Franziska Gräfin zu Reventlow
Der Selbstmordverein
Franziska Gräfin zu Reventlow

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Der Tag des kommerzienrätlichen Festes war herangekommen. Burmann war verreist und Henning den ganzen Nachmittag allein zu Hause. Er befand sich in einem Zustand von unerträglicher Nervosität und ging ruhelos von einem Zimmer in das andere. Dann wieder sah er zum Fenster hinaus oder nach der Uhr, die heute überhaupt nicht vorzurücken schien. Einmal dachte er daran, Käthe aufzusuchen, gab es aber gleich wieder auf. Es war keine Freude mehr dabei, wenn sie zusammen waren, Henning war sich noch nicht darüber klargeworden, ob sie ihre kürzlich geäußerten Zukunftspläne im Ernst gemeint habe, aber er fühlte, daß sie ihn mehr und mehr fallenließ und sich anderen Gedanken zuwandte. Die Käuze mochte er ebenfalls nicht sehen. Sie würden nur wieder vom Diner reden, und das konnte er nicht mehr anhören, wenn er auch entschlossen war, es mitzumachen. Schließlich kam ihm der Gedanke, Elisabeth aufzusuchen, sie würde ihm wenigstens Gesellschaft leisten, und dann fuhr man gleich zusammen zu Schönlanks. Um sieben Uhr sollte das Fest beginnen, und jetzt war es halb fünf. Er rief Josias und begann sich rasch umzukleiden. Der Alte versuchte einen Scherz, um ihn aufzuheitern.

«Der Herr Baron haben heute Ballfieber wie eine junge Dame.»

«Es ist kein Ball, Josias, es ist ein Diner.»

«Nun, ich meine, das kommt wohl auf dasselbe hinaus. Wenn Herr Baron keine Lust haben, sollten Herr Baron doch lieber nicht hingehen.»

«Du hast leicht reden. – Höre, Josias», sagte er dann, während er vor dem Spiegel stand und den Kragen zuknöpfte, «ich muß hingehen, weil der Kommerzienrat mir eine Stellung verschaffen will... eine Stellung, Josias... es wird jetzt Ernst mit uns, blutiger Ernst.»

«Ich weiß, Herr Baron», sagte der Alte, glaubte aber immer noch nicht daran. «Es ist schwer für den Herrn Baron, und unser alter Herr Baron hat die Schuld. Aber es wird gewiß alles wieder in Ordnung kommen, und dann sind wir wieder zufrieden.»

«Meinst du, ich wäre unzufrieden – ja, vielleicht kann man es auch so nennen.» Er hatte inzwischen die Krawatte gebunden und wandte sich nach Josias um, der den Frack bereithielt.

«Es geht mir sehr schlecht, lieber Josias, und vielleicht geht es eines schönen Tages schief mit mir trotz allen Kommerzienräten. Ich spreche nicht gern darüber, du verlierst sonst noch den Respekt. Aber schließlich kommt so etwas in den besten Familien vor, und da erst recht, nimmt sich aber doppelt schlecht aus. – Es könnte also sein, daß ich fortgehe, ins Ausland oder sonstwohin – man kann das alles noch nicht wissen, und du bleibst dann einfach beim Doktor. Zu meinem Vater möchtest du wohl nicht zurück, oder?»

«Nein, Herr Baron. Aber gehen Herr Baron nur erst einmal zu dem Diner. Dann wird es schon wieder recht sein.»

Josias glaubte absolut nicht an Katastrophen, die über seinen jungen Herrn hereinbrechen könnten, der hatte schon oft so geredet, und es war immer alles geblieben, wie es war.

«Schön, wir sind fertig, ruf ein Auto, und, hörst du, da liegen noch Briefe von heute morgen auf dem Nachttisch. Wirf die ganze Geschichte ins Feuer, aber vergiß es nicht.»

Unterwegs kaufte er einen großen Strauß Rosen für Elisabeth. Sie war zu Hause, hatte aber Besuch von einigen jungen Schauspielern und zwei Mädchen, die ebenfalls Kolleginnen vom dramatischen Unterricht waren. Die ganze Gesellschaft saß um den Tisch, trank Wein und war laut und lustig.

