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InitialJaguscha merkte gleich, als sie wieder im Dorf war, daß etwas Wichtiges vor sich ging; die Hunde bellten heftiger wie sonst in den Heckenwegen, die Kinder verbargen sich in den Gärten, hin und wieder nur hinter den Bäumen und Zäunen hervorlugend, und die Leute kamen schon von den Feldern nach Hause, obgleich die Sonne noch hoch am Himmel stand. Hier und da sah man Haufen von leise miteinander redenden Frauen, und auf allen Gesichtern war eine große Unruhe zu lesen; alle Augen waren voll banger Erwartung.

»Was ist los?« fragte sie eine der um die Ecke spähenden Balcerekmädchen.

»Ich weiß nicht, Soldaten sollen vom Wald aus hierher ziehen.«

»Jesus Maria! Soldaten! ... Vor Angst versagten ihr die Füße den Dienst.

»Der Klembjunge hat soeben erzählt, daß von Wola her Kosaken kommen,« gab die vorbeirennende Pritschekbäuerin noch bei.

Jaguscha beschleunigte ihre Schritte und kam in großer Hast zu Hause an. Die Mutter saß auf der Türschwelle mit einem Wocken, und neben ihr standen ein paar sich eifrig unterhaltende Frauen.

»Ich sah es, so wie ich euch jetzt sehe; sie sitzen auf der Veranda, und die Älteren sind beim Pfarrer im Haus.«

»Und nach dem Schulzen haben sie den Michael vom Organisten geschickt.«

»Nach dem Schulzen! Du liebe Güte, das muß ja was Ernstes sein.«

»Gewiß, aber wohl nichts Gutes. Ihr werdet sehen, denkt daran, was ich gesagt habe.«

»Dann will ich es euch sagen, weswegen sie da sind,« begann Gusche, an die Redenden herantretend.

Sie umringten sie und streckten die Hälse wie Gänse aus, gierig auf ihre Worte horchend.

»Die werden euch zum Militär einziehen!« lachte sie kreischend auf; aber keine von den Anwesenden stimmte ein, und die Dominikbäuerin sagte hämisch:

»In einem fort habt ihr Unsinn im Kopf.«

»Weil ihr aus einer Stecknadel gleich 'ne Heugabel macht! Alle verlieren sie fast die Zähne vor Angst, aber jede freut sich, daß etwas passiert ist. Große Sache, so'n paar Schandarmen.«

Die Ploschkabäuerin kam mit ihrem dicken Bauch in den Heckenweg geschoben und fing gleich an zu erzählen, wie sie sofort eine böse Ahnung hatte, als sie nur die Wagen mit den Gendarmen sah, das war auch gerade ...

»Still doch! Da rennt ja der Gschela mit dem Schulzen nach dem Pfarrhof!«

Sie richteten ihre Augen nach der Stelle, wo jenseits des Weihers die beiden zu sehen waren und begleiteten sie mit ihren Blicken.

»Sieh mal an, auch den Gschela haben sie gerufen.«

Aber sie waren im Irrtum, denn Gschela ließ den Bruder vorausgehen und wandte sich nach den Wagen, die in der Nähe des Pfarrhofes standen. Er redete mit den Kutschern, sah sich die Gendarmen an, die auf der Veranda saßen und rannte sehr beunruhigt zu Mathias herüber, der am Bau des Hauses von Stacho beschäftigt war und gerade rittlings auf einem Dachbalken saß und darin Einschnitte mit einem Beil machte, um so die Dachsparren zu befestigen.

»Sind sie denn noch nicht weg?« fragte er, ohne in seiner Arbeit innezuhalten.

»Nein, und das Schlimmste ist, daß man nicht weiß, weshalb sie gekommen sind.«

»Sicher haben sie was Schlechtes vor,« ließ sich der alte Bylica vernehmen.

»Vielleicht ist es wegen der Gemeindesitzung. Der Natschalnik hat ja doch gedroht und die Gendarmen haben hier und da herumgefragt, wer wohl Lipce aufgewiegelt hat,« sagte Mathias und ließ sich zur Erde niedergleiten.

