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Initial Das Pfingstgrün an den Häusern war noch nicht verwelkt, als eines Morgens ganz unerwartet Rochus erschien.

Erst nach der Messe und nach einer langen Unterredung mit dem Pfarrer zeigte er sich im Dorf. Man sah nicht viele Menschen um die Gewese herumhantieren, denn es war die Zeit des Behackens der Kartoffeln; kaum hatte es sich aber verbreitet, daß Rochus durch die Dorfstraße geht, kam gleich der eine und der andere herausgerannt, um den lange Vermißten zu begrüßen.

Er kam, wie immer, sich auf seinen Stock stützend, ganz langsam daher, mit erhobenem Kopf, in seinem grauen Kapottrock und mit Rosenkränzen behangen; der Wind ließ sein weißes Haar aufwehen, und das magere Gesicht erstrahlte in einer ungewöhnlichen Güte und Fröhlichkeit.

Er ließ seine Blicke über die Häuser und Gärten schweifen, lächelte allen freundlich zu, begrüßte jeden einzeln und streichelte selbst den Kindern die Köpfe, hier und da die auf ihn zukommenden Frauen anredend, so zufrieden war er, alles beim alten zu finden.

»In Tschenstochau bin ich gewesen, mir Ablaß zu holen,« entgegnete er, als sie auf ihn neugierig eindrangen, wo er sich so lange Zeit aufgehalten hatte.

Sie freuten sich so aufrichtig über seine Wiederkehr, daß sie ihm gleich unterwegs alle Neuigkeiten aus Lipce zu erzahlen begannen, und manch einer holte sich schon einen Rat, manch einer zog ihn beiseite und suchte gleich alle seine Sorgen nacheinander hervor, wie Spargroschen, die man für die Zeit der Not weggesteckt hat.

»Ganz erschöpft bin ich, einen Tag muß ich erst ausruhen,« entschuldigte er sich, um sie los zu sein.

Sie fingen einer über den anderen an, ihn zu sich einzuladen.

»Einstweilen will ich mich bei Matheus einquartieren, das hab' ich schon der Anna versprochen; und wenn mich dann einer aufnimmt, dann bleib' ich bei ihm für länger.«

Und er wandte sich raschen Schritts dem Borynahof zu.

Natürlich empfing ihn Anna mit Freude und wollte ihn aus vollem Herzen bewirten; doch kaum hatte er seine Bettelsäcke von sich getan und einen Augenblick ausgeruht, machte er sich auf, zum Alten hinüber zu gehen.

»Seht ihn euch mal an, im Garten liegt er, denn in der Stube ist es zu heiß. Ich will euch inzwischen Milch aufkochen, und vielleicht würdet ihr auch Eier essen, wie?«

Aber Rochus war schon im Obstgarten und ging gebückt unter den herabhängenden Zweigen auf den Kranken zu, der in einem mit Federbetten ausgepolsterten Wagenkorb saß und mit einem Schafpelz zugedeckt war; der zu einem Knäuel zusammengerollte Waupa bewachte ihn, und dicht um ihn herum unter den Bäumen stelzte Witeks Storch mit possierlicher Würde.

Der Obstgarten war alt und schattig, die breitästigen Bäume verdeckten so den Himmel, daß nur unten auf dem Rasen hier und da Sonnenstreifen wie goldene Spinnenbeine zuckten.

Matheus lag rücklings. Die sich bewegenden Äste schaukelten raunend über ihm, sich wie ein Schattentuch hin- und herbewegend, so daß nur manchmal, wenn der Wind es zerriß, ihm das Sonnenlicht in die Augen sprühte und ein Stück blauen Himmels sichtbar wurde.

Rochus setzte sich zu ihm.

Die Bäume rauschten, manchmal knurrte der Hund eine Fliege an, und hin und wieder flitzten aufzwitschernde Schwalben zwischen schwarzen Stammen auf grün wogende Felder hinaus.

Der Kranke wandte sich ihm plötzlich zu.

»Erkennt ihr mich, Matheus, wie?«

Boryna huschte ein leises Lächeln über das Antlitz, seine Augen wurden unruhig; er fing an, seine bläulichen Lippen zu bewegen, konnte aber keinen Ton aufbringen.

»Wenn der Herr Jesus es zugeben wird, dann könntet ihr wieder gesund werden.«

Er schien verstanden zu haben, denn er schüttelte wie unwillig seinen Kopf und drehte sich weg. Wieder starrte er auf die schaukelnden Zweige und auf die Sonnenspritzer, die ihm immer wieder die Augen überfluteten.

Rochus seufzte nur auf, bekreuzigte ihn und ging davon.

»Nicht wahr, es scheint, als ob es dem Vater besser ginge?« fragte Anna.

Er sann lange nach, bis er mit einer leisen, aber wichtigen Stimme sagte:

»Auch die Lampe flackert heller auf zum Schluß, ehe sie ganz verlischt. Mir scheint, daß Matheus schon eingeht. Es ist mir verwunderlich, daß er noch lebt, er ist doch rein zu einem Span ausgedörrt ...«

»Er will ja nichts essen, selbst Milch trinkt er nicht immer.«

»Ihr müßt bereit sein, daß es jeden Augenblick mit ihm zu Ende geht.«

»Das muß wohl so sein, mein Gott, ach ja. Dasselbe hat gestern Ambrosius gesagt und selbst geraten, man sollte nicht länger warten und den Sarg bestellen.«

»Laßt den Sarg machen, lange wird er nicht mehr warten ... Wenn die Seele es eilig hat, aus der Welt zu gehen, wird sie nichts halten, selbst das Weinen nicht, denn dann würden einige ganze Jahrhunderte unter uns bleiben müssen,« sagte er traurig, sich an die Milch heranmachend, die sie ihm zurechtgesetzt hatte; und langsam schlürfend, fing er an, sie auszufragen, was sich im Dorfe ereignet hatte.

Sie wiederholte, was er schon unterwegs von den anderen gehört hatte und fing auch an, sich über ihre Sorgen eifrig auszubreiten.

»Wo ist denn die Fine?« unterbrach er sie ungeduldig.

»Im Feld, sie behackt mit Gusche und den Kätnerinnen die Kartoffeln; der Pjetrek ist aber in den Wald gefahren, er fährt dem Stäche Holz für ein neues Haus ein.«

»Baut er denn?«

»Der Herr Jacek hat ihm doch zehn Fichten geschenkt.«

»Hat er das? Man erzählte mir was davon, aber ich hab' es nicht geglaubt.«

»Es ist auch nicht zum Glauben! Zuerst hat niemand das ernst genommen. Er hatte es versprochen, aber manch einer verspricht doch allerlei. Nur der Dumme freut sich vorneweg. Der Herr Jacek hat aber dem Stacho einen Brief gegeben und hat befohlen, ihn dem Gutsherrn hinzubringen. Selbst Veronka hat sich dem widersetzt, daß er gehen sollte, denn wozu umsonst noch die Stiefel ablaufen? ... Sie werden ihn noch auslachen, daß er dem Dummen Glauben geschenkt hat ... Aber Stacho hat sich das in den Kopf gesetzt und ist hingegangen. Er sagte, daß der Gutsherr vielleicht in einem Paternoster, nachdem er den Brief abgegeben hatte, ihn ins Zimmer rufen ließ, ihn mit Schnaps traktierte und gesagt hat: »Komm mit dem Wagen, dann wird dir der Förster zehn Stück Bauholz ausmerken« ... Der Klemb hat ihm seine Pferde gegeben, der Schultheiß hat einen Wagen geschickt, und ich meinen Pjetrek. Der Gutsherr wartete schon auf sie im Wald und hat gleich selbst die besten Stämme von denen ausgesucht, die man im Winter für die Juden geschlagen hat. Na, und jetzt fahren sie ein, denn gut an die dreißig Wagen werden es mit den Ästen zusammen. Der Stacho wird sich ein feines Haus herrichten! Zu sagen braucht man da nicht, wie er dem Herrn Jacek gedankt und ihn um Verzeihung gebeten hat, denn in Wirklichkeit haben sie ihn ja alle für einen Bettler und für einen Dummen gehalten, da man doch nicht wußte, wovon er lebt; und weil er da draußen im Korn immer so 'rumspielt und an den Kreuzen an der Landstraße sitzt, und dann sagt er doch mit einem Male so was, daß man nicht klug daraus werden kann, da haben sie ihn denn für einen gehalten, der nicht ganz richtig ist. ... Und ist doch solch ein Herr, daß selbst der Gutsherr auf ihn pariert!...Wer hätte das vordem geglaubt?...«

»Seht nicht auf den Menschen, sondern auf seine Werke.«

»Aber daß man so viel Holz wegschenken kann? Der Mathias meint, daß es an die tausend Silberlinge wert ist, und das alles nur für ein Gott bezahl's, das ist hier noch nicht dagewesen!«

»Sie sagten mir, daß er sich dafür das alte Haus auf Lebzeit ausbedungen hat ...«

»Hale, das ist grad so viel wert wie ein gespaltener Holzpantoffel! Wir haben schon selbst gedacht, ob nicht in dieser Güte irgendeine Hinterlist wäre; die Veronka ist sogar bei Hochwürden gewesen, um Rat zu fragen. Er hat sie aber ausgeschimpft, daß sie so dumm ist.«

»Das ist auch wahr. Gibt dir einer was, dann nimm und danke Gott für die Gnade!«

»Man ist doch nicht gewohnt, umsonst was zu kriegen, und dann noch von denen vom Herrenhof! Hat man das je gehört! Hat denn da vielleicht einer dem Bauern was aus Güte gegeben? Wenn man den kleinsten Rat haben will, sehen sie einem in die Hand, und im Amt darf man sich auch nicht ohne Geld zeigen, sonst lassen sie einen morgen oder in einer Woche wiederkommen...durch diese Sache mit Antek habe ich gesehen, was das für eine Einrichtung in der Welt ist; nicht wenig Geld hab' ich schon auf diese Weise weggebracht.«

»Gut, daß ihr von Antek redet. Ich bin unterwegs in der Stadt gewesen.«

»Da habt ihr ihn vielleicht gesehen?«

»Es war keine Zeit.«

»Ich bin vor kurzem dort gewesen, sie haben mich nicht zu ihm gelassen. Gott weiß, wann ich den wiedersehen werde.«

»Vielleicht eher als ihr denkt,« sagte er lächelnd.

