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Initial Die Tage zwischen Fronleichnam und Sonntag waren nicht leicht, weder für Mathias noch für Gschela und die anderen Kameraden. Mathias ließ seine Arbeit an Stachos Haus im Stich, und auch die anderen stellten einstweilen ihre Tätigkeit ein und gingen ganze Tage und Abende lang einzeln von Haus zu Haus, wiegelten das Volk gegen die Deutschen auf und versuchten es, dazu zu bewegen, sie aus der Waldmeierei fortzujagen.

Jankel sparte seinerseits auch nicht mit Zureden, und wo es bei besonders Hartnäckigen nötig war, half er mit Bewirtungen oder selbst mit Kredit nach; aber es ging nur holperig vorwärts; die Älteren kratzten sich über die Schädel, seufzten schwer, und ohne sich für das eine oder andere zu entschließen, sahen sie jeder auf seinen Nächsten und vor allem auf die Weiber, die alle einmütig nichts von diesem Vorstoß gegen die Deutschen wissen wollten.

»Hale! Was denen da in den Kopf gekommen ist! Als wenn nicht gerade schon genug Elend wegen dem Wald da ist? ... Sie haben die eine Sache noch nicht abgesessen und wollen schon wieder neues Unglück über das Dorf bringen!« riefen sie, und die Schultheißin, die sonst eine stille Frau war, griff selbst nach dem Besenstiel, um den Gschela aus dem Haus zu jagen.

»Wenn du die Leute zu neuen Unruhen überreden wirst, dann zeig' ich dich den Schandarmen an! Diese faulen Kerle, zum Arbeiten haben sie keine Lust, da möchten sie denn nur immerzu herumspazieren!« schrie sie vor dem Haus.

Die Balcerek aber wetterte gegen Mathias los:

»Die Hunde werd' ich auf euch Tagediebe hetzen! Mit kochendem Wasser komm' ich euch noch!«

Keine wollte sich auch nur irgendwie zureden lassen. Sie blieben taub gegen alle Auseinandersetzungen und Bitten, so daß es keine Möglichkeit war, ihnen mit Vernunftgründen zu kommen; sie überschrien jeden, und manch eine brach selbst in lautes Weinen dabei aus.

»Ich lasse Meinen nicht gehen! An seinen Rock werd' ich mich hängen, und wenn sie mir die Hände abhacken sollten, ich laß ihn nicht! ... Wir haben uns nun grad genug gequält! ...«

»Daß euch, dumme Strünke, die schwefligen Wetter auseinandertragen!« fluchte Mathias. »Die schreien und schreien rein wie die Elstern vor dem Regen. Ein Kalb begreift leichter, wenn ein Mensch ihm zuredet, wie so ein Frauenzimmer. So einer wird man selbst die größte Wahrheit umsonst sagen!« klagte er, arg entmutigt.

»Gib es auf, Gschela, du kommst mit ihnen doch nicht zurecht: da müßte man schon jede erst durchbläuen ..., oder du müßtest dich mit ihr verheiraten, dann würde sie vielleicht auf dich hören,« klagte er trübsinnig.

»So sind sie schon, mit Gewalt wirst du sie nicht ändern; man muß mit ihnen auf eine andere Art und Weise umgehen; sich nicht widersetzen, nur immer ja sagen und langsam auf seine Seite ziehen,« setzte Gschela auseinander, ohne von seinem Plan abzulassen; denn obgleich er zuerst selbst dagegen war, hatte er sich doch, nachdem er erkannt hatte, daß es nicht anders ging, mit ganzer Seele der Sache hingegeben.

Er war ein harter und unnachgiebiger Mensch, und worauf er sich versteift hatte, das mußte er erreichen, wenn auch Gott weiß was im Wege stand; so achtete er auch jetzt auf nichts, und schlugen sie ihm die Türen vor der Nase zu, dann redete er noch durch die Fenster auf sie ein; die Weiber drohten ihm, er aber ärgerte sich nicht, pflichtete ihnen selbst bei und schmeichelte, wo es nötig war, und bei manch einer erkundigte er sich nach den Kindern und lobte, wie fein sie alles instand zu halten wußte, und schließlich verstand er doch, das Seine anzubringen; und gelang es ihm nicht/ dann ging er eben weiter. Ganze zwei Tage war er überall im Dorf, in den Häusern, in den Obstgärten zu sehen, dieses und jenes sprechend, und brachte bei ihnen an, was er ihnen zu sagen hatte. Denen, die das alles nicht gleich begreifen konnten, zeichnete er mit dem Stock auf dem Boden die Felder der Waldmeierei auf, zeigte ihnen die Parzellen an und erklärte geduldig die Vorteile, die ein jeder daraus haben würde. Trotz dieser Mühen wäre all seine Arbeit umsonst gewesen, wenn ihm nicht Rochus beigesprungen wäre. Gegen Sonnabend nachmittag, nachdem sie gemerkt hatten, daß sie das Dorf nicht herumkriegen konnten, riefen sie Rochus hinter die Scheunen des Borynahofes hinaus und vertrauten sich ihm an; sie hatten Angst, er würde dagegen sein.

Aber Rochus überlegte einen Augenblick und sagte:

»Das ist ein Mittel für Räuber, aber zu einem anderen ist schon keine Zeit mehr da, ich will euch gern helfen.«

Und gleich darauf ging er auf die Gemüsebeete hinaus, wo der Pfarrer bei seinem Knecht saß, der Klee mähte. Dieser erzählte später, daß Hochwürden zuerst ganz erzürnt war, geschrien und sich die Ohren zugehalten hätte, nicht einmal zuhören wollte er, dann aber hätten sie sich beide am Feldrain gesetzt und lange miteinander beratschlagt. Rochus schien ihn überzeugt zu haben, denn bei eintretender Dämmerung, als die Leute von den Feldern heimzukehren begannen, ging der Pfarrer ins Dorf, als wollte er sich etwas in der Abendkühle ergehen, sah in verschiedene Gehöfte ein und fragte nach verschiedenem aus; hauptsächlich aber besprach er sich mit den Frauen, und zum Schluß sagte er einer jeden:

»Die Burschen wollen nur Gutes. Man muß sich beeilen, solange es noch Zeit ist. Tut das eure, und ich fahre zum Gutsherrn und werde ihm schon zureden.«

Und er hatte so viel erreicht, daß die Frauen sich nicht mehr widersetzten und die Hofbauern zum Schluß gelangten, daß man es tun müßte, wenn sogar der Priester da zureden tat.

Sie beratschlagten noch den ganzen Abend hindurch, und am Sonntagmorgen hatten alle einmütig ihren Entschluß gefaßt.

Sie sollten nach der Vesper unter der Führung von Rochus, der sich mit den Deutschen in ihrer Sprache verständigen konnte, hinausgehen.

Rochus hatte es ihnen gerade zugesagt; sie gingen freudig aufjuchzend auseinander, er aber blieb auf der Galerie des Borynahauses sitzen, ließ die Perlen des Rosenkranzes durch die Finger gleiten und sann tief nach.

Es war noch früh am Morgen, man hatte erst die Schüsseln vom Frühstück weggeräumt, und der Duft des sauren Mehlbreis und des Specks stieg noch in die Nase; nur Pjetrek war noch nach der Mahlzeit sitzengeblieben und räkelte sich träge herum.

Das Wetter wurde warm, aber nicht drückend, die Schwalben durchschnitten wie Kugeln die Luft. Die Sonne kam erst über dem Haus hervor, im Schatten glitzerten die taufeuchten, niedergebeugten Gräser, und von den Feldern strömte eine Frische, in der der Honigduft von jungem Getreide lag.

Im Hause selbst war es still, wie gewöhnlich am Sonntag; die Frauen waren emsig beim letzten Aufräumen, die Kinder saßen vor der Galerie um eine Schüssel herum und aßen bedächtig, sich mit Geschrei gegen Waupa wehrend, der um jeden Preis etwas abhaben wollte; das Mutterschwein lag an der Hauswand im Sonnenschein und stöhnte, so drangen die jungen Ferkel auf sie ein; dann wieder trieb der Storch die Hühner auseinander und stelzte hinter dem Füllen her, das auf dem Hof herumsprang; manchmal rauschten die Bäume auf, so daß der Obstgarten sich wie schwankend bewegte, und über den Feldern war das Gesumm der arbeitenden Bienen und das Jubilieren der Lerchen zu hören.

