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InitialBei der Dominikbäuerin war es gar nicht mehr zum Aushalten. Jagna schlich wie besinnungslos im Hause herum, ohne etwas von Gottes Welt zu wissen. Jendschych machte seine Arbeit nur nachlässig und hielt sich immer länger bei den Schymeks auf, und in der Wirtschaft war ein solcher Niedergang und eine solche Vernachlässigung, daß oft selbst die Kühe ungemolken auf die Weide getrieben wurden, daß die Schweine vor Hunger schrien und die Pferde wiehernd die leeren Raufen benagten; denn die Alte konnte nicht alles selbst bewältigen, sie tastete sich, immer noch halb blind, mit dem Stock vorwärts; es war aber kein Wunder, daß sie vor Sorgen nicht wußte, wo ihr der Kopf stand.

Der Dünger, der für den Weizen bestimmt war, trocknete auf dem Feld aus, und es war keiner da, der ihn hätte umpflügen können; der Flachs schien darum zu bitten, daß man ihn ernten sollte; man hätte die Kartoffeln noch einmal jäten und behäufen müssen, es fehlte Holz zum Heizen, die Wirtschaftsgeräte verkamen, die Ernte war schon ganz nah, Arbeit wäre genug für zehn Hände gewesen, und dennoch ging alles nur so langsam vorwärts, als ob man nichts Besseres zu tun hätte als in der Nase zu bohren. Sie mietete eine Kätnerin hinzu und schaffte selbst so viel sie konnte mit, aber Jaguscha war wie taub auf alle Bitten und Beschwörungen; und als sie Jendschych Vorstellungen zu machen begann, knurrte er eine trotzige Drohung als Antwort zurück.

»Ich laß sonst alles liegen und geh' fort! Ihr habt den Schymek aus dem Haus gejagt, dann könnt ihr jetzt selber die Arbeit tun! Er hat auch keine Sehnsucht nach euch, sein Haus hat er, Geld und Frau und Kuh hat er, er ist sein eigener Herr!« So lehnte er sich mit einer bestimmten Absicht gegen sie auf, hielt sich aber dabei in angemessener Entfernung von ihr.

»Das ist schon wahr, daß dieser Räuber für alles Rat zu schaffen wußte!« seufzte sie schwer auf.

»Und ob, selbst die Nastuscha wundert sich, wie er mit allem fertig wird.«

»Man müßte einen ins Haus nehmen, einen Knecht verdingen ...« sann sie, laut vor sich hinredend.

Jendschych kratzte sich den Kopf und sagte unsicher:

»Hale, was soll man einen Fremden suchen, wenn der Schymek das tun könnte ... man müßte ihm nur ein Wort sagen ...«

»Du bist dumm ... steck deine Nase nicht in das, was dich nichts angeht!« brach sie los; sie begann sich schwer darüber zu grämen, daß sie auf diese oder auf andere Weise nachgeben und sich mit ihm vertragen mußte.

Am meisten grämte sie sich aber um Jaguscha; sie versuchte vergeblich, zu erfahren, was ihr fehlte, Jendschych wußte es auch nicht, und die Gevatterinnen wagte sie nicht danach zu fragen, zu viel hätten sie ihr da hinzugelogen. Ganze drei Tage nach dem Fortgang der Pilger nach Tschenstochau sann sie darüber nach, sich wie durch eine arge Finsternis von Vermutung zu Vermutung durchtastend, bis sie, schon ganz außer sich, einen großen Enterich unter den Arm nahm und nach dem Pfarrhof ging.

Sie kehrte am Abend finster wie ein Herbststurm, verweint und vor sich hin seufzend nach Haus zurück, sie redete mit niemand; erst als sie mit Jaguscha nach dem Abendessen allein in der Stube zurückgeblieben war, schloß sie die Tür und sagte:

»Weißt du denn, was man von dir und von Jascho erzählt?«

»Ich bin nicht begierig, ihren Klatsch zu hören,« entgegnete diese unwillig und erhob auf sie ihre fieberhaft glänzenden Augen.

»Ob du begierig bist oder nicht, das ist einerlei, aber eins müßtest du wissen, daß vor den Leuten nichts verborgen bleibt, und wer im stillen was tut, von dem wird laut geredet! Über dich reden die Leute Sachen, daß es gar nicht zu sagen ist.«

Sie erzählte ihr lang und breit, was sie vom Pfarrer und von dem Organisten gehört hatte.

»Noch in derselben Nacht haben sie über Jascho zu Gericht gesessen, der Organist hat ihn durchgeprügelt, und der Pfarrer noch seins mit dem Pfeifenstock dazugetan; und um ihn vor dir zu behüten, haben sie ihn nach Tschenstochau schicken müssen. Hörst du denn, was ich sage? Besinn' dich doch, was du angerichtet hast!« schrie sie Jaguscha streng an.

»Jesus Maria! Geschlagen haben sie ihn! Den Jascho geschlagen!« Sie sprang auf, als wollte sie ihm zu Hilfe eilen, aber sie zischte bloß durch die zusammengepreßten Zähne hervor:

»Daß ihnen die Hände verdorren! Daß sie die Pest kriegen.« Sie fing an zu weinen, aus den geröteten Augen ergossen sich bittere Tränen und flossen wie lebendiges Blut aus allen Wunden ihrer Seele.

Aber die Dominikbäuerin hielt ihr, ohne darauf zu achten, alle ihre Verfehlungen und Sünden vor und schlug auf sie mit bitterbösen Worten wie mit einem Stock ein; nichts ließ sie ihr durchgehen und brachte alles zur Rede, was sie schon seit langem schmerzte und was seit langem an ihr fraß.

»Das muß endlich ein Ende nehmen, verstehst du! Länger kannst du nicht so leben!« schrie sie immer leidenschaftlicher, obgleich brennende Tränen ihr unter dem Verband, der auf ihren Augen lag, hervorquollen. »Sollen sie dich denn für die Schlimmste halten, sollen sie auf dich mit den Fingern weisen! Solch eine Schande für meine alten Tage, solche Schande, mein Jesus!« stöhnte sie ganz verzweifelt.

»Ihr wart in eurer Jugend auch nicht besser!« gab ihr Jaguscha böse zurück.

Die Alte geriet in eine solche Wut, daß sie nur noch hervorstottern konnte:

»Wenn man selbst heilig wäre, würden einen die Leute nicht ungeschoren lassen!«

Sie traute sich nicht mehr, Jaguscha zu quälen. Diese aber ging daran, sich ein paar Halskrausen für den nächsten Tag zu plätten. Der Abend war windig, die Bäume rauschten; über den Himmel, der mit kleinen Wölklein bedeckt war, glitt der Mond, im Dorf hörte man irgendwo Mädchen singen, und eine Geige fiedelte eine tanzfrohe Weise.

