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Initial Am nächsten Tag war Palmsonntag.

Noch gut vor Sonnenaufgang, aber schon bei hellem Tage trat Anna aus dem Wohnhaus des Borynahofs ins Freie; sie trug nur einen Beiderwandrock und hatte sich irgendein altes Tuch umgeschlagen, denn es war noch recht kalt draußen.

Sie ging bis vor den Heckenweg auf die sich dunkel dahinziehende taufeuchte Dorfstraße, auf der hier und da noch der Reif lag. Es war noch menschenleer, kein Lebenszeichen machte sich ringsum bemerkbar, nur die Morgenröte hob sich scharf vom Himmel ab und begann aufzuleuchten, sie umkleidete die starren Baumwipfel mit einem blauen Flor; die letzten Schatten der Nacht aber lauerten furchtsam an den Hecken entlang.

Anna kehrte auf die Galerie zurück, und nachdem sie mit Mühe niedergekniet war, denn jeden Tag war ihre Niederkunft zu erwarten, begann sie das Gebet herzusagen, mit schlaftrunkenen Augen von Gegenstand zu Gegenstand irrend.

Der Tag stieg langsam in einem blassen Feuerschein empor, die Morgenröte drang wie durch ein Sieb rieselnd hervor und besprengte den ganzen Osten mit hellem Glanz, der sich wie ein goldener Traghimmel über einer strahlenden, aber noch nicht sichtbaren Monstranz erhob.

Da aber ein Nachtfrost gewesen war, so glitzerten die Zäune und Stege, die Dächer und Steine im Reif, und die Bäume standen da wie weißliche Wolken.

Das Dorf schlief noch, in erdennahes Zwielicht gehüllt, so daß nur einzelne von den Hütten, die näher an der Dorfstraße standen, durch ihr leuchtendes Weiß etwas hervortraten; über die nebelumsponnene Fläche des Weihers schoben sich die langen, schwärzlichen Streifen der Strömung, sie schienen wie erstarrender Glast.

Irgendwo ratterte die Mühle ohne Unterlaß, und ein unsichtbares Bächlein kroch über die Steine mit einem leisen, heimlichen Gemurmel.

Die Hähne krähten schon aus Leibeskräften, und die Vöglein zwitscherten in den Obstgärten, ihre Stimmen wie zu einem gemeinschaftlichen Gebet vereinend, als Anna wieder aufmerkte, denn der Schlaf hatte sie übermannt, und die übermatteten Glieder, die noch nicht genügend ausgeruht waren, sehnten sich noch nach dem Federbett; aber sie hielt sich aufrecht, rieb sich die Augen mit Reif ab und ging, nachdem sie das verlorene Wort des Morgengebets wiedergefunden hatte, auf den Hof, nach dem Vieh zu sehen und die Schlafenden zu wecken.

Zuerst öffnete sie die Tür nach dem Schweinestall; der Masteber versuchte gerade, sich auf den Vorderbeinen hochzurichten, da er aber sehr fett war, so fiel er auf seinen dicken Hintern zurück und ließ den grunzenden Rüssel ihr nachgehen, als sie ihm das Fressen durchrührte, etwas Frisches hinzutuend.

»Die Hosen sind dir zu schwer geworden, da wird es dir nicht leicht, dich auf deine Klumpen zu stellen; wenigstens an die vier Finger dick sitzt der Speck.« Sie befühlte ihm wohlgefällig die Seiten.

Dann sperrte sie die Tür zum Hühnerstall auf und warf vor die Schwelle eine Handvoll Schweinefutter als Lockmittel, so daß die Hühner anfingen, von den Staffeln niederzuflattern und die Hähne wieder laut aufkrähten.

Die nebenan eingesperrten Gänse empfingen sie mit Geschnatter und Gezisch, sie jagte die Gänseriche hinaus, die gleich einen Streit mit den Hühnern anfingen, und begann darauf unter den Gänsen, die auf ihren Nestern saßen, die Eier hervorzuholen und sie gegen das Licht zu beschauen.

»Jeden Augenblick fangen sie an, aus dem Ei zu kriechen,« dachte sie und hörte auf das leise, kaum hörbare Picken in den Eiern.

Richtig kam auch Waupa aus seiner Hundehütte heraus, als sie nach dem Stall zuging, reckte sich und gähnte, ohne auf das ihn anzischende Gänsevolk zu achten.

»Hale, Faulenzer, wie ein Arbeitsknecht schläft er die ganze Nacht durch, anstatt zu wachen.«

Der Hund wedelte mit dem Schweif, bellte freudig auf, stürzte zwischen die Hühner, daß die Federn aufflogen, und dann erst ging es los mit dem Anspringen bis hoch an die Brust und mit dem Lecken der Hände, so daß sie, ohne selbst zu wollen, ihn über den Kopf streicheln mußte.

»Mancher Mensch hat nicht so viel Gefühl, wie so ein Tier. Er merkt die Bäuerin, das Biest!« Sie reckte sich ein wenig und ließ die Augen über die bereiften Dächer schweifen, denn die Schwalben, die in einer Reihe auf dem Dachfirst saßen, zwitscherten zart auf.

»Pietrek! Der Tag steht da, groß wie ein Ochs!« schrie sie, mit der Faust an die Tür des Pferdestalls hämmernd, und als sie ein Murmeln und das Aufschieben von Riegeln hörte, machte sie gleich die andere Tür nach dem Kuhstall auf.

Die Kühe lagen in einer Reihe vor den Krippen.

»Witek! Was der Plumpsack schläft, wie nach einer Hochzeit!«

Der Junge war gerade aufgewacht, sprang von der Pritsche und begann rasch die Hosen überzuziehen und erschrocken vor sich hin zu murmeln.

»Wirf den Kühen frisches Heu auf, damit sie bis zum Melken noch was fressen und komme gleich, Kartoffeln zu schaben. Und der Bleß brauchst du nichts zu geben, laß sie sie allein füttern,« fügte sie hart hinzu, denn es war Jagnas Kuh.

»Die füttern sie schon schön was, daß sie immerzu vor Hunger brüllt und das Stroh unter sich wegfrißt.«

»Laß sie krepieren, das ist nicht mein Verlust!« knurrte sie gehässig.

Witek brummte noch etwas; kaum aber war sie gegangen, warf er sich mit dem Hosengurt in der Hand quer über sein Lager hin, um noch mindestens ein Paternoster lang vor sich hinzuduseln.

Anna aber ging noch nach der Scheune, wo auf der Tenne mit Stroh zugedeckte Kartoffeln lagen, von denen die zum Einlegen ausgesucht waren, und sah in den Schuppen hinein, wo man allerhand wirtschaftliches Gerät beiseite legte. Waupa sprang vor ihr her, jeden Augenblick zu den Gänserichen abschweifend, um mit ihnen Streit zu suchen. Nachdem sie schließlich überall aufmerksam nachgesehen hatte, ob nicht in der Nacht irgendwo ein Schaden entstanden war, was sie so Morgen für Morgen gewohnt war zu tun, ging Anna nach dem Zaunüberstieg, um die Wintersaat auf den Feldern in Augenschein zu nehmen.

Sie setzte wieder das unterbrochene Morgengebet fort.

Die Sonne war auch schon aufgestanden, so daß durch den Obstgarten eine Flammenflut sich ergoß, der Reif aufglitzerte und es von den Bäumen zu tropfen begann; auch der Wind hatte sich etwas gerührt und rüttelte leise in den Zweigen. Die Lerchen schmetterten immer dichter, und im Dorf, auf den Wegen, entstand die erste Bewegung; man hörte das Platschen des Wassers beim Füllen der Eimer im Weiher, verrostete Torangeln kreischten irgendwo auf, Gänse schrien und Hundegebell wurde laut, hier und da hörte man auch eine Menschenstimme durch die Morgenstille rufen.

Das Dorf wurde an diesem Tage etwas später wach, da es ja auch Sonntag war, und jeder war froh, ein bißchen länger die müde gearbeiteten Glieder unter dem Federbett zu rekeln.

Anna achtete auf alles dieses nicht und versank ganz in ihre Gedanken, die sie so umsponnen hatten, daß nur ihre Lippen das Gebet sprachen, sie aber war mit ihrer Seele weit ab davon, ganz von Erinnerungen umfangen.

Sie hob die stillen, freudetrunkenen Augen und ließ sie über die Weiten schweifen, die die Wand des fernen Waldes umschloß; über den Wald ergossen sich die Flammen des Sonnenaufgangs und ließen die dicken, bernsteingelben Kiefern aus den bläulichen Dickichten hervorblitzen, und alle Erde ringsum schien im erwachenden, goldenen Licht zu zucken, die Wintersaaten bedeckten die Ackerbeete wie mit einem feuchten grünlichen Flaum, und hier und da glitzerten in den Furchen Wasserrinnsale wie silberne Adern. Von den Feldern kam ein Hauch wie von feuchten, kühlen Atemzügen, die sich mit jener heiligen Frühlingsstille mischten, in der alles wächst und entsteht.

Darauf sah sie aber nicht und achtete nicht darauf.

Es kamen ihr die Erinnerungen an all das Elend, all das Darben, an jene Ungerechtigkeiten und an Anteks Verrat, an all die Schmerzen, die wie Eisennägel Wunden schlugen/ Erinnerungen an die Trübsale und vielen Plagen, so daß sie staunen mußte, wie sie das alles hatte überwinden können, um es nun zu erleben, daß der Herr Jesus alles zum Besseren gewendet hatte ...