Auch auf das Dorf legte sich sonntägliche Stille, so daß man nur hin und wieder einen Laut hörte; eine Henne lockte ihre Küchlein, und irgendwo am Weiher wuschen sich die Dorfjungen mit lautem Lachen und Panschen/hin und wieder quakte eine Ente auf.

Die Wege lagen leer, in der Sonne flimmernd; kaum einer ging vorbei, und nur hier und da an den Haustüren kämmten sich die Mädchen, und irgendwo spielte eine Schalmei.

Rochus fingerte am Rosenkranz, horchte zuweilen auf und dachte hauptsächlich an Jaguscha; er hörte sie in der Stube hin und her gehen, zuweilen blieb sie hinter ihm stehen, dann eilte sie wieder auf den Hof, und wenn sie an ihm wieder vorbei mußte, senkte sie beschämt den Blick; eine plötzliche Röte war in ihr abgehärmtes Gesicht gestiegen.

»Jagusch!« flüsterte er gütig, die Augen zu ihr aufrichtend.

Sie blieb mit angehaltenem Atem erwartungsvoll stehen, er aber, als wüßte er nicht recht, was er sagen wollte, murmelte nur etwas in den Bart und verstummte wieder.

Sie ging wieder auf ihre Seite, setzte sich ans offene Fenster, und gegen den Fensterrahmen gelehnt, sah sie mit traurigen Augen in die Welt voll Sonnenschein, auf die weißen Wölklein, die wie Gänse über den hellen Himmel zogen; und schwere Seufzer entstiegen ihrer Brust; hin und wieder aber tropften ein paar Tränen aus den geröteten Augen und flossen langsam über ihr blasses Gesicht. Hatte sie vielleicht nicht genug durchgemacht in diesen Tagen? Das ganze Dorf hetzte gegen sie wie gegen einen räudigen Hund; die Frauen wandten sich von ihr weg, wenn sie vorüberging, und einzelne spien sogar hinter ihr aus; die Freundinnen wollten sie nicht bemerken, die Männer lächelten verächtlich, und gestern hatte ihr der jüngste Gulbasjunge Schmutz nachgeworfen und hatte ihr noch nachgeschrien, daß sie dem Schulzen seine Buhle sei.

Wie ein Messer ist es ihr durch und durch gegangen, und ein Wunder, daß sie an der Schande nicht erstickt ist.

Mein Gott, war sie denn daran schuld? ... Er hatte sie ja so betrunken gemacht, daß sie nichts mehr von Gottes Welt wußte ... Und jetzt waren alle gegen sie, das ganze Dorf mied sie wie eine Verpestete, niemand wollte sie in Schutz nehmen.

Wo soll sie sich jetzt hinwenden? Man schließt ihr die Türen vor der Nase zu und möchte ihr am liebsten einen Hund nachhetzen! ... Selbst zu der Mutter kann sie nicht kommen: sie hat sie doch weggejagt trotz ihrer Bitten und Tränen ... und wenn nicht Anna, hätte sie sich gewiß schon was Schlimmes angetan ... Das war so, nur einzig Anteks Frau hatte sich in Güte ihrer angenommen, ohne ihre hilfreiche Hand zurückzuziehen, und bei den Menschen hatte sie sie auch noch verteidigt.

Sie war nicht schuldig, nein, der Schulze war schuld; er hatte sie verführt und zur Sünde gebracht; und am meisten schuld an allem war dieser Alte da! Sie mußte plötzlich an ihren Mann denken: »Das ganze Leben hat er mir zunichte gemacht! Wenn ich nicht geheiratet hätte, da hätte man nicht zugelassen, daß man mir Unrecht tut, nein ... Und was hab' ich denn bei ihm gehabt? Weder was vom Leben noch von der Welt!«

Sie sann angestrengt darüber nach, bis daß der Groll in ihr zerrann und ein großer Zorn über sie kam und ihr so in die Glieder fuhr, daß sie in der Stube auf und ab zu rennen begann. »Natürlich, alles Schlechte kam nur durch ihn ... und mit Antek wäre das auch nicht so gewesen ... und der Schulze hätte sich nicht erdreistet ... und alles ...« klagte sie. »Sie hätte still für sich gelebt wie früher, wie alle anderen noch leben ... Der Böse hatte ihn ihr in den Weg gebracht und dann die Mutter mit dem vielen Land verführt, und jetzt kann sie dafür büßen ... das ist so ... daß dich die Würmer zernagen!« brach es wütend aus ihr heraus, sie ballte voll Rachsucht die Fäuste; und als sie durch das Fenster den Korbsitz mit dem Kranken unter den Bäumen erblickte, lief sie wütend hin und zischte, sich über ihn beugend, haßerfüllt hervor:

»Daß du im Augenblick noch verreckst, du Hund! ....«

Der Alte starrte sie an und murmelte etwas, aber sie war wieder fortgerannt: sie spürte eine mächtige Erleichterung, sie hatte nun einen, auf den sie das ihr geschehene Unrecht abladen konnte.

Der Schmied stand auf der Galerie, als sie vorbeiging, tat aber, als sähe er sie nicht. Er fing an, noch lauter mit Rochus zu reden:

»Mathias sagt, daß ihr sie gegen die Deutschen führen wollt ...«

»Sie haben mich gebeten, dann gehe ich mit ihnen zu den Nachbarn,« sagte Rochus mit Nachdruck.

»Die geben sich Mühe, daß sie bald wieder ins Loch kommen. Denen ist die Frechheit nach der Sache mit dem Wald und dem Gutsherrn zu Kopf gestiegen, sie glauben wohl jetzt, daß, wenn sie wieder in hellen Haufen mit Knütteln und Geschrei angerannt kommen, die Deutschen es gleich mit der Angst kriegen werden und die Waldmeierei aus den Fingern lassen.«

Er konnte kaum seinen Zorn unterdrücken.

»Vielleicht lassen sie auch vom Kauf ab, wer kann das wissen?«

»Hat sich was! Den Grund und Boden haben sie schon abgemessen, alle Familien sind schon hergekommen, den Brunnen graben sie schon, fahren Steine für die Fundamente zusammen ...«

»Ich weiß gut, daß sie beim Notar die Akten noch nicht unterschrieben haben.«

»Mir haben sie zugeschworen, daß schon alles fertig ist.«

»Ich sag' euch, was ich weiß, und wenn der Gutsherr bessere Käufer finden würde ...«

»Lipce wird sie doch auf keinen Fall kaufen, nach Geld riecht hier keiner.«

»Der Gschela kalkuliert da irgend etwas, und es scheint mir ...«

»Gschela!« unterbrach er ihn wütend. »Gschela drängt sich immer auf den ersten Platz, und dumm ist er doch, macht nur das Volk irre und führt es zum Schlechten...«

»Wir werden sehen, was dabei herauskommt, wir werden sehen!« sprach Rochus, leicht lächelnd, denn der Schmied zerrte sich fast den Schnurrbart aus vor Wut.

»Jacek vom Amt!« rief er plötzlich, als er den Gemeindediener am Heckenweg auftauchen sah.

»Für Anna Matwejewna Boryna, ein Papier vom Amt!« rezitierte Jacek, einen Briefumschlag aus der Posttasche holend.

Anna kam schnell heraus und drehte unruhig das Papier in den Händen hin und her, ohne zu wissen, was sie damit anfangen sollte.

»Ich werde es euch vorlesen,« sagte Rochus.

Der Schmied reckte sich und versuchte über seine Schulter hinweg mit in das Schreiben hineinzusehen, aber Rochus faltete rasch den Brief zusammen und sagte mit der größten Ruhe:

»Das Gericht benachrichtigt euch, daß ihr zweimal wöchentlich Antek sehen dürft.«

Anna bewirtete den Gemeindeboten und kehrte wieder in die Stube zurück; Rochus aber folgte ihr, nachdem der Schmied gegangen war, nach und rief freudig bewegt:

»Etwas anderes steht da in diesem Schreiben, ich wollte es nur nicht vor dem Schmied sagen! Das Gericht benachrichtigt euch, ihr sollt fünfhundert Rubel Bürgschaft bringen. Dann wollen sie Antek gleich herauslassen ... Was ist euch denn? ...«

Sie entgegnete nichts, es benahm ihr ganz die Stimme; sie blieb wie erstarrt stehen, ihre Wangen röteten sich, dann wurde sie wieder blaß wie Kalk, und Tränen kamen ihr in die Augen. Sie breitete die Arme aus und warf sich mit einem tiefen Seufzer aufs Antlitz vor den Heiligenbildern nieder.