Elisabeth machte ihm selbst die Tür auf und war sehr überrascht. Voller Freude nahm sie die Rosen an sich. «Danke schön, wie hübsch, daß Sie kommen, und schon in voller Gala.»

«Ich wollte Sie für heute abend abholen und gleich so lange hierbleiben, wenn ich Sie nicht störe.»

«Gewiß nicht, aber es sind Leute bei mir...»

«Das habe ich schon bemerkt»– die Tür zum Wohnzimmer stand offen, man hörte Stimmengewirr und Lachen –, «so ertappe ich Sie doch einmal, wenn Ihre Onkel nicht aufpassen.»

«Die sprachen erst davon, mich abzuholen, kamen aber glücklicherweise davon ab. Soll ich die Leute wegschicken?»

«Nein», antwortete Henning und legte im Flur seinen Pelz ab, «ich habe gar nichts dagegen, vor diesem Abendzauber noch etwas Boheme zu mir zu nehmen und mir anzusehen, wie Sie leben, wenn Sie nicht unter Aufsicht sind.»

Er bekam darauf die jungen Künstler und ihre Damen vorgestellt, saß im Frack dazwischen, war liebenswürdig und guter Laune.

«Nun müßt ihr gehen, es wird Zeit, Toilette zu machen», sagte Elisabeth, als es gegen sechs Uhr ging.

Sie wollten nicht, sie wollten bleiben und sie in ihrer Gesellschaftstoilette sehen. Die Onkel hatten sich angestrengt und ihr ein sehr schönes Kleid machen lassen, das nebenan auf dem Bett lag. Sie führte Henning hinein, um es ihm zu zeigen, die anderen hatten es schon vorher bewundert. Dann setzte sie sich plötzlich neben das Kleid auf ihr Bett und sah ihn hilflos an. Er sah erst jetzt, daß sie tiefe Schatten um die Augen hatte.

«Was ist mit Ihnen, Kind?» fragte er, «eben waren Sie noch so lustig, und nun machen Sie ein Gesicht...»

«Nein, ich bin gar nicht lustig, und ich möchte heute abend lieber nicht hingehen, einfach zu Hause bleiben.»

«Ich auch nicht, aber nun ist der ganze Apparat einmal in Szene gesetzt. Gehen wir nur, wenn es auch vielleicht keinen Sinn hat», er fuhr sich über die Stirn und sah sie wieder an, «ich fürchte, Sie haben schon einen kleinen Schwips, und mir geht es ebenso. Man muß sich einen Ruck geben, es geht doch nicht an, daß wir beide in angeheiterter Stimmung dort auftreten. Denken Sie nur an Ihren Freier – ja, Augustin war so indiskret, mir davon zu erzählen. Sie sollten sich die Sache jedenfalls überlegen und ihn derweil nicht vor den Kopf stoßen. Geordnete Lebensverhältnisse sind immerhin nicht zu verachten.»

Elisabeth legte den Kopf auf das Kissen und lachte fassungslos, richtete sich aber gleich wieder empor und lehnte sich ein wenig an ihn. Henning streichelte sie sanft und vorsichtig, spielte mit der eigensinnigen Locke, die heute wieder nicht am Platz bleiben wollte. «Liebes Kind, es ist besser, wenn wir jetzt Haltung bewahren, wir haben sie alle beide nötig. Mut, Mut, ziehen Sie sich an, auf dreiviertel sieben habe ich den Wagen bestellt.»

Die anderen lärmten nebenan.

«Ja, gehen Sie hinüber.»

«Ein Teufelsmädel», bemerkte einer von den jungen Leuten, der Eberhard gerufen wurde, und Henning wunderte sich, daß die beiden Mädchen in dieses Lob einstimmten. Es war kein Kolleginnenton, man schien sie wirklich gern zu haben, sprach anerkennend über ihr Talent, ihre Erscheinung und dann wieder über andere Sachen. Die Zeit verging, draußen rasselte ein Auto. Und Henning bemerkte mit Schrecken, daß es schon zehn Minuten auf sieben war. Elisabeth blieb immer noch im Nebenzimmer und schien sich nicht zu rühren. Er ging an die Tür und sah hinein, sie saß in einem hellblauen Kimono und in aller Gemütsruhe vor dem Spiegel, hatte sich frisiert und betrachtete sich nun ganz versunken und mit ernstem Ausdruck.