Vor den Fenstern vernahm man die Stimme der vorübergehenden Schulzin:

»Gestern ist er nach dem Amt gefahren und ist wie weg ...«

»Er mußte mit dem Schreiber gestern abend noch nach dem Kreisamt hin. Der Schultheiß sagt, daß sie der Natschalnik dahin befohlen hat,« hörte man Mathias antworten.

Als sie vorübergegangen waren, ließ sich die Alte abermals, schon viel sanfter, vernehmen:

»Warum hast du denn den Mathias fortgejagt?«

»Weil er mir zuwider geworden ist, was hat er hier zu suchen! Ich brauch' keinen Mann!«

»Es wäre aber an der Zeit, daß du dich nach einem umsiehst. Gleich würden die Leute aufhören, über dich herzuziehen. Der Mathias ist außerdem einer, den man nicht so abtun sollte, ein geschickter und ein guter Mann ...«

Sie breitete sich lange über seine Tugenden aus und redete ihr zu, doch Jaguscha sagte nicht ein Wort darauf, ganz vertieft in ihre Arbeit und ihre Sorgen; so ließ die Alte sie denn in Ruhe und griff nach dem Rosenkranz. Draußen wurde es stiller, nur die Bäume rangen mit dem Wind, und die Mühle ratterte; es war tiefe Nacht geworden, der Mond versank ganz hinter Wolkenbergen, so daß nur hin und wieder ein paar Wolkenränder aufleuchteten, aus denen Garben von Licht sprühten.

»Du mußt morgen zur Beichte gehen, Jaguscha. Es wird dir gleich leichter werden, wenn du dich deiner Sünden entledigt hast.«

»Was soll ich da, ach nein!«

»Du willst nicht zur Beichte gehen?« Ihre Stimme klang heiser vor Grauen.

»Nein. Der Priester ist rasch mit der Strafe bei der Hand, aber wenn es darum zu tun ist, einem zu helfen, da kann man schön warten.«

»Still, daß dich der Herr Jesus nicht bestraft für solches sündiges Gerede. Ich sage dir, geh' du zur Beichte, tue Buße und bitte zu Gott, dann kann sich noch alles zum Guten wenden.«

»Hab' ich denn nicht genug Buße, wie? Was hab' ich denn verbrochen? Wofür denn? Das ist wohl die Belohnung für meine Liebe und für all meine Qual, daß mir schon das Schlimmste zugestoßen ist, das einem passieren kann!« klagte sie wehmütig.

Am nächsten Tag, Sonntags vor dem Hochamt, verbreitete sich die ganz unglaubliche Nachricht im Dorf, daß man den Schulzen wegen des Fehlens von Geld in der Gemeindekasse verhaftet hatte.

Man wollte zunächst dem gar nicht Glauben schenken, obgleich jeden Augenblick noch einer dazukam, um noch Schlimmeres beizugeben. Man nahm es sich noch nicht allzusehr zu Herzen.

»Diese Faulpelze, was die sich zum Spaß aussinnen und dann noch herumtragen! ...« sagten die Gesetzteren.

Man mußte aber doch bald daran glauben, als der Schmied aus der Stadt kam und alles bis aufs Wort bestätigte. Der Jankel aber sagte mittags zu der in der Schenke versammelten Menge:

»Alles stimmt! In der Kasse fehlen fünftausend Rubel; sie werden ihm seine ganze Wirtschaft fortnehmen, und wenn es nicht reicht, dann wird Lipce für ihn bezahlen müssen.«

Das brachte alle auf, so daß es für sie kein Halten mehr gab. Konnte es auch anders sein? Überall eine solche Not, daß es nur so aus dem letzten Loch pfeift, man hat kaum was in den Kochtopf zu stecken, manch einer hat sich schon ganz in Schulden gestürzt, um nur bis zur Erntezeit auszukommen, und da soll man noch für einen Dieb was zahlen! Das war wirklich zu viel für menschliche Geduld. Kein Wunder also, daß das ganze Dorf rasend vor Wut wurde; Flüche, Drohungen und Schimpfworte hagelten dicht herab.

»Daß du, Aas, wie'n Hund verreckst!«

»Ich hab mit ihm keine Gemeinschaft gehabt, da will ich auch für ihn nicht zahlen!«

»Ich auch nicht! Der hat sich amüsiert, hat das Leben genossen und wir sollen für fremde Schuld leiden!« redeten sie und waren dabei so besorgt, daß manch einen schon die Lust zum Weinen ankam.

»Ich hab' ihn schon lange in Verdacht gehabt und gesagt, wozu es kommen würde; ich hab es euch genug vorgestellt, ihr wolltet mich nicht hören; da habt ihr es denn!« redete der alte Ploschka mit einer bestimmten Absicht, und die Frau half mit und erzählte jedem, der es nur hören wollte:

»Wißt ihr, der Antek hat es schon herausgerechnet, daß wir, um dem Herrn Schulzen beizuspringen, drei Rubel vom Morgen zahlen werden, aber für einen solchen Freund tun einem selbst zehne nicht leid.«

Diese Nachrichten hatten die Menschen dermaßen bedrückt, daß nur wenige in die Kirche gegangen waren; sie klagten sich gemeinsam ihr Leid; in den Heckenwegen, vor den Häusern und besonders am Weiher standen die Menschen und zerbrachen sich vergeblich die Köpfe, wo der Schulze das Geld hingetan haben könnte.

