbläser und Vertrauten des Bischofs Kossakowski saß dort vor ihm versammelt.

Man unterhielt sich trotzdem untereinander mit Vorsicht, wog behutsam seine Worte ab und nur der Marschall Bielinski, der ununterbrochen seine Pfeife paffte, warf ab und zu eine seiner offenherzigen und zynischen Bemerkungen hin, worauf Graf Ankwicz in höhnisches Kichern ausbrach und der Hetman Zabiello wie ein leise knurrender Hund seine gelben, spitzen Hauer fletschte. Der Hetman Kossakowski nahm eins ums anderemal eine Prise, nieste umständlich und bestätigte nickend die Ausführungen des Bischofs, welcher seine honigsüßen Reden fließen ließ, jedes Wort dabei liebkosend und seine rosigen Nägel beschauend, ab und zu fächelte er mit seinem Schnupftuch den Tabaksqualm auseinander und schenkte dem Marschall aus einer dickbauchigen Flasche ein.

Die Beratung hatte ihre besonderen Gründe, und Zaremba war gerade dazu gekommen, als der Hetman Kossakowski sich räusperte und mit einer kalten Greisenstimme sagte:

»Markow wünscht die schnellste Genehmigung des Traktats vom 17. Juli über die Reduzierung der Armee. Man muß sich damit beeilen, denn Ihro Zarische Majestät wird ungeduldig.«

»Wir sind noch nicht der Reichstagsmehrheit sicher,« entgegnete der Kastellan.

»Der einzige Rat ist: die notwendigen Stimmen zu kaufen,« warf Graf Ankwicz nachlässig hin.

»Man könnte das halbpart mit dem Gesandten machen, denn auch bei den Verhandlungen über preußische Fragen werden wir die Mehrheit nötig haben,« riet Nowakowski.

»Und Petersburg wird das dem Sievers als Verdienst anrechnen, uns nicht,« bemerkte der Bischof und wandte sich an den Reichstagsmarschall Bielinski. »Wieviele eigene Stimmen haben wir denn?«

»Vierzig, um aber bei vollem Hause eine Mehrheit zu erreichen, müssen wir junctim affirmative achtzig Stimmen haben, diejenigen des Senats mit eingerechnet.«

»Eine furchtbare Ausgabe!« seufzte der Bischof: »die Lage erfordert also eine gewaltsame Verminderung der Opposition.«

»Das könnte man schon, aber es bleibt immer noch der eine oder andere, der ein Geschrei erhebt, mitten in der Reichstagssitzung seinen Protest einlegt und den König damit zwingt, den Reichstag aufzulösen,« warf Pater Wollowicz ein.

»Und solche Zelanten wie den Starzynski oder Szydlowski kann man nicht wie Spatzen mit der Mütze zudecken; sie werden dann die ganze öffentliche Meinung gegen uns aufwühlen und neue Gelegenheit haben, sich selbst als Katos und wahre Patrioten aufzuspielen,« warnte der Kastellan.

»Ganz unnötige Zierereien,« nahm der Hetman Kossakowski das Wort: »Sievers hat die Macht, die ganze Opposition, wenn's nötig ist, selbst bis nach Sibirien zu verbannen: er hat genug Kosaken und Nahajkas zur Verfügung.«

»Das müßte er dann schon aus eigenem Entschluß und ohne unsere Anregung tun ...«

»Er wird natürlich unschlüssig sein, denn er ist sehr empfindlich in bezug auf die Stimme der Allgemeinheit und läßt sich durch die Regel leiten: dem lieben Gott ein Lichtlein und dem Teufel ein Lichtstumpf. Würden Euer Gnaden, Herr Starost,« wandte sich der Bischof an den Grafen Ankwicz, »dem Herrn Gesandten die politischen Gründe vorstellen können, warum man diese Opponenten vor den Genehmigungsberatungen aus dem Reichstag entfernt zu sehen wünscht, indem Euer Gnaden ihm sub secreto zu wissen gäben, daß diese Gründe schon Markow als richtig anerkannt hat?«

»Sobald jedoch der Reichstag beschlossen hat, was die Imperatorin verlangt, könnte man sie allesamt den sehnsüchtig harrenden Angehörigen und der Allgemeinheit zurückgeben,« schlug Narbutt höhnisch vor.