»Dann müssen sie wohl gekommen sein, um mich zu arretieren,« murmelte Gschela und sah sich unruhig um. Er war blaß geworden, und seine Brust ging schwer.

»Mir scheint es, daß es eher wegen Rochus sein könnte,« bemerkte Stacho.

»Das ist wahr, sie haben ja nach ihm schon immerzu gefragt. Daß ich daran nicht gedacht habe!« Er atmete erleichtert auf, aber fügte sogleich besorgt hinzu:

»Ganz gewiß, daß, wenn sie einen nehmen wollen, dann schon Rochus!«

»Das lassen wir doch nicht zu! Der ist doch für uns wie ein Vater gewesen!« rief Mathias aus.

»Hale, wie soll man sich denen bloß widersetzen! Da kann keine Rede davon sein ...«

»Wenn er sich doch verstecken wollte! Man müßte ihn warnen, versteht sich ...« stotterte Bylica.

»Vielleicht ist das auch etwas anderes, vielleicht handelt es sich um den Schulzen ...« mischte sich Stacho schüchtern ein.

»Auf alle Fälle renn' ich hin, Rochus zu warnen!« rief Gschela und verschwand eiligst im Getreidefeld. Er versuchte um die Obstgärten herum nach dem Borynahof zu gelangen.

Antek saß auf der Galerie und glättete die Sicheln auf einem kleinen Amboß. Er sprang erschrocken auf, als er erfahren hatte, worum es sich handelte.

»Gerade ist er nach Hause gekommen. Rochus, kommt doch mal schnell zu uns heraus!« rief er ihm zu.

»Was ist?« fragte der Alte und steckte den Kopf zum Fenster hinaus; doch ehe sie ihm etwas sagen konnten, kam der Michael vom Organisten ganz atemlos angerannt.

»Wißt ihr? Die Gendarmen sind unterwegs zu euch! ... Sie sind schon am Weiher ...«

»Die wollen gewiß mich holen!« stöhnte Rochus auf und ließ seinen Kopf hangen.

»Jesus Maria!« rief Anna, die auf der Türschwelle erschienen war, und brach in Weinen aus.

»Still da! Man muß irgendwie Rat schaffen!« murmelte Antek und sann angestrengt nach.

»Ich rufe das ganze Dorf zusammen, und wir werden euch nichts tun lassen! ...« drohte Michael, brach sich einen mächtigen Knüttel heraus und ließ seine Augen wild umhergehen.

»Red' nicht dummes Zeug! Lauft gleich hinter den Schober, Rochus, und dann ins Getreide ... aber schnell! Hockt irgendwo in der Furche nieder, bis ich euch wieder rufe, aber rasch/rasch, daß sie euch nicht überraschen.«

Rochus sah sich in der Stube um, warf eine Anzahl gedruckter Schriften der im Bett liegenden Fine hin und flüsterte ihr zu:

»Versteck sie unter dich und gib sie nur nicht heraus!«

Und so wie er stand, ohne Mütze und Rock, rannte er in den Garten und war verschwunden wie ein Stein, den man ins Wasser geworfen hat, nur irgendwo bewegte sich plötzlich das Getreide.

»Geh' schnell weg, Gschela! Anna, an die Arbeit! Und du, Michael, mach' daß du fortkommst, und nicht einen Ton! ... befahl Ante! und setzte sich wieder an die unterbrochene Arbeit. Er fing an, die Sichel wieder einzuschalten, so gerade und bedächtig wie vordem, nur daß er immer wieder die Schneide gegen das Licht hob und mit den Augen nach links und rechts schielte, denn das Bellen der Hunde klang immer näher, und gleich darauf wurden schwere Schritte, Stimmen und das Klirren von Säbeln vernehmbar.

Sein Herz fing plötzlich an, rascher zu klopfen, seine Hände zitterten, aber er machte gleichmäßige genaue Einschnitte, ohne die Augen von der Arbeit zu erheben. Erst als die Gendarmen schon vor ihm standen, wandte er sich ihnen zu.

»Ist Rochus zu Hause?« fragte der Schulze ganz verängstigt.