Rochus ging leise hinaus, saß auf der Galerie, die Zustellung nochmals durchlesend, und lächelte erfreut vor sich hin; nach einer Weile sah er wieder in der Stube nach.

Anna kniete noch immer, aus ganzer Seele betend; ihr Herz konnte die Freude gar nicht fassen, eine heiße Dankbarkeit überkam sie; kurze abgerissene Seufzer und inbrünstiges Murmeln wuchsen aus ihrer Seele auf und legten sich wie Dankesopfer zu Füßen der Tschenstochauer Madonna. Tränen des Glücks flossen über ihre Wangen, und zugleich mit ihnen zerrann die Erinnerung an all die vergangenen Leiden und all die erlittene Not.

Sie erhob sich schließlich, und die Tränen trocknend sagte sie zu Rochus:

»Ich bin schon zu allem bereit, was da kommen soll, wenn es selbst das Schlechteste wäre, so schlecht wird es schon nicht mehr sein.«

Er war selbst verwundert, wie sie sich plötzlich geändert hatte: ihre Augen glänzten auf, eine Röte war in ihre Wangen gestiegen, und sie reckte sich hoch auf; es war, als ob sie sich plötzlich verjüngt hätte.

»Beeilt euch mit dem Verkauf, kriegt noch das nötige Geld zusammen, und wir fahren dann hin, Antek zu holen, selbst morgen oder am Dienstag, wenn es sein soll.«

»Antek kehrt heim! Antek kehrt heim!« wiederholte sie unwillkürlich.

»Erzählt nichts herum! Wenn er zurückkehrt, werden sie es früh genug sehen, und später muß man sagen, daß sie ihn ohne Pfand freigelassen haben: da wird der Schmied nichts haben, um daran was auszusetzen,« belehrte er sie leise.

Sie versprach es ihm feierlich; nur der Fine wollte sie es sagen, denn sie konnte kaum die gewaltige Freude dämmen; sie ging wie trunken umher, küßte in einem fort die Kinder, redete auf das Fohlen ein, sprach mit der Sau, neckte den Storch und flüsterte dem Waupa, der winselnd ihr auf Schritt und Tritt folgte und ihr in die Augen sah, als ahnte er etwas, gerade wie einem Menschen ins Ohr:

»Sei man still, Dummer, der Bauer kehren heim!«

Sie weinte und lachte durcheinander, lange erzählte sie Matheus etwas darüber, so daß er die Augen aufsperrte und etwas Unverständliches lallte. Sie hatte die ganze Welt vergessen, und Fine mußte sie daran erinnern, daß es schon Zeit wäre, sich zum Kirchgang zurechtzumachen. Hei, wie die Freude sie trug, sie hätte singen mögen, hinausfliegen in die weite Welt und hätte den Getreidefeldern, die sich raschelnd vor ihr niederbeugten, den Bäumen und der ganzen Erde am liebsten zugerufen:

»Der Hofbauer kehren heim! Antek!«

Aus dieser Freude heraus forderte sie selbst Jagna auf, sie möchten doch zusammen gehen, aber Jagna wollte nicht, sie zog es vor, zu Hause zu bleiben.

Niemand hatte ihr etwas über Antek gesagt, aber sie erriet es doch sogleich aus halben Worten und aus Annas Betragen. Auch sie ergriff diese Neuigkeit und wiegte sie in eine freudige, stille Hoffnung, so daß sie, auf nichts mehr achtend, zur Mutter hinrannte.

Sie kam nicht zu einer gelegenen Stunde, denn es war da gerade ein arger Zank im Gange.

Gleich nach dem Frühstück hatte sich Schymek mit einer Zigarette zwischen den Zähnen ans Fenster gesetzt, spie in die Stube und sann lange vor sich hin, bis er schließlich, mit einem Blick nach seinem Bruder zu, sagte:

»Und das will ich euch nur sagen, Mutter, Geld sollt ihr mir geben, denn ich muß das Aufgebot bezahlen. Der Pfarrer hat gesagt, wir sollen vor der Vesper hinkommen.«

»Mit wem willst du dich denn da verheiraten?« fragte sie mit höhnischem Lachen.

»Mit der Nastuscha Täubich, ihr wißt es ja.«

Sie antwortete nicht, eifrig in der Stube bei den Töpfen am Herd beschäftigt. Jendschych legte Holz aufs Feuer, und obgleich es hell brannte, fachte er es in seiner Angst immer eifriger an; der Schymek aber, nachdem er eine Weile gewartet hatte, ließ sich abermals, jedoch schon viel entschiedener vernehmen:

»Ganze fünf Rubel müßt ihr mir geben; man muß ja auch die Verlobung feiern...«

»Hast du denn schon zu ihr mit Schnaps geschickt, wie?« fragte sie in demselben Tonfall.

»Der Klemb und der Ploschka sind da gewesen.«

»Und hat sie dich denn angenommen, he?« Ihr Kinn zitterte, denn sie lachte böse.

»Versteht sich!...Natürlich hat sie das!«

»So? Hat sie...da hat das blinde Huhn sich auch ein Körnlein gefunden: wie soll sie denn auch nicht ja sagen, so ein Gestell! ...«

Schymek runzelte die Stirn, wartete aber, daß sie noch mehr sagen würde.

»Bringe Wasser aus dem Weiher, und du, Jendschych, laß den Eber heraus, denn er quiekt in einem zu...«

Sie taten es fast unwillkürlich, und als Schymek sich wieder auf der Bank breit gemacht hatte und der Jüngere an der Herdplatte herumhantierte, befahl die Alte mit einer harten Stimme:

»Trage den Drank nach der Färse, Schymek!«

»Tragt ihn euch selber, eure Magd bin ich nicht!« knurrte er trotzig, sich noch bequemer zurechtsetzend.

»Hast du's gehört?...Treib' mich nicht zur Wut am heiligen Sonntag!...«

»Ihr habt auch meins gehört: gebt mir das Geld, aber rasch!«

»Ich geb' es nicht! Und zu heiraten erlaub' ich dir auch nicht!« brach sie los.

Er beugte sich plötzlich vor ihr und umfaßte demütig ihre Knie.

»Ich bitt' euch doch, Mutter, ich bettle ja darum, rein wie ein Hund...«

Seine Stimme klang wie durch Tränen.

Jendschych heulte ebenfalls los und fing an, die Hände der Mutter zu küssen, sie ebenfalls um die Knie zu fassen und mit dem Bruder zusammen zu bitten.

Sie stieß sie böse von sich.

»Daß du dich nicht unterstehst, sonst jag' ich dich in alle Winde!« schrie sie, mit den Fäusten drohend.

Aber Schymek ließ sich nicht mehr einschüchtern, die Worte der Mutter hatten ihn wie Peitschenschläge getroffen, so daß ihm die Wut zu Kopf stieg; er reckte sich trotzig, und die erbliche Verbissenheit der Patsches wallte in ihm auf; er trat in die Mitte der Stube und sagte mit einer furchtbaren Ruhe, sie mit funkelnden Augen anbohrend:

»Du gibst das Geld, und das gleich!...Länger warten tu' ich nicht und bitten erst recht nicht!...«

»Nichts geb' ich!« schrie sie außer sich zurück, sich in der Stube nach einem Gegenstand umsehend, mit dem sie auf ihn eingehen konnte.

»Dann nehm' ich es mir!«

Er sprang auf die Lade zu, wie eine Wildkatze; mit einem Ruck hatte er den Deckel aufgerissen und fing an, aus dem Inneren Kleidungsstücke auf den Fußboden herauszuschleudern. Schreiend stürzte sie auf ihre Habe und versuchte erst, nur ihn davon abzudrängen; da er aber nicht einen Schritt zurückwich, packte sie mit einer Hand sein Haar und begann mit der anderen ihn auf Gesicht und Kopf zu schlagen, ihn von hinten zu treten und laut aufzukreischen. Er mühte sich erst noch, sie abzuschütteln, wie man einer lästigen Fliege wehrt und hörte nicht auf, nach Geld zu suchen, bis er, nachdem sie ihm einen Fußtritt irgendwo in die Lenden versetzt hatte, sie mit solcher Wut von sich stieß, daß sie der Länge nach zu Boden fiel; doch sie sprang sofort wieder auf, griff nach einem Feuerhaken und stürzte sich abermals auf ihn. Er wollte keine Prügelei mit der Mutter, so wehrte er nur, so gut er konnte, ihre Schläge ab und versuchte, ihr das Eisen zu entreißen. Ein Lärm erfüllte die Stube, und Jendschych rannte jammernd um sie herum und flehte die Alte kläglich an:

»Mutter, um Gottes willen!...Mutter!...«

Jagna, die gerade in diesem Augenblick eingetreten war, warf sich dazwischen, um sie zu entwaffnen, doch es war vergeblich, denn jedesmal, wenn Schymek zurückwich und beiseite sprang, stürzte die Mutter wieder wie ein bissiger Hund über ihn her, schlug auf ihn ein, wohin sie nur treffen konnte, so daß er, schon vor Schmerz ganz außer sich, die Schläge zurückgab. Sie hatten sich regelrecht ineinander verkrallt, und durch die Stube taumelnd, stießen sie gegen die Wände und gegen das herumstehende Hausgerät, dabei ein fürchterliches Geschrei erhebend.

