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InitialAuf den Wegen war es schon ganz menschenleer und dunkel, in den Häusern erloschen die Lichter. Man sah die letzten Leute vorüberziehen, auf dem Kirchplatz aber drängten sich die Wagen, vor denen die ausgespannten Pferde standen; man konnte in der Dunkelheit ein Schnaufen und Aufstampfen hören, und am Glockenhaus hoben sich die Herrschaftskutschen dunkel ab.

Anna nestelte noch einmal in der Vorhalle an ihrer Jacke, und nachdem sie das Tuch etwas über den Rücken gleiten ließ, fing sie an, sich energisch nach den Vorderbänken hindurchzuzwängen.

Die Kirche war schon gedrängt voll, und das sich stauende Volk wogte hin und her, ein Raunen von gemurmelten Gebeten, Seufzer, Gehüstel und Begrüßungsworte schwirrten durch den Raum, daß von diesem Anprall die Fahnen, die mit ihren Stangen an den Bänken befestigt waren und die Tannenbäume, mit denen man alle Altäre und Wände geschmückt hatte, bebten.

Kaum hatte sie sich nach ihrem Platz hindurchgedrängt, als der Priester mit der Messe begann; aus der Menge hörte man hier und da ein lautes Seufzen, und oft breiteten sich Arme im Gebet auseinander; das Volk sank ehrfurchtsvoll in die Knie und drängte sich immer dichter zusammen; Arm an Arm, Seele an Seele knieten sie nieder, und wie zu einem weiten Feld reihten sich Kopf an Kopf, und nur die unzähligen Augen sah man wie Schmetterlinge aus dieser hin und her wogenden Menschenmenge aufleuchten und nach dem Hauptaltar schweifen, wo das Standbild des auferstandenen Heilands zu sehen war; er stand nackt und mit blutigen Wunden da, kaum nur mit einem roten Mantel bekleidet und mit einem Fähnlein in der Hand.

Eine plötzliche Stille kam über die Kirche, wie an einem Lenzmittag, wenn die Sonne die Felder anwärmt, der Wind nachläßt, die gebeugten Ähren miteinander flüstern, und hoch oben irgendwo im blauen Himmel die süßen Lerchenlieder klingen ...

Sie versanken allmählich in eine so tiefe Andacht, daß ihnen die Lippen zitterten und mit Seufzern untermischte leise Gebete auf ihre Lippen kamen, daß es war, als ob üppiger Regen auf Blätter niederrann; die Köpfe beugten sich immer tiefer vor, zuweilen riß sich ein Aufstöhnen von irgendwo los, streckten sich andächtige Hände bittend dem Altar entgegen, oder es erklang ein leises Kindergreinen aus dieser Menge, die wie am Erdboden kriechendes Strauchwerk sich ängstlich im Dämmer des hohen und finsteren Kirchenschiffes, das wie ein uralter Forst ragte, niedergebeugt hatte; obgleich auf den Altären Lichter glühten, erfüllte dichte Dämmerung die Kirche, denn durch die Fenster und besonders durch die große, weit aufgesperrte Eingangstür drängte sich die schwarze Nacht von draußen herein, wo hinter Wolken hervor die bleiche Sichel des Mondes lugte.

Nur Anna konnte sich nicht ins Gebet vertiefen, sie bebte noch ganz, so bange war ihr zumute; es schien ihr noch immer, als wäre sie in Vaters Kammer.

Ein Frösteln erfaßte sie, ihre Hände fühlten noch die rieselnde Kühle des Kornes, und immer wieder preßte sie die Arme auf die Brust, um das Bündel zu fühlen, das sie dort eingestopft hatte.

Es durchbebte sie eine solche Freude und Angst zugleich, daß der Rosenkranz ihr öfters aus den Fingern glitt. Sie vergaß die Worte des Gebetes und ließ die brennenden Augen über die Menschen schweifen, ohne einen einzigen zu sehen, obgleich nebenan Fine, Jaguscha mit der Mutter und andere saßen.

In den Bänken, die seitwärts vom Altar standen, beteten aus den Gebetbüchern die Gutsherrinnen aus Rudka und Modlica und die Gutsfräulein aus Wola, die Herren selbst aber standen in der Tür der Sakristei miteinander flüsternd, und an den zum Altar führenden Stufen, etwas weiter ab waren die Müllerin und die Organistin zu sehen, beide mächtig geputzt. Vor dem Gitter, wo der Platz für die ersten Hofbauern aus Lipce war, die stets während des Hochamts Wacht hielten, über Hochwürden den Traghimmel zu tragen pflegten und ihn während der Kirchenumzüge am Arm untergefaßt führten, knieten jetzt zu einer festen Mauer zusammengedrängt, die Bauern aus anderen Dörfern, so daß man kaum darunter den Schulzen, den Schultheiß und den roten Kopf des Schmieds entdecken konnte.

Manch eine der Frauen blickte sehnsüchtig nach dort hinüber, wie nach denen Ausschau haltend, die ihr nahe standen ... umsonst, es waren da Männer aus Dembica, aus Wola, Rschepki, aus dem ganzen Kirchspiel waren sie gekommen; nur die von Lipce sah man nicht, nur diese Ersten fehlten heute. Die Herzen der meisten Weiber begannen zu zittern und wurden wie aufgescheuchte Vögel, so daß manch eine schon weinend den Kopf zur Erde beugte, daß manche aufstöhnende Klage aus dem Gedränge laut wurde, und die schmerzlichen Erinnerungen an ihre Verlassenheit wie mit lebendigem Feuer sie zu brennen begannen.

Konnte es denn auch anders sein, Ostern, der größte Festtag im ganzen Jahr, war da, so viel fremdes Volk hatte sich eingefunden, und über alle vom Fasten etwas abgemagerten Gesichter ist Freude ausgegossen; sie blähen sich auf in ihren Festtagskleidern, machen sich in der Kirche breit, wie die reinen Gutsherren, lassen trotzig die Blicke schweifen, nehmen die ersten Plätze ein; und diese Armen alle aus Lipce, was tun die jetzt, was nur? In Dunkelheit, von Hunger und Kälte gepeinigt, käuen sie das bittere Unrecht wieder, nähren sich von Groll und Sehnsucht ...

Für jegliches Geschöpf ist der Tag der Freude gekommen, nur nicht für sie ... die Armen ... Alle werden sie gemeinsam nach Hause zurückkehren, werden die Festtage genießen, sich am guten Essen, an der Frühlingssonne, an freundschaftlichen Reden laben, alles wie Gott befohlen hat, nur sie nicht, die armen Waisen aus Lipce ...

Jede für sich allein und voll bitteren Leids werden sich die Frauen jener Armen gebeugt nach Hause schleichen und mit Tränen werden sie den Festtagskuchen benetzen und werden sich dann mit ihrer Sehnsucht und mit ihren Sorgen schlafen legen ...

»Jesus, mein Jesus!« ließ sich klagendes, gedämpftes Wehklagen rings um Anna vernehmen, so daß sie endlich zu sich kam und plötzlich die bekannten Gesichter vor sich sah, die alle aus tränenschimmernden Augen vor sich hinblickten ... selbst Jagusch ließ den Kopf hängen, und schwere Tränen tropften ihr aus den Augen auf die weißen Seiten des Gebetbuchs, so daß die Mutter sie erst durch Seitenpüffe zur Besinnung bringen mußte. Hale! konnte sie sich da beruhigen, wo ihr doch gerade Antek in Erinnerung gekommen war und lebendig vor ihr stand, ganz wie damals in der Weihnachtsmesse, seine heiße Stimme meinte sie zu hören, es war ihr, als ob er neben ihr kniete und seinen Kopf gegen ihre Knie preßte ... Das Leid hatte ihr dermaßen das Herz zusammengeschnürt, daß die Tränen von selbst flossen vor plötzlicher Sehnsucht ...

Zum Glück hatte Hochwürden gerade in diesem Augenblick mit der Predigt begonnen, und es entstand ein Geräusch in der Kirche, denn die Leute erhoben sich von den Knien und drängten näher an die Kanzel heran, die Köpfe zum Priester erhebend, der von dem Martertod des Herrn erzählte und davon, wie ihn die scheußlichen Juden gekreuzigt hatten, weil er gekommen war, die Welt zu erlösen, den Benachteiligten Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen und sich für die Armen zu verwenden. Er führte den Leuten dieses Unrecht, das dem Herrn geschehen war, so rührend zu Gemüt, daß es manch einem dabei heiß zu Kopfe stieg, und mehr als eine Bauernfaust sich drohend ballte, während das Weibervolk laut schluchzte und an den Nasen herumhantierte.

Er unterwies sie lange, alles eingehend erläuternd, daß schon hier und da der Schlaf die Augen schließen wollte und in den Ecken selbst ordentlich geschlafen wurde, aber gegen das Ende wandte er sich geradeaus an das Volk, und sich von der Kanzel herabbeugend, fing er an, mächtig die Fäuste zu schütteln und zu schreien, daß alltäglich und allstündlich und an jeder Stelle Jesus durch unsere Sünden gemartert werde, daß ihn die Bosheit und die Gottlosigkeit und der Ungehorsam gegen Gottes Gebote immer von neuem den Tod erleiden lassen und jeder Mensch ihn in seinem Inneren kreuzige, ohne an seine Wunden und an sein heiliges Blut, das er zur Erlösung der Menschheit vergossen habe, zu denken!

Da heulte mit einem Male das ganze Volk los, stürmisches Weinen und Schluchzen erfüllten die Kirche, er mußte selbst aufhören zu reden. Erst als sie stiller wurden, fing er wieder, aber schon freudig an, von der Auferstehung des Herrn zu erzählen. Vom Frühling, den der Herr in seiner Güte jahraus jahrein dem sündigen Menschen entstehen läßt bis zu jener Zeit, daß Jesus wiederkehre auf Erden, um über die Lebendigen und die Toten zu Gericht zu sitzen, um die Trotzigen zu erniedrigen, die Sündigen ins Höllenfeuer für alle Ewigkeiten zu stoßen und die Gerechten zu seiner rechten Hand niedersitzen zu lassen zur ewigen Ehre! Denn die Zeit würde schon kommen, daß jegliche Ungerechtigkeit ein Ende hätte, jegliches Unrecht den verdienten Lohn bekäme und das Weinen derer, die da leiden, aufhören würde, und das Böse nicht mehr regieren dürfe ...

Und er sagte das so warm, so herzlich, daß jedes Wort voll Süße in die Herzen floß, in den Seelen einen Sonnenglanz erstrahlen ließ, daß eine seltsame Wohligkeit alle erfüllte; nur die Leute aus Lipce erbebten in Leid, und die Erinnerung an das Unrecht, das sie erlitten, umklammerte mit solcher Wehmut ihre Herzen, daß sie alle zu weinen und zu schluchzen anfingen ...

Eine Bewegung entstand in der Menge ob all diesem Weinen und Jammern, und bald hatte man herausgefunden, worum es sich hier handelte, die anderen drängten sich um sie und fingen an, sich um die Weinenden zu bemühen und sie mit guten Worten zu trösten, und selbst Hochwürden, der sich mit dem Ärmel über die tränenfeuchten Augen fuhr, rief ihnen gütig zu, daß der Herr Jesus jene prüfe, die er am meisten liebe, und wenn die Männer auch schuldig gewesen wären, so würde die Zeit der Strafe doch bald ein Ende nehmen, sie sollten nur auf Gottes Erbarmen vertrauen, und bald würden sie alle ihre Männer wiederhaben.

Sie beruhigten sich nach diesen Worten, es wurde ihnen mit einem Male leichter zumute und Zuversicht kam in ihre Herzen.

Und als dann der Priester vor dem Altar das Lied der Auferstehung anstimmte, und die Orgel einfallend in mächtigen Tönen erklang, als die Glocken laut aufjubelten, und Hochwürden mit dem allerheiligsten Sakrament die Treppenstufen zum Volk niederzusteigen begann, in einer bläulichen Wolke des Weihrauchs und im anschwellenden Klang der Schellen, stieg aus allen Kehlen ein einziges Lied empor, und in verzückter Hingenommenheit folgte die zusammengedrängte Menge dem schwankenden Traghimmel nach ...

Sie umgingen das Innere der Kirche, ganz langsam, Schritt für Schritt, in furchtbarer Enge, und aus Leibeskräften singend, und die Orgel spielte immerzu und die Glocken läuteten.

Halleluja! Halleluja! Halleluja! dröhnte es durch die Kirche, die Wände schienen zu zittern, alle Herzen sangen mit, alle Kehlen taten mit, und die heißen, leidenschafterglühten Stimmen hoben sich wie auf Schwingen empor, kreisten hoch oben unter der Deckenwölbung der Kirche und flossen in die Lenznacht hinaus.

Erst dicht vor Mitternacht war der Gottesdienst zu Ende, und die Leute drängten eilig hinaus. Nur Anna war noch geblieben; sie hatte sich so in das Gebet vertieft, es hatten sie die Worte des Priesters mit einer solchen Zuversicht erfüllt und die frohen Lieder, die Ostermesse sowie das Bewußtsein dessen, was sie erreicht hatte, sie so gekräftigt, daß sie dankbar ihre ganze Freude Jesus zu Füßen legte, im Gebet die ganze Welt vergessend. Erst Ambrosius zwang sie durch das Klirren der Schlüssel zum Verlassen der leeren Kirche.