»Man muß ihn bestohlen haben, es ist doch gar nicht möglich, daß er allein so viel Geld durchgebracht hätte.«

»Er hat dem Schreiber zu sehr getraut, und man weiß es ja, was das für eine Pflanze ist.«

»Schade um den Menschen; uns hat er ja unrecht getan, aber sich selbst das schlimmste!« redeten ein paar Besonnenere. Darauf zwängte sich aber die dickbäuchige Ploschkabäuerin durch die Menge und begann sich die trockenen Augen zu reiben und wie bedauernd zu klagen:

»Mir tut die Schulzin am meisten leid! Die arme Frau war wie eine Herrin, trug die Nase hoch, und was nun? Man wird ihr das Haus wegnehmen, den Grund und Boden verkaufen, sie wird auf Miete wohnen gehen müssen, die Arme, auf Taglohn. Und wenn sie doch mindestens davon was gehabt hätte! ...«

»Hat sie denn vielleicht nicht genug Gutes gehabt!« schrie die Kosiol, ihr auf ihre Art beipflichtend. »Sie haben gelebt wie die Herren, jeden Tag haben sie Fleisch gegessen! Die Schulzin hat einen halben Topf Zucker sich in den Kaffee getan, und reinen Arrak haben sie mit Gläsern getrunken. Ich hab' es ja gesehen, wie er aus der Stadt ganze Korbwagen voll allerhand Leckereien brachte. Und wovon haben sie denn sonst ihre dicken Bäuche gekriegt, doch nicht vom Fasten!«

Sie hörten ruhig zu, obgleich sie zuletzt schon unmögliches Zeug sich zusammenredete, aber erst die Organistin überzeugte alle; sie war wie zufällig im Dorf erschienen, und nachdem sie hier und da gehorcht hatte, was geredet wurde, sagte sie ganz nebenbei:

»Wieso denn, wißt ihr nicht, wozu der Schulze das viele Geld verbraucht hat?«

Man umdrängte sie, frug sie aus und nötigte sie zu antworten.

»Für die Jaguscha hat er es vertan, das weiß man ja!«

Das hatte man nicht erwartet, und alle sahen sich staunend an.

»Das ganze Kirchspiel spricht doch schon darüber seit dem Frühjahr! Ich brauch' es euch nicht erst vorzuerzählen, fragt aber mal einen aus Modlica, der wird euch schon genug die ganze Wahrheit sagen.«

Sie ging fort, als wollte sie nichts verraten; aber die Weiber ließen nicht locker, sie hielten sie irgendwo am Zaun fest und baten so dringend, daß sie ihnen, so tuend als ob sie ein Geheimnis verrate, anzuvertrauen begann, was für Ringe aus reinem Gold der Schulze der Jaguscha mitgebracht hätte, was für seidene Tücher, feines Linnen, Korallen und wieviel bar Geld er ihr gegeben hatte. Natürlich log sie, daß es nur so seine Art hatte, aber nur die einzige, Gusche, entgegnete darauf ärgerlich:

»Papperlapapp! Hat denn die Frau Organistin das alles gesehen?«

»Ich hab' es gesehen, und ich kann es selbst in der Kirche beschwören, daß er das Geld für sie gestohlen hat, vielleicht hat sie ihn selbst dazu beredet. Hoho! die ist zu allem bereit, für die gibt's nichts Heiliges, ganz ohne Scham und Gewissen ist sie! Gerade wie eine läufige Hündin rennt sie im Dorf herum und bringt nur Ärgernis und Unglück unter die Menschen! Selbst meinen Jascho wollte sie verführen, solch einen unschuldigen Jungen wie dieser, das reine Kind noch, da ist er ihr denn weggelaufen und hat mir alles erzählt! Ist denn das nicht fürchterlich, selbst den Priester läßt sie nicht in Ruhe!« Sie redete rasch, vor Gift nach Atem schnappend.

Als wäre ein Funken in ein Pulverfaß gefallen, so brach plötzlich all der alte Ärger gegen Jaguscha los, all der Neid, Zorn und Haß wagte sich hervor; sie begannen alles hervorzuholen, was eine jede gegen sie auf dem Herzen hatte; ein unbeschreibliches Geschrei entstand. Sie überschrien sich schon vor leidenschaftlicher Erregung.

»Daß die heilige Erde ein solches Frauenzimmer noch tragen muß!«

»Und durch wen ist denn Matheus Boryna gestorben? Besinnt euch nur!«

»Das ganze Dorf wird wegen solch einer Pestigen zu büßen haben.«

»Selbst den Priester wollte sie zur Sünde verleiten! Gott sei uns gnädig!«

»Und diese Säufereien, dieses Gezänk, diese Gotteslästerung, die nur durch sie schon gewesen sind!«

»Die reine Verderbnis des ganzen Dorfes ist die! Durch sie weist man schon mit Fingern auf Lipce!«

»Die schlimme Seuche ist noch besser, als so eine.«

»Solange diese im Dorf bleibt, werden wir die Sünde, die Buhlerei und all das Böse nicht los; heut' hat der Schulze für sie gestohlen, und morgen tut ein anderer dasselbe!«

»Die müßte man zu Tode prügeln und das Aas den Hunden zum Fraß hinwerfen.«

»Jagt sie aus dem Dorf fort, weg damit, wie mit einer Pest!«

»Fortjagen! fortjagen! Das ist das Rechte!« fingen sie an, ganz aufgebracht durcheinander zu schreien; und schon zu allem bereit, begaben sie sich auf Zuraten der Organistin nach der Frau des Schulzen.

Sie trat mit einem vom Weinen ganz verschwollenen Gesicht zu ihnen heraus und sah so unglückselig, bemitleidenswert und kläglich aus, daß sie sie von Herzen beklagend zu umarmen anfingen und über ihr schweres Los weinten.

Erst nach einer Weile brachte die Organistin die Rede auf Jaguscha.

»Die reine Wahrheit ist das! Sie ist an allem schuld, sie allein!« Sie begann verzweifelt zu schluchzen. »Diese Hundeschlampe, dieses verdammte Frauenzimmer, daß sie am Zaun verreckt für all mein Unglück! Daß sie die Würmer zernagen für meine Schande!« Sie ließ sich auf eine Bank fallen und schluchzte und krümmte sich vor unsagbarer Qual.

Schließlich hatten sich die Weiber satt geweint und satt geklagt und gingen auseinander, denn die Sonne war schon nahe vor dem Untergang; nur die Organistin blieb noch zurück. Die beiden kamen, nachdem sie sich heimlich eingeschlossen hatten, bald zu einem wichtigen Entschluß, denn noch vor dem Eintritt der Dunkelheit rannten sie ins Dorf, von Haus zu Haus eilend, und begannen etwas Stilles und Heimliches zu spinnen.

Die Ploschkas schlossen sich ihnen an und nötigten noch andere dazu; endlich gingen sie gemeinsam zum Pfarrer. Er hörte sie an, breitete ratlos die Hände auseinander und rief:

»Ich misch' mich in nichts, macht was ihr wollt, ich will von nichts wissen, und morgen früh fahre ich nach Zarnowo.«

Der Abend wurde recht bewegt, man beratschlagte, zankte sich und flüsterte geheimnisvoll miteinander; und als es völlig Nacht geworden war, begannen alle, nachdem sie sich in der Schenke eingefunden hatten, wo sie durch die Organistenleute bewirtet wurden, sich zu besprechen und gemeinsam etwas zu beraten. Die ersten Hofbauern und fast alle verheirateten Frauen waren zusammengekommen und verhandelten schon ziemlich lange, als die Ploschkabäuerin ausrief:

»Und wo ist denn der Antek Boryna? Das ganze Dorf hat sich versammelt; er ist doch aber der erste Hofbauer in Lipce, man kann ohne ihn nichts beschließen, das wird doch sonst nicht zu Recht bestehen.«

»Das ist wahr, man soll ihn holen! Er muß kommen! Ohne ihn kann man das nicht machen!« schrien sie.