Sie befand sich doch wieder auf eigener Wirtschaft, hatte Boden unter den Füßen.

Und wer hätte die Macht haben sollen, sie von hier herauszureißen? Wer würde gegen sie ankommen können!

So vieles hatte sie schon überwunden, so vieles ausgehalten in diesem halben Jahr, daß ein anderer Mensch ein Leben lang nicht so viel erduldet; sie würde denn auch jegliches tragen, was dem Herrn Jesus nur gefallen sollte, auf ihre Schultern zu legen; sie würde es aushalten und selbst das noch würde sie gewiß erleben, daß Antek wieder zur Besinnung kommt, und daß dieser Boden ihnen für alle Ewigkeit gehören wird.

Ganze drei Wochen waren es schon, und ihr schien es, als wäre es kaum gestern geschehen, als die Männer nach dem Wald zogen ...

Sie ging nicht mit den anderen, denn in ihrem Zustand war das schwer und auch gefährlich ...

Sie sorgte sich aber um Antek, denn gleich hatte man ihr zugetragen, daß er nicht zu dem übrigen Volk gestoßen war und nicht mitgemacht hatte; sie begriff, daß er es dem Alten zum Trotz tat und vielleicht auch darum, um inzwischen mit der Jaguscha irgendwo zusammenzukommen ...

Das fraß an ihr, aber sie war doch nicht hingegangen, ihm nachzuspüren.

Da plötzlich, gerade gegen Mittag, kommt der Gulbasjunge angerannt und brüllt:

»Wir haben die Gutsleute geschlagen!« dann jagte er wie toll davon.

Sie verabredete sich mit der Klembbäuerin und machten sich beide auf den Weg, den Männern entgegen. Einer der Dominikburschen kam gerade angelaufen, und von weitem hörten sie ihn schreien:

»Boryna haben sie totgeschlagen, den Antek totgeschlagen, Mathias und die anderen!« ... er fuchtelte mit den Händen, murmelte etwas vor sich und sank zu Boden, so daß man ihm die Zähne mit einem Messer auseinanderzwängen mußte, um ihm Wasser einzuflößen, so mitgenommen war er.

Ihr aber war die Seele vor Angst schier zu Stein erstarrt.

Zum Glück kamen schon, ehe sie den Burschen zur Besinnung brachten, die anderen aus dem Wald auf die Landstraße heraus und erzählten, wie es gewesen war, und vielleicht in einem Paternoster konnte sie mit eigenen Augen den Antek leibhaftig neben Vaters Wagen gehen sehen: sein Gesicht war blau angelaufen wie bei einem Toten, er war über und über mit Blut besudelt und völlig geistesabwesend.

Natürlich, daß sie das Weinen erfaßte und ein Schmerz ihr schier das Herz zerriß; doch sie bezwang sich desto mehr, da ihr Vater, der alte Bylica, sie beiseite zog und ihr leise zuflüsterte:

»Der Alte wird bald sterben, Antek weiß von der lieben Welt nichts, und auf dem Borynahof ist kein Mensch da, der Schmied wird da noch einziehen, und niemand kriegt ihn schon heraus!« ...

Sie begriff sofort und rannte so schnell sie laufen konnte nach Haus, nahm die Kinder mit und was sie an Kleidung zu fassen bekam, ließ den Rest unter Veronkas Obhut und übersiedelte schnellstens auf den alten Platz in die andere Hälfte des Borynahauses.

Noch verband Ambrosius den Alten, noch waren die Leute nicht auseinandergegangen, das ganze Dorf hallte noch vom Freudegeschrei der Sieger und vom Gejammer der Verwundeten wider, als sie schon ganz leise eingezogen war und sich auf Ja und Amen eingenistet hatte.

Und sie wachte gut, denn es war doch auch Anteks Grund und Boden, und der Alte hatte kaum einen Atem mehr und konnte jeden Augenblick die Klumpen von sich strecken.

Man weiß es ja, daß es nicht so leicht ist, wenn einer als erster ans Erbe heran kann und sich da festkrallt, ihn wieder abzubringen, und auch das Recht hat er auf seiner Seite.

Was kümmerte sie dem Schmied sein Geschrei und Drohen, mit dem er ihr den Eintritt verwehren wollte, arg erzürnt, daß sie ihm zuvorgekommen war!

Sollte sie da vielleicht jemanden um Erlaubnis bitten? sie hielt den Besitz schon fest, paßte auf, wie ein Wachthund und verteidigte ihr Hab und Gut in der Gewißheit, daß der Alte bald sterben müßte und sie den Antek abführen würden, denn darauf hatte sie Rochus vorbereitet.

Bei wem sollte sie denn da Schutz suchen? Man weiß Bescheid, wenn der Mensch nicht selbst was tut, gibt ihm auch der Herrgott weder Hab noch Gut.

Nicht mit Weinen und Wimmern kommt man zu seinem Recht, sondern nur mit den harten, unnachgiebigen Krallen – das wußte sie ja schon, und ob!

Und obgleich sie den Antek abgeführt hatten, beruhigte sie sich bald, denn was kann ein armes Wurm von Mensch gegen sein Los? Wie soll er sich da wehren, ist doch nur so'n bißchen Erdenstaub ...

Wo war da auch Zeit für langes Gejammer und Klagen, da sie nun eine so große Wirtschaft auf sich genommen hatte!

Sie war doch ganz allein geblieben, wie ein Strauch auf einem Sandhaufen am Kreuzweg, war aber doch nicht vor der Arbeit zurückgewichen, und vor den Menschen war ihr nicht bange geworden. Und sie hatte doch die Jagna gegen sich, die Schmiedsleute waren gegen sie erzürnt, daß Gott erbarm, der Schulze, der seine Pläne mit Jagna hatte und sich mächtig als ihr Beschützer aufspielte, war ihr auch nicht grün, selbst Hochwürden, den die Dominikbäuerin gegen sie einzunehmen verstanden hatte, hielt zu denen.

Nur daß sie sie allesamt nicht 'rumkriegen konnten, sie ließ sich nicht beikommen; jeden Tag wuchs sie tiefer in den Boden hinein und hielt das Regiment fester in den Händen, so daß in kaum zwei Wochen schon alles nach ihrem Willen und nach ihrem Kopf ging.

Sie selbst aber schlief nicht und aß und ruhte nicht, von Morgengrauen bis spät in die Nacht arbeitend, wie ein Zugtier im Joch.

Da sie es aber nicht gewohnt war, eine solche Arbeit zu leisten, und alles nach eigenem Kopf zu entscheiden hatte, von Natur aus jedoch unbeholfen und durch Antek eingeschüchtert war, so fiel ihr das oft so schwer, daß ihr die Hände zu erlahmen drohten.

Doch die Angst, daß sie sie nicht aus der Wirtschaft hinausdrängten und der Haß gegen Jagna hielten sie aufrecht.

Und schließlich war es doch einerlei, woher ihr die Kraft kam, es genügte, daß sie sich nicht beikommen ließ, und darob stieg sie in Achtung und in Ansehen in den Augen aller.

»Sieh mal an! Früher schien es, als ob sie nicht bis drei hätte zählen können, und jetzt reicht sie für ein Mannsbild aus,« redeten die ersten Hofbäuerinnnen im Dorf über sie, und selbst die Ploschkabäuerin sowie die meisten anderen bemühten sich gern um ihre Freundschaft und standen ihr bereitwillig bei mit Rat und Tat und womit sie nur konnten.

Versteht sich, daß sie es mit dankbarem Herzen entgegennahm, sich aber doch nicht allzusehr mit ihnen einlassend und sich nicht besonders über ihre Gnade freuend, denn nicht leicht vergaß sie das noch frische Unrecht.

Sie vermochte nicht über das erste beste herumzureden, darum hatte sie denn auch das nachbarliche Herumschwatzen und das Herumstehen in den Heckenwegen, sowie das Herziehen über die anderen nicht nötig.

Hatte sie nicht vielleicht selber genug Sorgen, als daß sie sich noch über Fremdes aufregen sollte! ...

Sie dachte gerade wieder an Jagna, mit der sie einen erbitterten, stummen und unversöhnlichen Krieg führte, an diese Jaguscha, deren Name schon allein für sie wie ein Stich mit dem Messer war, so daß sie auch jetzt gleich aufsprang, sich eilig bekreuzigte und auf die Brust schlug, das Gebet beschließend.

Sie wurde noch ärgerlicher, da sie im Haus alles schlafend vorfand und auch noch alles auf dem Hof still war.

Sie herrschte den Witek an, trieb Pjetrek von seinem Lager, und auch Fine bekam etwas ab, daß die Sonne schon mannshoch sei und sie noch immer herumliege.

»Nur aus den Augen lassen auf einen einzigen Augenblick, und sie schlafen in allen Ecken herum!« murmelte sie, das Feuer auf dem Herd anzündend.

Sie führte die Kinder auf die Galerie, steckte jedem eine Brotkruste zu und rief Waupa herbei, daß er mit ihnen spielte, selbst aber ging sie hinüber, nach Boryna zu sehen.