Schon fingen die Menschen an, von allen Seiten her hinzuzulaufen und versuchten, sie auseinanderzubringen, das war aber umsonst; sie hatte sich an ihn geklammert wie ein böses Tier und schlug immerzu in einer wahnsinnigen Wut auf ihn ein, bis er sie mit der Faust zwischen die Augen traf, an beiden Seiten packte und wie ein Bündel mitten in die Stube schmiß; sie wankte und schlug mit ganzer Kraft wie ein lebloser Klotz gegen die glühend heiße Herdplatte auf, wo die Töpfe mit siedendem Wasser standen; der Rauchfang, an den sie sich noch klammern wollte, stürzte ein und begrub sie in einem Nu unter einer Lage von Schutt...

Man war natürlich sogleich hinzugesprungen, um sie aus dem Trümmerhaufen hervorzuziehen; aber obgleich sie furchtbar verbrüht und zerschunden war, wollte sie trotz ihrer Schmerzen und ohne auf die versengten, schwelenden Röcke zu achten, gleich wieder auf Schymek losstürzen.

»'raus, du verdammte Mißgeburt! 'raus!« brüllte sie, ganz von Sinnen.

Man mußte ihr mit Gewalt die brennenden Kleider vom Leibe reißen und sie festhalten, um ihr das verbrannte Gesicht mit nassen Tüchern zu belegen; aber auch da noch wollte sie sich ihnen entreißen.

»Komm du mir nicht wieder unter meine Augen... daß dich!...«

Und Schymek stand nur immerzu und starrte, zerschlagen und zerkratzt wie er war und ganz mit Blut besudelt, mit stieren Augen auf die Mutter; die Angst drückte ihm die Kehle zu, er bebte am ganzen Leib, außerstande ein Wort hervorzustottern, und wußte gar nicht mal, wie ihm geschah.

Doch kaum war etwas Ruhe eingetreten, als sich die Alte den Frauen entriß, hinter den Herd rannte, wo die Kleiderstange hing, Schymeks Sachen herunterriß und sie Stück für Stück zum Fenster hinaus in den Obstgarten schmiß.

»Fort gehst du! Zum Hause hinaus scherst du dich! Hier hast du nichts mehr zu suchen, alles ist mein, nicht ein Ackerbeet kriegst du, nicht einen Löffel Essen, und wenn du vor Hunger verreckst!« schrie sie mit dem Rest ihrer Kräfte; und schließlich, durch den empfindlichen Schmerz überwältigt, brach sie furchtbar stöhnend zusammen.

Man trug sie aufs Bett.

Viele Menschen waren herbeigeeilt, so daß man in der Stube und selbst im Flur dicht gedrängt stand, und auch durch die Fenster versuchten einige hineinzuschauen.

Jagna hatte den Kopf ganz verloren und wußte nicht, was sie anfangen sollte, denn die Alte heulte förmlich vor Schmerz...sie hatte sich das ganze Gesicht und den Hals verbrüht, und ihre Hände waren mit Brandwunden bedeckt, die Haare waren versengt und die Augen rot verquollen, so daß sie kaum etwas sehen konnte.

Schymek setzte sich an der Hauswand nach dem Obstgarten zu nieder, stützte sein Kinn auf seine zusammengeballten Hände und schien wie leblos dazusitzen; er sah schrecklich zugerichtet aus, und immerzu wieder horchte er auf das Ächzen der Mutter.

Bald kam auch Mathias angerannt und sagte, ihn am Arm zerrend:

»Du sollst mitkommen. Was suchst du hier noch...«

»Ich geh' nicht! Mein ist der Boden von Vater und Großvater her, da bleib' ich auch darauf und werd' nicht nachgeben!« redete er mit einer düsteren Verbissenheit und stemmte sich unwillkürlich gegen die Hauswand.

Es halfen keine Bitten und Vorstellungen, er rührte sich nicht von der Stelle und hatte selbst aufgehört zu antworten.

Mathias setzte sich neben ihn, ganz ratlos, was da zu beginnen war, und Jendschych, der gerade all die hinausgeschmissenen Röcke, Hosen und Hemden seines Bruders aufgelesen hatte, band sie zu einem Bündel zusammen und legte sie schüchtern vor dem Bruder nieder.

»Ich geh' mit dir, Schymek, ich geh' mit in die Welt!«

»Verdammt noch einmal... ich hab' es gesagt: keinen Schritt tu' ich von hier, und dabei bleibt es!« schrie Schymek auf, mit den Fäusten gegen die Wand anschlagend, so daß sich Jendschych vor Angst duckte.

Sie verstummten wieder, denn von neuem drang aus der Stube ein schmerzliches Wimmern zu ihnen herüber: Ambrosius verband gerade die Kranke, er hatte die verbrannten Stellen mit frischer, ungesalzener Butter belegt, sie mit irgendwelchen Blättern zugedeckt, auf die er noch saure Milch schichtete, um dann über alles einen feuchten Leinenlappen zu legen. Er gab der dabeistehenden Jagna die Weisung, immer wieder alles mit kaltem Wasser zu netzen, und begab sich eilig in die Kirche, denn die Betglocke läutete schon.

Es war Zeit zum Hochamt; Wagen ratterten und es kamen, die ganze Breite der Dorfstraße einnehmend, die Kirchgänger heran; viele von ihnen traten auf einen Augenblick ein, um zu sehen, wie es mit der Dominikbäuerin abgelaufen war, so daß Jagna die Tür vor den Neugierigen versperren mußte; nur die Sikorabäuerin war drinnen geblieben...

Es dauerte nicht lange und ringsum wurde es still. Die Dominikbäuerin verhielt sich ruhig, von der Kirche hörte man das leise Summen der Orgel, und die Stimmen der Singenden klangen durch den Garten in einer aufschluchzenden, einschmeichelnden Melodie.

Die Sonne brannte mächtig, die Bäume standen in vormittäglicher Ruhe bewegungslos da, nur hin und wieder erbebte ein Zweig und Schatten schwirrten durcheinander; die Vögel schwiegen ganz, nur im Korn raunte es verstohlen, wenn die Halme ihre fahlen Mähnen schüttelten.

Die Burschen waren immer noch vor dem Haus. Mathias redete leise auf Schymek ein, der nur ab und zu mit dem Kopfe nickte, und Jendschych, der sich dicht dabei auf dem Boden gelagert hatte, starrte dem Rauch nach, der aus Mathias' Zigarette in bläulichen Gespinsten zum Dach hin verschwebte.

Jagna trat mit einem Eimer vor die Tür, um Wasser aus dem Weiher zu holen.

Da erhob sich Mathias, und nachdem er den Burschen versprochen hatte, nachmittag wiederzukommen, ging er in der Richtung der Kirche davon; als er jedoch merkte, daß Jaguscha am Weiher sitzengeblieben war, trat er an sie heran.

Der Eimer stand gefüllt neben ihr, und sie hatte die Füße ins Wasser gesteckt.

»Jaguscha!« flüsterte er ganz dicht hinter ihr, unter einem Erlenbaum stehenbleibend.

Sie ließ rasch den Beiderwandrock über die Knie fallen und sah ihn an; aber sie hatte so verweinte Augen, die voll Trauer und Herzeleid waren, daß ihm das Herz rasch zu schlagen begann.

»Was fehlt dir denn, Jagusch? Bist du krank?«

Die Bäume fingen an, lautlos hin und her zu schaukeln und ließen in einem goldig-grünen Leuchten auf ihrem Haar eine Flut flimmernder Lichter und huschender Schatten irren.

»Nein, nur daß es nicht gut ist hier auf dieser Welt, nein...« Sie wandte ihre Augen ab.

