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Initial Teilweise, wo man leichteren und sandigen Boden hatte, zogen schon die Menschen mit den Sicheln ins Feld, und hier und da auf den Anhöhen sah man schon die Sensen blitzen; aber in den Dörfern, wo schwerer Boden war, war man erst bei den Vorbereitungen, die Ernte sollte aber auch da schon jeden Augenblick ihren Anfang nehmen.

So begann man denn auch in Lipce einige Tage nach der Flucht des alten Rochus sich eifrig zur Ernte vorzubereiten. Man brachte eiligst die Sprossen der Leiterwagen in Ordnung und rollte die Wagen, die etwas ausgetrocknet waren, in den Weiher, damit sie aufquollen; in den Scheunen mußte Ordnung gemacht werden, alle Tore standen offen; hier und da drehte man schon Strohseile, und fast aus jedem Haus klang das Klirren der Sensen, die zurechtgehämmert wurden. Die Frauen waren beim Backen der Brote, bei der Zubereitung der Erntevorräte, und es entstand dadurch ein solches Rennen und ein solcher Lärm, daß es den Anschein hatte, als stände ein großes Fest bevor.

Und da außerdem aus den benachbarten Dörfern viel, Volk zusammengeströmt war, so wimmelte es vor Menschen auf den Fußwegen und selbst mitten auf der Landstraße wie zur Jahrmarktszeit; man brachte das Korn zum Mahlen, aber gerade wie zum Verdruß war so wenig Wasser da, daß nur ein Gang im Betrieb war und auch da die Arbeit kaum vorwärts kam. Man wartete geduldig, bis die Reihe an einen kam, denn jeder wollte noch seinen Vorrat für die Erntezeit fertig gemacht haben.

Eine Menge Menschen drängten sich nach dem Haus des Müllers, um Mehl, verschiedene Grützen und selbst fertiges Brot zu kaufen.

Der Müller lag krank danieder, aber es schien trotzdem alles nach seinem Kopf zu gehen; so hörte man ihn denn seiner Frau, die sich draußen am offenen Fenster niedergesetzt hatte, zurufen:

»Und denen aus Rschepki gibst du nicht für einen Pfennig, sie haben ihre Kühe zum Bullen des Pfarrers geführt, da laß nun den Priester dafür sorgen, daß sie zu essen haben.«

Und es half kein Bitten und kein Flehen. Vergeblich waren auch die Versuche der Müllerin, sich für ärmeres Volk zu verwenden; er war nicht zu erweichen und erlaubte keinem, wenn auch nur ein Quart Mehl zu borgen, der seine Kuh nach dem Pfarrhof geführt hatte.

»Gefällt ihnen der Bulle des Pfarrers so, dann können sie ihn jetzt melken!« schrie er.

Die Müllerin, die scheinbar nicht recht zuwege war, verweint aussah und ein verbundenes Gesicht hatte, zuckte nur die Achseln; aber wo sie nur konnte, borgte sie manch einem etwas.

Es kam auch die Klembbäuerin mit der Bitte, ihr ein halbes Quart Hirse zu geben.

»Wenn ihr gleich bezahlt, könnt ihr sie sofort kriegen, aber kein bißchen geb' ich euch sonst heraus.«

Sie wurde sehr besorgt, denn natürlich war sie ohne Geld gekommen.

»Der Tomek hält doch zum Priester, da laß ihn da um Grütze bitten gehen.«

Die Klembbäuerin fühlte sich dadurch beleidigt und sagte herausfordernd:

»Versteht sich, daß er zum Priester hält, und das wird er auch weiter tun; hier aber will ich keinen Fuß mehr über die Schwelle setzen.«

»Der Schade ist nicht groß, da wird auch die Trauer nicht lang sein! Versucht anderswo mahlen zu lassen!«

Die Klembbäuerin ging besorgt davon, denn zu Hause war kein Pfennig mehr; und als sie die Schmiedin sah, die vor der verschlossenen Schmiede saß, klagte sie ihr Leid und weinte über den Müller.

Aber die Schmiedin sagte lächelnd:

»Das will ich euch nur sagen, der wird nicht mehr lange hier regieren.«

»Hale, wer wird denn einem solchen Reichen beikommen?«

»Wenn einer ihm hier eine Windmühle hinsetzt, dann wird man schon mit ihm fertig werden.«

Die Klembbäuerin riß die Augen vor Staunen auf.