»Und wenn er sie verteidigen wird, wer kann darüber was wissen?« murmelten einige Frauen.

»Er sollte wagen, sich dem ganzen Dorf zu widersetzen! Wenn schon, dann müssen es auch alle sein!«

Der Schultheiß rannte hin, ihn zu holen, mußte ihn aber aus dem Bett herausklopfen, denn er war schon schlafen gegangen.

»Ihr müßt kommen und eure Meinung sagen! Und kommt ihr nicht, dann werden die Leute sagen, daß ihr sie beschützt und gegen die Gemeinde geht. Die Weiber werden euch dann eure alten Sünden nicht durchgehen lassen. Kommt, es muß einmal damit ein Ende haben!«

Antek ging, obgleich schweren Herzens, mit, denn er mußte ja gehen.

Die Schenke war gedrängt voll, so daß man kaum noch die Hand dazwischen zwängen konnte; sie murmelten alle leise durcheinander, denn der Organist war gerade auf die Bank geklettert und redete, als wollte er eine Predigt halten.

»... Und ein anderes Mittel gibt es nicht! Das Dorf ist gerade wie ein Haus. Laßt einen Dieb mal die Mauerschwellen wegnehmen und einen anderen auf die Balken Lust bekommen oder den dritten sich ein Stück Wand wegholen, da fällt dann zuletzt das ganze Haus zusammen und drückt alle tot, die drin sind! Überlegt es euch gut! Laßt jeden mal stehlen, die Menschen anfallen, betrügen, Zügellosigkeiten begehen, was wird da aus dem ganzen Dorf? Ich sag' es euch, das wird kein Dorf mehr sein, nur ein höllischer Schweinestall und eine Schande für die ehrliche Menschheit. Man wird einen weiten Bogen um solch ein Dorf machen und sich bekreuzigen, wenn sein Name genannt wird. Aber das sag' ich euch, früher oder später kommt die Strafe über solch ein Dorf, wie sie über Sodom und Gomorra gekommen ist, und alle werden elend zugrunde gehen, denn alle tragen die Schuld/die, die sündigen und die, die erlauben, daß Böses sich ausbreitet! Die Heilige Schrift lehrt uns: Wenn dich deine Hand ärgert, dann hacke sie ab, und wenn du an deinem Auge Ärgernis genommen hast, dann reiß es heraus und wirf es vor die Hunde! Die Jaguscha, das sag' ich euch hier, ist schlimmer wie eine böse Seuche, denn sie verbreitet Ärgernis, sündigt gegen alle Gebote und zieht Gottes Zorn und seine furchtbare Rache aufs Dorf herab. Jagt sie zum Dorf hinaus, solange es noch Zeit ist. Das Maß ihrer Sünden ist schon voll, und die Zeit der Strafe ist gekommen!« Er brüllte wie ein Stier, und die Augen quollen ihm weit aus dem geröteten Gesicht hervor.

»Versteht sich, es ist Zeit! Das Volk hat die Macht zu strafen und zu belohnen! Zum Dorf hinaus mit ihr! Fortjagen!« schrien sie immer lauter.

Darauf sprach noch Gschela, der Bruder des Schulzen, der alte Ploschka und der Gulbas schrien wütend ihren Teil; aber es waren nur wenige, die noch zuhörten, alle redeten schon laut durcheinander. Die Organistin erzählte in einem zu, wie das mit Jascho gewesen war, die Schulzin breitete vor jedem ihr Leid aus, und auch die anderen Weiber ließen ihren Zungen freien Lauf, daß rings ein Lärm wie auf einem Marktplatz war. Nur der Antek sagte nichts, er stand finster wie die Nacht an der Tonbank, biß die Zähne zusammen und war vor Qual ganz blaß geworden. Es kamen über ihn Augenblicke, daß er Lust hatte, eine Bank zu ergreifen und mit ihr auf diese schreienden Mäuler einzuhauen und mit den Absätzen dieses Volk wie ekliges Gewürm zu zertreten; alles war ihm so zuwider, daß er Glas nach Glas hinunter stürzte, immer wieder ausspie und leise vor sich hinfluchte.

Der alte Ploschka trat auf ihn zu und sagte laut, daß man es in der ganzen Schenkstube hören konnte:

»Alle haben sich schon auf eins geeinigt, daß man die Jaguscha aus dem Dorf jagen soll. Sag auch du deine Meinung, Antony!«

Es wurde plötzlich ganz still in der Schenke, alle Augen hefteten sich auf Antek, und alle waren fast sicher, daß er sich widersetzen würde, er aber atmete tief auf, reckte sich und sagte laut:

»Ich leb' in der Gemeinde, so will ich auch zu der Gemeinde halten! Wollt ihr sie fortjagen, dann jagt sie fort, und wollt ihr sie auf den Altar setzen, dann könnt ihr es auch tun! Mir ist beides gleich.«

Er schob die ihm im Wege Stehenden beiseite und ging hinaus, ohne einen anzusehen.

Lange nachdem er fortgegangen war, berieten sie sich noch und gingen erst auseinander, als schon der Tag graute. Und als der Morgen hereingebrochen war, wußten schon alle, daß man beschlossen hatte, Jaguscha aus dem Dorf zu jagen.

Wenige nur hatten versucht, sie zu verteidigen, denn jeder, der zu ihr hielt, wurde sofort überschrien; nur Mathias war nicht bange, fluchte allen ins Gesicht, drohte dem ganzen Dorf und rannte schließlich, bis zum äußersten aufgebracht, zu Antek hin, um sich dort Hilfe zu holen.

»Weißt du das schon von der Jaguscha?« Er war leichenblaß und bebte am ganzen Körper.

»Ich weiß, sie haben das Recht!« entgegnete jener kurz und fuhr fort, sich ruhig am Brunnen zu waschen.