»Jesus, was ihr da nicht sagt!«

»Die Wahrheit. Im Hauptamt haben sie mir gesagt, daß sie Antek vor der Verhandlung freilassen könnten, wenn einer für ihn bürgt, daß er nicht weglaufen wird, oder wenn er als Bürgschaft fünfhundert Rubel bei Gericht hinterlegt.«

»Das ist wohl so, ähnlich hat auch der Schmied geredet!« Sie begann gleich zu erzählen, was dieser geraten und gesagt hatte.

»Der Rat ist gut, aber weil er dem Michael seiner ist, so ist er gefährlich: er hat da was bei... Mit dem Verkauf soll man es nicht zu eilig haben; aus dem Besitz fährt man mit einem Hengstgespann davon und kehrt rückwärts auf allen vieren zurück.... Man muß was anderes finden ...Vielleicht würde auch einer Bürgschaft leisten. Man müßte unter den Leuten herumfragen...Natürlich wenn Geld da wäre ...«

»Vielleicht würde sich Geld finden,« flüsterte sie noch leiser. »Ich habe etwas bar Geld da, nur zusammenrechnen konnte ich nicht, vielleicht würde es aber reichen.«

»Zeigt mal her, dann wollen wir es zusammen durchzählen.«

Sie verschwand irgendwo im Hof, und als sie in einem Paternoster wieder zurückgekehrt war, verriegelte sie die Tür und legte ihm das Bündel auf die Knie.«

Es war da Papiergeld und Silber und selbst ein paar Goldmünzen und sechs Korallenschnüre.«

»Das sind die von der Mutter, er hat sie erst der Jagna gegeben und dann wohl weggenommen,« murmelte sie, vor der Bank niederhockend, auf der Rochus das Geld zählte.

»Vierhundertzweiunddreißig Rubel und fünf Silberlinge! Ist das von Matheus, was?«

»Jawohl...versteht sich...nach den Feiertagen hat er es mir gegeben...« stotterte sie, ganz rot werdend.

»Für die Bürgschaft wird es nicht reichen, aber etwas vom Inventar könntet ihr doch verkaufen!«

»Versteht sich, eine Sau könnte ich verkaufen...eine Kuh könnte man auch, die wäre entbehrlich, der Jude hat schon wegen ihr angefragt...und dann noch ein paar Scheffel Getreide ...«

»Seht ihr, es macht sich, eins zum anderen, und das Maß wird voll werden. Ohne fremde Hilfe werden wir Antek loskaufen. Weiß denn einer von dem Geld?«

»Der Vater haben es mir gegeben, um Antek zu retten, und befohlen hat er, niemandem ein Wort zu sagen. Ihr seid der erste, dem ich es anvertraut habe ... Wenn Michael...«

»Ich bring' es nicht herum, seid unbesorgt. Wenn sie mich benachrichtigen, daß es Zeit ist, dann fahr' ich mit euch, den Antek heimzuholen. Das wird man schon zurechtlegen, meine Liebe,« murmelte er, ihre Stirn küssend, denn sie warf sich vor ihm zu Boden, um ihm zu danken.

»Der leibliche Vater wäre nicht besser,« rief sie mit Schluchzen.

»Kommt der Mann heim, dann werdet ihr Gott danken. Wo ist denn die Jaguscha?«

»Die ist noch vor Tagesanbruch mit der Mutter und dem Schulzen nach der Stadt gefahren. Sie sagten zum Notar, die Alte läßt den Grund und Boden auf Jagna überschreiben.«

»Alles der Jagna? Und die Jungen?«

»Aus Wut auf sie tut sie das, weil sie ihr Erbteil haben wollen. Da ist die Hölle los bei denen, kein Tag vergeht ohne Zank; der Schulze aber ist auf der Seite der Dominikbäuerin, er war ja der Vormund der Waisen nach dem Tode von Dominik.«

»Und ich dachte, daß auch noch ganz was anderes...denn man hat mir da verschiedenes schon erzählt.«

»Die reine Wahrheit haben sie gesagt. Der ist der Jagna ihr Vormund, aber solch einer, daß man sich schämt, so was wiederzugeben. Der Mann atmet noch, und sie grad wie eine Hündin...Ich würd' es nicht sagen, aber ich hab' die beiden selber im Garten überrascht, na...«

»Laßt mich mal irgendwo etwas ausruhen,« unterbrach er sie, sich von der Bank erhebend.

Sie wollte ihm Fines Bett zurechtmachen, doch er zog vor, nach der Scheune zu gehen.

»Versteckt das Geld gut,« warnte er sie im Weggehen.

»Erst nachmittag zeigte er sich wieder, aß etwas und wollte sich ins Dorf begeben, als Anna ihm ganz schüchtern in den Weg trat.«

»Wenn ihr mir doch helfen könntet, Rochus, den Altar auszuputzen...«

»Das ist wahr, daß wir morgen Fronleichnam haben. Wo wollt ihr ihn denn aufrichten?«

»Wo er immer war, vor der Galerie. Der Pjetrek muß gleich aus dem Wald kommen, der bringt Fichtenzweige und Tannenbäumchen, und Gusche hab' ich gleich nachmittags mit Fine zusammen nach Kräutern für die Kränze geschickt.«

»Und die Kerzen und die Leuchter, wie steht es denn damit?«

»Der Ambrosius hat versprochen, sie aus der Kirche morgen ganz früh zu bringen.«

»Und wo werden sie denn noch Altäre aufrichten?«

»Auf unserer Seite noch beim Schulzen und auf der anderen beim Müller und bei den Ploschkas.«

»Ich helf' euch, nur bei Herrn Jacek will ich noch einsehen und bin vor Dunkelwerden wieder da.«

»Sagt doch der Veronka, sie möchte gleich morgen früh helfen kommen.«

Er nickte bejahend und wandte sich Stachos eingestürztem Hause zu.

Herr Jacek saß wie immer vor der Türschwelle, rauchte eine Zigarette, strich seinen Bart und ließ die Augen über die wogenden Getreidefelder den Vögeln nachgehen.

Vor dem Haus aber, unter den Süßkirschbäumen lagen ein paar gewaltige Fichten neben einem Haufen Äste. Der alte Bylica ging um sie herum, maß mit dem Axtstiel ab, hackte hier und da mit der Art einen Knorren ab und brummelte in einem fort vor sich hin.

»Auch du bist auf unseren Hof gekommen ... versteht sich ... fein bist du, das seh' ich schon ... Gott bezahl's dir ... gleich wird dich Mathias nach dem Winkel richten ... du bist gut für Mauerschwellen ... und trocken wirst du es auch haben, hab' keine Angst.«

»Wie zu einem lebendigen Menschen redet er,« murmelte Rochus ganz erstaunt.

»Setzt euch her. Die Freude ist ihm ganz zu Kopf gestiegen. Tagelang sitzt er so beim Holz ... Hört bloß!«

»Und du, armes Ding, hast lange genug im Wald gestanden, da wirst du dich jetzt ausruhen können ... jawohl, niemand wird dich mehr anrühren! ...« plapperte der Alte, mit liebkosenden Händen den gelben, abgeschälten Fichtenstamm streichelnd.

Er trottete auf den umfangreichsten zu, der mitten auf dem Weg abgeladen war, hockte an der Schnittfläche nieder, und liebevoll die gelben harzigen Ringe betrachtend, brummte er:

»So mächtig groß bist du und doch haben sie dich rumgekriegt, ha? Die Juden hätten dich sonst nach der Stadt gebracht, und nun hat es der Herr Jesus erlaubt, daß du bei den deinigen bleibst, bei Hofbauern ... man wird die Bilder auf dir aufhängen, der Priester wird dich mit geweihtem Wasser besprengen ... versteht sich... wie?...«

Der Herr Jacek lächelte nur unmerklich darüber, und nachdem er etwas mit Rochus geredet hatte, nahm er die Geige unter den Arm und machte sich über die Feldraine in der Richtung des Waldes davon.

Rochus war noch bei der Veronka sitzengeblieben und ließ sich allerhand erzählen.

Draußen war schon der Abend im Anzug, die Hitze legte sich, und es kam schon eine frische Kühle von den Wiesen; auch der Wind hatte seit Mittag angesetzt, so daß die Roggensaaten, die ganz rostgolden von jungen Ähren waren, wie flutendes Wasser wogten, immer wieder sich beugten, aufwallten, Wirbel zu bilden schienen, um dann wieder gegen die Feldraine und Feldwege zu branden, und es war, als wollten sie gleich ihre Grenzen überfluten; doch sie ließen nur ihre fahlen Mähnen zur Erde gleiten und sprangen zurück wie eine Herde sich bäumender junger Füllen. Der Wind drängte auf sie ein und schüttelte sie wie im Spiel hin und her, so daß sie aufgewühlt wieder von Feldparzelle zu Feldparzelle jagten, sich zu fahlen Graten wölbten, grüne Buchten, rostige Streifen bildeten, raschelten und aufrauschten. Die Lerchen sangen in den Höhen, manchmal schwebte eine Krähenschar darüberhin, gegen den Wind ankämpfend, um alsbald auf die schaukelnden Bäume zu kurzer Rast niederzugehen. Die Sonne rötete sich schon und sank immer tiefer, und das Abendrot ergoß sich langsam über die ganze Welt, über die aufgewühlten Felder und über die aufrauschenden Obstgärten, deren Bäume wie eine gefesselte Vogelherde waren, die sich loszureißen trachtet.