»Ich will es versuchen. Er wird darunter leiden, wird bei der Menschlichkeit und bei seinen Enkelkindern schwören, wird vielleicht vor Erregung Magenkrämpfe bekommen, aber zuletzt wird doch er wohl zustimmen.«

»Ich will den hochedlen Herren eine Liste der Namen vorlesen und habe nichts dagegen, wenn der eine oder der andere noch einen besonderen Freund hinzufügt,« lächelte er giftig.

»Könnte ich doch darauf meine Gläubiger unterbringen!« seufzte Marschall Bielinski.

»Sie würden auch ohnedies nicht befriedigt werden,« murmelte der Kastellan mit einer eigentümlich kläglichen Stimme.

Marschall Bielinski hüllte sich in eine Wolke von Rauch und der Bischof begann die Namen jener Edlen zu lesen, die sich unentwegt für das Vaterland eingesetzt hatten, all derer, die es mit ganzer Macht in den Reichstagssitzungen gegen die Habgier der feindlichen Mächte verteidigten und der verbrecherischen Bereitwilligkeit der Landesverräter die Stirn boten.

Zaremba erfaßte ein wahres Fieber der Empörung, er mußte sich mit ganzer Macht zurückhalten, um nicht auf diese niederträchtigen Judasse mit den Fäusten loszuschlagen. Er überwand sich aber und hörte dem Bischof weiter zu, der die Liste der Geächteten dem Grafen Ankwicz überreicht hatte und sich recht weitschweifig über die Schädlichkeit der in Dresden und Leipzig sitzenden polnischen Exilierten ausbreitete.

Und wieder fielen die Namen der Edelsten des Vaterlandes, wie um dem Beil des Henkers ausgeliefert zu werden.

»Ignaz Potocki, der ehemalige Marschall, Pater Kollontaj, der ehemalige Vizekanzler, J. Weyssenhoff, der ehemalige Reichstagsbote für Livland, J. U. Niemcewiez, St. Soltan« – der Bischof las schnell: »die kleineren will ich übergehen, aber diese hier sind die eigentlichen Anführer und Aufwiegler, die im Land Aufstand säen. Sie sind die Verbreiter der umstürzlerischen, jakobinischen Grundsätze, die Feinde Gottes und des Vaterlandes,« er zischte die Worte zuletzt nur so hervor, vor Haß kaum seiner mehr mächtig. »Diese Brandfackel so nahe unserer Landesgrenzen muß man zur rechten Zeit mit den Füßen austreten. Schon im Winter habe ich eine Note an das Kollegium der auswärtigen Angelegenheiten eingereicht, die verlangte, daß diese Herrchen aus Sachsen ausgewiesen würden. Markow hat es mir versprochen, und die Note wurde damals abgesandt, unterdessen brüten sie dort ihre Verschwörungen unentwegt weiter aus und schleudern wie seit jeher ihre niedrigsten Verleumdungen gegen uns und unsere Allianten. Kollontajs Ränkeschmiede überschüttet die Allgemeinheit wie während des vorherigen Reichstags mit aller Art Schmähschriften; das erregt die öffentliche Ruhe, facht Uneinigkeiten und Mißtrauen an, beeinträchtigt die Wirksamkeit unserer Bestrebungen, und was das wichtigste ist, es schwächt unsere Lage in Petersburg: daraus fließen für uns unabsehbare Schäden.«

»Sievers sollte in Petersburg eine erneute Note an den sächsischen Hof verlangen,« nahm der Hetman Kossakowski das Wort. »In Dresden hat sich eine wahre Zweigniederlage der Pariser Verruchtheiten gebildet, von dort aus verbreitet sich die Seuche über die ganze Republik.«

»Und es ist schon so weit gekommen, daß selbst in Grodno, trotz der zahlreichen Wachen, fast alltäglich an den Mauern der Häuser Schmähschriften auftauchen,« beklagte sich Nowakowski.

»Große Sache, hat man doch heute in meinem eigenen Hause eine solche Schmähschrift vorgetragen,« murmelte der Bischof und zog das Woyna abgenommene Schriftstück hervor. Die grauen Blätter machten rasch die Runde. Man las sie mit Aufmerksamkeit und mit zornigem Abscheu, nur Graf Ankwicz begann plötzlich zu lachen.