»Daß sie die Kränke holt mit einem solchen Recht! Das ist die Arbeit des Organisten und seiner Frau! Sollen wir es denn zulassen, daß eine solche Ungerechtigkeit geschieht? Was hat sie denn jemand zuleid getan! Und das, weswegen man sie beschuldigt, das ist alles Lügenkram! Jesus, daß man das Recht haben sollte, einen Menschen wie einen tollen Hund zu hetzen! Das ist doch nicht möglich, daß so etwas geschehen kann!«

»Wirst du dich denn der ganzen Gemeinde widersetzen?«

»Du redest, als hieltest du zu ihnen!« knurrte er ihn vorwurfsvoll und herausfordernd an.

»Ich halt' zu niemandem, aber sie geht mich gerade so viel an wie dieser Stein da.«

»Hilf doch, Antek, gib einen guten Rat. Um Gottes willen, mir wird es schon ganz wirr im Kopf! Bedenk' doch, was soll sie anfangen und wo sich hintun? Dieses Hundepack, diese Mörder und Wölfe! Ich nehm' noch ein Beil und schlage sie alle nieder, das laß ich nicht zu.«

»Ich kann dir nicht helfen; sie haben es beschlossen! Was hat da ein einzelner dagegen zu bedeuten? Gar nichts!«

»Du hast einen Groll gegen sie!« schrie Mathias plötzlich auf.

»Ob ich einen Groll habe oder nicht, das geht keinen was an!« sagte er streng, und gegen den Brunnen gelehnt, versann er sich, in die Weite schauend. Sein verborgenes und noch immer lebendiges Lieben und all seine qualvollen Eifersüchte ballten sich in ihm zu einem einzigen Schmerzensknäuel zusammen; es war in seiner Seele ein Stöhnen und Beben, als wäre er ein Baum, den ein Sturm hin und her rüttelt.

Er sah sich um, Mathias war nicht mehr da; das Dorf kam ihm seltsam fremd, verhaßt und geräuschvoll vor.

Auch das Wetter war sonderbar an diesem Tag. Die Sonne kam blaß über den Himmel gekrochen und sah wie verschwollen aus; es war schwül und furchtbar heiß. Der Himmel, auf dem sich häßliche Wolken drängten, hing tief herab, der Wind setzte immer wieder an und fegte über die Wege, so daß der Staub aufflog; ein Gewitter drohte heraufzukommen, und irgendwo hinter den Wäldern blitzte es schon.

Im Volk begann es sich auch schon, wie vor dem Sturm zu regen. Die Leute rannten wie besessen im Dorf herum, überall hörte man lautes Gezänk, am Weiher prügelten sich ein paar Weiber, die Hunde heulten klagend, und fast kein Mensch war ins Feld gezogen. Das Vieh, das man nicht auf die Weide getrieben hatte, brüllte in den Ställen, und selbst die Messe wurde nicht abgehalten, denn der Pfarrer war mit Tagesanbruch davongefahren. Immer größer wurde die Unordnung im Dorf, und die Unruhe wuchs von Minute zu Minute.

Als Antek sah, daß in dem nach dem Organistenhaus führenden Heckenweg sich immer mehr Volk anzusammeln begann, nahm er seine Sense über die Schulter und begab sich auf sein am Walde gelegenes Feld.

Der Wind wurde ihm immer lästiger, verwirrte die Getreidehalme und blies ihm Sand in die Augen; er aber hielt sich an seine Arbeit und mähte drauflos, ruhig auf das ferne Stimmengewirr hinhorchend.

»Vielleicht ist es schon so weit!« fuhr es ihm durch den Kopf. Sein Herz fing an wie mit Hammerschlägen gegen die Brust zu hämmern, der Zorn kam über ihn, er reckte sich gerade; schon wollte er die Sense hinwerfen, um der dort zu Hilfe zu eilen, aber er besann sich noch im rechten Augenklick.

»Wer schuldig ist, soll auch die Strafe haben! Laß man, laß man.«

Der Roggen beugte sich raschelnd ihm zu Füßen und brandete an ihn heran wie wogende Fluten, der Wind zauste sein Haar und kühlte sein zerquältes Gesicht, das sich über und über mit Schweiß bedeckt hatte; seine Augen sahen fast gar nicht mehr, was rings geschah, er war mit allen Sinnen bei der Jaguscha, und nur die harten, arbeitgewohnten Hände führten wie von selbst die Sense, Schwade auf Schwade niederstreckend.

Der Wind trug ihm plötzlich vom Dorf her einen langgedehnten Schrei zu.

Er warf die Sense von sich und setzte sich im Schutz des noch stehenden Roggens nieder; er saß da, als hätte er sich an die Erde geklammert, als hätte er sie mit einem eisernen Griff mit ganzer Macht gepackt; er ließ sich nicht verleiten, ließ sich nicht vorn Gefühl übermannen, obgleich seine Augen über das Dorf wie aufgescheuchte Vögel flogen, obgleich sein Herz vor Angst sich krümmte und obgleich er vor Besorgnis zitterte und bebte.

»Alles muß seinen Weg gehen, alles! Man muß pflügen, um säen zu können, man muß säen, um zu ernten, und was einen dabei stört, muß man ausjäten wie böses Unkraut,« sprach in seinem Innern eine strenge, uralte Stimme, die wie die Stimme dieses Bodens und dieser menschlichen Siedelungen war.

Er lehnte sich noch auf, aber er hörte schon immer demütiger darauf.

»Jawohl, ein jeder hat das Recht, sich vor Wölfen zu schützen, ein jeder!«

Es überkam ihn noch ein letztes Leid, und Gedanken wie böse Winde umhüllten ihn mit einem düsteren Nebel und schienen ihn heimlich antreiben zu wollen.

Er sprang auf, dengelte die Sense, bekreuzigte sich, spuckte in die Handflächen und machte sich an die Arbeit, Schwade nach Schwade mit solcher Wut niedermähend, daß die flache Schneide der Sense durch die Luft schwirrte und ein Roggenstreif nach dem andern knirschend vor ihm niedersank.

Inzwischen war im Dorf die furchtbare Zeit des Gerichts und der Strafe gekommen; es war gar nicht zu sagen, was da vor sich ging! Ein böser Rausch hatte Lipce ergriffen, die Leute wurden ganz toll; alle, die nur etwas besonnener waren, versperrten die Türen oder flohen ins Feld. Der Rest aber versammelte sich am Weiher in einem Haufen, und ganz trunken vor Wut, stachelten sie sich mit trübem Geschrei zu immer hitzigerem Vorgehen an, daß schon jeder bereit war, sogleich hinzurennen; jeder fluchte, jeder tobte, jeder machte Lärm, es hörte sich rein an, als ob ein ferner Donner grollte.