Auf der väterlichen Seite war es noch ganz still, so daß sie mit Wut die Tür laut hinter sich zuwarf; das weckte aber die Jagna nicht, und der Alte lag ganz ebenso wie sie ihn am Abend zurückgelassen hatte: auf dem rotgestreiften Bettzeug lag sein bläuliches behaartes Gesicht, mager und wie tot, so daß er jenen Heiligenfiguren ähnlich war, die man aus Holz schnitzt; die weit geöffneten Augen starrten vor sich hin, ohne zu sehen; den Kopf hatte er mit Tüchern verbunden, und die weit von sich gereckten Arme hingen ihm schlaff herunter wie angesägte Äste.

Sie bettete ihn bequemer, glättete das Federbett nach der Richtung der Füße, denn es war in der Stube heiß, und goß ihm dann schluckweise frisches Wasser in den Mund: er trank langsam, daß ihm die Gurgel hin und her ging, doch er bewegte sich weiter nicht; immerzu lag er da, wie ein umgefallener Stamm, nur die Augen leuchteten ihm hin und wieder jäh auf, wie wenn ein Fluß in der Nacht aus den Dunkelheiten hindurchschimmert und auf einen Augenblick aufblitzt.

Nachdem sie über ihn wehmütig aufgeseufzt hatte, stieß sie mit dem Holzpantoffel gegen einen Eimer und warf wütige Blicke auf die Schlafende.

Aber Jaguscha wurde doch nicht wach; sie lag auf der Seite, mit dem Gesicht nach der Stube zu und hatte wohl wegen der Hitze das Federbett bis zur Hälfte der Brust zurückgeschoben; die Arme und der Hals waren entblößt und schimmerten rosig, sie bewegten sich ein bißchen bei jedem leisen Atemzug; durch die offenstehenden kirschroten Lippen schimmerten die Zähne wie weiße Perlenschnüre, und das gelöste Haar überflutete die weißen Kissen und floß zu Boden, wie der reinste in der Sonne getrocknete Flachs.

»Wenn man dir so das Mäulchen mit den Krallen abschaben würde, dann könntest du dich nicht mit deiner Schönheit über die anderen erheben!« flüsterte Anna mit solchem Haß, daß es sie bis ins Herz schüttelte, und sich die Finger ihr wie von selbst zum Kratzen spreizten, aber unwillkürlich glättete sie sich ihr Haar und sah in den Spiegel, der am Fensterkreuz hing; rasch zog sie sich jedoch wieder zurück, nachdem sie ihre geröteten Augen und ihr abgezehrtes Gesicht gewahrte, das ganz mit gelben Flecken bedeckt war.

»Über nichts quält sie sich, frißt sich voll, schläft sich aus in der Wärme, gebiert keine Kinder, und da soll sie nicht schön sein!« überlegte sie voll Bitternis und schmiß im Weggehen die Tür so heftig hinter sich zu, daß die Scheiben aufklirrten.

Endlich wachte Jagna auf. Nur der Alte lag immerzu ohne Bewegung, vor sich hinstarrend da.

Er lag schon so ganze drei Wochen, seitdem man ihn aus dem Wald gebracht hatte. Zuweilen nur schien er aufzuwachen, rief nach Jagna, griff nach ihren Händen, wollte ihr etwas sagen und wurde wieder steif, ohne ein einziges Wort gesprochen zu haben.

Es hatte ihm schon Rochus einen Arzt aus der Stadt hergeholt, der ihn besah, auf einen Papierfetzen etwas aufschrieb und zehn Rubel nahm; auch die Medizin kostete nicht wenig. Und natürlich hatte es gerade so viel geholfen, wie die umsonst gemachten Besprechungen der Dominikbäuerin.

Sie begriffen bald, daß er nicht mehr aufkommen würde, und ließen ihn in Ruhe. Man weiß ja, wenn da einer auf den Tod krank ist, dann muß er sterben und würde man ihm Gott weiß was für Arzneien und Ärzte herbeischaffen; und soll er gesund werden, dann wird er es auch ohne irgendwelche Hilfe.

Sie sorgten also nur so viel um ihn, daß sie ihm oft die nassen Tücher auf dem Kopf wechselten, ihm Wasser zu trinken gaben oder auch etwas Milch, denn essen konnte er nicht, alles gab er wieder von sich.

Die Leute merkten es, vor allem aber Ambrosius, der darin ein Praktikus war, daß Boryna, wenn er nicht zur Besinnung kommen würde, einen leichten und raschen Tod haben müßte. Sie erwarteten fast alltäglich das Ende, aber das Ende kam nicht; es wurde ihnen schon ordentlich zuwider dieses Warten, denn man mußte doch noch auf ihn achtgeben und für ihn sorgen.

Jagnas hundsverdammte Pflicht war es, auf ihn zu passen und ihn zu pflegen; wie sollte das aber werden, wenn sie es doch nicht aushielt, selbst nur eine Stunde zu Hause zu sitzen? Der Alte war ihr ganz zuwider geworden, und auch der ewige Krieg mit Anna, die sie von allem zurückdrängte und sie schlimmer als einen Dieb bewachte, war ihr lästig – kein Wunder also, daß es sie hinausverlangte, daß sie Lust verspürte, auf und davon zu rennen in diese warmen Nachmittage, unter die Menschen, in die Freiheit; sie überließ dann das Bewachen der Fine und eilte Gott weiß wohin, so daß sie öfters erst abends zurückkehrte.

Die Fine aber sorgte für Boryna nur so weit, wie die Menschen es sehen konnten, sie war ja noch zu dumm dazu und ein Herumtreiber obendrein. Anna mußte also auch das noch sich aufladen und für den Kranken sorgen; denn wenn auch die Schmiedsleute wenigstens an die zehn Mal am Tage nachzusehen kamen, dann war es doch nur, um ihr auf die Finger zu passen, ob sie nicht etwas aus dem Hause hinaustrüge. Hauptsächlich aber warteten sie, daß vielleicht der Alte noch einmal reden und über das Vermögen eine Verfügung treffen würde.

Sie gingen einander dabei so zu Leibe wie die Hunde um ein krepiertes Schaf und suchten eines dem anderen, sich gegenseitig anknurrend, das Recht streitig zu machen, wer sein Gebiß zuerst in die Gedärme eingraben und für sich einen guten Bissen losreißen dürfte; inzwischen raffte der Schmied alles an sich, worauf nur sein Auge fiel und was ihm unter die Finger kam, selbst wenn es nur ein Stückchen Spagat oder ein Brett gewesen wäre, so daß man es ihm aus den Fäusten reißen und ihn auf Schritt und Tritt bewachen mußte; kein Tag verging ohne Zank und arges Gefluche.

Man sagt: Morgenstunde hat Gold im Munde, und es ist wahr, aber der Schmied konnte selbst um Mitternacht aufstehen und bis ins zehnte Dorf rennen, wenn es nur um einen guten Verdienst ging, der war schon mächtig gierig aufs Geld und sorgte wie nur wenige vor, wo er was kriegen konnte.

So auch jetzt; kaum, daß Jagna aus dem Bett gekrochen war und die Röcke übergetan hatte, knarrte die Tür, und er schob sich leise zur Stube herein, gerade auf den Kranken zugehend.

»Hat er denn nichts geredet?« Er sah ihm ganz aus der Nähe in die Augen.

»Er liegt ja noch immer wie er gelegen hat!« brummte sie zurück, ihre Haare unter das Kopftuch schiebend.

Sie war noch barfuß und im Hemd, etwas verschlafen und so schön anzusehen, und eine solche brennende Glut und Wohligkeit kam von ihr, daß er, die Lider zusammenkneifend, sie in Augenschein nahm.

»Wißt ihr,« er schob sich ganz nahe an sie heran: »der Organist hat sich bei mir verplappert, daß der Alte viel bar Geld haben muß, denn noch vor Weihnachten wollte er einem Bauer aus Dembica ganze fünfhundert Rubel geben, wegen der Prezente sind sie nur nicht einig geworden. Das Geld muß irgendwo im Haus verborgen sein ... Gebt fleißig auf die Anna acht, denn wenn sie es vor euch zu fassen kriegen sollte, würde es kein Menschenauge wiedersehen ... Ihr könntet langsam und im stillen alle Ecken durchsuchen, daß es aber ja niemand merkt ... Hört ihr denn?«

»Warum sollt' ich denn nicht hören!« Sie bedeckte die Schultern mit einer Beiderwandschürze, denn er betastete sie fast mit seinen Diebsaugen.

Er ging im Zimmer herum und sah wie zufällig hinter die Bilder, eifrig dabei überall herumspähend, wo es nur anging.

»Habt ihr den Schlüssel zu der Kammer?« er blinzelte nach der kleinen verschlossenen Tür hinüber.

»Der hängt doch an der Passion, am Fenster.«

»Einen Meißel hab ich ihm geborgt, es wird schon über ein Monat sein, jetzt muß ich ihn gerade gebrauchen, und nirgends kann ich ihn finden. Ich denk', er muß da wohl irgendwo zwischen dem Kram verlegt sein ...«

»Sucht ihn euch selber, ich mach' mich nicht 'ran, ihn euch herzusuchen.«

Er trat von der Tür zurück, denn im Flur erscholl Annas Stimme; so hing er den Schlüssel auf seinen Platz und griff nach der Mütze.

»Morgen will ich mal suchen ... ich hab' es heute gerade eilig ... Ist denn der Rochus zurückgekommen?«

»Weiß ich denn das? Fragt die Anna.«

Er blieb noch eine Weile stehen, kaute an seinem roten Schnurrbart, und die diebischen Augen flogen ihm von Ecke zu Ecke, dann lachte er in sich hinein und ging.