Selbst die Angst um Antek, die so lange in ihr lebte und bei jeder Gelegenheit in ihr wach wurde, war wie plötzlich tot, so völlig ruhig und voll Selbstvertrauen fühlte sie sich.

Sie sah sich, langsam den Heimweg antretend, nach ihren Leuten um, die Wagen rollten in einer endlosen Kette, und die Menschen zogen haufenweise an den Seiten der Dorfstraße, die man kaum in der Nacht sehen konnte. Der Mond war schon untergegangen, und es hatte sich stark verdunkelt; graubraune Wolken schoben sich hoch oben vorüber, immer wieder die dunkelblauen Himmelsfelder verdeckend, auf denen die fernen Sterne leuchteten.

Es war eine stille, warme, von Tau durchfeuchtete Nacht; von den Feldern her kam ein weicher, vom würzigen Duft des Erdbodens und der feuchten Niederungen erfüllter Luftzug, und auf den Wegen lagerte der harzige, süße Wohlgeruch der ausschlagenden Pappeln und Birken. Es wimmelte von Menschen auf der nächtlich dunklen Straße; nur hin und wieder sah man vereinzelte Köpfe aus dem Dämmer der beschatteten Wege sich abheben, von überall tönten Schritte und Stimmen, die Hunde kläfften wütend in den Heckenwegen, und in den Häusern blitzten hier und da Lichter auf.

Anna trat ins Haus, nachdem sie unterwegs in die Ställe gesehen hatte. Man legte sich schon schlafen.

»Laß ihn nur wiederkehren und wirtschaften, dann werd' ich ihn nicht mit einem Wörtlein an das Vergangene erinnern,« beschloß sie, sich auskleidend. »Und wenn er sich wieder mit ihr zusammentut?« dachte sie plötzlich, als sie die Jagna auf ihre Seite wiederkehren hörte.

Sie legte sich aufs Lager, eine Zeitlang hinhorchend. Im Dorf war alles still, nur von der Landstraße her tönte noch ein letztes Rädergeroll und verhallte, und Stimmen zerflatterten in der Ferne.

»Es wäre kein Gott auf Erden und keine Gerechtigkeit!« flüsterte sie drohend, doch es fehlten ihr die Kräfte zum Überlegen, denn der Schlaf übermannte sie auf der Stelle.

— — — — —

Am nächsten Morgen erwachte Lipce sehr spät.

Der Tag war schon wie ein erschlossenes, lichtblaues Auge, auf dem noch der weiße Flor der Schlaftrunkenheit liegt, das aber schon zu schimmern beginnt; das Dorf aber schlief noch aufs beste.

Man hatte keine Eile, vom Lager aufzuspringen, obgleich es der Tag der Auferstehung des Herrn war. Die Sonne erschien gleich bei Tagesanbruch und spielte in den Tautropfen und Gewässern; sie zog am hohen Himmel dahin, als wollte sie der ganzen Welt mit Helle und Wärme Halleluja singen.

Sie erhob sich ganz groß und strahlte durch die erdennahen Nebel auf die Gärten und die Felder nieder und zwischen die Häuser hinein, daß die Vögel freudig zu singen begannen, die Wasserläufe mit lustigem Gemurmel erklangen, die Wälder aufrauschten, der Wind erwachte, die jungen Blätter erbebten, daß die dichten Saatenfelder leise zu schaukeln anfingen und die Tautropfen wie Tränen zu Boden fielen.

Hei! Ein froher Tag war gekommen! Christus war auferstanden! Halleluja!

Auferstanden war er, den die menschliche Bosheit gemartert und getötet hatte! Er war wieder unter die Lebenden gekommen, der Vielgeliebte / aus der Dunkelheit und Kälte und den schlimmen Regentagen! Vom Tode hatte er sich befreit, hatte dem Menschen zum Heil das Unüberwindliche überwunden, und jetzt in dieser Frühlingszeit, in der Zeit des Erwachens schwebt er über die Erde hin, in dem allerheiligsten Sonnenlicht verborgen, und streut ringsum Freude, weckt die Ermatteten, belebt die Toten, erhebt die Gebeugten und befruchtet die Unfruchtbaren.

Halleluja! Halleluja! Halleluja!

So hallte es durch die Welt an jenem Tage des Herrn.

Nur in Lipce war es stiller und nicht so froh als in anderen Jahren um diese Zeit.

Sie hatten bis weit in den Morgen hinein geschlafen, denn erst bei vollem Tag, als die Sonne sich über die Obstgärten erhob, entstand Leben in den Häusern, fingen die Tore an zu knarren, und zerzauste Köpfe sahen gähnend in Gottes Welt hinaus, die ganz in Sonne und Glanz stand, von Lerchenstimmen widerhallte und mit jungem Grün überhaucht war.

Auch auf dem Borynahof hatte man die Zeit verschlafen. Nur Anna war ein bißchen früher aufgestanden, um den Pjetrek zu wecken, daß er Pferde und Wagen zurechtmachen sollte; sie selbst aber machte sich daran, das geweihte Osteressen für jeden zurechtzumachen. Inzwischen wusch Fine unter großem Geschrei die Kinder und kleidete sich dabei selbst noch festlich an, und am Brunnen im Hof wuschen sich Pjetrek und Witek ganz fein sauber; der alte Bylica spielte inzwischen mit dem Hund auf der Galerie und schnüffelte in der Luft herum, ob man nicht schon die Würste anschnitte.

Wie es Sitte war, brannten sie kein Feuer auf dem Herd an, sich mit kalten Speisen begnügend. Anna kam gerade mit dem Ostergeweihten aus Borynas Stube heraus, das Essen gleichmäßig auf alle Teller verteilend, so daß jeder ein großes Stück Wurst, Schinken, Käse, Brot und die gleiche Anzahl Eier und süßen Kuchen erhielt.

Erst nachdem sie die Festtagskleider angelegt hatte, rief sie die anderen zum Essen und ging dann selbst, Jaguscha zu holen; diese kam auch gleich fein geputzt herein, sie war so schön, daß sie wie das Morgenrot selber aussah, und ihre hellblauen Augen leuchteten wie Sterne unter dem flachsblonden, glatt gekämmten Haar. Sie waren alle in Feiertagskleidern, so daß die Beiderwandröcke und Mieder leuchteten, und auch Witek hatte, obgleich er barfuß war, einen neuen Spenzer mit leuchtenden Knöpfen an, die er sich bei Pjetrek erbettelt hatte; dieser erschien heute in einer ganz neuen Kleidung: im dunkelblauen Überrock und gelb und grün gestreiften Hosen, war ganz sauber ausrasiert, hatte sich die Haare wie die anderen in einem geraden Strich auf der Stirn zurechtgestutzt und das Hemd mit einem roten Band zusammengebunden.

»Er hat die graue Haut abgeworfen, und sieh da, was für ein feiner Bursch / gerade wie eine Kerze ...« bemerkte Bylica.

Pjetrek lächelte nur, die Augen verdrehend und nach Jaguscha hinüberäugend; seine Gurgel spielte ihm, denn Anna hatte sich bekreuzigend jeden mit Schnaps traktiert und nötigte nun alle zum Niedersitzen. Sie setzten sich auf die Bänke, und selbst Witek nahm, wenn auch schüchtern, ganz am Rande der Bank Platz.

Sie aßen achtsam und im Schweigen und ließen sich das Ostergeweihte gut schmecken, desto mehr, da sie doch so viele Wochen ordentlich gefastet hatten. Die Würste dufteten stark, sie waren ordentlich mit Knoblauch zubereitet, so daß der Duft die Stube erfüllte und die Hunde sich freudig aufwinselnd an sie herandrängten.

Niemand von ihnen sprach, bevor sie nicht den ersten Hunger gestillt hatten, ihre Kinnbacken bewegten sich eifrig, so daß trotz der feierlichen Stille, die beim Essen eingetreten war, ein Geschmatz und das Gluckern des Branntweins erklangen, und Anna gönnte jedem seinen Schluck Schnaps, selbst noch jeden zum Trinken nötigend.

»Fahren wir denn bald?« fragte Pjetrek als erster.

»Wenn möglich, gleich nach dem Frühstück.«

»Gusche wollte gern mit euch zur Stadt fahren,« mischte sich Fine ein.

»Kommt sie zur rechten Zeit, mag sie fahren, warten werd' ich aber nicht.«

»Soll ich Futter für die Pferde mitnehmen?«

»Für einen Ausspann; abends kommen wir zurück.«

Und wieder aßen sie bis ihnen die Augen rein übergingen vor Behagen, daß die Gesichter sich röteten, und das Gefühl der Sättigung die Glieder mit angenehmer Wärme durchrieselte. Sie aßen so gründlich, wie es nur möglich war, sich mit Absicht vollstopfend, und trachteten, solange es nur anging, den Genuß des guten Essens auszukosten. Erst als Anna sich erhob, verließen auch die anderen ihre Plätze mit einem schon tüchtigen Schwergewicht im Magen; Pjetrek und Witek nahmen selbst, was sie nicht aufgegessen hatten, mit sich nach dem Stall.

»Mache nur gleich die Pferde fertig!« beorderte Anna; und nachdem sie für Antek ein so großes Bündel von dem Ostergeweihten zurechtgemacht hatte, daß sie es kaum schleppen konnte, fing sie an, sich für die Fahrt anzukleiden.

Schon warteten die Pferde vor dem Haus, als Gusche atemlos angelaufen kam.

»Fast hätt' ich auf euch nicht mehr gewartet! ...«

»Seid ihr denn schon nach dem Ostergeweihten?« seufzte sie kläglich auf, in der Luft herumschnuppernd.

»Es findet sich noch was für euch, setzt euch und eßt was ...«

Versteht sich, daß man die Arme, die recht ausgehungert schien, nicht erst zu nötigen brauchte, sie machte sich eifrig wie ein Wolf über das Essen her und schlang alles herunter, was ihr unter die Finger kam.

»Der Herr Jesus hat schon gewußt, wozu er das Schweinevieh geschaffen hat!« murmelte sie, nachdem sie etwas gegessen hatte. »Und das nur ist seltsam, daß, wenn man es auch bei Lebzeiten im Schmutz liegen läßt, seinen Tod will man doch lieber mit Branntwein begießen!« höhnte sie auf ihre Art.

»Trinkt auf eure Gesundheit, aber rasch, denn die Zeit läuft.«

In einem Paternoster ungefähr fuhren sie davon. Anna teilte noch vom Wagen herunter Fine Befehle aus und mahnte so eindringlich, den Vater ja nicht zu vergessen, daß diese gleich allerhand Ostergeweihtes auf einen Teller zusammenlegte und hinübertrug. Boryna antwortete auf ihre Anfragen nicht, sah sie nicht einmal an; aber was sie ihm zwischen die Zähne schob, das aß er gierig auf, immerzu mit toten Augen vor sich hinstarrend. Vielleicht hätte er selbst mehr gegessen, aber es wurde Fine zu langweilig; so lief sie denn hinaus, um zuzusehen, wie fast aus jedem Haus die Frauen mit ihren Bündeln hinausgingen und einzelne davonfuhren. An die achtzehn Wagen rollten in der Richtung der Stadt davon, und an den Gräben entlang gingen in einer langen Reihe Frauen in roten Röcken, jede mit ihrem Bündel auf dem Buckel.

Als das letzte Wagengeroll verweht war, fiel eine seltsam trübe und stille Leere aufs Dorf; der Tag schleppte sich langsam weiter, dumpfes Schweigen lag auf allen Wegen, und weder das an einem solchen Festtage gewohnte Treiben, noch ein Singen ließ sich hören, auch Menschen waren nicht zu sehen, nur die wenigen Kinder, die sich am Weiher herumtrieben, machten sich bemerkbar, indem sie mit Steinen nach den Gänsen warfen.

Die Sonne stieg empor, mit Helle die ganze Welt überflutend, die Wärme steigerte sich, so daß schon die Fliegen an den Scheiben zu summen anfingen, die Schwalben sausten eifrig durch die klare Luft, der Weiher lohte wie ein Feuer, und die Bäume, die ganz in Grün getaucht waren, schimmerten frisch und breiteten süßen Honigduft aus; von den weiten Feldern, die ein zartes Blau umfloß, stieg hin und wieder ein kühler, mit Erdgeruch geschwängerter Hauch empor, und Lerchengesang ertönte; die ganze Welt atmete lenzliche, stille Lieblichkeit. Und von den anderen Dörfern, die man kaum in den im Sonnenglast flimmernden Fernen sehen konnte, drangen hin und wieder laute Rufe und Pistolenknallen herüber.

Nur in Lipce war es leer und traurig und wie nach einem Begräbnis; das zur Tränke herausgelassene Vieh trieb sich nur überall herum, wo es ihm paßte, rieb sich gegen die Baumstämme und brüllte sehnsüchtig den grünenden Feldern entgegen. Die Heckenwege und die Flure, die man sperrangelweit offen gelassen hatte, waren leer; auf der Sonnenseite der Häuser aber wärmte man sich hier und da an den weißen Wänden, die Mädchen strählten ihr Haar in den offenstehenden Fenstern, und die Alten saßen vor den Haustüren und lausten die Kinder.