«Es ist höchste Zeit», sagte Henning, «wir kommen ohnehin zu spät, und bei einem Diner ist das peinlich.»

Sie fuhr herum: «Ach, das ist mir ja so gleichgültig... Ich muß erst noch ein Glas Wein trinken.»

Damit schob sie sich an ihm vorüber, setzte sich wieder zu den anderen und ließ sich einschenken. Henning ergab sich in sein Schicksal und wartete ab, wie es sich nun weiterentwickeln würde. Ihm war zumut wie in einem Traum, wo man läuft und läuft und nicht vorwärts kommt. Er sah deutlich den peinlichen Moment vor sich, wo sie beide verspätet anlangen würden, aller Blicke sich auf sie richteten, begriff, daß das eine Unmöglichkeit sei, und rang mit dem Entschluß, allein zu fahren. Dann aber kam sie gewiß nicht mehr nach und würde sich große Unannehmlichkeiten zuziehen. Das durfte er keinesfalls auf sich nehmen.

Er beugte sich vor und sprach leise auf sie ein. Die Schauspieler schwätzten untereinander ruhig weiter. Von Henning hatten sie bisher nie gehört, hielten die beiden für ein Liebespaar und wollten so wenig wie möglich stören.

«Ich kann wirklich nicht», antwortete Elisabeth und stützte den Kopf in beide Hände, «gehen Sie allein.»

«Weshalb nicht? Sind Sie krank?»

«Nein, ich bin nicht krank... es ist etwas anderes. Ich mag nicht, und es hat auch keinen Zweck mehr.» Ganz unvermittelt nahm sie die Hände herunter, sah ihn voll an und sagte: «Lieber Henning, es hilft Ihnen nichts. Sie werden mich doch heiraten müssen.»

Es dauerte eine Weile, bis er begriffen hatte, daß sie in vollem Ernst sprach und um was es sich handelte.

«Das auch noch», sagte er unwillkürlich.

«Und jetzt gehen Sie, ich fühle mich heute nicht imstande, alle die Leute zu sehen, ihnen etwas vorzuspielen. Für sich werden Sie schon eine Entschuldigung finden. Denken Sie auch, wie es sich ausnehmen würde, wenn wir beide mit einer solchen Verspätung ankämen», dabei lächelte sie wieder.

«Entschuldige, Elisabeth», rief eines der Mädchen vom Tisch herüber, «aber ihr kommt wirklich nicht mehr zurecht. Willst du dich nicht anziehen, ich helfe dir. Und dann müssen wir auch fort, wir gehen ins Theater.»

«Ja, komm und hilf mir. Ich ziehe mich an, damit sie nichts merken», sagte sie leise zu Henning. «Und Sie gehen jetzt.» Sie gab ihm die Hand und zog das Mädchen mit sich fort.

Henning ging, aber nur auf die Straße hinunter, lohnte den Chauffeur ab und kam wieder herauf

Oben war man inzwischen wieder munter geworden, die ganze Gesellschaft beteiligte sich an Elisabeths Toilette. Man half ihr, reichte ihr die Sachen, suchte nach Nadeln, kritisierte, es ging zu wie in der Theatergarderobe, und niemand ließ sich dadurch stören, daß Henning wieder erschien.

«Närrische Leute seid ihr», sagte Eberhard, «jeder von uns wäre froh darum, bei Schönlanks zu verkehren, und ihr verplaudert die Zeit, als ob das gar nicht der Rede wert sei. Ihr werdet um eine Stunde zu spät in die Gesellschaft hineinplatzen, und das macht einen verwünscht schlechten Eindruck. Paß auf, Elisabeth, man wird dich nie wieder einladen.»

Elisabeth sah sehr hübsch aus in ihrem lichtgelben Kleid mit einer von Hennings Rosen im Haar, und diesmal war alles an ihr in tadelloser Ordnung, selbst die Frisur ließ nichts zu wünschen übrig. Sie nahm den Rosenstrauß in die Hand, verneigte sich mit gemäßigtem Salonlächeln, hielt eine Entschuldigungsrede an einen fingierten Kommerzienrat, etwas von oben herab wie eine große Dame, die sich wohl einen Verstoß gegen die Etikette leisten kann, und trieb alle mögliche Allotria.