»Meiner wird eine Windmühle bauen. Er ist gerade mit Mathias in den Wald gegangen, Bauholz auszusuchen; auf den Feldern der Waldmeierei, beim Kreuz wollen sie sie dann bauen.«

»Sieh bloß ... Will sich der Michael eine Windmühle bauen, da hätt' ich eher den Tod erwartet, na, na! ... Aber das ist diesem Müller recht so, laß seinen Wanst mal einschrumpfen.«

Diese Neuigkeit hatte sie so aufgemuntert, daß sie raschen Schritts den Heimweg einschlug, und als sie Anna gewahrte, die vor dem Haus Wäsche wusch, trat sie auf sie zu, um ihr die unerhörte Botschaft mitzuteilen.

Antek bastelte etwas an einem Wagen und sagte, als er ihre Unterredung vernommen hatte:

»Die Magda hat euch die Wahrheit gesagt; der Schmied hat schon beim Gutsherrn zwanzig Morgen von den Ländereien der Waldmeierei gekauft; es sind die, die gleich neben dem Kreuz liegen, da soll dann eine Windmühle hinkommen. Der Müller kriegt noch die Kränke vor Wut, aber die Schnauze kann ihm gern etwas weicher werden! Er hat schon allen so zugesetzt, daß ihn keiner bemitleiden wird.«

»Wißt Ihr nichts über Rochus?«

»Gar nichts!« Er wandte sich rasch von ihr ab.

»Das ist eigentümlich, der dritte Tag ist schon vorüber, und man weiß nicht, was mit ihm vorgeht.«

»Das ist doch schon oft so gewesen, daß er mit einemmal fort war und dann wiedergekommen ist.«

»Wer von euch geht denn nach Tschenstochau?« fragte Anna.

»Meine Eve geht mit dem Mathies. Heuer gehen nicht viele mit dem Pilgerzug.«

»Ich will auch mit, ich wasche nur noch etwas Leichteres für die Reise.«

»Aus den anderen Dörfern sollen aber viele mitgehen.«

»Die haben sich gerade die rechte Zeit ausgesucht, wo man die schlimmste Arbeit hat,« knurrte Antek. Er widersetzte sich aber nicht dem Willen seiner Frau, da er bereits seit langem wußte, welches Gelübde sie getan hatte.

Sie fingen an, sich allerhand Neuigkeiten zu erzählen, als plötzlich Gusche hereingestürzt kam.

»Wißt ihr es schon,« schrie sie, »vor einer Stunde wohl ist der Jaschek vom Militär heimgekommen!«

»Der Mann von Therese! Die hat doch gesagt, daß er erst zur Kartoffelernte zurückkäme.«

»Ich habe ihn eben gesehen; der sieht ordentlich sein aus. Furchtbar eilig hat er es zu ihr gehabt.«

»Ein guter Kerl, aber nachträgerisch. Ist denn Therese zu Hause?«

»Die jätet Flachs beim Pfarrer und weiß noch nichts davon, was da auf sie zu Hause wartet.«

»Das kann noch wieder mal was in Lipce geben; sie werden es ihm doch gleich sagen.«

Antek hörte aufmerksam zu, diese Neuigkeit schien ihn lebhaft zu beschäftigen, doch er sagte nichts, während Anna und die Klembbäuerin herzlich die Therese bedauerten und das Schlimmste für sie voraussagten; schließlich unterbrach sie Gusche.

»Nicht einen Pfifferling wert ist diese eure Gerechtigkeit! Hale, geht da so ein Kalb auf ganze Jahre in die Welt, läßt die Frau allein, und wenn der Armen was zustößt, dann ist er bereit, sie vielleicht selbst noch umzubringen! Und dann gleich alle über sie her! Wo ist denn da Gerechtigkeit? Das Mannsbild, das kann sich amüsieren, wie 'n Hund auf der Hundehochzeit, niemand sagt ihm deswegen auch nur ein schäbiges Wort. Eine ganz dumme Einrichtung ist das in der Welt! Ist denn die Frau kein lebendiger Mensch, ist sie aus Holz oder was? Aber wenn sie sich schon dafür verantworten soll, dann laß doch auch dem Liebsten das gleiche zukommen, sie haben doch gemeinsam gesündigt. Warum soll er nur den Spaß und sie das Weinen davon haben, was?«

»Du liebe Güte, das ist ja schon so seit ewigen Zeiten, und so bleibt es auch!« murmelte die Klembbäuerin.

»Es bleibt, damit das Volk zugrunde geht und der Böse seine Freude hat; ich würde es schon anders bestimmen: hat einer eine fremde Frau genommen, dann soll er sie sich für immer behalten, und will er nicht, weil ihm eine neue besser schmeckt, dann mal dem Aas was mit dem Stock und ins Kriminal!«

Antek lachte auf über ihre Hitzigkeit; sie aber ging mit Geschrei auf ihn los.