So gingen Stunden in schläfriger und wehmutsvoller Stille vorüber, manchmal schüttelte ein plötzlicher Windzug die Bäume, so daß sie ganz leise aufrauschten, sich nach den Häusern hinneigend und wie ängstlich in die leeren Stuben lugend, oder ein Spatzenschwarm kam laut schreiend von einem Obstgarten auf die Dorfstraße geflogen, und kurz abgerissenes Geschrei von Kindern, die die Krähen von den Kücken fortzuscheuchen versuchten, wurde laut.

Mein Jesus, so war es früher nicht an einem solchen Tage gewesen, nein! ...

Die Sonne war schon über die Schornsteine weg zur Mittagshöhe gestiegen, als Rochus auf den Borynahof kam; er sah zu dem Kranken ein, sprach mit den Kindern und setzte sich auf die Galerie in den Sonnenschein. Er las etwas in einem Buch und ließ die Augen aufmerksam über die Wege schweifen. Bald erschien auch die Schmiedin mit den Kindern, und nachdem sie beim Vater hineingesehen hatte, setzte sie sich auf die Mauerbank.

»Ist der Eure zu Hause?« fragte Rochus nach einer langen Weile.

»Wie sollte er! ... nach der Stadt ist er mit dem Schulzen gefahren.«

»Das ganze Dorf ist heute dort.«

»Gewiß, die Armen werden sich am Ostergeweihten etwas guttun können.«

»Seid ihr nicht mit eurer Mutter hingefahren?« fragte er Jagna, die gerade herauskam.

»Was soll ich denn da!« Sie bog in den Heckenweg, sehnsüchtig auf die Felder schauend.

»Einen neuen Rock hat sie heute!« seufzte Magda auf.

»Das ist doch unserer Mutter ihrer, kennt ihr ihn nicht wieder, was? Auch die Korallenschnüre hat sie alle umgetan, und die großen Bernsteinketten sind auch Mutter ihre gewesen!« belehrte sie Fine mit klagender Stimme. »Nur das Tuch, das sie auf dem Kopf hat, ist ihres.«

»Das ist wahr, so viel Kleidung ist von der Seligen nachgeblieben, und wir durften nie was anrühren, aber der hat er alles gegeben, da hat sie es jetzt leicht, herumzuparadieren ...«

»Hale, und sie beklagt sich noch obendrein bei der Nastuscha, daß sie sich mürbe gelegen haben und stinken ...«

»Daß ihr der Teufelsdreck unter die Nase kommt!«

»Laß nur den Vater erst wieder gesund werden, gleich will ich mir meinen Teil Korallen geben lassen, fünf Peitschenschnüre sind da nachgeblieben, und wie die größten Erbsen jede Perle!«

Magda antwortete nicht und machte sich tief aufseufzend daran, das Jüngste abzusuchen. Fine rannte ins Dorf, und Witek bastelte noch etwas vor dem Stall an seinem Osterhahn herum; die Kinder aber tummelten sich mit den Hunden vor der Galerie unter Bylicas Aufsicht, der über sie wie eine Glucke wachte; Rochus schien etwas eingenickt zu sein.

»Seid ihr denn schon mit den Feldarbeiten fertig?«

»Kaum daß wir die Kartoffeln gepflanzt und die Erbsen gesät haben.«

»Bei den anderen ist auch das nicht gemacht!«

»Die werden noch fertig, man sagt ja, daß sie die Männer in einer Woche nach Ostern freilassen werden.«

»Wer ist denn so ein Wissender, daß er das sagt?«

»Verschiedene haben es in der Kirche erzahlt! Die Kosiol will hingehen und den Gutsherrn bitten ...«

»So 'ne Dumme, der Gutsherr hält sie doch nicht gefangen!«

»Wenn der sich verwenden würde, dann würde man sie vielleicht doch freilassen.«

»Der hat sich schon mehrmals verwendet, und geholfen hat es doch nicht ...«

»Wenn er nur wollte, aber er will nicht aus Ärger gegen Lipce. Meiner sagt ...« Sie brach plötzlich ab, das verwirrte Gesicht über einen der Kinderköpfe beugend, so daß Rochus vergeblich auf ein weiteres Wort wartete.

»Wann will sich denn die Kosiol auf den Weg dahin machen?« fragte er neugierig.

»Gleich nach Mittag wollten sie gehen ...«

»Die werden nur so viel davon haben, daß sie hin und her laufen und etwas andere Luft schnappen.«

Sie antwortete nicht, denn es bog von der Dorfstraße her der Herr Jacek, dem Gutsherrn sein Bruder, in den Heckenweg ein. Er kam gebückt, mit der Geige unter dem Arm und mit einer Pfeife zwischen den Zähnen dahergegangen; er war mager, hoch gewachsen, mit einem gelben Ziegenbart und hatte unstetig umherirrende Augen. Rochus ging ihm entgegen. Sie mußten sich gut kennen, denn sie gingen zusammen an den Weiher und saßen da lange auf den Steinen, wie etwas miteinander beratend; man hatte schon lange zu Mittag geläutet, als sie endlich auseinandergingen. Rochus kehrte trübsinnig auf die Galerie zurück und sah mißmutig vor sich hin.

»Ist das Herrchen aber wackelig geworden, kaum hätte ich ihn wiedererkannt!« ließ sich Bylica vernehmen.

»Habt ihr ihn denn gekannt?« Er dämpfte die Stimme und sah sich nach der Schmiedin um.

»Und ob ... Hat er denn in seinen jungen Jahren nicht genug Unsinn gemacht ... Das war ja der reine Henker für die Mädchen ... in Wola hat er manche hergenommen ... das weiß ich noch gut, mit was für Kutschpferden der herumgefahren ist ... wie er sich da das Leben fein lustig gemacht hat, das erinnere ich noch ...« murmelte der Alte vor sich hin.

»Er hat dafür schwer gebüßt, recht schwer! ... Dann seid ihr wohl der Älteste im Dorf, wie?«

»Ambrosius muß älter sein, denn solange ich weiß, war er immer alt.«

»Er selbst sagt, daß der Tod ihn vergessen hat!« mischte sich die Schmiedin ein.

»Die Knochenfrau vergißt keinen, sie läßt nur den so lange, damit er mürber wird, denn er ist zu hart ... versteht sich, daß er so gut er kann sich herausschwindeln möchte ... versteht sich ...« stotterte er leise vor sich hin.

Sie verstummten auf längere Zeit.

»Ich weiß noch, wie es in Lipce nur fünfzehn Hofbauern gab,« fing Bylica wieder an, schüchtern die Finger nach dem von Rochus angebotenen Schnupftabak ausstreckend.

»Und jetzt sitzen ihrer vierzig auf demselben Grund und Boden.« Rochus schob ihm die Dose näher heran.

»Und neue warten schon, daß wieder geteilt wird; und ob es ein gutes Jahr oder ein schlechtes ist, immer kommt neuer Zuwachs, versteht sich ... und Grund und Boden wird doch nicht mehr ... noch ein paar Jährchen und es wird für alle zu eng werden ...« Er nieste vielmals hintereinander.

»Und ist es denn jetzt nicht eng genug?« sagte die Schmiedin.

»Das ist wahr, und wenn die Jungen alle heiraten, dann bleibt für die Kinder knapp ein Morgen pro Kopf, das ist schon so ...«

»Dann müssen sie auswandern!« bemerkte Rochus.

»Mit was sollen sie denn losziehen, sie können doch nicht mit den bloßen Nägeln den Wind zusammenkratzen und davon leben.«

»Und die Deutschen, die haben dem Gutsherrn auf Slupia doch das ganze Gut abgekauft, und jetzt bauen sie da schon ... je zwei Hufen kommen auf jeden Hof,« sprach Rochus etwas wehmütig.

»Gewiß ... davon haben sie hier schon erzählt... hale, die Deutschen, das ist ein anderes Volk, gelehrt und vermögend, die handeln mit den Juden zusammen und ziehen ihren Gewinn aus Menschennot ... die sollten mal wie die Bauern mit den bloßen Händen auf ihrem Grund und Boden wirtschaften müssen, dann würden sie nicht drei Ernten überdauern und bis auf den letzten Mann verkaufen müssen ... In Lipce ist es eng, die Leute haben kaum Luft, und der da hat so viel Land, daß es fast brach liegt ...« Er zeigte auf die Felder des Gutshofs hinter der Mühle, die sich hügelig bis an den Wald ausdehnten, gegen den die Lupinenschober sich schwärzlich abhoben.

»Die da am Wald?«

»Ganz recht, gerade neben den unseren, die liegen gut zum Kauf, an die dreißig Wirtschaften könnte man da herausbekommen ... wohl/wohl ... an die dreißig ... Wird er die aber verkaufen wollen, wenn er kein Geld braucht? ... So ein Reicher ...«

»Hale! reich ... Windet sich nach Geld wie ein Beißker im Schlamm, so daß er selbst schon bei Bauern pumpt und wo er nur kann. Die Juden drücken ihn, wegen dem, was sie ihm für den Wald angezahlt haben. Die Steuern ist er schuldig geblieben, den Lohn kann er nicht mehr zahlen, die Leute haben die noch zu Neujahr fällige Materialbezahlung nicht bekommen, überall ist er was schuldig, und woher soll er denn nehmen, um zu zahlen, da ihm das Amt verboten hat, den Wald zu fällen, bevor er sich nicht mit den Bauern geeinigt hat? Der bleibt nicht lange in Wola sitzen, nee! Man sagt ja, daß er sich schon nach Käufern umsieht ...« breitete sich plötzlich die Schmiedin redselig aus; als aber Rochus mehr von ihr wissen wollte, verstummte sie plötzlich, und nachdem sie sich mit ein paar nichtssagenden Worten aus dem Gespräch herausgezogen hatte, rief sie die Kinder und ging heim.

»Die muß viel durch den Ihrigen wissen, sie fürchtet sich nur, was aus sich herauszulassen ... Der Boden, der da angrenzt, der mag schon gut tragen, und auf den Wiesen, da läßt sich sicher zweimal ernten, versteht sich ...« überlegte der Alte laut, auf die am Wald gelegenen Felder starrend, wo man hinter den Heuschobern die Dächer der Wirtschaftsgebäude einer Gutsmeierei sah, aber Rochus hörte schon nicht mehr auf ihn hin, denn er ging, da er die Kosiol mit anderen Weibern am Weiher stehen sah, rasch auf sie zu.

»Hi ... hi ... die werden den Gutsherrn schön 'rumgekriegt haben ... Mein Jesus, da würden sich die Bauern nicht schlecht bei stehen ... versteht sich, ... ein zweites Dorf würde entstehen, an Händen würde es nicht fehlen und an solchen, die auf Grund und Boden Lust haben ... jawohl ...« träumte Bylica vor sich hin, hinter den Kindern humpelnd, denn sie waren bis auf die Dorfstraße hinausgekrochen.

Man begann zum Vespergottesdienst zu läuten.

Die Sonne fing schon an, sich nach den Wäldern hin zu senken, und die Bäume warfen lange Schatten über die Wege und auf den Weiher; die vorabendliche Stille hatte die Luft so hellhörig gemacht, daß man selbst das ferne Wagengeroll, das Vogelgeschnatter auf den Mooren und das leise durchdringende Orgelspiel in der Kirche hören konnte.

Da schon einige von der Stadt heimwärts kamen, so klapperten plötzlich die Holzpantinen auf allen Stegen los: man eilte herbei, um die Neuigkeiten zu erfahren.

Nachdem der Abendgottesdienst schon vorüber war, sah man schon beim Sonnenuntergang Hochwürden auf der Landstraße nach Wola davonfahren. Ambrosius erzählte, er wäre nach dem Herrenhof zu Ball gefahren, und gleich nach seiner Abfahrt machte sich der Organist mit der ganzen Familie auf, die Müllersleute zu besuchen. Jascho führte die mächtig geputzte Mutter und begrüßte froh die Mädchen, die hinter den Hecken hervorguckten.

Lautlos sank die Dämmerung über das Land, die Sonne war untergegangen und das Abendrot breitete sich immer weiter aus, so daß der halbe Himmel glühte; die Gewässer glimmten blutrot auf und die Scheiben flammten, von der Stadt her kamen die Wagen immer zahlreicher gefahren, und immer lauter erklangen die Mädchenstimmen vor den Häusern.

Nur Anna war noch immer nicht zurück, trotzdem war es laut und lustig auf dem Borynahof; gleichaltrige Mädchen waren zusammengekommen, um Fine zu besuchen, und besetzten wie zwitschernde Stieglitze die Mauerbank und die Galerie, Jaschek den Verkehrten neckend, der hinter der Nastuscha hergelaufen kam; obgleich ihn diese in der sicheren Erwartung auf einen anderen jetzt gänzlich abwies. Fine bewirtete sie, so gut sie konnte, mit Eierkuchen und Wurst.