»Wenn ich dir doch was helfen oder beistehen könnte...« sagte er herzlich.

»Hale? Damals auf den Gemüsebeeten da bist du doch einfach so weggelaufen und bist nicht wiedergekommen...«

»Weil du mir Unrecht getan hast!...Wie könnt' ich da wagen, Jagusch?...« Er war ganz demütig und voll seltsamer Güte.

»Ich hab' dich doch gerufen danach, und du hast nicht auf mich gehört...«

»Hast du mich wirklich gerufen, Jagusch?«

»Ich sag' es ja! ... Ich könnte mich einfach so wegmachen, niemand würde sich darum kümmern!...Wen gehen die Waisen was an?...Einem Unrecht anzutun, dazu ist jeder bereit, einen mit Füßen zu treten!...«

Ihr Gesicht flammte auf, sie wandte den Kopf weg und fing bestürzt an, das Wasser mit den Füßen aufzuwühlen. Mathias war ganz ins Grübeln geraten.

Und wieder spann sich die Stille aus; die Orgelklänge flossen in einer einlullenden stillen Welle, der Weiher schimmerte, und kreisförmige Wellchen breiteten sich von den Füßen Jagnas wie gesprenkelte Schlangen aus; Schatten wimmelten über die Glätte der Uferbucht, und zwischen den beiden flogen schon zutrauliche Blicke und verschlangen sich ineinander.

Mathias zog es immer mächtiger zu ihr, er hätte sie am liebsten wie ein kleines Kindchen auf die Arme genommen und mit unendlicher Güte gestreichelt und beruhigt.

»Ich dachte, du wärest mir feind...« ließ sie sich ganz leise vernehmen.

»Niemals war ich dir gram...merkst du es denn nicht?«

»Hale, vielleicht einmal früher...jetzt aber bist du wie die anderen...grad so wie...« warf sie unachtsam hin.

Eine plötzliche Erinnerung ließ ihn auffahren, Zorn und Neid standen in ihm auf.

»Weil...weil du...«

Nein, er konnte es nicht aus sich herausschleudern, was ihn da würgte, er beherrschte sich wieder und sagte nur kurz und hart:

»Bleib' mit Gott!..«

Er mußte fliehen, um ihr den Schulzen nicht vorzuhalten.

»Du rennst weg, was hab' ich dir denn wieder für ein Unrecht getan?...«

Sie war erschrocken und gekränkt.

»Nein...nein...mir...« redete er schnell, ihr in die hellblauen tränennassen Augen blickend, während Mitleid, Zärtlichkeit und Zorn in ihm kämpften: »jag' nur diese Mißgeburt von dir weg, tu' das, Jagusch!« bat er leidenschaftlich.

»Hab' ich ihn herbeigelockt? Halt' ich ihn vielleicht fest!« schrie sie zornig.

Mathias blieb unsicher und ratlos stehen.

Ein Weinen ergriff sie, die dicken Tränen begannen über ihre Wangen zu fließen.

»Wo er mir doch so ein Unrecht angetan... mich so betrunken gemacht hat...und keiner tritt für mich ein... niemand erbarmt sich, alle ziehen sie über mich her! Was kann ich denn dafür? Was?« klagte sie ganz wehmütig.

»Ich werde es diesem Aas heimzahlen!« brach er los, die Fäuste hebend.

»Tu' es, Mathias! Tu' es, und ich will es dir schon...« bekräftigte sie verbissen.

Er antwortete nichts mehr und eilte in der Richtung der Kirche davon.

Lange noch saß sie am Weiher, sann über Mathias, daß er vielleicht für sie eintreten würde und nicht erlauben, daß man ihr Böses tut.

Und vielleicht würd' es Antek auch tun, kam es ihr plötzlich in den Sinn.

Sie kehrte nach Hause voll heimlich zuversichtlicher Erwartungen.

Die Glocken fingen an zu läuten, das Volk kam vom Gottesdienst, alle Wege begannen sich zu füllen und vom Wagengeroll widerzuhallen; Stimmengewirr und Lachen klang in der Luft, sie gingen in ganzen Haufen, hier und da in den Heckenwegen stehenbleibend; nur vor dem Haus der Dominikbäuerin verstummten sie plötzlich, sahen sich um und gingen mit finsteren Gesichtern vorüber; niemand sah bei der Kranken ein.

Es dauerte auch nicht lange, so war das ganze Dorf voll Leben: in den Stuben, in den Fluren und in den Hauseingängen hörte man die Menschen miteinander reden; in den Obstgärten wurde es laut und belebt, denn man setzte sich unter den Bäumen im Schatten ans Mittagessen; überall konnte man die Essenden sehen, hörte die Löffel klirren, die Schüsseln klappern, und der Duft der Speisen breitete sich in der schwülen Mittagsstille aus, durch die nur hin und wieder das Winseln der bettelnden Hunde klang.

Nur bei der Dominikbäuerin herrschte dumpfe Stille: niemand hatte es eilig, zu ihr zu kommen. Die Alte stöhnte im Fieber, und Jaguscha wurde die Zeit unerträglich lang; sie ging immer wieder unter die Haustür, trat auf den Weg und sah lange sehnsüchtig durchs Fenster, Schymek aber saß wie vordem immer noch an der Hauswand. Nur Jendschych hatte noch den Kopf auf dem rechten Fleck behalten, er war auf die andere Seite des Hauses hinübergegangen und kochte da das Mittagessen.

Erst eine Zeitlang nach Mittag sah Anna bei ihnen ein; sie war ganz seltsam, fragte nach allem aus, sorgte sich sehr um die Kranke und ließ heimlich ihre prüfenden Augen der Jagna nachgehen.

Bald darauf kam auch Mathias wieder, nach Schymek sehen.

»Kommst du mit uns nach den Deutschen?« fragte er.

»Das ist mein Grund und Boden von Vater her, davon laß ich nicht ab,« redete dieser immer wieder vor sich hin.

»Nastuscha wartet auf dich, ihr sollt doch das Aufgebot bestellen.«

»Ich geh' nirgends fort...das ist mein ererbter Grund und Boden...«

»Dummer Esel! Niemand zieht dich doch am Schwanz. Kannst denn hier bis morgen sitzen, wenn du Lust hast!« brauste er auf, und da gerade Jagna die Anna in den Heckenweg hinausbegleitete, schloß er sich Anteks Frau an, ohne die andere zu beachten.

Sie befanden sich beide auf dem Weg am Weiher.

»Ist Rochus schon aus der Kirche?« begann er.

»Jawohl, die Männer sammeln sich schon.«

Er sah sich um, Jagna blickte ihnen nach; da wandte er sich rasch weg und fragte leise, ohne Anna in die Augen zu sehen:

»Ist es denn wahr, daß der Priester irgendwen von der Kanzel vorgenommen hat?«

»Du hast es gehört und ziehst einen noch an der Zunge?«

»Ich bin erst nach der Predigt gekommen, sie haben mir nur davon erzählt, ich dachte aber, daß sie mir was vorgeschwindelt haben, um sich über einen lustig zu machen.«

»Nicht nur eine hat er vorgehabt, und wie er dabei mit den Fäusten gedroht hat... Laut einen zu rügen und auf andere mit Steinen zu schmeißen, das kann jedermann... aber das Böse zu verhindern, dazu ist keiner da.« Sie war tief gekränkt und böse. »Den Schulzen hat er mit keinem Wort berührt, und der hat doch die meiste Schuld,« fügte sie leiser hinzu.

Mathias fluchte wütend los, und obgleich er noch was fragen wollte, fand er nicht den Mut dazu. Sie gingen schweigend nebeneinander. Anna fühlte sich tief getroffen durch den ganzen Vorfall. »Gewiß, Jagna hatte gesündigt, das war so, man hätte ihr das vorhalten müssen; aber daß man da gleich von der Kanzel fast unter Nennung des Namens so was tat...das war schon zu viel...sie war doch eine Boryna und nicht irgendeine,« dachte sie empört. Was zwischen den beiden gewesen ist, das war ihre Sache, und die anderen sollten sich hüten, sich da einzumischen.«

»Die Magda und die Mägde vom Müller, die nimmt er nicht vor, und man weiß ja, was sie treiben! Und den Gutshofmägden aus Wola hat er auch nicht mit den Fäusten gedroht, oder der Gutsherrin aus Gluchowo; tut er der vielleicht auch nur ein Wort sagen, obgleich die ganze Welt weiß, daß sie bei den Knechten sitzt!« redete sie in zorniger Empörung.