»Für euch ist das bloß zum Lachen, was? Ihr pestigen Räuber! Euch ist jede die Liebste, solange ihr sie nicht kriegt! Und zuletzt machen sie sich da noch lustig.«

»Ihr schreit hier rein wie eine Elster, wenn Regenwetter kommen soll!« gab er unwillig zurück.

Sie rannte ins Dorf davon und kam erst gegen Abend ganz verweint wieder an.

»Was ist euch denn geschehen?« fragte sie Anna beunruhigt.

»Was sonst anderes? Menschenleid hab ich getrunken, es ist mir davon ganz übel geworden.« Sie weinte los und fing durch Tränen und zwischen Schluchzen wieder an zu reden. »Die Kosiol, wißt ihr, hat den Jaschek in ihre Obhut genommen und hat ihm alles ausgeplaudert.«

»Wenn nicht die eine, dann hätte es die andere getan; solche Sachen kommen immer raus.«

»Ich sag' euch, etwas Furchtbares bereitet sich bei denen vor! Ich war bei ihnen, kein Mensch war da. Ich habe jetzt wieder eingesehen, da sitzen sie beide und weinen, und auf dem Tisch liegen die Geschenke, die er ihr mitgebracht hat. Jesus, es ist mir kalt über den Rücken gelaufen, als hätte ich ein Grab zu sehen gekriegt. Sie reden nicht miteinander und weinen nur. Mathias seine Mutter hat mir erzählt, wie das gewesen ist, die Haare haben mir zu Berge gestanden.«

»Wißt ihr, hat er von Mathias gesprochen?« fragte Antek unruhig.

»Er flucht auf ihn, daß Gott erbarm! Der Jaschek läßt ihm das nicht durch, nein!«

»Ihr braucht keine Angst zu haben, Mathias wird ihn nicht um seine Gnade bitten,« entgegnete er ärgerlich; und ohne weiter auf sie zu hören, lief er in der Richtung der Waldmeierei davon, um den Freund zu warnen.

Er fand ihn erst bei den Schymeks, wo er mit Nastuscha an der Hauswand saß und etwas mit ihr beriet. Antek rief ihn gleich heraus, und als sie ein ordentliches Stück gegangen waren, erzählte er ihm alles.

Mathias hätte sich fast verschluckt und fing an zu fluchen:

»Daß die schwefligen Blitze ... eine solche Neuigkeit treffen!« Sie kehrten ins Dorf zurück. Mathias verzog sein Gesicht und seufzte wehmütig und schwer vor sich hin.

»Es scheint mir, es ist dir schwer zumute, und bedauern tust du es wohl auch,« versuchte Antek vorsichtig anzuknüpfen.

»Was soll ich da bedauern? Sie saß mir schon so schief wie ein Knochen im Schlund. Etwas ganz anderes drückt mich!«

Antek war verstummt, doch er mochte ihn nicht ausfragen.

»Da hätt' ich nicht genug Zeit, wenn ich jede betrauern sollte! Die ist mir zwischen die Finger gekommen, da hab' ich sie denn auch genommen; ein jeder hätte dasselbe getan! Du brauchst dich nicht zu sorgen. Ich hab' schon was dran gehabt, gerade wie ein Hund im tiefen Brunnen; denn was ich da Geheul und Gejammer zu hören gekriegt habe, das könnte für Jahre ausreichen. Wenn ich der mal fortgelaufen bin, dann die gleich wie ein Schatten hinter mir drein. Laß den Jaschek sich an ihr freuen. Ich hab' was anderes als Liebschaften im Kopf.«

»Gewiß, es wäre Zeit zu heiraten.«

»Das ist es gerade, die Nastuscha hat mir dasselbe gesagt.«

»Mädchen gibt es wie Sand im Dorf, die Wahl ist doch nicht so schwer.«

»Ich habe schon was in Aussicht,« kam es ihm ganz unwillkürlich über die Lippen.

»Dann nimm mich zum Brautbitter und halte die Hochzeit, wenn es auch gleich nach der Ernte sein sollte.«

Das schien Mathias nicht zu behagen, denn er verzog das Gesicht und fing wieder an, über Schymeks Wirtschaft zu erzählen. Dabei vertraute er ihm wie nebenbei, daß Jendschych der Nastuscha ganz im geheimen gesagt hätte, die Dominikbäuerin wollte wegen dem Anteil Jagnas an dem Erbe von Matheus Klage einreichen.

»Der Vater hat es verschrieben, da wird ihr kein Mensch das streitig machen; versteht sich, daß ich den Grund und Boden nicht abgebe, aber ich bezahl' ihr ganz sicher, was er wert ist! Diese Zange, will hier noch prozessieren!^

»Ist es denn wahr, daß Jaguscha der Anna die Verschreibung abgegeben hat?« fragte Mathias behutsam aus.