Nastuscha führte das erste Wort, weil sie ja die älteste war, und machte sich am meisten über Jaschek lustig, der wie der reine Mehlsack schien und doch als flotter Bauernbusch gelten wollte; er stand gerade vor ihnen in gestreiften Hosen, einem neuen Spenzer und Hut, den er sich aufs Ohr geschoben hatte, und hatte die Hände in die Hüften gestemmt, dabei grinsend und ihnen allerhand dummes Zeug erzählend.

»Ihr müßt jetzt auf mich was halten, ich bin doch der einzige Bursch im Dorf!«

»Hab' keine Angst: es gibt noch welche, die hinter den Kühen humpeln können!«

»Diese Mißgeburt! Zum Schälen von Kartoffeln bist du grad gut genug!«

»Den Kindern die Rotznasen putzen!« schrien sie um die Wette, in lautes Gelächter ausbrechend, doch Jaschek ließ sich nicht verblüffen, er spie durch die Zähne aus und sagte:

»An solchem dummen Kroppzeug ist mir nichts gelegen! Ihr habt noch die Gänse zu hüten!«

»Selbst hat er vergangenes Jahr hinter dem Kuhschwanz dreingetanzt und jetzt will er sich hier aufspielen als Erwachsener ...«

»Und jeden Tag sind ihm die Hosen 'runtergerutscht, so ist er vor dem Bullen ausgekniffen.«

»Verheirat' dich mit der Magda vom Jankel, die paßt gerade zu dir!«

»Die zieht die Judenbälge auf, da wird sie denn auch wissen, wie sie dir die Nase putzt.«

»Oder mit Agathe, die kannst du dann von Kirmes zu Kirmes führen,« warfen sie ihm höhnend zu.

»Ich brauchte nur zu einer von euch mit Schnaps zu schicken, dann würde sie noch nach Tschenstochau vor Freude pilgern und jeden Freitag fasten!« entgegnete er.

»Und wird dir denn das die Mutter erlauben? Man braucht dich ja zu Hause zum Abwaschen der Töpfe und Abtasten der Hühner!« rief Nastuscha.

»Ich werd' sonst böse und gehe nach Maruscha Balcerek!«

»Geh nur: die wird schon auf dich mit dem Besenstiel oder mit noch was Besserem lauern ...«

»Und wenn sie dich nur sieht, gleich läßt sie die Hunde von der Kette los.«

»Und verlier' nur nichts unterwegs!« lachte Nastuscha, ihn etwas an seiner Hose zupfend, denn seine ganze Kleidung war etwas reichlich weit, wie zum Nachwachsen geraten.

»Großvaters Stiefel trägt er auf.«

»Eine Weste hat er aus einem Bettbezug, den die Schweine zerrissen haben.«

»Die Worte fielen unter großem Gelächter der Mädchen hageldicht auf ihn nieder; auch er lachte mit und sprang zu, um Nastuscha zu umfassen, doch es hatte ihm eine den Fuß gestellt, so daß er so lang wie er war vor der Hauswand hinfiel, ohne aufstehen zu können, denn sie schubsten ihn immerzu.

»Laßt ihn in Ruh, nicht doch ...« beschwichtigte Fine, ihm aufhelfend; denn obgleich er auch für einen Dummkopf galt, so war er doch ein Hofbauernsohn und noch dazu ein entfernter Verwandter durch die Mutter.

Darauf spielten sie Blindekuh; sie hatten dazu Jaschek gewählt und stellten ihn gegenüber der Galerie auf, mit einem Male mit Geschrei auseinanderstiebend. Er jagte ihnen nach mit auseinandergespreizten Armen, jeden Augenblick gegen Zäune und Wände anstoßend; er richtete sich nach dem Lachen, aber es war nicht leicht, eine zu kriegen, denn sie flitzten wie die Schwalben an ihm vorbei, ihn nur im Vorbeilaufen streifend. Es war ein solches Gestampfe vor dem Haus, als jagte jemand eine Herde Fohlen über festgefrorenen Boden, und ein Gekreisch, Lachen und Geschrei erklang, daß es im ganzen Dorf widerhallte.

Die Dämmerung wurde dichter, das Abendrot war schon im Verlöschen und das Vergnügen noch im vollen Gange, als plötzlich vom Hof her ein Hühnergeschrei vernehmbar wurde.

Fine lief eiligst dahin.

Am Schuppen stand Witek, etwas hinter sich versteckend, und der Gulbasjunge duckte sich hinter den Pflügen nieder, so daß man nur seine hellen Haare schimmern sah.

»Nichts Fine ... nichts ...« flüsterte Witek verwirrt.

»Ein Huhn habt ihr gewürgt ... die Federn fliegen noch herum ...«

»Ich hab' nur dem Hahn ein paar Schwanzfedern ausgerissen, die mußt' ich für meinen Vogel haben. Aber es ist nicht unser Hahn, nee, Fine! Der Gulbas hat ihn hergebracht ... von den seinen! ...«

»Zeig' her!« befahl sie mit strenger Stimme.

Er warf ihr den halbtoten Vogel unter die Füße, dem gänzlich die Federn ausgerupft waren.

»Gewiß, der ist nicht unser!« sagte sie, da sie sich nicht auskennen konnte. »Zeig' deinen Kram.«

Witek holte seinen schon fast fertigen Hahn ans Licht: er war aus Holz geschnitzt und mit Teig beklebt, in den die Federn eingesteckt waren; wie lebendig schien er, denn er hatte einen richtigen Hahnenkopf, der auf ein Stöckchen gesteckt war.

Er stand auf einem rot gestrichenen Brettchen, das so geschickt auf einem kleinen Wagen befestigt war, daß, sobald Witek die lange Deichsel in Bewegung setzte, der Hahn zu hüpfen und mit den Flügeln zu schlagen anfing, dazu krähte der Gulbasjunge so natürlich, daß selbst die Hühner von den Staffeln antworteten.

»Jesus, solange ich lebe, hab' ich nicht so ein Ding gesehen!« Sie hockten dicht daneben.

»Der ist gut, was? Hab' ich den nicht fein gemacht, was Fine?« flüsterte er stolz.

»Hast du dir ihn da ganz allein so herausgeputzt? so ganz von selbst? ...«

Sie wunderte sich immerzu.

»Das hab' ich doch sicher! Nur der Jendrek hat den lebendigen Hahn hergetragen ... das andere hab' ich gemacht ...«

»Nee, guck' bloß, der tut ja das doch, als ob er lebte, und ist doch nichts weiter als Holz. Zeig' das doch den anderen! ... Die werden sich erst wundern! ... Tu' das doch, Witek!«

»Ni ... Morgen gehen wir mit dem Osterhahn, dann können sie ihn doch sehen. Es fehlt noch der Zaun um ihn herum, damit er nicht wegfliegen kann.«

»Besorge die Kühe und komm' in die Stube ... da hast du mehr Licht dazu ...«

»Ich komm' gleich, nur hab' ich noch im Dorf was zu tun ...«

Sie kehrte vors Haus zurück, aber die Mädchen hatten schon das Spiel beendigt und fingen an, auseinanderzugehen, denn es wurde allmählich Nacht. Man brannte schon die Lichter in den Häusern an, Sterne tauchten hier und da auf, und die Abendkühle kam von den Feldern.

Alle Frauen waren schon aus der Stadt zurückgekehrt, und Anna war immer noch nicht da.

Fine bereitete ein reichliches Abendessen. Rübensuppe mit Wurst und Kartoffeln mit einer ordentlichen Fettunke. Sie fing schon an, das Essen zurechtzusetzen, da Rochus schon wartete, die Kinder vor Hunger greinten und Jagna verschiedene Male zur Tür hineingesehen hatte, als Witek sich ganz leise hineinschob und gleich vor den dampfenden Schüsseln niederhockte. Er war eigentümlich rot, aß wenig, stieß mit dem Löffel immerzu gegen seine Zähne an, so zitterten ihm die Hände, und lief davon, ohne zu Ende gegessen zu haben.

Fine konnte ihn noch gerade auf dem Hof vor den Schweineställen abfassen, wo er aus einem Zuber Schweinefutter in die Rockschöße füllte, und sie horchte ihn begierig aus, was denn los sei?

Er wand sich wie ein Aal und versuchte sich herauszulügen, doch schließlich sagte er die Wahrheit.

»Ich hab' Hochwürden meinen Storch weggenommen.«

»Jesus Maria! Hat dich denn niemand gesehen?«

»Nee, Hochwürden sind ja weggefahren, die Hunde waren gerade beim Fressen, und der Storch stand auf der Veranda! Mathies hat es ausspioniert und kam gleich her, um es mir zu sagen! Mit Pjetrek seinem Kapotrock hab' ich ihn zugeworfen, damit er mich nicht hackt, und hab' ihn in ein Versteck gebracht! Laß nur ja nichts davon merken, meine Goldene! In ein paar Wochen will ich ihn ins Haus bringen, da wirst du sehen, wie er wieder auf der Galerie herumspaziert, niemand wird ihn wieder kennen. Verrat' mich nur nicht!«

»Hale! Hab' ich dich denn irgendwann verraten? Ich weiß nur gar nicht, wie du das wagen konntest, Jesus!«

»Ich hab' mir weggeholt, was mir gehört. Ich hab' doch gesagt, daß ich es nicht zulasse, da hab' ich ihn auch weggeholt. Hab' ich ihn vielleicht dazu zahm gemacht, daß die anderen davon ihr Vergnügen haben, hat sich was! ...« murmelte er und lief irgendwo ins Feld.

Bald erschien er wieder und setzte sich an den Herd zu den Kindern, um den Osterhahn fertigzumachen.

In der Stube wurde es seltsam drückend und still. Jaguscha war auf ihre Seite gegangen, und Rochus saß vor dem Haus mit Bylica, den schon der Schlaf ganz übermannt hatte, so daß er hin und her nickte und eine Judenfuhre machte, wie man zu sagen pflegt.

»Geht nach Hause, denn da wartet der Herr Jacek auf euch!« flüsterte ihm Rochus zu.

»Auf mich wartet wer ... Herr Jacek ... ich lauf' schon ... auf mich? ... Na ... na,« stotterte er erstaunt, und, ganz zu sich kommend, machte er sich gleich davon.

Rochus blieb auf der Wandbank sitzen, murmelte sein Gebet und starrte in die Nacht in die unabsehbaren Fernen, wo es vor Sternengeflimmer zuckte und wo tief über dem Land der Mond sein goldenes Gehörn ins Dunkel bohrte.

In den Häusern erloschen die Lichter eines nach dem andern, wie Augen, die der Schlaf schließt; ein Schweigen, das von einem leisen Raunen der Blätter und von einem fernen dumpfen Gurgeln des Flusses durchbebt war, breitete sich ringsum aus. Nur noch beim Müller waren die Fenster erleuchtet, man unterhielt sich dort bis spät in die Nacht.

Es wurde schon in Borynas Stube still, und alle legten sich, nachdem das Licht gelöscht war, schlafen; nur um die Töpfe mit dem Abendessen glühten noch ein paar Kohlen, und das Heimchen zirpte irgendwo in einer Ecke; Rochus aber saß noch immerzu draußen, auf Anna wartend. Erst kurz vor Mitternacht wurde Pferdegetrampel auf der Brücke vor der Mühle hörbar, und bald darauf rollte auch der Wagen heran.

Anna war seltsam trüb und schweigsam, und erst als sie zu Abend gegessen hatte und der Knecht in den Stall gegangen war, wagte er sie zu fragen:

»Habt ihr euren Mann gesehen?«

»Den ganzen Nachmittag habe ich bei ihm gesessen! Er ist wohlauf und frischen Mutes ... er ließ euch grüßen ... Die anderen Männer hab' ich auch gesehen ... man soll sie bald freilassen, nur daß niemand weiß, wann ... Bei dem, der vor den Gerichten Antek verteidigen soll, bin ich mich gewesen.«

Sie sprach es nicht aus, was ihr schwer wie ein Stein auf dem Herzen lastete, nur allerhand anderes brachte sie vor, was Antek gar nicht anging. Bis sie schließlich in ein Weinen ausbrach. Die Tränen flossen ihr, trotzdem sie das Gesicht mit den Händen verdeckt hatte, unaufhaltsam durch die Finger.

»Ich komm' morgen früh ... ruht euch etwas aus: Ihr seid zu stark durchrüttelt worden auf dem Wagen ... wenn euch das nur nicht schadet.«

»Wenn ich doch endlich einmal verrecken würde, daß ich nicht all das durchzumachen brauchte!« brach sie los.

Er schüttelte den Kopf und ging hinaus, ohne ein Wort zu sagen, nur vor dem Haus beschwichtigte er mit zorniger Stimme die arg lärmenden Hunde und jagte sie in die Hundehütte.

Anna aber, die sich alsbald neben die Kinder schlafen gelegt hatte, konnte, trotzdem sie todmüde war, noch lange keine Ruhe finden. Wie sollte sie auch ruhig sein! ...Hatte Antek sie nicht wie einen lästigen Hund empfangen? ... Vom Ostergeweihten hatte er mit Appetit gegessen, hatte die fünfzehn Silberlinge genommen, ohne zu fragen, woher sie sie hatte und hatte sie nicht einmal bemitleidet wegen der Mühe und des langen Weges! ...