Antek umfaßte mit einem flüchtigen Blick den Haufen und sagte langsam:

»Er muß im Dorf sein, ich habe ihn vom frühen Morgen an noch nicht gesehen.«

»Aufmachen!« kommandierte einer der Sergeanten.

»Ist doch offen!« knurrte Antek zur Antwort und erhob sich langsam von der Bank.

Ein Beamter betrat mit dem Gendarmen zugleich das Haus, und eine Anzahl Polizisten rannte nach allen Seiten auseinander, um den Garten und die Zugangswege zu bewachen. Auf der Straße hatte sich schon das halbe Dorf versammelt und sah schweigend zu, wie sie das ganze Haus durchstöberten, als wäre es ein Heuhaufen. Antek mußte ihnen alles selbst zeigen und jede Tür offnen; Anna aber saß ruhig mit dem Kind an der Brust am Fenster.

Natürlich war das Suchen vergeblich, aber sie schnüffelten überall herum, ohne auch nur eine Stelle unbeachtet zu lassen, und einer sah selbst unters Bett.

»Der sitzt da gerade und wartet auf euch!« murmelte sie heimlich vor sich hin.

Der Sergeant bemerkte ein paar Bücher auf dem Tisch, auf die man ein Kruzifix gestellt hatte; er stürzte sich wie wild darauf und begann eifrig darin zu blättern.

»Woher habt ihr das?«

»Die muß wohl Rochus hier hingelegt haben, da liegen sie denn auch!«

»Die Borynowa kann nicht lesen!« erklärte der Schulze.

»Wer kann denn von euch lesen?«

»Keiner, fein haben sie uns da in der Schule unterrichtet, daß keiner sich selbst im Gebetbuch zurechtfinden kann,« entgegnete Antek.

Der Sergeant gab die Bücher einem seiner Begleiter ab und wandte sich nach der anderen Seite des Hauses.

»Was ist denn mit der, ist sie krank?« Er wollte auf Fine zugehen.

»Jawohl, seit ein paar Wochen hat sie Pocken.«

Der Beamte trat rasch zurück.

»Hier hat er also gewohnt?« fragte er den Schulzen aus.

»Hier, und wie es kam, so wie das bei einem Bettler vorkommt.«

Sie durchstöberten alle Winkel und sahen selbst unter die Heiligenbilder; Fine verfolgte sie mit glühenden Augen, sie bebte ganz vor Angst, und als einer näher auf sie zukam, schrie sie wie ganz von Sinnen.

»Ich soll ihn gewiß noch in mein Bett versteckt haben, ihr könnt gern nachsehen!«

Als sie endlich fertig waren, trat Antek auf den Sergeanten zu, und sich tief vor ihm verbeugend, fragte er mit demütiger Stimme:

»Ich möcht' bitten, hat denn der Rochus eine Gaunerei gemacht?« ...

Der Beamte sah ihm ganz aus der Nähe in die Augen und sagte mit Nachdruck:

»Und wenn es herauskommt, daß du ihn versteckt hast, dann werdet ihr beide zusammen ins Gefängnis wandern, hörst du!«

»Ich hör' schon, nur kann ich nicht verstehen, worum es sich handelt.« Er kratzte sich besorgt den Kopf, der Beamte aber warf ihm einen zornigen Blick zu und ging mit den anderen ins Dorf.

Sie sahen noch in manches Haus ein und versuchten hier und da über Rochus zu horchen. Erst als die Sonne untergegangen war und die Wege sich mit den heimkommenden Herden füllten, fuhren sie weg, ohne etwas erlangt zu haben.

Das Dorf atmete auf, und auf einmal fing alles zu erzählen an, wie sie bei den Klembs, bei Gschela und Mathias gesucht hatten; jeder wußte alles am besten, hatte am wenigsten Angst gehabt und sie am meisten zum Narren gehalten.

Antek aber sagte, als er schließlich mit Anna allein geblieben war, ganz leise zu ihr:

»Ich seh' schon, die Sache ist so, daß man ihn nicht länger im Hause behalten kann.«

»Willst du ihn denn davonjagen? Einen solchen heiligen, guten Menschen und Wohltäter?«

»Daß euch das Donnerwetter! ...« fluchte er vor sich hin, ohne zu wissen, was er anfangen sollte. Zum Glück kam bald Gschela und Mathias, um etwas Bestimmtes zu beschließen; sie verschlossen sich in der Scheune, denn jeden Augenblick kam jemand ins Haus, um etwas über den Vorfall zu erfahren.