Wegen des am kommenden Tage bevorstehenden Festes zogen die Leute früher von den Feldern heim; vor den Häusern sah man Frauen, die Kränze flochten, Kinder mit Büscheln von grünem Schilf, und vor dem Hof Ploschkas und dem Wohnhaus des Müllers lagen aufgestapelte Birken und Tannen; einzelne davon grub man da ein, wo die Altäre stehen sollten, und hier und da schmückten schon die Mädchen eine Wand mit jungem, frischem Grün, auch den Weg ebnete man an verschiedenen Stellen, schüttete die ausgefahrenen Löcher mit frischer Erde zu, und diese und jene wusch noch am Weiher die Wäsche, so daß vom Aufklatschen der Schlegel die Gänse ängstlich aufzugackern anfingen.

Rochus schickte sich gerade an, Veronka zu verlassen, als auf dem Pappelweg in einer mächtigen Staubwolke ein daherjagender Reiter sichtbar wurde. Die Wagen mit dem für Stacho bestimmten Holz hielten ihn etwas auf, so daß er, um sie zu überholen, schon aufs Feld abbiegen wollte.

»Hallo, das Pferd wirst du noch rehe machen, wohin denn so eilig?« riefen sie ihm zu.

Er überholte sie und jagte aufs Dorf zu, so daß dem Pferd die Milz spielte.

»Hei! Adam, warte doch,« rief Rochus.

Der Klembbursche hielt an und fing an zu brüllen, so laut er nur konnte:

»Wißt ihr es schon, zwei Tote liegen im Wald! Jesus, es hat mir ganz den Atem abgewürgt. Ich hab' das Pferd auf der Wiese geweidet, und wir fuhren schon mit dem Gulbasjungen heim, und da beim Borynakreuz springt plötzlich das Pferd beiseite, so daß ich heruntergefallen bin. Ich gucke: was für ein Satan hat da mein Pferd gescheucht? Und da liegen welche in den Wacholderbüschen ... Wir haben gerufen, und die/kein Wort, liegen wie tot ...«

»Dummkopf, was der sich da ausgedacht hat!« schrien sie zurück.

»Seht selbst nach: sie liegen da! Der Gulbas hat es auch gesehen, er ist aus Angst in den Wald gejagt zu den Kätnerinnen, die da Dürrholz sammeln. Das sind Tote ...«

»Im Namen des Vaters und des Sohnes, so reit' doch hin, den Schulzen zu benachrichtigen!«

»Der Schulze ist doch noch nicht aus der Stadt zurück,« sagte einer.

»Dann muß man es dem Schultheiß melden! ... Er ist mit den Burschen bei der Schmiede, den Weg auszubessern!« riefen sie ihm nach, denn das Pferd setzte schon zu vollem Galopp an.

Natürlich verbreitete sich die Neuigkeit über die Erschlagenen in einem Nu im Dorf; ein Schrei des Entsetzens pflanzte sich fort, man rannte hin und her, und die Leute bekreuzigten sich erschrocken. Und bevor die Sonne untergegangen war, hatte sich schon die Hälfte des Dorfes auf den Weg gemacht. Jemand hatte auch Hochwürden benachrichtigt, so daß er vor den Pfarrhof hinausgetreten war, um die Leute zu befragen. Man war in einem großen Haufen, leise miteinander redend, auf die Landstraße hinausgegangen, die Jugend war bis auf den Pappelweg vorausgeeilt, und alle warteten mit Ungeduld auf den Schultheiß, der mit einem Wagen hinausgefahren war und den Klemb mit einigen Burschen mitgenommen hatte.

Sie warteten lange, denn erst bei voller Dunkelheit kehrte er zurück, zum allgemeinen Staunen aber auf dem Wagen des Schulzen. Er war wütend, schimpfte mächtig und hieb auf die Gäule ein, ohne daran zu denken, bei dem Menschenhaufen halt zu machen; aber jemand hatte die Pferde am Zaum gepackt, so daß er halten und Rede stehen mußte.

»Diese Biester von Jungen, haben sich da was zum Spaß ausgedacht. Tote waren keine da im Wald, es schliefen nur ein paar in den Büschen. Wenn ich den Klembjungen zu fassen kriege, dann geb' ich ihm was, die Leute so zu schrecken. Ich hab' unterwegs den Schulzen getroffen und bin mit ihm mitgefahren, das ist die ganze Geschichte. Wioh! Kleine.«

»Und was fehlt denn dem Schulzen, daß er wie ein Klotz daliegt?« fragte jemand, in den Korbwagen hineinspähend.

»Der Schlaf ist ihm angekommen, das ist alles!« Er trieb auf die Pferde ein und fuhr im Trab davon.

»Aaszeug, diese Spitzbuben, sich so was auszudenken!«

»Das ist dem Gulbas sein Streich, er ist immer der erste für solche dummen Späße!«

»Mit dem Riemen müßten sie ordentlich was drauf haben, was sollen sie da die Menschen umsonst ängstigen!« beklagten sie sich empört und begannen, sich langsam nach den Häusern zu zerstreuen.

Hier und da standen noch einige in kleinen Hausen am Weiher, als sich die Kätnerinnen mit ihren schweren Holzlasten auf dem Rücken zeigten. Die Kosiol ging voraus, ganz gebückt unter der Last; als sie aber die Menschen erblickte, stützte sie ihr Bündel gegen einen Baumstamm.

»Der Schultheiß hat euch gut belogen!« sagte sie, ganz ermattet nach Atem ringend. »Erschlagene waren keine im Wald, das ist schon wahr, aber vielleicht noch was Schlimmeres.«

Und als sich mehr Menschen, durch ihre Stimme herangelockt, näherten, ließ sie auf einmal ihr Mundwerk gehen:

»Wir bogen so grad in den Weg am Wald, der ist es, der nach dem Kreuz führt, da kommt uns plötzlich der Gulbasjunge entgegengelaufen und schreit: im Wacholder sollen zwei Erschlagene liegen. Was? Erschlagene, denk' ich, das siehst du dir an, so was lohnt sich doch noch. Wir gehen also hin ... und da sehen wir denn auch von weitem, da liegen welche ganz wie tot ... nur die Klumpen staken unter den Büschen hervor. Die Filipka zerrt mich und will weglaufen ... Dem Gschela seine plappert schon ein Gebet, und mir läuft es auch ganz kalt über den Buckel; aber ich bekreuzige mich und gehe näher ... ich gucke ... da liegt ja der Herr Schulze ohne Rock und daneben die Jaguscha von Boryna ... und schlafen aufs beste. Die haben sich in der Stadt einen feinen angetrunken, heiß war es ja; da haben sie denn ausruhen wollen im Kühlen und schön tun auch noch dazu. Und was die nach Schnaps gerochen haben! Wir haben sie nicht geweckt; laß erst die Zeugen kommen, laß das ganze Dorf sehen, was hier vor sich geht! Man schämt sich rein, zu sagen, was sie sich da alles ausgezogen hat, die Filipka hat sie aus Mitleid mit der Schürze zugedeckt. Hat einer so eine Luderei gesehen! Alt bin ich, das ist wahr, aber so was, davon hab' ich noch nie gehört. Gleich kam da auch unser Herr Schultheiß an und muß sie noch wecken. Die Jagna ist ihm ins Feld davongelaufen, und den Herrn Schulzen haben sie kaum auf den Wagen heraufgeschafft, betrunken war er wie ein Schwein!«

»Du mein Gott! Jesus!« stöhnte eine der Frauen auf, »so was ist bei uns in Lipce doch noch nicht dagewesen!«

»Wenn das ein Bursche mit einer Magd getan hätte; aber ein Hofbauer, ein Familienvater und der Schulze!«

»Und der Boryna ringt mit dem Tode; keiner ist da, der ihm das Wasser reichen könnte, diese ...«

»Ich würde sie aus dem Dorf jagen! Ich würde so ein Aas mit Ruten vor der Kirche auspeitschen!« fing die Kosiol wieder an zu schreien.

»Das Ärgernis schreit für sich laut genug, wozu soll man da noch was zugeben?« versuchten sie die Frauen zu beschwichtigen.

»Und wo ist denn die Dominikwittib?«

»Die haben sie mit Absicht in der Stadt gelassen, daß sie nicht stört ...«

»Jesus, man kriegt ordentlich Angst, zu denken, was jetzt in der Welt alles passiert!«

»So eine Sünde, ein solches Ärgernis, die Schande fällt doch auf unser ganzes Dorf.«

»Der Jagna ist es schon gleich, was wir hier von ihr denken, die macht morgen dasselbe, wenn es ihr paßt.«

So klagten sie noch in den Häusern bis abends spät, die Hände ringend; und die, die ein weiches Herz hatten, weinten schon vor Entsetzen und Empörung und bebten vor der Strafe Gottes, die nun über alle kommen sollte. Das ganze Dorf hallte von all dem Gerede und all dem Wehklagen wider.

Nur die Burschen, die sich auf der Brücke versammelt hatten, machten sich über die ganze Geschichte lustig und frugen den Gulbasjungen nach allen Einzelheiten aus.

»Ist das ein Gockel, der Schulze! Na! Deftiger Kerl!« lachte Adam Wachnik.