»Das ist wahr, und die Therese hat er auch vorgehabt? Wie?« Sie konnte kaum seine Frage verstehen.

»Über die beiden hat er geredet, alle haben gleich gemerkt, wen er gemeint hat.«

»Jemand mußte ihn aufgehetzt haben.« Er konnte kaum an sich halten.

»Man sagte, daß das der Dominikbäuerin ihr Werk ist, oder vielleicht hat es auch die Balcerek getan; eine rächt sich an dir wegen dem Schymek und der Nastuscha, und die andere möchte dich zu ihrer Maruscha hinhaben.«

»Da überwintern also die Krebse! Daß mir das gar nicht in den Kopf gekommen ist...«

»Die Mannsleute können immer nur das erst sehen, was man ihnen dicht unter die Nase hält.«

»Ganz umsonst bemüht sich die Balcerekbäuerin, ganz umsonst!... Der wird die Therese schön kommen... Und der Dominikbäuerin zum Trotz werd' ich dafür sorgen, daß der Schymek die Nastuscha kriegt: ich werd' ihn schon dazu anhalten! Diese Aasweiber!«

»Die führen ihre Geschäfte aus, und die Unschuldigen haben dadurch zu leiden,« sagte Anna trübsinnig.

»Ist es nicht gerade genug, daß sie sich hier noch immer in den Haaren sitzen, es ist schon rein gar nicht mehr zum Aushalten.«

»Solange Matheus seine fünf Sinne beisammen hatte, war doch immer einer da, der was wieder zurechtbringen konnte und auf den sie hörten.«

»Gewiß, der Schulze, dieser Hohlkopf, der hat für so was nicht den Verstand und macht dann noch solche Geschichten, daß niemand mehr im Volk Achtung vor ihm hat... Wenn doch mindestens der Antek bald zurückkäme!...«

»Der kommt bald zurück. Wer wird aber auf ihn hören?« Ihre Augen blitzten.

»Wir haben uns schon mit Gschela und den anderen Burschen besprochen, daß wir, wenn er heimkommt, im Dorf Ordnung schaffen werden. Ihr werdet es schon sehen!«

»Zeit wäre es wirklich schon dafür, alles geht ja hier umeinander.«

Sie kamen gerade vors Haus; auf der Galerie saß schon ein ganzer Haufen Männer.

An die fünfzehn Hofbauern, und dazu noch die ersten Burschen aus dem Dorf, sollten zusammen zu den Deutschen gehen, obgleich eigentlich das ganze Dorf gerade wie damals wegen des Waldes Lust gehabt hatte, mitzukommen.

Es war die Zeit, daß sie sich versammeln sollten, und man wartete ungeduldig auf den Rest, der noch fehlte.

»Auch der Schulze müßte mit uns gehen,« bemerkte einer, sich einen Knüttelstock zurechtmachend.

»Der Amtmann hat ihn doch nach dem Kreisamt bestellt; der Schreiber sagt, daß es wegen der russischen Schule ist, die sie da in Lipce und Modlica haben wollen; einen Gemeinderat soll er zusammenrufen.«

»Laß ihn ihn zusammenrufen: wir bewilligen sie doch nicht!« lachte Klemb.

»Gleich hätten wir da eine neue Steuer pro Morgen, wie in Doly.«

»Natürlich, aber wenn der Amtmann befehlen wird, dann werden sie gehorchen müssen,« bemerkte der Schultheiß.

»Was hat er hier zu befehlen? Mag er seinen Schandarmen befehlen, daß sie nicht mit den Dieben unter einer Decke stecken.«

»Du fängst frech an, Gschela!« warnte der Schultheiß. »Schon manchen hat die Zunge weiter gebracht, als es ihm lieb war.«

»Und ich werde doch reden, weil ich unser Recht kenne und vor den Amtsleuten keine Angst habe; nur euch dummen Schöpsen schlottern die Beine beim Anblick des ersten besten Lumpen vom Amt.«

Er schrie so laut, daß sie alle durch seine Frechheit verschüchtert wurden und manch einer es mit der Angst kriegte; der Klemb aber sagte dazu:

»Das ist auch wahr, eine solche Schule ist nichts wert für uns ... Mein Adam ist ganze zwei Jahre nach Wola gelaufen, ich habe dem Lehrer hin und wieder manchen Scheffel Kartoffeln hingefahren, und die Frau hat ihm noch Eier und Butter zum Fest gebracht; und was war das Ende? Daß er nicht einmal aus einem Gebetbuch lesen kann, und Russisch kann er auch nicht ... Die Kleineren, die den Winter über bei Rochus gelernt haben, können selbst Geschriebenes lesen, und auch in herrschaftlichen Büchern finden sie sich zurecht.«

»Dann sollte man den Rochus verdingen, daß er weiter unterrichtet, denn die Schule ist den Kindern so nötig wie das liebe Brot,« mischte sich wieder Gschela ein.

Darauf schob sich der Schultheiß unter die Menge und fing an, mit gedämpfter Stimme zu sprechen.

»Der Rochus wäre schon der beste, das weiß ich doch ... auch meine Jungen haben fein was bei ihm gelernt – aber man kann ja nicht. Das Amt muß schon was herausgeschnüffelt haben und beobachtet ihn scharf ... Der Serschant hat mich neulich im Amt getroffen und mächtig nach ihm ausgefragt ... Ich hab' ihm nicht viel gesagt, so daß er wütend geworden ist und mir einreden wollte, er wüßte gut, daß Rochus die Kinder lehrt und polnische Bücher und Zeitungen unter die Leute verteilt ... Man muß ihn warnen, daß er auf seiner Hut ist.«

»Das ist 'ne dumme Sache! So ein guter, frommer Mensch; aber daraus kann doch was Böses für das ganze Dorf kommen ... Man muß was dagegen tun und das bald,« erklärte der alte Ploschka.

»Aus Angst würdet ihr ihn noch verraten ... was?« murmelte Gschela bissig.

»Wenn er das Volk gegen die Regierung aufhetzen sollte, allen zum Schaden, dann würde es jeder tun. Du bist noch jung, aber ich erinnere mich noch gut, was damals passierte, als die Herren Krieg geführt haben; man hat da für die kleinste Sache die Bauern mit Peitschen bis aufs lebendige Blut geschunden. Das wollen wir nicht mitmachen.«

»Schulze wollt ihr werden und seid dumm wie ein zerrissener Stiefel!« rief Gschela.

Sie brachen ab, denn Rochus trat aus der Stube, ließ seinen Blick über die Menge gleiten, bekreuzigte sich und rief:

»Es ist schon Zeit, los in Gottes Namen!«

Er ging voraus und hinter ihm drein schritten die Bauern, die Dorfstraße ihrer ganzen Breite nach einnehmend; und etliche Frauen und Kinder liefen noch hinterdrein.

Die Hitze war vorübergegangen, man läutete gerade zur Vesper, die Sonne senkte sich über die Wälder, der Himmel wölbte sich klar und heiter über ihren Häuptern, und die Fernen waren so durchsichtig, daß selbst die ferner gelegenen Dörfer, wie auf der Handfläche dalagen, man konnte aus dem Grün der Wälder die gelben Stämme der Kiefern, die weißen Birken und die großen grauen Eichen gut herauskennen.

Die Frauen blieben hinter der Mühle zurück, während die Männer langsam hügelan stiegen. Der Staub hob sich hinter ihren Tritten, und nur hin und wieder blitzte noch ein weißer Knierock auf.

Sie gingen im Schweigen. Die Gesichter waren streng und herausfordernd und die Augen blickten trotzig und unbeugsam drein.

Manch einer fuchtelte schon, um sich Mut zu machen, mit seinem Eichenknüttel herum, und dieser und jener rieb sich die Hände und reckte sich, als ob er gleich drauflosstürzen müßte.

Sie zogen in einer musterhaften Ordnung, wie in einer Prozession; und wenn einem auch ein Wort entfahren war, so hörte er doch gleich wieder auf, weil ihn die strafenden Blicke der anderen trafen; es war jetzt keine Zeit zum Reden, ein jeder raffte sich innerlich zusammen und sammelte seine Kräfte.