In einem Nu setzte sich das ganze Dorf in der Richtung des Hauses der Dominikbäuerin in Bewegung, wie ein aus seinen Ufern tretender rauschender Bach; an der Spitze gingen die Organistin und die Schulzin, und ihnen nach drängte mit wüstem Geschrei der ganze wütende Haufen.

Sie drangen ins Haus wie ein Gewitter, und bald erzitterten die Wände von dem wilden Getöse. Die Dominikbäuerin vertrat ihnen den Weg, aber sie wurde bald umgerissen und geriet unter die Füße der Menge. Jendschych sprang hinzu, um ihr beizustehen, aber in einem Nu hatten sie mit ihm dasselbe getan, und schließlich wollte noch Mathias ihnen den Eintritt zu Jagnas Kammer wehren; doch obgleich er mit einem derben Knüttel um sich schlug und sich mit verzweifelter Kraft verteidigte, lag er, kaum daß ein Ave vergangen war, mit einer klaffenden Kopfwunde bewußtlos in der Stubenecke.

Jaguscha hatte sich im Alkoven verschlossen und stand, als sie die Tür eingebrochen hatten, an die Wand gelehnt da; sie verteidigte sich nicht und gab nicht einmal einen Laut von sich; sie war leichenblaß, und in ihren weitgeöffneten Augen flackerte die Flamme des Grauens und tödliche Angst.

Hundert Hände streckten sich nach ihr aus, hundert Hände griffen von allen Seiten mit gierigen Krallen nach ihr, rissen sie heraus wie einen flach verwurzelten Strauch und schleppten sie in den Heckenweg hinaus.

»Bindet sie, sonst entreißt sie sich und läuft davon!« befahl die Schulzin.

Auf der Dorfstraße stand ein Wagen bereit, der mit Schweinedung bis hoch zu den Einschnitten der Seitenbretter gefüllt und mit zwei schwarzen Kühen bespannt war; sie warfen sie, gefesselt wie ein Stück Vieh, mitten auf den Mist, und der Zug setzte sich unter höllischem Lärm in Bewegung. Höhnische Zurufe, Lachen und Fluchen hagelten auf sie ein. Vor der Kirche blieb der ganze Haufen stehen.

»Man muß ihr die Kleider vom Leib reißen und sie vor der Kirchenhalle mit Ruten peitschen!« schrie die Kosiol.

»Immer hat man es mit solchen so getan, bis zum ersten Blut! Her mit ihr!« schrien andere Weiberstimmen.

Zum Glück war das Kirchhofstor verschlossen, und an der Pforte stand Ambrosius mit der Flinte des Pfarrers in der Hand und brüllte los, als sie vor dem Tor anhielten.

»Wenn einer nur wagt, auf kirchlichen Grund zu treten, den schieß ich nieder, so wahr Gott im Himmel ist! Wie einen Hund mach' ich ihn tot,« drohte er und sah dabei so furchtbar aus, während er das Gewehr in Bereitschaft hielt, als wollte er gleich losdrücken, daß sie ihr Vorhaben änderten und sich der Pappelallee zuwandten.

Sie begannen ihre Schritte zu beschleunigen, denn das drohende Gewitter konnte jeden Augenblick zum Ausbruch kommen; der Himmel verdüsterte sich immer mehr, ein Wind fuhr in die Kronen der Pappeln, so daß sie sich tief neigten und der Staub in Wolken aufwirbelte, ihre Blicke trübend; der Donner grollte schon ganz aus der Nähe.

»Vorwärts, Pjetrek, vorwärts!« trieben sie den Knecht an und sahen unruhig auf den Himmel; sie waren eigentümlich schweigsam geworden und gingen in einem ungeordneten Haufen zu beiden Seiten des Weges, denn in der Mitte war mächtig viel Sand, und nur ab und zu stürzte eine der Verbissensten auf den Wagen zu und erleichterte sich von ihrer Wut durch ein wütendes Geschrei.

»Du Schwein, du Schlampe! Soldatendirne sollst du werden, du pestiges Frauenzimmer!«

»Du hast dir was zugute getan, jetzt kannst du deine Schande fressen; probier mal, was Kummer heißt!« schrien sie auf sie ein.

Pjetrek, der Borynaknecht, der den Wagen führte, denn kein anderer wollte es übernehmen, ging daneben und peitschte auf die Kühe ein; als er aber den geeigneten Augenblick erspäht hatte, flüsterte er ihr mitleidig zu:

»Lange dauert es nicht mehr ... die verfluchten Unrechttuer ... Ihr müßt nur noch ein bißchen aushalten ...«

Jaguscha aber lag mit Stricken gebunden mitten auf dem Mist, zerschunden und wund, die Kleider in Fetzen, gebrandmarkt für alle Zeiten, über menschliches Begreifen geschändet und maßlos unglücklich; sie lag still da, als hörte und fühlte sie nichts, und die Tränen liefen ihr in einem unstillbaren Strom über die blutunterlaufenen Wangen, und ihre Brust hob sich ab und zu, als wollte sie immer wieder den langerstarrten Verzweiflungsschrei ausstoßen.

»Lauf zu, Pjetrek! lauf zu!« schrien sie immer wieder auf ihn ein, denn die Ungeduld hatte sie gepackt, und etwas wie ein Besinnen begann in ihnen zu dämmern; fast schon laufend erreichten sie endlich die Dorfgemarkung nah am Wald.

Man schob die Wagenbretter hoch und schmiß sie mit dem Mist zusammen wie etwas Ekliges vom Wagen herunter, so daß ihr Körper laut auf der Erde aufschlug. Sie fiel auf den Rücken und blieb reglos liegen.

Die Schulzin stürzte auf sie zu, gab ihr einen Fußtritt und schrie:

»Und kehrst du ins Dorf zurück, dann werden wir dich mit Hunden zu Tode hetzen!« Sie hob etwas vom Boden, wie einen Erdklumpen oder Stein auf und schleuderte es mit ganzer Macht nach ihr hin. »Das hast du für das Unrecht, das du meinen Kindern angetan hast!«

»Und das für die Schande, die du über das Dorf gebracht hast!« rief eine andere und schlug auf sie ein.

»Daß du gleich verreckst!«

»Daß dich die heilige Erde ausspeien möchte!«

»Daß du vor Hunger und Durst krepieren möchtest!«

Böse Worte, Erdklumpen und Steine und geschleuderter Sand schlugen auf sie ein, aber sie lag wie ein Holzklotz da und starrte in die ihr zu Häupten wogenden Baumkronen.

Es verfinsterte sich plötzlich ganz; ein dicker, üppiger Regen setzte ein.