»Er wird für diese Amouren schön was büßen müssen, die Frau reißt ihm noch die Haare aus!«

»Ein halbes Jahr lang läßt sie ihn nicht wieder an sich heran.«

»Nach der Jaguscha wird er es auch nicht eilig haben.«

»Hundsverdammt noch mal, für die Jagna würde manch einer schon was wagen ...«

»Und ob! Ein Frauenzimmer wie eine Hinde; ob man auf einem Gutshof eine schönere finden könnte, das ist noch die Frage: sie braucht einen nur anzusehen, gleich spürt er es in allen Gliedern.«

»Wie Honig ist das Weibsbild, kein Wunder, daß der Antek Boryna ...«

»Laßt mal, Jungen! Der Gulbas lügt das eine und die Kosiol das andere dazu, und die Weiber tun noch das ihre bei, in Wirklichkeit weiß man gar nicht, wie es war ... Über manch eine klatschen sie, wenn sie auch die ehrlichste wäre,« fing Mathias mit einer seltsam ernsten und besorgten Stimme an; aber er kam nicht zu Ende, denn Gschela, der Bruder des Schulzen, trat hinzu.

»Na? Schläft der Peter noch?« fragten die Neugierigen.

»Wenn er auch mein leiblicher Bruder ist; wer so was macht, ist mir wie ein Hund vom heutigen Tage an! Dieses Aas ist aber an allem schuld!« brach er wütend los.

»Das ist nicht wahr,« schrie plötzlich Pjetrek, der Knecht vom Borynahof, mit zusammengeballten Fäusten sich zu Gschela durchzwängend, »wer so bellt, lügt wie ein Hund!«

Sie waren über diese plötzliche Verteidigung sehr erstaunt; er aber schrie, mit den Fäusten drohend:

»Der Schulze allein ist daran schuld! Hat sie ihm vielleicht die Korallenschnüre hingetragen? Hat sie ihn nach der Schenke geschleppt, die ganzen Nächte im Garten gelauert, was? Ich weiß gut, wie er sie gezwungen und verleitet hat! Und wer weiß, ob er ihr nicht auch Tropfen eingegeben hat, daß sie ihm zu Willen ist.«

»So'n pestiger Verteidiger! Fahr' man hier nicht so herum, sonst reißt dir noch dein Hosengurt.«

»Wenn sie erfährt, daß du sie verteidigst, wird sie dir noch den Lohn erhöhen.«

»Oder schenkt ihm ein Paar Hosen von Matheus!«

Sie lachten laut los und spotteten auf ihn ein.

»Ihr Mann kann sie nicht verteidigen, und niemand anders sonst tut es, da will ich es tun ... das werd' ich, hundsverdammt nochmal, und wenn ich nur noch ein böses Wort höre, werde ich meine Faust nicht in der Tasche behalten ... Diese Großmäuler, wenn die 'ne Schwester wär' von einem hier oder eine von euren Weibern, und wenn der da das passieren würde, dann würdet ihr schon gleich eure Schnauzen halten.«

»Halt du deine, dämlicher Knecht! Das ist nicht deine Sache, du hast auf deine Pferdeschwänze zu achten!« brüllte Stacho Ploschka ihn an.

»Und paß auf, daß du nicht was abkriegst!« fügte Wachnik hinzu.

»Und nimm du dich gefälligst vor den Hofbauern in acht, du Zottelkopf!« gab noch einer obenauf.

»Die krätzigen Hofbauern, Äser von Gutsherren! Ich diene, aber ich trage nicht heimlich das Getreide nach dem Juden und schleppe nicht aus der Kammer was weg! Ihr kennt mich noch nicht!« schrie er den sich rasch Verziehenden nach, denen die Lage unbehaglich geworden war, so daß sie, ohne sein Schreien zu beachten, auseinandergingen.

Es wurde schon Abend, doch seltsam klar und windig; es war schon lange nach Sonnenuntergang, und über den Himmel lagen noch die breiten Buchten des blutigen Abendrots ausgebreitet; große Wolken, die wie zerwühlte Maulwurfshügel aussahen, schoben sich langsam herauf. Eine Unruhe wehte über die Welt, der Wind raunte in den Höhen, und nur die höchsten Bäume schüttelten ihre Wipfel, irgendwelche Vögel zogen mit hellen Rufen unsichtbar vorüber, und auch die Gänse in den Gehöften schrien Gott weiß warum, und die Hunde bellten wie toll und rannten bis aufs Feld hinaus. In den Häusern war es auch seltsam unruhig, denn nach dem Abendessen blieb niemand in seiner Stube, keiner setzte sich vor die Haustür, wie gewöhnlich, ein jeder suchte seinen Nachbar auf, sie standen an den Zäunen und besprachen sich leise.

Das Dorf schien dennoch ganz still, es tönte kein Gelächter, keine Gesänge waren zu hören, wie das immer an warmen Abenden der Fall war, denn alle redeten im Flüsterton, sich vor den Kindern und den Mädchen in acht nehmend; und alle erfüllte die gleiche Empörung und das gleiche Entsetzen.

Bei Anna hatten sich auch ein paar Gevatterinnen auf der Galerie versammelt; sie waren eiligst hergerannt gekommen, um sie zu beklagen und was Neues über die Jagna zu erfahren. Von verschiedenen Seiten versuchten sie heranzukommen; aber Anna sagte traurig:

»Es ist eine Schande und Frevel gegen Gott, aber auch ein großes Unglück.«

»Gewiß, und morgen wird es das ganze Kirchspiel wissen.«

»Und gleich werden sie sagen, daß alles Schlimmste in Lipce passiert.«

»Und auf alle Frauen von Lipce wird die Schande fallen.«

»Weil alle grad so heilig sind; es brauchte sie nur einer so zu nötigen, alle würden sie dasselbe tun!« höhnte die Gusche.

»Seid doch still, das ist jetzt nicht die Zeit zum Lustigmachen!« herrschte die Anna sie von oben herab an und ließ sich mit keinem Wort mehr vernehmen.

Noch würgte die Scham an ihr; aber der Zorn auf Jagna, der sie zuerst gepackt hatte, war verflogen, so daß sie, als die Gevatterinnen sich verzogen hatten, auf die andere Seite ging, um dem Anschein nach nach Matheus zu sehen; als sie aber Jagna in ihren Kleidern schlafend daliegen fand, schloß sie die Tür und zog sie sorgfältig aus.

»Gott behüte vor einem solchen Los!« dachte sie, von einem seltsamen mitleidigen Gefühl erfaßt und sah noch mehrmals an diesem Abend nach ihr.

Gusche mußte etwas davon gemerkt haben, denn sie sagte wie beiläufig:

»Die Jagna ist nicht ohne Sünde, aber am meisten Schuld hat der Schulze.«

»Das ist wahr, ihm müßte man alles heimzahlen, jawohl!« bekräftigte Anna gehässig, so daß Pjetrek sie dankbar anblickte.

Sie hatten das Richtige getroffen, denn bis spät in die Nacht liefen Ploschka und die Kosiols im Dorf herum, die Leute gegen den Schulzen aufhetzend. Ploschka ging selbst in die Häuser hinein und sagte wie scherzend:

»Mit dem Schulzen haben wir Glück, im ganzen Kreis findet man keinen größeren Helden!«

Da sie ihm aber nicht allzustark beipflichteten, so begab er sich nach der Schenke. Es saßen da ein paar kleinere Hofbauern; er ließ Schnaps auffahren, eine und eine zweite Runde, bis sie alle einen sitzen hatten; und dann fing er an, vor ihnen seine Ansichten auszubreiten.

»Unser Schulze benimmt sich fein! Was?«

»Das ist bei ihm nicht das erstemal«, warf der Kobus vorsichtig ein.

»Was ich denk', behalt' ich für mich, ich halt' meinen Mund darüber!« brummte der etwas angetrunkene Sikora, sich schwer auf die Tonbank stützend.

»Halt' auch noch was anderes zwischen deinen Zähnen, niemand wird es dir entreißen!« brach der Ploschka los und fing schon leise an, gegen den Schulzen aufzureizen, indem er den Leuten vortrug, welch' schlechtes Beispiel er dem ganzen Dorf gebe, und welche Schande und was noch sonst durch ihn über alle gekommen sei.

»Ich hab' auch über dich meine Meinung, nur daß ich sie dir nicht sagen werde,« brummte wieder Sikora dazwischen.

»Man müßte ihn des Amts entheben, das ist das einzige Mittel; gleich würde ihm das Maul weicher werden!« räsonierte Ploschka, ihnen ein neues Quart vorsetzend. »Wir haben ihn zum Schulzen gemacht, da haben wir auch die Macht, ihn abzusetzen. Das, was er heute gemacht hat, ist eine Schande fürs ganze Dorf; aber er hat doch noch Schlimmeres fertiggebracht: immer hat er zum Schaden der Gemeinde zum Gutsherrn gehalten, die russische Schule will er in Lipce bauen lassen, die Deutschen hat er auch dem Gutsherrn zugeschanzt, und was er nicht alles in einem fort verpraßt und versäuft ... eine Scheune hat er sich gebaut, ein Pferd hinzugekauft, Fleisch ißt er jede Woche und trinkt Tee und für wessen Geld wohl? Wie? Natürlich nicht für seins, nur für das der Gemeinde ...«

»Was ich davon halt', weiß ich, ein Schweinehund ist der Schulze; aber auch du möchtest deinen Rüssel in den vollen Trog stecken! ...« unterbrach ihn Sikoras Gemurmel.

»Hat sich besoffen und redet nun das erste beste Zeug.«

»Ich bleib' dabei, dich werden wir doch nicht zum Schulzen wählen!«

Sie setzten sich etwas abseits von ihm und berieten sich bis spät in die Nacht.