Jagna warf die Schürze ab und machte sich an das Ordnen des Bettzeugs und an das Aufräumen, hin und wieder lauernde Blicke auf Boryna werfend, und ging immer nur so in der Stube herum, um nicht seinen weit geöffneten, starren Augen zu begegnen.

Gewiß, er war ihr schon zuwider, sie fürchtete ihn und haßte ihn mit ganzer Macht für all das Unrecht, das sie erlitten hatte; und jedesmal, wenn er sie rief und sie mit seinen heißen, klebrigen Händen anfaßte, ging es ihr durch und durch vor Ekel und Angst, so fühlte sie schon den Tod in ihm; aber trotzdem war es wohl sie allein, die es am aufrichtigsten wünschte, er möge wieder gesund werden.

Jetzt erst begriff sie, was sie verlieren würde, wenn er nicht mehr da sein sollte, bei ihm fühlte sie sich als die Bäuerin, alle hörten auf sie, und andere Frauen und Mädchen, ob sie wollten oder nicht, mußten sie achten und ihr den Vortritt lassen/wie sollten sie das auch nicht müssen, Boryna seine Frau war sie doch/und Matheus, obgleich er zu Hause bissig wie ein Hund war und ihr kein gutes Wort gönnte, hielt auf sie vor den Menschen und sah danach, daß keiner wagte, ihr etwa nicht die Ehre zu bezeugen.

Das hatte sie früher nicht begriffen; erst nachdem Anna ins Haus gekommen war und anfing, sich über sie hinwegzusetzen und sie nicht mehr regieren lassen wollte, fing sie an, ihre Verlassenheit und das Unrecht, das man ihr antat, zu fühlen.

Um den Grund und Boden war es ihr doch nicht zu tun/was waren ihr Reichtümer? ... Sie hielt davon gerade so viel, wie vom verflossenen Jahr, und obgleich sie sich schon an das Regieren gewöhnt hatte und sich gerne über die anderen erhob, mit ihrem Reichtum großtuend und sich auf ihrem eigenen Besitz breit machend, so hätte sie dem allen doch nicht nachgeweint – aber es verdroß sie schmerzlich, daß sie vor Anna, vor Anteks Frau zurücktreten mußte: das brannte sie bis ins lebendige Leben und weckte die Wut und die Widerspruchsgeister in ihr.

Natürlich stachelte sie ihre Mutter auf, und auch der Schmied wirkte durch sein alltägliches Hetzen gegen Anna auf sie ein; aus sich selbst hätte sie vielleicht rasch nachgegeben, so war ihr dieser ewige Krieg zuwider, sie hätte selbst manches Mal alles hingeschmissen und wäre zur Mutter übergesiedelt.

»Daß du dich nicht unterstehst! Sitz du da, bis er wegstirbt und paß auf Deines!« befahl ihr die Alte streng.

So saß sie denn, obgleich ihr die Zeit unbeschreiblich lang wurde / war es denn vielleicht auch nicht so? Ganze Tage niemanden zu haben, mit dem man ein Wort reden kann, niemanden, mit dem man lachen und zu dem man hinauslaufen kann ...

Und zu Hause stöhnte der Alte in einem fort herum, war Anna ewig zum Zank bereit und herrschte ein ununterbrochener Krieg, daß es schon gar nicht mehr zum Aushalten war.

Bei der Mutter war es auch nicht verlockend.

So lief sie denn mit dem Wocken von Haus zu Haus – war es denn da aber besser, wenn im ganzen Dorf nur lauter versauerte, verheulte und klagende Weiber waren, wie die reinen Märztage, und überall nur die unaufhörliche Litanei des Wehklagens, nirgends ein Bursche zu sehen, und hätte man ihn selbst nötig wie das liebe Brot.

Sie konnte einfach keinen Platz und keinen Rat mehr finden.

Dazu überkamen sie oft und immer öfter die Erinnerungen an Antek.

Das ist wahr, ganz zuletzt, ehe man ihn genommen hatte, war sie stark gegen ihn abgekühlt, und ihre Begegnungen waren da schon nur noch Angst und Qual gewesen; zum Schluß hatte er ihr auch noch Unrecht getan, daß ein Groll ihre Seele erfüllte, wenn sie nur daran dachte ... aber sie hatte doch jemanden gehabt, zu dem sie hinausgehen konnte, sie wußte doch, daß er da hinter dem Schober jeden Abend auf sie wartete und nach ihr ausspähte ... daß einer da war, dem zu Sinn zu sein wohltat ... Und obgleich sie vor Angst bebte, daß man sie ausspähen könnte, und er sie auch manches Mal wegen des langen Wartens angefahren hatte, so lief sie doch bereitwillig hin und vergaß die ganze Welt, wenn er sie mit Macht an sich riß und sie nahm, ohne um Erlaubnis zu fragen ... Ein Widerstand kam ihr nicht in den Sinn, es wurde ihr ganz schwach zumute, wenn er sie umarmte und sie wie in Gluten tauchte.

Oft konnte sie bis Mitternacht nicht einschlafen und kühlte ihr durch seine Küsse erglühtes Gesicht gegen die kalte Wand, bis zum Grunde aufgewühlt und voll jener süßen, sie heiß überkommenden Erinnerungen, die ihr durch Mark und Bein gingen.

Und jetzt ist sie ganz allein, niemand belauert sie, niemand hat ein Recht auf sie, aber es verlangt sie auch nach niemand, niemand wartet auf sie dort am Zaunüberstieg, und niemand zwingt sie zu sich ...

Daß der Schulze hinter ihr herläuft, mit ihr anfangen möchte, süße Reden führt, sie hier und da an den Zaun drückt und nach der Schenke auf Traktament ziehen möchte, um sie für sich zu haben, das läßt sie sich nur gefallen, weil ihr die Zeit so furchtbar lang wird, und weil kein anderer da ist, mit dem sie lachen könnte; aber zwischen dem und Antek ist ein solcher Unterschied, wie zwischen dem Hofhund und dem Bauer!

Und dann tut sie's auch noch aus Trotz gegen das ganze Dorf und gegen jenen selbst.

Wie ist er zum Schluß mit ihr umgegangen, wie hat er sie schändlich behandelt. Das war doch so / eine ganze Nacht durch und einen ganzen Tag hat er beim Alten gesessen, hat selbst auf ihrem Bett geschlafen, sich nicht mit einem Schritt aus der Stube gerührt und sie doch so gut wie gar nicht bemerkt, obgleich sie in einem fort vor ihm stehenblieb, wie ein Hund mit den Augen um Erbarmen bettelnd.

Er hatte sie nicht einmal angeblickt, sah immer nur den Vater, die Anna und die Kinder, selbst eher noch den Hund an, als sie.

Darum hatte sie vielleicht auch ganz das Herz für ihn verloren, und alles hatte sich in ihr verwandelt; denn als sie ihn in Ketten nahmen, schien er ihr ein so anderer, ein so ganz fremder, gleichgültiger, daß sie es gar nicht vermochte, ihn zu bedauern, und selbst mit heimlicher Freude Anna betrachtete, wie sie sich die Haare raufte, mit dem Kopf gegen die Wand schlug und wie eine Hündin heulte, der man die Jungen ersäuft hatte.

Sie freute sich mit einer gehässigen Freude über ihre Qual und wandte mit Abscheu ihre Augen von seinem furchtbaren Gesicht ab, das ihr fast wie das eines Wahnsinnigen schien.

Er kam ihr damals so fremd vor, daß sie sich seiner jetzt gar nicht mehr entsinnen konnte.

Um so mehr aber dachte sie an jenen anderen Antek, aus jenen vergangenen Tagen all ihrer Liebe und Seligkeit, aus den Tagen der heimlichen Begegnungen, Umarmungen, Küsse und Leidenschaft, an jenen anderen, zu dem jetzt in den schlaflosen Nächten ihre Seele häufig hinstrebte und nach dem das gequälte Herz im Leid und unsagbarer Sehnsucht schrie.

Nach jenem Antek ... aus den Tagen des Glücks suchte sich Jagnas Seele immer wieder loszureißen, ohne zu wissen, wo er war und wo er in der weiten Welt wohl weilen konnte ...

Auch jetzt schwebte sein Bild in ihrer Erinnerung wie ein lieber Traum, von dem man sich schwer trennen kann, als wieder die kreischende Stimme Annas erscholl.

»Wie ein geschundener Hund spektakelt und schreit sie!« flüsterte sie, aus ihrem Nachsinnen erwacht.

Die Sonne sah schon seitwärts in die Stube herein, den dämmerigen Raum mit rötlichem Licht füllend, die Vögel zwitscherten freudig im Garten, die Wärme steigerte sich, und von den Dächern rann der Nachtfrost wie in Glasperlen herunter. Durch das offene Fenster drangen mit dem Morgenwind die Schreie der im Weiher herumplanschenden Gänse herein.