Pjetrek machte sich ziemlich lange noch am Wagen zu schaffen, so daß sie, ohne auf ihn zu warten, in Haufen und seltsam still geworden heimzukehren begannen. Mitten auf der Landstraße begegneten sie der Dominikbäuerin; sie kam ganz blutbesudelt und zerzaust des Wegs daher, wimmerte vor sich hin, und suchte tastend den Weg, den sie gegangen waren. Als sie merkte, wer ihr entgegenkam, schrie sie gellend und grausig auf:

»Daß euch die Pest! daß euch die böse Seuche! daß euch Feuer und Wasser ankommt!«

Ein jeder duckte sich nur unter diesen Worten und drückte sich erschrocken beiseite.

Sie aber lief mit hastigen Schritten weiter, um Jaguscha zu Hilfe zu kommen.

— — — — —

Das Gewitter brach los, der Himmel wurde blaugrau wie eine Leber, der Staub wirbelte in gewaltigen Säulen auf, die Pappeln beugten sich unter einem Ächzen, das wie ein Schluchzen klang, zu Boden, die Winde heulten auf und fuhren immer wütender auf das nach allen Seiten hin auseinanderweichende Getreide los. Sie heulten wie wilde Stiere und stürzten sich über die Wälder, deren Bäume, dicht zusammengedrängt, ängstlich aufwogend und laut aufrauschend dastanden.

Donnerschlag folgte auf Donnerschlag und rollte mit lautem Getöse über die Welt dahin, so daß die Erde bebte und die Häuser zitterten.

Die ineinander verwühlten kupfrigblauen Wolken senkten ihre wie aufgequollenen dicken Bäuche tief herab, und immer wieder zerplatzte eine, und ein Blitz zuckte hervor, und jäh ergoß sich eine Flut blendenden Lichts.

Hin und wieder ging etwas Hagel nieder und prasselte gegen die Blätter und Zweige.

Und im bläulichen Dämmer des stäubenden Regens und des Hagelwetters schwankten die Bäume, die Sträucher und die Getreidehalme hin und her, als wollten sie sich losreißen und flüchten; doch vom Sturm gepeitscht, geblendet durch die Blitze, wie wild geworden durch das Getöse, drehten sie sich hin und her und wankten unter wildem Pfeifen, und irgendwo von oben her, durch die Wolken, durch die Dunkelheit und durch das Toben der Elemente kamen bläuliche Blitze vorübergeflogen, wie Schwärme von Feuerschlangen. Sie flogen vorüber, als hätten sie sich von irgendwo losgerissen und wurden nun Gott weiß wohin geschleudert. Sie blitzten auf und verloschen, blendeten alles ringsum und waren doch blind und stumm wie das Menschenschicksal. Das dauerte so mit Unterbrechung bis zum Abend; erst als es zu dämmern begann, legte sich das Gewitter, und die Nacht wurde still, stockdunkel und kühl.

Am nächsten Morgen stand ein herrlicher Tag auf, der Himmel war ganz wolkenlos und blaute so rein, als wäre er abgewaschen, die Erde glitzerte im Tau, die Vögel sangen freudig, und jegliche Kreatur badete mit Wohlgefallen in der erquickenden, duftenden Luft.

In Lipce war wieder alles zum alten zurückgekehrt; als aber die Sonne hoch gestiegen war, begannen alle wie auf Verabredung zum Ernten hinauszuziehen. Von jedem Gehöft kam ein Haufen Menschen gegangen, vor jedem Haus blitzten Sensen und Sicheln, aus jedem Eingangstor kamen die Wagen herausgerollt und wandten sich nach den Feldwegen und Feldrainen hin.

Und als die Betglocke der Kirche sich hell vernehmen ließ, stand schon jeder auf seinem Acker bereit und kniete beim Klang des Geläuts nieder. Die auf näher gelegenen Feldern Arbeitenden konnten selbst den Orgelklang hören; manch einer verbeugte sich tief, manch eine betete laut, und ein anderer seufzte nur fromm auf, neue Kräfte und neuen Arbeitsmut schöpfend, und jeder bekreuzigte sich, spuckte sich in die Hände, stemmte die Beine stark gegen den Boden, beugte den Rücken und griff mit der Sense oder mit der Sichel aus, um mit der Ernte zu beginnen.

Eine große feierliche Stille erfüllte die Erntefelder; es war als hätte das heilige Hochamt der mühevollen, ununterbrochenen und fruchtbringenden Arbeit begonnen.

Die Sonne stieg immer höher, die Hitze wurde von Stunde zu Stunde größer, heiße Glut überflutete die Felder und der Erntetag rollte wie Weizengold dahin und ließ wie golden seinen schweren, reifen Ertrag klingen.

Das Dorf war leer und wie ausgestorben zurückgeblieben, die Häuser hatte man verschlossen, denn alles was leibte und lebte, was nur die Beine rühren konnte, war zur Ernte ins Feld gezogen, selbst die Kinder, selbst die Alten und Kranken. Hier und da rissen sich selbst die Hunde von ihren Ketten los, ließen die leeren Behausungen zurück und folgten den Erntearbeitern.

Und auf allen Feldern, soweit nur der Blick reichen konnte, sah man in der furchtbaren Sonnenglut, zwischen Wänden goldigen Getreides, in der flimmernden, bebenden Luft von Morgengrauen bis zum Abend die Sicheln und Sensen blitzen, die weißen Hemden leuchten und die Beiderwandröcke rot aufglühen. Das Volk war unermüdlich tätig, die Arbeit wurde ganz still verrichtet, niemand faulenzte mehr, niemand sah sich nach dem Nachbar um, alle dachten nur an das eine, und jeder schaffte gebückt im Schweiße seines Angesichts sein Tagewerk.

Nur die Felder der Dominikbäuerin lagen verlassen und wie vergessen da; das Korn fiel schon aus den Ähren, die Halme beugten sich matt im Sonnenbrand, und keine Menschenseele war zu sehen/scheu wandte man von ihnen die Augen ab; manch einer seufzte schon, manch einer kratzte sich besorgt bei ihrem Anblick den Kopf, sah sich entsetzt nach den anderen um und ging dann noch eifriger an seine Arbeit, denn es war nicht die Zeit, jetzt über diesen Verlust und Verfall zu sinnen.

Die Erntetage rollten wie Räder mit blitzenden, goldenen Sonnenspeichen vorüber und vergingen nacheinander immer rascher und waren alle an Mühen reich und voll schweren freudigen Schaffens.

Und bald, kaum nach einigen Tagen, da das Wetter wie ausgesucht und andauernd war, ging man daran, das gemähte Getreide in dicke Garben zu binden, es auf den Ackerbeeten in Diemen aufzustellen und allmählich einzufahren.