Die Dämmerung hatte schon die Welt ganz verhüllt, Anna hatte die Kühe gemolken, und Pjetrek war aus dem Wald zurückgekommen, als sie erst wieder zum Vorschein kamen. Antek ging gleich daran, den Wagen in Ordnung zu bringen, und Gschela und Mathias machten sich auf, den Rochus von Haus zu Haus zu suchen, um den Leuten auf diese Art Sand in die Augen zu streuen.

Man wunderte sich darüber, denn jeder hätte schwören können, daß Rochus irgendwo auf dem Borynahof versteckt sitzen müsse.

»Gleich nach dem Mittag ist er irgendwo fortgegangen, und niemand hat mehr was von ihm gesehen,« verbreiteten sie überall.

»Der hat noch Glück, sonst hätten sie ihm schon sicher die Schellen angelegt.«

Und in einem Nu verbreitete sich im Dorf die Kunde, wie sie es gerade wollten, daß Rochus schon seit Mittag aus dem Dorf geflohen sei.

»Der hat noch rechtzeitig Wind gekriegt und hat sich aus dem Staub gemacht,« redete man befriedigt.

»Daß er nur nicht wiederkommt! Hier hat er nichts mehr zu suchen!« sagte der alte Ploschka.

»Stört er euch denn? Hat er euch benachteiligt?« knurrte Mathias.

»Hat er denn nicht genug Verwirrung angerichtet, hat er uns nicht alle aufgewiegelt? Durch ihn wird noch das ganze Dorf zu leiden haben.«

»Dann greift ihn und liefert ihn aus! ...«

»Wenn ihr Verstand haben würdet, dann hätte man ihn schon längst ...«

Mathias fing an zu fluchen und wollte sich auf ihn stürzen. Kaum daß man sie noch hatte trennen können; er ging erst, nachdem er ihm mit den Fäusten weidlich gedroht und ihn beschimpft hatte. Da es inzwischen ganz dunkel geworden war, so waren auch alle allmählich nach ihren Behausungen auseinandergegangen.

Darauf hatte aber Antek gerade gewartet, denn kaum war die Dorfstraße leer geworden und die Menschen alle beim Abendessen, so daß der Duft gerösteten Specks, das Klappern der Löffel und gedämpfte Gespräche der Essenden sich von überallher zu verbreiten begannen, als er Rochus auf die Seite des Hauses führte, wo Fine lag und dann noch selbst Licht anzumachen verbot.

Der Alte nahm rasch etwas zu sich, sammelte seine Sachen und fing an, sich von den Frauen zu verabschieden. Anna fiel ihm zu Füßen und Fine brach in ein jämmerliches Weinen aus.

»Bleibt mit Gott, vielleicht sehen wir uns noch einmal wieder!« flüsterte er unter Tränen, umarmte sie und küßte sie auf die Stirn, wie ein Vater. Da aber Antek zur Eile antrieb, so segnete er nur noch das Haus und die Kinder, bekreuzigte sich und wandte sich nach dem Zaunüberstieg, der nach der Seite des Schobers lag.

»Die Pferde warten auf euch bei Schymek am Wald, und Mathias bringt euch weg.«

»Ich muß noch jemanden im Dorf sehen ... Wo treffen wir uns denn? ...«

»Am Kreuz beim Wald, wir wollen gleich dahin aufbrechen.«

»Das ist gut, denn ich hab' noch mit Gschela manches zu reden.«

Er verschwand in den Dunkelheiten, man konnte nicht einmal seine Schritte hören.