Sie erzählte ihm, was und wie alles in der Wirtschaft gemacht wurde/er fand kein Wort des Lobes; im Gegenteil, an manchem hatte er dies und jenes ärgerlich auszusetzen, über das ganze Dorf hat er sie dann noch ausgefragt, aber an die Kinder, da hatte er gar nicht gedacht ...Sie war zu ihm mit einem warmen, lachenden Herzen gekommen, voll Sehnsucht nach seinen Liebkosungen; sie war doch sein ihm angetrautes Weib, die Mutter seiner Kinder, und er hatte sie nicht einmal an sich gezogen, nicht geküßt, sich nicht um ihr Befinden bekümmert ... Wie ein Fremder schien er ihr, und wie eine Fremde sah er sie an, ohne viel auf ihre Erzählungen zu hören; so daß sie schließlich schon gar nicht mehr reden konnte; eine Bitterkeit war in ihr aufgekommen, und die Tränen kamen ihr plötzlich über das Gesicht gelaufen; und was hatte er da getan? Angeschrien hatte er sie noch, daß sie nicht mit Geflenne zu ihm komme sollte. Du lieber Jesus! ein Wunder, daß sie nicht auf dem Fleck tot umgefallen war ... So war also sein Dank für all die schweren Mühen, die sie um sein Hab und Gut hatte, für die Arbeit, die über ihre Kräfte ging, für all das Leid/kein gutes Wort! Kein Trost!

»Jesus, sieh in Barmherzigkeit herab, hilf mir, denn ich kann es nicht mehr machen,« stöhnte sie, den Kopf in die Kissen drückend, um die Kinder nicht aufzuwecken, und jedes Glied bebte in ihr von diesem Weinen, von diesem Leid, von dieser Erniedrigung und dem entsetzlichen Bewußtsein des ihr geschehenen Unrechts.

Sie hatte ihrem Empfinden doch bei ihm und auch später auf dem Rückweg, wo doch immer Menschen um sie waren, nicht nachgeben dürfen, darum hatte es sie jetzt mit einer solchen verzweifelten Macht gepackt; sie erlaubte erst jetzt der Qual, in ihrem Herzen zu wühlen und der bitteren Tränenflut, zu fließen.

— — — — —

Am nächsten Morgen, am Ostermontag, wurde das Wetter noch schöner, der Tau war noch reichlicher gefallen; ein bläulicher Dunst umspann alles, und doch schien die Sonne viel heller, und es war, als wollte der Tag ein recht heiterer werden. Die Vögel sangen lauter, und ein warmes Lüftlein spielte in den Bäumen, so daß sie leise wisperten wie in einem Gebet; die Menschen standen williger auf, die Fenster und Türen weit öffnend, rannten hinaus, die liebe Gotteswelt zu bestaunen, und die Obstgärten, auf denen ein grüner Hauch lag und den weiten Umkreis der Erde, den der Lenz zu umspinnen begann, und die Sonne, die sich froh im glitzernden Tau spiegelte. Die Wintersaat, über die ein beseligender Luftzug strich, schien wie ein blaßgrünes, leicht gekräuseltes Gewässer sacht auf die Häuser zuzufließen.

Man wusch sich vor den Häusern, Zurufe flogen von Garten zu Garten, an verschiedenen Stellen qualmten schon die Schornsteine, die Pferde wieherten in den Ställen, die Tore knarrten in den Angeln, man hörte die Menschen Wasser aus dem Weiher schöpfen, das Vieh ging zur Tränke, Gänse schrien; und als die Glocken erklangen und die mächtigen, himmelan strebenden Töne über dem Dorf erdröhnten und über die Felder und Wälder zogen, steigerte sich noch der Lärm der Stimmen, und die Herzen fingen an, einen lebhafteren und festlicheren Takt zu schlagen.

Die Dorfjungen rannten schon mit den Spritzen herum, aneinander die Ostertaufe vollziehend, oder sie saßen hinter den Bäumen am Weiher auf der Lauer und bespritzten nicht nur die des Wegs Vorüberkommenden, sondern jeden, der sich nur über die Schwelle seines Hauses wagte, so daß schon die ganzen Wände naß waren und Pfützen vor den Häusern standen.

Es kam Leben in die Dorfstraße und in alle Zufahrtswege, ein Geschrei, Lachen und ein Gejage entstand, denn die Mädchen tollten auch nicht schlecht herum, einander begießend und von Garten zu Garten den Jungen nachjagend, welche sie auch, da sie in der Mehrzahl und dabei älter waren, überwältigten und verscheuchten. Sie waren so ausgelassen geworden, daß die beiden Balcereks sogar Jaschek den Verkehrten, der mit einer Feuerspritze der Nastuscha auflauerte, zu fassen bekamen, ihn über und über begossen und noch zum allgemeinen Spott in den Weiher stießen.

Zornig über die ihm angetane Schmach, daß Mädchen ihn überwältigt hatten, rief er sich den Pjetrek, den Borynaknecht, zur Hilfe, und sie hatten es so geschickt angestellt, daß sie die Nastuscha zu fassen bekamen, sie nach dem Brunnen hinschleppten und sie dort so furchtbar begossen, daß sie gottsjämmerlich zu schreien anfing. Und als sie sich dann noch den Witek, den Gulbasjungen und was noch an anderen älteren Dorfjungen da war, hinzugerufen hatten, fingen sie die Maruscha Balcerek ab und bereiteten ihr ein solches Bad, daß die Mutter mit dem Stock ihr zu Hilfe kommen mußte; irgendwo hatten sie auch die Jagna zu fassen gekriegt und begossen sie tüchtig; selbst die Fine bekam ihr Teil, obgleich sie sich aufs Bitten verlegt hatte; heulend kam sie zu Anna gerannt, um sich zu beklagen.

»Die beklagt sich und zufrieden ist sie doch, seht mal nur, was die Dirn für Augen hat! Die hat genug dumme Streiche im Kopf! Mich hat die pestige Bande bis auf die Knochen naß gespritzt ...« beklagte sich Gusche lustig.

»Die Lausbuben! Keinen Menschen lassen sie in Ruh!« klagte Fine, trockene Kleider anziehend; trotz der Angst trat sie aber gleich darauf wieder auf die Galerie hinaus, denn es dröhnte nur so auf den Wegen vom Gelaufe und Gekreisch, und Zurufe erschollen von überall. Die Jungen waren schon rein wie toll geworden, sie gingen in einem ganzen Haufen im Dorf herum und schleppten jeden, dessen sie habhaft werden konnten, vor die Feuerspritze, so daß selbst der Schultheiß kommen und die ausgelassene Bande auseinandertreiben mußte, denn es war nicht mehr menschenmöglich, vors eigene Haus zu treten.

»Mir scheint, ihr seid nicht ganz wohl nach dem gestrigen Tag?« sagte Gusche, ihren Rücken vor dem Herd trocknend.

»Versteht sich, es zittert immerzu in mir und stößt mich so, und übel bin ich auch schon.«

»Legt euch doch hin. Ihr müßtet Quendelaufguß trinken! Ihr seid zu stark geschüttelt worden gestern!« Sie war sehr besorgt, aber da ihr der Duft der gebratenen Grützwurst in die Nase stieg, setzte sie sich mit den anderen zum Frühstück und sah gierig darauf, das beste Stück zu erwischen.

»Eßt doch auch, Bäuerin: mit Hunger hilft man nicht der Gesundheit...«

»Ich hab' doch aber Abscheu vor dem Fleisch; Tee will ich mir kochen.«

»Zum Durchspülen der Eingeweide ist das nicht schlecht, wenn ihr aber mit Fett durchkochten Branntwein mit Gewürzen trinken wolltet, dann würde es euch rascher helfen...«

»Versteht sich, selbst einen Toten würde eine solche Medizin auf die Beine bringen!« lachte Pjetrek, der den Platz neben Jagna eingenommen hatte, ihr immerzu in die Augen sah und ihr diensteifrig alles hinreichte, worauf sie nur blickte. Er versuchte sie immer wieder anzureden; da sie ihm aber mit gleichgültigen Antworten kam, so fing er an, die Gusche über Mathias, Stacho, Ploschka und die anderen Burschen auszufragen.

»Natürlich, alle hab' ich sie gesehen, sie sitzen ja zusammen, und die Zimmer, die sind ganz wie im Gutshof hoch und hell und mit Holzdielen drin, nur daß sie da die eisernen Spinnwebe an den Fenstern haben, damit sie die Lust zum Weglaufen nicht ankommt. Und füttern tun sie sie auch nicht schlecht. Zu Mittag hatten sie gerade Erbsensuppe gebracht; ich hab' davon gekostet: wie mit altem Stiefelleder zusammen gekocht und mit Wagenschmiere angerührt; und als zweiten Gang haben sie ihnen geröstete Hirse hingestellt ...na, der Waupa selbst würde sich da nicht 'ranmachen, lieber was dran machen. Für ihr eigenes Geld müssen sie sich ernähren, wer aber keins hat, der muß sich sein Essen mit Beten würzen,« erzählte sie höhnisch.

»Werden sie sie denn bald freilassen?«

»Sie sagten, daß schon einzelne Sonntag nach Ostern heimkommen werden,« flüsterte sie etwas leiser und sah sich behutsam nach Anna um; Jagna war es, als hätte sie etwas hochgerissen, sie lief aus der Stube fort, ohne das Essen beendigt zu haben; die Gusche fing aber über die Kosiol und ihren Bittgang an zu reden.

»Spät sind sie heimgekehrt und alles nutzlos, nur daß sie sich nach der Osterwurst etwas durchrüttelt und sich den Herrenhof angesehen haben! Sie erzählen, es riecht da anders als im Bauernhaus! ... Der Gutsherr hat ihnen gesagt, daß er niemandem helfen kann, denn das ist dem Bauernkommissar und dem Amt seine Sache, und wenn er selbst könnte, so würde er sich für keinen aus Lipce verwenden, denn durch sie hat er ja selbst den größten Schaden! Wißt ihr, den Wald haben sie ihm verboten, zu verkaufen, und die Käufer schleppen ihn jetzt von Gericht zu Gericht. Er soll mächtig geflucht und geschrien haben, die Kränke sollte das ganze Dorf holen, wenn er durch die Bauern an den Bettelstab käme ... Die Kosiol läuft damit seit dem frühen Morgen von Haus zu Haus und droht mit Rache.«

»Was kann sie ihm da antun mit Drohungen, die Dumme!«

»Sagt das nicht, kann da einer wissen, wer ihm die schwache Stelle heraustastet, es kann sie auch ein Geringer am Ende ...« Sie brach plötzlich ab, um Anna zu stützen, die gegen die Wand taumelte.

»Du meine Güte! Euch kommt doch nichts vor der Zeit an,« murmelte Gusche erschrocken, sie nach der Bettstelle zerrend, denn Anna war in ihren Armen ohnmächtig geworden; große Schweißtropfen liefen ihr über das Gesicht, das ganz mit gelben Flecken bedeckt war. Sie lag, kaum atmend, da, Gusche aber rieb ihr die Schläfen mit Essig ein. Erst als sie ihr Meerrettich unter die Nase gehalten hatte, kam Anna zur Besinnung und öffnete die Augen, nur daß sie noch einen Schluckauf nachbekam.

Alle hatten die Stube verlassen und machten sich an die Besorgung der Wirtschaft, nur Witek war geblieben; und als er den geeigneten Augenblick abgepaßt hatte, wandte er sich an Anna mit der Bitte, sie möchte ihn doch mit dem Osterhahn gehen lassen.

»Geh' nur zu, mach' nur dein Zeug nicht zunicht und führ' dich gut auf! Binde die Hunde fest, damit sie euch nicht in ein anderes Dorf nachlaufen! Wann geht ihr denn los?«

»Gleich doch nach der Kirchzeit.«

Gusche steckte den Kopf zum Fenster herein und fragte:

»Wo sind denn die Hunde, Witek? Ich hab' ihnen Essen hinausgetragen, hab' auch schon gerufen, aber keiner ist da!«

»Das ist wahr, auch im Kuhstall sind sie heute morgen nicht gewesen! Waupa! Krutschek! Hier!« rief er, vors Haus rennend, doch kein Hund ließ sich hören.

»Sie müssen ins Dorf gelaufen sein, den Klembs ihre Hündin ist läufig ...« setzte er auseinander.

Niemandem kam es in den Sinn, sich darüber Gedanken zu machen, was mit den Hunden geschehen war/es war doch öfters so. Erst nach einer längeren Zeit hörte Fine irgendwo vom Hof aus ein dumpfes Wimmern; da sie dort aber nichts fand, lief sie in den Garten, im Glauben, daß Witek da mit einem fremden Hund sich was zu schaffen machte. Sie war sehr verwundert, als sie niemanden sah: der Garten war leer, und auch das Winseln ließ nach; aber auf dem Rückweg stieß sie auf Krutschek: er lag tot, mit einem zertrümmerten Schädel, an der Giebelwand.

Sie hob ein solches Geschrei an, daß alle zusammengelaufen kamen.