»Der Felix Potocki wird ja vor Wut platzen. Sie haben ihn prächtig zugerichtet. Ha! ha! ha!«

»Fast jede Post bringt einem solche Leckerbissen ins Haus.«

»Es ist doch Sartorius befohlen worden, solche Schriften zu beschlagnahmen.«

»Alle Briefe kann er doch unmöglich durchsehen, man öffnet nur die verdächtigen, und diese Arbeit können sie schon kaum bewältigen,« erklärte Graf Ankwicz. »Gestern erhielt ich durch die Warschauer Post eine ziemlich umfangreiche Rolle, auf dem Bogen ist ein Galgen abgebildet. Erraten Sie gefälligst, meine Herren, wer darauf in effigie zu hängen kommt?«

»Stets und überall nehmen den ersten Platz die Könige ein,« lachte der Kastellan.

»Leider, hat man uns den Vortritt gelassen: wir baumeln da wie die Drosseln in den Netzen. Ich habe über diesen Einfall Tränen gelacht und Seiner Würden dem Bischof Massalski die Zeichnung gezeigt. Er hat sich sehr über sein wohlgelungenes Konterfei erzürnt, denn er hängt gemeinsam mit seiner geliebten Windhündin, hält seine Spielkarten in der Hand und die Burgunderflaschen unter dem Arm. Ein unvergleichlicher Anblick!«

»Herr Graf, wir haben noch wichtige Dinge zu erledigen und die Gesellschaft zu Ehren Zubows steht uns auch bevor; die Stunde ist ziemlich weit vorgeschritten,« bat der Bischof mit einem verbindlichen Lächeln.

»Ich bin ganz Ohr, möchte bloß noch hinzufügen, daß wir dort, d. h. die ganze Korona, das Ministerium wie es ist, mit den entsprechenden Emblemen hängen, und die Stellungen so unwürdig und komisch wiedergegeben sind, daß man vor Lachen sterben könnte. Ich höre schon zu, meine Herren.«

»Bezüglich der Verminderung der Armee und der Vertagung des Reichstags,« las der Bischof aus seinem Protokollheft vor.

»Hauptsächlich handelt es sich um die Abtretung eines Teiles unserer Armee an die Imperatorin.«

»Ist denn eine solche Absicht vorhanden? Wer bringt den Vorschlag ein?« fragte der Kastellan aufs Tiefste erregt.

»Er ist entstanden, um der Republik in ihren finanziellen Sorgen eine Hilfe zu verschaffen,« entgegnete der Hetman, »denn die Militärkasse ist ja leer und die Soldaten seit langem ohne Sold.«

»Auch andere Gründe, und zwar noch wichtigerer Art haben die Entstehung dieses Projektes begünstigt,« suchte der Bischof seinen Bruder zu unterstützen und holte unter der Tischdecke ein dickes Heft hervor.

»Wozu abtreten, wenn die Armee sowieso nach allen Seiten hin zerbröckelt; die Städte sind schon voll von Marodeuren und außerdem hat auch die Generalität gestattet, daß fremde Werber unser Soldatenmaterial wegraffen.«

»Sie hat es nicht gestattet, da sie aber machtlos ist, sich zu widersetzen, darf sie nicht Notiz davon nehmen.«