»Was hilft das, sie hat es doch nicht beim Notar abgeschrieben.«

Mathias wurde zusehends vergnügter, und ohne sich länger beherrschen zu können, fing er im Gespräch immer wieder von der Jaguscha an und lobte sie mächtig.

Antek, der gemerkt hatte, worum es ihm zu tun war, sagte ganz höhnisch:

»Hast du denn gehört, was sie wieder von ihr erzählen?«

»Die Weiber haben ihr schon immer was angehangen.«

»Sie soll jetzt wie eine Hündin hinter dem Jascho vom Organisten her sein,« fügte Antek mit bestimmter Absicht hinzu.

»Hast du es gesehen?« Er wurde rot vor Zorn.

»Spionieren gehe ich nicht, denn das wärmt mich nicht, und es kühlt mich nicht; aber es gibt welche, die jeden Tag das sehen, wie sie mit dem Jascho im Wald zusammenkommt oder auch auf den Rainen rumsitzt.«

»Diese Klatschweiber sollte man eine nach der anderen verprügeln, dann würden sie gleich aufhören, mit dem Herumreden.«

»Versuch' mal, vielleicht kriegen sie Angst und hören auf!« redete er, langsam die Worte setzend; denn plötzlich hatte ihn der Neid um Jaguscha gepackt, und der Gedanke allein, daß Mathias sie heiraten könnte, war ihm unerträglich.

Er antwortete nichts mehr auf seine herausfordernden und zuweilen unangenehmen Worte, um nur seine Qual nicht zu verraten; doch bei der Verabschiedung konnte er nicht langer an sich halten und sagte mit einem bösen Lachen:

»Wer die heiratet, der kriegt viele Schwäger.«

Sie nahmen ziemlich kühl Abschied.

Mathias aber lachte, nachdem er ein paar Schritte gegangen war, leise auf, und es kam ihm der Gedanke:

»Sie muß ihn wohl ziemlich kalt gestellt haben, daß er solche Wut auf sie hat und so schnauzt. Laß sie hinter dem Jascho herlaufen, das ist doch noch ein Kind. Mehr muß sie da der Priesterrock als der Junge selbst locken ...«, sann er nachsichtig. Nachdem er nämlich von Antek Näheres über die Verschreibung erfahren hatte, hatte er schon den bestimmten Entschluß gefaßt, sie zu heiraten. Er verlangsamte die Schritte und berechnete in Gedanken, was wohl dem Jendschych und Schymek abzuzahlen wäre, um allein auf der ganzen Wirtschaft zu bleiben / auf ganzen zwanzig Morgen.

»Die Alte ist lästig, aber ewig ist sie doch auch nicht.«

Es kamen ihm Jaguschas Streiche in den Sinn, das machte ihn etwas besorgt.

»Was war, das ist nicht, und will sie neue Geschichten anfangen, dann werd' ich ihr schon die Lust dazu austreiben!«

Im Heckenweg vor dem Haus wartete schon die Mutter auf ihn.

»Der Jaschek ist zurück,« flüsterte sie ihm ängstlich zu; »man hat ihm schon alles gesagt.«

»Um so besser, da wird man ihm nicht mehr was vorzulügen brauchen.«

»Die Therese ist schon ein paarmal da gewesen; sie droht, daß sie ins Wasser gehen wird ... Daß sie nicht...«

»Gewiß, dazu ist sie fähig, gewiß ..murmelte er erschrocken und nahm sich das so zu Herzen, daß er, als sie sich zum Abendbrot im offenen Hausflur niedergesetzt hatten, nichts essen konnte und immerzu nur nach Jascheks Garten hinüberhorchte, denn sie wohnten ja dicht nebeneinander. Eine wachsende Unruhe hatte sich seiner bemächtigt; er schob die Schüssel von sich, und eine Zigarette nach der anderen rauchend, versuchte er vergeblich, ein ängstliches Beben niederzuringen, fluchte auf sich und auf alle Weiber und versuchte die ganze Angelegenheit ins Lächerliche zu ziehen. Die Angst um Therese breitete sich immer mehr in ihm aus und quälte ihn schon nicht zum Aushalten. Mehrmals erhob er sich, um fort ins Dorf unter die Leute zu gehen, aber er blieb schließlich doch da und wartete... worauf, das wußte er selbst nicht einmal.

Es wurde schon Nacht, als er plötzlich Schritte hörte; und ehe er unterscheiden konnte, woher sie kamen, hing ihm auch schon Therese am Hals.