»Krutschek haben sie erschlagen! Gewiß sind es die Diebe!«

Eine Angst ergriff sie alle.

»Nichts anderes, um Gotteswillen!« schrie Gusche, da sie einen Haufen aufgewühlter Erde und ein großes Loch unter den Mauerschwellen gewahrte.

»Sie haben sich nach Vaters Kammer durchgegraben!«

»Ein Loch, daß man ein Pferd durchkriegen kann!«

»Und alles voll Getreide!«

»Jesus, vielleicht sind die Räuber noch da!« schrie Fine auf.

Sie stürzten auf Borynas Seite, Jagna war nicht mehr da, nur der Alte lag mit dem Gesicht nach der Stube zu; in der sonst dunklen Kammer war es ganz hell, das Licht drang durch die ausgehöhlte Öffnung ein, so daß sie gleich bemerkten, wie alles durcheinander gewühlt war, das ausgeschüttete Getreide bedeckte den Fußboden, auf dem allerlei Kleidungsstücke hingeworfen waren, die man von den Stangen gezerrt hatte, selbst die Garnzaspeln und die Wolle lagen verwirrt und zerzaust herum. Es war zunächst gar nicht möglich, festzustellen, was da fehlte.

Doch Anna hatte gleich begriffen, daß dieses dem Schmied seine Arbeit war; eine Hitze überflog sie bei dem Gedanken, daß, wenn sie sich um einen Tag verspätet hätte, er das Geld sicher weggenommen hätte ... Sie beugte sich über die Grube, ihre Freude vor den Leuten verbergend und etwas an ihrer Jacke nestelnd.

»Wenn nur nichts im Kuhstall fehlt!« sagte sie, als wäre sie von einem Verdacht erfaßt worden.

Zum Glück fehlte nirgends etwas.

»Die Tür war gut verschlossen!« ließ sich Pjetrek vernehmen und sprang plötzlich nach der Kartoffelgrube, zerrte das Strohbündel von der Öffnung weg und holte den winselnden Waupa hervor.

»Versteht sich, die Diebe haben ihn da hineingeworfen; aber das ist doch seltsam, daß ein so böser Hund sich das hat gefallen lassen ...«

»Und niemand in der Nacht hat das Bellen gehört!«

Sie ließen es den Schultheiß wissen, und in einem Nu verbreitete sich das Gerücht im Dorf; man kam angerannt, um zu sehen, zu klagen und sich darüber aufzuhalten. Der Obstgarten füllte sich mit Menschen, die sich wie um einen Beichtstuhl drängten, jeder steckte den Kopf in die Grube, sagte seine Meinung und besah den Krutschek aufmerksam.

Rochus war auch erschienen, und nachdem er die weinende und schluchzende Fine beruhigt hatte, die jedem von neuem erzählte, wie es gewesen war, ging er zu Anna, die wieder im Bett lag und merkwürdig gefaßt schien.

»Ich hab' mich erschrocken, daß ihr es zu sehr zu Herzen nehmen würdet!« begann er.

»Ii ... Gott sei Dank hat er nichts gekriegt ... er hat sich verspätet ...« Sie senkte die Stimme.

»Wißt ihr denn darüber was? ...«

»Meinen Kopf geb' ich dafür ..., das ist der Schmied gewesen.«

»Da hat er es wohl auf was ganz Bestimmtes abgesehen?«

»Versteht sich ... nur daß es ihm entschlüpft ist, euch will ich es nur gesagt haben ...«

»Natürlich, da müßte man schon einen bei der Tat fassen und Zeugen haben ... Na, na, wozu sich der Mensch erdreistet, um das bißchen Hab und Gut! ...«

»Seid aber gut und sagt es selbst dem Antek nicht!« bat sie.

»Ihr wißt ja, daß ich es nicht eilig habe, mit Neuigkeiten herumzulaufen, und es ist immer leichter, einen Menschen tot zu machen, als einen auf die Welt zu bringen. Daß er ein Schwindler ist, das weiß ich ja auch, aber so etwas hätte ich nicht von ihm gedacht.«

»Der ist auch zum Schlimmsten fähig, den kenne ich gut ...«

Der Schulze und der Schultheiß kamen und fingen an, alles sachgemäß zu untersuchen, die Fine eifrig ausfragend.

»Wenn der Kosiol nicht säße, dann möchte ich denken, daß das seine Arbeit ist,« murmelte der Schulze.

»Seid ja still, Peter, denn die Kosiol kommt gerade auf uns zu!« Der Schultheiß stieß ihn warnend an.

»Die mußte man verscheucht haben, da sie scheinbar nichts weggetragen haben.«

»Gewiß, man müßte es den Schendarmen melden ... eine neue Arbeit, der Teufel soll es holen, daß der Mensch nicht einmal den Festtag ruhig feiern kann ...«

Plötzlich beugte sich der Schultheiß zur Erde und hob eine blutbesudelte eiserne Stange auf.

»Damit haben sie den Krutschek umgebracht!«

Das Eisen ging von Hand zu Hand.

»Eine Stange, wie man sie zum Schmieden von Eggenzähnen braucht.«

»Das hätten sie auch in Michaels Schmiede stehlen können.«

»Die Schmiede ist doch seit Karfreitag zu.«

»Man müßte den Schmied fragen, ob ihm nicht etwas fehlt.«

»Sie hätten es stehlen können, sie konnten es auch mitgebracht haben, der Schulze sagt es euch; der Schmied aber ist nicht zu Hause. Was zu machen ist, das ist meine und dem Schultheißen seine Sache!« Er erhob seine Stimme und herrschte die Leute an, sie sollten nicht nutzlos herumstehen und lieber nach Hause gehen.

Niemand hatte sich durch ihn einschüchtern lassen, da es aber Zeit war, sich nach der Kirche zu begeben, so gingen sie bald auseinander, denn auch Leute aus anderen Dörfern kamen schon im Gänseschritt an den Zäunen entlang vorüber und immer öfter hörte man die Wagen auf der Brücke dröhnen.

Und als es ganz menschenleer wurde, schob sich der Bylica in den Garten und fing an, seinen Hund zu besehen, ihn zu rufen und leise auf ihn einzureden.

Das Haus wurde leer, sie waren alle zur Kirche gegangen, nur Anna blieb im Bett liegen, Gebete vor sich hersagend und an Antek denkend; da es aber still geworden war, denn der Alte hatte die Kinder auf die Dorfstraße hinausgebracht, so schlief sie bald fest ein.

Die Mittagstunde kam, eine behagliche Wärme breitete sich aus, und es war so still, daß die Gesänge des Volkes in der Kirche bis weit hinaus ins Freie drangen und selbst die Scheiben der umliegenden Häuser leise aufklirren ließen; man hatte schon zum Offertorium geläutet, und immer noch schlief sie. Erst ein lautes Wagengeroll weckte sie wieder auf; es jagten mehrere Wagen über die holperige Dorfstraße, denn wie es so Brauch war am zweiten Ostertage, veranstalteten die Bauern nach dem Hochamt ein Wagenrennen, wer zuerst nach seinem Haus käme; man sah zwischen den Häusern der Dorfstraße Pferde, auf die mit ganzer Kraft eingepeitscht wurde, vorüberrasen und die mit Menschen vollgepackten großen Bauernwagen nachschleifen.

Sie kamen in einer solchen wilden Fahrt, von Lärm und Lachen begleitet, heran, daß die ganzen Häuser bebten.

Anna wollte sich erheben und hinaussehen, aber die anderen kamen gerade vom Kirchgang zurück. Gusche, die mit dem Zurechtmachen des Mittagmahls beschäftigt war, fing an zu erzählen, wieviel Volk zum Hochamt zusammengekommen war und daß die Kirche nicht einmal die Hälfte hatte fassen können, die ganze Gutsherrschaft der Umgegend wäre dagewesen, und nach dem Hochamt hätte Hochwürden die Hofbauern zu sich nach der Sakristei gerufen und sich mit ihnen beraten. Fine aber erzählte ihrerseits von den Gutsfräulein und wie sie sich da geputzt hatten.

»Wißt ihr, die Fräulein aus Wola die sind in der Taille so eingeklemmt wie die reinen Wespen, mit der Peitsche könnte man sie in zwei Hälften schlagen; man weiß gar nicht, wo sie ihre Bäuche lassen ... Ich hab' sie mir ganz aus der Nähe angeguckt.«

»Wo? Unter die Schnürleiber stopfen sie die. Das hat mir eine erzählt, die in Modlica im Herrenhof Zofe gewesen ist, wie die Herrschaftsfräulein hungern und für die Nacht sich mit Gurten einschnüren, um nur nicht dicker zu werden. Das ist solche herrschaftliche Mode, daß jede Gnädige dünn aussehen muß wie eine Stange und nur am Hintern sich aufbläht.«

»Im Dorf da ist es anders, da machen sich die Burschen über eine Dünne lustig.«

»Versteht sich! Die Dirn muß deftig sein, schön breit überall gewachsen, daß das Mannsbild, wenn es sich an eine ranmacht, was zwischen den Fingern behält ...« sagte Pjetrek, auf Jagna starrend, die die Töpfe auf den Herd setzte.

»Sieh mal diesen Dicksack an, faulenzt hier herum, hat sich mit Fleisch vollgestopft, da kommen ihn solche Gelüste an,« wies ihn Gusche zurecht.

»Wenn so eine herumhantiert, dann wundert man sich rein, daß ihr der Rock nicht platzt ...«

Er wollte noch etwas besonders Gepfeffertes zugeben, aber die Dominikbäuerin war gerade hereingekommen, Anna zu untersuchen, so jagten sie ihn denn aus der Stube hinaus.

Gleich darauf wurde auch das Mittagessen auf der Galerie aufgetragen, denn das Wetter war warm und sonnig. Das junge Grün leuchtete, schaukelte sacht hin und her auf den Zweigen und zitterte wie auf und zu klappende Schmetterlingsflügel, Vogelgezwitscher klang von den Obstgärten her.

Die Dominikbäuerin verbot Anna, sich vom Lager zu rühren, und da gleich nach dem Mittagessen Veronka mit den Kindern gekommen war, stellten sie eine Bank ans Bett heran und Fine brachte etwas von dem Ostergeweihten und eine Flasche Branntwein mit Honig herein, denn Anna wollte, so schwer es ihr auch fiel, würdig, wie es sich für eine Hofbäuerin schickte, die Schwester und auch die Nachbarinnen bewirten, die an diesem Tag wie üblich zu Besuch zusammenzukommen begannen; man wollte sie doch auch beklagen und zugleich einen kleinen Osterschnaps trinken, sich mit Bedacht am süßen Festtagskuchen gütlich tun und allerhand nachbarliche Neuigkeiten erzählen; hauptsächlich aber war man zusammengekommen, um über den Einbruch bei Boryna zu schwatzen.

Die andern wärmten sich draußen vor dem Haus, in der Sonne und unterhielten sich mit den Leuten, die ein- und ausgingen und über das noch nicht zugeschüttete Loch sich verwunderten, hin und wieder ein paar Worte wechselnd; der Schulze hatte verboten, die Öffnung vor der Ankunft des Schreibers und der Gendarmen zuzuwerfen.

Gerade erzählte Gusche davon, wer weiß, zum wievielten Male an diesem Tage, als vom Hof her die Jungen mit dem Osterhahn eindrangen. Witek, der fein festlich geputzt war und selbst Stiefel trug und Borynas Mütze keck auf den Kopf gestülpt hatte, führte sie an, und mit ihm im Haufen gingen Klembs Mathies, der Gulbasjunge, Jendrek, Kuba, der Sohn Gschelas mit dem schiefen Maul, und viele andere noch. Sie hielten Knüttel in den Händen und hatten Säcke über dem Rücken hängen, Witek aber trug Pjetreks Geige unter dem Arm.

Sie zogen ganz festlich zum Hof hinaus und wandten sich zuerst nach dem Pfarrhaus, denn so taten es auch in den früheren Jahren die älteren Burschen. Kühn betraten sie den Garten, stellten sich vor dem Haus in Reih und Glied auf, den Hahn vorschiebend. Witek spielte eins auf der Geige auf, der Gulbasjunge drehte den Hahn hin und her und krähte dazu, und alle miteinander sangen sie mit schrillen hellen Stimmen, den Takt dazu mit den Knütteln und mit den Füßen klopfend:

»Mit dem Dyngus Dyngus: Benennung des Ostermontags, wohl lateinischen Ursprungs. An diesem Tag herrscht bekanntlich in slawischen Ländern der Brauch, sich untereinander mit Wasser zu besprengen. kommen wir
singen vom Herrn Jesus hier,
von Herrn Jesus und Maria,
Gebt uns was, Frau Gospodynia« Gospodynia: Herrin, Hofbäuerin.

Sie sangen eine Weile immer dreister und lauter, bis Hochwürden herauskam, jedem einen Zehner gab, den Hahn lobte und sie in Gnaden entließ.

Witek schwitzte vor Angst, ob er ihn nicht wegen des Storches fragen würde, der Pfarrer schien ihn aber unter den anderen nicht erkannt zu haben und kehrte in die Zimmer zurück, ihnen dazu noch durch die Magd einen ganzen süßen Kuchen hinausschickend; sie stimmten ihm zum Dank noch ein Lied an und zogen dann zum Organisten.