Sie hantierte, wie ein munterer Stieglitz vor sich hinsummend, leise in der Stube herum, denn es war ja Sonntag und bald Zeit, die Palmenreiser zum Kirchgang fertigzumachen. Die Gerten der roten Weide mit silbrigen Kätzchen bedeckt, standen seit gestern in einem Krug, sie waren etwas matt, denn sie hatte vergessen, ihnen Wasser einzugießen. Gerade war sie dabei, sie wieder zu beleben, als Witek ihr durch die Tür zuschrie:

»Die Bäuerin hat gesagt, ihr sollt eure Kuh füttern, sie brüllt schon vor Hunger!«

»Sag ihr, sie hat nichts mit meiner Kuh zu schaffen!« schrie sie ganz laut zurück, hinhorchend, was die andere zur Antwort kläffte.

»Schnauze du nur, bis dir das Maul von selbst müde wird, heut wirst du mich nicht zur Wut bringen!«

Und sie fing mit größter Ruhe an, ihre Kleider aus der Lade hervorzuholen und überlegte, nachdem sie sie über das Bett gebreitet hatte, welches sie für den Kirchgang anziehen sollte. Plötzlich aber überkam sie ein seltsames Gefühl der Traurigkeit, ihr wurde zumute wie unter einer Wolke, die sich über die Sonne legt, so daß die ganze Welt verdunkelt wird. Wozu sollte sie sich denn putzen? für wen denn?

Für die Weiberblicke, die neidisch jedes von ihren Ländern einschätzten, um sie dafür dann noch auf den Zungen herumzutragen?

Sie ließ unwillig den ganzen Putz liegen und fing an, nachdem sie sich ans Fenster gesetzt hatte, ihr üppiges helles Haar zu kämmen, wehmütig dabei ins Dorf hinüberschauend, das schon ganz in Sonnenschein lag und unter tausend Tautropfen glitzerte; hier und da blitzten einzelne Häuser weiß zwischen den Gärten hervor, und blaue Rauchsäulen quollen zum Himmel empor, auf dem Weg aber jenseits des Weihers, ganz im Schutz der Bäume, kamen hin und wieder Frauen vorbei; sie sah das Rot ihrer Beiderwandröcke, das sich im Wasser spiegelte, und konnte beobachten, wie sie zwischen den schon fast zerfließenden Schatten der Uferbäume vorüberschritten; dann schwammen die Gänse in einer weißen Reihe vorbei, mitten durch das helle Blau des gespiegelten Himmels, und ließen hinter sich schwärzliche halbrunde Kreise auf dem Wasser zurück, die leise wie Schlangen dahinkrochen; oder die flinken Schwalben glitten ganz tief an ihr vorüber, das weiße Gefieder ihrer Bäuche blitzte auf; und irgendwo an der Tränke brüllten die Kühe, und ein Hundekläffen wurde vernehmbar.

Sie dachte nicht nach über das, was sie sah, und ließ ihre Augen nach oben schweifen, wo auf dem mit Morgendunst verhängten Himmel ganze Scharen von Wolken zu sehen waren, wie wollige weiße Schäfchen auf der Weide. Irgendwo unter ihnen in fernen Höhen zogen unsichtbare Vogelzüge vorüber, und ihre langgezogenen klagenden Rufe wehten zur Erde nieder; es packte sie etwas jäh an der Brust bei diesen Stimmen, und eine schon lange lauernde Sehnsucht preßte plötzlich ihr Herz zusammen, daß sie mit glanzlosen Augen über die wildbewegten Bäume und über das Wasser in die Weite irrte, wohin auch jene in Bläue getauchten Wolken zu ziehen schienen, sie schaute in die weite Welt hinaus und sah doch nichts, als ihre eigene flutende Sehnsucht, so daß dicke Tränen über ihre erblaßten Wangen zu fließen begannen, wie glitzernde Perlen eines zerrissenen Rosenkranzes / so rollten sie langsam eine nach der anderen irgendwohin, ganz auf den Grund der Seele.

Konnte sie denn fassen, was mit ihr geschehen war?

Sie fühlte nur, daß sich etwas in ihr losriß, sie drängte, vorwärtstrieb, daß sie bis ans Ende der Welt hätte gehen können, so weit nur ihre Augen reichten, so weit sie diese unstillbare Sehnsucht führen würde, und sie weinte so schmerzlos und ohne es fast zu wissen, wie wenn ein blütenbelasteter Baum am Frühlingsmorgen, wenn die Sonne anfängt zu wärmen, und die Winde seine Äste schaukeln, reichlich seinen Tau fallen läßt, seine Wurzeln noch tiefer in die Erde versenkt und von fruchtbaren Säften übervoll die Blütenzweige dem Himmel entgegenstreckt ...

»Witek, bitt' mal schön die Gutsherrin zum Frühstück!« ließ sich Annas schrille Stimme abermals vernehmen.

Jagna fuhr auf, wischte die Tränen ab, kämmte die Haare zu Ende und ging eilig hinüber.

In Annas Stube saßen schon alle beim Frühstück. In der großen Schüssel dampften die Kartoffeln, und gerade begoß sie Fine mit fetter Sahne, die mitgeschmorten Zwiebeln zubereitet war, während die anderen mit gierigen Blicken darauf lauerten, um mit den Löffeln über das Essen herzufallen.

Anna nahm den ersten Platz in der Mitte vor der Bank, auf der gegessen wurde, ein, Pjetrek saß am Ende, und neben ihm hockte Witek auf dem Fußboden, Fine aber aß stehend und paßte auf das Nachfüllen auf; die Kinder hatte man bei einer ansehnlichen Schüssel am Herd niedergesetzt; sie mußten sich mit ihren Löffeln gegen Waupa wehren, der ab und zu mit in die Schüssel langte.

Jagna hatte ihren Platz nach der Tür zu gegenüber Pjetrek.

Sie aßen langsam, von Zeit zu Zeit nur vom Essen aufschauend.

Vergeblich plapperte Fine allerhand Zeug und auch Pjetrek warf manches Wort dazwischen; selbst Anna wurde durch Jagnas traurige verweinte Augen mitleidig gestimmt und ließ ein paar Worte fallen, Jaguscha antwortete mit keinem Ton.

»Wer hat dir denn eine solche Beule geschlagen, Witek?« fragte Anna.

»Gegen die Krippe bin ich gefallen!« Er wurde krebsrot und rieb die schmerzende Stelle, verständnisvoll nach Fine schielend.

»Hast du denn schon Palmreiser geholt?«

»Ich lauf' gleich hin, wenn ich nur fertig gegessen habe,« entschuldigte er sich, eilig sein Essen auslöffelnd.

Plötzlich legte Jagna den Löffel hin und ging hinaus.

»Da hat sie wieder 'ne Bremse gestochen!« flüsterte Fine, dem Pjetrek Rübensuppe zugießend.

»Nicht jeder kann in einem zu plappern wie du. Hat sie denn die Kuh gemolken?«

»Sie hat die Gelte mitgenommen, da ist sie gewiß nach dem Kuhstall gegangen.«

»Hale, Fine, man muß für die Graue Ölkuchen kochen.«

»Sie läßt schon Biestmilch von sich, ich hab' sie heut geschmeckt.«

»Tut sie das, da kalbt sie gewiß bald ...«

»Die wird ein Bullenkalb haben!« sagte Witek, vom Essen aufstehend.

»Dummer!« murmelte Pjetrek verächtlich, den Hosengurt etwas lockernd, denn er hatte seinen Magen nicht schlecht angefüllt und verließ, nachdem er sich die Zigarette an einem Feuerscheit angezündet hatte, mit dem Jungen zusammen die Stube.

Die Frauen machten sich schweigend an die Arbeit, Fine wusch das Geschirr ab und Anna machte die Betten.

»Wollt ihr mit den Palmen zur Kirche gehen?«

»Geh du mit Witek, Pjetrek kann auch hin, laß ihn nur die Pferde erst besorgen; ich bleib zu Haus, will beim Vater aufpassen, vielleicht kommt auch gerade Rochus zurück und bringt Nachricht von Antek ...«

»Soll man nicht der Gusche sagen, sie möchte morgen zu den Kartoffeln kommen?«

»Natürlich! Allein werden wir nicht fertig, und die müssen doch eilig ausgesucht werden.«

»Auch den Dung müßte man ausstreuen!«

»Pjetrek soll bis morgen mittag mit dem Ausfahren zurechtkommen, dann kann er von mittag an mit Witek Dung streuen; und wenn noch was Zeit übrigbleibt, kannst du mit helfen ...«

Gänsegeschnatter ertönte vor den Fenstern, und atemlos stürzte Witek herein.

»Daß du selbst den Gänsen keine Ruhe läßt!«

»Beißen wollten sie mich, da hab' ich mich nur gewehrt!«

Er warf einen ganzen Bund noch taufeuchter Weidengerten, die über und über mit Kätzchen bestreut waren, auf die Lade. Fine fing an, sie zurechtzulegen und band sie mit roter Wolle zusammen.

»Hat dich denn der Storch auf die Stirn gehackt?« fragte sie leise.