»Hilf, Mathias! Jesus, was hab' ich auf dich gewartet und noch dir ausgeschaut.«

Er ließ sie neben sich niedersetzen, doch sie drängte sich wie ein kleines Kind an seine Brust und flüsterte ihm durch ununterbrochen niederrinnende Tränen voll Verzweiflung zu:

»Sie haben ihm alles gesagt! Eher noch hätte ich den Tod erwartet, als daß er gerade jetzt zurückkäme. Ich war beim Flachs, auf dem Feld des Pfarrers... da kommt eine der Frauen auf mich zugerannt und erzählt' es ... fast wär' ich tot hingefallen... es war mir, als ginge ich zur Hinrichtung ... Du warst nicht zu Hause ... ich hab' dich gesucht ... im ganzen Dorf bin ich herumgelaufen ... eine Stunde wohl, aber ich mußte ja zurück; ich komme nach Haus ... da steht er mitten in der Stube, weiß wie die Wand ... Mit geballten Fäusten ist er mich angegangen ... und fragt, ob das wahr sei ... ob das wahr sei ...«

Mathias erbebte und wischte sich den kalten Schweiß von der Stirn.

»Ich hab' ihm alles gestanden ... wozu hätte da noch das Lügen genützt! Da hat er denn nach der Axt gegriffen ... Ich dachte, nun kommt das Ende und habe ihm als erste gesagt: mach' mich tot, das wird uns beide erleichtern! Aber er hat mich nicht angerührt. Hat mich nur angeschaut, sich ans Fenster gesetzt und geweint ... Barmherziger Gott, wenn er mich doch lieber geprügelt, getreten oder angeflucht hätte ... wäre es mir leichter zumute gewesen – und der sitzt da und weint nur immerzu! Was fang' ich jetzt bloß an, ich Unglückselige! Wo soll ich mich hintun! Rette du mich, sonst spring' ich noch in den Brunnen, oder tue mir sonst was an. Hilf mir!« schrie sie auf, sich ihm zu Füßen werfend.

»Was soll ich dir bloß helfen, du Arme?« stotterte er ratlos.

Sie sprang plötzlich mit einem wilden Schrei sinnlosen Zornes auf.

»Warum hast du mich also dann genommen? Warum hast du mich beschwindelt? Warum hast du mich zur Sünde verführt?«

»Das ganze Dorf läuft hier noch zusammen, sei doch bloß still!«

Sie warf sich ihm abermals an die Brust, preßte ihren ganzen Körper an ihn und, ihn mit Küssen bedeckend, wimmerte sie mit der ganzen Macht ihrer Angst, ihrer Liebe und Verzweiflung:

»Oh, mein Einziger, mein Bester, bringe mich um, nur jag' mich nicht von dir! Liebst du mich denn, was? Liebst du mich? Nimm mich doch in deine Arme zum letztenmal, nimm mich, umfaß mich ganz, gib mich nicht heraus zu solcher Qual und Pein, gib mich nicht ins Verderben! Dich nur allein Hab' ich in der ganzen Welt, dich nur ... laß mich bei dir bleiben, ich werde dir dienen wie ein treuer Hund, wie die niedrigste Magd!«

Sie stieß die Worte fast wimmernd hervor, sie kamen aus dem tiefsten Grunde ihrer gequälten Seele.

Mathias aber wand sich hin und her wie in einem Fangeisen und versuchte so gut es ging einer entscheidenden Antwort auszuweichen, sie mit Küssen und Liebkosungen abfindend und alles bejahend, was sie nur wollte. Er sah sich immer ängstlicher und ungeduldiger um, denn es war ihm, als säße Jaschek am Zaunüberstieg.

Plötzlich stieß ihn Therese, der auf einmal die ganze Wahrheit aufleuchtete, von sich und schrie ihn an, ihn mit ihren Worten wie mit Peitschenhieben treffend.

»Du lügst wie ein Hund! Immer hast du mich belogen! Jetzt wirst du mich aber nicht anführen! Angst hast du vor Jascheks Knüttel, darum windest du dich wie ein getretener Regenwurm! Und ich hab' ihm geglaubt wie einem ehrlichen Menschen! Mein Gott, mein Gott! Und der Jaschek ist so gut, Geschenke hat er mir gebracht, nie hat er mir ein böses Wort gesagt, und ich hab' es ihm so vergolten! So einem Betrüger habe ich Glauben geschenkt! So einem Hund! Renn' du deiner Jaguscha nach!« schrie sie, auf ihn mit zusammengeballten Fäusten losgehend, »geh und laß dich mit ihr durch den Schinder trauen, ihr paßt zu einander, eine Hure und ein Dieb!«

Sie warf sich zu Boden und begann wie von Sinnen laut zu heulen.

Mathias stand über sie gebückt, ohne zu wissen, was er tun sollte, und seine Mutter weinte irgendwo an der Hauswand, als plötzlich aus dem Garten Jaschek hervortrat und, nachdem er auf seine Frau zugegangen war, mit innigen, tränenschweren und gütigen Worten auf sie einzureden begann.