Sie besuchten auch die anderen Höfe, von einer ganzen Schar schreiender Kinder gefolgt, die sich dermaßen um sie drängten, daß sie den Hahn vor ihnen schützen mußten, denn jedes wollte nach seinen Federn langen und ihn nur einmal mit einem Stecken antippen.

Witek führte an und hielt auf alles ein wachsames Auge; wenn sie anfangen sollten, gab er mit dem Fuß das Zeichen und deutete mit dem Fiedelbogen an, wann die hohe und wann die tiefe Stimme einsetzen sollte; er war es auch, der die Gaben entgegennahm. Sie zogen so laut und mit solchem Gepränge einher, daß das ganze Dorf voll Singen und Geigenlieder war; die Leute wunderten sich sehr, daß die kaum etwas aufgewachsenen Bengel plötzlich wie die erwachsenen Burschen taten.

Es ging schon gegen Abend, die rote Sonne stieg schon zu den Wäldern herab und über den lichtblauen Himmel hatten sich weiße Wölklein ausgebreitet wie eine unzählbare Schar Gänse; der Wind zog irgendwo oben dahin, die rostbraunen Wipfel der Pappeln schaukelnd; und im Dorf ging es immer lebhafter und lustiger zu: die älteren Leute beredeten sich vor den Häusern, auf den Flurschwellen sitzend, die Mädchen jagten und neckten sich am Weiher herum, oder sie gingen eingehakt, sich in den Hüften schaukelnd und Liedlein vor sich hinsingend, auf und ab, so daß sie zwischen den Bäumen wie Mohnblumen und bunte Kresse schienen, und das Wasser spiegelte sie wider; Kinder kamen vorüber, die hinter dem Osterhahn liefen, und Menschen gingen auf den Rainen ins Feld hinaus.

Man läutete schon zur Vesperzeit, als die dicke Ploschkabäuerin, nachdem sie zuerst Boryna besucht hatte, zu Anna eintrat.

»Ich bin beim Kranken gewesen. Du mein Jesus, der liegt wie immer ... Ich habe ihn angeredet: nicht einmal angesehen hat er mich. Die Sonne, die ihm aufs Bett scheint, sucht er sich mit den Fingern zusammenzuscharren und zu greifen, und darin wühlt er nun wie ein kleines Kind! Reinweg zum Weinen, was aus dem Menschen geworden ist!« meinte sie, sich ans Bett setzend; sie trank ihr dabei zu, wie die anderen es auch getan hatten, und griff nach dem Kuchen. »Ißt er denn was, es scheint mir, daß er dicker geworden ist.«

»Das schon, so daß es mit ihm doch vielleicht zum Besseren geht!«

»Die Jungen sind mit dem Osterhahn nach Wola gegangen!« rief Fine mit einem Male zur Stube herein; als sie jedoch die Ploschkabäuerin bemerkte, lief sie schnell wieder vors Haus zu Jaguscha.

»Fine, es ist Zeit, das Vieh zu besorgen!« rief Anna ihr nach.

»Das ist gewiß wahr, Feiertag ist Feiertag, der Bauch aber vergißt nicht den Hunger! Die waren auch bei mir mit dem Osterhahn ... geschickt ist er aber, dieser euer Witek! Es scheint was Rechtes in ihm zu stecken.«

»Versteht sich, zum Spaß ist er der erste; und zur Arbeit da muß man ihn mit dem Stock anhalten!«

»Du liebe Güte, mit dem Dienstvolk hat man ja überall sein Teil auszustehen! Die Müllerin hat bei mir über ihre Mägde geklagt, daß sie keine länger wie ein halbes Jahr behalten kann.«

»Die kommen da auch etwas schnell zu einem Zuwachs ... das frische Brot muß es wohl machen!«

»Brot wie Brot, einmal ist es der Knecht; einmal kommt das Söhnchen, dieser, der in den Klassen ist, nach Hause. Und sie sagen, daß auch der Müller selbst keine in Ruh läßt ... da kann man freilich schwer eine Magd, bis ein Jahr um ist, behalten. Was aber auch wahr ist, die werden jetzt immer dreister ... Mein Junge, den ich zum Viehhüten habe, weil meine ja nicht mehr in den Jahren sind, gibt auf mich rein gar nichts, und noch Milch will er zum Vesper haben! Hat man so was gehört!«

»Ich hab' einen Knecht, da weiß ich auch Bescheid, was die alles haben wollen; und sag' ich nicht zu allem ja, dann fragt er nicht lange und macht sich auf und davon während der schlimmsten Arbeitszeit; und was soll ich ohne Knecht machen bei dieser großen Wirtschaft!«

»Daß ihn euch nur keine abspenstig macht,« fügte die andere etwas leiser hinzu.«

»Wißt ihr denn was?« Sie erschrak nicht wenig.

»Ich hab' so was von der Seite weg gehört, vielleicht lügen sie, darum will ich auch nichts gehört haben. Hale, aber wir reden hier und ich bin doch mit einer Angelegenheit zu euch gekommen! Es haben mir ein paar zugesagt, zu mir herüberzukommen, da wollen wir uns denn, wir armen Waisen, mal miteinander besprechen; seht zu, daß ihr auch herüberkommen könnt ... wie sollte es denn auch, daß dem Boryna Seine nicht da wäre, wenn sich die Ersten versammeln,« schmeichelte sie ihr; doch Anna redete sich mit der Krankheit heraus, und wirklich war es so, denn sie fühlte sich selbst etwas taumelig.

Die Ploschkabäuerin aber machte sich, durch die Absage verdrossen, alsogleich auf, die Jagna einzuladen.

Doch auch diese entschuldigte sich damit, daß sie sich bereits mit der Mutter anderweitig verabredet hätte ...

»Geht man hin, Jagna, ihr sehnt euch doch schon so nach den Mannsleuten; und zu der Ploschka kommt sicherlich Ambrosius oder einer von den ganz Alten; immerhin kriegt man doch mindestens ein paar Mannshosen zu sehen.«

»Daß ihr doch immer mit euren Worten wie mit Messern um euch stoßen müßt ...«

»Ich bin vergnügt, da wünsch' ich jedem, was er braucht!« höhnte diese.

Wütend sprang Jaguscha auf und ging davon; dann stand sie lange im Heckenweg und ließ ihre Augen hilflos umherschweifen, sie konnte kaum das Weinen zurückhalten. Die Zeit wurde ihr auch wirklich schrecklich lang.

Was half's, daß man überall den Feiertag merkte, daß es überall vor Menschen wimmelte, daß Lachen und Zurufe das Dorf erfüllten, daß sogar auf den grauen Feldern schon die roten Frauenröcke flimmerten und hier und da selbst frohe Lieder erklangen? ... Ihr war es doch traurig und so seltsam trüb zumute, daß sie es gar nicht mehr aushalten konnte. Vom frühen Morgen an war sie schon wie zerrissen innerlich, und es trieb sie rastlos umher; sie war zu Bekannten gelaufen, war hinaus aufs Feld gegangen und hatte sich selbst schon dreimal an diesem Tag umgekleidet, alles umsonst, nichts half: es trieb sie nur noch stärker hin und her, etwas anfangen hätte sie mögen, irgendwo ganz weit wegrennen, irgend etwas suchen ...

So hatte sie denn auch jetzt den Weg nach der Pappelallee eingeschlagen und ging vor sich hin, der roten gewaltigen Sonnenkugel nachstarrend, die schon in die Wälder versank; sie schritt über die schmalen Schattenschwellen und Lichtstreifen dahin, die die Abendglut zwischen den Baumstämmen ihr zu Füßen warf.

Die kühle Dämmerung wehte sie an und der leise Atem der durchwärmten Felder durchdrang sie mit einem wohligen Schauer; vom Dorf kam immer schwächer werdendes Stimmengewirr herüber, und von irgendwo trug ein Luftzug die singenden Klänge einer Geige her, die sich ans Herz klammerten wie Spinnweben voll klirrender, goldener Tauperlen, bis alles im leisen Geplätscher der Pappeln und im Halbdunkel auseinanderglitt, das schon durch die Furchen der Felder dahergekrochen kam und in den Schlehdornhecken lauerte.

Sie ging vor sich hin, ohne zu wissen, was sie vorwärtstrieb und wohin.

Sie atmete tief, von Zeit zu Zeit die Hände auseinanderbreitend und hilflos stehenbleibend, während sie die heißen Augen wie nach einem Halt suchend in die Runde schweifen ließ; und sie ging immer weiter und weiter, schwanke und gegenstandslose Gedanken spinnend, wie jene Lichtfäden auf dem Wasser, die keiner greifen kann, denn sie verwirren sich und verwehen schon vom Schatten einer Hand. Sie blickte der Sonne nach, ohne etwas vor sich zu sehen; die Pappeln, die sich in Reihen über sie beugten, waren ihr wie neblige Schemen ... sich selbst fühlte sie nur mit aller Macht, und das, was in ihr bis zum Schmerz, bis zum Weinen drängte; sie fühlte, daß etwas sie vorwärtstrieb, daß sie sich am liebsten an die Flügel jener Vögel gehängt hätte, die westwärts zogen, um mit ihnen ans Ende der Welt zu fliegen. Es stieg in ihr eine glühende Macht auf, die sie ganz außer sich brachte, daß ihr die Tränen die Augen verdunkelten und sie wie Feuersgluten immer wieder überfluteten; sie riß die klebrigen und duftenden Pappeltriebe ab und kühlte mit ihnen die heißen Lippen und Augen ...«

Manchmal hockte sie unter einem Baum nieder, und ganz in sich gekehrt, das Gesicht auf die zusammengeballten Hände stützend, versank sie in sich selbst, sich an den Baumstamm schmiegend, sich reckend und fast atemlos ...

Es war als hätte der Lenz in ihr sein heißes Lied angestimmt, so daß in ihrem Innern etwas zu gären und sich zu regen begann wie in der fruchtbaren, noch brachliegenden Erde zur Frühlingszeit, und zu flüstern wie in den Bäumen, die trunken vor Lust am eigenen Wachstum sind, daß sich in ihr etwas auszubreiten begann wie ringsum unter den wärmenden Strahlen der Frühlingssonne.

Es war in ihr ein Beben, ihre Augen brannten, und die müden Füße taumelten unwillkürlich und schienen sie kaum noch tragen zu wollen. Sie hatte Lust zu weinen, zu singen, sich in den weichen Flaum der Saatenfelder zu werfen, auf denen der Tau perlte; dann kam sie eine tolle Lust an, und sich in die Dornbüsche zu stürzen, sich durch das scharfe Dickicht zu zwängen und von dem wilden, süßen Schmerz des Ringens überwältigen zu lassen.

Sie wandte sich plötzlich zurück und lief, als die Geigenstimme sie wieder erreichte, den Tönen entgegen. Hei, wie hatten sie in ihr die Lust aufgewirbelt, mit welcher taumelnden Seligkeit hatten sie sie erfüllt, sie hätte sich in den Tanz stürzen mögen, mitten in das Gedränge einer lärmerfüllten Schenke in den Festtrubel eines Gelages und selbst ins Verderben hinein.

Auf dem Pfad vom Kirchhof nach der Pappelallee, den die rote Abendglut ganz überflutete, ging einer mit einem Buch in der Hand; immer wieder blieb er an einer der weißen Birken stehen.

Es war der Jascho, der Organistensohn.

Sie wollte ihn sich heimlich, hinter einem Baum versteckt, einmal ansehen; doch er hatte sie schon erspäht.

Sie konnte nicht fortlaufen, ihre Füße waren wie festgewurzelt; sie konnte die Augen nicht von ihm losreißen; lächelnd kam er näher, seine Zähne blitzten zwischen den roten Lippen; schlank war er, hoch gewachsen und weiß im Gesicht.

»Ihr tut, als hättet ihr mich nicht wiedererkannt. Jagusch?«

Etwas benahm ihr plötzlich den Atem beim Klang dieser Stimme.

»Was sollt' ich denn nicht erkannt haben! ... Nur, daß der Herr Jascho jetzt so sein ist und so anders ...«

»Gewiß, die Jahre gehen ... Seid ihr bei jemandem da draußen gewesen?«

»Nur so bin ich herumgegangen, das ist doch Feiertag heut. Ist das ein frommes Buch?« Sie berührte es schüchtern.

»Nein, von fernen Ländern und Meeren handelt es.«

»Jesus! Von Meeren! Und diese Bilder, sind die auch nicht heilig?«

»Seht nur nach!« Er schob ihr das Buch näher und zeigte alles.

Sie standen Arm an Arm, ganz unwillkürlich einander mit den Hüften berührend und sich mit den tiefgebeugten Häuptern streifend. Er erklärte ihr hin und wieder etwas; dann hob sie auf ihn die staunenden Augen, ohne zu wagen, vor seltsamer Rührung aufzuatmen, und drängte sich immer näher heran, um besser sehen zu können, denn die Sonne war schon hinter die Wälder getaucht.

Plötzlich erschauerte er und zog sich etwas zurück.