«Nun stoßen wir noch einmal an», sagte sie dann, «auf das Haus Schönlank, und ob es uns Glück bringen wird. Kinder, ihr wißt ja gar nicht, was alles von diesem Diner abhängt. Und dann geht ihr alle. Ich habe es mir überlegt, ich erscheine erst nach Tisch und nehme derweil meine Rolle noch einmal durch. Und Sie, Baron?»

«Wenn Sie erlauben, warte ich auf Sie, ich werde mich ganz still verhalten.»

Zehn Minuten später waren alle gegangen und die beiden allein. Sie sprachen noch lange miteinander und fuhren dann in die Stadt, um in einem stillen, eleganten Restaurant zusammen zu Abend zu essen. Und dort kam eine beinah leichte und fröhliche Stimmung über sie. Sie saßen sich gegenüber, beide immer noch in Gesellschaftstoilette, Elisabeth hatte ihre Rosen mitgenommen. Das Diner war endgültig aufgegeben.

«Und haben Sie jetzt wirklich noch den Mut?» fragte Henning lächelnd. «Sehen Sie nur, wie das Leben wieder hübsch und verlockend aussieht, sobald man aus den eigenen vier Wänden, die alles wissen, herauskommt.»

«Man müßte ja doch wieder dorthin zurück, und dann geht es wieder nicht – mit alledem, was man sich angerichtet hat.»

«Nein, gewiß, es geht nicht», sagte Henning. «Für mich wenigstens steht das ganz fest – ich bin fertig, rien ne va plus. Das weiß ich schon seit einigen Tagen, ich dachte eigentlich nur um Ihretwillen heute noch dorthin zu gehen. Aber Sie?»

«Ich würde es sonst ja doch allein tun», antwortete Elisabeth mit Festigkeit, «heute, morgen oder in drei Wochen, was sollte sonst aus mir werden.»

«Wir können es ja auch noch überlegen», meinte Henning.

«Wenn wir nun das Diner nicht versäumt hätten... Jedenfalls denken jetzt verschiedene Menschen an uns, und warum wir nicht da sind. Zum Beispiel der Mann, der mich heiraten möchte.»

«Wäre das nicht noch ein Ausweg gewesen, Elisabeth?»

«Nein.»

«Und Lucy wird da sein», sagte er, «nun bleibt sie doch ein Phantom. Auch der verdammte Schwede – ich habe Ihnen doch erzählt... spätestens am 15. Februar, das ist übermorgen. Damit behält er nun vielleicht recht, wenn es auch anders gemeint war.»

Elisabeth war tief in Gedanken versunken, und manchmal kam ein verstörter Zug in ihr Gesicht, wie bei Menschen, die nicht mehr ganz bei Verstand sind. «Wenn wir uns wenigstens geliebt hätten», sagte sie, «dann wäre es viel schöner.»

«Ja, was können wir dafür? Das Schicksal hat uns auch ohne das zusammengeworfen und hat es nicht ganz geschickt gemacht, wie so oft. Es würde uns übrigens nicht viel nützen, Kind, wir würden nur etwas mehr am Leben hängen. Aber ich mache Ihnen einen Vorschlag, Elisabeth, wir nehmen einen Nachtzug, fahren irgendwohin, an einen anderen Ort, und bleiben noch einen Tag beisammen oder zwei. Dann wünsche ich spurlos von der Bühne zu verschwinden. Was Sie tun wollen, steht bei Ihnen.»

«So wie ich da bin?» fragte sie, «ich möchte nicht noch einmal nach Hause.»

Henning lächelte: «Gut, bleiben wir so, wie wir sind, zum Andenken an das Diner mit all seinen schönen Verheißungen. Wir haben ja die Mäntel darüber. Kommen Sie, Kind, machen Sie sich fertig.»

Auf dem Weg zum Bahnhof zog er sie an sich: «Ob wir uns nun lieben oder nicht, jetzt bleiben wir zusammen, und es kann nichts Schlimmes mehr kommen. Mir war schon lange nicht mehr so froh und leicht wie heute abend.»