»Komm jetzt nach Hause, komm, armes Ding! Fürchte dich nicht, ich werd' dir nichts antun, du hast dich schon genug gequält, komm, Frau ...«

Er hob sie hoch, trug sie über den Zaunüberstieg und schrie dann zu Mathias herüber:

»Solange ich lebe, werd' ich dir dieses Unrecht nicht vergeben, so wahr Gott im Himmel!«

Mathias schwieg, die Scham drückte ihn und überflutete sein Herz mit einer solchen Bitterkeit und bohrenden Pein, daß er nach der Schenke lief und dort die ganze Nacht hindurch herumtrank.

Die ganze Begebenheit hatte sich in einem Nu im Dorf herumgesprochen; man erzählte sich Jascheks Handlung mit allgemeinem Staunen und mit großer Anerkennung.

»So einen zweiten kann man suchen gehen,« sprachen die Weiber ganz gerührt. Sie schimpften dabei mächtig auf Therese, aber Gusche nahm sie leidenschaftlich in Schutz.

»Therese ist nicht schuld!« schrie sie, wo sie nur hinkam, und sobald sie nur hörte, daß man über sie herzog: »Das ist doch noch die reine Rotznase gewesen, als sie den Jaschek zum Militär ausgehoben hatten, ganz allein ist sie zurückgeblieben, nicht einmal ein Kind hat sie gehabt; das ist doch kein Wunder, daß sie sich in so vielen Jahren nach einem Mannsbild umgesehen hat. Keine würde so lange fasten. Und der Mathias hat sie ausgeschnüffelt, wie ein Hund, der die gute Fährte riecht, und gleich hat er angefangen, ihr den Hof zu machen, wunder was zu erzählen, sie zu Tanz zu führen, bis er die Dumme ganz rumgekriegt hat.«

»Daß es kein Gericht für solche Verführer gibt!« seufzte eine der Frauen auf.

»Sein Kopf wird schon kahl, und den Weiberröcken läuft er immer noch nach.«

»Er ist doch eine verlassene Waise, ein armer Junggesell! Wo soll er was kriegen, wenn nicht bei Fremden!« höhnten die Burschen.

»Der Mathias hat da auch keine Schuld! Ihr wißt doch, wenn die Hündin nicht will, kann der Hund auch nicht rankommen,« lachte Stacho Ploschka, und fast hätten ihn die Weiber noch dafür verprügelt.

Doch bald kümmerte sich keiner mehr um diese Sache, denn die Erntezeit war schon dicht vor der Tür. Die Tage kamen wie ausgesucht, trocken und voll Sonnenglut; auf den Hügeln schien der Roggen schon auf die Sense zu warten, und die Gerste wurde auch schon reif. Tag für Tag ging jemand hinaus, um die Felder in Augenschein zu nehmen, und die Reicheren im Dorf sahen sich schon nach Lohnarbeitern um.

Als erster zog der Organist zum Ernten aus. Er hatte an die fünfzehn Frauen für die Ernte gedungen, selbst die Organistin hatte zur Sichel gegriffen, und die Töchter mähten auch noch mit; er aber stand nur dabei und bewachte sie alle. Jascho kam erst nach der Messe angelaufen, doch er durfte sich nicht lange am Erntetreiben beteiligen; denn als die Mittagsglut stieg, trieb ihn die Mutter nach Haus, in der Sorge, er könnte durch die Sonne am Kopf Schaden nehmen.

»Der wird sich schon bei der Jaguscha Schatten suchen, das wird ihm gerade passen,« knurrte die Kosiol.

Zu Hause wurde es ihm auch bald zu schwül und recht langweilig, und die Fliegen stachen so furchtbar, daß er bald wieder ins Dorf ging. Als er bei den Klembs vorbeikam, traf plötzlich ein gedämpftes Stöhnen sein Ohr, das aus dem Haus zu kommen schien, dessen Türen und Fenster offen standen.

Es war Agathe, die an der Türschwelle im Hausflur auf dem Boden lag. Das Haus war leer, denn alle waren zur Erntearbeit im Feld.

Er trug sie hinein und legte sie aufs Bett, gab ihr zu trinken und versuchte sie so lange zum Bewußtsein zurückzubringen, bis sie endlich wieder etwas zu sich gekommen war und ihre Augen voll Tränen auf ihn heftete.

»Ich geh' jetzt schon ein, mein liebes Herrchen,« lächelte sie ihm zu, wie ein Kind, das aufgeweckt wird.

Er wollte gleich hinlaufen, um den Pfarrer zu holen, aber sie hielt ihn an seinem Priesterrock fest.