»Natürlich, was denn sonst? Sag es ihnen nur nicht ...« Er sah sich nach der Bäuerin um, die den Sonntagsstaat aus der Lade nahm. »Ich will es dir sagen, wie es war ... Ich hab' es ausgespäht, daß sie ihn für die Nacht vor der Veranda draußen lassen ... ganz spät hab' ich mich da hingeschlichen, als schon alle auf dem Pfarrhof schliefen ... und schon hatt' ich ihn ... da hat er mich aber gehackt ... Ich wollt' ihn mit dem Spenzer zudecken und wegtragen ... aber die Hunde haben mich gesehen ... sie kennen mich doch und wollten mich trotzdem angehen, da hab' ich denn weglaufen müssen, das Hosenbein haben sie mir auch noch zuschanden gemacht ... die sollen es noch kriegen ...«

»Und wenn Hochwürden dann merkt, daß du ihm den Storch fortgenommen hast?«

»Wer würd' ihm das sagen? ... Und ich werd' ihn doch wegnehmen, weil es meiner ist.«

»Wohin willst du ihn denn verstecken, daß sie ihn dir nicht wegnehmen?«

»Ich hab' schon solch ein Versteck ausgedacht, daß selbst die Schendarmen ihn nicht herausschnüffeln ... Und dann, wenn sie es vergessen, bring' ich ihn heim und sag', daß ich mir einen neuen hergelockt und zahm gemacht habe/wer wird ihn denn da wiederkennen, Fine? Verrat mich nur nicht, dann bring' ich dir auch junge Vögelchen oder einen kleinen Hasen.«

»Bin ich denn ein Junge, daß ich mit Vögelchen spielen sollt? So'n Dummer! Zieh dich gleich um, dann gehen wir zusammen in die Kirche.«

»Läßt du mich die Palme tragen, Fine? wie?«

»Was dem nicht alles einfällt! ... Die können doch nur die Frauen zum Weihen tragen.«

»Vor der Kirche geb' ich sie dir doch sicher wieder ab, nur durchs Dorf, Fine, nur durchs Dorf ...«

Er bat so lange, bis sie es ihm versprach, um sich danach rasch zu Nastuscha Täubich umzudrehen, die schon ganz zum Kirchgang fertig, die Palmen in der Hand, zur Türe hineintrat.

»Hast du nichts Neues von Mathias?« fragte Anna bei der Begrüßung.

»Nur das, was gestern der Schulze mitgebracht hat: daß er schon besser ist.«

»Der Schulze weiß gerade so viel, wie gar nichts, oder denkt sich aus, was es nicht gibt.«

»Dasselbe soll er auch an Hochwürden gesagt haben.«

»Und über Antek hat er kein Wort zu sagen gewußt.«

»Der Mathias soll doch mit den anderen sitzen und der Antek für sich allein.«

»Ih ... das bellt er sich so zusammen, um was zum Reden zu haben ...«

»War er damit auch bei euch?«

»Jeden Tag kommt er hier an, aber zu der Jaguscha, der hat ja mit ihr seine Geschäfte, da kommen sie denn immer zusammen und beraten sich vor aller Welt am Zaun.«

Sie sagte es leiser, aber mit Nachdruck, dabei durchs Fenster blickend, denn gerade ging Jagna die Galeriestufen hinab, mächtig aufgeputzt, mit einem Gebetbuch und mit den Palmen in den Händen. Lange sah sie ihr nach.

»Ihr werdet euch verspäten, Mädchen, die Leute kommen schon über den Weg.«

»Sie haben doch noch nicht geläutet.«

Auf einmal erklangen die Glocken, laut in das Haus des Herrn rufend, und tönten gemächlich und weit vernehmbar lange Zeit.

In einem Paternoster hatten alle, die zur Kirche wollten, das Haus verlassen.

Anna blieb allein, setzte das Mittagessen auf, brachte sich etwas in Ordnung und nahm die Kinder mit sich, setzte sich mit ihnen auf die Galerie, um sie auszukämmen und zu lausen, denn in der Woche fehlte stets die Zeit dazu.

Die Sonne hatte sich schon ziemlich hoch erhoben, und allerorts schickten sich die Leute an, zur Kirche zu gehen; immer wieder kamen welche aus den Heckenwegen hervor, daß rings auf der Dorfstraße die Röcke der Frauen wie rote Mohnblumen aufleuchteten und ein Stimmengewirr sich näherte; das Geschrei der Dorfkinder, die sich damit vergnügten, Steine ins Wasser zu schleudern, klang bis zu ihr herüber, und hin und wieder hörte man das Rollen der vorüberkommenden Wagen, die voll von Menschen aus anderen Dörfern waren. Es kamen Männer vorbei, scheinbar fremde, und gaben Gott zum Gruß, bis schließlich alles vorüber war und die leeren Wege still wurden.

Nachdem Anna die Kinder zu Ende gelaust hatte, setzte sie sie aufs Stroh bei den Kartoffelgruben, damit sie dort für sich spielen konnten, sah in die brodelnden Töpfe hinein und kehrte auf den alten Platz zurück, halblaut Gebete vor sich hinmurmelnd, denn aus dem Buch konnte sie nicht lesen.

Der Tag erhob sich schon zur Mittagshöhe, und eine ganz feiertägliche Stille hielt das Dorf umfangen, so daß schon nirgends Stimmen zu hören waren, höchstens nur das Schirpen der Spatzen und das Gezwitscher der ihre Nester an den Dachtraufen bauenden Schwalben. Das Wetter war schon warm, und es hatte doch kaum der erste Lenzhauch die Erde berührt und die Bäume gestreift, der Himmel voll Bläue hing wie verjüngt und seltsam leuchtend über der Erde, die Obstgärten standen unbeweglich und hoben Zweige voll geschwellter Knospen der Sonne entgegen, die Eschen, die den Weiher umsäumten, bewegten sich wie ganz leise atmend, und die gelben Kätzlein und die rostroten jungen Triebe der Pappeln öffneten sich dem Licht wie junge Vogelschnäbel, waren klebrig, schienen wie von Honig zu triefen und dufteten.

An den Häuserwänden entlang wärmte die Sonne schon fein, so daß die Fliegen auf den warmen Planken herumkrochen, und manchmal zeigte sich auch schon eine Biene und fiel mit Gesumm in die Maßliebchen ein, die an den Zäunen hervorguckten, oder sie flog von Strauch zu Strauch, von denen jeder wie eine grüne Flamme im Schmuck seiner jungen Blättlein leuchtete.

Von den Feldern und Wäldern aber wehte es noch scharf und feucht.

Die Messe mußte schon zur Hälfte gediehen sein, denn in der stillen wie von Frühlingssäften geschwellten Luft breiteten sich die Klänge ferner Chöre und Orgelspiel aus, und zuweilen ergossen sich wie üppiger Regen die zerrinnenden Stimmen der Schellen.

Die Zeit zog sich langsam und lautlos dahin; als die Sonne ihren Höhepunkt erreicht hatte, verstummten selbst die Vögel, und nur die Krähen, die, voll Diebsgelüste den Gösseln auflauernd, hart oben um den Weiher herumstrichen, machten die Gänse erregt aufkreischen; auch ein Storch klapperte plötzlich irgendwo einmal auf und flog nahe vorüber, man sah nur seinen großen Schatten über die Erde huschen.

Anna betete inbrünstig, dabei auf die Kinder achtgebend und gelegentlich zum Alten einsehend.

Aber was war da zu tun, er lag bewegungslos, vor sich hinstarrend.

Er starb so langsam dahin, lebte seine Zeit zu Ende, von Tag zu Tag wie ährenschweres Getreide, das in der Sonne der scharfen Sichel entgegenreift ... Niemanden erkannte er, denn selbst dann, wenn er Jagna rief und sie bei den Händen festhielt, starrte er anderswohin; aber es schien Anna, daß er auf ihre Stimme hin die Lippen bewegte, und daß ihm dann die Augen hin und her gingen, als wollte er etwas sagen ...

Und so war es immerzu ohne Abwechslung, daß alle, die es mit ansehen mußten, oft ein Weinen ankam.

Mein Jesus, wer hätte das erwartet! Ein solcher Hofbauer, so ein Kluger, und jetzt liegt er wie ein Baum, den der Blitz zuschanden geschlagen hat, der noch voll grüner Zweige ist und doch schon dem Tode als Beute gilt ...

Er war ja noch nicht gestorben, aber leben, das tat er doch auch nicht mehr, war schon ganz in den Händen der göttlichen Gnade.

O Menschenlos, o unverrückbares Verhängnis!

O Macht der göttlichen Bestimmung, die du dich offenbarst, ehe es einer ahnt, sei es am hellichten Tage oder auch in der dunklen Nacht, und dieses bißchen Menschendasein vor dich hinfegst, dem bitteren Tode zu! ...

Sie sann wehmutsvoll über ihn nach, zum Himmel emporblickend, seufzte ein-, zweimal auf, betete ihren Rosenkranz zu Ende und machte sich wieder an das mittagliche Melken/denn: Jammern für sich, aber die Arbeit allem voraus.

Als sie mit den vollen Gelten zurückkam, waren schon alle zurück. Fine erzählte, was der Priester auf der Kanzel geredet hatte und wer in der Kirche gewesen war; es wurde lebendig in der Stube und auf der Hausgalerie, da ein paar gleichalterige Mädchen mit ihr gekommen waren, sie schluckten gemeinsam die geweihten Kätzchen herunter, da sie gegen Halsschmerzen schützen sollten.

Es war genug Lachen dabei, da des öfteren eine ihr Kätzchen nicht herunterschlingen konnte, sich verschluckte und zuletzt noch Wasser nachtrinken mußte, oder die anderen trommelten ihr mit der Faust auf den Rücken, damit es ihr eher durch die Kehle ging, was besonders Witek mit großer Freude besorgte.