Am nächsten Tag begann man noch lauter über die ganze Sache zu reden, denn der Pfarrer hatte verboten, einen Altar vor dem Hause des Schulzen aufzustellen, wie das sonst Jahr für Jahr gewesen war. Natürlich hatte er alles erfahren und ließ gleich am frühen Morgen die Dominikbäuerin zu sich rufen, die erst gegen Mitternacht heimgekehrt war; er war so böse, daß er selbst mit dem Organisten geschimpft hatte und auf den Ambrosius mit dem Pfeifenrohr losging.

Der Fronleichnamstag war, wie auch die vorhergehenden, sonnig, aber außerordentlich schwül; nicht der leiseste Lufthauch wehte über die Erde; die Sonne fing gleich nach ihrem Aufgang an, unbarmherzig zu sengen, so daß in der glühenden und trockenen Luft die Blätter wie welk herabhingen und das Getreide sich schwer zu Boden gesenkt hatte; der Sand brannte die Sohlen wie mit Glut, und an den Hauswänden tropfte das Harz herunter, das die Glut aus den Brettern herausgeschmolzen hatte.

Der Herr Jesus ließ die Sonne immer mächtiger drauflos brennen, aber das Volk schien darauf nicht zu achten; schon von Tagesanbruch an entstand ein Leben und Gerenn im Dorf: man bereitete sich zum Kirchgang vor, und die Mädchen, die die Tragaltäre trugen und Blumen vor Hochwürden während der Prozession zu streuen hatten, liefen wie besessen hin und her, ihren Putz anzuprobieren, sich zu kämmen und allerhand Neues einander zu berichten; die Älteren aber putzten in aller Eile die Altäre. Man richtete einen beim Müller, einen auf dem Pfarrhof anstatt beim Schulzen und einen bei Borynas her. Anna half schon von frühem Morgen an Rochus bei der Ausschmückung; auch die anderen Hausgenossen waren dabei.

Sie wurden denn auch als erste im Dorf damit fertig und hatten den Altar so schön geschmückt, daß die Leute ins Staunen gerieten und erzählten, er wäre viel schöner als der beim Müller.

Und es war wirklich so: vor der Galerie war wie ein aus Birkenzweigen und anderem frischen Grün geflochtenes Kapellchen errichtet, das sie ganz mit Beiderwand ausgelegt hatten; es flimmerte vor grellen Farben, und mitten auf einer Erhöhung stand der Altar; er war mit einem ganz weißen, dünnen Linnen bedeckt, Leuchter und Blumen standen darauf in Satten, die Fine mit ausgeschnittenem Zierat aus Goldpapier beklebt hatte.

Ein großes Bild der Muttergottes hing über dem Altar, und daneben hatten sie kleinere Heiligenbilder angebracht, wo überall nur Platz da war. Zum größeren Schmuck hingen sie noch einen Käfig mit einer Amsel, den Nastuscha gebracht hatte, über den Altar: der Vogel sang auf seine Art, da ihm Witek leise was vorpfiff.

Und der ganze Weg von der Dorfstraße bis nach dem Haus war abwechselnd mit Tannen und Birken bepflanzt und dicht mit gelbem Sand und mit Kalmus bestreut.

Fine brachte ganze Arme voll Kornblumen, Rittersporn und Feldwicken und schmückte damit die Wände der kleinen Kapelle; sie umflocht die Bilder, die Leuchter und alles was sich nur bekränzen ließ, selbst den Boden vor dem Altar überschüttete sie mit Blumen; auch das Haus mußte noch was abbekommen; die ganzen Wände und Fenster verschwanden fast hinter dem Grün, und sogar in das Stroh des Dachbelags hatte sie Kalmus hineingesteckt.

Alle arbeiteten fleißig mit, außer Jaguscha, die am frühen Morgen aus dem Haus geschlüpft war und sich nicht mehr gezeigt hatte.

Als sie fertig waren, stand die Sonne schon hoch über dem Dorf, und immer mehr Wagen aus anderen Dörfern kamen angefahren.

Man fing also rasch an, sich für den Kirchgang bereitzumachen.

Nur Witek blieb im Heckenweg auf der Lauer, denn ein Haufen Kinder drängte sich heran, besah den Altar und pfiff auf die Amsel, so daß er sie mit einem langen Stock wegtreiben mußte; und da er mit ihnen nicht fertig werden konnte, hetzte er den Storch auf sie, der scheinbar dazu angelernt war, denn er schob sich lauernd hervor und hackte mit dem scharfen Schnabel nach den bloßen Füßen der Kinder, so daß sie immer wieder schreiend auseinanderstoben.

Die Betglocke hatte gerade ausgeläutet, als sie alle aus dem Borynahof hinaustraten. Fine lief voraus, war ganz in Weiß und hatte Stiefel an, die mit roten Schnürsenkeln verschnürt waren; sie hielt ein Gebetbuch in der Hand.

»Witek, wie seh' ich aus, was?« fragte sie, sich vor ihm auf ihren Absätzen herumdrehend.

»Fein, wie 'ne weiße Gans!« sagte er bewundernd.

»Du verstehst grad soviel davon wie dein Storch; Anna hat gesagt, daß keine im Dorf sich so aufputzen kann,« plapperte sie, den etwas kurz geratenen Rock herunterstreichend.

»Oha, oha! Aber deine Knie gucken rot durch den Rock hindurch, als wenn du gerupft wärst.«

»Dummkopf! Gucke dem Waupa auf den Schwanz! Hale, versteck du lieber den Storch, wenn der Priester mit der Prozession kommt und ihn sieht, dann erkennt er ihn vielleicht,« warnte sie mit gedämpfter Stimme.

»Das ist wahr, die Fine ist 'ne feine Dirn, und die Bäuerin spreizt sich heute wie ein Truthahn!« murmelte er, ihnen bis auf die Dorfstraße nachblickend; da er aber an die Warnung dachte, schleppte er den Storch in eine leere Kartoffelgrube und ließ den Waupa vor dem Altar Wacht halten, selbst lief er inzwischen zu Matheus, der, wie alle Tage, im Obstgarten lag.

Im Dorf war es indessen ganz still geworden, die Wagen waren schon alle vorbeigefahren, alle Menschen vorüber und die Wege leer; nur hier und da spielten die Kinder zwischen den Hecken, in der Sonne lagen die Hunde, und in der flimmernden Luft kreisten tief die Schwalben. In der Kirche fing gleich, nachdem die Betglocke ausgeläutet hatte, das Hochamt an, Hochwürden trat vor den Altar, die Orgel spielte, und gleich nach der Predigt setzten alle Glocken ein.

Die ganze Prozession trat aus dem Schatten des Kirchhofs auf den offenen Platz, der ganz weiß in der sengenden Hitze dalag; das Sonnenlicht überflutete ihre Augen, sie mit glühenden Bränden umfangend, so daß sie nur langsam unter dem Geläut der Glocken, umschwebt vom Gesang und Weihrauchduft in einer Staubwolke, im Lichterglanz über Blumen vorwärtsschritten, die man Hochwürden zu Füßen ausgestreut hatte.

Sie geleiteten ihn nach dem ersten Altar zur rechten Seite des Weihers, der vor dem Borynahof aufgebaut war. Dort las der Priester das erste Evangelium; und nachdem er etwas ausgeruht hatte, führte er das Volk nach dem Altar, der vor dem Hause des Müllers bereit stand.

Die Hitze war noch gestiegen; daß es gar nicht mehr zum Aushalten war; der Staub setzte sich in den Kehlen fest, die Sonne stand wie in einer weißen Glut, und über den hellen Himmel zogen sich weißliche, lange Streifen, die heiße Luft flimmerte und bebte vor den Augen wie eine siedende Flüssigkeit, es schien sich ein Gewitter vorzubereiten.

Eine gute Stunde war schon die Prozession unterwegs, und obgleich sie vor Hitze ganz außer Kräften waren und der Pfarrer selbst ganz in Schweiß gebadet und rot wie eine Runkelrübe ging, schritten sie bedächtig ihres Wegs, der Reihe nach von Altar zu Altar ziehend. Vor jedem wurden aufs neue die Evangelien gelesen und immer wieder neue Lieder angestimmt.

Manchmal nur, wenn das Volk ermüdet verstummte und nur das Aufstampfen der Füße hörbar war, erklang aus der plötzlichen Stille Lerchengesang von den Feldern, irgendwo fing eifrig der Kuckuck an zu rufen, und die Schwalben zwitscherten unter den Dachtraufen, die Glocken aber bimmelten immerzu; sie klangen langsam, fest und inbrünstig.

Und trotzdem das Volk aufs neue wieder zu singen angefangen hatte und die Männer ihre Kehlen nicht schonten, die Frauen mit ihren dünnen Stimmen sich hervordrängten und die Kinder auf ihre Art piepsend nebenhersangen, trotzdem die Schellen klirrten und der trockene Erdboden unter den schweren Tritten dröhnte, erhoben sich die Glockenstimmen über alles; sie klangen jetzt hell und hoch her mit einem goldig-tiefen, freudvollen, seligen Klang, so mächtig und weit vernehmbar, daß es war, als schlüge jemand mit Hämmern auf die Sonne los, und die Welt bebte und hallte von diesem Klang wider.

Und als sie mit dem Rundgang von Altar zu Altar fertig waren, dauerte die Andacht noch lange in der Kirche fort, und lange noch tönte Gesang von dorther.

Kaum waren sie aber vor die Kirche getreten, um sich etwas unter den Bäumen zu ergehen, kaum hatten sie sich mit den Bekannten begrüßt und den Bettlern ein paar Heller aus den Sacktüchern geknotet, als es sich plötzlich verdunkelte und ein Donnergeroll in der Ferne erklang. Ein heißer, trockener Windstoß fuhr auf, so daß die Bäume ins Schwanken gerieten und Staubwolken dahinfegten.