»Die heilige Jungfrau hat mir heute gesagt: halt' dich bereit für morgen, mühebeladene Seele! Ich hab' noch Zeit, mein liebes Herrchen, bis morgen. Gott dem Barmherzigen sei Lob und Dank dafür!« stotterte sie immer schwächer, und ein Lächeln kam um ihre Lippen. Sie faltete die Hände, und in die Ferne vor sich hinstarrend, verfiel sie in ein tiefes, stilles Gebet, und Jascho, der begriffen hatte, daß das schon der Todeskampf war, lief fort, Klembs herbeizurufen.

Er kam nachmittags wieder, um nach ihr zu sehen; sie lag bei vollem Bewußtsein im Bett, und ihr Holzkoffer stand neben ihr auf einer Bank. Sie nahm mit schlaffen, schon im Absterben begriffenen Händen alles aus dem Koffer heraus, was sie sich für diese letzte Zeit aufgespart hatte: ein reines Laken zum Unterlegen, frische Bettwäsche, geweihtes Wasser, einen noch ganz neuen Sprengwedel und ein ordentliches Ende von einer Totenkerze und obendrein noch ein Bildchen der Tschenstochauer Muttergottes, um es in den Händen zu halten. Sie holte ein neues Hemd, einen reichen Beiderwandrock, eine über der Stirn reich gezängelte Haube, ein Brusttuch und ganz neue Schuhe hervor; ihre ganze im Laufe eines Lebens zusammengebettelte Totenmitgift breitete sie vor sich aus, freute sich über jedes Stück und prahlte damit vor den Frauen. Die Haube probierte sie selbst vor dem Spiegel auf und murmelte dabei glückselig:

»Es wird fein werden, ganz wie eine rechte Hofbäuerin werde ich aussehen.«

Sie befahl ihnen, daß man sie schon morgen gleich mit diesem Staat ausputzen sollte.

Niemand widersetzte sich ihrem Willen; sie gingen ganz behutsam um sie herum und gaben sich Mühe, ihr die letzten Stunden angenehm zu machen.

Jascho blieb bei ihr sitzen bis zum Eintritt der Dämmerung und las laut an ihrem Lager die Gebete; sie sprach sie ihm nach und verfiel dabei mit einem sanften Lächeln immer wieder wie in einen Halbschlaf.

Und als die anderen sich zum Abendbrot niedersetzen wollten, verlangte sie etwas Rührei. Natürlich stocherte sie nur ein paarmal darin herum und schob das Essen gleich wieder von sich, und den ganzen Abend blieb sie ganz still liegen; erst als die Leute schlafen gehen wollten, rief sie den Thomas Klemb zu sich.

»Brauchst keine Angst zu haben, ich werd' dir nicht lange den Platz wegnehmen,« sagte sie etwas bänglich.

Am nächsten Tag kleidete man sie gleich so an, wie sie bestimmt hatte und legte sie auf die Bettstatt der Klembbäuerin und auf ihre eigenen Betten. Sie überwachte es noch selbst, daß alles gemacht wurde, wie es sich paßte, strich sich noch mit zittrigen Händen das magere Federbett glatt, goß eigenhändig geweihtes Wasser auf den Teller und legte den Sprengwedel quer darüber, und nachdem sie alles geprüft hatte und alles so fand, wie es für eine solche Stunde beim Hofbauer sein soll, ließ sie den Priester holen.

Er kam mit dem heiligen Abendmahl und bereitete sie zu diesem letzten Gang vor; dem Jascho aber befahl er, dazubleiben, bis alles zu Ende sei; er selbst hatte es eilig irgendwohin fortzukommen.

Jascho setzte sich ans Bett und las halblaut aus dem Brevier vor, die Klembs waren zu Hause geblieben, und bald darauf kam auch Jaguscha an und hockte ganz leise in einer Ecke nieder. In der Stube hörte man nur die Fliegen summen, denn die Leute bewegten sich lautlos wie Schatten und blickten nur ab und zu zu Agathe herüber. Sie lag mit einem Rosenkranz in der Hand da, war noch ganz bei Sinnen und nahm von jedem Abschied, der in die Stube kam; den Kindern aber, die im Flur und draußen vor dem Fenster standen, schenkte sie noch ein paar Geldmünzen.

»Hier habt ihr noch was, ihr könnt auch mal ein Gebet für die alte Agathe sprechen!« flüsterte sie zufrieden vor sich hin.

Und darauf sprach sie ganze Stunden lang kein Wort mehr.