»Es wird dunkel, Zeit nach Hause zu gehen!« flüsterte er leise.

»Gehen wir denn!«

Sie gingen schweigend, von den Schatten der Bäume fast zugedeckt. Die Sonne war untergegangen, und eine bläuliche Dämmerung glitt auf die Felder herab; eine Abendröte war nicht gekommen, nur durch die dicken Pappelstämme sah man den Himmel goldig überflutet; die Welt erblaßte.

»Und ist das alles wahr, was da gezeigt ist?« Sie blieb stehen.

»Alles, Jagusch, alles.«

»Jesus, solch' großes Wasser, solche Welten, daß es schwer zu glauben ist.«

»Das gibt es, Jagusch, wirklich wahr!« flüsterte er immer leiser, ihr so aus der Nähe in die Augen blickend, daß sie den Atem anhalten mußte; ein Frösteln durchlief sie, ihre Brüste drängten ihm entgegen, sie wartete, daß er sie umfassen sollte, ihre Arme weiteten sich, sie war bereit, ihm alles zu gewähren, Jascho aber wich scheu zurück.

»Es ist schon spät, ich lauf', gute Nacht, Jaguscha!« Und er rannte davon.

Ein gutes Paternoster lang stand sie so, bis sie es endlich fertig brachte, sich von der Stelle zu bewegen.

»Hat der mich verzaubert, oder was!« dachte sie, sich träge vorwärtsschleppend; sie fühlte eine Trübe im Kopf und eine Mattigkeit in allen Gliedern.

Es wurde Abend, Lichter blitzten hier und da auf, von der Schenke her klang Musik und gedämpftes Stimmengewirr.

Sie sah durchs Fenster in die hellerleuchtete Schankstube: der Herr Jacek stand in der Mitte und strich die Geige, und vor der Tonbank schwankte Ambrosius und schien, laut lachend, den Kätnerinnen, die da saßen, etwas zu erzählen, dabei oft nach dem Schnapsglas langend.

Plötzlich griff sie jemand fest um die Hüften, so daß sie aufschrie und sich hin und her wand, um loszukommen.

»Ich hab' dich hier erreicht und laß dich nicht mehr ... wir wollen einen zusammen trinken ... komm ...« flüsterte der Schulze, ohne sie aus seiner Gewalt zu lassen, und zog sie durch die Seitentür in den Alkoven.

Niemand sah es, denn es war schon fast ganz dunkel, und kaum einer ging da vorbei.

Es wurde schon stiller im Dorf, die Stimmen verstummten, die Heckenwege wurden leer, die Menschen gingen heim, die Festtage, die Tage der süßen Muße, gingen nun zu Ende, der unvermeidliche Alltag stand vor der Tür und fletschte aus dem Dunkel die scharfen Zähne, so daß manch eine Seele Angst ergriff und neue Sorgen über sie kamen.

Das Dorf bekam ein düsteres und dumpfes Aussehen, es schien sich noch mehr zur Erde niedergeduckt zu haben und noch tiefer in die stummen Obstgarten zu versinken; hier und da saßen noch die Leute auf den Mauerbänken, aßen die Reste vom Ostergeweihten und redeten leise miteinander; anderswo aber schickte man sich bereits an, früher schlafen zu gehen und sang schon fromme Lieder.

Nur bei der Ploschkabäuerin war das Haus noch voll Menschen, und es ging da laut zu, die Nachbarinnen waren zusammengekommen, hatten die Bänke besetzt und besprachen sich würdig miteinander. Die Schulzin saß auf dem Ehrenplatz, dicht daneben die dicke, großschnautzige Balcerekbäuerin, die das große Wort führte; es war auch noch die dürre Sikorabäuerin und die ewig nörgelnde Borynowa, eine Schwägerin des Kranken, gekommen und auch die Schmiedin mit dem Säugling im Arm, sie redete immerzu mit der frommen, stillen Schultheißin; andere waren auch noch zugegen, all die Ersten im Dorf.

Sie saßen aufgebläht und großspurig da wie Glucken im Nest, und alle hatten sie die reichen Feiertagsröcke aus Beiderwand an und hatten ihre Tücher lose um die Schultern geschlagen, wie es in Lipce so Sitte war; auf dem Kopf trugen sie Hauben wie große weiße Räder, reich über der Stirn gezüngelt, und hatten Krausen um, die bis an die Ohren standen, und Korallenschnüre hatten sie umgehängt, wieviel eine jede nur aufbringen konnte. Sie waren mitten drin im Vergnügen, mit roten Gesichtern saßen sie da, breit und glänzend vor Behagen, und strichen eifrig über ihre Röcke, daß sie sich nicht zerknüllen sollten und rückten hier und da immer dichter zusammen, um sich leise miteinander zu besprechen und auch mal mit über diese oder jene emsig herzuziehen.

Und als der Schmied erschienen war, er sagte, er käme soeben aus der Stadt, kam die fröhliche Stimmung erst recht auf. Der Kerl hatte ein Maulwerk wie selten einer, da er dabei aber auch ein bißchen angetrunken war, so fing er an, solche komischen Dinge vorzuschwindeln, daß sie sich vor Lachen die Fäuste in die Hüften stemmten; ein Gelächter brach rings um ihn los, er aber lachte am lautesten von allen, so daß sein Gequarr sogar auf dem Borynahof zu hören war.

Lange amüsierten sie sich so, denn dreimal schickte die Ploschkabäuerin wegen Branntwein zum Juden.

Bei den Borynas saß man noch vor dem Haus, auch Anna, die wieder aus dem Bett gekommen war, befand sich unter den anderen; sie saß da in einen Schafpelz eingewickelt, denn es war kühl geworden nach Sonnenuntergang.

Solange es hell war, las ihnen Rochus aus einem solchen Buch vor, daß Anna sich immer wieder ängstlich umsah und der Fine leise zuflüsterte:

»Sieh mal auf den Weg ...«

Aber niemand, der sie hätte belauschen können, war zu sehen, so las er denn, bis der Abend die Dunkelheit über die Erde breitete, denn sie konnten alle nicht genug davon bekommen. Die Nacht sank über sie nieder, so daß sie sich kaum von der weißen Hauswand abhoben; es war dunkel und recht kühl geworden, keinen Stern konnte man am Himmel erspähen, dumpf und still lag die Welt da, nur irgendwo hörte man das Plätschern des Wassers und das Aufknurren der Hunde.

Sie hatten sich zu einem Haufen zusammengedrängt, so daß Nastuscha, Fine, Veronka und ihre Kinder, Gusche, die Klembbäuerin und Pjetrek fast zu Rochus seinen Füßen saßen und Anna etwas abseits auf einem Stein.

Er erzählte verschiedene Geschichten vom polnischen Volk, heilige Legenden und solche Wunderdinge von der Welt, daß sie niemand hätte ganz begreifen und behalten können.

Sie lauschten ganz andächtig, wagten kaum aufzuatmen, sich von der Stelle zu rühren und tranken mit ganzer Seele seine Worte, die ihnen süß wie Honig schienen.

Er aber sprach, den Blicken fast unsichtbar, mit feierlicher, leiser Stimme:

»Nach dem Winter kommt die Lenzzeit für jedermann, der daraus tätig in Gebet und Bereitschaft wartet.«

»Habt Vertrauen, denn die, die Unrecht leiden, werden immer siegen.«

»Mit Blutopfern und Mühen muß man menschliche Glückseligkeit säen, und wer so gesät hat, dem wird die Saat aufgehen, der wird seine Erntezeit haben.«

»Doch wer nur um das alltägliche Brot sich müht, wird sich nicht an den Tisch des Herrn setzen.«

»Wer nur das Böse beklagt, ohne Gutes zu tun, der fördert noch Schlimmeres.«

Lange sprach er noch und dabei so klug, daß es ihm zu folgen schwer war, immer leiser und ergriffener wurde seine Stimme, und da ihn die Nacht ganz ihren Blicken entzogen hatte, so war es, als käme diese heilige Stimme aus dem Erdboden, als wäre es die Stimme der verstorbenen Borynageschlechter, die in der Nacht der Auferstehung Gott in die Welt gesandt hatte, und sie redete nun aus den morschen Wänden, aus den gebeugten Bäumen und aus der dichten Nacht und mahnte, die zur Besinnung rufend, die ihres Blutes waren.

Alle Seelen ließen sich von diesen Worten tragen, die ihnen wie Glockentöne zu Herzen gingen und in das Land der dämmerigen Hoffnungen in die unerklärliche Wunderwelt der Träume führten.

Niemand merkte es, daß die Hunde im ganzen Dorf zu heulen anfingen, daß jemand auf der Dorfstraße aufschrie und die Erde unter den Tritten laufender Menschen erdröhnte.

»Die Meierei am Wald brennt!« hallte eine Stimme durch den Obstgarten.

Sie liefen auf die Dorfstraße.

Es war tatsächlich so, die herrschaftlichen Wirtschaftsgebäude der Waldmeierei standen in Flammen, die Glut züngelte wie in roten Büscheln aus der Nacht hervor.

»Und das Wort ist Körper geworden!« flüsterte Gusche, an die Kosiol denkend.

»Die Strafe Gottes kommt.«

»Für unser Unrecht!« kreuzten sich die Stimmen in der Dunkelheit.

Überall klappten die Türen, die Menschen kamen halb angekleidet auf die Dorfstraße hinausgestürzt und drängten sich in einem immer größer werdenden Haufen um die Brücke vor der Mühle, von wo alles am besten zu sehen war, und vielleicht in einem Paternoster war dort schon das ganze Dorf beisammen.

Der Brand steigerte sich von Minute zu Minute, die Meierei stand auf einer Anhöhe am Walde, und obgleich sie ein paar Kilometer weit von Lipce entfernt war, sah man das Wachsen des Feuers wie aus unmittelbarer Nähe. Auf dem Hintergrund, den der dunkle Wald bildete, leckten die Feuerzungen zahlreich auf und blutige Rauchwolken ballten sich zusammen. Es war kein Wind da, und das Feuer reckte sich immer höher zum Himmel empor; die Gebäude brannten wie harzige Kienspäne, schwarzer Rauch stieg in Säulen himmelwärts und ein roter Lichtschein ergoß sich in Feuerströmen ins Dunkel und zuckte über dem Walde.

Durchdringendes Gebrüll zerriß die Luft.

»Der Ochsenstall brennt, sie werden nicht viel retten, es ist doch nur eine Tür da.«

»Jetzt fangen gleich die Heuschober an!«

»Die Scheunen brennen schon!« riefen sie bange.

Der Priester kam angelaufen, der Schmied und der Schultheiß eilten herbei, und zuletzt erschien auch, wer weiß woher, der Schulze, und obgleich er so betrunken war, daß er sich kaum auf den Beinen hielt, fing er an zu schreien und die Menschen anzutreiben, sie sollten dem Gutshof zu Hilfe kommen.

Niemand hatte es eilig damit, nur ein böses Murren erscholl aus dem Haufen.

»Laß sie unsere Männer freilassen, die laufen dann gleich hin und helfen!«

Weder Flüche noch Drohungen wollten helfen, selbst die weinerlichen Bitten des Priesters machten keinen Eindruck: das Volk stand unbeweglich und sah finster dem Feuer zu.

»Das Hundspack von Gutsknechten!« schrie die Kobus, ihnen mit der Faust drohend.

Und schließlich mußten der Schulze mit dem Schultheiß und dem Schmied allein abfahren und noch dazu nur mit den bloßen Händen, denn man hatte sie nicht an die Feuerhaken und Eimer gelassen.

»Der da mitmacht soll sich in acht nehmen! Mag das Aas verderben!« schrien sie alle wie mit einer Stimme auf.

Das ganze Dorf war beieinander bis auf die Jüngsten selbst, die herumwimmerten und auf dem Arm geschaukelt werden mußten. Sie hatten sich zu einem großen Haufen angestaut, es sprach kaum einer und wenn schon, dann nur im Flüsterton, sie weideten nur gierig die Augen an dem Schauspiel und atmeten schwer, denn in jedem Herzen wucherte die heimliche, grausame Freude darüber, daß Gott den Gutsherrn für das Lipce angetane Unrecht mit Feuer strafte.

Bis spät in die Nacht brannte es noch, niemand aber kehrte ins Haus zurück: sie warteten geduldig auf das Ende, während das Flammenmeer sich über die Meierei wälzte und mit sich überstürzenden Wogen zum Himmel schlug; brennende Garben aus der Bedachung und Dachlatten flogen in einem blutroten Funkenregen umher und von den roten Feuerbränden erglühten selbst die Baumwipfel und das Dach des Mühlhauses, und der Weiher war, als hätte man ihn mit blasser Glut besprengt.

Wagengeroll, Rufe, Viehgebrüll klangen zu ihnen herüber, und das furchtbare Grauen der Vernichtung schlug ihnen von der Brandstätte entgegen, die Menge stand aber immer noch wie eine lebendige Mauer und sättigte sich an dem Bewußtsein der vollzogenen Rache ...«

Von der Schenke her kam die heisere Stimme des betrunkenen Ambrosius.

»Maruschka, oh Maruschka,
Wem brautest du das Bier wohl da!«


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