Die Leute aus den näher gelegenen Dörfern brachen eiligst auf.

Doch zunächst fiel nur ein feiner, warmer Regen; es wurde danach noch schwüler und beklemmender, die Sonne brannte unbarmherzig, und die Frösche unkten leiser und schläfriger; es verdunkelte sich immer mehr, die Weiten umflorten sich, das Donnergeroll ließ sich abermals vernehmen, und aus der bläulichen Wolkenwand, die sich im Osten heraufgeschoben hatte, zuckten bleiche, kurze Blitze auf.

Das Gewitter kam langsam heran; schwere, dunkelblaue Wolkenwälle, geschwellt von Regen und Hagel, schoben sich sichelförmig aufeinander zu, der Wind jagte in kurzen polternden Stößen voraus, pfiff in den Baumwipfeln und zerzauste die Getreidefelder; die Vögel flohen schreiend unter den Schutz der Dächer, selbst die Hunde rannten davon, das Vieh auf den Feldern wurde unruhig, und über die Landstraße kamen wirbelnde Staubsäulen angerast/ der Donner rollte schon ganz nahe.

Und es waren nicht zwei Paternoster vergangen, als die Sonne in häßliche rostbraune Nebel zu versinken begann und nur noch wie durch eine angelaufene Scheibe hindurchschien. Der Donner grollte über dem Dorf, der Wind stürzte sich auf die Gärten, als wollte er die Bäume entwurzeln, er riß Strohgarben aus der Bedachung, brach Zweige ab und trug sie davon. Die ersten Blitze schlugen in die Wälder ein, der ganze Himmel wurde mit einem Male blau wie eine Leber, die Sonne erlosch, die Winde heulten auf, und dicht nacheinander zuckten die Blitze nieder, ihr grelles Feuer zerriß die Wolkenbänke und blendete die Augen.

Die Häuser erbebten unter dem Getöse, und jegliche Kreatur duckte sich ängstlich nieder.

Zum Glück hatte sich das Gewitter zur Seite geschlagen, die Blitze waren nur ganz in der Ferne niedergegangen und der Sturmwind, ohne viel Schaden zu tun, vorübergeflogen. Der Himmel fing an, sich wieder aufzuhellen, als plötzlich, noch vor der Vesper, ein starker Regen niederprasselte. Es gingen solche Ströme Wasser nieder, daß in einem Augenblick das Getreide wie gemäht dalag, der Fluß stieg und in allen Gräben und durch alle Ackerfurchen kam das schäumende Wasser herangeflossen.

Erst gegen Abend beruhigte es sich; der Regen war vorübergegangen, und als eine rote, strahlende Kugel stieg im Westen die Sonne aus den Wolken hervor ...

Lipce belebte sich wieder; die Leute fingen an, die Türen sperrangelweit zu öffnen und vor ihre Behausungen hinauszutreten; mit Wohlgefallen sogen sie die abgekühlte Luft ein; ein würziger Duft lag über der regenfeuchten Erde, am stärksten aber von allem dufteten die jungen Birken und die Büschel Krauseminz in den Gärten; der feuchte Boden schien in den Strahlen der untergehenden Sonne aufzuglühen, die Pfützen auf der Dorfstraße gleißten, die Blätter und Gräser fingen an zu glitzern, die schäumigen Wasserfluten, die mit freudigem Rauschen sich in den Weiher ergossen, flammten auf.

Ein leichter Windzug wühlte im schwer niederhängenden Getreide, und eine erquickende, beseligende Frische kam von den Wäldern und von den Wiesen; die Kinder wateten lärmend durch die Gräben und Pfützen, die Vögel fingen an im Busch aufzuzwitschern, die Hunde bellten, die Perlhühner im Pfarrhof lockten sich auf den Zäunen, und aus allen Heckenwegen von der Dorfstraße, von den Häusern her klangen hell die Stimmen und Zurufe. Hinter der Mühle fing eine Mädchenstimme zu singen an:

Maruschka, Maruschka, es regnet fein!
Marusch, Marusch, laß zur Nacht mich ein.

Vom Feld her kamen mit dem Gebrüll der heimkehrenden Herden die schrillen und rasch hingeträllerten Liedlein der Hirtenmädchen:

Hast die Ehe mir versprochen,
Wenn der Roggen eingefahren,
Und jetzt fährst du ein den Hafer
und belügst mich wie ein Hund!
Oj dana! da dana!

Nacheinander begannen nun auch die Wagen all derer, die vom Gewitter überrascht worden waren, hinauszufahren; es blieben aber doch noch viele Hofbauern aus den benachbarten Dörfern zu Gast in Lipce: darunter hauptsächlich diejenigen, die damals so bereitwillig den Frauen Hilfe geleistet hatten. Die reicheren Bauern bewirteten sie dafür heute in ihren Häusern und sparten weder am Essen noch am Trinken, und die Ärmeren geleiteten ihre Wohltäter auf ein Traktament zum Juden, denn es ist doch immer lustiger in der Schenke und bequemer, wenn man im Haufen geht.

Die Burschen hatten Musik herbeigeholt, so daß schon von der Vesperzeit an das Dudeln der Baßviolen, Geigenklänge und das klirrende Knurren der Trommel aus der Schenke ertönten.

Es kamen auch noch andere zum Tanz, denn es war schon viel Zeit vergangen, seitdem sie sich hier zu Fastnacht zum letztenmal zusammengefunden hatten.

Bald hatte sich eine Menge Volk angesammelt, und kein Platz war mehr in der Schenke zu finden, so daß viele sich damit begnügen mußten, vor der Schenke auf einem Balkenhaufen zu sitzen und zuzusehen; da aber das Wetter schön war und am Himmel noch ein goldiger Tagesschimmer lag, machten sie sich vergnüglich an der Hauswand bequem und riefen nach dem Juden, daß er ihnen Getränke herausbringen sollte.

Die Jugend hatte fast die ganze Schenke für sich in Anspruch genommen und eröffnete den Tanz mit einem kräftigen Oberek, so daß die Wände erbebten und die Dielen aufächzten; den Tanz aber führte zu allgemeinem Erstaunen der Schymek von der Dominikbäuerin mit Nastuscha an. Umsonst hatte ihn der jüngere Bruder davon abzuhalten versucht und auf ihn mit leiser Stimme eingeredet, er konnte nicht dagegen ankommen, denn der Bursche war fest im Auge, wollte auf keinen hören, trank Schnaps und nötigte Nastuscha und seine Kameraden, mitzutrinken; und jedesmal, wenn die Musik einen aufgespielt hatte, warf er den Musikanten Kleingeld hin, umfaßte Nastuscha und schrie, was er konnte:

»Los, Jungen! Los! Wie unsereiner es macht!«

Er sprang in der Stube umher, wie ein losgelassenes Füllen, juchzte hitzig und stampfte mächtig mit den Absätzen auf.

»Der Kerl schüttelt noch seine Strohwische aus den Stiefeln!« flüsterte Ambrosius, so gierig nach den neben ihm Trinkenden schielend, daß ihm die Spucke im Munde zusammenlief. »Und mit den Klumpen schlägt er auf, wie mit einem Dreschflegel: die werden ihm noch auseinandergehen,« fügte er lauter hinzu und rückte den Trinkenden näher.

»Paßt ihr lieber selber auf, daß euch nichts auseinandergeht,« brummte Mathias dicht hinter ihm, der mit seinen Kameraden in einem Haufen stand.

»Trinken wir einen zum Frieden,« entgegnete ihm Ambrosius lachend.

»Hier hast du einen, nur schluck' das Glas nicht auch noch runter, du Saufjan!« Er reichte ihm ein volles Glas und drehte ihm wieder den Rücken, denn Gschela, der Bruder des Schulzen, fing an, etwas mit leiser Stimme zu erzählen. Die anderen hörten ihm, gegen die Tonbank gelehnt, aufmerksam zu und achteten weder auf die Tanzenden, noch auf den Schnaps, der vor ihnen stand. Es waren ihrer sechs, alles die ersten Burschen im Dorf, alles erbangesessene Hofbauernsöhne; sie berieten sich eifrig; da aber ein immer lauterer Lärm und eine immer größere Enge entstand, ließ sie der Jude in seine Wohnstube hinein, denn den Alkoven hatten die Hofbauern mit ihren Gästen besetzt.

In der Stube standen verschiedene zerwühlte Betten, in denen die Judenkinder schliefen, am Tisch war kaum genug Platz für sie. Ein einziges Talglicht schwelte in einem Messingleuchter, der von der Balkendecke herabhing. Gschela ließ die Flasche die Runde machen, sie tranken ein- und zweimal, doch niemand fing damit an, weswegen sie sich da zusammengefunden hatten, bis Mathias spöttisch hinwarf:

»Fang' du an, Gschela, ihr sitzt hier ja, wie die Krähen im Regen!«

Noch war Gschela nicht dazugekommen anzufangen, als der Schmied eintrat, alle begrüßte und sich nach einem Platz umsah, um sich an sie heranzusetzen.

»Dieses Rußmaul kommt immer da zum Vorschein, wo man ihn nicht braucht,« brach Mathias los. »In deine Hände, Michael!« fügte er gleich darauf hinzu, seinen Ärger unterdrückend und reichte ihm das Glas.

Der Schmied trank aus, und eine gute Miene machend, sagte er scherzend:

»Ich bin nicht begierig auf fremde Geheimnisse, ich seh' schon, daß ich hier nicht gern gesehen bin ...«

»Schon recht! Hast es gut an den Freitagen bei den Deutschen, wenn man dir Speck und Kaffee vorsetzt, da gibt es am Feiertag gewiß noch was Besseres ...«

»Du redest hier das erste beste, Ploschka, hast wohl einen zu viel? ...« knurrte er zur Antwort.