Antek spannte die Pferde an, legte ein Quart Roggen und einen Sack Kartoffeln in den Wagen, besprach sich eine Zeitlang mit Witek, und sagte schließlich laut:

»Witek, du sollst die Pferde zu Schymek nach der Waldmeierei bringen und kehre dann gleich zurück! Verstehst du?«

Der Junge blinzelte ihm nur zu, sprang auf den Bock und fuhr von der Stelle weg in einer solchen Fahrt los, daß ihm Antek nachrufen mußte:

»Nicht so, du Biest! Sonst wirst du mir noch die Pferde zuschanden fahren!«

Inzwischen schlich Rochus auf Hinterwegen nach der Dominikbäuerin, wo er noch verschiedenes liegen hatte, und verschloß sich dort im Alkoven. Jendschych stand auf der Straße Posten, Jaguscha sah in einem zu in den Heckenweg hinaus, und die Alte saß in der Stube und horchte unruhig nach draußen.

Es gingen ein paar gute Paternoster vorüber, bevor Rochus hinauskam. Er besprach noch irgend etwas leise mit der Dominikbäuerin und, nachdem er sein Bündel auf die Schulter geladen hatte, wollte er schon gehen, aber Jaguscha drängte ihn, doch mindestens seine Last bis zum Wald nachtragen zu dürfen. Er widersetzte sich dem nicht, und nachdem er von der Alten Abschied genommen hatte, wandte er sich durch den Obstgarten den Feldern zu.

Sie gingen langsam, vorsichtig und schweigend über die Feldraine dahin.

Die Nacht war hell, voll funkelnder Sterne, und die schlummernde Erde lag in wohliger Stille, nur irgendwo im Dorf hörte man Hundegebell ... Sie waren schon fast am Wald, als Rochus plötzlich stehenblieb und ihre Hand ergriff.

»Jaguscha,« murmelte er gütig, »höre mal aufmerksam zu, was ich sage.«

Sie hörte voll inneren Bebens und voll böser Ahnungen auf seine Worte.

Er sprach zu ihr wie ein Priester in der Beichte, hielt ihr den Antek, den Schulzen und vor allem den Jascho vor. Er bat und flehte bei allem, was ihr heilig sei, sich zu besinnen und ein anderes Leben anzufangen.

Sie wandte beschämt ihr Gesicht von ihm ab, die Scham stieg ihr brennend in die Wangen, und das Herz krampfte sich ihr qualvoll zusammen; als er aber den Jascho erwähnt hatte, erhob sie trotzig den Kopf.

»Was treib' ich denn Schlechtes mit ihm?«

Er fing an, ihr alles auf seine Art zu erklären und ihr gütig vorzustellen, welchen Versuchungen sie sich aussetzten und zu welchem allgemeinen Ärgernis sie der Böse verleiten könnte.

Sie hörte nicht auf ihn und seufzte nur vor sich hin, alle ihre Gedanken waren bei Jascho, ihre leuchtenden, vollen Lippen flüsterten wie von selbst voll leidenschaftlicher Hingebung seinen Namen, und ihre glühenden Augen eilten weit hinaus wie sangesfrohe Vögel und umkreisten sein liebes Haupt.

»Ich würd' ihm ja bis ans Ende der Welt folgen!« entschlüpfte es ihr ganz unwillkürlich, so daß Rochus erbebte, ihr in die weitgeöffneten Augen sah und verstummte.

Am Waldrand beim Kreuz tauchte etwas Weißliches wie Bauernröcke auf.

»Wer ist da?« fragte er etwas unruhig.

»Wir sind es, nur die Unsrigen!«

»Die Beine wollen nicht mehr, ich muß etwas ausruhen,« sagte er, sich zwischen sie setzend. Jaguscha warf das Bündel ab und hockte etwas beiseite ganz im Schatten der Birken unter dem Kreuz nieder.

»Daß ihr nur keine neuen Ungelegenheiten kriegt ...«

»Mein Gott ... Schlimmer ist es, daß ihr uns verlassen müßt,« sagte Antek.

»Es kann sein, daß ich mal wiederkomme, vielleicht! ...«

»Diese Bande, einen Menschen so zu jagen wie einen tollen Hund!« brach Mathias los.

»Und warum, mein Gott, warum?« seufzte Gschela auf.

»Daß ich Wahrheit und Gerechtigkeit für das Volk will!« ließ sich Rochus feierlich vernehmen.