»Eine Einschränkung der Armee wird von Petersburg gefordert, und die Notwendigkeit verlangt sie; das Land ist beträchtlich in seiner Bevölkerungszahl und in seinen Hilfsmitteln zurückgegangen, wozu sollte es denn somit eine so große Armee brauchen? Unter der Protektion der hochherzigen Zarischen Majestät wird die Republik keine Gelegenheit haben, Kriege zu führen, ein gesegneter Friede wird erblühen und die Bevölkerung wieder imstande sein, sich fruchtbringender Arbeit zu widmen,« legte der Hetman dar. »Es ist da aber noch ein Umstand, der Berücksichtigung verdient und der den Einschränkungsprojekten unserer Wehrkraft entspringt, und zwar folgender: wenn unsere Streitkräfte, die noch innerhalb des russischen Kordons sowie in Litauen bestehen, entwaffnet werden, so fordert das Recht, daß ihnen die rückständigen Löhnungen ausbezahlt werden. Woher soll denn aber die Republik die Mittel hernehmen, um dieses zu bewerkstelligen? Außerdem wäre noch ein wichtiger Umstand zu berücksichtigen, daß die Tausende der Dienstentlassenen und Disziplinlosen sich über das Land wie eine Horde hungriger Wölfe ergießen würden. Zu ihren Herren und an die Arbeit werden sie gutwillig nicht zurückkehren, denn es ist ein wildes Element durch das Soldatenleben faul und zuchtlos geworden, und darum auch jeder aufrührerischen Einflüsterung zugänglich. Die Klubmänner rechnen schon damit, denn man hat bereits ihre Emissäre in unseren Lagern gesehen. Das wäre, als ob einer den Feuerbrand in einen Pulverturm tragen wollte. Wer könnte sagen, was dann geschehen würde? Die einen können sich gegen die alliierten Puissancen erheben, aber die anderen, durch die jakobinischen Grundsätze verführt, würden es sicherlich versuchen, eine solche Rebellion anzuzetteln, daß weder ein Herrenhof noch ein Schlachtzizenkopf heil bliebe. Ich bin somit der Meinung, daß es eins der erforderlichsten Mittel wäre, wenn man wenigstens ein ganzes Armeekorps an Rußland abtreten könnte. Der Nutzen ist genugsam sichtbar: das Land wird sich der künftigen Terroristen entledigen und wird die Dankbarkeit der Zarin erwerben.« Er nahm eine Prise und ließ seine toten Augen über die Gesichter der Anwesenden gehen.

»Wie hoch ist denn der Kopf taxiert?« Die Stimme des Kastellans verriet Bitterkeit.

»Hundertundfünfzig Rubel mit der ganzen Armierung. Auch Rußland wird daraus einen nicht geringen Vorteil ziehen, denn die Ausrüstung eines jeden Soldaten kostet fast vierhundert Rubel, nun, und es vergrößert außerdem seine Armee um ein fertiges Armeekorps.«

Es entstand ein dumpfes Schweigen. Der Hetman kaute mit seinen zahnlosen Kiefern und blickte stumpf auf die erblaßten Gesichter, der Bischof berechnete etwas eifrig auf dem Papier und der Rest traute sich nicht, die Augen zu erheben, wie unter dem Einfluß von Scham und Gewissensbissen. Der Kastellan zog mit zitternden Händen seine Taschenuhr auf.

»Durch unsere Bemühungen wächst der polnische Handel«, unterbrach Graf Ankwicz das Schweigen und erhob sich von seinem Platz. »Bisher haben wir bloß Wojewodschaften und Landschaften verkauft, gegenwärtig dagegen schon die Gemeinen. Es liegt ein beträchtlicher Fortschritt darin. Wäre es nicht vielleicht besser, noch die ganze Bevölkerung samt ihren Kaldaunen zu veräußern?« Seine Stimme war voll spottenden Hohns und doch klang auch heimliches Leid aus ihr.

»Das Projekt ist bei Igelström entstanden, von Sievers geprüft, in Petersburg beraten und uns zur Durchführung im Reichstag und zur königlichen Bestätigung anempfohlen,« nahm der Bischof das Wort und durchbohrte ihn mit seinen Geieraugen. »Wer regiert, soll sich durch Staatsgründe und Verstand leiten lassen, nicht durch Sentimentalitäten. Wir arbeiten an der Errettung des Vaterlandes, jeder nach seinen Kräften und nach seinem Verstehen, wir arbeiten für die Zukunft, unsere Nachkommen werden also erst das gerechte Maß für unsere Bemühungen finden können. Wer aber der Meinung ist ...«

»Alles läßt sich weiß machen wie die Leinwand auf der Bleiche,« unterbrach ihn Ankwicz ziemlich unsanft: »aber wozu sollen wir denn einander hochtrabend und pomphaft belügen? Wollt ihr das Militär verkaufen? Gut, ich habe nichts dagegen, wenn man euch mit klingender Münze bezahlt. Gerade heute nacht habe ich an Zubow scheußlich viel verspielt und brauche allerdringendst einige Tausend Dukaten. Der Marschall ist in einer ähnlichen Lage, nicht wahr?«

Der Reichstagsmarschall Bielinski nahm die Pfeife aus dem Mund und sagte mit Würde:

»Und ich stimme für die Abtretung selbst der ganzen Armee.«

»Das ist die Sprache eines wahrhaften Mannes,« rief Graf Ankwicz mit Begeisterung, und ohne irgend einen zu Wort kommen zu lassen, redete er schnell weiter. »Wir haben schon nichts mehr zu verlieren, spielen wir also va banque! Gewinnen wir, so werden die Nachbarn das Vaterland zerreißen, aber Seine Würden, der Herr Bischof, werden sich als Primas Regni trösten können, den Hetman wird die Imperatorin durch das Statthalteramt belohnen, dem Herrn Feldhetman wird man gestatten, ganz Kronpolen auszuplündern, den Herrn Kastellan samt seinem Schwiegersohn mit gräflichen Titeln bedenken und auch den anderen das ihnen zukommende panis bene merentium nicht vorenthalten. Bleibt uns das Glück aber nicht hold, dann werden wir an Hanfschnüren baumeln müssen, wie uns das die Herren Zelanten im Reichstag sanft prophezeien. Denn auch in Polen kann das Gewissen erwachen. Ihr schaut mich an, meine Herren, als hätte ich Roxolanen im Kopf?« er lachte ungezwungen auf. »Ich habe nur eine nüchterne Einbildungskraft, und manchmal werden einem, die eigenen und fremden Schuftigkeiten zuwider, so daß der Mensch sich selbst gern ins Gesicht speien möchte. Kehren wir jedoch zu unseren Betrachtungen über die Rettung des Vaterlandes zurück! Wir haben noch über die Vertagung des Reichstags zu sprechen?«

»Der Sinn der ganzen Rede ist, daß Bacchus und Venus im Menschen die Kräfte nicht frisch halten,« knurrte der Bischof.

»Niederträchtige Machenschaften tun es auch nicht,« fuhr Ankwicz unerwartet auf. »Ich muß fort, es wird mir zu schwül in dieser Halunkenluft, Graf Zubow erwartet mich.«

Der Bischof vertrat ihm den Weg und redete lange und eindringlich auf ihn ein.

Zaremba konnte es nicht über sich gewinnen, den weiteren Verlauf der Unterredung anzuhören, es trieb ihn, sich eiligst zu entfernen, denn es war ihm, als müßte er sonst tot zu Boden sinken oder eine Sinnlosigkeit begehen. Wie er aus dem Palais herausfand und wie er ungestört durch die zahlreichen Patrouillen hindurchkam, die die Stadt durchstreiften, wußte er sich später nicht zu erklären. Ein Sturm der Empörung hatte ihn fortgetragen und ihm den Weg gebahnt.

Kasper wartete zu Hause auf ihn mit seinem Bericht über neue Werbungen, Staschek erstattete ihm Meldung über die Verteilung der russischen Batterien um Grodno herum, Pater Seraphim erschien mit einem Brief, den man mit Hilfe eines Schlüssels lesen mußte, die Wilnoer Post brachte ein Schreiben vom Obersten Jasinski, aber Zaremba entledigte sich all dieser Dinge mit einem einzigen Wink, und nachdem er sich auf seiner Stube eingeschlossen hatte, warf er den Zwang von seiner Seele ab. Er wußte wohl von den niederträchtigsten Machenschaften dieser schlechten Väter des Vaterlandes, das, was er jedoch heute erfahren hatte, war weder auszudenken, noch zu glauben.

»Sie verkaufen die Armee, die letzte Stütze und Hoffnung, um das Vaterland um so leichter den Feinden auszuliefern!« Die Haare sträubten sich ihm zu Berge beim Gedanken an eine solche Schändung und Nichtswürdigkeit. »Zeugt die Natur wirklich solche Ungeheuer! Gibt es denn keine Grenzen mehr für menschliche Niederträchtigkeit!« stöhnte er auf, durch die plötzliche Erkenntnis getroffen.

Und lange quälte er sich im düsteren Grübeln, was er nun beginnen sollte.

Denn daß er zugegen sein sollte, wenn Verrat ersonnen und zum Verderb der Republik Verschwörungen gesponnen wurden, und er müßte das alles ungesühnt lassen und nur darüber Berichte erstatten – der bloße Gedanke ließ ihn nach den: Säbel greifen, trieb ihm das Blut zu Kopf und erfüllte ihn mit siedendem Zorn. Nein, er eignete sich nicht zu einem Gehilfen des Bischofs und zum Vertrauensmann der Verräter, nie und nimmer! ... Aber die gute Sache des Vaterlandes, seine freiwillige Entscheidung, ihr mit Taten zu dienen und die gerechte Notwendigkeit, das feindschaftliche Lager auszukundschaften – das waren die Gegenforderungen, die sich mit unerbittlicher Klarheit vor ihm aufrichteten.