»Ich sage, was jeder weiß, daß du dich Tag für Tag mit ihnen abgibst.«

»Wer mir Arbeit gibt, für den arbeit' ich und mache keinen Unterschied.«

»Arbeit! Du machst mit ihnen ganz was anderes noch,« sagte der Wachnik leise.

»Grad wie du es mit dem Gutsherrn wegen unserem Wald gemacht hast,« fügte Pritschek drohend hinzu.

»Es scheint mir, daß ich hier zu einem Verhör gekommen bin ... Sieh mal an, was die nicht alles wissen wollen.«

»Laßt ihn in Ruh, er macht seine Geschäfte ohne uns, da machen wir die unseren auch ohne ihn,« sagte Gschela, ihm scharf in seine unsteten Augen blickend.

»Wenn euch der Schandarm durchs Fenster sehen würde, könnte er denken, daß ihr euch hier verkomplottieren wollt!« Er sagte es wie scherzend, aber seine Lippen bebten vor Zorn.

»Vielleicht ist es auch so, nur daß es nicht gegen dich geht, du bist eine zu kleine Personage dafür, Michael.«

Er drückte die Mütze tiefer in die Stirn und ging, die Tür laut hinter sich ins Schloß werfend.

»Der hat was gerochen und muß gleich angerannt kommen.«

»Das sieht ihm ähnlich, daß er jetzt gleich hinters Fenster geht und horcht.«

»Dann kann er noch so was über sich zu hören kriegen, daß ihm die Lust vergeht.«

»Ruhig da, Jungen!« begann Gschela feierlich. »Ich sagte euch doch schon, daß die Deutschen die Waldmeierei nicht gekauft haben, aber sie können in den nächsten Tagen hinfahren um den Vertrag notariell zu unterzeichnen, sie sagten selbst was vom nächsten Donnerstag.«

»Das wissen wir ja, da muß man was dagegen tun,« rief Mathias ungeduldig.

»Gib einen guten Rat, Gschela: du kannst doch aus dem Buch lesen und hältst auch eine Zeitung, da ist es dir am leichtesten.«

»Wenn die Deutschen den Boden kaufen und sich als Nachbarn hier festsetzen, dann wird es so wie in Gorka werden: die Luft wird einem in Lipce abgeschnitten, und wir werden mit den Bettelsäcken losziehen können oder nach Amerika auswandern müssen.«

»Und die Väter kratzen sich hinterm Ohr und seufzen herum, aber einen Rat weiß keiner.«

»Und den Grund und Boden, den geben sie uns auch nicht ab!« gaben die anderen hinzu.

»Das ist gar nichts mit den Deutschen! Die haben ganz ebenso in Lischki gesessen und unsere Bauern haben sie doch bis auf den letzten wieder ausgekauft; daß es in Gorka anders gekommen ist, daran sind die Leute selbst schuld gewesen: sie haben gesoffen, in einem fort prozessiert und haben sich denn auch die Bettelsäcke herausprozessiert.«

»So können wir ihnen auch die Waldmeierei abkaufen und sie rausjagen!« rief Anteks Vetter, Jendrek Boryna, aus.

»Das ist leicht gesagt: jetzt haben wir doch kein Geld zum Kaufen, wenn sie auch nur sechzig Rubel für einen Morgen zahlen, und später soll einer gleich tausend Silberlinge für dasselbe bereit haben.«

»Wenn die Väter jedem geben würden, was ihm zukommt, dann würde man eher fertig werden.«

»Das ist auch wahr, versteht sich! Dann wüßte jeder, was er zu tun hätte!« schrien sie durcheinander.

»Oh, ihr Dummköpfe! Dummköpfe seid ihr! Die Alten können kaum auf dem Ganzen aushalten, und ihr wollt noch durch die Teilung zu Geld kommen!« unterbrach sie Gschela.

Sie verstummten auf einmal, denn es war so augenscheinlich, was er gesagt hatte, daß ihnen zumute wurde, als hätte ihnen einer mit dem Axtstiel einen Hieb über den Schädel versetzt.

»Die Not kommt nicht davon, daß euch die Väter nichts vom Besitz abgeben wollen,« redete er weiter, »nur davon, daß Lipce zu wenig Land hat, und dabei kommen immer mehr Menschen; und was zu Großvaters Zeiten für drei gereicht hat, muß jetzt unter zehn geteilt werden.«

»Das ist wahrhaftig wahr! Jawohl, so ist es! Versteht sich!« murmelten sie besorgt.

»Dann müßte man die Waldmeierei kaufen und parzellieren!« ließ sich einer plötzlich vernehmen.

»Ein Dorf möchtest du kaufen, und wo ist das Geld?« knurrte Mathias.

»Wartet nur einmal, vielleicht findet sich auch dafür ein Rat.«

Mathias sprang plötzlich auf, schlug mit der Faust auf den Tisch ein und schrie:

»Ja, wartet nur und tut, was euch gefällt, ich hab' schon genug davon; und wenn ich böse werde, dann laß ich das ganze Dorf hier und gehe in die Stadt, da leben die Leute besser.«

»Dein Wille, aber die anderen müssen hier bleiben und irgendwie Rat finden.«

»Ich kann es hier aber wirklich schon nicht länger aushalten, zum Teufel noch mal: überall eine Enge, daß sie fast die Wände auseinanderdrücken, so viele sitzen da, und eine Not/daß es nur so aus allen Ecken schreit; und nebenan da liegt freies Land und bittet nur so, daß man es nimmt ... Und abbeißen kannst du doch nichts, wenn du selbst vor Hunger krepierst; Geld zum Kaufen ist keins da, auch keiner, der einem was borgt. Das Donnerwetter soll da dreinfahren!«

Gschela erzählte, wie es anderswo in anderen Ländern sei.

Sie horchten, wehmütig aufseufzend, und Mathias unterbrach ihn:

»Was nützt uns das, daß die anderen es gut haben! Zeig' mal dem Hungrigen eine volle Schüssel und steck' sie dann weg, laß ihn vom Zusehen satt werden! Die haben es da gut, weil anderswo Schutz für das Volk ist, nicht wie bei uns, wo jeder wie ein Wildling im freien Feld wächst, und ob er verkümmert oder aufwächst, was schert das einen? ... Wenn er nur die Steuern zahlt und sich als Rekrut stellt und sich den Beamten nicht widersetzt! Ein solches Leben wird mir schon ganz zuwider, das hängt einem ja schon zum Halse raus! ...«

Gschela aber fing, nachdem er geduldig zugehört hatte, wieder seins an.

»Es gibt nur ein Mittel, daß die Waldmeierei unser wird.«

Sie schoben sich noch näher heran, um kein Wort zu verlieren, denn plötzlich machte ein Lärm die ganze Schenke erzittern, so daß die Scheiben aufklirrten und die Musik verstummte. Es lief einer hin, um zu erfahren, was vorgefallen sei und erzählte es dann lachend den anderen: Es war die Dominikbäuerin gewesen, die so skandaliert hatte; mit einem Stock in der Hand war sie in die Schenke gekommen, die Söhne zu holen, sie wollte sie schlagen und mit Gewalt nach Hause schleppen; aber sie hatten sich ihr widersetzt und sie hinausgeworfen. Schymek war nun beim Saufen, und der ganz betrunkene Jendschych greinte in den Rauchfang hinein.

Sie frugen nicht weiter, denn Gschela hatte angefangen, ihnen sein Mittel auseinanderzusetzen, und das war so: sich mit dem Gutsherrn auszusöhnen und für einen Morgen Wald vier Morgen Land von der Waldmeierei zu verlangen.

Sie waren ganz erstaunt und furchtbar erfreut über eine solche Möglichkeit; und Gschela erzählte noch, daß sich ein Dorf bei Plock gerade ebenso geeinigt hätte, was in der Zeitung geschrieben stand.

»Das laß ich mir gefallen! Jude, Schnaps her!« rief Ploschka zur Tür hinaus.

»Für drei Morgen Wald hätten wir dann gerade zwölf Morgen Feld.«

»Und wir gegen zehn/eine ganze Wirtschaft wär' das!«

»Und wenn er nur noch Busch zugeben wollte für die Heizung.«

»Und für den Weidewald könnte er doch mindestens jedem einen Morgen Wiesenland geben.«

»Und noch Bauholz dazu!« riefen sie durcheinander.

»Noch ein bißchen, und ihr werdet wollen, daß er euch noch ein Pferd mit einem Wagen und eine Kuh zugibt, wie?« spottete Mathias.

»Seid man still da! ... Man muß jetzt die Hofbauern überreden, damit sie sich versammeln und zum Gutsherrn hingehen, um ihm zu erklären, was sie wollen: vielleicht wird er damit einverstanden sein.«

Mathias unterbrach ihn:

»Wenn ihm das Messer nicht an der Kehle sitzt, geht er darauf nicht ein: er braucht gleich Geld; von den Deutschen kriegt er es selbst morgen, wenn es darauf ankommt, nur ja zu sagen braucht er ... Und ehe sich unsere Leute fertig gekratzt haben, ehe sie sich miteinander verständigen, ehe sie einig werden, ehe die Weiber mit ihren Wünschen fertig sind, vergehen Monate, und der Gutsherr verkauft den ganzen Grund und Boden und läßt uns seinen Buckel besehen; dann hat er auch Geld und kann abwarten, wie die Sache mit dem Wald ausfällt. Gschelas Mittel ist gut, nur scheint es mir, muß man es auf den Kopf stellen.«

»Rede doch, Mathias, gib einen Rat!«

»Nicht reden und beraten müssen wir, sondern so tun, wie wir es mit dem Wald gemacht haben.«

»Manchmal kann man so und manchmal kann man es nicht!« murmelte Gschela.