Nur Jagna war nicht zum Mittagessen zurückgekommen, man hatte sie gesehen, wie sie mit der Mutter und mit den Schmiedsleuten gegangen war. Aber kaum waren sie von den Schüsseln aufgestanden, als Rochus eintrat. Freudig liefen sie ihm entgegen, um ihn zu begrüßen, denn er war ihnen so lieb geworden, als wenn er wohl ihr eigener Großvater wäre. Er begrüßte sie still, sagte jedem ein Wort und küßte sie auf die Stirn; als man ihm aber das Essen reichte, aß er nicht: er war sehr müde und sah sich besorgt in der Stube um. Anna belauerte seine Augen und wagte doch nicht zu fragen.

»Ich habe den Antek gesehen!« sagte er leise, ohne jemanden anzusehen.

Sie sprang von der Lade auf; eine Angst ergriff sie und preßte ihr das Herz zusammen, so daß sie kein Wort hervorstottern konnte.

»Er ist ganz gesund und guter Dinge. Ich habe mit ihm eine gute Stunde geredet, obgleich uns ein Gendarm bewacht hat.«

»Halten sie ihn denn in Eisen?« stieß sie ängstlich hervor.

»Was ihr nur denkt! ... er sitzt wie alle anderen! ... Er hat es da schon nicht so schlecht, habt nur keine Angst.«

»Der Kosiol erzählte doch, daß sie da prügeln und an die Wand ketten.«

»Vielleicht ist das anderswo so ... für was anderes ... aber den Antek haben sie nicht angerührt,« erzählte er.

Sie schlug vor Freude die Hände zusammen und ein Lächeln wie Sonnenschein huschte über ihr Antlitz.

»Und beim Abschiednehmen hat er noch gesagt, daß ihr den Masteber, ohne euch um was zu kümmern, noch vor dem Fest abschlachten sollt, denn er möchte zu Ostern auch etwas vom Geweihten abhaben.«

»Sie lassen ihn wohl hungern, Gott, der Arme, hungern lassen sie ihn gewißlich!« stöhnte sie weinerlich auf.

»Der Vater haben aber gesagt, daß sie den Eber verkaufen wollten, wenn er gemästet ist,« bemerkte Fine.

»Das hat er, aber wenn Antek zu schlachten befiehlt, dann ist jetzt sein Wille neben Vaters der erste,« erhob Anna wieder ihre scharfe, unnachgiebige Stimme.

»Und dann sagte er noch, daß ihr im Feld alles machen lassen möchtet, was nötig ist und auf niemand was achtet. Ich hab' ihm erzählt, wie gut ihr euch hier zu helfen wißt.«

»Hat er denn darauf was gesagt? was denn?«

Die Freude überkam sie heiß.

»Er hat mir das gesagt, daß, wenn ihr nur wolltet, dann würdet ihr schon mit allem fertig werden.«

»Das würd' ich, versteht sich!« murmelte sie mit Nachdruck, und in ihren Augen blitzte ein unbeugsamer Wille auf.

»Was gibt es hier bei euch Neues?«

»Nichts, alles wie es war ... Werden sie ihn denn bald freilassen?« fragte sie mit einem Beben der Angst.

»Vielleicht gleich nach dem Fest, vielleicht auch ein bißchen später, wenn sie mit der Untersuchung fertig werden ... Und das wird sich noch etwas hinziehen, weil es ja doch das ganze Dorf ist, so viel Volk ...« antwortete er ihr ausweichend, ohne ihr in die Augen zu sehen.

»Hat er denn auch nach dem Haus, nach den Kindern, nach mir gefragt ... nach allen? ...« fragte sie bange.

»Das hat er, versteht sich, alles der Reihe nach hab' ich ihm erzählt.«

»Und von allen im Dorf ...«

Furchtbar gern hätte sie es wissen mögen, ob er auch nach der Jagna gefragt hatte, aber sie wagte das nicht offen auszusprechen, und heimlich, daß er etwas ausplauderte, ohne es zu merken, vermochte sie es nicht, obgleich sie sich lange damit abquälte, denn auch der geeignete Augenblick dafür war vorüber; es hatte sich nämlich im Dorf herumgesprochen, daß Rochus zurück war, und bald darauf, noch vor dem Vespergottesdienst, fingen die Frauen an, zusammenzuströmen, voll Neugierde, etwas über ihre Männer zu erfahren.

Er trat zu ihnen vors Haus, und auf der Mauerbank sitzend erzählte er, was er über jeden erfahren hatte, und obgleich er nichts Schlechtes berichtete, wuchs im Haufen das Aufschluchzen der Frauen immer mehr, und hier und da rang sich selbst ein lautes Weinen und eine Klage los ...

Dann ging er noch ins Dorf, fast in jedes Haus eintretend, und schien wie ein Heiliger mit seinem weißen Bart und den erhobenen Augen; wohin er kam, brachte er Worte des Trostes, und wo er eintrat, füllte er wie mit Helligkeit die Stuben, ließ in den Herzen die Hoffnung erblühen und stärkte die Wankelmütigen mit neuer Zuversicht; aber auch die Tränen flossen da reichlicher, die erneuten Erinnerungen drückten schwerer nieder, und noch sehnsuchtsvoller wurde das Weh ...

Es war richtig, was die Klembbäuerin am vergangenen Tage zu der Agathe gesagt hatte, daß das ganze Dorf einem offenen Grab ähnlich sei; das war schon so, es schien, als hätte eine Seuche in Lipce gehaust und den größten Teil der Bevölkerung unter die Erde gebracht, oder als hätte sich ein Krieg vorübergewälzt und die Männer hingemordet, so daß in den leeren Häusern nur die Frauenklagen und Kinderweinen umgingen und das bis ins Innerste brennende Erinnern an das erlittene Leid.

Es war gar nicht mehr zu sagen, was in den gequälten Seelen vor sich ging!

Die dritte Woche ging ihrem Ende zu, und Lipce hatte sich noch immer nicht beruhigt, im Gegenteil, in einem zu wuchs das Bewußtsein der Ungerechtigkeit, die ihnen angetan war; so nahm es denn auch nicht wunder, daß immerzu, bei jedem neuen Morgengrauen, kaum daß sie aufgewacht waren, jeden Mittag und jeden Abend, in den Häusern oder draußen, wo nur das Volk zusammenkam, ohn' Unterlaß wie ein Bettlergebet Klagen ertönten, und in den Herzen wuchs der Wunsch nach Wiedervergeltung, wie ein Teufelssamen, wie ein schlechtes Unkraut, so daß die Fäuste sich von selbst ballten und gehässige Worte wie Blitze zuckten.

Natürlich hatten Rochus' Worte nur das, was ein unachtsames Stochern in einem glimmenden Feuer, das danach mit erneuter Macht hervorbricht, bewirkt; durch alles war ihnen die Erinnerung an das Geschehene an die Oberfläche gezerrt worden, so daß kaum eine zum Vespergottesdienst ging, sie rotteten sich in den Heckenwegen zusammen, sammelten sich auf der Dorfstraße oder gingen nach der Schenke, sich miteinander unter Weinen und Fluchen zu beratschlagen ...

Anna aber fühlte eine Erleichterung und war so froh über das Lob ihres Mannes und so gestärkt dadurch in ihrem Herzen, so voll Hoffnung, Arbeitslust und so ganz vom Wunsch durchdrungen, zu zeigen, daß sie mit allem fertig werden könnte, daß sie nicht wußte, wo sie zuerst angreifen sollte.

Als die Weiber auseinandergegangen waren, kam gerade die Schmiedin an, um etwas bei dem Kranken zu sitzen, Anna aber begab sich mit Fine nach dem Schweinestall, den Masteber zu besehen.

Sie ließen ihn auf den Hof hinaus, aber da das Tier stark gemästet war, so legte es sich gleich in eine Jauchenlache und wollte sich nicht von der Stelle rühren.

»Gib ihm heute nichts mehr zu fressen, laß ihn sich reinigen.«

»Grad hab' ich es vergessen, ihn heut mittag zu füttern ...«

»Das ist gut für dieses Mal, man müßte ihn gleich morgen ausweiden. Hast du die Gusche gerufen?«

»Sie will noch heute zur Vesperzeit 'rüberkommen, hat sie versprochen ...«

»Tu was um und lauf zu Ambrosius, er möchte morgen, wenn es auch nach der Messe wär', mit den Geräten kommen.«

»Wird er denn können, da doch Hochwürden gesagt hat, daß morgen zwei Priester kämen, um Beichte zu hören?«

»Der findet schon Zeit! ... Er weiß ja, daß ich mit Schnaps nicht sparen werd', und er braucht ja nur rasch abzuschlachten und das Fleisch zu zerteilen, denn die Gusche hilft ja auch mit.«

»Da könnt' ich morgen in der Frühe in die Stadt fahren, von wegen Salz und Zutaten doch ...«

»Möchtest dich wohl durchlüften! ... das ist nicht nötig: alles kann man bei Jankel kriegen, ich geh' da gleich hin und besorg' es.«

»Fine!« rief sie noch hinter ihr her, »und wo ist denn der Pjetrek mit Witek hin?«

»Gewiß sind sie ins Dorf gegangen, denn der Pjetrek hat die Geige mitgenommen.«

»Triffst du sie, dann schick sie hierher, sie müßten den Trog aus dem Schuppen vors Haus bringen, der muß morgen früh ausgebrüht werden.«

Fine, die zufrieden war, daß sie ins Dorf rennen konnte, lief gleich zu Nastuscha hinüber, um mit ihr gemeinsam Ambrosius suchen zu gehen.