Die Käuze saßen am anderen Tag ratlos und verstört bei ihrem schwarzen Kaffee. Weder Elisabeth noch der Baron Henning waren gestern abend im Hause des Kommerzienrats erschienen, sie hatten sich nicht einmal entschuldigt und ließen sich auch heute nicht blicken. Man hatte sich nach Henning erkundigt und von dem alten Josias erfahren, daß er seit gestern nachmittag nicht mehr zu Hause gewesen sei, und zwar wäre er im Frack fortgegangen. Aber schließlich – man kannte ihn, und er hatte manchmal seine Einfälle, jedenfalls beunruhigten sie sich mehr um Elisabeth. Es wurde auch zu ihr ein Bote geschickt, er fand die Wohnung unverschlossen, aber sie war nicht da. Die Leute im Hause erzählten, daß gestern eine Gesellschaft von jungen Leuten bei ihr gewesen sei, die sie nicht näher zu beschreiben wußten, verschiedentlich hatte man auch Autos vorfahren hören.

Augustin war wie vor den Kopf geschlagen: Was mochte das Mädchen angestellt haben – war sie etwa mit diesen jungen Leuten fortgefahren? Und wohin?

«Wir hätten dies Alleinwohnen niemals zugeben sollen», sagte er, «ganz abgesehen davon, daß dies mit Schönlanks eine peinliche Affäre war, die schwerlich wieder in Ordnung zu bringen ist – wenn sie nun in schlechte Gesellschaft geraten ist, in einem unbewachten Augenblick auf leichtsinnige Streiche verfällt... Dergleichen kommt ja vor...»

«Elisabeth ist ein Kind», sagte Leidhecker beschwichtigend.

Käthe hatte in bezug auf Erasmus andere und mehr zutreffende Ahnungen, und in plötzlicher Angst rief sie Burmann telegraphisch zurück.

Wieder ging die Kunde von einem aufregenden Doppelselbstmord durch verschiedene Stadtviertel – diesmal atmeten die Eltern der jüngsten Generation erleichtert auf, denn der ominöse Verein hatte nichts damit zu tun. – Und wieder traf es Burmann, die Toten zu rekognoszieren, da er durch einen langen Brief von Henning orientiert war.

Später erzählte er Käthe, Erasmus habe wieder ausgesehen wie ein schöner Stierkämpfer mit breiter Stirn und breiter Brust und unendlich froh, nicht mehr in die Arena hinabsteigen zu müssen. Dann las er ihr aus Hennings Brief vor. Er sagte darin, es sei alles sehr merkwürdig gekommen, aber er habe noch für eine kurze Weile etwas kennengelernt, das er beinah für Glück halten könnte. Ihn, Hans Burmann, bäte er, den alten Josias zu behalten und seinem Vater möglichst schonend alles mitzuteilen. Es sei wirklich kein anderer Ausweg mehr für ihn gewesen, und er zählte hierfür Gründe auf, die Burmann beim Vorlesen mit Schweigen überging. Käthe möge er in aller Freundschaft grüßen und so weiter.

Während er ihr das vorlas, erlebte er es zum erstenmal, daß sie weinte. Sie mochte ihn doch wohl geliebt haben, dachte Burmann.

Dann kam der alte Baron an, er wurde allmählich vorbereitet, wie das immer zu geschehen pflegt, und nahm alles gefaßt entgegen. Bei dem Begräbnis seines Sohnes drückte auch der Kommerzienrat Schönlank ihm in tiefer und echter Ergriffenheit die Hand. Er ließ es höflich über sich ergehen, und der unnahbare Zug um seinen Mund wich keinen Augenblick.

Den Abend verbrachte er mit Käthe und Hans Burmann, ließ sich, was sie wußten, über Elisabeth erzählen und nahm Hedys vergoldeten Kinderschuh als Andenken an sich, weil ihn dieser ganz besonders an seinen letzten Besuch erinnerte.

Bei der Trauerfeier auf dem Friedhof waren auch die vier Schüler vom Selbstmordverein erschienen. Sie hatten von der Tragödie gehört, und obgleich man ihnen auch dieses Mal, wo sie ganz unbeteiligt waren, nicht mit freundlichen Blicken begegnete, ließen sie es sich nicht nehmen, einen Kranz auf das Grab zu legen.


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