»Und ich sag' es dir, daß man es kann auf eine etwas andere Weise, aber es kommt auf dasselbe hin ... Man muß nach den Deutschen im ganzen Haufen gehen und ihnen in Ruhe sagen, daß sie sich nicht unterstehen, die Waldmeierei zu kaufen ...«

»Die werden grad so dumm sein, daß sie gleich Angst kriegen und auf uns hören!«

»Man wird ihnen sagen, daß wir, wenn sie nicht hören wollen und doch kaufen, aufpassen werden, daß sie nicht bauen können und nicht säen; wir lassen sie nicht einen Schritt außerhalb ihrer Felder tun. Ihr werdet sehen, ob sie nicht Angst kriegen! Wir räuchern sie heraus wie einen Fuchs aus seinem Bau.«

»Jawohl, als ob die sich keinen Rat schaffen könnten! Und so wahr Gott im Himmel, steckt man uns wieder für solche Drohungen ins Loch!« brach Gschela los.

»Stecken sie uns ein, so lassen sie uns wieder heraus, Ewigkeiten bleiben wir da doch nicht drin; um so schlimmer wird es aber für die Deutschen sein ... Dumm sind die nicht, die werden schon im voraus sich das gut überlegen, ob ihnen ein Krieg mit uns bekommen wird ... Auch der Gutsherr wird ein anderes Lied singen, wenn wir ihm die Käufer auseinanderjagen, oder vielleicht nicht? ...«

Aber Gschela konnte nicht länger an sich halten, sprang auf und begann sie mit ganzer Macht von diesem dreisten Plan abzulenken. Er setzte ihnen auseinander, was für Prozesse daraus kommen würden, welche neuen Verluste für alle, welches Elend, und daß man sie für diese ständigen Unruhen auf ein paar Jahre ins Gefängnis stecken könnte ... daß sich das alles in Ruhe mit dem Gutsherrn selbst machen ließe ... Er beschwor sie und flehte, kein neues Unglück über das Dorf zu bringen. So redete er wenigstens zwei Paternoster lang und war davon ganz heiß geworden; er küßte und umarmte sie einen nach dem andern, flehend und bittend, sie möchten diesen Plan aufgeben; doch es war alles umsonst, als hätte einer Erbsen gegen die Mauer geschleudert, und zum Schluß noch sagte Mathias:

»Du predigst wie in der Kirche, als läsest du es von einem Buch ab, wir aber brauchen ganz was anderes!«

Sie sprangen alle mit einem Male auf, schlugen mit den Fäusten auf den Tisch, und redeten los, vor freudiger Erregung fast schreiend:

»Unsere Sache ist gut, man muß zu den Deutschen hingehen und die Pluderer einfach auseinanderjagen! Mathias hat recht, auf ihn wollen wir hören, und wenn einer Angst hat, mag er sich unters Federbett verkriechen!«

Es war keine Möglichkeit, mit ihnen zu reden, so aufgeregt waren sie.

Der Jude brachte gerade eine neue Flasche herein, hörte zu, und, indem er den ausgegossenen Schnaps vom Tisch wegwischte, sagte er bescheiden ...

»Mathias hat e klugen Kopf, sein Rat ist gut.«

»Sieh mal an! Ist denn der Jankel auch gegen die Deutschen, na?« riefen sie erstaunt.

»Ich ziehe vor, mit den Unserigen zu halten, man hat manche Not zu bestehen, wie alle andern, aber mit Gottes Hilfe kann man leben ... Wo aber die Deutschen kommen, da hat nicht nur ein armer Jud nichts zu leben, da hat selbst der Hund nichts zu beißen ... Daß se krepieren mögen, daß sie alle ... Pfe ... die Krankheit abwürgt! ...«

»Ein Jud' und hält zum Volk! Habt ihr das gehört!« Sie wunderten sich immer mehr.

»Ich bin e Jid, aber im Wald hat man mich nicht aufgelesen; hier bin ich geboren, wie ihr auch, mein Großvater und mein Vater! ... Zu wem soll ich denn halten? ... Bin ich nicht einer von den Eurigen? ... Wenn es euch besser geht, da wird es auch mir besser gehen ... wenn ihr feine Hofbauern seid, werd' ich doch können handeln mit euch! ... Wie mein Großvater mit euren Großvätern, na ist es nicht so? ... Und da ihr euch das so klug mit den Deutschen zurechtgedacht habt, so will ich euch eine ganze Flasche Arrak spendieren! ... Auf eure Gesundheit, die Herren Hofbauern von der Waldmeierei!« rief er, dem Gschela zutrinkend.

Sie tranken viel, und eine solche Freude hatte sie übermannt, daß sie fast dem Juden den Bart geküßt hätten; sie setzten ihn zwischen sich und erzählten ihm alles noch einmal und frugen um seinen Rat. Selbst Gschela heiterte sich auf und schloß sich ihnen wieder an, damit sie nichts Schlechtes von ihm dächten.

Die Beratung dauerte nicht mehr lange, denn Mathias erhob sich und rief:

»In die Schankstube, Jungen, die Beine gerade recken, genug für heute! ...«

Sie kehrten im Haufen in die Stube zurück; Mathias nahm einem der Tanzenden Therese weg und begann sogleich, sich mit ihr im Tanz zu drehen. Ihm nach begannen die anderen sich die Mädchen zusammenzuholen, den Musikanten zuzurufen und loszutanzen!

Natürlich setzte die Musik gleich forscher ein, denn man wußte ja, daß mit Mathias nicht zu spaßen war; er zahlte gut, aber auch zum Prügeln war er gleich bereit.

Die ganze Schenke tanzte schon, die Köpfe glühten ihnen, Geschrei, Musik, Gestampf und wilde Zurufe füllten die Stube, über der ein heißer Brodem lag; und durch die offenstehenden Fenster und Türen quoll der festfrohe Lärm zu denen, die draußen an den Wänden sitzend, sich ebenfalls auf ihre Weise der Fröhlichkeit hingaben. Die Hofbauern tranken einander häufig zu und redeten immer lauter und wirrer durcheinander.

Es wurde schon Nacht, die Sterne blitzten auf, die Bäume rauschten leise, und von den Mooren kam das langgezogene Murren der Frösche und die dunklen Rufe der Rohrdommeln; in den Obstgärten schluchzten die Nachtigallen, und die Luft war warm und von Wohlgerüchen schwer. Man genoß den frischen, kühlen Abend; und immer wieder tauchte in der Tür der Schenke ein eng umschlungenes Pärchen auf, um rasch ins Dunkel zu verschwinden .... Draußen an der Wand aber ging es immer lauter zu, sie schrien schon alle durcheinander, so daß es schwer war, sich auszukennen.

»... und kaum, daß ich den Eber herausgelassen hab', daß er nicht einmal die Schnauze in die Kartoffeln stecken konnte, da reißt die auch schon ihr Maulwerk auf ...«

»Die müßte man zum Dorf hinausjagen ... hinausjagen! ...«

»Ich erinnere mich, daß sie es mit einer so gemacht haben, als ich noch jung war! ... Vor der Kirche haben sie sie bis aufs Blut gezüchtigt und haben sie dann mit einem Kuhgespann über die Dorfgrenze gebracht, da hatte man endlich wieder seine Ruhe ...«

»Jude! Ein Quart Starken!«

»Die Milch hat sie meiner Grauen zuschanden gezaubert! ...«

»Einen neuen Schulzen müßte man wählen, damit wird jeder fertig ...«

»Lieber das Übel gleich mit der Wurzel herausreißen ...«

»Jäten muß man sein Kornfeld, daß einem das Unkraut nicht über den Kopf wächst.«

»Trinkt mir zu, und ich will euch was sagen ...«

»Den Stier mußt du bei den Hörnern fassen und nicht nachlassen, bis er umfällt ...«

»Zwei Morgen und einer/sind drei Morgen; drei Morgen und einer/sind vier Morgen.«

»Trinke Bruder, auch die nächste Verwandtschaft hätte nicht besser gehandelt.«

So kamen immer wieder Stimmen aus dem Dunkel, aber es war nicht auszukennen, wer da sprach und zu wem gesprochen wurde; nur die tiefe Stimme von Ambrosius hob sich mal hier und mal da klar von den anderen ab; er ging von einem Haufen zum andern oder sah in die Schenke ein, überall sich sein Gläschen zu holen; er war schon ganz betrunken und konnte kaum auf seinen Beinen stehen, bis er schließlich, um Halt zu suchen, jemanden von der Tonbank an die Rockklappe griff und mit weinerlicher Stimme auf ihn einzureden begann.

»Ich hab' dich doch getauft, Wojtek, und habe deiner Frau so geläutet, daß mir die Arme geschwollen sind: gib ein Glas Schnaps aus, Bruder! Und wenn du ein ganzes Quart ausgibst, dann läute ich ihr nochmal und werd' dir Brautbitter für eine zweite ... jung und stramm soll sie sein, grad wie 'ne Steckrübe! Gib ein Quärtchen aus, Bruder ...«

Die Mädchen und die Burschen amüsierten sich eifrig, die Stube war voll wehender Frauenröcke und Kapottschöße. Einige standen schon vor den Musikanten und sangen, andere tanzten immer wilder; selbst die älteren Frauen hopsten und schrien um die Wette, Gusche aber hatte sich bis in die Mitte vorgedrängt, stemmte die Arme in die Hüften und sang, mit den Füßen aufstampfend, heiser los:

Ich fürchte keinen Stier,
und wären es selbst vier! ...
Vor keinem Burschen tu' ich laufen
und wär' es selbst ein Haufen! ...


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