Aber Anna kam nicht dazu, in die Schenke zu gehen, denn gleich darauf erschien ihr Vater, der alte Bylica, sie gab ihm etwas zu essen und erzählte ihm freudig, was Rochus für Neuigkeiten von Antek gebracht hatte; doch sie war damit noch nicht fertig geworden, als Magda, die Schmiedin, mit Geschrei in die Stube stürzte.

»Kommt schnell, dem Vater ist was!«

Tatsächlich saß Boryna am Bettrand und sah sich in der Stube um. Anna stürzte auf ihn zu, um ihn zu stützen, daß er nicht vom Bett fiele, er aber sah sie aufmerksam an und heftete dann plötzlich die Augen auf die Tür, durch die gerade der Schmied ganz unverhofft eintrat.

»Anna!«

Er sagte es deutlich und so fest, daß sie im Innern davor erbebte.

»Ich bin ja da. Rührt euch nur nicht, der Arzt hat es verboten,« flüsterte sie erschrocken.

»Was gibt es draußen?«

Er hatte eine Stimme, die wie fremd und gesprungen klang.

»Der Frühling kommt ... warm wird es ...« stotterte sie.

»Sind sie denn aufgestanden? ... Es ist Zeit aufs Feld ...«

Sie wußten nicht, was sie entgegnen sollten und sahen einander an; nur die Schmiedin heulte los.

»Verteidigt euer Hab und Gut! Fest aushalten, Leute!« schrie er auf, aber die Worte zerrissen ihm im Mund, er fing an zu zittern und in Annas Armen zu wanken, so daß die Schmiedsleute ihr beistehen wollten; sie ließ aber doch nicht los, obgleich ihr schon die Arme und der Rücken erlahmten. Sie starrten auf ihn mit Angst und warteten, was er sagen würde.

»Zuerst müßte man die Gerste säen ... Hierher, zu mir, Leute! ... Hilfe! ...« schrie er plötzlich furchtbar auf, wurde steif und fiel nach hinten über, seine Lider schlossen sich, und ein Röcheln wurde hörbar.

»Er stirbt! ... Jesus! ... er stirbt!« schrie Anna, ihn aus ganzer Macht schüttelnd.

Und Magda steckte ihm die Totenkerze in die schlaff herabhängende Hand.

»Den Priester, schnell, Michael! ...«

Doch ehe der Schmied hinausgegangen war, öffnete Boryna wieder die Augen und ließ die Totenkerze aus der Hand fallen, so daß sie auf dem Boden in Stücke zersprang.

»Es ist schon vorbei, er sucht was ...« flüsterte der Schmied, sich über ihn beugend; aber der Alte stieß ihn ziemlich barsch zurück und sagte laut und ganz bei Bewußtsein:

»Anna, laß diese Menschen fortgehen.«

Magda wollte sich weinend auf ihn stürzen, aber er schien sie nicht erkannt zu haben.

»Ich will nicht ... nicht nötig ... jag' sie 'raus ...« wiederholte er hartnäckig.

»Geht doch wenigstens auf den Flur, widersetzt euch nicht ...« flehte Anna.

»Geh du hinaus, Magda, ich bleibe, wo ich bin,« preßte der Schmied unnachgiebig hervor, da er begriffen hatte, daß der Alte etwas Heimliches der Anna sagen wollte.

Das hörte Boryna, und sich erhebend, sah er ihn so drohend an und wies so entschieden mit der Hand auf die Tür, daß der Schmied wie ein getretener Hund die Stube verließ und fluchend nach der auf der Galerie weinenden Magda hinauslief; doch plötzlich verstummte er, stürzte in den Obstgarten, und nachdem er sich geduckt nach dem Fenster der Giebelseite hingeschlichen hatte, preßte er sein Gesicht an die Scheibe, um zu horchen, denn gerade nach dorthin war das Kopfende des Bettes gerichtet, so daß man durchs Fenster einiges hören konnte.

»Setz' dich hierher ...« befahl der Alte, nachdem der Schmied gegangen war.

Natürlich setzte sie sich auf den Bettrand, kaum das Weinen zurückhaltend.

»In der Kammer findest du etwas Geld ... versteck' es, daß es die anderen nicht wegreißen.«

»Wo? ...«

Sie bebte vor Erregung.

»Im Getreide ...«

Er sprach deutlich, nach jedem Wort ausruhend, sie aber hing wie gebannt und die Angst zurückhaltend mit ihren Blicken an seinen seltsam leuchtenden Augen.

»Den Antek mußt du verteidigen ... verkauf' die Hälfte der Wirtschaft und laß nicht ab von ihm ... laß nicht ab ... dein ...«

Er kam nicht zu Ende, wurde blau im Gesicht und sank aufs Lager zurück, seine Augen erloschen und umnebelten sich, er gurgelte noch etwas und versuchte sich scheinbar hochzurichten.

Anna schrie auf vor Angst, die Schmiedsleute kamen wieder hereingerannt, man versuchte ihn zur Besinnung zu bringen, begoß ihn mit Wasser; doch er kam nicht mehr zu sich und lag wieder wie vordem steif und unbeweglich mit offenen Augen da und fern von allem, was um ihn geschah.

Lange saßen sie noch bei ihm, die Frauen weinten leise, und niemand sagte ein Wort; die Dämmerung sank schon hernieder, und die Stube hüllte sich in Schatten, als sie schließlich gemeinsam in den erlöschenden Tag hinaustraten; nur noch im Weiher glimmten die letzten Spuren der Abendröte.

»Was hat er euch gesagt?« fragte der Schmied, scharf Anna den Weg vertretend.

»Ihr habt's gehört.«

»Aber was hat er später geredet?«

»Dasselbe, wie bei euch ...«

»Anna, bringt mich nicht in Zorn, sonst kann es schlimm werden ...«

»Vor euren Drohungen hab' ich gerad soviel Angst, wie vor diesem Hund da ...«

»Er hat euch doch was in die Hand gesteckt ...« fügte er hinterlistig hinzu.

»Das könnt ihr morgen hinter der Scheune finden ...« höhnte sie verächtlich.

Er stürzte auf sie los, und es wäre vielleicht zu was Schlimmerem gekommen, wenn nicht Gusche gerade eingetreten wäre und auf ihre Art losgelegt hätte:

»Ihr beratschlagt da so friedlich und freundschaftlich, daß es durchs ganze Dorf hallt ...«

Er fluchte auf sie, was er nur konnte und ging ins Dorf.

Es wurde bald ganz dunkel, gewaltige Wolken verdeckten den Himmel, daß nicht einmal ein Sternengeflimmer durchdringen konnte; ein Wind erhob sich und griff in die Baumwipfel, daß sie dumpf und traurig rauschten; es ging wieder einem Witterungswechsel zu.

In Annas Stube war es hell und ziemlich laut, das Feuer knallte auf dem Herd, das Abendessen kochte, und ein paar ältere Frauen mit Gusche, die das erste Wort führte, redeten über allerhand. Fine aber mit Nastuscha und Jaschek dem Verkehrten saßen auf der Galerie, denn Pjetrek fiedelte auf der Geige eine so wehmütige Weise, daß einem die Lust zum Weinen dabei ankam, nur Anna konnte nicht still sitzen, in einem fort dachte sie über Borynas Worte nach und ging immer wieder auf die andere Seite, nachzusehen ...

Aber es ging nicht ... es war unmöglich jetzt, in der Kammer zu suchen; die Jagna saß in der Stube und legte ihren Festtagsstaat in der Truhe zurecht.

»Pjetrek, hör' doch auf, es ist beinahe schon Montag und die Karwoche fängt an, und der fiedelt und fiedelt, das ist schon rein eine Sünde!«

Sie schimpfte auf ihn ein, von einem inneren Beben ganz ergriffen, daß sie am liebsten geweint hätte. Er hörte selbstverständlich auf, und alle kamen darauf in die Stube herein.

»Wir reden von dem Gutsherrn seinem Bruder, von dem dummen Jacek!« setzte ihr eine auseinander.

Anna konnte jedoch nicht begreifen, worum es zu tun war, denn die Hunde fingen an, laut im Heckenweg zu bellen. Sie sah hinaus und hetzte obendrein. Waupa stürzte wütend nach dem Obstgarten.

»Kss ... Kss ... Waupa! ... Faß ihn, Burek! Kss ... Kss ...!«

Aber die Hunde verstummten plötzlich und kehrten freudig winselnd um.

Und das war nicht das letztemal so an diesem Abend, ein ängstlicher Argwohn wachte in ihr auf.

»Schließe alles ordentlich zu, Pjetrek, es muß irgendeiner da herumschleichen und kein Fremder, denn die Hunde gehen ihn nicht an.«

Sie gingen bald alle auseinander, und rasch hatte der Schlaf das ganze Haus umfangen; nur Anna ging noch hinaus, nachzuprüfen, ob die Türen verschlossen wären und stand dann lange noch an der Hauswand, ängstlich hinaushorchend ...

»Im Korn ... dann gewiß wohl in einem der Fässer, natürlich ... daß mir nur keiner da eher beigeht! ...«

Ein kalter Angstschweiß überkam sie, und das Herz fing ihr an, stürmisch zu klopfen.

Sie schlief fast gar nicht während dieser Nacht.


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