An der Feldmark unterm Kreuz ließen sie sich auf einen Augenblick nieder, um etwas auszuruhen; aber auch jetzt sprach keiner, ihre stillen Augen irrten durch die Welt. Die Häuser von Lipce sah man kaum aus der Fülle der Gärten hervorragen, die goldene Kuppel des Kirchturms glitzerte im Sonnenschein, die grünen Felder schimmerten soweit das Auge reichen konnte; auf den Weiden am Wald sah man die zerstreuten Herden sich bewegen, und der Rauch von einem Feldfeuer schlängelte sich in einem bläulichen Streif himmelan; singende Kinderstimmen klangen herüber, und Weidenflöten tönten rings im Umkreis der im hellen Frühlingsglanz ruhenden Erde, so daß manch einen ein stilles Bedauern und ein Gefühl der Angst überkam und manch einer schwer aufseufzte und ängstlich nach den Feldern der Waldmeierei blickte.

»Vorwärts, es geht doch nicht um Spreu!« trieb sie Rochus an, da er wohl merkte, daß sie zu zögern begannen.

Sie wandten sich der Meierei zu auf einem mit Unkraut überwucherten Feldweg, der wie ein geblümtes Band zwischen den grünen Getreidefeldern lief; der spärliche Roggen war ganz blau vor Kornblumen, im verspäteten Hafer leuchtete der blühende Hederich gelb auf, die Weizenfelder waren ganz mit rotem Feldmohn durchsetzt, und die Kartoffeln sah man erst kaum. Man konnte die Vernachlässigung und den Verfall auf jeden Schritt merken.

»Einfach eine jüdische Wirtschaft, es tut einem weh, das mit anzusehen,« murmelte einer.

»Der schlechteste Bauer bestellt noch besser seinen Grund und Boden.«

»Und so einer, wenn er auch ein Gutsherr sein will, hat nicht mal eine Achtung vor der heiligen Erde.«

»Er saugt den Boden aus wie solch' einer, der von einer hungrigen Kuh noch Milch haben will; kein Wunder, daß der Boden da unfruchtbar geworden ist.«

Sie gingen jetzt über Brachland. Die versengten und halb zerstörten Wirtschaftsgebäude wuchsen schon ganz in der Nähe vor ihnen auf; ein fast gänzlich niedergebrannter Obstgarten mit hier und da noch aufragenden halbverkohlten Baumgerippen, die schmerzlich ihre kahlen Äste zum Himmel erhoben, umgab die Gesindehäuser, aus deren eingestürzten Dächern die Schornsteine aufstiegen. Vor den Häusern im mageren Schatten der toten Äste sah man eine Anzahl Menschen sitzen, das waren die Deutschen. Vor ihnen aus einer Schicht von Ziegelsteinen stand ein Faß Bier, und von einer der Haustüren kam das Spiel einer Flöte. Sie räkelten sich träge auf den Bänken und im Gras, ihre Röcke und Westen hatten sie ausgezogen, ihre Pfeifen hielten sie zwischen den Zähnen und nahmen hin und wieder einen Schluck aus den irdenen Töpfen, die vor ihnen standen; etliche Kinder spielten vor dem Haus, und in der Nähe weideten einige ansehnliche Kühe und Pferde.

Man mußte die Ankommenden bemerkt haben, denn plötzlich begannen sich die Deutschen rasch von ihren Plätzen zu erheben, die Augen mit den Händen zu beschatten und, ihnen entgegenspähend, etwas zu schreien; doch der Älteste rief ihnen scharf ein paar Worte zu, so daß sie sich sogleich wieder hinsetzten und ruhig weiter tranken; die Flöte stimmte eine noch süßere Melodie an, die Lerchen sangen ihnen fast über den Häuptern, und von den Getreidefeldern kam das ununterbrochene Zirpen zahlloser Grillen. Hin und wieder stieg der Lockruf einer Wachtel aus dem Korn; und obgleich die dürre Erde dumpf unter den Tritten der nahenden Männer dröhnte und die eisenbeschlagenen Stiefel gegen die Kieselsteine knirschten, blieben die Deutschen unbeweglich sitzen, als hätten sie nichts gehört und schienen sich nur an ihrem Bier und an der Süße der kühlen Abendluft zu laben.

Die Bauern kamen immer näher heran, sie gingen immer schwerfälliger und langsamer, ihre heftigen Atemzüge mühsam dämmend, aber um so fester ihre Knüttel mit den Fäusten umspannend; ihre Herzen klopften stürmisch, und es lief ihnen heiß und kalt vor Erregung über den Rücken, die Kehle war ihnen wie zugeschnürt, sie reckten sich und starrten mit trotzig herausfordernden Blicken die Deutschen an; auf ihren starren Gesichtern lag eine strenge Verbissenheit und ein unnachgiebiger Entschluß.

»Gelobt sei Jesus Christus!« sagte Rochus auf Deutsch und blieb stehen, hinter ihm im Halbkreis nahmen die anderen Aufstellung, sich Schulter an Schulter drängend.

Die Deutschen antworteten einmütig, rührten sich aber nicht von ihren Plätzen; nur ein alter Graubart erhob sich und blickte etwas bestürzt auf die im Haufen Dastehenden.

»Wir sind in einer Angelegenheit zu euch gekommen,« fing Rochus wieder an.

»Dann mögen sich die Herren Hofbauern setzen; ihr seid aus Lipce, mein' ich, da können wir denn gut nachbarlich zueinander sprechen! Johann, Fritz, bringt mal Bänke her für die Herren Nachbarn.«

»Gott bezahl's, die Sache ist kurz, wir können stehenbleiben.«

»Sie muß nicht so kurz sein, wenn das ganze Dorf gekommen ist!« rief er auf polnisch.

»Weil es alle zugleich angeht.«

»Noch dreimal so viele sind zu Hause geblieben!« sagte Gschela mit Nachdruck.

»Ihr sollt uns willkommen sein. Da ihr aber als erste den Weg zu uns gefunden habt, so trinkt ihr vielleicht einen Krug Bier mit uns ... auf den nachbarlichen Frieden ... Schenkt ein, Jungen ...«

»Sauf' allein! Sieh mal, wie freigebig! Wir sind hier nicht hergekommen, Bier zu trinken!« schrien die Hitzigsten.

Rochus beruhigte sie mit seinen Blicken, und der alte Deutsche sagte hart:

»Also wir hören.«

Eine Stille entstand, man hörte nur das Schnaufen und kurze erregte Atemzüge; die Leute aus Lipce schlossen sich noch enger zusammen, und auch die Deutschen sprangen einmütig auf und traten ihnen im dichten Haufen entgegen; mit bösen, bohrenden Blicken starrten sie die anderen an, zerrten an ihren Bärten, plusterten sich auf und murmelten etwas vor sich hin.

Die Frauen sahen ängstlich durch die Fenster, die Kinder verbargen sich in den Hausfluren, und die großen fuchshaarigen Hunde, die an der Wand schliefen, richteten sich auf und fingen an zu knurren. So standen sie sich wohl ein gutes Ave lang stumm gegenüber wie Böcke, die mit rot angelaufenen Augen vor sich hinstieren, mit den Hufen aufstampfen, die Nacken vorrecken, die Köpfe senken und bereit sind, auseinander einzustürmen, bis Rochus schließlich das Schweigen unterbrach.

»Wir sind hier für das ganze Dorf, und zwar deswegen,« sprach er laut und vernehmbar in polnischer Sprache, »um euch auf gütlichem Wege zu bitten, ihr möchtet die Waldmeierei nicht kaufen ...«

»Jawohl! So ist es! Darum gerade!« bestätigten sie, mit den Knütteln zum Nachdruck aufstampfend.

Die anderen waren zunächst ganz starr vor Verwunderung.

»Was redet er denn? Was will er? Wir verstehen nichts davon!« murrten sie durcheinander, ohne begreifen zu können, was sie hörten.

Rochus wiederholte ihnen also nochmals auf deutsch, worum es sich handelte; und als er beendigt hatte, fuhr Mathias hitzig auf:

»Macht, ihr Pluderer, daß ihr euch zu allen Teufeln schert!«

Es schien, als ob sie sich auf den Sprecher stürzen wollten, als hätte man sie mit siedendem Wasser begossen; sie redeten wütend durcheinander, stampften zornig auf und schüttelten drohend die Fäuste. Manch einer wäre schon gern mit den Fäusten auf die Bauern losgesprungen, aber sie blieben immer noch wie eine unbewegliche Mauer stehen, mit drohenden Blicken die anderen durchbohrend; ihre Hände bebten, und sie bissen die Zähne fest zusammen.