Wie sollte man das eine mit dem anderen verbinden und in Übereinstimmung bringen?«

Darum befahl er Mathies plötzlich, als wollte er vor der Entscheidung fliehen, anzuspannen, und obgleich es schon gegen Mitternacht war, begab er sich zum Fest.

Das Palais des Fürsten Sapieha leuchtete schon von weitem wie eine Feuersbrunst und ließ Musik und Lärm in die Nacht hinausklingen, ringsum sah man die Bajonette der Jägerwachen funkeln und Kosaken in Haufen Posten stehen.

In dem gewaltigen, ganz mit Blumen ausgeschmückten einstöckigen Saal, den das helle Licht der Kristallkronleuchter überflutete, war man gerade damit beschäftigt, nach dem Essen alles fortzuräumen, da die Tänze beginnen sollten, während sich die glänzende Gesellschaft in den mit Teppichen ausgelegten Nebengemächern vergnügte, die mit wertvollem, zu diesem Anlaß ausgeliehenen Meublement ausstaffiert waren. Ganz Grodno war erschienen, um den Grafen Zubow zu ehren: es fehlten weder die Gesandten der benachbarten Puissancen, noch die Würdenträger der Republik. Die bekanntesten Damen sowie der päpstliche Nuntius und die Bischöfe Massalski und Skarszewski waren zugegen.

Zaremba fiel gleich beim Eintritt Nowakowski in die Hände, der ihn den Damen und den wichtigsten Persönlichkeiten vorstellte und ihm darauf sagte:

»Der Bischof hat mit dem Kastellan nach dir in seinem ganzen Palais gesucht.«

»Ich habe zuletzt geglaubt, daß ich nicht mehr nötig wäre, darum bin ich fortgegangen.«

»Eine solche Protektion kann dir Glück bringen ... ich gratuliere dir dazu ...«

Zaremba entzog sich einer weiteren Unterhaltung mit ihm und ließ sich absichtlich an den sichtbarsten Stellen des Saales sehen, so daß er allen in die Augen fallen mußte. Bald lenkten auch die Damen ihre Aufmerksamkeit auf ihn; seine männliche, schöne Gestalt, seine kavalierhafte Eleganz, sein Witz und seine verwegene Tanzlust wurden besonders beachtet. Er tanzte die Anglaisen und Menuette mit solcher Gewandtheit, daß die Damen ihm laut Beifall spendeten und mit schwärmerischen Worten und gefühlvollen Blicken nicht geizten. Selbst Isa, die vom Grafen Zubow sichtlich im Kreise der schönsten ihn ständig umgebenden Frauen ausgezeichnet wurde, heftete häufig ihre verschleierten Augen auf Zaremba.

In einem geeigneten Augenblick bemächtigte sich der Fürst Cycyanow seiner, um sich vor ihm über die Veränderlichkeit der Frauengunst zu beklagen, denn er war das Opfer einer hilflosen Eifersucht und Wut gegen Zubow geworden.

»Jede von ihnen wird selbst einem Hund noch ihre schönen Augen feilhalten, wenn sie Vorteil davon hat!« bestätigte Zeramba und verfolgte die eifrig mit dem Hauptmann von Blum tanzende Terenja mit den Blicken. Dann wandte er sich nach den Seitengemächern, wo bereits das Pharao und lärmendes Trinkgelage ungeteilt den Plan beherrschten.

Es tagte schon, als die Vizekämmerin seiner habhaft wurde.

»Wollen mich Euer Edlen nach Hause bringen, der Kommandeur Dzialynski und der Vizeschatzmeister Prozor warten auf uns.«

Sehr erfreut reichte er ihr den Arm, und indem er den Schwerenöter spielte und ihr verschiedene Modekomplimente zuflüsterte, geleitete er sie zum Ausgang.

Es brach gerade lauter Lärm aus, denn die angetrunkene Jugend hatte den Grafen Zubow hochgehoben und trug ihn unter Vivatrufen und rauschenden Musikfanfaren im Saal herum.

Zaremba blickte sich mit verächtlichem Bedauern um und verließ langsamen Schritts die Feststätte.


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