»Ein jeder hat es schlecht auf dieser Welt, am schlechtesten aber der Gerechte.«

»Sorg' dich nicht, Gschela, es wird sich noch alles zum Besseren wenden.«

»So denk' ich auch, denn es ist schwer, zu glauben, daß alle Mühe umsonst wäre.«

»Wart' einer mal, bis die Wölfe die Stute aufgefressen haben!« murrte Antek und starrte in die Dunkelheit, aus der das helle Gesicht Jaguschas schimmrig zu sehen war.

»Ich sag' es euch, wer das Unkraut jätet und das gute Korn säet, der wird zur rechten Zeit ernten!«

»Und wenn es nicht gedeiht? Auch das kann ja vorkommen, nicht?«

»Das ist wahr, aber jeder sät doch mit dem Glauben, daß er das Doppelte ernten wird.«

»Versteht sich, wer würde sich denn umsonst mühen wollen!«

Sie überließen sich ihren Gedanken über diese Dinge.

Ein Windzug strich vorüber, die Birken über ihnen fingen an zu rascheln, der Wald rauschte dumpf auf, und von den Feldern kam das krispelnde Geräusch der sich aneinander reibenden Getreidehalme. Der Mond kam heraufgeschwommen und glitt über den Himmel durch eine Straße weißer Wolken dahin, die sich zu einer Doppelreihe gehäuft hatten, die Bäume begannen, ihre durchleuchteten Schatten zu werfen, die Fledermäuse huschten in einem stillen kreisenden Fluge an ihren Köpfen vorüber, und ein Gefühl der Trauer erfüllte ihre Herzen.

Jaguscha fing an, ganz leise und ohne Grund zu weinen.

»Was fehlt dir denn?« fragte Rochus gütig und strich ihr über das Haar.

»Ich weiß schon nicht, es ist mir so seltsam zumute.«

Auch die anderen fühlten sich nicht besser, ihre Seelen waren voll Wehmut, sie saßen bedrückt und sahen mit trüben Augen zu Rochus hin, der ihnen jetzt ganz wie ein Heiliger schien. Er saß dicht unter dem Kreuz, von dem herab das schwer niederhängende Christusbild die blutigen Hände segnend über seinem alten, müden Kopf ausbreitete; er sprach mit einer Stimme voll Zuversicht:

»Wegen mir braucht ihr keine Angst zu haben, ein winziges Stäubchen bin ich nur, ein Halm vom reichen Feld. Nimmt man mich und bringt mich ins Verderben, so schadet es nichts, denn es bleiben noch viele solche, und jeder ist bereit, auf gleiche Weise sein Leben der Sache zu widmen ... Und kommt die Zeit, dann werden Tausende von ihnen auftauchen, sie werden aus den Städten und aus den Bauernhütten kommen und aus den Herrenhöfen auch, in einer ununterbrochenen Reihe werden sie kommen und werden ihre Köpfe hingeben und ihr Blut fließen lassen und werden einer nach dem anderen fallen, wie Steine sich häufend, bis aus ihnen die heilige, ersehnte Kirche aufgebaut wird. Und ich sage es euch, daß sie erbaut wird und bis in alle Ewigkeiten stehenbleibt, und keine böse Macht wird sie mehr überwinden können, denn sie wird aus Blutopfern und Liebe entstehen ...«

Und er erzählte breit und lang, daß nicht ein Tropfen Blut, nicht eine Träne, nicht eine Anstrengung umsonst verloren geht, und wie in einem Forst, wie Getreide auf gedüngtem Boden, immer wieder neue Streiter geboren werden, neue Kräfte, neue Opfer, bis der heilige Tag der Auferstehung kommt, der Tag der Wahrheit und Gerechtigkeit für das ganze Volk!