So lag sie denn würdig, hofbäuerlich auf dem Bett unter den Heiligenbildern, gerade so, wie sie es das ganze Leben ersehnt hatte. Sie lag da voll eines stillen Stolzes, eine unaussprechliche Glückseligkeit war in ihrem Gesicht und Freudetränen schimmerten in ihren Augen. Sie bewegte hin und wieder ihre Lippen, lächelte selig und schien durchs Fenster in den tiefblauen Himmel zu starren, hin auf die unermeßlichen Felder, auf denen schon hier und da klingend die Sensen blinkten und die reichen, schweren Roggenschwaden niederfielen; sie starrte in weite Fernen, die nur ihrer Seele sichtbar waren.

Aber als der Tag sich zu Ende neigte und das Glühen des Abendrots die Stube überflutete, ging ein starker Schauer durch ihren Körper. Sie setzte sich aufrecht, und ihre Arme ausstreckend, rief sie mit einer lauten Stimme, die ganz fremd zu klingen schien:

»Es ist nun Zeit für mich!«

Dann sank sie nach hinten über auf ihr Bett zurück.

In der Stube wurde es unheimlich still, und plötzlich wurde ein Weinen laut, sie knieten alle um ihr Bett herum, und Jascho fing an, das Gebet für die Sterbenden zu sprechen, wahrend die Klembbäuerin die Totenkerze anzündete. Die Sterbende wiederholte die Worte des Gebets immer schwächer, ihre Stimme klang immer leiser, ihre Augen verblaßten wie ein Sommertag, der nach mühevollen Arbeitsstunden zur Rüste geht, ihr Gesicht versank in die Dämmerung der ewigen Nacht, sie ließ die Totenkerze aus den Händen gleiten und verstarb.

So war denn die Bettlerin als eine der Ersten im Dorf gestorben. Ambrosius, der noch gerade zur rechten Zeit gekommen war, hatte ihr die Augen zugedrückt. Jascho sprach ein andächtiges Gebet an ihrer Leiche, und das ganze Dorf fand sich allmählich ein, um an ihrer Totenbahre zu beten, Tränen zu vergießen und voll Neid sich über ihren glücklichen Tod und ihr leichtes Sterben zu wundern.

Den Jascho aber, als er in ihre toten Augen und in ihr erstarrtes Gesicht sah, über das der Tod seine tiefen Furchen gezogen hatte, packte ein solches Grauen, daß er nach Hause rannte, sich aufs Bett warf, den Kopf in die Kissen drückte und zu schluchzen anfing.

Bald kam auch die Jaguscha ihm nachgelaufen, und obgleich sie selbst noch ganz entsetzt und erschüttert war, fing sie an, ihn zu beruhigen und ihm das verweinte Gesicht abzuwischen. Er schmiegte sich an sie wie an eine Mutter und legte seinen schmerzenden Kopf auf ihre Brust, umhalste sie und klagte ihr aufschluchzend sein Leid.

»Mein Gott, wie ist das furchtbar, wie ist das entsetzlich!« ...

Gerade darauf trat die Organistin in die Stube; sie sah die beiden zusammen, und eine arge Wut überkam sie.

»Was geht hier vor sich!« Sie war in die Mitte der Stube getreten und zischte, kaum ihrer mächtig, giftig hervor: »Sieh einer mal diese Beschützerin, schade nur, daß Jascho kein Kindermädchen mehr braucht, er kann sich allein die Nase putzen!«

Jaguscha wandte ihr das verweinte Gesicht zu, und vor Schreck bebend, fing sie an, über den Tod der alten Agathe zu erzählen. Jascho versuchte auch eifrig, der Mutter auseinanderzusetzen, was ihm da zugestoßen war, doch die Organistin, die scheinbar schon vorher durch die Gevatterinnen aufgestachelt worden war, sperrte ihr Mundwerk gegen ihn auf.

»Dumm bist du wie ein Kalb! Schweig lieber, damit du nicht etwas abkriegst.«

Darauf rannte sie plötzlich nach der Tür, öffnete sie sperrangelweit und schrie Jaguscha zu:

»Und du, mach', daß du fortkommst, daß du mir hier nicht wieder den Fuß über die Schwelle setzt, sonst werd' ich dich mit Hunden vom Hof hetzen.«

»Was soll ich denn getan haben, was denn bloß?« stotterte Jaguscha wie sinnlos vor Scham und Schmerz hervor.

»Scher' dich raus, und das sofort, sonst laß ich die Hunde los! Ich werde nicht wegen dir weinen, wie die Anna oder die Schulzin! Ich werde dich schon Amouren lehren, du Affe, du wirst mich noch in Erinnerung behalten, Schlampe!« schrie sie aus Leibeskräften.

Jaguscha brach in ein klägliches Weinen aus, rannte aus dem Haus und verschwand.

Und Jascho blieb wie von einem Blitz getroffen stehen.


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