»Seid ihr denn alle miteinander verrückt geworden?« rief der Alte, die Hände über dem Kopf zusammenschlagend. »Ihr wollt uns verbieten, daß wir hier Land kaufen! Warum denn? Und mit welchem Recht? ...«

Wieder setzte ihm Rochus in Ruhe alles auseinander, wie es sich gehörte; aber der Deutsche wurde ganz rot vor Zorn und schrie ihm zu:

»Das Land gehört dem, der dafür zahlt!«

»Das ist so nach eurer Ansicht, nach unserer ist es anders; es müßte dem gehören, der es braucht,« sagte Rochus feierlich.

»Auf diese Weise könnte man wohl umsonst dazu kommen, auf Räuberart?« spottete der andere höhnisch.

»Mit diesen zehn Fingern, das ist schon gut bezahlt!« antwortete ihm Rochus in demselben Ton.

»Dummes Gerede! Was sollen wir hier die Zeit mit Scherzen vergeuden, die Waldmeierei haben wir gekauft, sie gehört uns und bleibt in unserem Besitz; und wem das nicht gefällt, der kann mit Gott gehen und halte sich fern von uns. Na, was wartet ihr denn da noch? ...«

»Was? Um euch zu sagen: hütet euch, ihr da, unser Land zu nehmen!« brach Gschela los.

»Macht, daß ihr fortkommt, ehe wir euch davonjagen.«

»Solange wir noch nachbarlich darum ersuchen!« riefen die anderen.

»Ihr wollt uns drohen? Wir werden euch verklagen! Man findet schon ein Mittel gegen euch. Ihr habt noch nicht eure Strafe für den Wald abgesessen, da wird man euch noch was dazuzahlen, und ihr könnt es dann zusammen fertig machen!« höhnte der Alte; aber er bebte schon vor Wut, und die anderen konnten sich auch kaum noch zurückhalten.

»Verfluchtes Lausepack!«

»Räuber! Stinkende Hunde!« schrien sie in ihrer Sprache, dabei wie Vipern zischend, wenn sie getreten werden.

»Still da, Hundesöhne, wenn das Volk zu euch spricht!« fluchte Mathias los; aber sie ließen sich nicht dadurch schrecken und schrien immer lauter im ganzen Haufen näher rückend.

Rochus begann, eine Schlagerei befürchtend, seine Leute zurückzudrängen und zu beschwichtigen, aber sie versuchten, sich vorzudrängen und schrien durcheinander:

»Lang doch dem ersten da vom Rand gleich einen über den Schädel!«

»Etwas Blut müßte man ihnen abzapfen!«

»Lassen wir uns das gefallen. Jungen? Über das ganze Volk macht er sich lustig!«

»Sollen wir vielleicht nachgeben?« riefen die Bauern, einander anfeuernd und immer naher und drohender heranrückend, bis schließlich Mathias den Rochus beiseite schob, sich vor die Deutschen aufpflanzte und, wie ein Wolf mit den Zähnen blitzend, die Fäuste reckte und losbrüllte:

»Hört mal, ihr Deutschen! Wir haben zu euch auf menschliche, ehrliche Art und Weise gesprochen, und ihr droht mit Gefängnis und verhöhnt uns! Gut, jetzt wollen wir euch anders aufspielen. Wollt ihr keinen Frieden, dann sagen wir euch vor Gott und vor den Menschen wie unter einem Schwur, baß ihr auf der Waldmeierei nicht sitzen bleibt! Wir sind hier in Frieden gekommen, und ihr wollt Krieg! Ihr habt hinter euch die Gerichte und die Regierung und das Geld, und wir nur diese bloßen Fäuste ... Wir wollen sehen, wer von uns den andern unterkriegt! Und das will ich euch noch zugeben, merkt es euch ... das Feuer ergreift das Stroh, es frißt aber auch feste Mauern und das Getreide auf dem Feld ... das Vieh kann auf der Weide verrecken, und keiner ist sicher, daß ihn nicht was ankommt ... Es ist gut, daß ihr euch merkt, was ich euch sage: Krieg soll sein bei Tag und bei Nacht und an jeglichem Ort ...«

»Krieg! Krieg! So helfe uns Gott,« schrien sie alle zugleich los.

Die Deutschen griffen nach den Holzstangen, die an der Wand lagen, einzelne holten Gewehre hervor und hoben Steine auf, und die Frauen erhoben ein Geschrei.

»Einer soll nur schießen, und ich sage euch: die ganzen Dörfer laufen zusammen.«

»Schießt du, Pluderer, nur auf einen, dann schlagen dich die anderen wie einen räudigen Hund mit Stöcken zu Tode.«

»Fangt nicht an, verfluchte Schwaben, Schwabe: Hat ungefähr den gleichen Sinn wie die deutsche Benennung Polack für Pole. ihr werdet den Bauern nicht standhalten.«

»Und euer Fleisch wird nicht einmal ein hungriger Hund fressen.«

»Rühr' mich nur an, du Pluderer, versuch's nur!« drohten sie keck und herausfordernd.

Sie standen sich schon ganz nahe gegenüber, stachen mit den Blicken aufeinander ein und stampften auf vor Wut, unter lautem Geschrei, mit Stöcken gegen die Stiefel schlagend, so daß Schimpfworte und Drohungen wie Steine hin und her flogen, und schon streckten sich die Krallen, um zuzugreifen; manch einer bebte schon vor Kampfeslust, als Rochus die Seinen abermals zurückdrängte. Sie wandten sich, nur unwillig zurückweichend, etwas seitwärts und achteten wachsam darauf, ihre Rücken zu decken, dabei immer hohnvollere Worte den anderen zurufend.

»Bleibt mit Gott, Schweinebrut!«

»Und wartet nur, bis euch der rote Hahn auf den Dächern krähen wird.«

»Wir sehen hier einmal ein, mit euren Jungfern zu tanzen!«

Rochus mußte sie beschwichtigen, denn sie waren ganz maßlos geworden in ihrer Ausfälligkeit.

Dämmerung legte sich schon über das Land, die Sonne war untergegangen, ein frischer Wind strich über die Kornfelder, so daß sie, mit den Ähren rauschend, sich verneigten, silbriger Tau hing an den Gräsern, Pfeifentöne und Kindergeschrei schallten durchs Dorf, das Quarren der Frösche tönte von den Mooren, und ein stiller Abend voll lieblicher Düfte breitete sich über die Erde aus.

Die Bauern kehrten langsam heim, die aufgeknöpften Kapottröcke wehten wie weiße Flügel; sie gingen laut redend, blieben immer wieder stehen, einer stimmte sogar ein Liedchen an, so daß es im Forst widerhallte, andere pfiffen zufrieden vor sich hin, und sich nacheinander beredend ließen sie die heißen Blicke über die Felder der Waldmeierei gehen.

»Das Land kann leicht geteilt werden!« sagte der alte Klemb.

»Versteht sich, man könnte sich da Bauernwirtschaften wie Honigwaben herausschneiden, eine wie die andere und jede mit einem Stück Wiese und Weideland.«

»Wenn nur die Deutschen zurücktreten wollten!« seufzte der Schultheiß.

»Macht euch den Kopf nicht schwer, wir werden dafür sorgen, daß sie zurücktreten,« versicherte Matthias.

»Ich würde die Felder hier gleich an der Landstraße haben wollen,« murmelte Adam Pritschek.

»Und ich finde, die in der Mitte am Kreuz würden für mich passen,« sagte ein anderer.

»Ich würde die nach Wola zu gerne haben.«

»Verflucht noch mal, wenn man so die Gemüsebeete der Waldmeierei bekommen könnte!«

»So ein Schlaukopf, gleich das Beste möchte er haben!«

»Es reicht für alle ein Stück,« beruhigte Gschela, denn sie fingen schon an, miteinander zu streiten.

»Wenn sich der Gutsherr einverstanden erklärt und euch die Waldmeierei abgibt, dann wartet auf euch noch manche Mühe,« ließ sich Rochus vernehmen.

»Das kriegen wir schon, alles kriegen wir,« riefen sie freudig.

»Oha! Das ist nichts Schrecklicheres, auf dem Eigenen zu arbeiten!«

»Selbst mit allen Ländern des Gutshofs würden wir fertig werden.«

»Laß sie nur geben, dann werdet ihr schon sehen. Wie ein Baum würde man sich da in die Erde eingraben, laß dann einen kommen und sehen, ob er einen wieder ausreißt!«

Sie redeten eifrig miteinander, ihre Schritte beschleunigend, denn vom Dorf her tauchte schon eine Schar rennender Frauen auf.


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