Er redete mit Wärme und zuweilen mit so hohen Worten, daß es gar nicht möglich war, alles zu begreifen; aber ein heiliges Feuer hatte sie ergriffen, und ihre Herzen waren von einer solchen Begeisterung erfüllt, so voll Glauben, Macht und voll heißer Wünsche, daß Antek laut ausrief:

»Jesus ... Ihr braucht uns nur anzuführen ... und ich folge euch nach, und wenn es auch in den Tod sein sollte!«

»Alle wollen wir gehen und was sich uns in den Weg stellen wird, das werden wir zerstampfen!«

»Wer wird sich uns widersetzen können, wer kann uns überwinden? Da sollte einer bloß einmal den Versuch machen!«

Einer nach dem anderen brach in heftige Worte aus, sie wurden immer leidenschaftlicher, so daß er sie beruhigen mußte, und nachdem er ihnen noch näher gerückt war, fing er an, sie zu unterweisen, wie dieser ersehnte Tag wohl sein würde und was sie tun müßten, um sein Kommen zu beschleunigen.

Er redete so gewichtige und ganz unerwartete Dinge, daß sie ihm mit verhaltenem Atem zuhörten, mit Angst und Freude zugleich; jedes seiner Worte nahmen sie mit einem Schauer heißen Glaubens auf, wie das allerheiligste Abendmahl ... Denn es war ihnen, als öffnete er den Himmel ihren Blicken, als zeigte er ihnen Paradiese, so daß ihre Seelen verzückt niedersanken, ihre Augen unaussprechliche Wunder schauten und die Herzen den süßen Engelssang der Hoffnung in sich tranken ...

»Es liegt in eurer Macht, daß es so geschieht!« schloß er, schon sehr ermüdet. Der Mond versteckte sich hinter einer Wolke, der Himmel wurde grau, die Felder trübten sich, der Wald fing an, ganz leise etwas zu murmeln, das Getreide raschelte ängstlich auf und irgendwo von den fernen Dörfern drang zu ihnen Hundegebell herüber. Sie aber saßen stumm, seltsam schweigsam geworden, ganz andächtig und wie von seinen Worten trunken da und waren seltsam feierlich, wie nach einem Gelübde.

»Es ist Zeit, daß ich gehe!« sagte Rochus aufstehend. Er schloß jeden in seine Arme und küßte ihn zum Abschied. Fast wären ihnen vor Wehmut die Tränen gekommen; er aber kniete nieder, sprach ein kurzes Gebet, fiel aufs Gesicht und schluchzte auf, die Erde wie seine Mutter, von der man Abschied nimmt, umarmend.

Jaguscha weinte hell auf, und die Männer begannen sich heimlich die Tränen aus den Augen zu wischen.

Gleich darauf gingen sie auseinander.

Ins Dorf kehrten nur Antek und Jaguscha zurück, die anderen verschwanden irgendwo im Wald.

»Und erzähl' ja niemandem davon, was du gehört hast!« sagte er nach einer längeren Zeit.

»Lauf' ich denn etwa mit Neuigkeiten von Haus zu Haus!« knurrte sie zornig.

»Und Gott behüte, daß der Schulze etwas davon erfährt,« ermahnte er streng.

Sie entgegnete nichts, hatte aber die Schritte beschleunigt, doch er ließ sich von ihr nicht überholen; ununterbrochen hielt er sich an ihrer Seite und sah hin und wieder in ihr verweintes, zorniges Gesicht.

Der Mond leuchtete wieder auf, er hing jetzt gerade über dem Feldweg, so daß sie wie über einen silbernen Rain gingen, der von verschnörkelten Baumschatten eingefaßt war, und auf einmal fing sein Herz an, lebhafter zu schlagen, und ein Sehnen streckte unerbittlich die Arme in ihm aus; er schob sich erst ein bißchen, dann immer näher und zuletzt so nahe an sie heran, daß er nur die Hand auszustrecken brauchte, um sie an sich zu ziehen, aber er tat es nicht, ihr verbissenes Schweigen hielt ihn zurück, so daß er schließlich nur hämisch sagte:

»Du rennst so, als wolltest du von mir fortlaufen ...

»Das ist auch schon so! Wenn uns einer sieht, wird wieder ein neuer Klatsch zurechtkommen.«

»Oder hast du vielleicht eilig, einen zu treffen?«

»Versteht sich, darf ich das etwa nicht? Bin ich denn keine Witwe?«

»Ich sehe, daß man nicht umsonst davon redet, daß du dich anschickst, Wirtschafterin bei einem Priester zu werden.«

Sie rannte stürmisch davon, und heiße Tränen begannen ihr Gesicht zu überströmen.


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