Ohne Unterlaß rollten schon die schwerbeladenen, struppigen Erntewagen; sie kamen von allen Feldern angefahren, über alle Feldwege sah man sie heranschwanken und nach den sperrangelweit offen stehenden Scheunen streben. Es war als hätten Fluten rinnenden Goldes sich über die Wege ergossen, als hätten sie die Wirtschaftshöfe und Tennen überflutet, als brandeten sie bis an den Weiher heran; selbst an den Bäumen am Weg hingen goldige Strohbärte, und die ganze Welt duftete nach welkendem Stroh, grünem Gras und nach jungem Korn.

Hier und da hörte man schon das Klopfen der Dreschflegel, die eiligst Korn für Brot droschen; und auf den sich immer weiter ausdehnenden Stoppelfeldern suchten die Gänseherden nach verlorenen Ähren, weideten ganze Haufen von Schafen und Kühen und rauchten hier und da die ersten Feldfeuer. Ganze Tage lang klang Mädchengesang, frohes Juchzen und von fernher immer wieder Wagengeroll über den Feldern, und die sonnverbrannten Gesichter der Schnitter leuchteten überall.

Und sie hatten noch nicht all den Roggen niedergemäht, als schon der Hafer auf den Hügeln nach der Sense verlangte, die Gerste reifte auch schon zusehends, und der rostrote Weizen wurde immer goldiger. Es war keine Zeit aufzuatmen oder auch nur in Ruhe zu essen, aber trotz der schweren Mühe und Ermüdung, infolge der manch einer abends über seiner Schüssel einschlief, war Lipce voll freudigen Lärms, voll Lachens, voll heller Stimmen, voll Singen und Musik.

Die böse Vorerntezeit war nun vorüber, die Scheunen waren voll, das Getreide gab reichlichen Ertrag, und jeder, selbst der Ärmste, hob trotzig seinen Kopf hoch und sah vertrauensvoll in die Zukunft, von langersehntem Glück träumend.

An einem von diesen goldenen Tagen, als man schon beim Einfahren der Gerste war, sah man den von seinem Hund geführten Bettler durchs Dorf wandern; trotz der Hitze trat er nirgends ein, denn er hatte es eilig, nach der Waldmeierei zu kommen. Es war ihm schwer, seinen dicken Wanst und seine verkrüppelten Beine vorwärts zu tragen; so schob er sich denn langsam weiter, schnüffelte mit seiner großen Nase in der Luft herum, spitzte die Ohren und gab Gott zum Gruß, wenn er bei den Erntearbeitern vorbeikam. Er traktierte hier und da mal einen mit seinem Schnupftabak und begann Gebete vor sich hinzumurmeln, wenn ihm unversehens eine Münze in den Schoß fiel, gleichzeitig versuchte er aber geschickt die Rede auf die Jaguscha und verschiedene Neuigkeiten zu bringen.

Doch er konnte nicht viel herauskriegen, denn man gab ihm nur ungern Bescheid.

Erst auf den Feldern der Waldmeierei, wo er unter einem Kreuz sich niedergesetzt hatte, um etwas Atem zu holen, stieß er auf Mathias, der in der Nähe das Holz für die Windmühle des Schmiedes zurechtmachte.

»Wollt ihr mir nicht den Weg nach den Schymeks zeigen!« bat er ihn und richtete sich mühselig mit Hilfe seiner Krücken auf.

»Ihr werdet euch da nicht ausruhen können. Die haben nur Weinen und Jammer!« murmelte Mathias.

»Ist die Jaguscha noch krank? Man sagte mir, sie wäre nicht richtig im Kopf geworden.«

»Das ist nicht so, sie liegt aber in einem fort und weiß kaum was von Gottes Welt! Mit der kann auch schon ein Stein Mitleid haben! Das sind mir Menschen! ...«

»Um so eine Christenseele ins Verderben zu bringen! Aber die Alte soll doch gegen das ganze Dorf klagen?«

»Die kriegt kein Recht! Alle haben es beschlossen, die ganze Gemeinde, da haben sie auch das Recht ...«

»Eine furchtbare Sache ist der Zorn des ganzen Volkes!« Er erschauerte bei diesem Gedanken.

»Versteht sich, aber eine dumme und schlechte und ungerechte!« brach Mathias los und, nachdem er ihn bis dicht vors Haus geführt hatte, trat er in die Stube; aber bald kam er wieder heraus und wischte sich heimlich über die Augen.

Nastuscha saß Flachs spinnend an der Wand, der Bettler setzte sich an sie heran und holte eine blaue Flasche hervor.

»Wißt ihr, man muß die Jaguscha dreimal täglich mit diesem geweihten Wasser besprengen und ihr damit die Schläfen einreiben; in einer Woche wird dann alles weg sein. Die Nonnen aus Pschyrowa haben mir dieses Wasser gegeben.«

»Gott bezahls euch! Zwei Wochen sind es schon und sie liegt immerzu wie von Sinnen, manchmal nur will sie weit weglaufen und jammert und ruft den Jascho herbei.«

»Und was macht denn die Dominikbäuerin?«

»Die sitzt dabei wie eine Leiche. Die werden es wohl nicht mehr lange machen, nein!«

»Jesus, was doch viel Menschen zuschanden gehen müssen! Und wo ist denn der Schymek?«

»Der sitzt in Lipce, seine Schultern müssen doch jetzt für alles herhalten, weil ich hier bleiben muß und auf die beiden passen.«

Sie steckte ihm einen ganzen Zehner in die Hand, aber der Bettler wollte ihn nicht nehmen.

»Ich hab' es ihr doch gern gebracht und geb' noch ein Gebet dazu, daß der Herr ihr Los ändern möge! Sie war gut für die Armen, wie wenig eine, die Gute ...«

»Das ist wahr, sie hatte ein gutes Herz, jawohl! Vielleicht muß sie darum so viel leiden!« murmelte sie und ließ traurig ihre Blicke durch die Welt gehen.

Von Lipce tönte das Abendläuten zu ihnen herüber, und hin und wieder vernahm man das Rollen der Wagen, das Knirschen der gedengelten Sensen und fernes Singen; der goldige Dunst des Abends legte sich über das ganze Dorf, über die Felder und den nahen Wald.

Der Bettler erhob sich, lockte den Hund, rückte seine Bettelsäcke zurecht, und sich auf seine Krücken stützend, sagte er:

»Bleibt mit Gott, liebe Leute.«

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Gedruckt bei Oscar Brandstetter in Leipzig
Eugen Diederichs Verlag in Jena


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